Reflexionen zu “Ein Apartment in Berlin”

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Wien. Heidelberg. Berlin: ein israelischer Blick auf Deutschland
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Seit der Erstausstrahlung von “Ein Apartment in Berlin” vor etwas mehr als einer Woche erhalte ich viele Zuschriften, und mir wird klar, wie unklar der Film ist, wenn auch nicht allen, so zumindest vielen Zuschauern. Wie ein gutes Textstück nimmt da jeder was ganz anderes mit, sodass ich mit völlig unterschiedlichen, sich oft widersprechenden Interpretationen konfrontiert werde. Nicht zuletzt stellt sich natürlich auch mir die Frage, worum es bei diesem Film geht – zumindest für mich, denn für die anderen Teilnehmer und die Filmemacherin kann ich ja nicht sprechen.

Nun also, wenn ich darüber nachdenke (und das habe ich in der letzten Woche bei den ganzen Korrespondenzen sehr intensiv machen müssen), dann scheint der Film von einem sozusagen psychologischen Thema zu handeln. Damit will ich sagen, dass es nicht so sehr darum geht, was auf der “Oberfläche” bzw. am Bildschirm zu sehen ist (die Erzählung an sich ist sehr inkonsequent und fragmentarisch), sondern in erster Linie darum, was dahinter steckt: die innere, jeweils sehr subjektive Bedeutung der Dinge bei den drei Juden und der deutschen Filmemacherin. So gesehen hat der Film tatsächlich keine “Handlung” oder “Story”, denn die eher lose aneinandergereihten Szenen fungieren nur als Anregungen zum Nachdenken, und zwar über dasselbe Thema, aber aus sehr unterschiedlichen Perspektiven.

Das macht den Film allerdings sehr kompliziert und für viele unverständlich. Abgesehen davon, dass die meisten Zuschauer erwarten, dass ihnen eine ganz logische Handlung verabreicht wird, setzt der Film auch Einiges beim Zuschauer voraus, wie etwa eine introvertierte Perspektive und die Bereitschaft zur Selbstkritik. Ich vermute also, dass die meisten Zuschauer den Film wahrscheinlich auf dem einen oder anderen Weg “missverstanden” haben, indem sie mangels Selbstkritik der Versuchung einer selbstgerechten Verurteilung erlegen sind. Andererseits stellt eine moralistische Lesart des Geschehens eine Falle dar, in die auch der Film gehen könnte, aber bis auf zwei oder drei Szenen konnte sich die Filmemacherin m. E. davor bewahren.

Eine weitere Frage lautet, inwiefern dies überhaupt ein Dokumentarfilm ist. Da habe ich freilich meine Zweifel, denn wir Teilnehmer wären gar nicht auf die Idee gekommen, so eine Wohnung zu möblieren, wenn es die Filmemacherin nicht so inszeniert hätte (im Film wird übrigens ausdrücklich erklärt, dass es ihre Idee war). Demgegenüber sind die Szenen an und für sich authentisch. Keiner von uns wurde gezwungen, irgendetwas zu machen. Und genau daran ist schließlich der ursprüngliche Plan, die Wohnung zu möblieren, zugrunde gegangen. Diese Krise, die ungefähr am dritten Drehtag passiert ist, kommt im Film gut zum Ausdruck, und von da an kann der Film, der das Projekt dokumentiert, nichts anderes als zu zerfasern wie das Projekt selbst. Das Fragmentarische am Film, das ihn vielen Zuschauern so unverständlich macht, ist zugleich auch das Dokumentarischste an ihm. Der Ansatz zum gemeinsamen Experiment war vielleicht gewissermaßen “künstlich”, dessen Verlauf hingegen sehr natürlich. Insofern ist das vielleicht doch eine richtige “Doku”.

Was hatten wir also? Die Absicht, dass wir, junge israelische Juden in Berlin, uns über die Möblierung der Wohnung mit dem Schicksal deren damaliger jüdischer Bewohner verbinden, sozusagen an ihre Migrationsgeschichte anknüpfen, welche von der Filmemacherin vorgegeben war und uns somit auch mit ihr verbinden sollte. Aber anstatt sich damit, wenn auch nur ein Stückchen weit, zu identifizieren, fand keiner von uns dreien den Anschluss an dieses Familienschicksal. Anstatt eines Holocaust, der uns und die Filmemacherin, also alle vier, näher zueinander bringen sollte, erlebten wir vier verschiedene Perspektiven auf den Holocaust, die uns voneinander fernhalten, sodass am Ende jeder mit seinem eigenen, persönlichen Erbe dasteht, ganz wie im echten Leben.

Wenn durch den Film zumindest diese Heterogenität, oder “Queerness”, des Holocaust in unserer Generation etwas verständlicher und nachvollziehbarer wird, dann bin ich damit zufrieden.

PS. Hier ist ein Interview mit der Filmemacherin, Alice Agneskirchner. Und wer möchte, kann den Film noch hier sehen:

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www.berlinjewish.com/

Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

7 Kommentare

  1. Brüche im Film “Apartment in Berlin”

    Nicht nur fragmentarisch, sondern auch voller Brüche ist der Film. Er wirkt wie aus verschiedenen Teilen zusammengeklebt. Doch irgendwie passt doch alles zusammen, obwohl die Regisseurin das Schnittmuster nach dem sie den Film schneidern wollte, mitten im Film aufgeben muss. Es ist etwas anderes , vielleicht aber sogar vollständigeres als geplant, entstanden. Fast so wie eine Stadtbegehung vom geplanten Weg abkommt und sich scheinbar im Gewirr der Strassen verliert, dann aber in der Erinnerung und Gesamtschau ein neues Bild eröffnet. 
    Es gibt auch viele kleine Brüche und Kratzer im Firnis dieses Films. Sogar der Titel “Ein Apartment in Berlin” führt in  Die Irre. Suche ich unter Google nach diesem Titel finde ich “Apartement” oft mit Ferienwohnung assoziiert. Oder dass von jungen Israelis die Rede ist, wo man doch im Kontext des Films den Terminus junge Juden erwarten würde.

  2. Auf den 2.Blick

    Ich muss auch zugeben, dass ich zu Bweginn etwas überfordert war mit dem Film und ich nicht wusste, wie man die einzelnen Szenen deuten soll.
    Ich finde jedoch, dass man durch eine abstraktere Betrachtungsweise und versuchter Selbstkritik dem Ganzen “näher” kommt und den Film somit versteht.

  3. Vielen so unverständlich?

    Also ich habe für mich exakt einige der Punkte erkannt die Yoav in seiner Reflexion beschreibt. Insbesondere was den Gedanken der vollkommen verschieden Betrachtungsweisen des H. und die “Versuchung einer selbstgerechten Verurteilung” (toller Ausdruck, DAS trifft es) betrifft.

  4. Aber anstatt sich damit, wenn auch nur ein Stückchen weit, zu identifizieren, fand keiner von uns dreien den Anschluss an dieses Familienschicksal.

    Das gibt zu denken und stellt das Film-Konzept in Frage.

    Anstatt eines Holocaust, der uns und die Filmemacherin, also alle vier, näher zueinander bringen sollte, erlebten wir vier verschiedene Perspektiven auf den Holocaust, die uns voneinander fernhalten, sodass am Ende jeder mit seinem eigenen, persönlichen Erbe dasteht, ganz wie im echten Leben.

    Immerhin kam ja Israelkritisches und diese Jew in a Box-Geschichte, btw: vielleicht wäre auch anzumerken gewesen, dass der Begriff ‘Holocaust’ zweifelhaft ist für die systematische Judenvernichtung oder Shoa. Dieser kam vor vielleicht 35 Jahren auf und gibt Anlass zu Irritationen, bspw. wenn heute in anderem Zusammenhang von der Totalverbrennung die Rede ist (woraufhin sich doitsche Journalisten auch gerne empören).

    MFG
    Dr. W

  5. Guter Film

    Nachdem ich öfter mal kritische Kommentare auf diesem Blog geschrieben hatte (woran sich auch nichts geändert hat) fand ich diesen Film aber wirklich gelungen, man versteht hinterher vieles besser.

  6. Äußerst wichtig und interessant

    Hallo Joav,
    ich war wirklich beeindruckt von dem Film und vor allem von euch als Protagonisten. Ich hätte nicht gedacht, dass das damalige und aktuelle jüdische Leben in Berlin/Deutschland von einer jüngeren (meiner) Generation nochmal so intensiv thematisiert wird. Und das mit soviel Humor! Wirklich eine tolle Doku – sollte auch im Jüdischen Museum Berlin gezeigt werden.
    Wie ich sehe, hast du dich wissenschaftlich mit Juden in der DDR befasst – auch mit der Leipziger Geschichte? Hier gab es ja auch ein sehr vielfältiges jüdisches Leben bereits seit der Gründung der Stadt. Und heute einige Bemühungen, da wieder etwas aufleben zu lassen. Ich finde es sehr schade, dass das, was zerstört wurde, nie wieder so aufgebaut werden kann. Gerade das kulturelle jüdisch-deutsche Verhältnis muss sehr lebendig gewesen sein, bis die jüdische Gemeinde vertrieben und die Synagoge abgetragen wurde.
    Leider hat bisher noch niemand einen zusammenfassenden historischen Rückblick auf das jüdische Leben in Leipzig versucht. Wie wär’s? Fände ich eine gute Sache & wäre als Germanistin/Journalistin dabei!

    Viele Grüße aus dem tiefen Osten 😉

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