Umschalter + 3: die wohl wichtigste Tastenkombination des 20. Jahrhunderts?

Vor kurzem besuchten wir, also die Verlobte und ich, eine ganz gute Ausstellung in der Schwartzschen Villa in Berlin-Steglitz. Thema war diesmal das Wirtschaftsverwaltungshauptamt der SS, welches unweit davon residierte, in einem (wie auch sonst) arisierten Gebäudekomplex in Berlin-Lichterfelde. Ausgestellt war auch eine Original-NS-Schreibmaschine aus dem Jahre 1944, “G. F. Grosser – Fabrik für Büromaschinen”.

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Fotos von solchen Schreibmaschinen hatte ich schon mal gesehen, aber bis dahin eben noch nicht das Ding an sich. Ein kleiner, aber feiner Unterschied, der offenbar schon was ausmacht – der Unterschied zwischen Darstellung und Begegnung, in welcher eine ungeheure Macht steckt:

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Also stand ich da, von der Schreibmaschine hypnotisiert, und mir wurde klar, dass dies das aussagekräftigste Sinnbild für den Nationalsozialismus und seine Widersprüchlichkeit ist, ja vielleicht für die deutsche Romantik und ihre Haken. Einerseits die Schreibmaschine, ein Wahrzeichen der Moderne, andererseits die antiken Runen. Der Bruch mit der Tradition bzw. mit dem überlieferten Alphabet wird durch eben dieselbe, durch den herkömmlichen Dienstweg, gebändigt und gezähmt. Nicht einmal eine eigene Taste kann sich das Neue beanspruchen.

Man könnte auch sagen: die primitive Technik und die zivilisierte Technologie, Anfang und Ende des analogen Schreibens. Beides so vereint, dass aus der Schreibmaschine, einem im Prinzip literarischen Instrument (Schreiben als Ausdruck der Kultur), also aus dem Schöngeistigen, plötzlich eine Waffe wird. Die ganze Dialektik der Aufklärung verkörpert sich in einem einzigen Produkt: Schreibmaschine – Büromaschine – Mordmaschine.

So schön die mit dieser Erfindung entstandene Literatur, so böse auch der damit verwirklichte Völkermord. “Wir fliegen hoch und sinken umso tiefer”, erklärte bereits Scherer sehr zutreffend.

Es ist ein Bild der Kulturbarbarei, es ist der Mord als Verwaltungsakt ganz im Sinne Hanna Arendts; es ist, schließlich, die Quintessenz des Mordens in Gestalt einer Tastenkombination: Umschalter + 3.

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www.berlinjewish.com/

Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

8 Kommentare

  1. Und heute liegt quasi als “Nachfolger” auf dieser Taste: “§” und mir bleibt das Lachen im Halse stecken.

  2. Eine Hakenkreuz-Taste war nicht nötig.
    Der Adler mit Hakenkreuz war wohl in der Regel Bestandteil von aufgedruckten Briefköpfen oder von amtlichen Stempeln.
    Solche Stempel finden sich nicht nur auf Schriftstücken sondern z.B. in Büchern, die damals in Bibliotheken aufgenommen wurden.

    “Beides so vereint, dass aus der Schreibmaschine, einem im Prinzip literarischen Instrument (Schreiben als Ausdruck der Kultur), also aus dem Schöngeistigen, plötzlich eine Waffe wird.”

    Ich habe mal gehört, das in Rumänien zur Zeit der Kommunisten der Besitz von (privaten?) Schreibmaschinen verboten war. Ich weiß nicht, ob das stimmt, das Kopieren mit Kopierapparat war in kommunistischen Ländern stark reglementiert, z.B. in der Firma hatte nur der Chef Zugang zum Kopiergerät. Natürlich diente das zur Verhinderung von kritischer, politischer Tätigkeit, z.B. Flugblättern.

    Mit der Erfindung des Buchdruck war es doch ähnlich. Das erste gedruckte Buch war eine Bibel, aber nach einer kurzen Schamfrist benutzte man ihn sofort nicht nur für “kulturelle” Zwecke (Schreiben als Ausdruck der Kultur), sondern auch für wüsteste Propaganda und Hetze, z.B. Hexenhammer (Schreiben als Ausdruck der Unkultur).

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  5. Sehr geehrter Herr Sapir,

    ich habe mir erlaubt, Ihnen eine Nachricht auf Facebook zu schreiben… da wir nicht befreundet sind, befindet sie sich im Ordner “sonstige Nachrichten”.

    Ein vorzüglicher Artikel ist dies hier,

    Freundliche Grüße

    Arndt Stroscher

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