Vom Eise befreit…

BLOG: un/zugehörig

Wien. Heidelberg. Berlin: ein israelischer Blick auf Deutschland
un/zugehörig

Zwischen dem Passah und dem Pascha, Ostern und Pessach: einige Überlegungen zum umstrittenen Jesu.

Schwierig ist der Umgang Israels mit dem Volksgenossen Jesu (und ich sage hier bewusst nicht: Jesu Christo). Wohl noch schwieriger als der Umgang jener Volksfremden, die sich dennoch zu Jesu bekennen, also der Heidenchristen. Früher habe ich hier ein paar mal die Usurpation Jesu durch das Heidenchristentum erwähnt; eine Herausforderung, um die kein richtiger, sich von Überholspuren fern haltender Christ herumkommt. Doch was kann Jesus für seinesgleichen bedeuten?

An dieser Stelle taucht die Frage der Authentizität auf. Denn während sich Heidenchristen oft ruhigen Herzens auf heidnische Einflüsse verlassen oder diese zumindest hinnehmen können, ist Israel bei dieser Problematik ausschließlich auf jene Botschaften angewiesen, die wirklich von Israel stammen. Welche Teile der Überlieferungen zu Jesu kann, darf, soll man also für authentisch erachten?

Auf diesem Gebiet bin ich zwar kein Experte, aber "die Wahrheit" wird man in dieser Frage wohl sowieso nie erfahren. Mich dünkt daher, dass es hier einer Faustregel bedarf, d.h. eines nicht nur logisch, sondern vor allem auch historisch einleuchtenden Leitgedankens:

Je enger ein Jesu zugeschriebener Spruch mit dem Jüdischen zusammenhängt, umso authentischer ist dieser Spruch.

Authentisch also deswegen, weil jüdisch. Denn: Ob der jeweilige Spruch von Jesu als historischer Person oder aber von Jesu als literarisch-philosophischer Figur stammt, d.h. ob von ihm selbst oder vielleicht von einem anderen in seinem jüdischen Gefolge (wie dies bei den älteren Propheten wohl üblich war), ist eine andere, eigentlich zweitrangige Frage. Ausschlaggebend ist hingegen die Unterscheidung zwischen dem, was von Israel stammt, und dem, was wohl von Fremden hinzugefügt worden sein darf, die entweder von vornherein Heiden waren oder aber (gleichsam Saul bzw. Paulus) auf den innerjüdischen Diskurs verzichteten. Deswegen muss man zunächst feststellen (sofern das überhaupt möglich ist), ob bzw. inwiefern der jeweilige Spruch im Jüdischen verankert ist, wobei ich mit dem "Jüdischen" natürlich das meine, was seinerzeit als jüdisch galt, d.h. Israels damaliges Gedankengut.

Diesen Leitgedanken möchte ich nun anhand zweier Beispiele erläutern:

1. "Der Menschensohn ist ein Herr über den Sabbat" (Matt. 12:8, vgl. auch Mark. 2:28 sowie Luk. 6:5)

Hier wird mit einem Begriff – dem "Sabbat" – gearbeitet, den man im Hinblick auf die Zeit Jesu ohne Bedenken als urjüdisch bezeichnen darf. Dieser Begriff war zu jener Zeit im Wandel begriffen und wurde schließlich – wenn auch erst im Laufe der Jahrhunderte – nach pharisäischen Vorstellungen umgestaltet. Nun gerät Jesus in eine Auseinandersetzung mit irgendwelchen Pharisäern und in diesem Zusammenhang wird von ihm oder in seinem Namen eine alternative, gleichberechtigte Perspektive über diese Frage bzw. diesen jüdischen Kernbegriff geboten (wie man sie nun liest und versteht, ist natürlich eine ganz andere Frage).

Die Chancen, dass ein Fremder, der nicht mit diesem innerjüdischen Diskurs vertraut war, trotzdem in der Lage gewesen wäre, sich zur im seinerzeitigen Israel hochaktuellen Frage des Sabbats zu äußern, und zwar so selbstbewusst wie es hier der Fall ist, erscheinen mir folglich sehr gering. Daher bin ich der Meinung, dass man diesen Spruch als authentisch-jüdisch erachten und sich auf dieser Basis mit demselben auseinandersetzen muss.

2. "Und er sprach zu ihnen: Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur!" (Mark. 16:15 etc., vgl. auch Matt. 28:19 ff. sowie Luk. 24,47)

Hier tritt eine Vorstellung hervor, die mit den damals in Israel herkömmlichen kaum zu vereinbaren ist. Den biblischen Propheten, in deren Tradition Jesus allem Anschein nach gestanden ist, schwebte nämlich genau das Gegenteil vor: Auch zur Endzeit bleibt Israel nach wie vor im Mittelpunkt der Schöpfung stehen. Die Völker, die Israels Gottheit nunmehr erkennen können, pilgern alsdann nach Jerusalem bzw. zu Israel hin, um Israels Gottheit anzubeten (vgl. etwa Sacharja Kap. 14). Laut des obigen Missionsbefehls aber soll die Bewegung in der völlig umgekehrten Richtung stattfinden: Weg von Israel und zu den Völkern hin.

Dass diese Stelle dem jüdischen Text – ob vor oder erst nach dessen Verschriftlichung – von Fremden aufgezwungen wurde, liegt umso näher, wenn man bedenkt, dass sie – und eigentlich erst sie – die theoretische Grundlage bildet, die für die Entstehung des von Jesu selbst wohl gar nicht geahnten Heidenchristentums erforderlich war.

Zum Schluss möchtet ihr bestimmt noch wissen: Und die Auferstehung?!

Nun ja… Die Auferstehung kann man als Vorstellung eigentlich keinesfalls ablehnen, zählte diese Kompetenz der israelischen Gottheit doch zu den Grundauffassungen der pharisäischen Sekte, aus deren Reihen Jesus gestammt zu haben scheint. Da war sie nicht nur im eschatologischen, sondern auch im "innerhistorischen" Sinne vorhanden (vgl. etwa im Babylonischen Talmud, Traktat Megillah 7b). Doch schon lange vor den Pharisäern ist das Bild der Totenauferstehung bekannt gewesen, etwa im Gleichnis des im babylonischen Exil befindlichen Hesekiel über die Wiederauferstehung Israels und dessen Rückkehr ins Verheißene Land (vgl. ebd. 37:1-14). Als eines der Endzeitmerkmale kommt die Vorstellung von der Totenauferstehung m. W. erstmals in Daniel (12:2, 12:13), danach in II. Makabäer (7:14) vor.

Demgegenüber befasste sich das hellenische Gedankengut, soweit ich mich entsinnen kann, kaum mit dieser Vorstellung. Es erübrigte sich nämlich, weil der hellenische Diskurs, sofern dort (wie etwa bei Sokrates und Platon, im Gegensatz zu Aristoteles) vom Fortbestand der Seele die Rede war, den Körper eher negativ bewertete und den Tod als Befreiung der Seele von ihren körperlichen Fesseln interpretierte, sodass die Hoffnung auf die Wiederauferstehung des Körpers und die Wiedervereinigung der Seele mit demselbigen kaum Sinn ergeben hätte.

Mit anderen Worten: Die Wiederauferstehung ist eigentlich eines der "jüdischsten" Merkmale an den Überlieferungen über Jesum. Ob er aber selbst auferstanden sei, kann ich natürlich nicht wissen. Diese Ungewissheit wird wohl auch weiterhin ein Stein des Anstoßes zwischen Israel und dem Heidenchristentum sein.

Desgleichen übrigens die Jungfrauengeburt und die damit zusammenhängende Vorstellung von der nicht nur geistigen, sondern auch biologischen Gottessohnschaft: Das Bild von Gott als Vater war seinerzeit in Israel weit verbreitet und steht immer noch tief in der besonderen, exklusiven Beziehung Gottes zu Israel verwurzelt. Doch kein Jude, der heutzutage zu seinem "Vater im Himmel" betet, kommt auf Idee, seine Mutter wäre bei seiner Geburt noch Jungfrau gewesen… Dieses Stück können den jüdischen Überlieferungen daher nur fremde Metaphysiker aufgenötigt haben, die einerseits in hellenistischen Traditionen, wo diese Vorstellung verbreitet war, standen und sich andererseits mit dem innerjüdischen Diskurs, in dem Jesus tätig war, nicht gut genug auskannten (in Jes. 7:14 ist bekanntermaßen von einer "jungen [d.h. ehereifen] Frau" die Rede). Darum: Jesus als Sohn Gottes, Gott als Vater? Ja, denn Jesus war Jude. Jesus als "leiblicher" Sohn Gottes, Maria als Jungfrau? Nein, denn Jesus war kein Hellenist.

Immerhin ist der heurige Ostersonntag am "richtigen" Sonntag gefallen – und das ist ja auch was. In diesem Sinne: Frohe Oster-, Pascha- bzw. Pessachtage noch!

PS. Wer sich in diese Thematik vertiefen möchte, dem kann ich von den nicht wenigen Werken, die zu dieser Frage vorliegen, v. a. Schalom Ben-Chorins berühmten Trilogieteil "Bruder Jesus. Der Nazarener in jüdischer Sicht" empfehlen. Erstmals erschien dieses Buch, das natürlich aus Ben-Chorins eigener Perspektive geschrieben ist, 1967 bei Paul List in München. Nicht zu vergessen ist aber Josef Klausners bahnbrechendes Werk "Jesus von Nazareth", in dem er 1922 die Zugehörigkeit Jesu in den intimen Rahmen des jüdischen Volkslebens darlegte (diese gilt heute – leider nicht überall – als selbstverständlich, aber dazu ist es erst durch die Auseinandersetzung mit dem Thema angesichts der europäischen Judenvernichtung gekommen).

 

 

Veröffentlicht von

www.berlinjewish.com/

Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

22 Kommentare

  1. “Nein, denn Jesus war kein Hellenist.”

    So ist es!

    Denn:

    “Wenn ich irgend etwas von diesem grossen Symbolisten verstehe, so ist es Das, dass er nur innere Realitäten als Realitäten, als “Wahrheiten” nahm,—dass er den Rest, alles Natürliche, Zeitliche, Räumliche, Historische nur als Zeichen, als Gelegenheit zu Gleichnissen verstand. Der Begriff “des Menschen Sohn” ist nicht eine konkrete Person, die in die Geschichte gehört, irgend etwas Einzelnes, Einmaliges, sondern eine “ewige” Tatsächlichkeit, ein von dem Zeitbegriff erlöstes psychologisches Symbol. Dasselbe gilt noch einmal, und im höchsten Sinne, von dem Gott dieses typischen Symbolisten, vom “Reich Gottes,” vom “Himmelreich,” von der “Kindschaft Gottes.” Nichts ist unchristlicher als die kirchlichen Kruditäten von einem Gott als Person, von einem “Reich Gottes,” welches kommt, von einem “Himmelreich” jenseits, von einem “Sohne Gottes,” der zweiten Person der Trinität. Dies alles ist—man vergebe mir den Ausdruck—die Faust auf dem Auge—oh auf was für einem Auge! des Evangeliums: ein welthistorischer Zynismus in der Verhöhnung des Symbols … Aber es liegt ja auf der Hand, was mit dem Zeichen “Vater” und “Sohn” angerührt wird—nicht auf jeder Hand, ich gebe es zu: mit dem Wort “Sohn” ist der Eintritt in das Gesamt-Verklärungs-Gefühl aller Dinge (die Seligkeit) ausgedrückt, mit dem Wort “Vater” dieses Gefühl selbst, das Ewigkeits-, das Vollendungs-Gefühl.— Ich schäme mich daran zu erinnern, was die Kirche aus diesem Symbolismus gemacht hat: hat sie nicht eine Amphitryon-Geschichte an die Schwelle des christlichen “Glaubens” gesetzt? Und ein Dogma von der “unbefleckten Empfängnis” noch obendrein? … Aber damit hat sie die Empfängnis befleckt — —

    Das “Himmelreich” ist ein Zustand des Herzens—nicht etwas, das “über die Erde” oder “nach dem Tode” kommt. Der ganze Begriff des natürlichen Todes fehlt im Evangelium: der Tod ist keine Brücke, kein Übergang, er fehlt, weil einer ganz andern, bloss scheinbaren, bloss zu Zeichen nützlichen Welt zugehörig. Die “Todesstunde” ist kein christlicher Begriff—die “Stunde,” die Zeit, das physische Leben und seine Krisen sind gar nicht vorhanden für den Lehrer der “frohen Botschaft” … Das “Reich Gottes” ist nichts, das man erwartet; es hat kein Gestern und kein Übermorgen, es kommt nicht in “tausend Jahren”—es ist eine Erfahrung an einem Herzen; es ist überall da, es ist nirgends da …” (F.Nietzsche, Antichrist, §34)

  2. @ – Yoav: “Missionsbefehl”

    “Und er sprach zu ihnen: Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur!” (Mark. 16:15)”

    Dies dürfte einer der verhängnisvollsten Sätze im Neuen Testament sein, insbesondere in Verbindung mit dem Glauben, dass jemand, der nicht “getauft” worden ist, nicht “gerettet” werden könne und somit der “ewigen Verdammnis” anheimfalle. Im Namen dieser christlichen Doktrin sind Millionen von Menschen misshandelt und umgebracht worden.

  3. Ja!

    Lieber Yoav,

    nachdem wir uns ja an einigen Deiner politisch-nationalen Beiträge konstruktiv gerieben haben, sehe ich mich durchaus in der Pflicht, Dir auch einfach einmal wieder zu schreiben: Diesen Beitrag finde ich klasse, Deine eigene, hier gut begründete Position darstellend, ohne die anderer abzumeiern. Ein heißer Kandidat für meine Vorschlagsliste Auslese 2009! 🙂

    Noch zwei Worte zur “Jüdischkeit” des Missionsbefehls: M.W. war im Judentum die Vorstellung des noachidischen Bundes bereits zur Zeit Jesu entfaltet, es bestand (und besteht) also aus jüdischer Sicht kein Grund, Andersglaubende per Mission “zu retten”. Auch dies spricht m.E. für Deine Vermutung.

    Andererseits gab es aber gerade im Hinblick auf den noch gängigen Polytheismus durchaus auch jüdische Einladungen zum Monotheismus (also nicht nur der Vollbekehrung, sondern auch eines Lebens als Kind Noahs, in der christlichen Bibel auch als “Gottesfürchtige” häufig benannt). Das passt natürlich auch wiederum hervorragend zu Sacharja 14, div. Psalmen usw.

    Maimonides hat m.E. diese Gedanken sehr genial zusammengefasst, indem er folgerte, Jesus und Muhammad (den er, wie auch die arabische Überlieferung selbst, auf Ishmael zurück führt) seien auf je ihre Weise Gottes Werkzeuge gewesen, um den Nichtjuden (!) die Botschaft des Eingottes zu vermitteln. Damit konnte er die anderen Religionen durchaus respektieren, ohne die eigene, jüdische Identität in Frage zu stellen (im Gegenteil).

    Was für ein Denker & Gelehrter!

  4. Authentzität

    “Je enger ein Jesu zugeschriebener Spruch mit dem Jüdischen zusammenhängt, umso authentischer ist dieser Spruch.”

    Mit diesen Argument kann man ja wohl jedem Querdenker, der das Pech hatte, seine queren Gedanken nicht handschriftlich, gesiegelt und notariell beglaubigt auf die Nachwelt zu bringen, jeden queren Gedanken absprechen. “Genetic fallacy” nennt man das, glaub’ ich.

  5. @ Helmut

    Aber Jesus war doch ein Querdenker, und zwar nicht nur aus heutiger Perspektive, sondern auch aus derjenigen seiner Zeitgenossen, worauf die häufigen Auseinandersetzungen, in die er immer wieder geraten ist, hinzuweisen scheinen. Siehe etwa das mit dem Sabbat.

    Der Punkt ist daher folgender: Auch ein Querdenker steht in einem gewissen Zusammenhang und schwebt nicht einfach so in der Luft vor sich hin. Er läuft also nicht parallel zu seiner Bezugsgruppe, sondern nimmt notwendigerweise – zwar kritisch, aber immerhin – auf den Diskurs Bezug, in dem er verwurzelt ist.

    Wer also auf einem Parteitag der FDP zum Thema spricht: “Der Sozialismus: Wie kann man ihn im heutigen Deutschland besser verwirklichen als früher?”, der ist kein Querdenker, sondern ein Fremder, der zum Diskurs, an dem er angeblich teilnehmen sollte, ganz und gar parallel läuft. Und wenn mir das Protokoll dieses Parteitages vorgelegt würde, wo ein solcher Beitrag da drin stünde, dann würde ich vermuten, dass dieses Protokoll von Fremden manipuliert worden ist.

  6. @ Michael

    Danke. Auf deinen Kommentar will ich noch zurückkommen, hab aber im Moment aus bundestagbezogenen Gründen dafür leider keine Zeit…

    Aber wenn ich mich recht entsinne, findest du die von dir gemeinte Stelle – m. E. eine Art (nicht unproblematischer) Vorwegnahme von Lessings Ringparabel (insbesondere im Hinblick auf die Endzeit, wo sich laut Maimonides herausstellen würde, welche der Lehren die wahre ist bzw. dass es Israels Lehre sei) – im Kodex “Mischne Tora”, dem Buch “Schoftim”, Teil “Hilchoth Melachim uMilchamoth”. Das genaue Kapitel habe ich jetzt nicht im Kopf (ist jedenfalls fast am Ende dieses Teils und somit auch am Ende des ganzen Rechtswerks).

  7. @ Yoav: Lessing

    Ja, für die These spricht ja auch, dass Lessing einerseits über Moses Mendelssohn Sympathie und Kontakt zu jüdischer Gelehrsamkeit hatte und auch mit dem Koran gearbeitet hatte, der in Stellen wie Sure 16:93 bereits einen ähnlichen Gedanken formuliert.

    Die früheste Benennung dieses Gedankens kenne ich aber von Rabbiner Gamaliel – aus der NT-Apostelgeschichte (Apg. 5,34 ff.)! Hier spricht sich ein jüdischer Rabbi, der auch von den Christen seiner Zeit ob seiner Gelehrsamkeit und Weisheit hoch geachtet wurde (vgl. Apg 22,3), für die Religionsfreiheit der verfolgten, frühen Christen aus, weil Gott falsche Religionen gar nicht erblühen lassen würde. Ein (r)evolutionärer Gedanke!

    Diese Brillianz zu erkennen fiel vielen Christen so schwer, dass Gamaliel noch bis ins 20. Jahrhundert als christlicher Heiliger (!) geführt wurde, denn anders als mit einer geheimen Konversion konnte man sich diese Größe lange nicht erklären! Heute aber erkennt die kath. Kirche an, dass der Rabbiner hier aus seinem jüdischen Glauben heraus gesprochen hat – und damit als eine der ersten überlieferten Stimmen das Menschenrecht der Religionsfreiheit aus dem Gottesglauben ableitete sowie evolutionäre Religionsforschung vorwegnahm! Vgl.
    http://religionswissenschaft.twoday.net/…858551/

    Und, ja, ein Beitrag von Dir über Maimonides, das wäre wirklich eine tolle Sache! Auch mir sind nur einige der von Dir genannten Fundstellen geläufig, er scheint ja den Gedanken gleich mehrfach bearbeitet zu haben.

  8. Einspruch

    Hier tritt eine Vorstellung hervor, die mit den damals in Israel herkömmlichen kaum zu vereinbaren ist. Den biblischen Propheten, in deren Tradition Jesus allem Anschein nach gestanden ist, schwebte nämlich genau das Gegenteil vor: Auch zur Endzeit bleibt Israel nach wie vor im Mittelpunkt der Schöpfung stehen …

    Eines meiner Lieblingsbücher ist Jesaja und deshalb kenne ich dieses Buch und sein Inhalt ein wenig. Da gibt es Stellen zum Gottesknecht:

    “Siehe, mein Knecht, den ich halte, mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat: Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt, er wird das Recht zu den Nationen hinausbringen.” Jesaja 42,1

    “Er wird nicht verzagen noch zusammenbrechen, bis er das Recht auf Erden aufgerichtet hat. Und die Inseln warten auf seine Weisung.” Jesaja 42,4

    “Ich, der HERR, ich habe dich in Gerechtigkeit gerufen und ergreife dich bei der Hand. Und ich behüte dich und mache dich zum Bund des Volkes, zum Licht der Nationen, blinde Augen aufzutun, um Gefangene aus dem Kerker herauszuführen [und] aus dem Gefängnis, die in der Finsternis sitzen.” Jesaja 42,6-7

    “Und nun spricht der HERR, der mich von Mutterleib an für sich zum Knecht gebildet hat, um Jakob zu ihm zurückzubringen und damit Israel zu ihm gesammelt werde – und ich bin geehrt in den Augen des HERRN, und mein Gott ist meine Stärke geworden -, ja, er spricht: Es ist zu wenig, daß du mein Knecht bist, um die Stämme Jakobs aufzurichten und die Bewahrten Israels zurückzubringen. So habe ich dich [auch] zum Licht der Nationen gemacht, [daß] mein Heil reiche bis an die Enden der Erde.” Jesaja 49,5-6

    Das sind jetzt nur mal ein paar Stellen, die mir spontan eingefallen sind. Jesus könnte diese Texte des Propheten durchaus auf sich selbst bezogen haben und es zeigt auch, daß Jesaja nicht nur Heilsbotschaften für das jüdische Volk hatte. Das mag vielleicht im damaligen jüdischen Gedankengut nicht so präsent gewesen sein, aber Jesaja ist eindeutig.

    Interessanterweise hat Jesus erst nach seiner Auferstehung den Missionsbefehl ausgegeben. Da es sehr viele Christen in der Welt gibt ist das ein eindeutiger Beweis seiner Auferstehung. 😉 kleiner Scherz am Rande.

  9. Jungfrau

    Stimmt, im Urtext ist in Jesaja 7,14 von einer jungen Frau die Rede. Aber das schließt ja nicht aus, daß sie Jungfrau ist. Außerdem waren zu dieser Zeit die ehereifen jungen Frauen überwiegend Jungfrauen. Das ist fast schon Tautologie diese jungen Frauen als Jungfrauen zu bezeichnen. 😉

  10. Ergänzung – Auferstehung

    In Psalm 16 wird auch eine Auferstehung beschrieben.

    “Denn meine Seele wirst du dem Scheol nicht lassen, wirst nicht zugeben, daß dein Frommer die Grube sehe.” Psalm 16,10

    Da steht, daß die Seele nicht im Scheol (das Todesreich) belassen wird. Sie ist dort, derjenige muß gestorben sein, aber er bleibt doch nicht. Ergo muß er auferstehen.

  11. @ Michael

    Hmm… Zumindest in Bezug auf Maimonides scheint mir, dass du da Etliches hineininterpretierst. Denn er bewertet das Christentum nicht positiv, sondern versucht nur zu erklären, wozu so etwas in der Schöpfung überhaupt gut sein könnte.

    Tatsächlich nimmt Maimonides verschiedentlich auf das Christentum Bezug, allerdings habe ich oben nur *eine* Stelle angegeben, nämlich die, wo er, soweit ich mich erinnern kann, das sagt, was du gestern gemeint hast (allerdings nicht so wie du).

    Im Grunde genommen habe ich bei ihm den Eindruck von zwiespältiger Haltung gewonnen: Das Christentum bewertet er eindeutig negativ, Jesus aber hält er nur für einen Falschgänger, den man nicht für die Entstehung des Christentums verantwortlich machen kann. Ob es Maimonides bei dieser Differenzierung um die historische Wahrheit ging oder eher darum, dass Jesus als Teil Israels nicht in den christlichen Topf eingeworfen werden dürfe?

    Jedenfalls plane ich keinen Beitrag zu Maimonides…

  12. @ Yoav: Hmmm…

    Dann liegt es wohl an mir, das Maimonides-Zitat noch einmal heraus zu suchen. Denn soweit ich mich erinnere, urteilt er eben nicht einfach nur negativ, sondern abgestuft: Die eigene Identität bewahrend, aber die von Christen und Muslimen doch auch als Teil von Gottes Plan anerkennend.

    Also das, was das 2. Vatikanische Konzil im Bezug auf das Judentum und andere Religionen auch geschafft hat: Raus aus dem Schwarz-Weiß, Grautöne und verwandte Identitäten (“konzentrische Kreise”) anerkennend. Und dass wir ohnehin erst alle am Ende der Zeiten wissen werden, ob und wer der Messias ist, ist ja schon fast ein Kalauer geworden, allein dafür hätte ich Maimonides nicht so überschwänglich gelobt! 🙂

  13. @ Michael

    Ja, ein Teil im Plan Gottes bzw. der Heilsgeschichte, jedoch eher insofern, als das Böse oder einfach das Abträgliche eben seinen Platz in diesem Plan habe. Denn Maimonides ist auf keinen Fall so “aufgeklärt” gewesen, dass er es für möglich gehalten hätte, dass eine der anderen Lehren sich zur Endzeit vielleicht doch noch als wahr herausstellen könnte.

  14. So

    Ich hab jetzt die genaue Stelle gefunden. Die Kapitelnummer, die ich gestern nicht mehr wusste, ist 11, und darin § 11 ff.

    Siehe auch seinen Brief an die jemenitischen Juden. Dort heißt es u. a. (meine Übersetzung): “Lange nach ihm [= Jesu] entstand unter den Nachkommen von Esau eine Religion, die sich auf ihn bezog, die er jedoch nicht beabsichtigt oder gar geahnt hatte.”

    Nur am Rande: Interessanterweise werden die Christen, die Maimonides für noch schlimmer hält als die Muslime, durch die (von ihnen natürlich ungewollte) Zurückführung auf Esau immerhin höher (!) gestuft als die Muslime, die (dank ihrer “Umgestaltung” der biblischen Auswahltradition: auch von sich selbst) mit Ismael identifiziert werden.

  15. @ Michael

    Die Stelle, die du meinst, ist doch diejenige in Mischne Torah, die ich dir gestern (s. meine Antwort von 14h57) angegeben und heute (um 12h59) ergänzt habe.

  16. @ Martin

    Sorry, dass ich dir erst jetzt antworte.

    Ja, junge Frauen waren vor der Ehe i. d. R. noch Jungfrauen. Allerdings längst nicht mehr, wenn sie ein Kind gebaren…

    Zu den anderen Zitaten: Es mag vielleicht an mir liegen, aber ich sehe da nichts, was eine Mission andeuten könnte, sondern eher die Universalisierung der Stammesgottheit Jahwe, die m. E. mit Jesaja I. begannen hatte und bei Deuterojesaja bereits vorangeschritten war. Das ist eben jene “innere Spannung”, die ich im folgenden Beitrag zu erklären versucht habe:
    http://www.chronologs.de/…ael-und-seine-gottheit

    Ich habe einst eine Seminararbeit zu diesem Thema geschrieben und mit “Göttliche Geburtswehen. Zum neuen Welt- und Gottesverständnis im Ersten Jesaja” betitelt. Mal schauen, ob der Text irgendwie für den Blog taugen könnte.

  17. PS.

    Das von dir zitierte Bild Israels als “Licht der Nationen” (s. hierzu auch Jes. 49:6) kann diese Spannung m. E. sehr gut veranschaulichen. Denn der Sonnenschein strahlt tatsächlich aus – bis ans Ende der Erde -, doch die Sonne bleibt wo sie ist und möchte diejenigen, die sich von ihren Lichtstrahlen begünstigen lassen, gar nicht einverleiben bzw. missionieren, auf dass sie selber Teil der Sonne wären.

  18. Heisenchristen@Yoav

    Yoav, mir missfällt deine Wortwahl an einigen Stellen in diesem Beitrag.
    Was soll das sein, ein Heidenchrist ? Ich empfinde derartige Formulierungen als despektierlich. Ebenso seltsam mutet für mich an, dass du Wert darauf legst, Jesu schlicht Jesu zu nennen und nicht Jesu Christo, worauf du auch explizit verweist.

    Zu den thelogischen Ausführungen deinerseits habe ich wenig bis nichts beizutragen. Mir fehlt dazu die notwendige theologische Bildung, also halt ich diesbezüglich den Mund.

    Ich erkenne in deinen Ausführungen aber ein wiederkehrendes Muster, ein Motiv, dass ich mal salopp so ausdrücke : Dies und jenes, was ursprünglich Teil jüdischer Kultur war, was dem Judentum entstammt, wurde von “Volksfremden” enteignet. Diesen Gedanken hast du schon mal am profanen Beispiel des Falafels ausgeführt.

    Wenn wir die Juden und ihre Existenz durch die Überlieferungen in der Geschichte als die historische Existenz schlechthin begreifen, dann solltest du die Übernahme jüdischen Kulturgutes nicht als Ärgernis oder gar als Diebstahl begreifen, sondern es sollte dich mit Stolz erfüllen. Dass vergessen wird, dass dies oder jenes ursprünglich der jüdischen Kultur entstammt, ist der Lauf der Dinge. Die Dinge, die zeitlich lange zurückliegen, fallen der Vergessenheit anheim.

  19. @ Peter

    Ein Heidenchrist ist jmd., der sich zu Jesu (tatsächlich als Christo) bekennt, obwohl er selber kein Jude ist bzw. sich nicht als solcher versteht. Die Beziehung zu Jesu erfolgt unmittelbar aus dem Heidnischen heraus (ob Jesus es auch so gemeint habe bzw. ob dies keine Überholspur sei, sind andere Fragen).

    Bei den Judenchristen – und die gibt es auch heutzutage noch, obwohl viele im Laufe der Zeit immer wieder im Heidenchristentum aufgegangen sind – erfolgt die Beziehung zu Jesu hingegen aus jüdischem Selbstverständnis heraus.

    Daher unterscheiden sich die Bekenntnisse i. d. R. grundsätzlich voneinander:

    Bei den Heidenchristen ist der Christus zugleich ein Sohn eines “Gottvaters”, was nach wie vor in den heidnischen Gottesvorstellungen verwurzelt ist, nach denen ein Gott Nachkommen erzeugen kann.

    Demgegenüber erblicken die Judenchristen, die in der Tradition der ersten (natürlich bei weitem vorkirchlichen) Judenchristen stehen, in Jesu den jüdischen Christum, welcher im Einklang mit dem in Israel entwickelten Gottesverständnis keinen familiären Bezug zur israelitischen Gottheit hat.

    Es gibt auch andere Unterschiede, aber das bedürfte schon eines eigenen Beitrages.

    Ansonsten: Jesus kannte zu seiner Lebenszeit ja noch nicht den christlichen Begriff “Jesus Christus”, sodass ich keinen Grund sehe, warum man, selbst man sich zu Jesu doch als Christo bekennt (was ich nicht tue), bei einer Diskussion über diese Zeit von dieser ja eindeutig späteren Begrifflichkeit Gebrauch machen sollte.

    Und sich ärgern tue ich ja erst, wenn man aufgrund von Usurpationen gegen Israel Ansprüche erhebt (s. den Fall Jerusalem), aber um so etwas geht es im obigen Beitrag nicht.

  20. @Peter Bosshard

    “Ebenso seltsam mutet für mich an, dass du Wert darauf legst, Jesu schlicht Jesu zu nennen und nicht Jesu Christo, worauf du auch explizit verweist.”

    Weil er damit recht hat! Es muß zwischen Jesus als Mensch und Christo als Mittler zwischen “Himmel” und “Erde” unterschieden werden. Christus war vor aller Zeit! Möglich ist -und das kann wohl keiner wissen- das Jesus als Mensch mit Christus vereint war. “und das Wort ist Fleisch geworden…” Aber es ist eben Murks, es so darzustellen, als wenn es eine Person oder ein Wesen sei, das in die Geschichte gehört. Verstehen Sie? Wenn, wie Nietzsche es schrieb, es eine “ewige” Tatsächlichkeit ist, dann haben alle Menschen einen Zugang zu Christus -ohne einen selbsternannten Stellverteter! Und das und nur das wäre eine “frohe Botschaft”! Dann gäbe es auch keine “Volksvertreter” -die auch nur selbsternannt sind!

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