Wenn das Recht zu wackeln beginnt

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Wien. Heidelberg. Berlin: ein israelischer Blick auf Deutschland
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Heute hat im Rechtsausschuss eine Anhörung von Sachverständigen stattgefunden und zwar zur Frage, ob Taten, die als Vorbereitung zu staatsgefährdenden Angriffen interpretiert werden können und von denen sich eine terroristische Absicht ableiten lässt, ins Strafgesetzbuch aufgenommen werden sollen.

Ein Beispiel hierfür wäre z. B. die Beziehung zu einer islamischen Terrororganisation oder der Aufenthalt in einem terroristischen Ausbildungslager: Ob man zur Vorbeugung etwaiger Angriffe bereits solche Taten strafbar machen solle oder zur Bewahrung der Rechtsstaatlichkeit eher darauf warten müsse, dass die Person tatsächlich versucht, die Rechte anderer (etwa auf körperliche Unversehrtheit) zu verletzen?

Eine ähnliche Maßnahme besteht in Deutschland allerdings schon und zwar im Grundgesetz, dessen Artikel 26, Absatz 1 Folgendes festlegt: "Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen." Und wer entscheidet, ob die Handlungen zu diesem Zweck geeignet und eine solche Absicht vorhanden ist? Natürlich der Staat und nicht der Verdächtige. Offensichtlich ist die strafrechtliche Verfolgung von Vorbereitungen kein Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit, sofern das Grundgesetz mit diesem Prinzip vereinbar ist.

Interessanterweise haben nun meinem Eindruck nach nicht wenige der eingeladenen Experten eine solche Vorbeugungsmaßnahme tatsächlich befürwortet, wenn auch oft nur mit Vorbehalten. Ein Problem stellt etwa das Internet: Wie soll man zwischen angehenden Terroristen, welche die Herstellung von Zeitbomben lernen, und neugierigen Bürgern, die sich dieselben islamischen Websites nur anschauen wollen, differenzieren? Das hat zunächst nichts mit Bespitzelung zu tun, sondern mit der Frage, wie die Rechtsnorm formuliert werden müsste, damit Erstere sich strafbar machen, Letztere hingegen nicht. Eine mögliche Lösung ist die Berücksichtigung der Absicht, wie im oben zitierten Art. 26 (1) GG. Allerdings lässt sich die Absicht oft nur daraus ersehen, dass man zu einer islamischen Terrororganisation eine Beziehung führt und etwa viel Zeit mit Videos auf ihrer Website verbringt. Ob das keinen Zirkelschluss bildet?

Was mich als Laien angeht, so scheint mir eine solche Maßnahme tatsächlich kaum mit rechtstaatlichen Grundsätzen vereinbar. Ich habe zwar nicht vor, mit Allahs Kämpfern in Kontakt zu treten und mich von ihnen zu einem der in Deutschland lebenden "autonomen Dschihadisten" machen zu lassen, doch selbst wenn, sollte man mich ja nicht schon deswegen strafrechtlich verfolgen dürfen, noch bevor ich gegen die Rechte anderer tatsächlich verstoßen habe.

Jedoch bin ich nicht der Meinung, dass man die Wirklichkeit mit dem Rechtsstaat verwechseln darf, wie es m. E. bei vielen Juristen der Fall ist, denen die innerliche Ästhetik des Rechts wichtiger ist als dessen äußerliche Zweckmäßigkeit. Die Natur kennt nämlich kein Recht bzw. Gerechtigkeit, weshalb alles Recht nur ein menschliches Konstrukt ist. Daher sind Rechtsräume – gemeint ist das hier im gedanklichen, nicht geographischen Sinne – von ihrer Beschaffenheit her fiktiv, was logischerweise u. a. auch für den Rechtsstaat gilt. Solange man sich innerhalb eines gedanklichen Rechtsraums bewegt und selbst bei Rechtsbrüchen immerhin nach den inneren Regeln des jeweiligen Rechtsraums spielt, scheint die Fiktion stabil zu sein, ja sogar so, als ob das die natürliche Ordnung wäre. Doch sobald man die Ränder der Fiktion berührt, beginnt sie zu wackeln. Es treten dann ihre Voraussetzungen hervor: Macht, noch mehr Macht sowie die Bereitschaft, mit Gewalt die Macht zu sichern. Wer die Oberhand hat, der bestimmt das Recht und die Moral.

Ein Beispiel hierfür bildet der ab und zu leider wiederkehrende Fall jüdischer Minderjähriger in Israel, die gegen die Regierung demonstrieren und dabei abschreckungshalber in Haft genommen werden. Da ihnen nichts vorgeworfen werden kann, müssen sie am nächsten Tag wieder freigelassen werden. Allerdings sind sie dazu verpflichtet, sich vor den Behörden auszuweisen, wozu sie sich im Einklang mit ihrem Protest (und übrigens mit elterlicher Unterstützung) weigern. Das führt dazu, dass das Gericht sie dazu zwingt, Familie, Freunden und Schule fernzubleiben und hinter Gittern zu sitzen, bis sie sich ausweisen, und wenn das ein halbes Jahr dauert. Dieses skrupellose Verhalten seitens des Rechtsstaates gegenüber unschuldigen Kindern wird erst vor dem Hintergrund erklärlich, dass diese Kinder – genauso wie in Andersens "Des Kaisers neue Kleider" – die fiktive Beschaffenheit des Rechtsraums enthüllen. Mit ihrer nur scheinbar harmlosen Protest greifen sie das System dort an, wo es sogar Verbrechern nicht gelingt. Denn diese stellen auch bei Raub und Mord nicht das System an sich infrage.

Oder man denke etwa an das Grundgesetz, das 1949 von Bayern nicht angenommen, dort aber trotzdem durchgesetzt wurde. Dies geschah damals mit der (leider nur tarnenden) Begrüdung, dass das Grundgesetz »der Annahme durch die Volksvertretungen in [nur!] zwei Dritteln der [damaligen] deutschen Länder [bedarf], in denen es zunächst gelten soll«. Diese antidemokratische Vorschrift befand sich jedoch als Art. 144 Abs. 1 GG in ein und demselben Dokument, das von der bayerischen Nationalversammlung ja doch abgelehnt wurde. Dass Bayern danach trotzdem dem Grundgesetz unterworfen wurde, hat folglich nichts mit Demokratie oder Rechtsstaatlichkeit zu tun, sondern geht einfach auf den brutalen Umstand zurück, dass Bayern damals von den USA besetzt war. Diese wiederum nahmen keinen Anstoß daran, das zu wiederholen, was zuvor nur Hitler 1934 gewagt hatte: die deutschen Staaten, wie etwa Bayern, ihrer Souveränität zu berauben.

Islamische Drohungen sind nun auch ein solcher Fall, in dem wir uns an den Grenzen des fiktiven Rechtsraums befinden und das Gefüge dieser Fiktion zusehends wackelt. Allerdings sind wir nicht bereit, die Brutalität der fiktionsfreien, den fiktiven Raum umgebenden Wirklichkeit hervortreten zu lassen, damit sie die Fiktion wieder sichern würde. Wir wollen dieses zerbrechliche Gefüge vor dem von außen drohenden Wind schützen, jedoch ohne die inneren Regeln dieses Gefüges zu verletzen. Wir wollen so machen, als würde sich der ganze Konflikt nicht an den wilden Rändern, sondern im warmen Schoß unseres gedanklichen Rechtssystems abspielen. So verführt uns ausgerechnet unser zivilreligiöses Bekenntnis zu Rechtsstaatlichkeit oder etwa zu den Menschenrechten dazu, dass wir es dem Gegner umso leichter machen, diese zivilisatorischen Leistungen zu unterminieren.

Die Wirklichkeit scheint keinen Idealismus zuzulassen: Damit es drinnen sicher und gemütlich bleibt, müssen die Außenwände aus Stein oder, noch besser, aus Beton gebaut sein. Wer aber nicht nur die Bettwäsche, sondern auch das Haus selbst von feinem Stoff haben will, wird zwar ein Haus haben, das mit den eigenen Idealen vollkommen vereinbar ist, aber im Schlafzimmer weder Ruhe noch Wärme.

Doch gerade deswegen, weil die Situation so paradox ist, sollte die Frage m. E. nicht lauten, ob die eine oder andere Schutzmaßnahme mit rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbar ist, sondern vielmehr, ob unsere rechtsstaatliche Fiktion bei solchen grundlegenden Drohungen überhaupt mit Mitteln aufrechterhalten werden kann, die just dieser Fiktion, also unserer Achillesferse, entspringen.

"Wenn du den Frieden willst, rüste zum Krieg", hat Vegetius geschrieben. Wie mir scheint, kann unsere gemütliche Vorstellung vom Rechtsstaat tatsächlich nur durchgesetzt werden, solange man wirklich bereit ist, genau das Gegenteil davon zu tun, und diese psychologische Fähigkeit notfalls auch zu zeigen weiß. Die US-amerikanische Besatzungsmacht hat es 1949 nicht dazu kommen lassen müssen, da Bayern vor dem Hintergrund der Berlin-Blockade sowieso auf die westlichen Siegermächte angewiesen war und es nicht riskieren konnte, mit diesen in Konflikt zu geraten. Mit Allahs Kämpfern, die nach unseren zivilisatorischen Leistungen keinen Bedarf haben, sondern diese im Namen ihrer Gottheit nur unterminieren wollen, haben wir solchen Luxus offensichtlich nicht.

Unterm Strich erscheint mir also die starfrechtliche Verfolgung von (so wahrgenommenen) Vorbereitungsmaßnahmen, die an sich noch keinen Verstoß gegen die Rechte anderer darstellen, nicht ganz mit unserem gemeinsamen Traum vom Rechtsstaat unvereinbar, dieser Traum aber wiederum nicht immer mit der Wirklichkeit vereinbar.

 

 

Veröffentlicht von

www.berlinjewish.com/

Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

3 Kommentare

  1. Systemverweigerer

    Lieber Herr Yoav Sapir,

    ich finde es sehr gewagt von Ihnen Bayern mit Leuten, die das System in Frage stellen in einen Topf zu werfen. Denken Sie etwa Bayern war ein extremistischer Staat, der von den Amerikanern zur Räson gebracht wurde oder soll hier nur verdeutlicht werden, dass man Menschen zu ihrem „Glück“ auch zwingen kann?

    Vergessen Sie nicht, die Bayern haben eine sehr demokratische eigene Verfassung, welcher aber die Verfassung der BRD übergeordnet ist und dieser wiederum (bald)die Verfassung der EU. http://de.wikipedia.org/…_des_Freistaates_Bayern

    Auch den Satz “Wenn du den Frieden willst, rüste zum Krieg” finde ich zutiefst unehrlich. Ich will mal ganz provokant fragen: „Gibt es diese Konflikte mit Islamisten weil „man wirklich bereit ist, genau das Gegenteil davon zu tun“ was zu verhandeln wäre oder sollte man nicht eher versuchen mit anderen Völkern auf Augenhöhe zu verkehren?

    Sie schreiben: „Mit Allahs Kämpfern, die nach unseren zivilisatorischen Leistungen keinen Bedarf haben, sondern diese im Namen ihrer Gottheit nur unterminieren wollen, haben wir solchen Luxus offensichtlich nicht.“ Welche zivilisatorischen Leistungen meinen Sie? Doch hoffentlich nicht ein „gedankliches Rechtssystem“ welches mit juristischen Spitzfindigkeiten die Grundrechte seiner Bürger beschneidet. Und mit „solchen Luxus“ meinen Sie doch hoffentlich nicht die Situation Bayerns? Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht warum man in Bayern 1949 so zögerlich reagierte? Heutzutage wird Bayern ja größtenteils mit der Wahlpropaganda der CSU gleichgesetzt, doch es würde sich lohnen die Geschichte des Freistaates genauer zu betrachten.
    Hier nur ein Beispiel: http://www.hagalil.com/archiv/2009/03/23/bayern/

    Herr Sapir, da Sie offensichtlich in Israel aufgewachsen sind habe ich ein gewisses Verständnis für Ihre Ängste, was fanatische Gotteskrieger betrifft.
    Selbstverständlich müssen Rechtsverstöße sanktioniert werden. Aber schon bevor jemand eine Straftat begangen hat, diesen Aufgrund einer interpretatorischen Fiktion bestrafen zu wollen geht wohl eindeutig zu weit. Außerdem wie will man da vorgehen? Soll man ganze Bevölkerungsgruppen unter Generlverdacht stellen oder eine Art Gedankenkontrolle einführen?

    Einen Spitzelstaat, welcher keine Andersdenkenden tolerierte, hatten wir schon und zwar von 1933-1945. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein demokratisch gesinnter Mensch sich diese Zeit zurückwünscht, deshalb sollte man verantwortungsbewusst mit den Rechten der Bürger umgehen. Auch „gutgemeinte“ Rechtsverletzungen können schnell ins Gegenteil umschlagen.
    Zu Ihrem Zitat: „Jedoch bin ich nicht der Meinung, dass man die Wirklichkeit mit dem Rechtsstaat verwechseln darf, wie es m. E. bei vielen Juristen der Fall ist, denen die innerliche Ästhetik des Rechts wichtiger ist als dessen äußerliche Zweckmäßigkeit.( …) Wer die Oberhand hat, der bestimmt das Recht und die Moral.“ Dazu gibt es folgende Einwände: Zum einen soll sich Recht nicht an „äußerlichen Zweckmäßigkeiten“ orientieren, sondern an definierten Rechtsgrundlagen und zum anderen wollen wir ja nicht wieder zum Faustrecht zurückkehren. Denn auch wenn ein „Unrechter“ die Oberhand gewinnt ist er noch lange nicht im Recht, dem können wir jedoch nicht mit einer willkürlichen Rechtsauslegung vorbeugen.

    Der Aussage „Die Natur kennt nämlich kein Recht bzw. Gerechtigkeit, weshalb alles Recht nur ein menschliches Konstrukt ist“ muss ich zustimmen. Allerdings meine ich, dass eine zivilisierte Gesellschaft sehr wohl eines solchen Konstrukts bedarf um zu funktionieren.

    Gruß Mona

  2. Bayern

    Das bayerische Beispiel habe ich angeführt, um die Hauptaussage zu veranschaulichen, nämlich, dass das Recht bzw. jeder Rechtsraum notwendigerweise fiktiv ist und im Endeffekt mit (impliziter oder expliziter) Gewalt durchgesetzt werden muss.

    Die Legitimation für die damalige Durchsetzung in Bayern war ja die Zwei-Drittel-Regelung (vgl. Art. 144 Abs. 1 GG), die aber im Grundgesetz selbst enthalten war, welches vom bayerischen Parlament ja abgelehnt wurde. Somit wurde diese Regelung in Bayern nicht rechtskräftig.

    Aufrechterhalten konnte sich die Fiktion nur dank den vorhandenen Machtverhältnissen: Bayern war besetztes Gebiet und die Besatzungmacht entschied willkürlich darüber, was recht ist und was nicht. Bayern konnte nichts mehr als die Fiktion bloßzustellen.

    Das ist m. W. auch heute noch der rechtliche Zustand, da die bayerische Nationalversammlung (heute: “Landtag”) nie wieder über eine mögliche Annahme des Grundgesetzes abgestimmt hat. Vielmehr macht Bayern seitdem nur mit, wobei die meisten Bayern und sogar Altbayern sich inzwischen wohl zur Bundesrepublik bekennen.

    Selbstverständlich bedarf eine funktionierende Gesellschaft irgendeiner vom Kollektiv akzeptierten Vorstellung vom Recht. Nur darf man selbst in unserer Gesellschaft, die ja vom Rechtsstaat träumt, nicht vergessen, dass der Traum jeden Tag brutal aufoktroyiert werden muss und dies sich nicht mit Mitteln machen lässt, die dem Traum entspringen (vgl. eben die Problematik von Art. 144 Abs. 1).

    Mit unseren zivilisatorischen Leistungen meine ich etwa die parlamentarische Demokratie, den Rechtsstaat, die freiheitliche Grundordnung, die Menschenrechte etc. Diese Leistungen sind alles andere als natürlich und müssen mit Mitteln gewährleistet werden, die der inneren Logik dieser Fantasie oft widersprechen. Man denke etwa an den weitgehenden Frieden in Europa und dessen machtbezogene Voraussetzungen (Pax Americana, NATO).

    Mehr über bayerische Besonderheiten findest du übrigens hier: http://www.chronologs.de/…2008-06-12/deutschland

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