Wikileaks und der Friedensprozess: ein Blick nach Osten

BLOG: un/zugehörig

Wien. Heidelberg. Berlin: ein israelischer Blick auf Deutschland
un/zugehörig

Wie stabil ist die haschemitische Herrschaft?

Die linksliberale und israelkritische Zeitung »Haaretz« hat heute eine interessante Reportage über die Lage im seit 1921 von der haschemitischen Sippe regierten Transjordanien. Die Haschemiten stammen bekanntermaßen aus den Wüsten Arabien und sind im transjordanischen Teil Palästinas fremd. Seine Herrschaft verdankt der Clan der britischen Besatzungsmacht, die ihn damals für seine Mitarbeit an der Bekämpfung der osmanischen Herrscher belohnen wollte und zu diesem Zweck ihr Mandat zur Errichtung einer jüdischen Heimstätte entzweite (zudem bekamen die Haschemiten damals auch noch den Irak).

Bis heute ist das Land zwischen der palästinensischen Mehrheit, ethnischen und religiösen Minderheiten und dem haschemitischen Fremdherrscher zerrissen. Nun also berichtet die Zeitung von einem Fußballspiel am letzten Freitag, bei dem ca. 250 Zuschauer und Polizisten verletzt wurden, als eine palästinensische und eine pro-haschemitische Mannschaft gegeneinander aufgetreten sind. Da die Medienlandschaft im Königreich sehr streng zensiert wird und die Spaltungen unter den Untertanen nicht öffentlich artikuliert werden dürfen, dient das Spielfeld als Alternativraum für die »Wiederkehr des Verdrängten«.

Angefangen hat die Randale mit Beschimpfungen der pro-haschemitischen Seite gegen ihren eigenen König, weil dieser eine Palästinenserin geheiratet hat, Rania. Darauf reagierte vehement die palästinensische Seite. Seitdem der neue König auf Versöhnung setzt, werden von ihm auch Palästinenser zu Vorzeigeministern in seiner Regierung ernannt, doch ansonsten dürfen Palästinenser keine wichtigen Posten in seinem Staatsapparat besetzen.

Allgemein steht das Herrschergeschlecht seinen palästinensischen Untertanen misstrauisch gegenüber. 1970 kulminierte der Riss im palästinensischen Volksaufstand gegen Hussein, den Vater des jetzigen Königs. Nur ein Fünftel der Bevölkerung hinter sich wissend, musste Hussein mit einem zehntausendfachen Blutbad reagieren, um auf dem Thron zu bleiben. In die palästinensische Geschichte ging es als »der Schwarze September« ein.

Damit die Kluft zwischen Haschemiten und Palästinensern nicht noch schlimmer wird, darf im Königreich nicht davon berichtet werden. So konnte auch die Auseinandersetzung am letzten Freitag kaum erwähnt werden. Dies wiederum hat die US-amerikanische Botschaft im Königreich dazu veranlasst, Washington einen scharfen Bericht zuzuschicken, der eben durch Wikileaks enthüllt worden ist. Im Zeitungsartikel steht indes kein Link.

In ihrer Bericht stellt die Botschaft fest, dass die mediale Funkstille über die Auseinandersetzung so streng gehalten wird, dass sogar pro-haschemitische Autoren nicht darüber schreiben dürfen. In diesem defensiv-besorgten Verhalten des Herrschers erblickt die Botschaft – so die Zeitung – ein klares Zeichen dafür, dass die Spaltung im Königreich sehr ernst zu nehmen ist. Die dortige Lage wird, wie die Zeitung berichtet, von der Möglichkeit überschattet, dass der transjordanische Teil des Landes erneut zur Lösung des Konflikts in Palästina herangezogen werden könnte, zumal die Verhandlungen über den cisjordanischen Teil zu keinem Ergebnis führen.

So weit zu dieser Sache, aus der sich m. E. eine wichtige Frage ergibt:

In der Friedenskonferenz in Madrid 1991 traten die Palästinenser noch zusammen mit den Haschemiten in einer gemeinsamen Delegation auf. Danach versuchte man es anders, nämlich seperat; es folgte ein Friedensvertrag mit den Haschemiten (in deren Königreich übrigens nach wie vor der Landverkauf an Juden mit dem Tode geahndet wird) und ein auf Cisjordanien beschränkter Prozess mit den Palästinensern, der zu jahrelangem Terror in einem bis dahin ungeahnten Ausmaß führte.

Das Problem wird sich nicht lösen lassen, solange man nicht das Ganze im Blick hat und den transjordanischen Teil Palästinas außer Acht lässt. Soll uns das Wohlbefinden eines Herrschergeschlechts wirklich wichtiger sein als die Zukunft einer ganzen Region?

Zeit ist es, die Interessen des britischen Weltreichs, die zur ersten Teilung des Landes 1921 führten, zu überdenken.

 

Die jüdische Heimstätte, die palästinensische Heimstätte, aber keine haschemitische Heimstätte:

Abbildung aus der deutschen Wikipedia

 

Veröffentlicht von

www.berlinjewish.com/

Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

6 Kommentare

  1. Was wäre denn, wenn …..

    Was würde denn die palästinensiche Bevölkerungsmehrheit mit den nicht-palästinensischen Arabern sowie den diversen ethnischen Minderheiten im Lande anstellen, würde die Monarchie, die das Land zusammenhält, sei es durch Ausgleich, sei es durch Gewalt, gestürzt würde?

  2. Diese Frage sollte sich jeder stellen

    Ich denke, die Frage stellt sich nicht nur den Befürwortern eines Palästinenser-Staats und auch nicht nur denen, die einfach der Meinung sind, dass man den Palästinensern nicht den eigenen, autonomen, Staat verweigern kann.

    Die Frage, welche Konsequenzen der Sturz der haschemitischen Monarchie hätte, dürfte jeden in der Region bewegen.

    Ich könnte mir vorstellen (ohne eigene Wertung), dass viele zu dem Schluss kommen, der Erhalt dieser Monarchie und damit der Erhalt der Stabilität in Jordanien sei, bei allem, was man gegen diese Monarchie einwenden kann, immer noch der Alternative vorzuziehen.

    Wer zu dem Schluss kommt, ist nicht zwangsläufig Monarchist oder Anti-Demokrat, sondern vielleicht einfach nur Realist.

  3. Ja

    Das sehe ich auch so – ich bin jedenfalls der letzte, der Pali-Staat-Skeptikern Anti-Demokratismus vorwerfen würde.

    Ich denke, Golda Meir schwebte Ähnliches vor, als sie sich entschieden hat, dass Israel während des palästinensischen Aufstandes die haschemitische Herrschaft retten soll (israelische Flugzeuge stoppten z. B. syrische Panzer, welche die Grenze zu Transjordanien überschritten hatten).

    Für mich steht aber fest: Wenn ein Pali-Staat in Transjordanien gefährlich sein könnte, dann wäre es in Cisjordanien umso gefährlicher, sodass die transjordanische Alternative jederzeit vorzuziehen ist.

    Darum scheint mir im Rückblick die jüdische Hilfe an die Haschemiten ein Irrtum gewesen zu sein, zumal die Pali-Führer nach der Unterdrückung des Aufstandes in den Libanon gingen und das ganze Land in Chaos versetzten – an den Folgen dieser »Palästiniserung« leidet der Libanon bis zum heutigen Tage noch.

    Gut, damals war die Lage ganz anders. Ich will also den damaligen Entscheidungsträgern in Israel natürlich nicht vorwerfen, dass sie nicht wahrsagen konnten.

    Heute ist es aber so, dass die ganze Welt von der Idee eines Pali-Staates besessen ist und ich weiß nicht, wie lange Israel noch der Holländer sein kann, der seinen Finger im Deich stecken hält.

    Sollte es also doch zu einem Pali-Staat kommen, wäre die Gefahr immerhin geringer, wenn es im transjordanischen Palästina geschehen würde.

  4. Golda Meir und Hussein von Jordanien

    Die Rolle Jordaniens im Yom-Kippur-Krieg 1973 erscheint für sich betrachtet wie ein historisches Mysterium, sollte aber unter Einbeziehung der zuvorigen Aktionen Israels von 1970 zum Schutz der haschemitischen Monarchie während der versuchten Intervention Syriens beurteilt werden.

    http://www.suite101.com/…973-october-war-a284707

    Wenn man dieser Argumentation folgt und wenn die hier gemachte Darstellung zutrifft (die ich auch an anderer Stelle so gelesen haben), dann hat die israelische Regierung der damaligen Zeit keineswegs einen Fehler gemacht. Sie hat auch keineswegs die Situation falsch beurteilt.

    Im Gegenteil, die israelische Regierung hätte dann durch die aktive Stützung der haschemitischen Regierung verhindert, dass es im Yom-Kippur-Krieg 1973 zu einer weiteren Front entlang der Grenze zu Jordanien kam, zusätzlich zum Sinai und zum Golan.

    Ehrlich, ich weiß nicht, was die israelische Regierung damals hätte anders bzw. besser machen können. Sie hatte doch eigentlich gar keine Alternative. In einer Situation, in der ein neuer Krieg absehbar ist, wird eine verantwortungsbewusste Regierung das Risiko der Niederlage des eigenen Landes minimieren, insbesondere wenn diese Niederlage die Annihilierung des Landes und die erneute Vertreibung seines Volks nach sich ziehen würde.

Schreibe einen Kommentar