Die Lügen der Medien über Tierhaltung

BLOG: Vom Hai gebissen

Notizen aus dem Haifischbecken
Vom Hai gebissen

Unter meinem letzten Artikel meldete sich ein Leser zu Wort, der mit der medialen Aufbereitung der landwirtschaftlichen Tierhaltung aller journalistischen Einordnung zum Trotz ziemlich überfordert wirkte, lasen sich dort einige Artikel doch weitaus dramatischer als meine Beiträge zu Themen wie Massentierhaltung, Tierschutz oder Tierwohl. Belügen uns die Medien etwa? Oder bin ich das schwarze Schaf in der Herde?

Das große Problem vieler Artikel zum leidigen Thema (Massen)-Tierhaltung ist, dass sie teils nie ganz falsch sind – aber auch eben nie ganz richtig. Wenn wir über Probleme reden, dann müssen wir da ein wenig unterschieden und der Übersicht halber ein paar Dinge kategorisieren. Nehmen wir zur Demonstration mal den Komplex der Tiergesundheit. Da müssen wir uns immer fragen:

  1. Sind die kritisierten gesundheitlichen Probleme leistungsbedingt, also ein Problem schneller Zunahmen oder in einer hohen Milchleistung begründet? Beim Geflügel wäre das zB. die Immobilität der Tiere kurz vor der Schlachtung. Bei der Milchkuh ist Ketose ein oft auftretendes Problem, wenn in der Frühlaktation viel Milch bei noch geringer Futter-Aufnahme produziert wird.

  2. Management-bedingte Probleme: bspw. gibt es unter Schweinen in der Gruppen-Haltung immer kleinere Kämpfe, um die Rangordnung zu klären. Trotzdem sollte sich die Tiere schon aus gesundheitlichen Gründen einigermaßen verstehen. Hier ist es die Aufgabe des Landwirtes das zu erkennen und die Gruppen so zusammenzustellen, dass schlimmere Verletzungen vermieden werden. Pododermatitis (Fußballen-Läsionen) ist wiederum ein Problem in der konventionellen Geflügelmast, das sich durch gutes Temperatur- und Einstreu-Management durchaus vermeiden lässt. Hier sind auch stress-bedingte Krankheiten oder Hygiene-Mängel einzuordnen.

  3. System-bedingte Probleme: dazu gehören zum Beispiel Besatzdichten in der Schweine- oder Geflügelmast, die Federpicken oder Rangeleien allgemein befördern können. Mangelnde Beschäftigung war und ist hier ebenfalls ein viel diskutiertes Problem.

Letztlich müssen wir uns auch noch bewusst machen, dass eine absolut keimfreie Tierhaltung illusorisch ist. Deshalb wird es immer Krankheiten geben, die einfach auftreten, weil man den Tieren den Schnupfen eben nicht verbieten kann – egal wieviele Hygiene-Schleusen wir in die Ställe bauen.

Es sollte nicht überraschen, dass jedes Haltungssystem seine Vor- und Nachteile hat. So ist auch eine Freiland-Haltung für Tiere nicht immer eine tolle Option. Moderne Milchkühe geben bei sommerlichen Temperaturen auf der Weide eher den Löffel als Milch ab. Sie bevorzugen einen luftigen Stall mit viel frischer Luft und/oder auch Duschen und natürlich ganz viel Schatten. Wer im Sommer Kühe sehen will, sollte nachts raus – so wie die Kühe 😉 Bio-Schweine können zwar im Dreck wühlen, sammeln dabei aber auch allerhand Parasiten ein, die dann durch entsprechende Mittel wieder aus den Tieren verjagt werden müssen.

Kommen wir nun zur alles entscheidenden Frage: die Medien oder ich – wer erzählt hier Unsinn? Darauf gibt es eine klare Antwort: weder noch. Ich glaube nicht, dass die Menschen in den Redaktionen ihre Leserinnen, Zuschauerinnen und jene, die ihnen nachlaufen, absichtlich belügen wollen. Ihnen fehlt aber wohl das Wissen und die Erfahrung zur Einordnung existierender Probleme. Zudem unterliegen wir alle, die Texte schreiben, der Herausforderung einer Vereinfachung des Sachverhaltes, der sonst zig Bücher mit mehreren 1000 Seiten plus Studien und Diskussions-Ansätzen umfasst. Ungenauigkeiten lassen sich da kaum vermeiden – auch nicht in diesem Artikel. Der Trick besteht in der Vereinfachung an der richtigen Stelle. Außerdem treffen sich selbst Fachleute regelmäßig zum Austausch und diskutieren lebhaft den aktuellen Stand.

Nehmen wir mal zur Illustration die oben erwähnte Ketose. Ich habe sie hier als Problem moderner Milchkühe “einsortiert”, die also viel Milch produzieren (Holstein-Kühe gehören dazu). Das stimmt auch. Ketose kann aber ebenso Kühe mit einer niedrigen Milchleistung treffen, wenn diese Tiere ihren Nährstoff-Bedarf nicht über das Futter gedeckt bekommen. Das kann an der Qualität des Futters oder auch an der Rationsgestaltung liegen – womit wir beim Management wären. Ihr seht, der Leitfaden kann auch zum Leidfaden werden, wenn wir ihm nicht eine gewisse Flexibilität zugestehen.

Wer trotzdem eine knackige Orientierung sucht, kann es gerne damit probieren:

Die potentielle Existenz von Krankheiten bedeutet NICHT, dass sie auch auftreten MÜSSEN.

(Sören Schewe) (1)

Halten wir also fest, dass tiergesundheitliche Probleme unterschiedliche Ursprünge haben können: zucht-bedingt, system-bedingt und solche, für sich durch ein ordentliches Management beheben/verhindern lassen, aber leider auftreten, wenn eben dieses nicht gegeben ist.

Ich bitte noch zu bedenken, dass dieser kleine Leitfaden keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, sondern lediglich eine Orientierung im täglichen Dschungel der Meldungen zur Landwirtschaft bieten soll. Damit das funktioniert, brauche ich aber auch Eure Hilfe. Wenn Euch also noch wichtige Aspekte dazu einfallen, schreibt sie doch einfach in die Kommentare. Vielleicht wächst der Artikel dann ja noch weiter…


Anmerkung

(1) Man verzeihe mir den kleinen Größenwahn des Selbstzitates

Veröffentlicht von

Wissenschafts- und Agrarblogger seit 2009 – eher zufällig, denn als „Stadtkind“ habe ich zur Landwirtschaft keine direkten Berührungspunkte. Erste Artikel über Temple Grandin und ihre Forschungen zum Thema Tierwohl wurden im Blog dann allerdings meiner überwiegend ebenfalls nicht landwirtschaftlichen Leserschaft derart positiv aufgenommen, dass der Entschluss zu einer stärkeren Beschäftigung mit der Landwirtschaft gefallen war. Auch spätere Besuche bei Wiesenhof und darauf folgende Artikel konnten die Stimmung nicht trüben. Seit 2015 schreibe ich auch gelegentlich für das DLG-Blog agrarblogger.de, teile meine Erfahrung in der Kommunikation als Referent und trage nebenbei fleißig weitere Literatur zum Thema Tierwohl zusammen. Auf Twitter bin ich unter twitter.com/roterhai unterwegs.

21 Kommentare

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  2. “Der Trick besteht in der Vereinfachung an der richtigen Stelle.” Genau darin besteht aber auch das größte Problem, sinnvoll vereinfachen kann nur der, der die Sache verstanden hat. Das ist nicht immer ganz einfach, schnell wird es falsch beim Vereinfachen. Die Krux: Fachjournalisten verstehen sich nicht immer aufs Vereinfachen, Nichtfach-Journalisten verstehen die komplexen Zusammenhänge nicht. Mit mehr Zusammenarbeit könnte man dieses Problem vielleicht lösen.

  3. Hallo Friederike,

    Du hast völlig recht. Oft reden auch unter Journalisten Fachleute und Generalisten aneinander vorbei oder vereinfachen gar nicht bzw. falsch. Als Blogger hat man natürlich die Möglichkeit des Zuhörens, wenn sich Menschen hier in den Kommentaren bemerkbar machen. Dann weiß man auch recht gut, in welche Richtung man etwas noch näher erklären muss.

    Aber auch eine engere Zusammenarbeit kann natürlich nicht schaden 😉

  4. So ist es Friederike. Und für diese Zusammenarbeit müssen beide Seiten über ihren Schatten springen, was nicht immer ganz einfach ist. Aber im Sinne der Verbraucherinformation ist es nötig. Und zwar nicht nur, weil sich Bauern verunglimpft fühlen und weil ihre Arbeit und ihr Leben immer öfter von besonders aktiven Gegenern zur Hölle gemacht werden. Es geht auch um den Verbraucher, der zunehmend manipuliert und für dumm verkauft wird. Jeder soll selber entscheiden, wie er lebt und wie er sich ernährt. Aber dafür muss er informiert sein und nicht nur ideologisiert.
    Packen wir’s an.

    • Hallo Sabine,

      sehr guter Kommentar. Es müssen tatsächlich ALLE ihre Rolle überdenken und neu ausrichten. Die deutsche Landwirtschaft ist mit ihrer Kommunikation im Netz bzw. in Netzwerken dort, wo US-Landwirte vor sieben Jahren waren. Das ist hier ein Stück weit auch eine eigene Welt und nicht nur ein verlängerter Arm der PR. Wenn man das einmal gemerkt hat, wenn man kommunizieren WILL und auch mal Leuten zuhört statt sie nur niederzubrüllen (gilt für Aktivisten wie auch Landwirte), dann können wir hier echt was schaffen.

  5. Selbstverständlich gibt es Krankheit bei indoor wie auch outdoor Tieren. Selbstverständlich gibt es Mangelzustände und Rangeleien um die Vorherrschaft. Doch was ist der Sinn der Massentierhaltung? Es ist die kostengünstige Massenproduktion. Müssen wir Lebewesen unter dieselben wirtschaftlichen Vorgaben einordnen wie Materialien? Kann oder soll man Tieren denn nicht ein angenehmes Leben gewähren? Psychisch kranke Tiere und deren Produkte schmecken sicher schlechter als psychisch gesunde Tiere. Warum fehlt hier schon wieder dieser Aspekt? Stattdessen lese ich “Leistung”, “Management”, “Besatzdichten”. Das ist ein wesentlicher und richtiger Grund, Vegetarier zu sein.

    • Sehr geehrter Herr Kosek,

      extra für Menschen wie Sie habe ich am Ende des Artikels den Hinweis platziert, dass ich hier keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebe.

      Sie haben natürlich ein Stück weit Recht, mehr aber auch nicht. Selbstverständlich wird den Tieren auch über die Produktion hinaus Rechnung getragen. Animal Handling war zuletzt ein großes Thema hier und wird es auch noch für längere Zeit sein – ebenso wie Tierwohl, das allerdings auch von irgendwem bezahlt werden muss, was bisher nur so mittel bis gar nicht funktioniert.

      Also hören Sie auf mit der Nörgelei und Ihrer Selbstbestätigung als Vegetarier. Das ist hier völliger Unsinn.

      • “Also hören Sie auf mit der Nörgelei und Ihrer Selbstbestätigung als Vegetarier. Das ist hier völliger Unsinn.”

        Was Sie da schreiben, ist peinlich.

        • Inhaltlicher wird es nicht mehr? Sie werfen mir fehlende Aspekte vor, denen ich schon seit langer Zeit ganze Artikel widme. Sie hätten auch einfach danach fragen können. Dann hätte das vielleicht sogar eine interessante Diskussion werden können. Aber einfach mit der Tür ins Haus zu fallen kann ich nicht leiden.

          • In einen wissenschaftlichen Blog gehören keine Beleidigungen. Gehen Sie davon aus, dass ich mich zu Ihren hochwissenschaftlichen Ergüssen nicht mehr äußere.

  6. So weit, so gut. Aber warum lese ich hier absolut nichts über Antibiotika? Nur äußerst vage Andeutungen von einer Illusion von Keimfreiheit!
    Auch wenn das Verabreichte bestimmt äußerst genau und emotionslos erfassbar ist? Ob nun von der eine oder der anderen Sparte. Und man weiß ja ziemlich genau, welche Unmengen die Pharma-Branche liefert!
    Und was bleibt mir selbst daraus für eine Schlussfolgerung? Doch Vegetarier oder sogar Veganer zu werden? Machte das jeder, ist dann die Welt schon gerettet? Und bestimmte Branchen der Tierzucht wären tot!
    Ich hielt es bis vor einem Weilchen für gut und ausreichend, wie naiv, selber auf solche Medikamente zu verzichten. Gut, ich habe sie zu Glück auch nie gebraucht!

    • Die Schlussfolgerung aus diesem Artikel sollte sein, dass das simple Aufzählen von Krankheiten oder Problemen in der Tierhaltung nicht viel Sinn ergibt. Besonders gern wird das ja in Bezug auf die Massentierhaltung getan, dabei unterscheiden sich die Probleme der Biohaltung kaum.

      Es steht Ihnen natürlich frei Veganer oder Vegetarier zu werden. Ob damit die Welt gerettet sei, darf bezweifelt werden. Gülle als Dünger würde fehlen, wir müssten global auf große Mengen Kunstdünger setzen. Das wäre aus ackerbaulicher Sicht eine Katastrophe, aber auch der Preis des Kunstdüngers liegt ein vielfaches höher als jener der Gülle. Da dürfte eine Möhre zum Luxusgut werden.

      Was wollen Sie zum Thema Antibiotika im Zusammenhang des Artikels denn genau wissen?

      • Danke für das Loblied auf die Gülle, als ob ich etwa unsere Fauna ausrotten wolle, tztztz. Doch was zu viel ist, halt zu viel, egal woher ;-).
        Bestimmt schon einmal etwas von den wachsenden Todeszonen in der Ostsee gehört? Und die sind nicht nur klimabedingt, und da unterscheidet niemand, kommt das ursächliche Phosphat, Nitrat, … aus der einen oder der anderen Quelle!
        Das Luxusgut Möhren hole ich mir aus dem Garten, ich mag sie aber auch gar nicht besonders ;-).

        • Sie haben recht. Zuviel ist zuviel, wobei es letztlich egal ist, ob es sich dabei um Gülle oder Kunstdünger handelt. Es gibt durchaus technisches Gerät, um den Gülle-Austrag perfekt zu dosieren, solche Maschinen können sich aber nur große Betriebe leisten.

          PS: Auch im Garten entziehen Sie mit Gemüse dem Boden Nährstoffe. Das mag im sehr kleinen Stil nicht weiter ins Gewicht fallen, im großen Stil hat das in der Vergangenheit schon für viele Probleme wie ausgelaugte Böden und große Staubwolken gesorgt.

    • @Gunter Kia “Ich hielt es bis vor einem Weilchen für gut und ausreichend, wie naiv, selber auf solche Medikamente zu verzichten.”

      Nun, wenn Sie selbst auf Antibiotika verzichten, ist der Einsatz von Antibiotika in der Landwirtschaft für sie relativ harmlos. Denn die Gefahr ist ja, dass Erreger dadurch gegen Antibiotika resistent werden. Wenn Sie keine Antibiotika nehmen, sind nicht resistente Keime für Sie genau so gefährlich wie resistente.

      • Das klingt doch so recht wie Winkeladvokaten-Deutsch, was Sie da schreiben ;-)!
        Wenn ich auf Antibiotika „verzichte“, dann heißt es doch, eindeutiger formuliert nicht, ich würde sie bei Notwendigkeit dann auch ablehnen!
        Es ist vor allem eine Anspielung darauf, was in Arztpraxen etc. üblich war und teils noch ist.
        Sie wissen sicher, worum es prinzipiell geht? Um das unnötige „Züchten“ von resistenten Keimen, ob nun durch unsachgemäße Antibiotika-Verordnung, oder aber in der Massentierhaltung…

        • Ja, das ist es genau, wo ich den Finger in die Wunde legen möchte. Man ist ja immer schnell dabei, Schuldige zu benennen. Die anderen nutzen Antibiotika unsachgemäß, die Massentierhaltung dürfte es eigentlich gar nicht geben.

          Nun, ihr Verzicht auf Antibiotika, die Sie ohnehin nicht brauchen, und die Einnahme, wenn Sie sie dann brauchen, ist tatsächlich nicht “gut und ausreichend” sondern schlicht selbstverständlich. Aber die Frage ist halt immer: Woran machen wir die Notwendigkeit fest? Welches Leid muss ein Mensch oder Tier aushalten, bevor es gerechtfertigt ist, mit Antibiotika zu behandeln? Ist es ethisch vertretbar, Tiere an Krankheiten zugrunde gehen zu lassen, die wir relativ leicht heilen könnten?

          Die Bildung von Resistenzen ist ein natürlicher Prozess, sie setzt auch ein, wenn Antibiotika ausschließlich sachgemäß und begründet eingesetzt werden. Je mehr Gründe wir zulassen, desto schneller läuft dieser Prozess ab. Es ist also keine Frage, die nur die bösen anderen Betrifft, sondern eine Abwägung von Für und Wider, die gesellschaftlich diskutiert werden muss.

  7. @Kia: Todeszonen in der Ostsee aufgrund Überdüngung? Das scheint mir WWF-Propaganda zu sein, zumindest wenn man diesem Artikel glaubt: http://www.keckl.de/texte/Der%20WWF%20braucht%20eine%20verschmutzte%20Ostsee.pdf

    Sören, schön dein Hinweis auf das Management; damit steht und fällt alles, auch die Tiergesundheit und der Medikamenteneinsatz – unabhängig von der Landbauform: http://www.ileitis.de/leitbetrieb-2013.aspx
    Die “Geflügelindustrie” hat kürzlich eine interessante Aufarbeitunng zu resistenten Keimen veröffentlicht: http://www.gefluegel-thesen.de/news?news=62

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