Marktradikale Pilze: Occupy Waldboden

BLOG: Bierologie

Weissbier & Wissenschaft
Bierologie

Zur Zeit stecke ich in der Uni in meinem Modul über Mykologie, also über die Wissenschaft von den Pilzen. Und erfreulicherweise kann ich damit mein Botanik-Pflichtmodul abhandeln, obwohl mittlerweile bekannt ist, dass Pilze evolutionär näher mit Tieren als mit Pflanzen verwandt sind (manchmal profitiert man davon, dass Traditionen auch in der Wissenschaft nur langsam aussterben). Im Rahmen des Moduls muss ich irgendwann auch einen Seminar-Vortrag über mutualistische Symbiosen, also jene Symbiose-Beziehungen in denen beide Partner davon profitieren, von Pflanzen und Pilzen halten. Die bekanntesten Pflanzen-Pilz-Mutualismen dürften dabei wohl die Flechten und die Mykorrhiza-Pilze sein.

Die Flechten sind mutualistische Organismen die aus der Kombination von Pilzen und Grünalgen und/oder Cyanobakterien bestehen. Der Pilz profitiert von der Photosynthese-Leistung seines Partners, während die pflanzlichen Partner vor allem davon profitiert, dass er vor zu schnellem austrocknen geschützt ist. Die Mykorrhiza-Pilze gehen ihre Symbiose mit Pflanzen ein. Man schätzt das gut 80 % der Gefäßpflanzen in einer solchen Symbiose leben. Bei dieser Form der Symbiose besetzen die Pilze das Wurzelsystem und tauschen dort Nährstoffe mit ihren Wirtspflanzen aus. Die Pilze können dabei unter anderem Stickstoff und Phosphat aus dem Boden aufnehmen und an die Pflanze weitergeben, währen die Pflanze den aus der Photosynthese gebundenen Kohlenstoff weitergeben kann. Darüber hinaus gibt es auch gute Hinweise darauf, dass die Pilze auch in der Abwehr von Pflanzenfressern, welche ihren Wirt bedrohen könnten, nützlich sein können.

In wie weit solche Mykorrhiza-Pilze als Parasiten oder positive Symbiose-Partner funktionieren ist dabei allerdings von vielen Faktoren abhängig. Unter anderem davon welche Art von Pilz es ist, welche Art von Wirtspflanze es ist, welche Art von Pflanzenfresser die Wirtspflanze bedroht, welche anderen Mykorrhiza-Pilze an dem gleichen Wirt zu finden sind, wie die Nährstoff-Bedingungen in dem Boden sind und natürlich dürfen auch die Gene hier nicht fehlen, denn Wirt und Pilz können inkompatibel sein. Und so verwundert es einen dann auch nicht mehr, dass die möglichen Beziehungen von Mykorrhiza-Pilzen zu ihren Wirtspflanzen ihre Hochs und Tiefs haben und von beiderseitigem Vorteil bis zu Parasitismus reichen können. Damit reicht es auf jeden Fall für ein “It’s complicated” bei Facebook. Aber gerade die Mutualismen sind es, die aus evolutionärer und spieltheoretischer Sicht eine gute Erklärung benötigen.

Denn oft findet man bei Mutualismen, dass ein Partner den anderen mehr oder weniger „versklavt“ bzw. überproportional von der Beziehung profitiert und daher seinen Partner lenken kann bzw. muss. Bei den Flechten ist es beispielsweise so, dass der Pilz extrem stark von seinem „Partner“ profitiert, da der Pilz selbst meist nicht einmal mehr alleine lebensfähig ist, während dies andersherum für die Algen/Bakterien meist kein Problem ist. Dementsprechend wirkt der Pilz extrem stark auf seinen Photosynthese-Freund ein. Die Frage wieso man eine Erklärung für dieses Verhalten braucht und auch die Frage nach den Symbiosen der Mykorrhiza-Pilze lässt sich mit dem Gefangenendilemma ganz anschaulich darstellen.

Über das iterierte Gefangenendilemma hatte ich vor einiger Zeit bereits etwas geschrieben. Aber zur Auffrischung noch einmal das Grundproblem: Alice und Bob haben zusammen eine Bank überfallen und werden danach von der Polizei aufgeschnappt. Allerdings reichen die Beweise nicht aus um die beiden für den Bankraub zu verurteilen. Wenn also beide schweigen, dann kommen sie davon bzw. bekommen nur eine kleine Strafe (für zu schnelles Fahren bei der Flucht/unerlaubter Waffenbesitz/was man halt so in Verbindung mit einem Bankraub noch für Verbrechen begehen könnte). Die Verurteilung für den Bankraub klappt nur, wenn mindestens einer der beiden eine Aussage macht und den anderen belastet. Wenn nur einer der beiden eine Aussage macht, dann kommt derjenige der geplaudert hat straffrei davon, der andere sitzt eine volle Strafe ab. Machen jedoch beide eine Aussage, dann müssen auch beide ins Gefängnis und ihre Strafe absitzen (die jedoch pro Nase geringer ist als die Strafe die man absitzen muss, wenn man von dem Anderen verpfiffen wird). Alice und Bob werden getrennt voneinander verhört und haben keine Möglichkeit zu erfahren ob der jeweils andere ihn verraten hat oder nicht.

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Um das ganze anschaulicher zu machen schauen wir uns die Tabelle oben mal an. Wichtig: Die Zahlen sollen hier keine Haftstrafen darstellen sondern einen zu erwartenden Gewinn. Also: Je größer die Zahl, desto besser für den Spieler. Der zu erwartende Gewinn für Alice ist in Grün dargestellt, der zu erwartende Gewinn für Bob in Rot. Wie sollten sich jetzt also beide Spieler verhalten, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen? Wenn wir uns die Tabelle so anschauen, dann könnte man meinen, dass das beste Ergebnis die beiderseitige Kooperation ist, immerhin gibt es da insgesamt 6 Punkte zu gewinnen. Aber schauen wir uns doch einmal an, was für jeden Spieler die Beste Option ist: Wenn Bob kooperiert, dann ist es für Alice das beste Bob zu verraten, da sie dort 5 anstatt 3 Punkte bekommt (straffrei ausgeht anstatt für kleinere Verbrechen bestraft zu werden). Falls Bob sie verrät, dann sollte sie ihn auch verraten, denn dann bekommt sie 1 statt 0 Punkte (sie bekommt eine kleinere Strafe anstatt alleine die volle Strafe). Und analog funktioniert das auch für Bob, der sich die gleichen Gedanken macht.

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Damit endet man, zumindest wenn man von rational denkenden Spielern und nur einer Spielrunde ausgeht, dabei, dass beide Spieler einander verraten. Da gegenseitiger Verrat die einzige stabile Strategie ist, kommt es nicht zu der global optimalen Lösung: Der Kooperation. Dieser Fall, in dem kein Spieler etwas dadurch gewinnen kann, dass er seine Strategie alleine ändert, wird – nach ihrem Entdecker John Nash – das Nash-Gleichgewicht genannt. Was das ganze jetzt mit den Mutualismen von Pflanzen und Pilzen zu tun hat? Ersetzen wir doch einfach mal Alice durch Pflanze und Bob durch Pilz. Eine Pflanze hätte genauso einen Vorteil, wenn sie ihren Pilz-Partner verrät. Sie bekommt Phosphat von dem Pilz, muss aber keinen Zucker teilen. Und wenn der Pilz seine Kooperation einstellt, dann wäre es erst recht die beste Option den Zucker-Transport zum Pilz einzustellen. Und andersrum ist es genauso für den Pilz: Ohne Gegenleistung den Zucker bekommen ist besser als die eigenen Ressourcen zu teilen, und wenn der Pflanzen-Partner nicht teilt, dann sollte man das selbst auch nicht tun. Eine mathematische Umsetzung des Nash-Gleichgewichts für die Evolutionsbiologie hat John Maynard Smith in den 80er Jahren veröffentlicht. Sein Konzept sind die Evolutionary Stable Strategies, welche Strategien beschreibt welche, wenn sie einmal in einer Population von Individuen fixiert sind, nicht durch andere Strategien verdrängt werden können.

Einer Theorie wieso sich der Mutualismus von Mykorrhiza-Pilzen und Pflanzen dann seit Millionen von Jahren halten kann ist E. Toby Kiers mit seinen Kollegen auf den Grund gegangen. Üblicherweise findet man nämlich, dass Pflanzen mehr als einen Mykorrhiza-Pilz als Symbiose-Partner haben, genauso wie die Pilze ihrerseits Verbindungen zu mehr als einer Pflanze aufrecht erhalten können. Ihre Theorie ist, dass es eine Art freien Markt gibt, über den die Rohstoffe zwischen den verschiedenen Pilzen und Pflanzen getauscht werden können. Und auf diesem Markt tauscht man seine Waren dann mit jenen Partnern, die einem die besten Konditionen bieten. Um zu testen ob dieser freie Markt für Pilz und Pflanze funktioniert, oder ob hier doch wieder die 99 % leiden müssen, haben sie sich auch ein Experiment überlegt.

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Sie haben Petrischalen, wie auf den Fotos oben zu sehen, in Drittel aufgeteilt. In dem einen Versuch (links) haben sie dem Pilz-Hyphen-Geflecht zwei Wurzelpartner zur Auswahl gegeben: Während das eine Wurzelsystem keinerlei Zucker anbieten konnte, hatte das andere Wurzelsystem wahlweise 5 mM oder 25 mM Zucker für den Pilz zu bieten. Das Phosphat, welches der Pilz als Tauschobjekt zu bieten hatte wurde radioaktiv markiert. Damit konnte man dann nachverfolgen wie viel Phosphat die beiden Wurzeln in den unterschiedlichen Bedingungen aufgenommen haben. Analog dazu wurde der Versuch andersrum wiederholt: Eine Wurzel, bei denen ihr Zucker radioaktiv markiert wurde, hatte 2 Pilz-Hyphen zur Auswahl die entweder kein oder 35/700 µm Phosphat liefern konnte. Damit kann man dann überprüfen wie sich die Zucker-Konzentrationen zwischen den Konditionen unterscheidet.

Und die Ergebnisse sprechen eindeutig für die Theorie: In Wurzeln die viel Zucker anbieten können findet sich signifikant mehr radioaktiv markiertes Phosphat als in den Wurzeln die kein Zucker anbieten. Und in den Pilzen die viel Phosphat anbieten können findet sich signifikant mehr radioaktiv markierter Zucker als in den Pilzen die kein Phosphat anbieten können. Das ist ein ziemlich gutes Zeichen dafür, dass sowohl Pilz als auch Pflanze steuern können, welchen Symbiose-Partnern ihre Ressourcen zuweisen wollen. Und durch diese Steuerungsmechanismen und die dadurch hergestellte Kontrolle können beide Partner verhindern, dass der eine den anderen versklaven kann.

Die Autoren der Studie sprechen daher auch von einem guten Beispiel für eine Marktwirtschaft, in der die Konkurrenz zwischen den Pilzen und die Konkurrenz zwischen den Pflanzen dafür sorgt, dass beide Partner durch bessere „Dienstleistungen“ entlohnt werden. Die FDP darf sich jetzt darüber freuen, dass sich Leistung zumindest in der Natur zu lohnen scheint. Zumindest so lange, wie es zu keiner Monopolbildung kommt.

Bildnachweise:
Foto Cladonia arbuscula: Tigerente, CC-BY-SA
Abbildungen Petrischalen: Aus E. Toby Kiers et al. 2011, Science

Literatur:
John Maynard Smith (1982). Evolution and the Theory of Games Cambridge University Press

Kiers, E., Duhamel, M., Beesetty, Y., Mensah, J., Franken, O., Verbruggen, E., Fellbaum, C., Kowalchuk, G., Hart, M., Bago, A., Palmer, T., West, S., Vandenkoornhuyse, P., Jansa, J., & Bucking, H. (2011). Reciprocal Rewards Stabilize Cooperation in the Mycorrhizal Symbiosis Science, 333 (6044), 880-882 DOI: 10.1126/science.1208473

Nash, J. (1950). Equilibrium points in n-person games Proceedings of the National Academy of Sciences, 36 (1), 48-49 DOI: 10.1073/pnas.36.1.48

Veröffentlicht von

Bastian hat seinen Bachelor in Biologie in nur 8 statt 6 Semestern abgeschlossen. Nach einem kurzen Informatik-Studiums-Intermezzo an der TU Dortmund hat es ihn eigentlich nur für ein Stipendium nach Frankfurt am Main verschlagen. Dort gestrandet studiert er dort nun im Master-Programm Ökologie und Evolution. Zumindest wenn er nicht gerade in die Lebensweise der Hessen eingeführt wird. Neben seinen Studiengebieten bloggt er über die Themen, die gerade in Paperform hochgespült werden und spannend klingen.

51 Kommentare

  1. Zitat:

    In Wurzeln die viel Zucker anbieten können findet sich signifikant mehr radioaktiv markiertes Phosphat als in den Wurzeln die kein Zucker anbieten. Und in den Pilzen die viel Phosphat anbieten können findet sich signifikant mehr radioaktiv markierter Zucker als in den Pilzen die kein Phosphat anbieten können. Das ist ein ziemlich gutes Zeichen dafür, dass sowohl Pilz als auch Pflanze steuern können, welchen Symbiose-Partnern ihre Ressourcen zuweisen wollen. Und durch diese Steuerungsmechanismen und die dadurch hergestellte Kontrolle können beide Partner verhindern, dass der eine den anderen versklaven kann.

    Die Autoren der Studie sprechen daher auch von einem guten Beispiel für eine Marktwirtschaft, …

    Hier müsste man wohl sagen: Radikale Marktwirtschaft… 😉

    Die Autoren muss man loben, eine hübsche Idee, den eher schnöden Stoffaustausch zwischen Pilz und Pflanze mit Marktwirtschaft und “Dienstleistungen” aufzupeppen.

    Gibt es auch Ideen zum Steuermechanismus? Befeuert bei dem einen Phosphat die Zuckerabgabe und umgekehrt bei dem anderen der Zucker die Phosphatabgabe? Oder ist es vermutlich komplizierter?

  2. Regulationsmechanismen

    Der Blogpost entspricht genau meinem Wissensstand, ich kann dir also leider keine eindeutigen Antworten darauf geben, wie die biochemische Regulation dieses ganzen Prozesses funktioniert.

    Grundsätzlich findet der Austausch der Nährstoffe innerhalb der Pflanzenzelle über die „Arbuscules“ des Pilzes statt, welche sich in den Pflanzenzellen befinden. Diese baumartigen (und damit namensgebenden Strukturen) kannst du z.B. hier sehen: http://biology.kenyon.edu/…/SrexMarx/arbgood.jpg

    Wie die Regulation von beiden Partnern gesteuert wird weiss ich nicht genau. Hier habe ich ein Paper gefunden welches im Volltext lesbar ist (es ist aber auch von 1998, also mag der aktuelle Stand ein anderer sein): http://www.plantphysiol.org/…ent/116/4/1201.full

    Ins Blaue geraten: Generell würde ich davon ausgehen, dass der Austausch zwischen beiden Partnern über aktiven Transport geschieht (und deshalb erstmal irgendwie steuerbar ist) und deine Idee zur deshalb gut möglich ist.

  3. Handel und Recycling

    Die Idee der Autoren den Stoffaustausch zwischen Pilz und Pflanze mit Marktwirtschaft und “Dienstleistungen” aufzupeppen man sich zwar gut anhören, aber ich finde den Vergleich nicht so gut.

    Die Natur handelt nicht wie eine kapitalistische Marktwirtschaft, der es an Nachhaltigkeit fehlt, sondern eher wie eine Art Gemeinwohl-Ökonomie. Leider haben viele Leute, die nur marktorientiert denken, oft keinen Sinn für komplexe Zusammenhänge, denn die Bedeutung der Mykorrhiza wurde bisher stark unterschätzt. Beispielsweise wird noch immer Regenwald durch Brandrodung “entholzt”, werden diese Flächen dann neu bepflanzt so bleiben sie nur für kurze Zeit fruchtbar, weil der Regen die Nährstoffe leicht wegspülen kann, denn mit den Mykorrhizae ist auch der Filter verschwunden, der organische Verbindungen und Mineralstoffe im Boden festhält.

    Tropische Regenwälder wachsen auf extrem nährstoffarmen Böden und haben daher eine Art Recycling-System entwickelt, welches sie mit Nährstoffen versorgt. Abgestorbene Biomasse wird sofort von Mykorrhiza-Pilzen befallen, die sämtliche Nährstoffe wieder herausfiltern. Über die Baumwurzeln geben die gewonnen Nährstoffe dann an die Bäume weiter. So entsteht ein direkter Nahrungskreislauf. Einen Humusspeicher im Boden, wie in unseren Wäldern, gibt es dort nicht.

    Hier habe ich eine Diplomarbeit aus dem Jahr 2008 gefunden, die sich auch mit dem Thema des Blogposts befasst:

    http://othes.univie.ac.at/…008-10-06_9000543.pdf

  4. @Mona

    “Die Natur handelt nicht wie eine kapitalistische Marktwirtschaft, der es an Nachhaltigkeit fehlt, sondern eher wie eine Art Gemeinwohl-Ökonomie.”

    Da würden die Saurier aber widersprechen – wenn sie es noch könnten.

  5. Lass vergehen @Jürgen Bolt

    Laß vergehen, was vergeht
    Es vergeht, um wiederzukehren
    Es altert, um sich zu verjüngen
    Es trennt sich, um sich inniger zu vereinen
    Es stirbt, um lebendiger zu werden

    (Friedrich Hölderlin)

  6. Mach ich@Mona

    wir sind die menschen auf den wiesen
    bald sind wir die menschen unter den wiesen
    und werden wiesen, und werden wald
    das wird ein heiterer landaufenthalt

    (Ernst Jandl)

  7. Tho’ Nature, red in tooth and claw

    Die Natur handelt nicht wie eine kapitalistische Marktwirtschaft, der es an Nachhaltigkeit fehlt, sondern eher wie eine Art Gemeinwohl-Ökonomie

    So romantisch die Idee der nachhaltigen Natur, die sich in einem Gleichgewicht befindet (und die für alle sorgt) für manchen auch sein mag: Wissenschaftlich haltbar ist sie ganz sicher nicht. Während Ökosysteme auf menschliche Zeiten betrachtet vielleicht noch als „stabil“ angesehen werden können (anthropogene Einflüsse mal außen vor), so ändert sich dieser Zustand dramatisch, wenn man den Fokus auf die evolutionäre/geologische Zeitskala verschiebt: Über 99% der Arten die jemals auf diesem Planeten zu finden waren sind ausgestorben.

    Und dies eben nicht nur in Massensterben, wie bei den Dinosauriern, die durch Katastrophen-Ereignisse ausgelöst werden. Sondern auch durch das „Alltägliche“, ganz ohne den Menschen: Arten konkurrieren ständig miteinander um Lebensräume, Rohstoffe und damit im Endeffekt um ökologische Nischen. Manchmal werden sie dabei von besser angepassten Arten verdrängt und sterben so aus.

    In extremeren Fällen treffen Arten als „Zugezogene“ ein und treffen dort auf Futterquellen, welche diesen neuen Fressfeinden gar nicht gewachsen sind. Auch dafür benötigt es nicht zwingend den Menschen als treibenden Motor, das schafft die Natur™ schon von ganz alleine.

    Genauso ändern sich Klimabedingungen auf dieser Zeitskala ohne menschliche Einflüsse (man denke nur an die Eiszeiten). Und man könnte noch so viele Beispiele anführen. Fakt ist aber einfach, dass sich Ökosysteme alleine durch natürliche Selektion verändern und das seit Milliarden Jahren passiert. Und das läuft nicht mit dem Gemeinwohl im Sinne ab, sondern schlicht durch Konkurrenz. Da mag es für Arten sinnvoll sein mit anderen zu kooperieren, aber das ist dann eben unter dem Konkurrenz-Gesichtspunkt angebracht. Und eben kein Selbstzweck.

  8. Schrecklicher Verdacht

    “Über 99% der Arten die jemals auf diesem Planeten zu finden waren sind ausgestorben.”

    We are the 1%? o_O

  9. Lebensdauer von Arten

    We few, we happy few…

    Vermutlich sind wir sogar noch weniger als die privilegierten 1% sondern mehr die 0.0001%, siehe: http://www.askabiologist.org.uk/…opic.php?id=556

    Durch Fossilienfunde lässt sich ein statistisches Mittel errechnen, wie lange einzelne Arten im Schnitt erhalten bleiben bis sie aussterben (iirc sind das über alle Arten gerechnet ~10 Millionen Jahre bis zum Aussterben). Damit kann man ganz gute Abschätzungen treffen wie viele Arten schon das zeitliche gesegnet haben.

    Und man kann natürlich auch ausrechnen wie lange wir statistisch noch haben, dafür hab ich aber keine Daten 😉

  10. Sach mal, Bastian, stehe ich auf der Leitung, oder ist denen hier im Abstract der von Dir verlinkten Science-Studie ein Fehler unterlaufen:

    We manipulated cooperation in plants and fungal partners to show that plants can detect, discriminate, and reward the best fungal partners with more carbohydrates. In turn, their fungal partners enforce cooperation by increasing nutrient transfer only to those roots providing more carbohydrates.

    Ist da nicht einmal zu viel von “carbohydrates” die Rede?

  11. @Balanus: carbohydrates

    “stehe ich auf der Leitung?” – Ja. (Weil Du mit eineinhalb Augen Deutschland-Niederlande anschaust, hoffe ich.)

    “plants reward the best fungal partners with more carbohydrates. In turn, their fungal partners enforce cooperation by increasing nutrient transfer only to those roots providing more carbohydrates” übersetze ich mit: “Pflanzen belohnen die besten pilzlichen Partner mit mehr Kohlenhydraten. Umgekehrt verstärken ihre pilzlichen Partner die Zusammenarbeit, indem sie die Nährstoffzufuhr nur für die Pflanzen erhöhen, die ihnen mehr Kohlenhydrate liefern.”

    Oder stehe ich selbst auf dem Schlauch?

  12. Yep

    He he, ja klar, hab’ das “reward” total überlesen. Danke, Jürgen… (wäre ja auch ein Ding gewesen..;-))

    (und ich kann’s noch nicht mal mit Fußball kucken entschuldigen… :-))

    (aber jetzt läuft der Fernseher… )

  13. Natur @Bastian

    Natürlich ändern Ökosysteme ihre Zusammensetzung mit der Zeit, sie bleiben nicht für alle Zeiten stabil. Das ist auch notwendig, sonst könnte es keine Evolution geben. Aber Ungleichgewichte pendeln sich auch wieder ein, d.h. ein System im Gleichgewicht kann sich zwar verändern, wenn Arten miteinander um Lebensräume konkurrieren oder von besser angepassten Arten verdrängt werden, aber dadurch bilden sich neue Gleichgewichte im System aus.

    Unsere Erde bringt seit Milliarden von Jahren immer wieder neue Lebensformen hervor, und natürlich benötigt man dafür nicht zwingend den Menschen, da widersprechen wir uns nicht.
    Aber im Gegensatz zu einer kapitalistischen und nicht nachhaltigen Wirtschaftsweise kennt die Natur keine Rohstoffprobleme, da alles wieder recycelt wird. Es macht also keinen Unterschied ob ein Dinosaurier oder ein Mensch kompostiert wird, wie Jürgen Bolt mit seinem Gedicht anklingen ließ.

  14. @Mona:
    »Aber im Gegensatz zu einer kapitalistischen und nicht nachhaltigen Wirtschaftsweise kennt die Natur keine Rohstoffprobleme, da alles wieder recycelt wird. «

    “Natur” ist ein bisschen arg umfassend. Zum einen ist z.B. die Sauerstoffatmosphäre biogenen Ursprungs. Zum anderen kann es für Organismen oder bestimmte Populationen durchaus “Rohstoffprobleme” geben. Diese werden in der Regel durch eine Massenkompostierung (s.o. 😉 gelöst. Erst nachdem sich die betroffene Population “gesundgeschrumpft” hat, geht’s mit ihr wieder aufwärts.

    Die Menschenpopulation hat das “Gesundschrumpfen” womöglich noch vor sich.

  15. @Mona: Kapitalismus

    Ist zwar off-topic, aber wo wir schon Gedichte austauschen…

    Wenn man den Kaptalismus kritisiert, sollte man auch mal die Kirche im Dorf lassen. Immerhin haben wir im Westen geradezu paradisische Verhältnisse: märchenhaften Wohlstand, hohe Lebenserwartung, fantastische Gesundheitsversorgung, extreme Gewaltarmut. Und das verdanken wir unter anderem dem Kapitalismus.

    “It is widely accepted that democracies are less conflict prone, if only with other democracies. Debate persists, however, about the causes underlying liberal peace. This article offers a contrarian account based on liberal political economy. Economic development, free markets, and similar interstate interests all anticipate a lessening of militarized disputes or wars. This
    “capitalist peace” also accounts for the effect commonly attributed to regime type in standard statistical tests of the democratic peace.”

    Aus: Gartzke, The Capitalist Peace

    dss.ucsd.edu/~egartzke/…/gartzke_ajps_07.pdf

  16. @Balanus

    “Natur bezeichnet alles, was nicht vom Menschen geschaffen wurde” (Wikipedia). Es ging hier jedoch in erster Linie um die unterschiedlichen Begriffe, die als Vergleich herangezogen wurden, wie “Marktwirtschaft” oder “Gemeinwohl-Ökonomie”. Auch wenn die Abläufe in der Natur als neutral anzusehen wären, so empfindet man sie als grausam, wenn man ein schwerkrankes Kind sieht, aber als schön, wenn man einen Sonnenuntergang betrachtet. Insofern beinhalten auch die oben erwähnten Begriffe eine Wertung, was mit der unterschiedlichen “Befindlichkeit” der Menschen zusammenhängt. Bastian hat hier das Gefangenendilemma als Beispiel gebracht, also wird er die Natur auch nicht völlig emotionslos sehen (was natürlich kein Vorwurf ist). Ärzte haben in der Regel keine Bedenken in die “Natur” einzugreifen, wenn sie einem Menschen helfen können. Aber heutzutage ist mehr möglich als Medizin zu verabreichen, das sieht man an den Diskussionen bezüglich der Humangenetik. Beispielsweise meinen gläubige Christen, man dürfe Gott nicht ins Handwerk pfuschen. Andere haben oft weniger Bedenken und sehen das Ganze eher von der technischen Seite aus. Also spiegeln sich in den unterschiedlichen Betrachtungsweisen oft auch unterschiedliche Weltanschauungen wieder, aber damit kämen wir in den Bereich der Philosophie.

  17. @Mona

    Es ist in meinem ersten Kommentar wohl nicht so richtig rüber gekommen, dass ich es für etwas merkwürdig halte, in einer Studie über biochemische Regulationsmechanismen eine Verbindung zum menschlichen Marktverhalten herzustellen. Dass die Autoren das taten, mag zum Teil dem Umstand geschuldet sein, dass man in Science publizieren wollte, wo man es mit der wissenschaftlichen Hygiene nicht so genau nimmt.

    Im Übrigen bin ich ausnahmsweise nicht Jürgen Bolts Meinung, dass man bei der Kapitalismuskritik auch mal “die Kirche im Dorf lassen” sollte. Missstände und Fehlentwicklungen müssen knallhart kritisiert werden. Demokratie und Frieden sind sicherlich auch ohne die kapitalistischen Auswüchse möglich.

  18. @Jürgen Bolt

    Bevor man sich mit solchen Fragen beschäftigt wäre erst einmal zu klären ob Kapitalismus und Demokratie überhaupt ein und dasselbe sind.

  19. @Balanus:

    “Missstände und Fehlentwicklungen müssen knallhart kritisiert werden. Demokratie und Frieden sind sicherlich auch ohne die kapitalistischen Auswüchse möglich.”

    Tut mir leid, aber soweit sind wir doch wieder einer Meinung.

    Wenn Bastian diese off-topic Diskussion gestattet (sonst bitte Kommentar löschen):

    Mein Einwand gegen eine Kapitalismus-Kritik richtet sich daran, womit man Erfolge und Mißerfolge vergleicht. Vergleicht man die westlichen kapitalistischen Gesellschaften mit realen nichtkapitalistischen Gesellschaften aus Gegenwart und Geschichte, schneiden sie außerordentlich positiv ab. (Übrigens sind sie auch was Ressourcenbelastung betrifft nicht schlechter als andere. Die Einwohner der Osterinsel konnten ihre Heimat auch ganz ohne Marktwirtschaft in eine Wüste verwandeln und anschließend verhungern.)

    Vergleicht man sie mit einem Utopia, in dem Menschen ihr Handeln grundsätzlich am Gemeinwohl orientieren, in geschlossenen Ressourcenkreisläufen wirtschaften und ihre Konflikte gewaltfrei lösen, schneiden sie schlecht ab. Nur hat es dieses Utopia nie gegeben, und Versuche, es zu realisieren, haben bisher stets im Desaster geendet.

    Daher stimme ich Ameisenforscher Edward O. Wilson zu, wenn er über den Kommunismus urteilt: “Good idea, wrong species.”

  20. “Good idea”…

    Das ist doch schon mal ein Anfang, nicht? 😉

    (Und wenn doch schon Biomoleküle fairen Tauschhandel betreiben…)

  21. Schubladendenken @Jürgen Bolt

    “Vergleicht man sie mit einem Utopia, in dem Menschen ihr Handeln grundsätzlich am Gemeinwohl orientieren, in geschlossenen Ressourcenkreisläufen wirtschaften und ihre Konflikte gewaltfrei lösen, schneiden sie schlecht ab. Nur hat es dieses Utopia nie gegeben, und Versuche, es zu realisieren, haben bisher stets im Desaster geendet.”

    Welches “Utopia” meinten Sie denn, das Buch von Thomas Morus, Platons idealen Staat oder was? Meine Gemeinwohl-Ökonomie bezog sich aber sowieso nicht auf Platon, sondern (etwas ironisch) auf dieses Buch hier: http://www.gemeinwohl-oekonomie.org/das-buch/

    Und da Sie den Ameisenforscher Edward O. Wilson und seinen Ausspruch über den Kommunismus erwähnen. Ich finde es sehr bedenklich, wenn Sie Umweltschützer in so eine Schublade stecken, wo doch beispielweise der Kommunismus/Sozialismus in der DDR nicht gerade sorgsam mit der Umwelt umging. Ist es so schwer zu verstehen, dass wir die Natur nicht zerstören dürfen, weil wir ein Teil von ihr sind?

  22. Vor Löschung braucht hier keiner Angst haben. Öko-Kommunismusdiskussionen finde ich in dem Zusammenhang auch gar nicht mal so Off-topic.

    @Kompostierung: Es wird nicht alles kompostiert in der Natur, sonst hätten wir noch weniger fossile Brennstoffe als das so schon der Fall ist. Dem “Kreislauf” werden also durchaus Dinge entzogen und nicht alles recyclet.

    @Vergleich: Ich finde den Vergleich des Systems so falsch gar nicht. Wie jeder Vergleich hat er seine Schwächen, aber generell denke ich schon, dass das System ähnlichkeiten zu einer Freien Wirtschaft hat.

    @Gefangenendilemma: Das Beispiel als solches Ist vielleicht nicht komplett Wertfrei, allerdings ist es schlicht das bekannteste Beispiel für eine entsprechende Modellierung von Interaktionen mit so ausgestalteten “Gewinnen” die Teilnehmer bekommen können.

    Insgesamt geht es doch darum, dass “die Natur” eben an sich erstmal keine Gemeinwohl-Ökonomie betreibt, sondern es innerhalb und zwischen Arten Konkurrenz gibt. Trotzdem findet man Beziehungen in der Natur welche eine irgendwie geartete Gemeinwohl-Ökonomie betreiben. Die Pilze sind hier ein Beispiel, die Blattschneiderameisen, welche Pilze kultivieren, die wir hier auch schon mal als Thema hatten sind ein anderes. Gerade bei solchen Beziehungen lohnt es sich eben hinzuschauen wieso die Konkurrenz dort zu solchen Beziehungen führt die den Partnern zum Vorteil reicht, obwohl es erstmal nicht danach aussehen sollte.

  23. @Mona: Schubladen aufräumen

    “Ich finde es sehr bedenklich, wenn Sie Umweltschützer in so eine Schublade stecken. Ist es so schwer zu verstehen, dass wir die Natur nicht zerstören dürfen, weil wir ein Teil von ihr sind?”

    Liebe Mona, jetzt stecken Sie mich aber in eine Schublade, in der ich mich nicht wohl fühle. Ich stimme Ihnen doch völlig zu, daß man sich für Umweltschutz engagieren sollte.

    Wo ich widerspreche, ist wenn Sie Ressourcenübernutzung und Kapitalismus in dieselbe Schublade einsortieren. Mein Alternativvorschlag ist, zwei Schubladen mit utopischen und realistischen Gesellschaftsentwürfen zu etikettieren. Innerhalb der realistischen findet sich dann der Kapitalismus und hoffentlich auch ein ökologisches Engagement.

    Mit den Worten Kants:
    “Die moralisch-urteilende Vernunft in ihre Elementarbegriffe zu zergliedern, ein der Chemie ähnliches Verfahren der Scheidung des Empirischen vom Rationalen in wiederholten Versuchen am gemeinen Menschenverstande vorzunehmen, kann uns beides rein kennbar machen, und so teils der Verirrung einer noch rohen, ungeübten Beurteilung, teils (welches weit nötiger ist) den Genieschwüngen vorbeugen, durch welche ohne alle methodische Nachforschung und Kenntnis der Natur geträumte Schätze versprochen und wahre verschleudert werden. Mit einem Worte: Wissenschaft (kritisch gesucht und methodisch eingeleitet) ist die enge Pforte, die zur Weisheitslehre führt.”

    Leicht gekürzt aus: Beschluß der Kritik der praktischen Vernunft

  24. Geschaeftsmodell

    Also ich bin auch Bastians Meinung und denke, dass das System Aehnlichkeiten mit einer Freien Wirtschaft hat. Ich habe kein Problem mit der Analogie und denke, dass auch in der Natur eine Bewertung ueber die Art des Ressourcenaustausches stattfindet keine moralische aber eine “evolutionaere” durch die Selektion. Fuer mich ist diese Geschichte eher ein Indiz dafuer, dass der Mensch sich manchmal gar nicht so unnatuerlich verhaelt sondern sogar – wenn man sich das Alter von Pflanzen und Pilzen anschaut – evolutionaer laengst ausgetretene Pfade betritt. Das dieses “Geschaeftsmodell” sich so lange gehalten hat, wird wohl seine Gruende haben.

  25. Ich stimme Bastian und Joe auch zu und finde die Analogie ganz treffend. Immerhin war sogar Darwin himself von Adam Smith inspiriert. Und Dawkins schilderte detailliert, wie egoistische Gene altruistisches Verhalten hervorbringen. So wie egoistische Marktteilnehmer unter richtigen Rahmenbedingungen das Gemeinwohl (hoffentlich inklusive schonender Ressourcennutzung) fördern.

    So wird man mit dem Älterwerden zur eigenen Überraschung ein bißchen konservativ. Nicht in dem Sinne, daß Frauen an den Herd gehören, daß man sonntags in die Kirche geht und sein Vaterland liebt. Aber doch so, daß man Bewährtes nicht vorschnell über Bord wirft, sondern behutsam verbessert. Und nicht umstürzt und durch ein Gesellschaftsmodell ersetzt, das seine Entstehung “Genieschwüngen” (Kant) verdankt.

  26. @all

    Ich bin trotzdem der Ansicht, dass man die Natur nicht allzu sehr vermenschlichen sollte, da solche Modelle auch immer eine moralische Wertung implizieren. Ich möchte hier nur mal an das Buch “Brems Tierleben” erinnern, wo die Tiere in gute und böse, mutige und feige eingeordnet wurden. Heutzutage weiß man, dass vieles was da beschrieben wurde schlicht und ergreifend Schmarrn ist. Viele dieser Märchen haben sich aber in den Köpfen der Leute festgesetzt und so wird noch immer von mutigen Löwen und feigen Kojoten gesprochen. Besonders schlimm hat es den “bösen” Wolf erwischt. Im Nationalpark Bayrischer Wald bemüht man sich seit Jahren den Wölfen endlich Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen, da sie nämlich auch nicht “böser” sind als andere Tiere. Leider ist das bei vielen Menschen aber noch nicht angekommen. Im Jahr 2002 brachen drei einjährige Jungwölfe dem Gehege aus, was zu einer unsäglichen Hysterie unter der Bevölkerung führte. Nur ein Wolf konnte wieder eingefangen werden, die anderen zwei mussten nach schrecklichen Treibjagden abgeschossen werden. Dabei sind Wölfe äußerst scheu und tun den Menschen nichts, solange sie nicht angegriffen werden.
    http://www.nationalpark-bayerischer-wald.bayern

  27. Vergleich /@Bastian

    (Info: Mein nachfolgender Kommentar war bereits geschrieben, als ich Monas Kommentar, der in die gleiche Richtung zielt, gesehen habe.)

    Ich habe nichts gegen den Vergleich an sich, aber ich finde ihn in einer wissenschaftlichen Publikation über Wechselwirkungen zwischen Pilz und Pflanze deplaziert. Aber wie gesagt, in ‘Science’ geht so etwas.

    In der guten alten Zeit, als wissenschaftliche Standards noch etwas galten, war es streng verpönt, menschliche Maßstäbe an Naturvorgänge anzulegen. Naja, the times, they are a-changin’… 😉

    In diesem Zusammenhang kommt mir die Auseinandersetzung zwischen Hirnforschern und manchen Philosophen in den Sinn. Letztere würden ja am liebsten jede metaphorische Wendung aus dem Sprachschatz der Hirnforscher streichen, bloß damit Kultur und Natur strikt getrennt bleiben. Aber das halte ich für völlig überzogen.

  28. Mystifizierte Natur @Balanus

    “In der guten alten Zeit, als wissenschaftliche Standards noch etwas galten, war es streng verpönt, menschliche Maßstäbe an Naturvorgänge anzulegen.”

    Nicht zu unrecht! Denn die Vermenschlichung von Natur finden wir auch im Mythos, als Bestandteil von Religion und primitiver Metaphysik.

  29. Stilmittel @Jürgen Bolt

    “Immerhin war sogar Darwin himself von Adam Smith inspiriert. Und Dawkins schilderte detailliert, wie egoistische Gene altruistisches Verhalten hervorbringen. So wie egoistische Marktteilnehmer unter richtigen Rahmenbedingungen das Gemeinwohl (hoffentlich inklusive schonender Ressourcennutzung) fördern.”

    Wenn diese Herren Bücher für die breite Öffentlichkeit schrieben, so haben sie sich auch rhetorischer Stilmittel bedient, da eine rein wissenschaftliche Abhandlung wohl nur für ein Fachpublikum interessant gewesen wäre. Von Darwin ist bekannt, dass er sich, wie ein Schriftsteller, zahlreicher Stilmittel bediente um dem Text mehr Kraft zu verleihen. “Eines der verwendeten Stilmittel ist die Personifizierung oder Vermenschlichung der Natur.”

    Quelle (Seite 9, rechte Spalte oben): http://books.google.de/…0der%20natur&f=false

    Darwin und Konsorten haben also Literatur mit wissenschaftlichem Hintergrund produziert, das darf man nicht vergessen. Bloße Wissenschaft muss jedoch ohne literarische Ergüsse und dichterische Freiheiten auskommen. Insofern waren die Autoren unsere Studie hier wohl mehr verhinderte Schriftsteller als Wissenschaftler :-))

  30. @Joe Dramiga

    »Das dieses “Geschaeftsmodell” sich so lange gehalten hat, wird wohl seine Gruende haben. «

    Aus den gleichen Gründen haben sich zahlreiche andere “Geschäfts-” und “Gesellschaftsmodelle” gehalten. Also was soll’s?

    (Wir wollen schließlich keinen naturalistischen Fehlschluss begehen…)

    Was die Autoren da am Schluss ihrer Studie schreiben,

    This provides a clear, nonhuman example of how cooperation can be stabilized in a form analogous to a market economy, where there are competitive partners on both sides of the interaction and higher quality services are remunerated in both directions.

    … passt nach entsprechendem Austausch einiger Begriffe praktisch zu allem, was man in der Natur an stabilisierenden Effekten beobachten kann.

  31. Noch ein Wort…

    …zu Edward O. Wilsons “Good idea, wrong species.”

    Wie kann der Mensch die Idee des Kommunismus überhaupt gut finden, wenn diese Ideologie seiner Natur im Grunde zuwiderläuft?

    Hat Wilson dafür eine Erklärung parat?

    Ich vermute ja, dass hier die intellektuelle und emotionale Entwicklung einfach zu weit auseinander klafft. Oder anders formuliert: Es scheint, als sei die intellektuelle Entwicklung der emotionalen vorausgeeilt.

    (Und wie ist das mit den Religionen? “Bad ideas, right species”? ;-))

  32. @Balanus: u.a. Wilson

    “Wie kann der Mensch die Idee des Kommunismus überhaupt gut finden, wenn diese Ideologie seiner Natur im Grunde zuwiderläuft?

    Hat Wilson dafür eine Erklärung parat?”

    Ich habe das Zitat aus Pinkers ‘The blank slate.’ Und da steht weiter nix zu Wilsons Gründen für diese Aussage.

    Die Lektüre hat mich vor knapp 10 Jahren geradezu schockiert, weil ich praktisch 100%ig mit Pinker übereinstimme (also vielleicht noch mehr als mit Dir ;-)). Unter anderem in der dort vertretenen evolutionspsychologischen Hypothese, die Du ja auch einnimmst:

    “Ich vermute ja, dass hier die intellektuelle und emotionale Entwicklung einfach zu weit auseinander klafft. Oder anders formuliert: Es scheint, als sei die intellektuelle Entwicklung der emotionalen vorausgeeilt.”

    Ich glaube, das Problem liegt beim Kommunismus aber noch woanders, nämlich in der Anmaßung, das Gemeinwohl von 7 Milliarden Menschen in der Biosphäre überhaupt zu kennen. Das ist erstens völlig hybrid. Und zweitens ist kein Konzept dieses Gemeinwohls konsensfähig. Damit legitimiert der Kommunismus die Abwertung Andersdenkender bis hin zu deren Unterdrückung und der gewaltsamen Durchsetzung ‘gemeinwohlorientierter’ Politik, im Extremfall mit Gulags, maoistischen Umerziehungslagern oder, in der nationalen Variante unserer deutschen Geschichte, mit KZs.

    (Demokratie institutionalisiert stattdessen Interessenausgleich und Marktwirtschaft ist bottom-up statt hybrid top-down organisiert.)

    “(Und wie ist das mit den Religionen? “Bad ideas, right species”? ;-))”

    Wunderbar, warum bin ich da nicht selbst drauf gekommen!

  33. @ Balanus: Noch ein Wort…

    …zur Hauptsache. Die habe ich gestern vergessen und kann das auch nicht durch Fußballgucken entschuldigen.

    “Wie kann der Mensch die Idee des Kommunismus überhaupt gut finden, wenn diese Ideologie seiner Natur im Grunde zuwiderläuft?”

    Gemeinwohlorientierte Weltbilder wie der Kommunismus bieten natürlich allen Menschen Vorteile gegenüber einer Gesellschaft, in der jeder gegen jeden kämpft. Das macht sie zu guten Ideen.

    Außerdem bieten sie unterschiedliche Vorteile und erlegen unterschiedliche Kosten auf. Die Vertreter des Weltbilds profitieren mehr und zahlen weniger als Mitglieder der out-group. Lafontaines Vorstellung einer gemeinwohlorientierten Gesellschaft unterscheidet sich von der Ackermanns. Das macht sie ebenfalls zu guten Ideen – für ihre Vertreter. Und zu schlechten für die Vertreter anderer Konzepte.

    Die Lösung für dieses Problem besteht darin, den Andersdenkenden die Gemeinwohlorientierung abzusprechen und sie als “Gierbanker”, “korrupte Politiker”, “Pharmalobbyisten” oder “Heuschrecken” zu diskreditieren.

    Ich würde die Attraktivität eines Kommunismus nicht nur in einer Diskrepanz zwischen intellektueller und emotionaler Entwicklung begründet sehen, sondern mehr noch in einer Egozentrik, die nicht imstande ist, die Perspektive zu wechseln und die Sache einmal mit den Augen des Andersdenkenden zu betrachten.

  34. @Jürgen Bolt: Gemeinwohl != Kommunismus

    Markt und Gemeinwohl gibt es in allen Gesellschaftsformen. Gemeinwohldenken mit Kommunismus gleichzusetzen ist jedoch falsch, denn Kommunismus bedeutet viel mehr als den Vorrang des Gemeinwohls: Es bedeutet eine Gesellschaft ohne Privateigentum in der jedem alles oder eben auch nichts gehört. In der Praxis bedeutete Kommunismus auch eine zentrale Planwirtschaft und das widerspricht meiner Ansicht nach wirklich der menschlichen Natur, denn es bedeutet eine ungemeine Verschwendung von menschlichen Ressourcen, wenn nur ein paar wenige festsetzen, was alle anderen zu tun haben.

    Ein Gemeinwohldenken gibt es übrigens sowohl im linken als auch im rechten Lager. Ein gutes Beispiel für ein tendenziell eher im rechten Lager angesiedeltes Gemeinwohldenken manifestiert sich im Kommunitarismus. Im Gegensatz zum Kommunismus ist der Kommunitarismus anti-zentralistisch und anti-internationalistisch.

    Kommunismus, Liberalismus, Kommunitarismus und jede andere denkbare Gesellschaftsform müssen sich meiner Ansicht nach letztlich wirklich an der Natur des Menschen messen. Mein ideales Gesellschaftsmodell emanzipiert möglichst viele Menschen und macht sie frei und glücklich.

  35. Unverständnis @Jürgen Bolt

    Ich wundere mich hier etwas, dass Sie Begriffe aus dem Gemeinwohl-Ökonomie-Buch mit Lafontaines Kommunismus in Verbindung bringen. Gibt es für Sie da nur Schwarz oder Weiß? Ist jeder der den ungebremsten Kapitalismus kritisch sieht gleich ein Kommunist? Und wie würden Sie die 88 Prozent der Deutschen einordnen, die sich eine neue Wirtschaftsordnung wünschen?
    http://www.handelsblatt.com/…rdnung/3518252.html

    Der von Ihnen so enthusiastisch gelobte Kapitalismus hat sich leider nicht ganz so schön weiterentwickelt, wie Sie das aus Ihrer Jugend vielleicht noch kennen. Seit dem Zusammenbruch des Ostblocks hat er kein Gegengewicht mehr und zeigt sich immer ungezügelter. Besonders für den Mittelstand brechen harte Zeiten an, da die “Arm-Reich-Schere” immer mehr auseinanderklafft.
    http://www.tagesschau.de/ausland/usa470.html

    Und weil Bastians Beitrag ja “Marktradikale Pilze: Occupy Waldboden” heißt, möchte ich noch ein Zitat zur Occupy-Bewegung aus der Wikipedia bringen:
    “Die Bewegung prangert die soziale Ungleichheit in den Vereinigten Staaten an und sieht in sich die 99 Prozent der Bevölkerung, „die nicht länger die Gier und Korruption von 1 Prozent der Bevölkerung hinnehmen wird“. Die Kritik richtet sich gegen einen zu starken Einfluss der reichsten Amerikaner auf die Politik und Gesetzgebung (sogenannte Plutokratie) sowie eine zu banken- und wirtschaftsfreundliche Politik. Durch eine friedliche, längerfristige Besetzung der Wall Street sollen entsprechende politische Änderungen bewirkt werden.”
    http://de.wikipedia.org/wiki/Occupy_Wall_Street

    Die Regierung müsste die Stellschrauben also etwas nachjustieren und z.B. gestimmte Transaktionen an den Börsen verbieten. Vor kurzem hat man sich in der EU endlich darauf geeinigt die Spekulationen mit Leerverkäufen einzudämmen, aber das wird wahrscheinlich noch nicht ganz reichen.
    http://derstandard.at/…en-mit-Leerverkaeufen-ein

  36. @Martin Holzherr

    Mein Kommentar hat sich jetzt mit dem Ihren überschnitten, aber ich finde es schön, dass Sie Herrn Bolts Gleichsetzung von Gemeinwohlinteressen mit dem Kommunismus ebenfalls kritisieren.

  37. Wilsons Kommunismus

    Wenn Wilson also die Idee des Kommunismus prinzipiell gut findet, dann denkt er (vermutlich) zuvörderst an die hehren Ziele dieser Ideologie, kurz gesagt das Gemeinwohl, wo keiner den anderen ausbeutet und knechtet, wo es im Grunde so läuft wie bei Pilz und Pflanze: Wer viel liefert, wie etwa Phosphat, kriegt viel Kohle(nstoff). Und vice versa (!), wer viel Kohle liefert, kriegt viel Phosphat. Solche ausgewogenen Verhältnisse von Geben und Nehmen werden von den allermeisten Menschen als gerecht empfunden. Das macht die Idee des Kommunismus zunächst einmal generell attraktiv.

    Vielleicht findet er sogar die Idee gut, dass Ressourcen und Produktionsmittel nicht in private Hände gehören. Solches Privateigentum kann bei einem ausgewogenen Verhältnis von Geben und Nehmen eigentlich auch gar nicht erst entstehen. Das entspräche ja einer einseitigen Anhäufung von Kohle (oder Phosphat), was, wie wir gesehen haben, zumindest bei Pilz und Pflanze nicht funktioniert.

    Aber natürlich finden nicht alle Menschen die Idee des Kommunismus gut, weil sie von gerechter Teilung nichts halten und lieber mehr haben als andere (wegen des Statusgewinns, die Haupttriebfeder menschlichen Schaffens). Vor allem deshalb, so scheint mir, ist der Mensch die falsche Spezies für den Kommunismus, es herrscht einfach keine Einigkeit unter den Menschen in dieser und in vielen anderen Fragen. Was die Menschheit auszeichnet, ihre Variabilität hinsichtlich der Begabungen und Fähigkeiten seiner Individuen, verhindert eine erfolgreiche kommunistische Praxis im großen Stil. Im Kleinen, in der Familie, klappt es mit der Gütergemeinschaft ja meist ganz gut (na ja, eben auch nur meist ;-))

  38. @Martin Holzherr

    Ich stimme Ihnen völlig zu.

    Daß ich mir eine gemeinwohlorientierte Demokratie und Marktwirtschaft wünsche, habe ich in diesem Thread, dachte ich, deutlich genug gesagt. Nun, offenbar nicht. Dann hole ich das hiermit nach. “Um möglichst viele Menschen zu emanzipieren und sie frei und glücklich zu machen.

  39. @Mona

    Ich kann Ihrem dritten und vierten Absatz einigermaßen zustimmen, ihrem ersten und zweiten aber leider nicht.

    Die Frage war ja: “Wie kann der Mensch die Idee des Kommunismus überhaupt gut finden, wenn diese Ideologie seiner Natur im Grunde zuwiderläuft?” – Und ich habe eine Antwort versucht.

    Wenn ich kritisiere, daß Menschen diskriminiert werden, z.B. “Gierbanker”, dann folgt daraus nicht, daß mir ihr Verhalten gefällt. Tut es nicht!

    “Und wie würden Sie die 88 Prozent der Deutschen einordnen, die sich eine neue Wirtschaftsordnung wünschen?” – Ökonomisch und historisch wenig informiert.

    Apropos: Haben Sie das von mir verlinkte Paper ‘The capitalist peace’ gelesen? Einfach, um mal eine andere Perspektive zu gewinnen…

    Ich denke nicht, daß ich die Marktwirtschaft enthusiastisch verteidige, sondern daß Sie sie enthusiatisch angreifen. Ansichtssache.

  40. @Balanus

    Wenigstens einer, der mich versteht. Danke, Bruder!

    Vielleicht verstehst Du auch, warum ich die Analogie, die ja eigentliches Thema dieses Posts ist, weder als Vermenschlichung der Natur noch als naturalistischen Fehlschluß ansehe. Weil nämlich Evolution und Marktwirtschaft vor dem gleichen Problem stehen und die strukturell gleiche Antwort geben.

    Das Problem ist: unter Bedingungen erfolgreich zu sein, die so komplex sind, daß sie nur minimale Antizipation und darauf gründende zielgerichtet verändernde Handlung ermöglichen.

    Die Antwort ist: bottom-up statt top-down organisieren (cranes statt skyhooks, mit Dan Dennetts Worten). Und zweitens keine Teleologie. Weder ist intelligentes Leben das Ziel der Evolution, noch ist Utopia das Ziel der Marktwirtschaft.

    Die Ähnlichkeiten sind also, denke ich, nicht zufällig.

    Daß weder Evolution noch Marktwirtschaft heißt, daß jeder gegen jeden kämpft und sich der stärkere durchsetzt, sollte eigentlich selbstverständlich sein. Und auch, daß wir behutsam versuchen sollten, uns einem Ziel anzunäheren, “möglichst viele Menschen zu emanzipieren und sie frei und glücklich zu machen”. Steht ja auch so in der Unabhängigkeitserklärung der ‘erzkapitalistischen’ USA: “We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness.”

  41. “…all men are created equal…”

    @Jürgen Bolt

    Wenn’s so wäre, hätten wir ja die besten Voraussetzungen für einen funktionierenden Kommunismus.

    Aber sei’s drum, jetzt geht’s noch einmal um den Vergleich Pilz/Pflanze und Mensch/Mensch bezüglich der Mobilisierung von Ressourcen.

    Richtig ist, dass es sich jeweils um geistfreie Prozesse handelt, dass ist nicht der Punkt. Dennoch scheint mir ein qualitativer Unterschied zu bestehen, da ein tierischer Organismus, der Mensch zumal, über ein hochentwickeltes Nervensystem verfügt, dass es ihm, also insbesondere dem Menschen, erlaubt, Wertungen vorzunehmen. Das ist zwar auch nichts weiter als ein mechanischer, deterministischer Hirnprozess, aber in diesem Prozess werden unglaublich viele Informationen verarbeitet. Das geht soweit, dass die beteiligten Individuen sogar eine Vorstellung vom Ziel ihrer Bemühungen und ihres Tuns haben.

    Demgegenüber sind im System Pilz/Pflanze gerade mal zwei, in Worten: z w e i, Zellen beteiligt, in welchen allein aufgrund bestimmter chemischer Signale bestimmte Stoffwechselvorgänge sowie die Abgabe und Aufnahme von Substanzen geregelt werden.

    So faszinierend diese biochemischen Vorgängen ja sein mögen, und das sind sie, keine Frage, aber zwischen diesem zellulären Geschehen und dem Treiben der Zocker an der Börse liegen doch Welten, oder?

    »Weil nämlich Evolution und Marktwirtschaft vor dem gleichen Problem stehen und die strukturell gleiche Antwort geben. «

    Ich würde sagen, die Evolution hat viele Lösungen gefunden, wie Organismen zu ihren lebensnotwendigen Nährstoffen kommen. Die Marktwirtschaft der Menschen ist eine davon (wenn auch eine eher indirekte Lösung, wegen des erworbenen Wissens). Zumindest hier bei uns gibt es inzwischen Nahrung im Überfluss – trotz der ziemlich hohen Individuenzahl.

    »Das Problem ist: unter Bedingungen erfolgreich zu sein, die so komplex sind, daß sie nur minimale Antizipation und darauf gründende zielgerichtet verändernde Handlung ermöglichen. «

    Im Dunkel des Erdreichs ist die Antizipation gleich Null. Ein weiterer fundamentaler Unterschied zu dem, was über der Erde in der Menschenwelt geschieht.

    »Weder ist intelligentes Leben das Ziel der Evolution, noch ist Utopia das Ziel der Marktwirtschaft. «

    Teil 1 des Satzes stimme ich zu, Teil 2 nicht uneingeschränkt.

    Gegen eine Bottom-up-Organisation ist nichts einzuwenden. Aber wir Menschen sind nun mal teleologisch veranlagte Wesen. Wir können doch gar nicht anders, als uns Ziele vorzustellen, auf die wir hinarbeiten. Wie die Marktwirtschaft der Zukunft aussieht, liegt allein an uns. Aber ich gebe zu, hier sind Kräfte am Werk, die sich dem Einfluss Einzelner weitgehend entziehen.

    Deshalb bleibe ich dabei, dass das Science-Paper durch den Versuch, einen rein biochemischen Vorgang mit dem freien Marktgeschehen zu vergleichen, nicht an Qualität gewonnen hat.

    Die Begriffe “cooperation”, “competitive partners”, “higher quality services” und “remunerate” sind aus wissenschaftlicher Sicht schlichtweg unzulässige Übertragungen aus der Sphäre der Menschen auf rein molekulare Prozesse. Und völlig überflüssig dazu, die Ergebnisse der Studie sind auch ohne diesen Vergleich interessant genug.

  42. Nachtrag zu: Cooperation

    Schon allein dieser Begriff wirft Fragen auf.

    Zitat aus der Kiers-Studie:

    The selective forces maintaining cooperation between plants and AM fungi are unknown (3–7).

    Bei Lichte betrachtet handelt es sich nicht um eine Kooperation, sondern um ein gegenseitiges Austricksen. Der eine veranlasst den anderen durch ein Lockmittel (Glukose oder Phosphat) zur Herausgabe des gewünschten Gutes (Phosphat oder Glukose). Weil beide von dieser Trickserei profitieren, ist die Sache über Jahrmillionen hinweg stabil geblieben. Von Kooperation keine Spur!

    (Oder verstehe ich unter Kooperation etwas anderes als der Rest der Menschheit?)

  43. @Balanus

    “Verstehe ich unter Kooperation etwas anderes als der Rest der Menschheit?” Was verstehst Du denn unter Kooperation?

    Bei dem Unterschied zwischen Evolution und Marktwirtschaft gebe ich Dir recht: Marktwirtschaft hat immer ein Element von Planung und Zielsetzung, das in der Evolution nicht vorhanden ist. An dieser Stelle hinkt die Analogie.

    “Im Dunkel des Erdreichs ist die Antizipation gleich Null.” Das sehe ich anders. Gravitative und chemotaktische Wahrnehmung finden statt. Vor allem aber: wenn es ein Lebewesen im Dunkel des Erdreichs gibt, dann ist es ein Nachfahre eines anderen Lebewesens, das sich dort erfolgreich vermehren konnte. Und es kann antizipieren, daß die Strategie seines Vorfahren auch weiterhin erfolgreich sein wird.

    Deshalb erbt es dasselbe Genom.

    Und für den Fall, daß die Umweltbedingungen sich relevant verändern und Antizipation und darauf gegründete Strategie mißlingen, gibt es ein paar Mutationen.

    Auch das ist nicht viel anders als die Vorhersagen unserer Wirtschaftsexperten, z.B. der ‘Fünf Weisen’. Deren Antizipationen bestehen im wesentlichen auch aus Extrapolationen. Solange alles weiterläuft wie gehabt, sind die Prognosen korrekt (aber fast überflüssig), wenn etwas unvorhergesehenes geschieht, z.B. eine Insolvenz von Lehman Brothers, sind sie falsch (wären aber nützlich). Wir stecken hat alle im Dunkel des Erdreichs.

    Der Vorzug der Marktwirtschaft: sie geht von dieser Prämisse aus, gründet auf einem pessimistisch-realistischen Menschenbild. Und nicht auf irgendwelchen Illusionen von weitblickenden, ressourcenschonenden altruistischen Wirtschaftakteuren und -planern. Die gibt es nämlich weder in noch auf der Erde. Und wenn doch, dann stammen sie von anderen Planeten und gehören von den Men in Black observiert.

  44. Ohne Hirn und Verstand @Jürgen Bolt

    “Wir stecken hat alle im Dunkel des Erdreichs. Der Vorzug der Marktwirtschaft: sie geht von dieser Prämisse aus, gründet auf einem pessimistisch-realistischen Menschenbild. Und nicht auf irgendwelchen Illusionen von weitblickenden, ressourcenschonenden altruistischen Wirtschaftakteuren und -planern. Die gibt es nämlich weder in noch auf der Erde.”

    Die Menschen verhalten sich Ihrer Meinung nach also wie Grottenolme. Nur das diese im Gegensatz zum Menschen ihre Lebensgrundlagen nicht mutwillig zerstören. Für was sind wir dann in der Lage zu lernen und vorauszuplanen? Dient wissenschaftliche Forschung nur der Unterhaltung? Warum dürfen wir bestimmte Dinge nicht hinterfragen, versündigen wir uns dann? Ist der Kapitalismus vielleicht eine neue Religion, wie hier behauptet wird:
    http://www.youtube.com/watch?v=62hPZmWtd7U

  45. @Mona: Marktwirtschaft reloaded

    “Für was sind wir dann in der Lage zu lernen und vorauszuplanen?”

    Hatte ich das nicht schon am Anfang dieser Diskussion beantwortet? Um die geradezu paradisischen Verhältnisse zu schaffen, in denen wir leben. “Märchenhaften Wohlstand, hohe Lebenserwartung, fantastische Gesundheitsversorgung, extreme Gewaltarmut”, um mich mal selbst zu zitieren.

    Damit das gelingen konnte, brauchte es ein realistisches Bild von der Natur des Menschen, und das hatten die Humanisten und Aufklärer. Wir sind keine Teufel, die “ihre Lebensgrundlagen mutwillig zerstören” und auch keine Engel, die sich für das Wohl ihrer Mitmenschen oder Umwelt opfern. Wir haben Anteile von beidem. Wir können einige Verhaltensweisen durch Lernen verändern und andere nicht. Wir sind durch Macht korrumpierbar. Wir können die Zukunft besser vorhersehen als Grottenolme aber, abhängig von der Komplexität, immer noch schlecht genug: bei der Wiederkehr eines Kometen gelingt es uns, hunderte Jahre in die Zukunft zu schauen, beim Wetter nicht einmal eine Woche.

    In der Wirtschaft ist es noch schwieriger. Einen Tag nachdem der Sachverständigenrat der Bunderregierung sein diesjähriges Jahresgutachten vorgestellt und darin eine pessimistsiche Prognose für das nächste Jahr präsentiert hatte, wurden die Quartalszahlen für das dritte Quartal 2011 bekanntgegeben, und die lagen – wieder einmal – über den Erwartungen.

    Ich möchte noch einmal das Ende eines Buchs zitieren, diesmal Dan Gardners ‘Future Babble; Why expert predictions fail and why we still believe them anyway’:

    “When Socrates was told that the Oracle of Delphi had deemed him the wisest man in Athens, he was characteristically skeptical. He wandered about, questioning people. He discovered they were as ignorant as he. But unlike everyone else, Socrates knew he was ignorant, and this meant, Socrates decided, that he really was the wisest man in Athens.

    That’s how foxes think. They may eventually be convinced by the evidence that they are somewhat better than others at predicting the future, but only somewhat. As any fox worthy of the name would quickly add, their abilitiy to predict is modest and strictly limited. The world is infinitely complex and the human mind fallible, so the future will forever be uncertain.

    And foxes are just fine with that.”

  46. Antizipation /@Jürgen Bolt

    »Vor allem aber: wenn es ein Lebewesen im Dunkel des Erdreichs gibt, dann ist es ein Nachfahre eines anderen Lebewesens, das sich dort erfolgreich vermehren konnte. Und es kann antizipieren, daß die Strategie seines Vorfahren auch weiterhin erfolgreich sein wird. «

    Unter “Antizipation” verstehe ich die (eher geistige) Vorwegnahme eines kommenden Ereignisses oder Geschehens. Lebewesen mit ausreichend komplexem Nervensystem können gewisse “Vorstellungen”, was die nähere Zukunft betrifft, haben, das heißt, sie können sich ziel- und zweckgerichtet verhalten. Hier würde der Begriff “Antizipation” passen. Aber ohne diese “Vorstellungen”, also bei Pilz und Pflanze, kann man, finde ich, nicht von Antizipation sprechen. Dass die organismischen Vorgänge zweckgerichtet sind, ist m. E. nicht hinreichend.

    »Und für den Fall, dass die Umweltbedingungen sich relevant ändern«, kann man nur hoffen, dass es in der Population genügend Varianten gibt, die damit klar kommen.

    »Der Vorzug der Marktwirtschaft: sie geht von dieser Prämisse aus, gründet auf einem pessimistisch-realistischen Menschenbild. Und nicht auf irgendwelchen Illusionen von weitblickenden, ressourcenschonenden altruistischen Wirtschaftakteuren und -planern. «

    Na, das scheint mir (wie Mona) aber eher ein Nachteil der Marktwirtschaft zu sein, wenn man sich zum Beispiel das Osterinseln-Drama vor Augen hält. Heute befindet sich der gesamte Planet in der exakt gleichen Rolle wie damals die Osterinseln.

    Aber richtig ist, dass man sich da keinen Illusionen hingeben darf, was die globale Zusammenarbeit der Menschen anbelangt.

    Ach ja, Zusammenarbeit auf ein gemeinsames Ziel hin, dass verstehe ich unter Kooperation. Also nicht das egoistische Treiben von Pilz und Pflanze.

    Ich würde auch nicht die Verbreitung von Pflanzensamen durch Tiere als eine Kooperation zwischen Tier und Pflanze bezeichnen.

  47. @Balanus: Worte und Inseln

    “Heute befindet sich der gesamte Planet in der exakt gleichen Rolle wie damals die Osterinseln.” – Das vermute ich auch. Nur kann ich nicht ganz so optimistisch sein, daß stärkere staatlich Eingriffe in die Wirtschaft der Königsweg zur Lösung dieses Problems sind.

    Jared Diamond hat ja in Collapse einige Beispiele von Gelingen und Scheitern von Gesellschaften zusammengestellt. Ich erinnere mich (hoffentlich richtig!) an eine Firma, die penibel auf die Einhaltung hoher ökologischer Standards achtete, weil sie dadurch besser motivierte Mitarbeiter hatte. Das scheint mir nachvollziehbar. Du und ich, wir würden wohl kaum in Firmen arbeiten, die ökologisch gleichgültig sind, Kinderarbeit betreiben oder ähnliche Schandtaten begehen.

    Letztlich kommt es darauf an, die Balance zwischen freier Wirtschaft und staatlicher Intervention von Fall zu Fall gut zu balancieren. Innerhalb einer Marktwirtschaft.

    Was ‘Kooperation’ und ‘Antizipation’ betrifft: ich finde es nicht zielführend, allzu streng mit Begriffen zu sein. Hauptsache man versteht, was gemeint ist. Gegebenenfalls fragt man eben nochmal nach.

    Wenn Du ein besseres Wort für ‘vorstellungslose Antizipation’ hast, werde ich das zukünftig gerne verwenden.

    Jetzt brauche ich aber ein Taschentuch. Werder hat gerade das 0-1 kassiert 🙁

  48. @Jürgen Bolt

    »Was ‘Kooperation’ und ‘Antizipation’ betrifft: ich finde es nicht zielführend, allzu streng mit Begriffen zu sein. Hauptsache man versteht, was gemeint ist. «

    Ja, einerseits, wenn z.B. Philosophen über die (metaphorischen) Begriffe der Hirnforscher meckern. Andererseits kann ein unscharfer Gebrauch von Begriffen aber auch Verwirrung stiften.

    Mit ‘Antizipation’ hast Du also sagen wollen, dass Organismen genetisch darauf programmiert sind, bestimmte Prozesse ablaufen zu lassen, wie das etwa beim Pilz der Fall ist, wenn er von einer Pflanzenwurzel Zucker ergattert. Da gibt es natürlich keinen Widerspruch.

    Beim Begriff ‘Kooperation’ bin ich aber eigen. Entweder ein biologischer Vorgang ist eine Kooperation im Sinne von Zusammenarbeit mit gemeinsamen Ziel, oder eben nicht. Man kann nicht jede Interaktion von zwei oder mehr Teilnehmern als Kooperation bezeichnen, unabhängig davon, welcher Art die Wechselwirkungen sind.

    (Genauso wenig mag ich es, wenn eine beliebige Entwicklung ‘Evolution’ genannt wird)

    »Jetzt brauche ich aber ein Taschentuch. Werder hat gerade das 0-1 kassiert 🙁 «

    Ich hoffe, Dein Vorrat an Taschentüchern war groß genug … 😉

  49. @Balanus: Eigensinn

    “Beim Begriff ‘Kooperation’ bin ich aber eigen.” Kann ich gut mit leben. Eine gewisse Eigensinnigkeit kann ich auch für mich selbst nicht abstreiten.

    Bis zum nächsten Mal.

    PS: Taschentuchvorrat stark dezimiert.

    PPS: Danke für Deine Gastfreundschaft, Bastian.

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