Die Stasi hätte Facebook gefürchtet!

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„Stasi-Experte warnt vor Facebook-Überwachung“ schrieb das Handelsblatt, nachdem ein Interview mit Roland Jahn am Sonntag in der taz erschienen war. Die Aussagen Jahns, der als Bundesbeauftragter für die Stasi-Akten besondere Aufmerksamkeit in Sachen Stasi-Vergleiche genießt, wurden rasch verbreitet. Viele, die schon immer vor Facebook gewarnt haben oder zumindest den Sozialen Netzwerken kritisch gegenüber stehen, verlinkten das teilweise online verfügbare Interview weiter. Motivation: Wenn selbst ein Roland Jahn solche Bezüge herstellt, sollte doch nun wirklich jedem klar werden, wie gefährlich diese neuen elektronischen Freundschaften doch sind.

Doch manchmal ist es sinnvoll, ein Interview bis zum Ende zu lesen. Bereits die taz-Überschrift „Die Stasi hätte Facebook genutzt“ suggerierte bei vielen eine eindeutige Positionierung Roland Jahns gegen Facebook – und schnell ist ein Onlinebeitrag geteilt, schneller jedenfalls als gelesen. Jahn äußerte sich jedoch differenzierter zu Facebook: Die Stasi hätte zwar die Technik hinter Facebook, wäre sie damals verfügbar gewesen, „brutal genutzt“, aber Jahn sagte der taz auch: „Facebook hätte den Untergang der DDR beschleunigt. Wir hätten uns vernetzt und die freien Informationswege genutzt.“ Und was hätte die Stasi wohl mehr gefürchtet als einen schnellen Untergang der DDR?!

Eine Gleichsetzung von Stasi und Facebook lehnt Jahn entschieden ab, da dies den SED-Staat verharmlose. Alles andere wäre auch eine große Überraschung gewesen, denn Jahn weiß als ehemaliger Bürgerrechtler, der aus politischen Gründen inhaftiert und ausgebürgert wurde, wovon er spricht. So manchem engagierten Kritiker, der mit Kampfbegriffen wie „Stasi 2.0“ gegen Datenschutzverletzungen bei Facebook wettert, sollte diese Aussage zu denken geben, denn eine Verharmlosung der DDR-Sicherheitsorgane stellt eine Grenzverletzung dar, die sachorientierte Diskussionen erschwert.

Dabei ist Kritik an Facebook, insbesondere im Hinblick auf den Umgang mit personenbezogenen Daten, gerechtfertigt. Die Voreinstellungen des Netzwerkes setzen beispielsweise die Einwilligung der Nutzer in eine Freigabe ihrer Profildaten voraus, ohne sie explizit gefragt zu haben. Explizit als nicht-öffentlich eingestellte Profile wurden in der Vergangenheit durch Facebook nachträglich veröffentlicht. Auch bei der Löschung von Daten oder Benutzerkonten gab und gibt es Mängel: Facebook speichert Daten auch dann noch, wenn Nutzer diese gelöscht zu haben glauben; eine endgültige Löschung des Kontos wird durch viele, künstlich erzwungene Zwischenschritte erschwert. Verbesserungen im Hinblick auf den Datenschutz sind durch Facebook angekündigt, werden jedoch nur schleppend umgesetzt.

Es besteht jedoch ein wesentlicher Unterschied zwischen staatlich organisierten Datensammelstellen und der Infrastruktur einen Sozialen Netzwerks: Die Teilnahme an Facebook ist freiwillig. Facebook steht in Konkurrenz zu anderen Netzwerken, von denen mindestens eines (Google+) durch ein verbessertes Angebot in Sachen Privatsphäre (Einführung sogenannter Kreise) datenschutzfreundliche Verbesserungen bei Facebook bewirkt hat. Die Kräfte des Marktes unterstützen hier Bestrebungen zum Schutze der Privatheit, sofern diese von der überwiegenden Zahl der Teilnehmer gewünscht wird. Und – nicht zuletzt: Die Daten, die wir Facebook zur Verfügung stellen, müssen nicht objektiv korrekt sein! Wir dürfen uns durchaus als „single“ bezeichnen, wenn wir verheiratet sind; wir können Fotos einstellen, die uns schöner aussehen lassen. Wir können uns als mehrere virtuelle Personen darstellen, die nur im Netz existieren, ohne dass wesentliche Übereinstimmungen mit realen Menschen bestehen müssen. All dies erlaubt die Technik von Facebook,  auch wenn – das muss fairerweise gesagt werden – die Facebook-AGBs hier Einschränkungen vorsehen. Google+ hat inzwischen den Klarnamenzwang ganz aufgegeben, so dass sich jeder als Pseudonym bewegen darf.

Das Internet ist noch immer eines „der freiesten Instrumente, das der Menschheit global bekannt ist“ (Domscheit-Berg), und Facebook ist (trotz seiner Mängel) mit seinen 800 Millionen Mitgliedern zu einem Infrastruktur-Riesen geworden. Facebook ermöglicht es technisch, Meinungen global zu veröffentlichen, sich rasch in Gruppen zusammenzuschließen, sich verdeckt oder offen gegen staatliche Repressionen zu wehren, sich aus unabhängigen Quellen im In- und Ausland zu informieren und Widerstand zu organisieren. Beim Untergang von Ben Alis Regime in Tunesien hat Facebook über die Bereitstellung des Netzwerks hinaus eine aktive Rolle eingenommen, die bis heute wenig Beachtung fand und eine wissenschaftliche Aufarbeitung verdient. Im Januar 2011 kannte das Regime sehr viele Passwörter von tunesischen Facebook-Nutzern, da diese über den unter staatlicher Kontrolle stehenden Internet-Dienstleister mithilfe einer Schnüffelsoftware abgefangen wurden. Facebooks Sicherheitschef Joe Sullivan erkannte die Situation  und reagierte mit zwei Gegenmaßnahmen: (1.) Die Übertragung von Passwörtern zu Facebook wurde per Voreinstellung nur noch verschlüsselt über das sichere TLS-Protokoll vorgenommen. (2.) Die Nutzer mussten beim erneuten Einloggen das Passwort ändern und zuvor einige ihrer Freunde anhand von Bildern identifizieren. Auf diese Weise wurden staatliche Spione aus den Nutzerkonten ausgesperrt.

Wer also Soziale Netzwerke in die Nähe staatlicher Repression rückt, verkennt, welche Merkmale totalitäre Staaten ausmachen: Verbot von ungehinderten Informationszugang, Verbot der Verbreitung von kritischen Meinungsäußerungen, Verbot der Bildung von Gruppen, die nicht unter staatlicher Aufsicht stehen. Es ist daher nachvollziehbar, dass die Nutzung von Facebook in bestimmten Ländern kriminalisiert oder technisch behindert wird: China,  Pakistan, Syrien, Iran und Nord-Korea gehören dazu. Ob die Stasi, existierte sie heute noch, also Facebook nutzen würde? Wahrscheinlich. Ob die DDR Facebook verboten hätte? Mit Sicherheit! Man mag das Geschäftsgebaren und den laxen Umgang mit Nutzerdaten kritisieren, aber man sollte anerkennen, dass Facebook, Twitter und Youtube freie Meinungsäußerung, blitzschnelle Verbreitung von Information und Selbstorganisation oppositioneller Gruppen in autoritären und totalitären Systemen massiv befördern. Soziale Netzwerke lösen vielleicht keine Revolutionen aus, können sie aber auf eine Art und Weise beschleunigen, dass Sicherheitsorganen angst und bange wird.

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”The purpose of computing is insight, not numbers.” (Richard Hamming) Ulrich Greveler studierte in Gießen Mathematik und Informatik, arbeitete sechs Jahre in der Industrie im In- und Ausland, bevor er als Wissenschaftler an die Ruhr-Universität nach Bochum wechselte. Seit 2006 lehrt er Informatik mit dem Schwerpunkt IT-Sicherheit an der Fachhochschule Münster (bis 03/2012) und der Hochschule Rhein-Waal (seit 03/2012). Sein besonderes Interesse gilt datenschutzfördernden Technologien und dem Spannungsverhältnis zwischen Privatsphäre und digitaler Vernetzung.

3 Kommentare

  1. Das ist so ein typischer Blogbeitrag über den ich mich sehr freue. Ein fachmännisch versierter differenzierter und meines Erachtens auch ausgewogener Blick auf die Dinge. Er ist sehr informativ – einiges wußte ich bisher noch nicht – und trägt gut zur Meinungsbildung bei. Facebook scheint ein Rautier zu sein, mit dem man lernen muß umzugehen. Wobei ich nicht bei Facebook bin. Vielleicht kommt das ja noch.

  2. Danke für diesen Beitrag. Überschriften wie „Die Stasi hätte Facebook genutzt“ sind nicht nur historisch inkorrekt, sondern mit ihnen werden in den Köpfen der Leser mit Ängsten und Bildern gespielt. Journalistisch schön reißerisch, um Klickzahlen zu provozieren, inhaltlich gefährlich.
    Ich stimme vollkommen zu, daß Informationsdaten für Unternehmen nur einen Zweck haben: wirtschaftlich sinnvoll. Geraten diese Daten jedoch in staatliche Hände, die sich didaktorisch gebären, sieht die Sache anders aus.
    Spekulativ ist die Frage, wie die DDR-Führung mit dem Sozialen Netz umgegangen wäre. Hätte es überhaupt das Internet so gegeben? Keine Ahnung. Deswegen: Vorsicht mit reißerisch, historisch inkorrekten Überschriften und spekulativen Schlüssen in einer Retromelange.

  3. Man kann ja Facebook auch unter Künstlernamen nutzen. Millionen Leute machen das. Aus Sicherheitsgründen möchte man ja vielleicht nicht alles von sich preisgeben. Außerdem heißt es Facebook und nicht Namebook. Facebook macht jetzt Leuten das Leben schwer, von denen sie meinen, dass Sie nicht ihren amtlichen Namen verwenden. Auf jeder anderen seriösen Business Plattform kann man sich auch mit Künstlernamen anmelden und Eigenmarketing betreiben ohne dass einem ständig der Zugriff gesperrt wird. Vor eben diesem Hintergrund der Stasi-Vergangenheit in der DDR finde ich es geschmacklos und völlig daneben, dass Facebook einen Scan des Ausweises oder eines anderen amtlichen Dokumentes verlangt, wenn der Verdacht besteht, dass man einen Künstler- oder Nickname angegeben hat, obwohl man dieses Netzwerk ganz friedlich nutzt. Es macht keinen Spaß mehr. Mark Zuckerberg, was hast Du Dir dabei gedacht?!

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