Black History Month 2011: Anton Wilhelm Amo der erste schwarze Philosoph an einer deutschen Universität

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Die Sankore Schriften

Seit 1994 erinnert die Universität Halle alljährlich mit dem Anton-Wilhelm-Amo-Preis an Deutschlands ersten schwarzen Philosophen. Anton Wilhelm Amo wurde zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Axim im heutigen Ghana geboren. Sklavenhändler fingen ihn und brachten ihn als vierjähriges Kind an den Hof des Herzogs Anton Ulrich von Wolfenbüttel (1633-1714). Ab 1727 studierte Amo in Halle Philosophie und Jura. 1734 promovierte er in Philosophie, 1737 erhielt er die Lehrberechtigung. Fortan hielt der fünfsprachige Dozent in Jena philosophische und naturwissenschaftliche Vorlesungen. 

Von Wolfenbüttel ließ Amo am 29. Juli 1708 in der Schlosskapelle von Salzdahlum (Salzthal) bei Wolfenbüttel mit seinem Vornamen Anton und dem von seinem Lieblingssohn und Erbprinzen Wilhelm August evangelisch taufen. Nach dem Tod des Herzogs 1714 besuchte Amo eine noch nicht identifizierte Schule neben seiner Tätigkeit als Lakai am Hof von August Wilhelm (1662-1731). Vermutlich machte er in der Ritterakademie in Wolfenbüttel sein Abitur.

Er zog 1727 zum Studium nach Halle und schrieb sich am 9. Juni 1727 in Philosophie und Jura ein. Amo sprach außer Deutsch und Latein, Griechisch, Holländisch und Französisch. Am 28. November 1729 hielt er seine erste Disputation über "De jure maurorum in Europa" („Über die Rechte der Mohren in Europa“), die leider nicht mehr aufgefunden werden konnte. (Der Begriff Mohr ist eine seit dem Mittelalter verwendete Bezeichnung für Menschen mit dunkler Hautfarbe, zum Beispiel historisch in Bezug auf Mauren oder später allgemeiner für Afrikaner. Er wird nur noch selten gebraucht und heute – wegen seiner kolonialen und teilweise rassistischen Verwendung – häufig als negativ empfunden.) Diese Disputation war ein öffentlicher Vortrag mit anschließender Diskussion. Die erste Disputation erfolgte nach zwei vollen Studienjahren und ist mit dem heutigen Bachelor vergleichbar.

Abb.1: Amo-Gedenkstein Inschrift: „Dem Andenken Anton Wilhelm Amos aus Axim in Ghana. Dem ersten afrikanischen Studenten und Dozenten der Universitäten Halle-Wittenberg und Jena 1727 – 1747.“

Amo kritisierte in seiner ersten Disputation die miserable Lage der an vielen europäischen Königs- und Kurfürstenhöfen dienenden Schwarzen, die als Leibgarden und Ausstellungsobjekte für schaulustige Europäer ohne jeglichen Rechtsschutz lebten. Diese Disputation lief fast parallel zu den Protesten der britischen Quäker, die sich 1727 gegen den Sklavenhandel erhoben. Bereits 1671 bezeichnete der Begründer der Quäker, George Fox, die Sklaverei als eine gravierende Verletzung der Menschenwürde. Als Philosoph sah sich Amo zweifellos mit den zentralen Paradoxien der europäischen Aufklärung im Hinblick auf den sündigen Charakter der Sklaverei sowie der Frage der Gesetzlichkeit der Rassendiskriminierung persönlich konfrontiert. Denn der Handel mit Menschen, dem er selbst zum Opfer fiel, war nicht nur mit dem Naturgesetz und den Menschenrechten, sondern auch mit dem Geist des Humanismus und der Vernünftigkeit der Aufklärung unvereinbar. 

Es ist zu bedauern, dass der damalige Kanzler der Universität, Johann Peter von Ludewig (1668-1743), in der November Ausgabe der „Wöchentlich-Hallischen Frage- und Anzeigungs-Nachrichten“ lediglich auf die Disputation mit folgender lapidarer Bemerkung verwies: „Wie weit den von Christen erkauften Schwarzen in Europa ihre Freiheit oder Dienstbarkeit denen üblichen Rechten nach sich erstreckt?“ Diese ironische Bemerkung entsprach allerdings der Meinung vieler europäischer Gelehrter.

Amo selbst bezeichnete das Disputieren als eine Kunst der Verteidigung der Wahrheit:

„Die Disputation ist ein feierlicher Akt, in welchem die im reflexiven Geistesakt gefundene Wahrheit gegen die durch urteilsgemäße Begründung erhobenen Einwände und Zweifel um der stärkeren Festigung der Wahrheit willen gediegen und öffentlich verteidigt wird.“

Traktakt, Kap. III, Abschn. I, § 1, S. 270. 

1730 verließ Amo Halle und zog nach Wittenberg. Dort studierte er Physiologie, Pneumatologie (heute Psychologie) und Medizin. Am 17.10.1730 erlangte Amo seinen Magister in Philosophie und den Freien Künsten. August Wilhelm war bei der Verleihung der Urkunde anwesend. Nach dessen Tod 1731 behielt sein Bruder und Nachfolger Ludwig Rudolf (1671-1735) den Kontakt mit Amo bei. 1733 erlangte Amo einen weiteren Magister in den Naturwissenschaften.

Unter dem Einfluss mechanistischer und atomistischer Methodenreflexionen neigte sich Amo dem materialistischen Denken zu und grenzte sich dabei vom Idealismus ab, wie in seiner Doktorarbeit von 1734 über „De humane mentis apatheia“ („Das Leib-Seele Problem“) dokumentiert ist. Der Materialismus ist eine philosophische Denkrichtung, die das Wesen der Dinge aus sich selbst begreift und die Ursachen dieser aus ihren eigenen Urelementen herleitet. Danach geht die Materie dem Geist oder dem Bewusstsein voraus. Der Idealismus hingegen behauptet den Vorrang des Geistes oder des Bewusstseins vor der Materie oder der Natur. Der Idealismus war seit Johann Christoph Friedrich von Schiller (1759-1805) die wichtigste Denkströmung  in Deutschland. In Anlehnung an den Rationalismus entwickelte Amo eine eigene materialistische Position, ohne jedoch dem Atheismus und dem radikalen Empirismus zu verfallen.

Unter seinem Vorsitz erfolgte die Disputation von einem Studenten namens Johannes Theodosius Meiner am 29.5.1734 in Anwesenheit von Ludwig Rudolf. Als Ludwig Rudolf 1735 verstarb, hatte Amo offenbar keine Verbindung mehr zum Wolfenbütteler Hof. Er kehrte im selben Jahr abermals nach Halle zurück und reichte zwei Jahre später eine Schrift mit dem Titel "Tractatus de arte sobrie et accurate philosophandi" („Traktat über die Kunst, nüchtern und sorgfältig zu philosophieren“) ein, die eine systematische Darstellung seiner in Halle gehaltenen wichtigsten Vorlesungen zusammenfasste. Diese Schrift berechtigte ihn zur selbstständigen Lehrtätigkeit, da es damals noch keine Habilitation in Preußen gab.

Die Habilitation wurde in Preußen erst 1819 eingeführt. Die Bezeichnung Privatdozent geht allgemein auf 1810 zurück. Bezeichnet sich Amo als Magister Legens der freien Künste, so ist dies nicht mit dem heutigen Hochschulabschluss Magister Artium (M.A.) zu verwechseln ist. Der Magister war ein zur Lehre an Universitäten berechtigter Dozent, den man üblicherweise Universitätslehrer oder Privatlehrer nannte. Heute sind es Privatdozenten. Sie verlieren diese Bezeichnung, sobald sie den Professorentitel offiziell tragen dürfen. Auch Christian Wolff (1679-1754) diente als Privatlehrer, bis er 1710 zum Ordinarius der juristischen Fakultät der Universität Leipzig berufen wurde. Heute können unberufene Privatdozenten zu außerplanmäßigen Professoren ernannt werden. Anton Wilhelm Amo wäre vielleicht in der heutigen Zeit, aufgrund seiner in Halle erworbenen Lehrberechtigung, zum außerplanmäßigen Professor ernannt worden. Am 6. Juli 1737 wurde ihm die Lehrberechtigung, einer Art venia docendi, für das Fach Philosophie erteilt. 1738 veröffentlichte er den Traktat in Halle.

Abb.2: Amo Denkmal in Halle/Saale Von Anton Wilhelm Amo existiert kein Porträt. Im Jahr 1965 widmete die Universität Halle dem Gedenken A.W. Amos eine Bronzeplastik, eine Afrikanerin und einen Afrikaner nebeneinander stehend, nach einem Entwurf von G.Geyer. Die Statuen stehen noch heute auf einer Rabatte in der Nähe des neuen Juridicum und des Franz-von-Liszt-Hauses.

Damals war in Halle die Philosophie nicht nur durch die Rivalitäten zwischen Cartesianern und Leibnizianern, sondern auch durch zwei einander bekämpfende Doktrinen geprägt:  dem aufgeklärten Säkularismus unter Christian Wolff (1679-1754) einerseits, die Vernunft und den Kult Gottes zu verbinden und damit den religiösen Glauben rational zu begründen suchte, und dem Pietismus andererseits. Amo wurde zwar vom erkenntnistheoretischen Rationalismus stark beeinflusst, neigte gleichwohl dem Sensualismus zu, da er beide Positionen für die Begründung und Demonstration der Wahrheit für geeignet hielt.

Er erklärte dies mit dem Argument, dass mit der Empfindung die kausalen Zusammenhänge der durch die Sinne wirklich erfassten Dinge erklärbar sowie die notwendige Verknüpfung von Ursachen mittels der Vernunft, d.h. mit begründeten Argumenten, reflektierbar sei. Die Wolffsche Schule, die ihre ursprüngliche Wirkungsstätte in Halle hatte, verfolgte zwei wesentliche Ziele, nämlich den strengen Methodismus zwecks Wissenschaftlichkeit und die Verbreitung der Philosophie durch Populärformen wie Konversationen etc. Der Rationalismus war in der Frühaufklärung die dominanteste Geistesrichtung, und selbst Amo bezeichnete ihn als das wirksamste Mittel gegen den autoritären Klerikalismus und Feudalismus.

1739 ging Amo nach Jena und lehrte dort an der Universität weiter, bis er spurlos verschwand. Sieben Jahre später wendete sich Amo an die Holländisch-Westindische Gesellschaft mit der Bitte, ihm die Rückreise nach Ghana zu ermöglichen. Diesem Gesuch wurde stattgegeben und Amos Schiff verließ Rotterdam am 20. Dezember 1746. Im  Januar 1747 erreichte er Ghana und laut manchen Quellen waren sein Vater und eine Schwester noch am Leben. Wann Amo starb, bleibt wiederum ein Rätsel. 1782 wurde er in den Erinnerungen eines Schweizer Schiffsarztes im Dienst einer holländischen Rederei namens David Henrij Galandat genannt, der Amo 1752 traf und über das armselige Leben Amos in Ghana berichtete. Diesem Bericht zufolge wurde Amo Anfang 1750 in die Holländische Festung San Sebastian gebracht, starb aber vermutlich 1759 in der Festung Chama. Im September 2008 besuchten die afrodeutschen Filmemacher Mo Asumang und John A. Kantara auf Einladung des Goethe-Instituts und des W.E.B. DuBois Institute for African and African American Research (Harvard University) Ghana. Dabei besuchten sie auch das Grab von Amo in Shama.

Danksagung

Mein besonderer Dank gilt Prof. Dr. Dr. Jacob Mabe, dem Präsidenten der Anton-Wilhelm-Amo-Gesellschaft, für die Verwendung seines Vortragsmanuskripts und seine tatkräftige Unterstützung bei der Recherche. Zusätzlich danke ich Gaston Ebua von Amo Books für die Bilder die er für diesen Artikel zur Verfügung stellte.

Wanderausstellung

Eine Wanderausstellung über Amo kann beim Verein „Für ein buntes Miteinander e. V. “ in Wittenberg ausgeliehen werden. 

Weiterführende Links

Anton-Wilhelm-Amo-Gesellschaft e.V. (AWAG)

Literatur von und über Anton Wilhelm Amo im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek

Amo Books

Prof. Dr. Dr. Jacob Mabe

Prof. Dr. Maisha-Maureen Eggers

Weiterführende Literatur

Burchard Brentjes: Anton Wilhelm Amo. Der schwarze Philosoph in Halle; Leipzig (Koehler & Amelang) 1976.

W. Suchier. A.W.Amo. Ein Mohr als Student und Privatdozent der Philosophie in Halle, Wittenberg und Jena, 1727-1740. Akademische Rundschau 4 Jg. Heft 9/10 Leipzig 1916

Monika Firla: Anton Wilhelm Amo ( Nzema, Rep. Ghana ). Kammermohr – Privatdozent für Philosophie – Wahrsager. In: Tribus 51. 2002.

Anton Wilhelm Amo: Traktat von der Kunst, nüchtern und sorgfältig zu philosophieren, übers. Von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle (Saale) 1965, Spezieller Teil, Kap. IV, § 5, S. 217.

Yawovi Emmanuel Edeh: Die Grundlagen der philosophischen Schriften von Amo. Essen 2003. (Dissertation im Fach Philosophie).

Kulturstadt Wolfenbüttel e.V. (Hrsg.) Anton Wilhelm Amo – Ein Schwarzer am Wolfenbütteler Hof, Wolfenbütteler Barockjahr 2006, Ausstellungsheft Nr. 6, Wolfenbüttel 2006, 4

Jacob Mabe: Wilhelm Anton Amo interkulturell gelesen. Verlag Traugott Bautz. Mitte 2007.

B. Brentjes Burchard. 250 Jahre Anton Wilhelm Amo, Asien, Afrika, Lateinamerika Jg. 5 (1977) S. 785-789.

W. Suchier. Weiteres über den Mohren Amo. Altsachsen. Zeitschrift des Altsachsenbundes für Heimatschutz und Heimatkunde, Nr. 1/2 Holzminden 1918

Brentjes, Burchard.  "Anton Wilhelm Amo, First African Philosopher in European Universities." Current Anthropology (September 1975).

Heckmann, Hannelore. Anton Wilhelm Amo (ca. 1707-ca. 1756): On the Reception of a Black Philosopher, XXIII. 149-158.

Antonius Gvilielmus Amo Afer of Axim in Ghana : student, doctor of philosophy, master, and lecturer at the Universities of Halle, Wittenberg, Jena, 1727-1747 :translation of his works / [editor, English volume Dorothea Siegmund-Schultze ; translated by Leonard A. Jones, assisted by Hans Kirsten, Reinhard Koch, Dietmar Schneider, translation of the "Disputation" and the "Dissertation"  have been contributed by William E. Abraham]. Published/Created:  Halle (Saale) : Martin Luther University Halle-Wittenberg, 1968.

Dr. Christine Damis – "Le philosophe noir: Anton Wilhelm Amo". erscheint in: Rue Descartes. Identité, altérité et institutions: devenirs de la philosophie africaine.

Abraham, W., "The Life and Times of Wilhelm Anton Amo," Transactions of the Historical Society of Ghana, 7 (1964), pp. 60-81

Sephocle, Marilyn. 1992. Anton Wilhelm Amo. Journal of Black Studies. 23: 182-187.


Bildnachweis

Abb.1: Amo-Gedenkstein

Abb.2.: Amo-Denkmal in Halle/Saale

Quelle: Amo Books

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Veröffentlicht von

Joe Dramiga ist Neurogenetiker und hat Biologie an der Universität Köln und am King’s College London studiert. In seiner Doktorarbeit beschäftigte er sich mit der Genexpression in einem Mausmodell für die Frontotemporale Demenz. Die Frontotemporale Demenz ist eine Erkrankung des Gehirns, die sowohl Ähnlichkeit mit Alzheimer als auch mit Parkinson hat. Kontakt: jdramiga [at] googlemail [dot] com

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