Von Röntgenstrahlen, Nobelpreisen und anderen Schandtaten

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Zwischen Molekularbiologie und Medizin
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Seit 1901 werden jährlich die Nobelpreise an Wissenschaftler vergeben, die auf ihrem Gebiet außerordentliche Forschungsarbeit geleistet haben. Blickt man die letzten 110 Jahre zurück, so wird einem bewusst, dass man die Erkenntnisse, die über die Jahrzehnte von den Nobelpreisträgern erlangt wurden, schon fest in den Lehrbüchern verankert sind und man sie selbst einmal für Prüfungen und Klausuren lernen musste. Das letzte Jahrhundert dürfte somit das erkenntnisreichste überhaupt gewesen sein, da der technologische Fortschritt und eine endlos scheinende Fachspezialisierung vieles möglich machten. Die Ära der Fachidioten ist also schon längst eingeleutet und sie ist dafür verantwortlich, dass auf immer kleineren Skalen vorgedrungen wird und mittlerweile jedes noch so kleine Detail erforscht werden kann. Dieses und viele andere Phänomene werden jedes Jahr in Lindau beim Nobelpreisträgertreffen auf´s Neue erörtert. Wissenschaftler blicken dabei zurück und natürlich auch nach vorn. Dieses Jahr zum 61. Mal.

 
Damals Anfang des 19. Jahrhunderts war noch alles ein bischen anders – Wissenschafter waren hauptsächlich noch Allround-Talente und forschten mal hier, mal da. Nur so schien es möglich, dass Alfred Nobel z.B. – der Namensgeber des Nobelpreises – rund 355 Patente sein Eigen nennen konnte. Er starb im Jahr 1896 und hatte vielleicht noch mitbekommen, was Wilhelm Conrad Röntgen da 1895 auf die Schliche kam – nämlich den Röntgenstrahlen – für deren Entdeckung er mit dem ersten Physik-Nobelpreis 1901 völlig zurecht geehrt wurde. Nicht nur revolutionierte er mit den nach ihn benannten Strahlen die medizinische Diagnostik, trug zur Entdeckung der Radioaktivität und zur Entwicklung von Bildgebungsverfahren bei, nein, er leitete damals schon die heutige Genomforschung ein, der im Jahr 1962 ein Riesendienst erwiesen wurde. Schließlich ging zu dieser Zeit der Medizin- und Physiologie-Nobelpreis an James Watson, Francis Crick und an Maurice Wilkins ging, die mit Hilfe von Röntgenstrukturanalysen die Struktur der DNA entschlüsselten und so den Wissenschaftlern den Weg in eine völlig neue Dimension ebneten – in die der Gene. Sie ist in der Wissenschaft mittlerweile schon längst zur Standardmethode geworden, um Proteinstrukturen aufzulösen und Röntgen trug einen entscheidenden Teil dazu bei.
 

 

  Abb.1.: Röntgens famose erste Röntgenaufnahme der Hand seiner Frau mit Ringen, die am 22.12.1895 erstellt wurde (Quelle: Wikipedia)
 
 
Wilhelm Röntgen wusste damals, was er da tatsächlich am physikalischen Institut der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg entdeckt hatte, ganz im Gegensatz zu anderen Wissenschaftlern, die zwar schon vor ihm Röntgenstrahlung erzeugten, sich dessen aber nicht bewusst waren. Ein paar Wochen nach der Entdeckung erschien deswegen von ihm Ende Dezember 1895 dazu die erste Publikation namens "Über eine neue Art von Strahlen", die kaum zwei Monate später in eines der heutzutage wichtigsten medizinischen Fachzeitschriften – dem New England Journal of Medicine – richtigerweise als "one of the most significant scientific advances for medicine of modern times" ("eine der wichtigsten wissenschaftlichen Fortschritte für die Medizin der Neuzeit") bezeichnet wurde.

In der Tat war die Entdeckung so spektakulär, dass ihr andere Wissenschaftler indirekt die Verleihung des Nobelpreis zu verdanken haben. Die Chemie-Nobelpreise aus den Jahren 1936 und 1964; die Physik-Nobelpreise aus den Jahren 1914, 1915, 1917, 1924 und die für Medizin und Physiologie aus 1946 und 1962 hatten allesamt direkt mit der Röntgenstrahlung zu tun und noch viele mehr wurden durch diese Entdeckung mal mehr und mal weniger beeinflusst. Es ist natürlich klar, dass Forschungsarbeiten immer auf den zuvor erlangten Erkenntnissen beruhen, aber trotzdem ist Wilhelm Röntgen etwas Besonderes und durchaus ein Rockstar in der Wissenschaftsgemeinde, obwohl er eigentlich ein ruhiger und introvertierter Mensch war. Die Entdeckung und richtige Einschätzung der Röntgenstrahlen musste schließlich unter den damaligen Bedingungen auch erst einmal richtig über die Bühne gebracht werden und er began damit, egal wie man es dreht und wendet, das bisher erkenntnisreichste Jahrhundert, das wohlmöglich so erst möglich gemacht wurde, einzuläuten. So stellt Röntgens Erbe eines der größten Meilensteine der Wissenschaft dar und macht aus ihm ganz klar einen Pionier des Fortschritts.

Wie wird unsere Welt in 20, 30 oder 50 Jahren sein, wenn dieser Fortschritt immer schneller wird? Wie wird dann der Status Quo der Wissenschaft aussehen und besonders, was entdeckt man bis dahin noch?

Eine Prognose fällt schwer, aber betrachtet man, was die "Röntgenstrahlen-Revolution" ausgelöst hat, kann man sich vorstellen, wie alles durch eine neue Entdeckung auf den Kopf gestellt werden kann. Zukunftsweisend dürften durchaus ein paar Forschungsarbeiten sein, die in den letzten 10 Jahren mal hier und mal da durch einen Nobelpreis ausgezeichnet wurden und denen in der Schnittstelle zwischen Biologie und Medizin bereits heute einiges an Bedeutung zukommt. Die Rede soll hier jetzt aber nicht von den üblichen Verdächtigen, wie RNA-Interferenz, Gentherapie, Stammzellen oder der Epigenetik sein, sondern in den Fokus sollen nun auch mal Peptide, Ubiquitinierungen und grün fluoreszierenden Proteine geraten, über die man vielleicht nicht immer so viel hört.

Ein immer wieder thematisiertes Problem der Medizin besteht nicht erst nach der jüngsten E.coli-Seuche aus den auftretenden bakteriellen Resistenzproblemen. Bakterien scheinen immer resistenter gegenüber Antibiotika zu werden, was durchaus auf deren Missbrauch zurückzuführen ist. Weltweit werden diese Art von Medikamente nämlich nicht immer rezeptpflichtig herausgegeben und so kommt es vor, dass Menschen sich mit ihnen falsch therapieren, da sie vorher keinen Arzt konsultieren müssen. Dies kann eine allgemeine Resistenzbildung fördern und wird auch von der Weltgesundheitsorganisation immer wieder auf´s Neue als Diskussionsthema angestoßen. Dieses Jahr z.B. wieder zum Weltgesundheitstag am 7. April. Dehnt sich dieser Missbrauch weltweit aus, ist es klar, dass Mikroben langsam die "Überhand" gewinnen und Menschen in Panik ausbrechen, da sie glauben, es würde keine Nachschub an neuen Antibiotikaklassen mehr geben, die uns zukünftig vor den noch resistenteren Bakterien schützen könnten.

Die Forschung steht aber bekanntlich niemals still und so gibt es bereits heute Alternativen zu Antibiotika, die sich als antimikrobielle Peptide (AMPs) bezeichnen und die aus kurzen Aminosäureketten bestehen. Sie scheinen Bakterien so gut bekämpfen zu können, dass sogar der härteste unter ihnen – der multiresistente Krankenhauskeim Staphylococcus aureus (MRSA) – Paroli geboten werden kann. Das Tolle daran ist, dass unser Immunsystem solche AMPs von ganz allein produziert, da sie zur Abwehr von Mikroorganismen auf Haut und Schleimhäuten unverzichtbar sind, doch Wissenschaftler können sich deren Strukturen am Computer ansehen und sie so verändern und verbessern, dass damit die therapeutische Alternative zu Antibiotika unendlich scheint. Eine Revolution in der Medizin scheint daher möglich.

 

 Abb.2.: Antimikrobielle Peptide binden aufgrund starker elektrostatischer Kräfte an bakterielle Zellwände, dringen so in Bakterien ein und zerstören sie dann auf vielfältige Weise, wie etwa durch Behinderung spezieller bakterieller Stoffwechselwege (Quelle: Wikipedia)
 
 
Eine andere spannende Geschichte dreht sich um Ubiquitinierungen. Ein lustiges Wort unter dem man die Anheftung eines Signals an ein Protein versteht, durch welches es spezifisch abgebaut oder auch recycled werden kann, wenn es nicht mehr gebraucht wird. Durch das 1000-Genom-Projekt wissen wir, dass der Mensch durchschnittlich 250-300 defekte Gene in sich trägt, die möglicherweise krankheitsfördernd wirken können. Betrifft dies etwa Gene, die für Proteine des Zellzykluses codieren und somit an der Vermehrung von Zellen beteiligt sind, kann Krebs gefördert werden, da durch kaputte Gene falsch gefaltete Eiweißmoleküle geformt werden, die oftmals ihrer richtigen Funktion nicht mehr nachkommen. Kein Wunder also, dass man diesem gestörten Gen-Protein-Netzwerk ein spezielles Interesse zukommen lässt, da man schließlich das Risiko einer Erkrankung bei Menschen minimieren möchte. Dabei sind kaputte Gene wesentlich schwerer zu behandeln und so schaut man, wie man am effektivsten die durch sie entstandenen kaputten Proteine beseitigen kann.
 

 Abb.3.: Proteine (hier als "Substrate" bezeichnet) können auf unterschiedliche Weise ubiquitiniert (kleine dunkelgrüne Kugeln) werden (Quelle: Wikipedia)
 
 
Die Entdeckung dieses Mechanismus, dem sich unser Körper – wie bei den Peptiden – von ganz allein widmet, erhielt 2004 den Nobelpreis für Chemie und die beteiligten Wissenschaftler sorgten dafür, dass wir heute das Ubiquitin-Proteasom-System (UPS) kennen, welches neben dem gezielten Abbau von Proteinen auch noch an deren Stabilität und Interaktionen untereinander beteiligt ist. Funktioniert es an einer Stelle nicht mehr richtig, können aufgrund von enzymatischen Fehlregulationen vielfältige neurologische und immunologische Störungen auftreten und einen Menschen zudem infektionsanfälliger machen. Dazu kommt natürlich noch das Krebsrisiko.

Erste klinische Tests mit Medikamenten, die ein dereguliertes UPS versuchen wieder ins Lot zu bringen, laufen bereits und könnten ebenfalls in Zukunft eine wichtige Rolle in der Medizin spielen. Nicht zuletzt scheint ein dereguliertes Ubiquitin-Proteasom-System beim Ausbruch von Alzheimer beteiligt zu sein – Eine Krankheit, die bisher nicht therapiert werden kann und deren genaue Ursache bis heute immer noch nicht richtig aufgeklärt ist.

Kommen wir nun zum letzten Punkt, dem grün fluoreszierenden Protein (GFP), dessen Entdeckung in den 60er Jahren 2008 mit einem Nobelpreis ausgezeichnet wurde und welches – mittlerweile auch noch in weiteren Farben verfügbar – aus der Biologie nicht mehr wegzudenken ist. Es handelt sich dabei um ein Protein, dass in vielen Varianten in marinen Organismen vorkommt und sich in der Biologie dazu eignet, Proteine auf ihrem Weg durch eine Zelle oder durch ein Lebewesen sichtbar zu machen. Möchte man ein bestimmtes Protein von Interesse untersuchen und gucken, was es in einer Zelle so macht und in welchen Gegenden es sich aufhält, bringt man hinter dessen Gensequenz im Erbgut, die für dieses Protein codiert, das Gen für das fluoreszierende Protein ein, damit so beim Ablesen des Erbguts ein Fusionsprotein entsteht. Dieses besteht dann aus dem zu untersuchenden Protein und dem, welches jetzt unter dem Fluoreszenzmikroskop zum leuchten angeregt werden und so gleichzeitig zurückverfolgt werden kann. Dieses sogenannte "GFP-Imaging" ist eine übliche Standardmethode und ermöglicht durch eine in diesem Jahr erst erschienene Publikation eine völlig neue Anwendung: Es kann lebende Zellen dazu veranlassen zu einem Laser zu werden

 

Abb.4.: Leuchtende Bakterien, die insgesamt 8 verschiedene fluoereszierende Proteine herstellen und ein Gesamtkunstwerk ergeben (Quelle: Wikipedia)
 
 
Dazu brachten die Wissenschaftler eine stärker leuchtende Variante des GFPs, das sogenannte eGFP (enhanced GFP), in Nachkommen embryonaler Nierenzellen ein, setzten eine davon zwischen zwei Spiegeln, die 20 Mikrometer auseinanderlagen und als optischer Resonator agierten. Anschließend beleuchtete man sie mit einem Laser, welcher blaue Lichtpulse aussendete, woraufhin die Zelle dieses Licht absorbierte, das eingebrachte GFP zum Fluoreszieren anregte und diese emittierte Fluoreszenz zwischen den Spiegeln so amplifiziert wurde, dass ein gebündelter Lichtstrahl entstand. Der erste lebende biologische Laser war geboren. Erstaunlicherweise überlebten die Zellen dieses Prozedere und mittlerweile träumt man davon, dass durch diese Methode das Innere einer Zelle und sogar ganzer Organe untersucht werden kann, da das emittierte Licht für das jeweils untersuchte Objekt charakteristisch ist und so Hinweise auf mögliche Krankheiten geben könnte. Alles noch Zukunftsmusik, aber die Photonik hat nun eine völlig neue Dimension aufgestoßen mit der es mal möglich sein wird, ein völlig neues Bildgebungsverfahren zu entwickeln.

Schon erstaunlich, was man alles anstellen. Da fällt es dann doch nicht ganz so leicht, sich die Zukunft vorzustellen oder?

 

 


Quellen: 

  • Malte C. Gather, Seok Hyun Yun. Single-cell biological lasers. Nature Photonics, 2011; DOI: 10.1038/nphoton.2011.99
  • An Allosteric Inhibitor of the Human Cdc34 Ubiquitin-Conjugating Enzyme; Ceccarelli, Derek F.; Tang, Xiaojing; Pelletier, Benoit; Orlicky, Stephen; Xie, Weilin; Plantevin, Veronique; Neculai, Dante; Chou, Yang-Chieh; Ogunjimi, Abiodun; Al-Hakim, Abdallah; Varelas, Xaralabos; Koszela, Joanna; Wasney, Gregory A.; Vedadi, Masoud; Dhe-Paganon, Sirano; Cox, Sarah; Xu, Shuichan; Lopez-Girona, Antonia; Mercurio, Frank; Wrana, Jeff; Durocher, Daniel; Meloche, Sylvain; Webb, David R.; Tyers, Mike; Sicheri, Frank; Cell, volume 145 issue 7 pp.1075 – 1087, doi:10.1016/j.cell.2011.05.039
  • Riederer, Beat M, Leuba, Genevieve, Vernay, Andre, Riederer, Irene M, The role of the ubiquitin proteasome system in Alzheimer’s disease, Exp. Biol. Med. 2011 236: 268-276, doi: 10.1258/ebm.2010.010327
  • The 1000 Genomes Project Consortium. A map of human genome variation from population-scale sequencing. Nature, 2010; 467 (7319): 1061 DOI: 10.1038/nature09534
  • X-Rays – Report of the Surgeon-General United States Navy – Medical Notes, 1896, The Boston Medical and Surgical Journal, P. 174-178, V. 134, N. 7, doi:10.1056/NEJM189602131340707

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Sebastian Reusch ist Naturwissenschaftler und studierte Biologie mit den Schwerpunkten Zell- und Entwicklungsbiologie, Genetik und Biotechnologie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Danach arbeitete er am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin an molekularbiologischen Prozessen des Immunsystems. Derzeit promoviert er am IRI Life Sciences der Humboldt-Universität zu Berlin an grundlegenden Fragen der Zellbiologie und Biochemie des Tubulin-Zytoskeletts in Stammzellen. Seine Schwerpunktthemen hier im Blog sind Molekularbiologie und Biomedizin. Twitter: @MrEnkapsis

4 Kommentare

  1. @Sebastian

    “Wilhelm Röntgen etwas Besonderes und durchaus ein Rockstar in der Wissenschaftsgemeinde, obwohl er eigentlich ein ruhiger und introvertierter Mensch war.”

    Unter Physikern gründet seine Popularität darin, daß Röntgen nach seiner Entdeckung dazu gedrängt wurde, sich Rechte und Patente an allen möglichen X-ray-Anwendungen sichern zu lassen, aber Röntgen daraufhin nur trocken entgegnete: “Ich bin Physiker – und kein Krämer.”.

    Das ist der Grund, warum sich X-ray so schnell ausbreiten konnte und heute auch inn der 3. Welt recht billig verfügbar ist: Weil einer im richtigen Moment nicht an sich selbst gedacht hat.

  2. @Joe

    Wie immmer interessante Neuigkeiten aus der Forschung

    Auf jeden Fall, aber der Publikationsflut kann man garnicht mehr hinterherkommen und so fallen viele interessante Sachen leider unter den Tisch.

    aber aus dem Stoff hättest Du vier Blogartikel machen können…..

    Ach, manchmal muss man halt einen raushauen. Hast du ja auch schon oft gemacht ^^

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