Gehirn kaputt dank Chemotherapie

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Zwischen Molekularbiologie und Medizin
Enkapsis
Medikamente die während einer Chemotherapie verabreicht werden, nennt man Zytostatika und sie bewirken als Zellgifte, dass Krebszellen nach einer gewissen Behandlungszeit anfangen abzusterben. Dabei greifen diese Wirkstoffe in den Stoffwechsel- und in die Zellteilungsvorgänge ein, die nicht nur in den malignen Zellen stattfinden, sondern sie können auch gesunde Zellen des Körpers schädigen, die sie über das Blut erreichen. Aus diesem Grund können bei einer Chemotherapie so viele Nebeneffekte wie Haarausfall, Erschöpfung, Übelkeit, Blutarmut oder auch ein erhöhtes Infektionsrisiko ausgeprägt werden. Die meisten dieser Symptome verabschieden sich nach Beendigung der Chemotherapie allerdings wieder, manche können aber für den Rest des Lebens bleiben oder sich gar erst Jahre später nach Therapie äußern. Beispiele dafür wären Unfruchtbakeit, Zweittumore, Depression, Lungenemphyseme oder gar ein sogenanntes "Chemobrain", welches bei mir auf der krasse-Langzeiteffekte-von-Chemotherapien-Liste ganz oben steht.

Unter einem Chemobrain, welches in der Fachsprache "Post-chemotherapy cognitive impairment" oder auch PCCI genannt wird, versteht man eine kognitive Beeinträchtigung, die auf neurotoxische Effekte einer Chemotherapie zurückzuführen ist, da Zystostatika eben auch Zellen im Gehirn schädigen können. Dies kann dazu führen, dass ehemalige Krebspatienten sich schwerer an Sachen erinnern und sich nicht mehr richtig konzentrieren können oder auch über eine verkürzte Aufmerksamkeitsspanne als noch vor der Therapie verfügen. Es wurde aber auch schon über Phasen von allgemeiner Verwirrtheit bis hin zu Gedächtnisschwund berichtet.

Das alles hört sich nicht schön an, ist aber eine mögliche Konsequenz einer Chemotherapiebehandlung, die mittlerweile durch einige Studien erhärtet wurde. Obwohl über diese Effekte schon seit den 70er Jahren regelmäßig berichtet wurde, ging die systematische Untersuchung dieses Phänomens erst in den letzten 10 Jahren los und somit steckt man noch in den Kinderschuhen, wenn es um die Erforschung des Chemobrains geht. Nicht zuletzt, da es sehr schwer ist diese Effekte aufgrund einer Behandlung mit gewissen Zystostatika direkt zu beweisen. Es ist aber nicht unmöglich und so ist man weiterhin in einer Phase, in der man den genauen Auslöser des Chemobrains sucht, wenn es nicht gleich mehrere sind. Man weiß aber, dass eine Chemotherapie die Sinne beeinflussen kann, nicht aber auch muss. Anfang 2000 wurde beispielsweise bei "nur" 16-50% ehemaligen Brustkrebspatienten eine kognitive Störung festgestellt. Man muss auf jeden Fall von Krebsart zu Krebsart unterscheiden und untersuchen, welche Zytostatika in welcher Kombination und in welcher Dosis neurotoxische Effekte aufweisen.

Nun könnte man sich fragen, wieso man eine Chemotherapie überhaupt für die Krebsbehandlung einsetzt, da sie augenscheinlich mehr schadet als nutzt. Ich würde die Frage so beantworten, dass es derzeit einfach nichts anderes gibt, was Krebspatienten nachgewiesenermaßen mehr nutzt. Datenerfassungen und -auswertungen besagen nämlich schon seit längerem, dass die Krebsmortalität zurückgeht und der erst kürzlich erschienene American Cancer Society-Report bestätigt das. Man muss sowieso im Hinterkopf behalten, dass jede Krebsart und jeder Patient anders ist und man alle Chemotherapien, die ja jeweils immer anders abgestimmt werden, nicht über einen Kamm scheren kann, was viele gerne tun und dabei vergessen, dass viele Menschen aufgrund solch einer Behandlung auf lange Sicht wieder ein krebsfreies Leben führen können. Es gilt: Eine genaue Diagnose und die dazu abgestimmte Behandlung können Leben retten – Alternativen sind in der Entwicklung.
Das Gute ist eben, dass die Forschung nicht stillsteht, Medikamente und Behandlungen immer besser werden und so Nebeneffekte vermindert werden können. Die Menschheit hat aber auch noch einige Trümpfe in der Hinterhand, wie z.B. die Gentherapie, die Nanotechnologie oder auch monoklonale Antikörper gegen Krebs. Lassen sich mit Hilfe dieser Technologien effektive Krebsbehandlungen etablieren, kann den Menschen noch besser geholfen werden. Dies ist kein Wunschdenken, sondern bereits jetzt ein fester Bestandteil der onkoklinischen Forschung.

Bis es allerdings soweit ist, werden in der zwischenzeit neue Substanzen gegen Krebs gesucht, Therapien und Medikamentendosierungen optimiert und gezieltere Behandlungsmöglichkeiten weiterentwickelt.

Wer allerdings keine Lust hat, sich mit solchen Themen auseinandersetzen zu müssen, beugt Krebs einfach am besten so gut wie möglich vor.

 

 

 


Quellen:

  • Cognitive Impairment Associated With Chemotherapy for Cancer: Report of a Workshop, Ian F. Tannock, Tim A. Ahles, Patricia A. Ganz and Frits S. van Dam, JCO Jun 1, 2004:2233-2239, DOI: 10.1200/JCO.2004.08.094
  • Karyn Hede, Chemobrain Is Real but May Need New Name, JNCI J Natl Cancer Inst (2008) 100(3): 162-169 first published online January 29, 2008, doi:10.1093/jnci/djn007
  • The long term effects of chemotherapy on the central nervous system, Patricia K Duffner, J Biol. 2006; 5(7): 21. Published online 2006 November 30, doi: 10.1186/jbiol51
  • Bernard Weiss, Chemobrain: A translational challenge for neurotoxicology, NeuroToxicology, Volume 29, Issue 5, Twenty-Fourth International Neurotoxicology Conference: "Environmental Etiologies of Neurological Disorders – Modifiers of Risk", September 2008, Pages 891-898, ISSN 0161-813X, DOI: 10.1016/j.neuro.2008.03.009

 

  • Veröffentlicht in: Krebs
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Sebastian Reusch ist Naturwissenschaftler und studierte Biologie mit den Schwerpunkten Zell- und Entwicklungsbiologie, Genetik und Biotechnologie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Danach arbeitete er am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin an molekularbiologischen Prozessen des Immunsystems. Derzeit promoviert er am IRI Life Sciences der Humboldt-Universität zu Berlin an grundlegenden Fragen der Zellbiologie und Biochemie des Tubulin-Zytoskeletts in Stammzellen. Seine Schwerpunktthemen hier im Blog sind Molekularbiologie und Biomedizin. Twitter: @MrEnkapsis

4 Kommentare

  1. „Krebsvorbeugung“ ist natürlich so eine Sache – man kann Risiken minimieren, indem man nicht säuft, nicht raucht, und keinen Schimmel isst. Aber eine Garantie hat man nie. Mutationen akkumulieren in allen möglichen Situationen im Körper und die erbliche Komponente gibt es ja auch noch.

    Hast du Informationen, welche Medikamente in welcher Dosis zu dem „Chemobrain“ führen? Sind die Effekte reversibel, oder gibt es Untersuchungen über die Erholung der Patienten nach Monaten oder Jahren?

    Der Effekt ist aber ziemlich unschön.

  2. @Martin B.

    Hast du Informationen, welche Medikamente in welcher Dosis zu dem „Chemobrain“ führen?

    Über konkrete Zahlen weiß ich leider nichts, denke aber auch nicht, dass es diese in diesem jungen Forschungsfeld schon gibt. In einigen Mausmodellen konnte aber schon nachgewiesen werden, dass z.B. 1,3-bis(2-chlorethyl)-1-nitrosourea (BCNU) und Cisplatin (CDDP) Oligodendrozyten und Gliazellen in einigen Zonen im Gehirn besonders schädigen. In Zellkulturen konnte man dann bestätigen, dass diese beiden Wirkstoffe auf oben angesprochene Zelltypen toxischer wirken als auf Krebszellen und dies in Dosen, die in Chemotherapien bereits gegeben werden. Einige Untersuchungen belegen auch ein mögliches Chemobrain durch die Wirkstoffe Cyclophosphamid, Methotrexat und Fluorouracil.

    Sind die Effekte reversibel, oder gibt es Untersuchungen über die Erholung der Patienten nach Monaten oder Jahren?

    Die von mir gelesene Literatur sprach bisher von einem Chemobrain-Effekt der bis zu 10 Jahre andauerte, sich bei einigen Personen in der Zwischenzeit allerdings besserte. Was darüber hinaus ist, kann man aufgrund der erst jetzt in Gang gekommenen Forschung leider noch nicht sagen.

  3. Primum nihil nocere

    Chemotherapien richten sich gegen Karzinom-Metastasen oder sie werden bei systemischen Tumorerkrankungen eingesetzt (z.B. Leukämie). Über alle Tumoren vergrössern sie die Fünf-Jahres-Überlebensrate bei Erwachsenen um 2.3% in Australien bezugsweise 2.1% in den USA. Einige Tumoren sprechen jedoch sehr gut auf Chemotherapeutika an. Dazu gehören Hodenkrebs, Hodgin-Lymphomen, Zervixkarzinome und viele spezielle Tumorerkrakungen bei Kindern. Die meisten Chemotherapiepatienten leben also gar nicht so lange, dass sie das Post-chemotherapy cognitive impairment über lange Zeit erleiden.

    Ganz anders ist es allerdings bei der präventiven Chemotherapie, bei der Patienten mit vermuteten, allerdings nicht nachgewiesenen Metastasen, Chemotherapie “vorsorglich” erhalten. Und es sind nicht wenige nodal-negative Brustkrebspatientinnen, die eine “vorbeugende” Chemotherapie erhalten. Im Artikel Gute Aussichten für Brustkrebserkrankungen wird darüber berichtet, dass Frauen, deren Tumor hohe Mengen von uPA und/oder PAI-1 bildet, demgegenüber ein erhöhtes Risiko [hätten]: Die Wahrscheinlichkeit, dass die Krankheit binnen fünf Jahren nicht wiederkommt, beträgt weniger als 65 Prozent. Untersuchungen belegen, dass etwa 45 Prozent der nodal-negativen Patientinnen ein derart erhöhtes Krankheitsrisiko haben.
    Offen blieb jedoch die Frage, ob die betroffenen Frauen von einer vorbeugenden Chemotherapie profitieren.

    Eine Studie dazu ergab das vorläufige Ergebnis: Die Patientinnen der Hochrisiko-Gruppe scheinen von einer vorbeugenden Chemotherapie zu profitierten. Zwölf Prozent der Patientinnen, die eine vorbeugende Chemotherapie erhielten, erkrankten innerhalb von drei Jahren erneut. In der Gruppe der unbehandelten Patientinnen lag dieser Anteil hingegen bei 18,1 Prozent. Gleichwohl ist dieser Unterschied statistisch noch nicht signifikant.

    Die Frage ist also: Soll man Chemotherapeutika prophylaktisch verabreichen, wenn es keinen statisch signifikanten Nachweis gibt, dass sie die Prognose verbessern?
    Berücksichtigt man potentielle Nebenwirkungen der Chemotherapie – wie eben die Post-chemotherapy cognitive impairment, so spricht der Grundsatz Primum nihil nocere dagegen Chemotherapie präventiv einzusetzen.

  4. @Martin Holzherr

    Ich habe mich sehr über die Fünf-Jahres-Überlebensrate bei Erwachsenen gewundert, über die du am Anfang deines Kommentars geschrieben hast. Ein schneller Blick auf deine Quelle verrät die großen Schwächen der Studie, die zu diesem Ergebnis kam und die du hier nicht mit beschrieben hast. Insgesamt lässt sich sagen, dass die Studie sehr schlecht und veraltet ist und du neue Zahlen u.a. in der Bröschure ” Krebs in Deutschland” findest. Dort sind die jeweiligen 5-Jahres-Überlebensraten für jede Krebsart angegeben und du wirst sehen, dass sie für manche Krebsarten sehr hoch sind. Diese Zahlen treffen allerdings nur auf Deutschland zu, der Trend, dass durch Zytostatika Menschen enorm geholfen werden kann, lässt sich aber weltweit beobachten. Aus diesem Grund muss ich deiner Aussage

    Die meisten Chemotherapiepatienten leben also gar nicht so lange, dass sie das Post-chemotherapy cognitive impairment über lange Zeit erleiden.

    widersprechen, da du falsche Zahlen benutzt und ebenfalls verallgemeinerst, was man bei Krebs schlichtweg nicht machen darf.

    Zur präventiven Chemotherapie: Präventive Chemotherapie ist eine Ausnahme, die bisher nur bei Brustkrebs angewandt wurde, da durch einige Studien Anfang 2000 die Wirkstoffe Tamoxifen, Raloxifen und 4-hydroxyphenylretinamid als besonders brustkrebspräventiv eingestuft wurden. Bei anderen Krebsarten besteht meines Wissens keine derartige Chemoprävention. Ein bestimmter Forschungszweig schwenkt aber nun in Richtung Chemoprävention für alle Krebsarten. Dem widmet sich beispielsweise eine Arbeitsgruppe am deutschen Krebsforschungszentrum, bei der nicht nur Zytostatika, sondern auch viele andere Wirkklassen untersucht werden, die einen nicht so “krassen” Effekt auf den Körper haben und eine Krebserkrankung möglicherweise vorbeugen können. Dazu zählen z.B. auch Diäten, dieses Forschungsfeld der “Nutrigenomics” ist allerdings noch sehr jung.

    Mittlerweile ist man beim Brustkrebs allerdings auch schon weiter und hat noch mehr Biomarker identifiziert, mit denen man zwischen einem “nodal-negativen” und einem “nodal-positiven” Status unterscheiden kann.

    Die Frage ist also: Soll man Chemotherapeutika prophylaktisch verabreichen, wenn es keinen statisch signifikanten Nachweis gibt, dass sie die Prognose verbessern?

    Auf keinen Fall! Man muss aber natürlich untersuchen, ob eine Prophylaxe sinnvoll ist. In diesem Fall war sie es nicht.

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