Alternativmedizin, Lebensqualität mit Krebs und die Schaden-kann-es-nicht-Hypothese

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Heutzutage können Ärzte etwa die Hälfte aller Krebskranken dauerhaft heilen, aber für die meisten anderen kommt irgendwann der Punkt, an dem der Kampf verloren ist und es nur noch darum geht, in der restlichen Lebenszeit Leiden zu verminden. In diese Situation greifen Patienten und auch Ärzte oft auf “alternative” Methoden aller Art zurück, um die Lebensqualität in diesem Krankheitsstadium zu verbessern, durch Bewegung, Ernährung oder auch den Placebo-Effekt. Oder sie hoffen, was die Medizin nicht schafft, auf anderem Wege doch noch zu erreichen.

Der mehr oder weniger unausgesprochene Hintergedanke dabei ist: Selbst wenn es nichts bringt, schaden kann es ja nicht. Aber da sind Zweifel angebracht. In den Annals of Oncology ist gerade eine Studie erschienen, laut der alternativmedizinische Verfahren unter Umständen die Lebensqualität der Patienten verschlechtern können.

Ein koreanisches Team hat sich dazu insgesamt 481 Krebspatienten in 12 Kliniken angeguckt, allesamt mit Krebs im Endstadium und in palliativer Behandlung. Insgesamt verwendeten 42 Prozent der Probanden und Probandinnen zusätzlich zur medizinischen Behandlung alternative Verfahren. Wohlgemerkt geht es hier nicht nur um im engeren Sinne esoterische Praktiken, sondern um ein ganzes Sammelsurium von Methoden.

Die Mehrzahl der Patienten wählte nach Angaben der Forscher “biologisch basierte” Ansätze, darunter fallen Diäten, Nahrungsergänzungsmittel, Kräuterkram und dergleichen, dann gab es natürlich die klassischen esoterischen Gedankengebäude (Homöopathie, Ayurveda, TCM etc), und dazu eine breite Palette gemischter Interventionen, die von Tanztherapien über Meditation und Yoga bis zu Gesundbeten reicht.

Alternativ querbeet

Also ein bunter Strauß von Methoden außerhalb medizinischer Verfahren, alle mit dem Ziel, das Wohlbefinden der Patienten zu verbessern. Für’s Überleben bringen all diese Methoden laut Studie nichts, aber das ist im Endstadium einer Krebserkrankung auch nicht zu erwarten – und auch nicht der Fokus der Studie. Es geht ums Wohlbefinden, um Handlungsfähigkeit und Schwere der Krankheitssymptome. Das messen die Forscher mit einem standardisierten Fragebogen namens EORTC QLQ-C30, der psychische, soziale und Körperliche Funktionen sowie eine Liste von Krankheitssymptomen abfragt.

Daraus bildet man dann einen Gesamtscore für die jeweiligen Gruppen. Fragt mich nicht, wie. Allerdings sind die meisten Unterschiede zwischen Patientengruppen in dieser Studie nicht signifikant oder – in den Worten der Studienautoren – klinisch nicht relevant. Das heißt, der Unterschied in den Scores ist zu klein, oder es sind zu wenig Patienten in der jeweiligen Teilgruppe. Letzteres zum Beispiel gilt für die Option “energy therapy” (Heilsteine? Orgon? Elektroschocks?), die nur bei einem Patienten vorkam. Da kann man natürlich keine belastbaren Aussagen machen.

Die beteiligten Forscher entnehmen den Daten drei generelle Schlussfolgerungen. Erstens vermelden, über alle Patienten betrachtet, Nutzer und Nutzerinnen alternativer Therapien deutlich stärkere Erschöpfungssymptome und schlechtere kognitive Fähigkeiten. Zweiten schneiden viele der alternativen Methoden in einzelnen Lebensqualitäts-Unterkategorien schlechter ab und drittens ist Gesundbeten mit deutlich geringeren Überlebenszeiten korreliert.

Offene Fragen

So weit ziemlich eindeutig, allerdings habe ich so meine Probleme mit der Untersuchung. Ich bin nicht sicher, was ich von den teilweise doch sehr zusammengeramschten Kategorien halten soll – Gesundbeten zum Beispiel ist in der gleichen Kategorie wie Kunsttherapie. Und dann sind die signifikanten Resultate auch ohne erkennbares Muster in die Daten eingesprengselt, und das macht mich etwas misstrauisch. Zumal in der Tabelle der Forscher 75 Zahlenpaare auftauchen, von denen vier einen signifikanten Unterschied zwischen Alternativ-Nutzern und Nicht-Nutzern zeigen.

Wir erinnern uns: “signifikant” bedeutet, dass ein bestimmtes Ergebnis mit einer Wahrscheinlichkeit von fünf Prozent oder weniger durch Zufall zustande käme, wenn es den angeblichen Effekt nicht gäbe. Das nennt man den p-Wert, und wenn der kleiner als 0,05 ist, ist das Ergebnis signifikant. Das heißt umgekehrt aber auch: Wenn wir in einer Untersuchung immer und immer wieder eine Wirkung nachzuweisen versuchen, die gar nicht existiert, dann hätten durch Zufall fünf Prozent unserer Ergebnisse einen p-Wert von 0,05 oder kleiner, würden also so aussehen, als sei da ein Effekt.

Und 5 Prozent von 75 sind knapp vier. Der Anteil von Zahlenpaaren mit einer Wahrscheinlichkeit von fünf Prozent (oder weniger) ist in dieser Studie etwa fünf Prozent. Hm.

Das geb ich mal so ohne abschließende Bewertung an die Statistikfraktion unter euch weiter. Edzard Ernst, der auch über diese Publikation gebloggt hat, hält die Ergebnisse jedenfalls nicht für statistische Ausreißer. Er verweist jedenfalls auf frühere Studien zu negativen Wirkungen alternativer Therapien, mit deren Ergebnissen die neuen Daten konsistent sind. Wobei er dann zu Recht anmerkt, dass das für sich genommen noch gar nichts beweist. Die Daten zeigen ja erstmal nur eine Korrelation. Über eine eventuelle Ursache-Wirkungs-Beziehung kann die Studie keine Aussagen machen.

Klare Aussagen Mangelware

Es könnte zum Beispiel einfach sein, dass die Nutzer alternativer Methoden im Durchschnitt einfach kränker sind als die anderen, und es ihnen entsprechend schlechter geht. Aber es ist eben auch möglich, dass einige der alternativen Therapien direkt Schaden anrichten oder die medizinische Behandlung stören.

All das wissen wir nicht, und zu diesen Schwächen kommen weitere Probleme mit der Studie hinzu, die die Autoren in der Veröffentlichung selbst benennen: Der Studienzeitraum ist mit einem Monat schlicht zu kurz, um kleinere Effekte festzustellen, die Untersuchung ist (natürlich) nicht randomisiert und einige der Teilgruppen haben zu wenig Mitglieder für eine vernünftige statistische Auswertung. Klare Aussagen in der einen oder anderen Richtung lassen sich nach meinem Dafürhalten daraus nicht ableiten.

Was allerdings zu denken geben sollte: Über die tatsächlichen Wirkungen der meisten in dieser Studie als “alternativ” bezeichneten nicht-medizinischen Strategien weiß man mangels Studien bisher vergleichsweise wenig. Aber man kann inzwischen davon ausgehen, dass auch sie ihre Risiken und Nebenwirkungen haben.

via Edzard Ernst

19 Kommentare

  1. Weitere Erklärungsansätze

    Die PatientInnen, die sich zusätzlichen Therapien unterziehen, könnten sicher auch
    1) durch zusätzliche Anstrengung stärker erschöpft sein
    2) durch die Nichtwirksamkeit der jeweiligen Therapie enttäuscht und dadurch in ihrer Selbstwahrnehmung beeinträchtigt sein.

  2. Ja, zum Beispiel

    Ich hatte auch spekuliert, dass eventuell bei einigen Verfahren die Compliance bei der normalen medizinischen Behandlung runtergeht. Vermutlich ist es von allem was.

  3. Vor einiger Zeit las ich einen Text, der besagte, der moralische Druck durch Angehörige, Ärzte und Freunde, auf jeden Fall noch “irgendwas tun” zu müssen und nicht aufgeben zu dürfen, würde derart behandelte Kranke psychisch oft sehr belasten.

    In dem Text ging es eigentlich um die dämlichen Durchhalteparolen, unter denen die Kranken oft leiden, aber ich könnte mir vorstellen, dass das indirekt auch in den Ergebnissen dieser Studie eine Rolle spielt.

    Jetzt muss ich nur noch den Text wiederfinden…

  4. @Lars Fischer

    was an meiner Erklärung falsch sein soll, und was die verlinkte Seite damit zu tun hat.

    Wo kommt die magische Zahl “0,05” her? Aus der selben Quelle, aus der die EZB 0,02 für die angestrebte Inflationsrate bezieht?

  5. Ja…

    so kann man das durchaus sagen.

    p < 0,05 als Signifikanzkriterium ist eine Konvention, die sich in der Medizin mal etabliert hat, seitdem überall unreflektiert übernommen wird und meiner persönlichen Meinung nach weitaus mehr Ärger macht als sie nützt. Das ist genau der Punkt, um den es mir im Text geht.

  6. wichriges Thema

    Auch wenn die eigentliche Frage letztlich abschließend schwer zu beantworten ist – man hatte erwartet, dass wenigstens eine leichte Verbesserung der Befindlichkeit zu verzeichnen gewesen wäre – ist doch die Thematisierung m. E, sehr wichtig, verlassen sich doch – wie es scheint immer mehr – auch ernsthaft erkrankte Menschen auf Alternative Praktiken.
    Wie ich es in meiner persönlichen Umgebung erleben musste, manchmal mit tödlichem Ausgang.

  7. Kunterbunte Studie

    Die Studie finde ich etwas irritierend, weil hier alles in einen Topf geworfen wird. Ganzheitliche Verfahren wie Ayurveda und TCM sind, falls überhaupt, eher bei leichten Erkrankungen und zur Prävention geeignet. Diäten, Nahrungsergänzungsmittel und Kräuterkram können u.U. unerwünschte Nebenwirkungen hervorrufen und man weiß nicht ob sie sich mit einer Chemotherapie vertragen. Meditation und Yoga sind sowieso keine “Medizin”, sondern sollen, verkürzt gesagt, den Geist beruhigen. Wobei da der Schuss schon mal nach hinten losgehen kann. Wer von schlimmen Ängsten geplagt wird, der kann sie ohne entsprechende Anleitung sogar noch verstärken. Die Übungen müssen zudem über einen relativ langen Zeitraum durchgeführt werden um einen Effekt zu erzielen.

    Der von @Ute angesprochene “moralische Druck” scheint mir bei der Befindlichkeit der Kranken eine große Rolle zu spielen. Ist jemand unheilbar an Krebs erkrankt, dann werden oft alternative Therapien versucht. (Wobei man den Begriff “alternativ” erst mal genau definieren sollte.) Angehörige und Patienten greifen da verständlicherweise nach jedem Strohhalm, denn man möchte ja nichts unversucht lassen. Ich kann mir vorstellen, dass sich Kranke in so einer Situation gestresst fühlen. Besonders wenn die Verfahren keine reinen Wellness-Angebote sind, sondern der Heilung dienen sollen. Wer nicht an Homöopathie glaubt, der wird sich damit auch nicht besser, sondern eher schlechter fühlen.

    Außer der medizinischen findet bei einer Krebserkrankung in der Regel auch eine psychologische Behandlung statt. Dabei werden außer Gesprächen oft auch Entspannungsverfahren und Maltherapie usw. angeboten. Hätte man in der Studie diese beiden Bereiche nicht trennen müssen?

  8. Signifikanz

    Wir erinnern uns: “signifikant” bedeutet, dass ein bestimmtes Ergebnis mit einer Wahrscheinlichkeit von fünf Prozent oder weniger durch Zufall zustande käme, wenn es den angeblichen Effekt nicht gäbe.

    …ist ein heißes Eisen, bei 5%, der sogenannten statistischen Signifikanz auf für die Zwecke der Stochastik modellierten stochastischen Systeme, ist man vergleichsweise schlecht bedient.

    Bei den Konfidenzintervallen darf man oft auch sehr strikt sein, 6σ und so…

    MFG
    Dr. W

  9. @Mona

    Außer der medizinischen findet bei einer Krebserkrankung in der Regel auch eine psychologische Behandlung statt. Dabei werden außer Gesprächen oft auch Entspannungsverfahren und Maltherapie usw. angeboten. Hätte man in der Studie diese beiden Bereiche nicht trennen müssen?

    Das müsste man meines Erachtens unbedingt.

  10. @Webbär

    Absolut, cf. meinen Kommentar an Ano Nym weiter oben. Das fünf-Sigma-Kriterium aus der Teilchenphysik finde ich sehr zweckmäßig, das entspricht etwa einem p von 1/3500000.

    Nun ist die Frage, ob man bei so einem harten Kriterium in der Medizin überhaupt jemals etwas finden würde. Die Konfidenzintervalle sind da ja enorm groß, verglichen mit der Physik.

  11. Freut mich

    dass du offensichtlich keinen ernsthaften Fehler in meiner Argumentation findest.

    Die Anzahl signifikanter Ergebnisse in der Studie ist eine natürliche Zahl. Die nächste natürliche Zahl bei 5% von 75 ist vier. Deal with it.

  12. @Lars Fischer

    Absolut, cf. meinen Kommentar an Ano Nym weiter oben. Das fünf-Sigma-Kriterium aus der Teilchenphysik finde ich sehr zweckmäßig, das entspricht etwa einem p von 1/3500000.

    Das p ist die Wahrscheinlichkeit, sich irrtümlich gegen die Nullhypothese (keine Wirkung) zu entscheiden, obwohl sie wahr ist. Das suggeriert, dass man diesen Fehler fürchtet. Wenn man das aber befürchtet, würde man p doch konsequenterweise auf 0 setzen, dann läuft man garantiert nicht die Gefahr, die Nullhypothese zu verwerfen.

  13. Herr Fischer

    Nun ist die Frage, ob man bei so einem harten Kriterium in der Medizin überhaupt jemals etwas finden würde.

    Sie sagen es. Andererseits ist eine im Sinne der sogenannten Statistischen Signifikanz erworbene Erkenntnis (oder “Erkenntnis”) manchmal unzureichend, in der Medizin auch gefährlich. Wie die Mediziner die Sache genau handhaben, ist dem Schreiber dieser Zeilen unklar, Vermutung: Neben der Datenanalyse ergänzt auch die Fachkenntnis bzw. der gesunde Menschenverstand die Studienarbeit.

    Man kennt ja auch die Unterscheidung zwischen der harten und weichen Wissenschaft. Die könnte ein wenig erklären helfen die Natur der Naturwissenschaft (M. ist eine Erfahrungswissenschaft) näher zu verstehen, womit wir auch gleich bei Josef Honerkamp wären, dessen Meinung hier von Interesse sein könnte. Vielleicht hat er schon mal was dazu geschrieben? Also zur Signifikanz und der Sigma-Geschichte…

    MFG + GN
    Dr. W

  14. Eher Nocebo-Effekt bei Haupttherapie?

    Vielleicht misst diese Studie gar nicht das, was sie zu messen meint? Ich glaube, dass der Griff der Menschen zu alternativen Methoden vor allem etwas aussagt über ihr – im Vergleich zu anderen Patienten – geringeres Vertrauen in die Haupttherapie. Und so was wie fehlendes Vertrauen zum behandelnden Arzt oder zur “Schulmedizin” allgemein, kann, wie man aus der Nocebo-Forschung weiß, den Behandlungserfolg deutlich schmälern. Gerade wenn es “nur noch” um Schmerzlinderung und Lebensqualität geht! Bin da keine Expertin, hab nur gerade viel drüber gelesen und bei der Wirkung von Schmerzmitteln find ich den nachweisbar hohen Effekt von Placebo und Nocebo-Wirkung sehr beeindruckend. Wird sowas in dem Paper auch diskutiert? Ich hab keinen Zugang zum Volltext des Artikels.

  15. Hallo Herr Fischer!
    Sie schreiben in ihrem Posting einige Unklarheiten. Etwa, dass die Hälfte der Patienten durch die Mediziner “dauerhaft” geheilt wird. Meine Sie damit etwa die bis zu mehreren Jahren längere Lebenszeit? Dann ist die Aussage richtig. Richtig ist allerdings nicht, dass Krebs durch Schulmedizin heilbar ist. Es geht dabei nur um Überlebenszeiten, wie es uns auch die Medien jetzt langsam beibringen.
    Alternative Methoden könnten die Lebensqualität verschlechtern? Natürlich und richtig, aber bitte im Zusammenhang bringen. Die Lebensqualität leidet während der Gesundung, weil wirkliches Gesundwerden für die Betroffenen sehr anstrengend ist. Natürlich gibt es das bei Brachialtherapien nicht, es wird ja jeder Widerstand stillgelegt. Und so vegetieren sie mit dem obligaten Herzschaden vor sich hin, den Körper voll mit Detritus (Zellmüll aus ehemals gesunden Zellen – zerstört durch die Behandlung – und Krebs-Zellmüll, ohne ihn abbauen zu können. Und würden die medizinischen Behandlungen nicht den Zellstoffwechsel auf Dauer in die Minimalstfunktion bringen, wäre es wohl auch zu Ende mit den Zeitabschnitten bis zum nächsten Rezidiv.
    So genannte Studien der Unwirksamkeit alternativer Methode kennen ich auch. Wieder richtig, die Mehrzahl davon ist ein Schmarren, Klangtrommeln, Licht der Liebe, Seelenerforschung helfen nicht. Einige Therapien sind aber dabei, die hochwirksam sind, die erforderliche Geschwindigkeit im Wettlauf gegen die Krebs-Zellteilung haben, binnen mehrerer Wochen die Immunsysteme wieder über die Zellveränderungsgrenze bringen können.
    Ich weiß natürlich, professionelle Zweifler wie Sie werden abwinken. Ein Vorschlag. Sollten Sie einmal Krebs bekommen – die Chancen liegen ja bei 1 zu 3 – so melden Sie sich. Nach spätestens 3 Tagen werden Sie ihre Meinung geändert haben – und seltsamerweise durch “undurchsichtige Methoden” gesund werden wollen. Und das werden sie dann.
    Netten Gruß von Engelbert

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