Wie man ein Killervirus herstellt (oder auch nicht)

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Nach ausführlichen und kontroversen Debatten hat Nature jetzt das erste der beiden umstrittenen Paper über ein mutiertes Vogelgrippe-Virus veröffentlicht. Es zeigt vor allem, wie gefährlich die in freier Wildbahn kursierenden Grippeviren sind.

Wochenlang hat ein dramatisches Szenario Seuchenexperten und amerikanische Behörden beschäftigt: Forschungsergebnisse über einen gefährlichen Erreger versetzen Bioterroristen in die Lage, mit Hilfe gentechnischer Methoden ein künstliches Pandemievirus zu erschaffen. Genau das, hieß es, hätten Arbeitsgruppen um Yoshihiro Kawaoka und Ron Fouchier mit dem für Menschen oft tödlichen Vogelgrippevirus H5N1 in ihren Laboren geschafft und würden nun in Nature und Science quasi den Bauplan so eines Killervirus veröffentlichen – nachvollziehbar für jeden mit der geeigneten Ausrüstung.

Nachdem US-Behörden die Veröffentlichung der Paper zuerst aus naheliegenden Gründen gestoppt hatten, ist nun die erste der Publikationen in Nature erschienen, ungeschwärzt und frei im Netz zugänglich. Und die erste Erkenntnis ist: Um ambitionierte Terroristen mit eigenem Labor müssen wir uns nicht annähernd so viele Sorgen machen wie zuerst angedeutet – um das was die Vogelgrippe in freier Wildbahn kann dagegen um so mehr.

Das Ziel von Kawaokas Versuchen war herauszufinden, wie sich das Virus im Säugetier-Wirt weiterentwickelt, wenn es erst einmal übergesprungen ist. Denn das passiert in freier Wildbahn oft. Dazu haben die Forscher zuerst das Protein Hämagglutinin verändert, das in großer Zahl außen auf der Virushülle sitzt und dafür verantwortlich ist, dass das Virus überhaupt an Wirtszellen bindet. H5N1 ist ein Vogelgrippe-Virus und bindet deswegen spezifisch an die Rezeptoren der Vögel. Bei Säugetieren ist Sialinsäure in diesen Rezeptoren anders mit Galactose verknüpft (α-2,6 statt α-2,3), deswegen passt das Vogel-Hämagglutinin nicht auf menschliche Rezeptoren.

Deswegen hat Kawaoka Millionen mutierte H5-Proteine erschaffen, von denen auch eines tatsächlich an die α-2,6-Bindung der Säugetiere passte, dank zweier Mutationen im Kopf des Proteins. Dieses Säugetier-taugliche H5-Gen haben sie dann mit sieben Genen aus dem Schweinegrippe-Stamm von 2009 vervollständigt und mit dem Hybridvirus Frettchen erfolgreich infiziert. Frettchen sind das gängige Tiermodell für menschliche Influenza.

Evolution im Frettchen

Was dann passiert ist hatte es allerdings in sich. Der Hybriderreger erwies sich in diesem ersten Infektionsversuch als wenig aggressiv, außer in einem Frettchen. Dort hatte das Virus eine weitere Mutation erworben und sich dadurch wesentlich stärker vermehrt. Mit diesem neuen Virus wiederum infizierten die Wissenschaftler weitere Frettchen und brachten in Niesdistanz zu dieser Gruppe sechs weitere Tiere unter. Von denen hatten sich eine Woche später tatsächlich vier Tiere angesteckt – mit einem Virus, das an einer vierten Stelle mutiert war. Dieser Grippestamm verbreitete sich effektiv zwischen den Tieren.

Das ist das Szenario, das alle Grippeforscher fürchten. Denn so gefährlich die Vogelgrippe im Einzelfall ist, bis jetzt konnte kein derartiger Erreger zuverlässig von Mensch zu Mensch oder auch nur von Säugetier zu Säugetier überspringen. Ein H5N1-Virus, das diese Eigenschaft erwirbt, könnte eine verheerende Pandemie auslösen. So einen Erreger haben die Forscher nun also gebastelt. Allerdings wissen wir spätestens seit 2009, dass zu einer tödlichen Pandemie eben doch mehr gehört als nur ein Virus, das sich gut verbreitet. Und so ist auch Kawaokas Hybrid alles andere als der befürchtete Killer: Alle infizierten Frettchen haben die Krankheit überlebt. Der Erreger ist weit weniger aggressiv als Wildtyp-H5N1, oder auch nur die Schweinegrippe von 2009.

Wenn man sich die Versuche aber mal genauer anguckt, besteht absolut kein Grund zur Erleichterung. Kawaoka nämlich hat zwar zwei der Mutationen beigesteuert, die beiden entscheidenden Schritte jedoch hat das Virus ohne Hilfe vollzogen, und das in erschreckend kurzer Zeit. Nachdem der Erreger dank der ersten beiden Mutationen die Frettchen infizieren konnte, dauerte es nur wenige Generationen, bis die Grippe in der Lage war, weitere Tiere direkt anzustecken. Insgesamt sind nur vier Mutationen nötig, um ein Vogel-Hämagglutinin vollständig Säugetier-tauglich zu machen. Oder vier andere Mutationen, die etwas Ähnliches leisten.

Sie sind da draußen!

Einige Viren in freier Wildbahn tragen, das weiß man, eine oder mehr derartige Veränderungen, sie können zum Beispiel an menschliche Rezeptoren binden oder dergleichen. Und sie evolvieren permanent weiter. Wahrscheinlich gibt es da draußen dutzende Vogelgrippe-Stämme, die eine oder zwei Mutationen von der großen Pandemie entfernt sind.

Die Botschaft ist klar: Vergesst die Bioterroristen – was die können, können Wasservögel schon lange, und viel effektiver. Das ist wohl auch der Grund, weshalb die Behörden letztendlich ihre Einwände gegen die Veröffentlichung fallengelassen haben. Sicherlich ist solche Forschung auch mit Dual-Use-Risiken behaftet, aber die Ergebnisse zeigen wieder einmal nachdrücklich, dass wir dieses Wissen dringend brauchen, um uns vor den natürlich auftretenden Erregern zu schützen.

(via Ed Yong)

4 Kommentare

  1. Anpassung an den Wirt

    Du schreibst: “Nachdem der Erreger dank der ersten beiden Mutationen die Frettchen infizieren konnte, dauerte es nur wenige Generationen, bis die Grippe in der Lage war, weitere Tiere direkt anzustecken.”

    Ich denke, dass das Virus nach der Infektion der Frettchen Mutationen in den viralen Proteinen erworben hat, die an das zelluläre Alpha-Importin binden (z.B. die Influenza-Polymerase).
    Bei der Anpassung an neue Wirte müssen Grippeviren zwei Barrieren überwinden: die äußere Zellmembran sowie die innere Hülle um den Zellkern. Um in den Zellkern zu gelangen benutzt das Influenzavirus die zellulären Alpha-Importine. Man kennt bei Vögeln und Menschen inzwischen 6 verschiedene Importin-alpha-Isoformen. Das Influenza A Virus muss sich an eine neue Isoform anpassen, wenn es von Vögeln auf den Menschen überspringt. Vogelgrippeviren nutzen das Importin-alpha 3 und Menschengrippeviren brauchen Importin-alpha 7. Die Polymerase des H1N1-Grippevirus aus dem Jahr 2009 braucht jedoch beide Isoformen und hat sich noch nicht vollständig an den Menschen angepasst.

  2. Spaltstelle ebenfalls mutiert

    In dem Paper steht aber auch, dass die Forscher das HA0 an einer entscheidenden Stelle verändert haben, um mit ihm unter S2 Bedingungen arbeiten zu können – sie haben die Spaltstelle im Vorläuferprotein so mutiert, dass sie nun polybasisch ist und nun nur noch durch spezielle Proteasen (Trypsin bspw.) gespalten werden kann und nicht mehr durch ubiquitäre Proteasen. Das ist nun aber auch der unterschied zwischen HPAI und LPAI, es ist also nicht verwunderlich, dass die entstandenen Viren nur mäßig pathogen waren. Nicht auszudenken, was passiert, wenn man die Spaltstelle unverändert lässt, sodass das Virus nun praktisch in jedem Gewebe vollständig reifen kann…

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