Der Heidelberger Kuh-Kompass

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ResearchBlogging.orgEs ist schon ein paar Tage her, dass diese Meldung die Runde machte: Deutsche Wissenschaftler haben bei der Analyse von Satellitenbildern entdeckt, dass Kühe und Rotwild sich bevorzugt entlang der Nord-Süd-Achse ausrichten. Jetzt fragen sich natürlich alle, weshalb das bisher noch niemandem aufgefallen ist.

Aber wie auffällig ist der Effekt überhaupt? Im Paper, das von allen Journalisten und Bloggern, die drüber geschrieben haben, sicherlich aufmerksam gelesen wurde[1], sind die Ergebnisse der Analysen schön übersichtlich in einem Koordinatenkreis dargestellt, und man kann zum Beispiel sehr schön sehen, dass die Tendenz bei Rotwild stärker ausgeprägt ist als bei Kühen. Und es ist, wenn man das Ergebnis schwarz auf weiß aufgeschrieben sieht, tatsächlich kaum einsehbar, dass das noch niemandem aufgefallen ist.

Aber solche Grafiken können durchaus irreführend sein, und deshalb habe ich während meiner wöchentlichen Radtour auf den Königstuhl mal nachgesehen, in welche Richtung die durchschnittliche Heidelberger Kuh so grast. Oben am Speyererhof gibt es eine freilaufende Herde, an der ich immer vorbeikomme, und die diesmal mein Untersuchungsobjekt war..

Der erste Eindruck ließ definitiv keine Vorzugsrichtung erkennen; Kühe stehen auf der Weide kreuz und quer in der Gegend herum und nicht in Reih und Glied. Erst die genaue Auszählung der einzelnen Tiere zeigte, dass die Kühe tatsächlich eine Nord-Süd-Präferenz zeigen.

Zuerst einmal ist es gar nicht mal so einfach, die genaue Ausrichtung der Körperachse einer Kuh zu bestimmen, wenn man ca. 100 Meter entfernt an einem Weidezaun steht. Deswegen ist ein beträchtlicher Teil der Herde aus der Zählung herausgefallen.. Eine weitere Schwierigkeit: Ich habe keinen Kompass, und das ist mir erst aufgefallen, als ich oben war. Deswegen habe ich mit Hilfe meiner Uhr die Nord-Süd-Achse bestimmt und einfach alle Kühe gestrichen, die ich nicht eindeutig der N-S- oder O-W-Achse zuordnen konnte.

Glücklicherweise ist das Ergebnis auch mit diesen Einschränkungen einigermaßen eindeutig. Auf der Hinfahrt, drei Uhr Nachmittags, grasten 24 Kühe in dem von mir einsehbaren Bereich der Weide. Von denen waren 11 entlang der Nord-Süd-Achse orientiert und fünf senkrecht dazu. Die anderen acht konnte ich nicht zuordnen. Auf der Rückfahrt etwa eine dreiviertel Stunde später gammelten 22 Tiere in der Nähe des Zaunes herum, von denen 9 nordsüdlich ausgerichtet waren und nur eines ostwestlich.

Diese rein visuelle Überprüfung einer einzelnen Herde hat natürlich keinen Beweischarakter im Bezug auf die Aussage des Papers. Aber es beantwortet die Eingangsfrage ganz hervorragend: Selbst wenn eine deutliche Richtungspräferenz vorhanden ist, heißt das noch lange nicht, dass man sie beim Beobachten der Herde auch bemerken würde. Im Gegenteil, der unbeteiligte Beobachter sieht selbst dann noch kreuz und quer in der Gegend herumstehende Kühe, wenn de facto fast die Hälfte aller Tiere auf wenige Grad genau auf die Nord-Süd-Achse ausgerichtet ist. Gucken reicht also nicht – man muss zählen.

An dieser Stelle können wir uns auch vorsichtig an die Frage nach dem warum heranwagen. Akzeptieren wir die Schlussfolgerung der Autoren, dass nur das Erdmagnetfeld als Ursache in Frage kommt, dann heißt das, dass die drei im Paper untersuchten Tierarten[2] einen wie auch immer gearteten Magnetsinn besitzen. Was stellen sie damit an?
Die Hausrinder natürlich gar nichts mehr, und auch bei Rehen und Hirschen ist ein Nutzen dieser Fähigkeit nicht so recht ersichtlich. Man könnte vermuten, dass es sich um ein bloßes Erbstück eines gemeinsamen Vorfahren handelt, der weite Wanderungen unternahm und deswegen – vergleichbar mit Zugvögeln – eines solchen Sinnesorganes bedarf. Andererseits ist die Richtungspräferenz, wenn man den Autoren glauben darf, bei nicht-domestizierten Tieren ungleich deutlicher ausgeprägt und dementsprechend in der Wildnis auch bei standorttreuen Arten noch selektionswirksam. Es wäre interessant zu sehen, wie der Magnetsinn bei wandernden Wiederkäuern wie dem Rentier ausgeprägt ist.

S. Begall, J. Cerveny, J. Neef, O. Vojtcch, H. Burda (2008). Magnetic alignment in grazing and resting cattle and deer Proceedings of the National Academy of Sciences DOI: 10.1073/pnas.0803650105
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[1] Im Paper wird übrigens das stinknormale Hausrind als Bos primigenius bezeichnet. Das ist m.E. falsch, Bos primigenius ist der Auerochse. Das Hausrind ist Bos taurus.

[2] Ich will ja nicht schon wieder nörgeln, aber wie unterscheidet man eigentlich in Satellitenbildern Rehe (C. capreolus) von Rothirschen (C. elaphus) und Damhirschen (D. dama)?

 

15 Kommentare

  1. Interessanter Beitrag 😉

    und immer wieder sorgt die Tierwelt für Überraschungen, welche wir uns mit unseren “beschränkten” Sinnesorganen nicht vorstellen können…..
    Eine nette Idee, die “Satellitenforschung” durch eigene Beobachtungen zu untersuchen. Für den Leser wird damit aus dem Peer Review zusätzlich eine unterhaltsame und lehrreiche Anekdote aus dem Leben eines scharfsinnigen, ewig neugierigen Forschers……

    und für mich ein schöner Lesehinweis hier: Wahrnehmung und was unser menschliches Gehirn nicht wahrnimmt


    [2] Ich will ja nicht schon wieder nörgeln, aber wie unterscheidet man eigentlich in Satellitenbildern Rehe (C. capreolus) von Rothirschen (C. elaphus) und Damhirschen (D. dama)?

    Diese Frage habe ich mir auch gestellt. Google hat mir z.B. das hier “ausgespuckt” (PDF-Datei):
    Fernerkundung – einfache Kartenerstellung mit Satellitenbildern

    Zitat daraus:
    “Diese Details werden noch klarer mit Farbaufnahmen des kommerziellen,
    amerikanischen IKONOS-Satelliten. In seinen schwarz-weißen Bildern mit einer
    Pixelgröße von 1 m sind alle einzelnen Autos erkennbar und das aus einer
    Aufnahmehöhe von 680 km. Der Traum des Kartografen, Informationen von jeder
    Stelle der Welt erhalten zu können, ist damit wahr geworden. Diese
    Weltraumaufnahmen können von jedem erworben werden. Damit ist die
    Geheimhaltungspolitik mancher Staaten, die auch heute noch Luftbilder und
    großmaßstäbige Karten in ihren Archiven verschließen, ad absurdum geführt.”

  2. Anmerkung zu [2]:
    Rehe, Rothirsche und Damhirsche per Satellitenaufnahmen zu unterscheiden, wäre tatsächlich schwierig gewesen – hätte man aber das Original-Paper (PNAS) genau und aufmerksam gelesen, würde man sich diese Frage sicherlich nicht stellen. Rehe und Rothirsche sind nämlich nicht über Google-Earth, sondern ducrh direkte Freilandbeobachtung tschechischer Kollegen ausgewertet worden und waren damit eindeutig erkennbar!!!

  3. Vielen Dank für das Interesse an unserer Studie!
    Wir sind wahnsinnig überrascht von der Resonanz, die unser Paper ausgelöst hat!

  4. Schönes Wetter

    Ich war gerade mit dem Rad unterwegs. Auf südwärts gerichteten Sitzbänken konnte man Leute sehen, die die Sonne genossen – aber auf den Nord-Bänken im Schatten saß niemand. Eindeutig eine Nord-Süd-Ausrichtung! Man kann dies vermutlich sogar auf Satellitenbildern sehen.

    Was ist jetzt die Schlußfolgerung? haben diese Leute einen Magnetsinn? oder haben sie nur zuviel Kuhmilch getrunken?

    Oder anders herum gefragt: Standen die Tiere deshalb in Nord-Süd-Richtung um möglichst viel von der Sonne abzubekommen (Vor-/Nachmittags) oder möglichst wenig (Mittags). Denn derartige Satellitenbilder werden nur an sonnigen Tagen aufgenommen.
    Frage 2: wie stehen die Tiere bei bedecktem Himmel?

  5. @ Julia Neef

    OK, erwischt. Den Methodenteil hab ich mir gespart.

    Allerdings sind Abstract und Ergebnisteil der Veröffentlichung, was das angeht, in allerhöchstem Maße missverständlich. Erst wird (bei den Rindern) explizit auf die Satellitendaten Bezug genommen, danach ohne weiteren Hinweis auf die Methode die Ausrichtung des Wildes beschrieben.

    Der Hinweis “Direct observation revealed…” kommt erst anschließend in anderem Zusammenhang, und das sowohl im Abstract als auch im Text. Das ist schon ein bisschen irreführend.

  6. Schönes Wetter

    Frage 2: wie stehen die Tiere bei bedecktem Himmel?

    Genau diese Frage wäre in Hinblick auf einen praktischen Nutzen dieser Studie so immens wichtig. Bei klarem Himmel kann man sich ja auch an der Sonne orientieren – aber bei Wolken? Hier ist noch viel zu tun für die junge Forschergeneration!

    Gruß,

    Jan

  7. Rindviecher und Magnetfelder

    Der LHC steht in der Schweiz, nicht wahr? Da gibt’s doch jede Menge Rindviecher.

    Stehen die dann über der Hadronenschleuder im Kreis herum? Oder radiär, alle mit der Schnute nach innen? Oder eutereinwärts? Und wenn dann das Magnetfeld anwächst (oder zusammenbricht? Induktion?), rennen die dann alle in die Mitte des Kreises, wo es dann eine gewaltige Kuhllision gibt? Und welche Elementar-Kuhanten entstehen dann aus dieser Kuhllision, deren Energie dem Urknall nahekommt? Entsteht womöglich das Ur (Bos primigenius, der Auerochs) im Ur-Knall wieder?

    Boah, sind das Forschungsperspektiven!

  8. Auf die Idee

    sind wir natürlich auch schon gekommen. Leider sind die Aussichten, für derartige Untersuchungen Messzeit am LHC zu bekommen, eher bescheiden.

    Wir hatten jetzt überlegt, eine Experimentalkuhweide zu bauen, bei der unter der Grasnarbe ein 100 Meter langer Elektromagnet drehbar gelagert ist.

  9. LHC

    Keine Messzeit?
    Wofür steht denn dann die Abk. LHC:

    “Large Huftier-Collider”
    “Lotsa Hovering Cows”
    “Lustiges Hornochsen-Cyclotron”
    “Let’s Have Cattle!”

    ?

    Kuhalitätsvolle Kuhantenforschung bedarf starker interdisziplinärer Cowalitionen aus Beefiologen, vealen Physikern und Ochsperten in der Linkuhistik, damit die Forschungsergebnisse richtig gedeutert (sic!)werden können. Nur kuh .. äh: nur zu! Auf zur Kuhsammenarbeit. Wir sollten beim Kuhsanus-Werk Stipendien beantragen. Die Bekuhtachtung fällt sicher kuht aus.

    MUUUUH!

  10. Ich will Kühe!

    @Julia Neef

    Frau Neef, schön, daß Sie als Mitautor hier mitwirken. Leider bin ich nur an das Abstract Ihrer Studie gelangt.

    Doch ein paar Fragen hätte ich schon.

    1) Ich kenne einige Stellen im Landkreis Rosenheim, wo Milchkühe weiden. Auf GoogleEarth konnte man sich allerdings noch nichtmal sicher sein, ob es sich dabei um Rinder handelte – geschweige denn die Orientierung und schon gar nicht vorne/hinten bestimmen.

    Gibt es konkrete Lokationen Ihrer Analyse, die Sie nennen können? Eigentlich wäre es doch kein Aufwand gewesen, 308 GE-Links im Supplemental zu verlinken – daß ich nicht ein einziges Beispiel habe auftreiben können … ja, daß Autoren der Studie einem interessierten Blogger statt einem (oder mehrerer) konkreter Beispiele ein Airial eines Golfkurses mit Spielern zuschicken, das macht mich dann schon etwas mißtrauisch:
    http://atmoz.org/…/08/27/3-captains-and-a-major/

    2) Sat-Aufnahmen und Airials werden bevorzugt in der warmen Jahreszeit gemacht (keine Schneedecke), tagsüber bei wolkenlosem Himmel (damit man was sieht) und wenn die Sonne möglichst hoch am Himmel steht (kurzer Schattenwurf).

    Daß Rinder unter solchen Bedingungen nicht gerne in die pralle Mittagssonne starren oder ihr die Breitseite zuwenden, ist eigentlich anzunehmen. Wie haben sie diesen Bias statistisch korrigiert?

  11. PS:

    Copernic war erfolgreich, ich habe die Studie jetzt. Mal gucken, welche Fragen sich jetzt von selbst beantworten.

  12. andere Beobachtung meinerseits

    Als Segler haben wir häufig auf der Fahrt zum Hafen anhand der Kühe spekuliert, woher der Wind kommen wird. Unsere Theorie war, dass die Kühe sich mit dem Kopf in den wind drehen, also “anlufen”, während sie auf der Wiese grasen.

    Das kann aber auch nur ein Beleg dafür sei, dass es an der Brille liegt, welches Bild man sieht.

  13. Kuhkompass

    Schon mein Opa sagte: Wenn alle Kühe einer Herde in gleicher Richtung stehen, gibt’s garantiert Regen! Alle Kühe stellen sich dann mit dem Arsch gegen die Schlechtwetterfront. Dies habe ich häufig verifiziert. Wenn sich diese allerdings (wie meist in unseren Breiten) aus dem Westen nähert, würde es der Forschertheorie doch widersprechen?

  14. Magnetfeld-Kuh-Problem

    Ich befürchte, man sitzt hier einem Irrtum, dem Magnetfeld-Kuh-Problem, auf! Nicht Kühe richten sich nach magnetischen Achsen, sondern diese ergeben sich nach Eigenschaften der Kuhherde aus, zB Methanausströmingen.

    Meine Beweisführung:
    Wäre es ein Relikt der Evolution (wie es also Zug- oder Busvögel einsetzen), stünden Kühe im Winter präferiert gen Süden, im Sommer jedoch nordwärts und man vermöge Unterchiede an den Halbkugeln vernehmen.

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