Nobelpreisträger reden Klartext

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Heute Nachmittag haben 17 in Stockholm versammelte Nobelpreisträger sich in einem eindringlichen Aufruf für eine "fundamentale Transformation" zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise eingesetzt. Das Stockholm Memorandum kommt zu dem Schluss, dass wir in eine neue geologische Epoche eingetreten sind: das Anthropozän, in dem der Mensch zum wichtigsten Treiber planetarer Veränderungen geworden ist. In dem Dokument heißt es:

Die Wissenschaft zeigt klar, dass wir die planetaren Grenzen überschreiten, die die Zivilisation für die vergangenen zehntausend Jahre gesichert haben. […]

Wir können nicht länger ausschließen, dass unsere kollektiven Handlungen Kipp-Punkte auslösen können, mit dem Risiko abrupter und irreversibler Auswirkungen auf menschliche Gesellschaft und Ökosysteme. Wir können nicht auf unserem derzeitigen Pfad weitergehen. Die Zeit des Zauderns ist vorbei. Wir können uns den Luxus des Verleugnens nicht leisten.


Mario Molina (Nobelpreis Chemie 1995) unterzeichnet das Memorandum

Bei dem dreitägigen Symposium, an dem auch der schwedische König teilnahm, ging es um die eng miteinander verknüpften Probleme von Armut und Entwicklung, der Klimakrise und der zunehmenden Zerstörung der Ökosysteme unserer Erde. Im Schlussdokument verlangen die Nobelpreisträger sofortige Notfallmaßnahmen ebenso wie längerfristige, strukturelle Veränderungen, und sie geben eine Reihe ganz konkreter Empfehlungen ab. Diese sind in 8 Schlüsselbereiche gegliedert. Zur Klimapolitik z.B. fordern sie eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf höchstens 2 ºC und eine Wende in den globalen Emissionen bis 2015. Sie stellen weiter fest

dass sogar eine Erwärmung um 2 ºC ein sehr hohes Risiko von ernsthaften Folgen und die Notwendigkeit großer Anpassungsmaßnahmen mit sich bringt.

Das Memorandum wurde den Mitgliedern der hochrangigen UN-Kommission zur globalen Nachhaltigkeit übergeben, die eigens zu diesem Zweck nach Stockholm gekommen waren. Im Moment läuft die Diskussion zwischen den Mitgliedern der UN-Kommission und den Forschern (ja, dies ist ein live-Blog direkt aus dem Raum in der schwedischen Akademie der Wissenschaften, wo diese Diskussion läuft).

Stefan Rahmstorf ist Klimatologe und Abteilungsleiter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf Klimaänderungen in der Erdgeschichte und der Rolle der Ozeane im Klimageschehen.

13 Kommentare

  1. Danke,

    dass Sie einem interessierten Publikum einen Einblick in die hochkarätige Diskussion ermöglichen!

    Das Memorandum lässt in den Auszügen nichts an Deutlichkeit vermissen und sollte aufgrund der Reputation der versammelten Herrschaften ein bedeutendes Dokument sein.

  2. Ich würde dem vorsichtig formulierten Teil des Beitrags ab dem zweiten Zitat zustimmen wollen. Allerdings haben sich Expertengremien bei Zukunftsprognosen meistens erheblich geirrt. Ein Beispiel unter unzähligen ist der Clube of Rome mit seinem ‘Limits to Growth’ von 1972. Paul Krugman, ebenfalls Nobelpreisträger, bezeichnete das Buch schlicht als “mess”. Worauf gründet denn die Zuversicht, daß die Prognose diesmal zuverlässiger ist?

    Der Anfang des Beitrags scheint mir etwas hybrid. Der Einfluß des Menschen auf die Biosphäre ist, denke ich, keineswegs größer als der von Pflanzen oder gar Prokaryoten. Die heutige Zusammensetzung der Atmosphäre wurde vor allem von Cyanobakterien verursacht. Möchte man deshalb diesen Abschnitt des Präkambriums konsequenterweise Cyanozän nennen?

    [Antwort: Einer kleinen Gruppe, die etwas radikal Neues behauptet auf Basis von neuen ungetesteten Methoden (wie der Club of Rome damals), würde ich sicher auch sehr skeptisch begegnen. Wenn etwas aber nach Jahrzehnten der Forschung und Debatte und angesichts überwältigender Evidenz in der Fachwelt weitestgehend akzeptiert ist (wie die wesentlichen Aussagen des Memorandums), dann wäre meine Gewichtung schon anders. Sie können aber natürlich auch generell alles bezweifeln, was Experten sagen, weil schon mal ein Experte sich geirrt hat – vermutlich würden Sie mit Ihren Kindern dann auch nicht zum Arzt gehen. Stefan Rahmstorf]

  3. Nobelpreisträger reden Klartext

    Was sollen wir jetzt machen mit mächtigen und einflussreichen Leuten, die diesen klaren Handlungsauftrag immer noch mit dem Totschlagwort “Ideologie” in seiner negativen Bedeutung abtun?
    Reden, überzeugen, argumentieren ja, aber die Zeit läuft uns davon.
    Es ist (fast schon) zum Verzweifeln.
    Die kritische Masse von Menschen, die einer Änderung des Lebensstils zustimmt, ist noch nicht erreicht.
    Das ist das Problem.

  4. Re: kein Betreff

    Hallo Jürgen!

    Kann es sei, dass du keine Ahnung hast wovon du redest?

    Ich empfehle so als Minimal Lektüre mal http://de.wikipedia.org/wiki/The_Limits_to_Growth

    Sowie diesen Link in englisch http://www.iier.ch/content/answer-paul-krugman

    P.S.: Der Herr Krugmann ist übrigens kein Nobelpreisträger, sondern Träger des “Preis für Wirtschaftswissenschaften der schwedischen Reichsbank im Gedenken an Alfred Nobel”.

    P.P.S.: Nirgendwo im Artikel steht, der Einfluß des Menschen auf die Biosphäre wäre größer als der von Pflanzen oder Prokaryoten.

  5. irreversible Klimaänderungen

    Eine sofortige Notfallmaßnahme wäre, endlich mal den weltweiten Bevölkerungswachstumsirrsinn zu stoppen.
    Solange dieses in Diskussionen meist ignorierte Problem nicht gelöst wird, sind auch die heiß diskutierten Probleme wie globaler Temperaturanstieg oder Zerstörung der Ökosysteme nicht in den Griff zu bekommen.
    Zur Begrenzung der glob.Erwärmung auf 2°C:
    Das heißt, ab jetzt beträgt der Spielraum nur mehr 1°C.

  6. Wirtschaft und CO2

    Ich glaube der Grad des Verständnisses auf verschiedenen Gebieten ist unterschiedlich.

    1. Wirkung des CO2. Da fehlt immer noch “offiziell” ein vereinfachtes Modell, daß für interessierte Laien nachvollziehbar ist. Der Verweis auf komplizierte Modelle, die nur mit erheblichen Rechenaufwand gelöst werden, ist da bei der erheblichen Propaganda, die die KLimaleugner betreiben, nicht sehr hilfreich.

    2. Die Zunahme des CO2-Gehaltes der Atmosphäre. Ich glaube in diesem Punkt ist der Zusammenhang zwischen Verbrennung fossiler Rohstoffe und Zunahme der CO2-Konzentration für die meisten Menschen glaubhaft.

    3. Die Änderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zur CO2-Reduktion. Hier reden die Mainstreamökonomen immer irgendwelchen Einschränkungen des Lebensstandards das Wort. Das ist falsch:

    Richtig ist, daß der Aufwand zur Bereitstellung alternativer Energien statt Verbrennung von fossilen höheren Aufwand erfordert. Dementsprechend bleiben vom Lohn relativ kleinere Anteile für den Kauf weiterer Produkte übrig. Die Betonung liegt dabei auf “relativ” denn absolut kann mit den entsprechenden Rahmenbedingungen absolut mehr gekauft werden: Die jährliche durchschnittliche Arbeitszeit ist von ca. 2000h/Jahr um 1960 auf ca. 1100h/Jahr heute gesunken – mit extremen Unterschieden: über 1700h die Einen und 0h die Anderen. Eine durchschnittliche Arbeitszeit von ca. 1400h/Jahr ist zur Zeit der Produktivität angemessen, führt zur Vollbeschäftigung, erlaubt den Umstieg auf neue Energien, erhöht das Realeinkommen aller – auch das der Rentner.

    Voraussetzung sind nur die richtigen Rahmenbedingungen – u.a. Gesetze.

    MfG

  7. Experten und Prognosen

    Stefan Rahmstorf: “Sie können aber natürlich auch generell alles bezweifeln, was Experten sagen.” Tue ich aber nicht.

    Ich bezweifle nicht den anthropogenen Klimawandel und die von ihm ausgehenden Bedrohungen. Ich bezweifle die Vorhersagbarkeit der davon verursachten ökonomischen und menschlichen Schäden. Ich würde daher Klimaschutzmaßnahmen bevorzugen, die der von Popper vorgeschlagenen Stückwerkstechnologie entsprechen.

    Was gerade die Ökonomen betrifft, so haben sie mehrheitlich das bedeutendste Ereignis der letzten 80 Jahre, die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise, noch unmittelbar vor ihrem Eintreten nicht vorhergesagt.

    Wer kann auch vorhersagen, daß der EU-Rettungsschirm für insolvenzbedrohte Mitgliedsstaaten dadurch behindert wird, daß der IWF-Chef wegen des Verdachts sexuellen Mißbrauchs in Untersuchungshaft gerät? Oder daß Revolutionen in Nordafrika stattfinden, in deren Folge frankophone Tunesier versuchen, über Italien nach Frankreich zu gelangen, weswegen Teile des Schengen-Abkommens außerkraft gesetzt und Grenzkontrollen teilweise wieder eingeführt werden?

    Natürlich kann man Prognosen machen, indem man Entwicklungen in die Zukunft extrapoliert. Die funktionieren aber nur, solange keine unvorhersehbaren einschneidenden Änderungen eintreten. Während diese für den Klimawandel unwahrscheinlich sind (Impaktereignisse, schwerste Vulkanausbrüche), sind sie im wirtschaftlichen politischen und technologischen Bereich die Regel.

    Eine Behauptung aus dem Memorandum wie “Greatly increased access to reproductive health services, education and credit, aiming at empowering women all over the world (…) will also reduce birth rates” scheint mir ziemlich gewagt.

    Ich stimme den 8 Forderungen größerenteils zu. So dem achten Punkt: “Enacting a new contract between science and society.” Allerdings finde ich den messianischen Ton des Textes (“We are the first generation…”) hierfür kontraproduktiv.

  8. @Jürgen Bolt : Limits to Growth

    Sie schreiben: Allerdings haben sich Expertengremien bei Zukunftsprognosen meistens erheblich geirrt. Ein Beispiel unter unzähligen ist der Clube of Rome mit seinem ‘Limits to Growth’ von 1972.

    Limits to Growth enthält sicher viele Fehleinschätungen, vor allem was die Reichweite von Rohstoffen angeht, doch insgesamt folgt die Entwicklung den dortigen Prognosen, wie in Revisiting the Limits to Growth After Peak Oil dargestellt.

    Übrigens häufen sich in letzter Zeit Warnungen vor Ressourcenerschöpfung und die Warner sind nicht nur mehr einzelne Forschungsgruppen, sondern auch Institutionen, die kommerzielle Interessen vertreten. Die internationle Energieagentur warnt in ihrem World Energy Outlook 2010 vor Auswirkungen des Preisanstiegen beim Öl und hält eine Verbrauchsreduktion der OECD-Länder für zwingend.

    Auch der UNEP-Report Decoupling Natural Resource Use and Environmental Impacts from economic growth hält eine Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch für nötig.

  9. Das Manifest und die Stoffkreisläufe

    Das Stockholm Memorandum ist ein Appell an die ganze Menschheit und adressiert die neue, nicht vom Menschen anvisierte, jedoch ihm zufallende Rolle als Akteur, dessen Handlungen nicht nur über das Schicksal einzelner Völker, sondern über das Schicksal der ganzen Biosphäre samt allen ihr entsprungenen Lebewesen entscheiden.
    Die 8 Punkte des Memorandums umfassen die Themen gerechte Entwicklung, Nahrung für alle, Ressourcen- und Energieeffizienz, Umwelt und Klima, nachhaltige Wirtschaftsmodelle und führen passend zur Erkenntnis, dass wir nun im Anthropozän sind, den Begriff der Erdsystemlenkung ein, was mit der Forderung verbunden ist, der Wissenschaft eine wichtigere Rolle zukommen zu lassen.

    Besonders aufgefallen ist mir die vom Memorandum in Punkt 3. Creating an efficiency revolution propagierte Recyclingwirtschaft, Zitat:The “throw away concept” must give way to systematic efforts to develop circular material flows.

    Stoffkreisläufe, die nicht mehr die Natur als Quelle und Enddepot haben, sondern die die Ressourcen und die aus ihnen gewonnen Produkte innerhalb der vom Menschen geschaffenen Welt – was immer mehr die Städte und Megalopolen sind – rezyklieren, werden für die Menschheit eine entscheidende Rolle spielen. Denn völlige Rezyklierung aller vom Menschen verwendeten Stoffe innerhalb seiner Lebenswelt entkoppelt menschliche Tätigkeiten von der Natur. Mehr Konsum bedeutet dann nicht mehr wie heute mehr ausgebeutete Rohstoffminen und mehr Abfall. In einer Welt mit fortgeschrittenen internen Kreisläufen könnten durchaus 9 oder mehr Milliarden Menschen leben, ohne dass die Natur stärker belastet wird als heute – dies hat Cesare Marchetti bereits 1979 erkannt und ihn zu seiner Antwort auf den Bericht Limits to Growth veranlasst, einem Expose mit dem Titel 10^12 a Checheck on the earh-carrying capcity for man.

    Die Auswirkungen von Stoffkreisläufen sind allerdings noch kaum in gegenwärtige Zukunftsmodelle eingeflossen. Ein Hauptproblem, das ich hier sehe, ist der höhere Energieverbrauch, den solche Stoffkreisläufe bedingen. Mit heutiger Technologie ist der zusätzliche Energieverbrauch für geschlossene Kreisläufe oft prohibitiv. Ein Exrembeispiel ist die syntethische Herstellung von Treibstoffen auf der Basis von Kohlewasserstoffen mit den Ausgangsprodukten Wasser und CO2. Aber auch die Extraktion von Rohstoffen aus dem menschlichen Abfall ist energieintensiv und vergleichbar mit der Rohstoffgewinnung aus Metallerzen geringen Gehalts.

    Doch ob mit oder ohne Rezyklierung, wir werden in Zukunft wohl nicht weniger Energie verbrauchen sondern nach Effizienzgewinnen höchsten gleichviel, vielleicht aber auch deutlich mehr. Mit Rezyklierung wegen dem zusätzlichen Energieverbrauch für die Schliessung der Kreisläufe, ohne Rezyklierung wegen des immer geringeren Gehalts von Rohstoffquellen. Ich kenne kaum Berichte, die sich mit diesem Problem beschäftigen bin aber überzeugt, dass dies für die Zukunft des Wirtschaftens ein wichtiges Problem sein wird.

  10. Die globale Emissions-Trendwende bis 2015 zu fordern ist IMO ein falsches Signal – die Weltöffentlichkeit könnte vielleicht daraus schließen, man könne sich noch ganze 3 1/2 Jahre Zeit damit lassen.

  11. Positionspapiere mit diesen Schlüssen und Forderungen gibt es seit 25 Jahren zu tausenden. Mir verschließt sich der Sinn dieses Treffens von 17 Nobelpreisträgern. Ich hätte mir gewünscht dass es eine Vielzahl konkreter und auch machbarer Einzelvorschläge gegeben hätte. Stattdessen nur unverbindliche Aussagen was andere Leute machen sollen. Da hätte man auch 17 Politiker oder Beamte hinschicken können.

    Außer Spesen (und jede Menge Kerosinverbrauch) nix gewesen.

  12. Wohlmeinender Apell fürs Archiv?

    Neu ist das nicht. Es gab bereits 1992 unter dem Titel “Warning to the World” einen ähnlichen sehr eindringlichen Appell, organisiert von Physik Nobelpreisträger Henry Kendall und seiner “Union of Concerned Scientists”. Das Papier wurde von 1700 der führenden Wissenschaftler der Welt unterzeichnet, darunter die Mehrheit der Nobelpreisträger der Naturwissenschaften. Im Vergleich zum Status der Unterzeichner jedenfalls hat dieses Papier erbärmlich wenig bewirkt. Allerdings ist es wichtig, da die “Limits to Growth” im Gegensatz zum Erscheinungsdatum des gleichnamigen Buches heute sehr viel weiter akzeptiert und verstanden sind. Ein Beispiel ist Prof. Hans C. Binswangers umfassende Arbeit “Die Wachstumsspirale”, und selbst Paul Krugman schrieb: “But anyway, while the Limits to Growth stuff of the 1970s was a mess, the history of energy technology doesn’t support extreme optimism, either.”
    Ich bin aber nicht optimistisch, daß dieser neue Appell sehr viel mehr bewirkt als bisherige Appelle. Noch ein wohlmeinendes Papier gesellt sich zu den vielen anderen. Währenddessen gehen die systematischen Disinformationskampagnen weiter. Ich empfehle jedem den EU Bericht “Late Lessons from Early Warnings” und das Buch “Die Blindheit der Gesellschaft” zum gleichen Thema.