Das heilige Land der Naturwissenschaften

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Gedanken eines Experimentalphysikers
Quantenwelt

Naturwissenschaft braucht weder heilige Stätten noch braucht sie Heilige und Propheten. Es ist für die Wahrheit unerheblich, wer sie findet und wer sie formuliert. Oder, um es erkenntnistheoretisch sicherer auszudrücken, es ist für die Erklärungstiefe und -genauigkeit einer naturwissenschaftlichen Theorie unwichtig, wo und von wem sie aufgestellt wurde. Dennoch ist es spannend, bedeutende Orte der Wissenschaftsgeschichte aufzusuchen und dort der Verfasser von Theorien zu gedenken.

Das Oberland von Helgoland von Nord nach Süd im Licht der untergehenden Sonne. Aus meinem Picasaalbum Helgoland

Ein hervorragender heiliger Ort der Quantenmechanik ist Helgoland. Schließlich stammt der Name wahrscheinlich aus dem Friesischen “det helge Land” und schon in vorchristlicher Zeit wurde hier nachweislich den friesischen Göttern geopfert. Helgoland ist ein faszinierender Ort, vor gut viertausend Jahren, als der Meeresspiegel noch deutlich niedriger war, handelte es sich um zwei Berge auf einer Halbinsel. der kleinere Berg aus Kreide, der größere aus Buntsandstein. Kein Wunder, dass die Menschen glaubten, auf dem Buntsandsteinfelsen den Göttern näher zu sein.

Die Buntsandsteinschichten.

Heute sehen wir zwei Inseln. Die Hauptinsel besteht noch immer aus Buntsandstein und heißt einfach Helgoland oder auf helgoländisch Halig Lun, die kleine Insel aus Sand wurde im Zweiten Weltkrieg zu ihrer heutigen Form und Größe aufgeschüttet und wird als die Düne bezeichnet. Spannend finde ich die geologische Entstehungsgeschichte der Insel: Auf einer mächtigen Salzschicht befanden sich unter anderem eine Schicht aus Kreide und eine tieferliegende Buntsandsteinschicht. Als sich die Salzschicht ausdehnte, wurden die beiden Schichten an die Oberfläche gedrückt und formten zunächst zwei Berge, die nach dem warmzeitlichen Anstieg des Meeresspiegels zu Inseln wurden. Im Helgoländer Museum kann man zahlreiche Fossilien beobachten, die in Helgoland den Weg zurück an die Erdoberfläche gefunden haben.

Grüne und rote Steinschichten in Nahaufnahme.

Die Bezeichnung Buntstandstein darf man gerne erst nehmen. Betrachtet man die Schichten des berühmten roten Felsens nämlich genauer, so fallen grünliche Gesteinsschichten zwischen den roten Bereichen auf. Diese Schichten sind Kupferhaltig und wurden von den alten Friesen tatsächlich als Rohstoff zur Kupfergewinnung verwendet. Auch hierfür gibt es im Inselmuseum Zeugnisse.

Die Vogelwelt auf Helgoland ist nicht nur wissenschaftlich interessant, sondern oft auch frech und fordernd. Aus Helgoland

Neben Geologie, Paläontologie und Archäologie findet die moderne Biologie ausreichend Forschungsgebiete auf Deutschlands einziger Hochseeinsel*. So gibt es dort eine Vogelwarte, die unter anderem die Brut- und Zuggewohnheiten der Meeresvögel untersucht, und die Biologische Anstalt Helgoland (BAH) des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung, die sich eher auf das Leben unter Wasser konzentriert. Das Helmholtz-Zentrum Gesthacht betreibt auf Helgoland eine Messstation des Aerosol Robotic Network, so dass auch die Klimaforschung auf Helgoland zuhause ist.

Ein Forschungsinstitut zur Quantenmechanik gibt es meines Wissens auf Helgoland nicht. Dennoch ist hier ein wichtiger Ort für die Quantenmechanik. Werner Heisenberg hat hier 1925 seine Version der Quantentheorie vollendet. Wie er selbst berichtet, arbeitete er an der Theorie bis Nachts um drei und als er fertig war, hing er hinaus, erklomm einen  Felsen am Südende des Oberlandes und erwartete den Sonnenaufgang. Es war Juni, er musste nicht lange warten in Norddeutschland.

Der Gedenkstein an Heisenberg vor Flagturm und Sonnenuntergang.

Der Felsen an der Südspitze existiert heute nicht mehr. Am 18. April 1947 wurde diese in der größten nichtnuklearen Sprengung der Geschichte zum Einsturz gebracht. An dem heutigen südlichen Ende des Oberlandes findet sich aber der Gedenkstein für Heisenbergs Leistungen auf Helgoland sowie eine Informationspyramide.

Heisenbergs Leistung war größer als nur die mathematisch korrekte Darstellung quantenmechanischer Vorgänge. Er hatte ein Vorurteil zu überwinden, das sich in der klassischen Physik glänzend bewährt hatte. Das Vorurteil war, dass Teilchen zugleich einen eindeutig definierten Ort und eine eindeutig definierte Geschwindigkeit haben müssen. Dass sechs Zahlen ausreichen, um den aktuellen Zustand eines Objektes in Ort und Geschwindigkeit anzugeben. In der klassischen Mechanik ist der Phasenraum eines einzelnen punkt- oder kugelförmigen+ Objektes sechsdimensional. Man braucht drei Zahlen um seinen Ort anzugeben und weitere drei für die Geschwindigkeit und wenn man diese sechs Zahlen und die statische Umgebung des Teilchens kennt, dann kennt man die Bewegung eindeutig für alle Zukunft und in alle Vergangenheit.

Die Inschrift auf dem Gedenkstein. Für eine größere Version einfach auf das Bild klicken. (Das gilt auf für die anderen Bilder.)

Dass es praktisch keine Möglichkeit gibt, je die Anfangsbedingungen eines Teilchens in allen sechs Koordinaten zu exakt zu messen, war schon lange jedem Physiker bekannt. Aber einer physikalisch realistischen Theorie verlangte man ab, eindeutige Zahlen zu errechnen. Heisenberg war mutig genug, eine Theorie aufzustellen, die alle Messungen richtig beschreibt aber mit dem Dogma, ein Teilchen müsste stets eindeutig Ort und Geschwindigkeit haben, bricht. Das ist wohl die größte wissenschaftliche Leistung, die je auf der deutschen Hochseeinsel* vollbracht wurde.

Anmerkungen:

*Auf Wikipedia wird die Bezeichnung Helgolands als einzige deutsche Hochseeinsel als falsch dargestellt. Allerdings auf fragwürdige Weise. Es wird lediglich klar gestellt, dass Helgoland keine Tiefseeinsel ist, weil sie sich auf dem europäischen Festlandsockel befindet und dass Helgoland nicht durch internationale Gewässer von Deutschland getrennt ist. Beides sind aber ad hoc Definitionen des Wortes “Hochseeinsel”. Wenn man unter einer Hochseeinsel eine Insel versteht, auf der man in alle Richtungen stets von Meer umgeben ist, dann ist Helgoland eindeutig eine Hochseeinsel. Fahrt einfach mal hin und findet es heraus.

+Streng genommen kann ein ausgedehntes Objekt noch rotieren und braucht deshalb drei Winkel- und drei Winkelgeschwindigkeitskoordinaten mehr.

 

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Veröffentlicht von

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Joachim Schulz ist Gruppenleiter für Probenumgebung an der European XFEL GmbH in Schenefeld bei Hamburg. Seine wissenschaftliche Laufbahn begann in der Quantenoptik, in der er die Wechselwirkung einzelner Atome mit Laserfeldern untersucht hat. Sie führte ihn unter anderem zur Atomphysik mit Synchrotronstrahlung und Clusterphysik mit Freie-Elektronen Lasern. Vier Jahre hat er am Centre for Free-Electron Laser Science (CFEL) in Hamburg Experimente zur kohärenten Röntgenbeugung an Biomolekülen geplant, aufgebaut und durchgeführt. In seiner Freizeit schreibt er zum Beispiel hier im Blog oder an seiner Homepage "Joachims Quantenwelt".

5 Kommentare

  1. SO(3) ist dreidimensional, also braucht man drei Winkel- und drei Winkelgeschwindigkeitskoordinaten, und nicht jeweils zwei.

  2. Eindeutigkeit

    Das Vorurteil war, dass Teilchen zugleich einen eindeutig definierten Ort und eine eindeutig definierte Geschwindigkeit haben müssen. Dass sechs Zahlen ausreichen, um den aktuellen Zustand eines Objektes in Ort und Geschwindigkeit anzugeben

    Frage: trifft es zu dass man den Weg eines Teilchens z.B. Elektron, eindeutig verfolgen kann, jedoch keine Anfangsbedingungen erhält wenn man versucht es zu -erfassen-.
    Und das auch eine Momentanzustandsmessung
    nicht möglich ist?

    Je kürzer die Messung, desto ungenauer/unschärfer.
    Welche Erklärung wird dafür gegeben?

    Gruss Kurt

  3. @Kurt

    Eine kurze und anschauliche Erklärung für die Unschärfe findest du zum Beispiel auf meiner Homepage, wenn du dem Link unter Heisenbergs Leistung folgst. Es liegt am Wellencharakter der Teilchen. Wenn du die Position beliebig genau kennen willst, muss du ein Wellenpaket modellieren, das beliebig kleine Wellenlängen enthält. Die Wellenlänge ist aber mit dem Impuls (also der Geschwindigkeit) des Teilchens gekoppelt. Ein gut lokalisiertes Wellenpaket enthält einen großen Bereich verschiedener Wellenlaengen und zerfließt damit rasch.

  4. Unschärfe

    Hallo Joachim,
    danke.

    Die hier dargestellten Wellen haben unterschiedliche Wellenlängen, so dass sie an einigen Stellen im Gleichtakt schwingen, an anderen Stellen aber gegeneinander. Solche Wellen eignen sich nicht zur Darstellung räumlich begrenzter Quantenobjekte, da sie unendlich ausgedehnt sind. Addiert man sie aber, so erhält man die unten dargestellte Welle, die aus Wellenpaketen mit gleichmäßigem Abstand bestehen. Solche Wellenpakete können verwendet werden, um einzelne Teilchen wie Elektronen darzustellen.

    Hier sind viele Wellen übereinandergelegt damit man stabile Bereiche (letztendlich einen einzigen, das Teilchen selber) bekommt.
    Ich möchte eine andere Vorstellung einstellen und erfahren ob es -so sein könnte-.

    Dazu einfach das Elektron.
    Kein Teilchen, keine Welle, eine Menge von irgendwas.
    Ein Elektron zeigt Spin, hat also eindeutig eine Vorzugsrichtung welche bei entsprechender Anregung erkennbar ist.

    Wenn man hergeht und das Elektron, alle anderen Grundteilchen auch, nicht als kugeliges Teilchen, nicht als Welle, sondern als in sich schwingende Menge ansieht, dann entfällt die Notwendigkeit des “Wellenmodells”.
    Denn dann ist das Teilchen das alles selber.
    Eine Menge die eine bestimmte Schwingung ausführt, dabei zwangsweise die Unschärfe zeigt und Spin auch.
    Die Spinschwingung:
    Die einfachste -Spinschwingung- dürfte die sein bei der sich die Menge einmal langzieht, wie eine bauchige Zigarre, einmal aufbeult wie eine Diskusscheibe.
    Das ganze muss eine resonante, im Prinzip sinusartige Schwingung ergeben.

    Da hat man dann alles beieinander was man so braucht.
    Es herrschen zu jedem Zeitpunkt unterschiedliche Geschwindigkeiten (die vielen Einzelwellen) und auch eine Vorzugsrichtung ist vorhanden.
    Die “Überlagerung der Einzelwellen” die ja nicht vorhanden sind, ergibt sich durch die ständige Geschwindigkeitsänderung der Einzelbausteine innerhalb der Menge.
    Die beiden “Endlagen” der Menge, einmal langezogen, einmal bauchig, ergibt die Spinausrichtung.
    Man könnte auch hineininterpretieren dass es die “elektrischen und magnetischen” Eigenschaften sind.

    Den Gedanken weitergesponnen, die Einzelteilchen der Menge sich nicht bewegen lassen, sondern nur verformen, ergibt das was ich mir unter einem Elektron usw. vorstelle.

    Ist das was ich geschrieben habe in irgendeiner Weise nachvollziehbar?

    Gruss Kurt

    Nochwas ist dabei drin, die Schrittweite der jeweiligen Zustandsänderungen (das was so als Plankgrösse bezeichnet wird).

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