Die Frauen des Zeitreisenden

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Gedanken eines Experimentalphysikers
Quantenwelt

Nachdem ich mich mit dem Roman The Time Machine von H.G. Wells mit dem Schwerpunkt Wissenschaftsroman beschäftigt habe, möchte ich diesen Roman einmal mit zwei seiner Verfilmungen vergleichen. Dabei handelt es sich um die George-Pal-Produktion von 1960 (Zeitreisender gespielt von Rod Taylor) und die Parkes/MacDonald Produktion von 2002 (Guy Pearce). Im allgemeinen kann man sagen, dass sich die 1960er Verfilmung recht nah ans Original hält, während die 2002er Verfilmung sehr frei ist. Das halte ich nicht unbedingt für einen Makel. Andere Medien können andere Geschichten erzählen. Wer aus Ehrfurcht for dem Buchautoren auf filmische Möglichkeiten verzichtet, beschneidet sich meiner Ansicht nach allzu sehr.

The Time Machine

Die Covers der beiden Filme auf DVD.

Die 1960er Verfilmung der Zeitreise schildert den Viktorianischen Wissenschaftler genau wie das Buch. Wie im Roman ist der Zeitreisende lediger Wissenschaftler, der sein Leben der Wissenschaft verschrieben hat und aus purer Neugier die Zeitreise antritt. Die erste Änderung zum Roman ist, dass der Zeitreisende auf dem Weg in die ferne Zukunft ein paar Zwischenstopps in der nahen Zukunft einlegt und so den dritten Weltkrieg miterlebt, der offenbar mit Atomwaffen bestritten wird. Der Kalte Krieg zeigt also im Film seine Spuren. Das beeinflusst auch das Jagdverhalten der Morlocks. Sie kommen nicht, wie im Roman, nachts heraus um Eloi zu jagen. Sie öffnen einfach die Türen in ihre Unterwelt und locken die Eloi mit dem Geräusch einer Luftschutzsirene in den Untergang.

Als der Zeitreisende in der Zukunft ankommt, entwickelt sich die Geschichte zunächst recht ähnlich wie im Roman. Mit einem wichtigen Unterschied, der den Titel dieses Blogposts rechtfertigt: Die Beziehung des Zeitreisenden zu der Eloi-Frau Weena stellt sich ganz anders dar. Im Roman sind die Eloi eine andere Spezies. Der Zeitreisende ist nicht wirklich sicher, ob Weena männlich oder weiblich ist, weil die Geschlechtsunterschiede in der Evolution dieser Geschöpfe beinahe vollständig verschwunden sind. Seine Beziehung zu Weena geht nur wenig über die zu einem liebgewonnenen Haustier hinaus. Im Film hat sich die Eloi-Polulation dagegen nicht wesentlich gegenüber homo sapiens verändert. Weena ist eine Frau und die Beziehung des Zeitreisenden zu ihr entwickelt sich schnell zu einer Liebesbeziehung. Einem etwas merkwürdigem Frauenbild entsprechend, das in den Fünfzigern noch verbreiteter war als heute, wirkt Weena ähnlich hilflos wie das Vorbild im Roman. Aber der Zeitreisende scheint das attraktiv zu finden, rettet im Laufe dieses Abenteuerfilms ihr Leben und außerdem die ganze Welt der Eloi und kehrt am Ende des Films nicht in die Zukunft zurück um Beweise für seine Zeitreise zu bringen sondern mit der Absicht, für immer bei den Eloi zu bleiben.

Hier zeigt sich deutlich der Wandel des Idealbilds vom Wissenschaftler. Im Roman von 1895 gelingt es dem Zeitreisenden nicht, Weena zu retten und mit nach Hause zu bringen. Sie kommt auf der Flucht vor den Morlocks in einem Feuer ums Leben. Die Eloi als ganzes zu retten, fällt dem Zeitreisenden gar nicht ein. Er kämpft gegen die Morlocks nur um seine Zeitmaschine. Nach seiner Heimkunft kehrt er in die Zukunft mit der Absicht zurück, Beweisfotos für seine Abenteuer zu machen. Von der Fotosafari kehrt er nicht mehr zurück. In der 1960er Verfilmung wandelt sich der Zeitreisende dagegen vom Wissenschaftler zum Helden und Weltretter. Er kehrt zurück um den Eloi Entwicklungshilfe zu geben und um mit seiner Liebsten im selbst geschaffenen Paradies der fernen Zukunft zusammen zu leben.

Ein ganz anderes Menschenbild vermittelt der 2002er Film. Hier handelt der Zeitreisende von Anfang an aus persönlichen Motiven. Er reist zunächst nicht in die Zukunft. Er versucht vielmehr, seine Verlobte zu retten, die bei einem Überfall erschossen wurde. Dazu nutzt er seine Erfindung um mehrmals in die Vergangenheit zu reisen. Erst als es ihm nicht gelingt, die Vergangenheit zu ändern, reist er entmutigt in die Zukunft. Der Typ des Wissenschaftlers wird nicht mehr als von Neugier getriebener Einzelgänger gesehen. Nur ein persönlicher Schicksalsschlag, der Tod seiner Verlobten, gibt ihm den Mut, die gefährliche Zeitreise anzutreten. Neugier gilt nicht mehr als Motiv für potentiell gefährliche Selbstversuche. Der Wandel im Bild vom Wissenschaftler wird schon dadurch deutlich, dass der Zeitreisende nicht mehr vor allem Privatmann, sondern forschender Universitätsprofessor ist. Wissenschaftler wird hier als Beruf, nicht als Lebensinhalt beschrieben.

In der Zukunft trifft der Protagonist eine selbstbewusste, kluge und starke Eloifrau Weena, die ebenso sein Leben rettet, wie er das ihre. Aus der Sicht moderner Rollenbilder macht das durchaus Sinn. Wenn sich die Eloi nicht wesentlich von homo sapiens unterscheiden, warum sollten dann die Eloi-Frauen unterwürfige, hilflose Geschöpfe sein? Die Welt der Eloi ist in diesem Film durchaus kompliziert und Frauen wie Männer müssen für ihr Überleben hart arbeiten.

Die Voraussetzungen für die Evolution zweier Arten aus den Menschen werden in diesem Film neu definiert. Nicht die Zwei-Klassen-Gesellschaft des Viktorianischen Englands entwickelt sich zu zwei Arten weiter. Vielmehr wird eine durch Menschen verursachte Naturkatastrophe angenommen, die einen Großteil der Menschen in unterirdische Bunkeranlagen zwingt, in denen sich die Morlocks ähnlich wie ein Insektenstaat entwickeln. Die Eloi stammen dagegen von den wenigen Menschen ab, die es geschafft haben, sich auf der unwirtlich gewordenen Erdoberfläche zurechtzufinden. Vor diesem Hintergrund sind die Unterschiede zu den im Roman beschriebenen Eloi durchaus nachvollziehbar. Aber auch in dieser Verfilmung ist unklar, warum die Eloi in Grunde unveränderte Menschen sind, während sich die Morlocks so deutlich verändert haben. Abgesehen natürlich von dem offensichtlichen filmischen Grund: Ein guter Hollywood-Film braucht eine Romanze, das ist mit einem Menschenpaar viel einfacher zu vermitteln als mit zwei Mitgliedern unterschiedlicher Arten.

Beeindruckt hat mich bei dem alten Film besonders die Schlussszene. Dort stellt der Freund des Zeitreisende die Frage in den Raum: Welche Bücher würden Sie mitnehmen, wenn sie eine neue Gesellschaft aufbauen wollten? Ich habe mich noch nicht entschieden. The Time Machine ist nicht in engerer Auswahl. Eher wohl mein Lexikon.

Anmerkungen:

Wenn sie unter dem Titel ein paar Worte über den Roman Die Frau des Zeitreisenden erwartet haben, kann ich versprechen: Dazu schreibe ich etwas in einem der nächten Blogbeiträge.

Ich bin auch ab und zu auf Facebook, Twitter oder Google+ anzutreffen.

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Joachim Schulz ist Gruppenleiter für Probenumgebung an der European XFEL GmbH in Schenefeld bei Hamburg. Seine wissenschaftliche Laufbahn begann in der Quantenoptik, in der er die Wechselwirkung einzelner Atome mit Laserfeldern untersucht hat. Sie führte ihn unter anderem zur Atomphysik mit Synchrotronstrahlung und Clusterphysik mit Freie-Elektronen Lasern. Vier Jahre hat er am Centre for Free-Electron Laser Science (CFEL) in Hamburg Experimente zur kohärenten Röntgenbeugung an Biomolekülen geplant, aufgebaut und durchgeführt. In seiner Freizeit schreibt er zum Beispiel hier im Blog oder an seiner Homepage "Joachims Quantenwelt".

5 Kommentare

  1. Auf eine Rezension…

    …des zweiten Teils, “Zeitschiffe” von Stephen Baxter, wäre ich auch sehr gespannt. Leider wurde er bis heute nicht verfilmt, wobei ich mir nicht so recht vorstellen kann, wie das funktionieren sollte.

    Grüße – Silvio

  2. @Silvio Geisler

    Vielen Dank für die Anregung. Ich habe mir den Roman von Stephen Baxter gleich bestellt und werde ihn mit Interesse lesen. Ob dabei ein Blogbeitrag herauskommt, kann ich noch nicht versprechen, aber der Klappentext ist vielversprechend.

  3. “Relativ nah am Buch” habe ich auch die 1960er Version nicht gesehen (den Film aber liebe ich wie das Buch, im Gegensatz zur Neuverfilmung 2002), eine ganze Dimension als zeitgenössischer Kommentar fällt ja weg, wenn Wells sowohl Eloi und Morlocks als Degenerationen von Klassen (Elite und Arbeiter) sieht, bzw. wird das nur höchst randständig im Film angedeutet, keineswegs aber ist die Gut/Böse-Verteilung so eindeutig wie im Film (aber gut, das wären vielleicht auch zuviel Erwartungen an eine Verfilmung)

  4. .

    Dass beide Verfilmungen die Vorlage um eine Liebesgeschichte erweitern, war wohl unvermeidlich. Interessant aber, dass keine den Mut hatte, eine Inter-Spezies-Romanze daraus zu machen. Ich überlege gerade, ob mir überhaupt literarische Beispiele für Liebesbeziehungen zwischen unterschiedlichen (intelligenten) Spezies einfallen (genauer, zwischen Spezies, die nicht zufällig beide wie Menschen aussehen). Ich meine, in der Science-Fiction-Literatur relativ selten auf so etwas gestoßen zu sein.

  5. Kennst Du den Film Mr. Nobody? Ich dachte zuerst, der Junge würde superpositionieren, aber in der Beschreibung von wikipedia stellt es sich etwas anders dar. Ist dennoch interessant und es gibt einige Physik dabei. Viel über Zeit im Hinblick auf Entropie. Anfangs ist es jedoch etwas esoterisch.

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