Die Zeit des Zeitreisenden – Determinismus und Willensfreiheit

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Gedanken eines Experimentalphysikers
Quantenwelt

In meinem Beitrag zu den Frauen des Zeitreisenden habe ich versprochen ‒ oder angedroht ‒ auch den Roman “Die Frau des Zeitreisenden” von Audrey Niffenegger zu kommentieren. Hierbei handelt es sich nicht um einen Wissenschaftsroman. Die Zeitreise steht nicht im Vordergrund. Viel mehr geht es um eine Liebesgeschichte, in der der Zeitreisende seiner Frau zum ersten Mal begegnet, die ihn bereits gut kennt. Das spannende an diesem Roman ist, dass die Frau des Zeitreisenden nicht den jungen Mann kennt, der ihr zum ersten Mal begegnet, sondern sein gereiftes Ich, das sich erst im Laufe des Romans entwickeln  wird. Sie selbst wird erst die Veränderungen in ihm bewirken, die ihn zu dem Mann machen, in den sie sich verliebt hat.

Ich möchte nicht im Detail auf die Liebesgeschichte sondern auf das bisschen Wissenschaft, das in diesem Roman doch durchschimmert eingehen. Warum und wie die Zeitreisen in diesem Roman stattfinden, ist unwichtig. Der Arzt des Zeitreisenden findet zwar ein Gen, das die Zeitreisenden verursacht, indem es den das Zeitempfinden regulierenden Mechanismus stört, aber dass die Störung des Zeitempfinden dazu führen kann, dass ein Mensch Sprünge in die Vergangenheit und (seltener) in die Zukunft macht, ist wissenschaftlich eher unsinnig. Ich interessiere mich mehr für das Bild von Zeit und Kausalität, das Nieffenegger hier zeichnet. Dies ist wesentlich logischer als das David Duncans, des Drehbuchautors vom 2002er Film “Die Zeitmaschine”.

Im ersten Betrag meiner kleinen Zeitreise-Serie hat ein treuer Leser, Kurt, angemerkt:

Nunja, weder in die Vergangenheit, noch in die Zukunft.
Es gibt auch keine Informationen aus der Vergangenheit.
Denn weder die Vergangenheit, noch die Zukunft existiert, auch nicht -die Zeit-.

Was er vermutlich meint ‒ und ich kann ihm nicht widersprechen ‒ ist, dass wir nur über das Hier und Jetzt wissen, dass es existiert. Eine mögliche Sicht auf die Welt ist, dass es Objekte im Raum gibt, die eine Entwicklung durchmachen. Diese Objekte befinden sich jetzt, also in der Gegenwart, in einem bestimmten Zustand. Die Vergangenheit ist nun kein Ort auf einer Zeitkoordinate, sondern einfach die Gesamtheit der Zustände, die die Objekte einmal eingenommen haben. Die Zukunft dagegen ist die Gesamtheit der Zustände, die die Objekte einmal einnehmen werden. In diesem Bild kann man die Zukunft nicht besuchen, weil sie noch nicht existiert und man kann die Vergangenheit nicht besuchen, weil sie unwiederbringlich vergangen ist. Man kann aber natürlich aus den Zuständen des Heute auf die Zustände der Vergangeheit und Zukunft zu schließen versuchen.

Dieses Weltbild, dass die Zeit nicht als raumähnliche Dimension ansieht, ist nicht zu widerlegen. Jedenfalls ist mir keine Widerlegung bekannt. Es widerspricht insbesondere nicht der Tatsache, dass man die Zeit in der Mechanik wie eine mathematische Dimension beschreiben kann. Auf Grundlage dieser Weltanschauung kann man aber keinen Roman und kein Drehbuch zu Zeitreisen schreiben. Niffenegger und Duncan können also nicht anders als eine andere Anschauung der Zeit zu verwenden.

Das Problem am Zeitreisen ist, dass es logische Paradoxien zulässt. Was passiert, wenn man in die Vergangenheit reist und dort eine Dummheit begeht, die die eigene Geburt verhindert und es so unmöglich macht, in die Vergangenheit zu reisen um dort eine Dummheit zu begehen?

Viele Science-Fiction-Autoren umgehen das Problem, indem sie Parallelwelten einführen. Der Zeitreisende eröffnet mit seiner Zeitreisende einfach eine neue Parallelwelt, in der ganz was anderes passieren kann. Er reist also gar nicht in seine Vergangenheit, sondern in eine ganz andere Welt, die seiner Vergangenheit von der Anwesenheit des Zeitreisenden abgesehen identisch gleicht, sich aber unterschiedlich entwickeln wird.

Eine etwas merkwürdige Art, mit den Paradoxien umzugehen, hat die 2002er Verfilmung von der Zeitmaschine. Hier baut der Zeitreisende die Zeitmaschine nur fertig und reist in die Vergangenheit um seine Verlobte vor einem Räuber zu retten. Würde es ihm gelingen, das Leben seiner Verlobten zu retten, so hätte er für den Bau der Zeitmaschine keinen Ansporn mehr und das Paradoxon wäre geschaffen. Im Film gelingt es dem Zeitreisenden zwar, die Verlobte vor einem Tod zu bewahren, dafür stirbt sie aber jedes Mal an etwas anderem. Der Film malt ein etwas gruseliges Bild von einer Vergangenheit, die es nur darauf abgesehen hat, die Verlobte des Zeitreisenden zu töten. Egal wie. Dass der Zeitreisende damit aber die Möglichkeit hat, die Vergangenheit anderer zu verändern, wird nicht thematisiert. Die Moral des Films ist damit auch etwas einfältig: Man kann die Zukunft verändern, nicht aber die Vergangenheit. Logisch ist das nur, wenn Zeitmaschinen unmöglich sind.

Niffenegger geht einen erfrischen anderen Weg, der wesentlich für die Handlung ist und so die Stimmung  ihres Romans entscheidend prägt. Sie verfolgt den strengen Determinismus: Die Vergangenheit existiert ebenso wie die Zukunft. Der Zeitreisende hat keine Kontrolle über die Ziele seiner Zeitreisen, aber er landet stets in einem passenden Raum-Zeit-Punkt der einen und einzigen Welt. Für ihn sind Zukunft und Vergangenheit gleichermaßen beeinflussbar und unveränderbar.

Beeinflussbar sind sie in dem Sinne, dass seine Entscheidungen und Handlungen in Zukunft und Vergangenheit stets Folgen haben. Nichts und niemand hindert ihn, seiner zukünftigen Frau über die Zukunft zu erzählen oder die Lottozahlen aus der Zukunft mitzubringen. Er greift ohne zu Zögern in die Vergangenheit seiner Frau ein, nimmt in der Zukunft Telefonkontakt zu sich selbst auf und besucht sich selbst in der Vergangenheit.

Unveränderbar sind Vergangenheit und Zukunft aber, weil seine Handlungen stets zu dem passen, was passieren wird und passiert ist. Zukunft und Vergangenheit passen zusammen wie ein riesiges 4D-Puzzle. Der Zeitreisende trifft in jeder Situation, in die er kommt, freie Entscheidungen, die sein weiteres Leben beeinflussen. Diese Entscheidungen führen zu der Zukunft, die er Teilweise bereits kennt. Es gibt aber auch, wie bei jedem von uns, Grenzen in der Handlungsfreiheit des Zeitreisenden. Er ist nicht allmächtig. Und so kann er auch die negativen Folgen seiner Zeitreisen und letztlich seinen Tod nicht verhindern, obwohl er ihn vorhergesehen hat.

Freilich funktioniert dieser Determinismus nur, weil Niffeneggers Zeitreisender keine Zeitmaschine hat, mit der er gezielt bestimmte Punkte in der Vergangenheit ansteuern und verändern kann. Im sind die Hände gebunden, seine Zeitsprünge sind ebenso wenig kontrollierbar, wie wir nicht zeitreisende kontrollieren können, in welche Situationen wir geraten werden. Aber genau dies ist der Reiz des Buches. Die Fähigkeit in die Zeit zu Reisen, macht diesen Zeitreisenden nicht zu einem Superhelden. Er bleibt ein Mensch wie Sie und ich.

Der Roman Nieffeneggers ist unter dem Gesichtspunkt des scheinbaren Widerspruchs zwischen Willensfreiheit und Determinismus interessant zu lesen. Er zeigt, dass auch das Wissen oder die Ahnung, in einer Welt zu leben, in der vieles unvermeidbar ist, uns nicht davon entbindet, Entscheidungen zu treffen.

Anmerkungen:

Gelesen habe ich die deutsche Übersetzung von Brigitte Jakobeit (S. Fischer Verlag 2005)

Ich bin auch ab und zu auf Facebook, Twitter oder Google+ anzutreffen.

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Joachim Schulz ist Gruppenleiter für Probenumgebung an der European XFEL GmbH in Schenefeld bei Hamburg. Seine wissenschaftliche Laufbahn begann in der Quantenoptik, in der er die Wechselwirkung einzelner Atome mit Laserfeldern untersucht hat. Sie führte ihn unter anderem zur Atomphysik mit Synchrotronstrahlung und Clusterphysik mit Freie-Elektronen Lasern. Vier Jahre hat er am Centre for Free-Electron Laser Science (CFEL) in Hamburg Experimente zur kohärenten Röntgenbeugung an Biomolekülen geplant, aufgebaut und durchgeführt. In seiner Freizeit schreibt er zum Beispiel hier im Blog oder an seiner Homepage "Joachims Quantenwelt".

4 Kommentare

  1. Vorsicht, Science-Fiction-Humor:

    Wie man mit der Zeit-Rochade Zeitparadoxa vermeiden kann:

    Der Time Lord Admiral

    http://www.e-stories.de/…geschichten.phtml?28322

    Wie sich die Gravitationsbeschleunigung und auch andere Beschleunigungen bei Zeitreisen auswirken:

    Das Zeitkatapult

    http://www.e-stories.de/…geschichten.phtml?28951

    Die folgende Geschichte wurde auffällig oft gelesen:

    Wie man die Lotto-Zahlen aus der Zukunft bekommt

    http://www.e-stories.de/…geschichten.phtml?23786

  2. Psychologie der Zeitreise

    Interessante Gedanken – aber ich kenne das Buch nicht und verstehe das noch nicht ganz:

    Jemand kann also (durch Zufall?) in verschiedenen Zeiten landen; Vergangenheit und Zukunft sind aber fixiert.

    Dann sind also auch die Zeitreisen fixiert und gewissermaßen Naturphänomen und nichts Außergewöhnliches.

    Oder aber die Zeitreisen sind Ausnahmen von den Naturphänomenen und man reist quasi als eine Art körperloses Bewusstsein in die andere Zeit, ist dort aber nur Zuschauer und kann nichts ändern, da die Vergangenheit ja schon fixiert ist?

    Oder aber die Zeitreisen setzen die Fixierung außer Kraft, denn derjenige, der in die Vergangenheit reist, ist dort durchaus materiell anwesend und kann folglich auch die Vergangenheit verändern.

    Oder aber…?

  3. Fixiert

    Hallo Stephan,

    Zeitreisen sind bei Niffenegger tatsächlich ein Naturphänomen. Der Zeitreisende hat keine Kontrolle über seine Zeitreisen. Sie geschehen als Anfälle meist in Stresssituationen und meist reist er zu Zeiten und Orten, die für ihn persönlich bedeutung haben.

    Ob Zukunft und Vergangenheit fixiert sind, wird nicht thematisiert. Aber klar ist, dass es sich nicht um Parallelwelten handelt. Der Zeitreisende reist also nicht in die Vergangenheit, stellt dort irgend etwas an und wenn er wiederkommt, ist er in einer anderen Welt als er verlassen hat. Vielmehr ist das, was er in der Vergangenheit anstellen wird, auch bevor er zurückreist schon geschehen.

    Beispiel: Der Zeitreisende besucht immer wieder das Mädchen, das seine Frau werden wird. Folglich kann sich seine zukünftige Frau als sie ihn zum für ihn ersten Mal trifft, bereits an viele Begegnungen mit seinem älteren Ich erinnern. Die Erinnerungen seiner Frau sind nicht anders, nachdem er tatsächlich zurückgereist ist um sie zu treffen.

    Daraus folgt aber, dass alles, was er in der Vergangenheit machen wird, bereits fest liegt. Er spürt aber in der Vergangenheit keinerlei Einschränkungen in seiner Handlungsfreiheit. Er ist tatsächlich körperlich da.

  4. Zeit ist nicht res sondern ordine. Daher kein Gegenstand sondern eine Kategorie unter der uns die Welt erscheint. Daher habe ich mit der Vorstellung des Zeitreisens meine Verständnisprobleme und kann auch Gödel in diesem Punkt nicht folgen (Nebenbei Einstein ist ein Gaukler). Man braucht ein deterministisches Weltbild. Das verträgt sich bei mir nicht mit der Tatsache der Willensfreiheit. Wäre sehr verbunden, wenn mir jemand diesen Widerspruch auflösen könnte. Was nicht erfahrbar ist kann kein Gegenstand des Wissens sein sondern ist Produkt der Spekulation.

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