Kick it like Einstein: Astronomie in Südafrika

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Auch in Kapstadt sieht man am Nachthimmel gerade noch die hellsten Sterne. Jüngst ist aus gegebenem Anlass noch eine Lichtverschmutzungsquelle dazu gekommen.

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[Bild: Sze-Leung Cheung]

Da steht es, das neue Fußballstadion, und trägt sein Teil dazu bei, dass der Nachthimmel in Kapstadt ebenso schlecht zu sehen ist wie in anderen Großstädten. Ein passender Ausgangspunkt für die erste der 32 Forschungsreisen in die Länder der WM-Endrunde, mit denen die SciLogs die letzten 32 Tage bis zum Fußball-WM-Auftakt alt herunterzählen. Da es um astronomische Forschung gehen soll, müssen wir Kapstadt allerdings so bald wie möglich weit hinter uns lassen. Aufgrund der Lichtverschmutzung sind die südafrikanischen Astronomen schon in den 1970er Jahren in die Wüste geschickt worden, und zwar in die Karoo-Halbwüste, genauer: auf einen Berg nahe der kleinen Stadt Sutherland, knapp fünf Autostunden von Kapstadt entfernt. Von dort allerdings ist der Blick in den Himmel wirklich phänomenal. Der Südhimmel ist eben doch sehr viel schöner als sein nördliches Pendant: Zum einen bietet er weitaus interessantere Regionen der Milchstraße, also der Innenansicht unserer Heimatgalaxie. Hier geht gerade das Zentrum unserer Milchstraße (in dem das zentrale supermassereiche Schwarze Loch lauert) über der Kuppel von SALT (s.u.) auf: 

Milky Way over Sutherland.

Das Bild gibt recht gut den Eindruck wieder, den man auch mit dem bloßen Auge hat: Sterne, Sterne überall! (Und ein Emu.) Tausende von Gründen, sich für einen dunklen Nachthimmel zu engagieren.

Außerdem stehen am Südhimmel unsere beiden nächsten Nachbargalaxien, die große und die kleine Magellansche Wolke: 

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Kleine (links) und Große Magellansche Wolke sind über der Teleskopkuppel links von der Bildmitte gut zu erkennen. Links über der Kleinen Magellanschen Wolke eine Sternschnuppenspur. Am rechten Bildrand erbringt das rote Leuchten den Nachweis, dass sich auch hier bei Belichtungszeiten um die 30 s ein Rest Lichtverschmutzung nachweisen lässt. Mit bloßem Auge ist es kaum zu sehen.

Wissenschaftlich in die Sterne geschaut wird in Südafrika seit hunderten von Jahren. Bereits 1750 besuchte Nicolas Luis de Lacaille das Kap und erfreute seine wissenschaftlichen Zeitgenossen nicht nur mit einem Katalog von knapp 10,000 Sternen und einigen Dutzend Nebeln, sondern auch mit Messungen, die zu zeigen schienen, dass die Erde keine Kugel, sondern eine Art Kürbis ist, dessen Südhälfte deutlich langgestreckter ist als die Nordhälfte. Erst knapp 100 Jahre später war zweifelsfrei belegt, was einige Nachfolger von Lacaille bereits vermutet hatten: dass die Gravitation des Tafelbergs dem Geodäten ein Schnippchen geschlagen und die Lote abgelenkt hatte, die er beim Messen verwandt hatte. Spätere Messungen stellten die Kugelgestalt der Erde wieder her.

Die Gründung der Sternwarte Kapstadt im Jahre 1820 geschah unter ganz praktischen Gesichtspunkten: Seefahrer, die sich an den Sternen orientieren wollen, benötigen genaue Sternpositionen, und daran haperte es für den Südhimmel zu jener Zeit. Die Britische Admiralität sann auf Abhilfe, und so bekam Kapstadt einen königlichen Astronomen. Vierzehn Jahre später kam ein zweites, privates Observatorium hinzu: das von John Herschel, der die Arbeit seines berühmten Vaters Wilhelm auf die Südhalbkugel ausdehnte und gezielt nach Nebeln, Sternhaufen und Doppelsternen suchte. Ihm verdanken wir die Erstbeschreibung von so wunderschönen Objekten wie dem Katzenpfotennebel oder, nach ihm benannt, Herschels Schmuckkästchen:

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[Bild: ESO]

Dieses Bild wurde allerdings nicht in Südafrika aufgenommen, sondern in Chile, und zwar mit dem MPG/ESO 2,2-Meter-Teleskop auf La Silla. Das Teleskop ist eine Leihgabe der Max-Planck-Gesellschaft an die Europäische Südsternwarte (ESO), und das bringt uns zurück zur südafrikanischen Astronomiegeschichte, obschon mit einem Sprung von mehr als hundert Jahren, und zu meinem jetzigen Heimatinstitut: Als das Max-Planck-Institut für Astronomie Ende der 1960er Jahre gegründet wurde, sollte es das Basisinstitut für zwei internationale Sternwarten mit besonders guten Beobachtungsbedingungen werden, eine davon auf der Nord- und die andere auf der Südhalbkugel. Auf der Nordhalbkugel entstand das Deutsch-Spanische Astronomische Zentrum Calar Alto. Auf der Südhalbkugel hatte die Max-Planck-Gesellschaft den Gamsberg erworben, einen Tafelberg in Namibia, der exzellente Beobachtungsbedingungen bot. Als es daran ging, das erste große Teleskop dort aufzustellen – ein Spiegelteleskop mit 2,2 Metern Spiegeldurchmesser, dessen Duplikat bereits auf dem Calar Alto Dienst tat – kam das Veto von oben: Im Konflikt um die damalige südafrikanische Kontrolle von Namibia sah die damalige Bundesregierung die Errichtung eines deutschen Observatoriums als eindeutig falsches Signal. Das 2,2-Meter-Teleskop ging stattdessen als Leihgabe ans La Silla-Observatorium der ESO nach Chile, wo es seit 1984 viele wunderschöne Bilder aufgenommen hat – unter anderem das hier gezeigte.

Der Gamsberg ist nur eines von vielen Beispielen für negative Rückwirkungen der südafrikanischen Politik auf die Astronomie. Im Zuge internationaler Sanktionen gegen die Apartheidspolitik des Landes zogen sich die ausländischen Institutionen, die in Südafrika Observatorien betrieben hatten, nach und nach zurück.

Erst nach dem Ende der Apartheid, in den 1990er Jahren, kam die astronomische Zusammenarbeit mit Südafrika wieder in Schwung. Das bringt uns zurück zur eingangs erwähnten Sternwarte Sutherland, auf der sich zwar nicht Fuchs und Hase, aber immerhin Springbok und Springbok gute Nacht sagen, und deren hervorragende Beobachtungsbedingungen eine ganze Reihe internationaler Gäste angezogen haben: Vom winzigen “KELT South” (KELT steht für “Kilodegree Extremely Little Telescope”) mit einer Öffnung von 3,5 Zentimetern über ein Sonnenteleskop der Universität Birmingham bis zu “MONET South“, einem von zwei robotischen Teleskopen der Universität Göttingen, die u.a. auch Schulen für Beobachtungen zur Verfügung stehen.

In internationaler Partnerschaft ist auch das größte Teleskop auf dem Plateau entstanden: das Southern African Large Telescope (SALT). Hier ein Fischaugenblick in die Kuppel: 

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Zum Größenvergleich habe ich mich für dieses Bild mit meinen knapp 1,90 m hinten auf die Gallerie gestellt. Wie das Hobby-Eberly Telescope in Texas verwendet SALT eine Bauweise, die es ermöglicht, sehr große Teleskope sehr preiswert herzustellen. Vergleichsweise einfache Spiegelsegmente, eine konstante Neigung relativ zur Senkrechten und ein nachführbarer Sekundärspiegel, um Himmelsobjekte trotz der eingeschränkten Beweglichkeit des Teleskops eine Weile verfolgen zu können: Fertig ist ein Teleskop, das zwar nicht jeden Punkt am Himmel anpeilen, aber mit etwas Geduld immerhin die meisten interessanten Himmelsobjekte ins Visier nehmen kann; das über enormes Lichtsammelvermögen verfügt (mit Spiegelmaßen von rund 10 mal 11 Metern ist SALT auf der Südhalbkugel das Einzelteleskop mit der größten Öffnung!); das zwar in punkto Abbildungsqualität nicht den gleichen Standards genügt wie andere Spitzenteleskope, sich aber hervorragend eignet, um die Spektren astronomischer Objekte aufzunehmen, und das insgesamt nur rund ein Fünftel soviel kostet wie ein Teleskop ähnlicher Größe, aber herkömmlicher Bauart. 

Von außen gesehen fällt der schlanke Extraturm ins Auge, der an einen stilisierten, dünnen Mann erinnert, der sich am Kuppelgebäude festhält und ins Innere lugt: 

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Der Kopf des Turmes beherbergt Laser, mit denen sich die Spiegelsegmente beleuchten lassen; so lässt sich ihre Orientierung überprüfen und korrigieren. Zum Zeitpunkt unseres Besuchs im März 2010 waren die südafrikanischen Kollegen zwar noch beim Ausbügeln einiger Betriebsschwierigkeiten; im Laufe des Jahres sollten aber wieder wissenschaftliche Messungen möglich sein. 

Auch jenseits des sichtbaren Lichts sind südafrikanische Forscher an interessanten Projekten beteiligt. Im Rahmen des Projekts H.E.S.S. machen sie mit ihren internationalen Kollegen Jagd auf ultrahochenergetische Gammaquanten, wie sie durch Sternexplosionen oder aktive Galaxienkerne erzeugt werden. Standort von H.E.S.S. ist übrigens Namibia; die Teleskope stehen in der Nähe des schon erwähnten Gamsbergs. Im Bereich der Radioastronomie hat sich Südafrika um eines der größten astronomischen Projekte überhaupt beworben: das Square Kilometer Array (SKA), ein Antennenfeld mit einer Sammelfläche von rund einem Quadratkilometer, bestehend aus zusammengeschalteten Antennen mit bis zu einigen tausend Kilometern Abstand. Das SKA soll vor allem Gaswolken im frühen Universum ins Visier nehmen; als Standort ist neben Südafrika noch Australien im Rennen.

Neben der wissenschaftlichen Forschung spielt in Südafrika noch ein weiterer Aspekt der Astronomie eine Rolle: Mit ihren faszinierenden Forschungsobjekten, ihren beeindruckenden Bildern und der Möglichkeit direkter Beobachtungen am im wahrsten Sinne des Wortes weltumspannenden Nachthimmel eignet sich Astronomie vorzüglich, um Interesse an Naturwissenschaften zu wecken. Dementsprechend gehen Mitarbeiter des SAAO mit kleinen Teleskopen in die Townships, richten Beobachtungsabende für Straßenkinder und “Star Partys” aus und klettern bei Vollmond, einer Kapstädter Tradition folgend, auf den “Löwenkopf”, einen Berg über der Stadt (allerdings auch hier wieder mit Teleskopen im Gepäck). Mein eigener Südafrika-Besuch vor knapp zwei Monaten galt der Konferenz Communicating Astronomy with the Public 2010, in der diese Projekte und viele ähnliche Projekte aus anderen Ländern vorgestellt wurden; von diesem Besuch stammen alle Sutherland-Fotos, die ich in diesem Blogbeitrag verwendet habe.

Auch um den Global Development Office (GDO) der Internationalen Astronomischen Union (IAU) hat sich Südafrika beworben. Der GDO, Teil des strategischen Plans Astronomy for the Developing World, soll systematisch die Astronomie in Entwicklungsländern fördern. Zum einen aus ganz praktischen Gründen, und das für Geförderte und Förderer gleichermaßen: Astronomisch oder, allgemeiner, naturwissenschaftlich-technisch ausgebildete Menschen sind ein nicht zu unterschätzendes Wirtschaftsgut; umgekehrt weiß die internationale Gemeinschaft der Astronomen, auf wieviel Talent sie verzichtet, wenn Astronomie eine Beschäftigung lediglich der wirtschaftlich gut entwickelten Länder ist. Zum anderen geht es aber auch um die kulturelle Bedeutung von Wissenschaft, und dazu gibt es ein schönes Zitat, das aus einem White Paper (hier die PDF-Version) des südafrikanischen Ministeriums für Kunst, Kultur, Wissenschaft und Technologie aus dem Jahre 1996 stammt. Das White Paper hat die Entwicklung der modernen Astronomie in Südafrika weitgehend vorgezeichnet, und das Zitat ist ein schöner Abschluss für diesen Blogbeitrag:

“Scientific endeavour is not purely utilitarian in its objectives and has important associated cultural and social values. It is also important to maintain a basic competence in ‘flagship’ sciences such as physics and astronomy for cultural reasons. Not to offer them would be to take a negative view of our future the view that we are a second class nation, chained forever to the treadmill of feeding and clothing ourselves.”

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

7 Kommentare

  1. Interessanter Anpfiff!

    Hallo Markus,
    schöner Beitrag! Interessant finde ich Deine Anmerkung, Astronomen auch als Wirtschaftsfaktor zu sehen. Ich unterstütze die Ansicht, dass es also nicht nur in hoch entwickelten Staaten vernünftig ist, Astronomen auszubilden!
    Viele Grüße,
    Leo.

  2. Naja, wer kann mit “Bend it” schon etwas anfangen? Mit “Kick it” ist sicherlich schneller klar, was gemeint ist.

  3. @Tobias

    Guter Punkt! Das war mir auch aufgefallen – allerdings zu einem Zeitpunkt, wo mir schon klar war, dass in meinem Blogeintrag keine gekrümmten Räume und abgelenkten Lichtstrahlen vorkommen würden…

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