Nackt im Schatten

BLOG: Sprachlog

Alle Sprachgewalt geht vom Volke aus
Sprachlog

Schon mehrfach haben mich meine Co-Blogger Joachim Schulz (Quantenwelt) und Dierk Haasis (Con Text) gebeten, doch mal etwas über die englischen Wortpaare shadow/shade bzw. naked/nude zu schreiben (wer sich für welches Wortpaar interessiert hat, dürfte offensichtlich sein). Ich hätte ihnen den Gefallen auch schon längst getan, nur ist mir nie eine interessante Perspektive dazu eingefallen. Es sind eben Fälle, in denen es im Englischen zwei Wörter gibt, wo das Deutsche nur eins hat (nackt, bzw. Schatten).

Ein interessantes Thema wäre die Frage, ob das Englische grundsätzlich feinere Bedeutungsunterscheidungen trifft, als andere (europäische) Sprachen. Ich habe diese Behauptung ab und zu während meines Studiums oder von Kolleg/innen gehört, und völlig unplausibel ist sie nicht. Das Englische stand während der mehrere Hundert Jahre währenden normannischen Besatzung in einem engen Kontakt zum Französischen und hat in dieser Zeit außergewöhnlich viele Lehnwörter aufgenommen, ohne die schon vorhandenen Wörter auszusortieren; der englische Wortschatz ist deswegen an vielen Stellen umfangreicher als bei Sprachen mit wenig Lehngut, und das müsste ja eine Ausdifferenzierung von Bedeutungen mit sich bringen. Aber das tatsächlich zu untersuchen, würde den Rahmen dieses Blogs natürlich sprengen.

Weniger interessant schien es mir, die Bedeutungsunterschiede einfach zu erklären. Das Sprachlog ist schließlich kein Wörterbuch: Wenn Dierk und Joachim den Bedeutungsunterschied zwischen nude und naked oder shadow und shade wissen wollen, sollen sie ihn nachschlagen. Dachte ich zumindest, bis ich das selbst getan habe. Denn Wörterbücher helfen nicht unbedingt weiter.

Bei shadow und shade geht es noch ganz gut: shadow ist im Cambridge Dictionary (das ich hier verwende, weil es online frei verfügbar ist) definiert als

an area of darkness, caused by light being blocked by something, which usually has a similar shape to the object that is blocking the light and which appears to be joined to it [s.v. shadow]

Dagegen bezeichnet shade

slight darkness caused by something blocking the direct light from the sun [s.v. shade]

Beide Wörter bezeichnen also eine dunkle Region, die entsteht, weil das Licht durch etwas blockiert wird. Bei shadow ist diese Region aber dunkler als bei shade (vgl. darkness, aber slight darkness). Außerdem hat der shadow eine definierbare Form, die der des blockierenden Objektes ähnelt; beim shade fehlt dieser Aspekt. Drittens kann der shadow durch jede Art von Lichtquelle entstehen, beim shade ist es die Sonne, deren Licht blockiert wird. Beide Wörter werden im Deutschen mit Schatten übersetzt, aber interessanterweise nennt der Duden für dieses Wort zwei Definitionen, die den Definitionen der beiden englischen Wörter sehr ähnlich sind (Duden, Schatten, Definition 1a und 1b).

Man könnte hier also tatsächlich sagen, dass wir es mit zwei objektiv verschiedenen, wenn auch ähnlichen Phänomenen zu tun haben, die im Englischen angemessen unterschieden werden, im Deutschen aber nicht. Aber natürlich ist die Verbindung zwischen Sprache und Wirklichkeit nicht so einfach: Für die mindestens sechs möglichen Kombinationen der drei Parameter Ursache (Sonne/alle Lichtquellen), Intensitätsgrad (etwas dunkel/sehr dunkel) und Form (klar definiert/nicht klar definiert) gibt es im Englischen nur zwei Wörter – das mag besser sein, als das eine deutsche Wort, aber nur, wenn man einen Grund dafür nennen kann, dass ausgerechnet die Merkmalskombinationen {sehr dunkel, klare Form, beliebige Lichtquelle} und {etwas dunkel, unklare Form, Sonne} kommunikativ so wichtig (und potenziell so leicht zu verwechseln) sind, dass es zwei Wörter dafür braucht.

Bei naked und nude liegt der Fall ganz anders. Hier hilft das Wörterbuch zunächst überhaupt nicht weiter. Denn naked wird dort definiert als

not covered by clothes [s.v. naked]

und nude als

not wearing any clothes; naked [s.v. nude]

Ein kleiner Unterschied lässt sich hier herauslesen: „nicht von Kleidung bedeckt“ kann sich auf einen ganzen Körper, aber auch auf einzelne Körperteile beziehen, und tatsächlich kann man sowohl sagen John is naked als auch John’s feet are naked, aber nur John is nude, nicht aber John’s feet are nude.

Aber das kann natürlich nicht alles sein, denn sehr häufig bezieht sich eben auch naked auf den ganzen Körper, und die Frage bleibt, wo dann der Unterschied zwischen naked und nude ist. Was das Cambridge Dictionary nicht liefern will, versucht das Oxford English Dictionary (leider nicht frei zugänglich). Im Eintrag zu nude findet sich der Hinweis:

Whereas the term naked is generally regarded as a neutral descriptive term, nude is now often used in contexts of suggestive or gratuitous display…

Und bei naked heißt es

Naked tends to connote vulnerability and absence of normal clothing; nude tends to be applied to nakedness regarded in positive or aesthetic terms, especially in artistic contexts.

Hier scheinen sich also zwei Dimensionen zu vermischen: Einerseits soll naked ein neutrales Wort sein, das schlicht die Abwesenheit von Kleidung bezeichnet, während nude im Zusammenhang mit anzüglicher (suggestive) oder überflüssiger (gratuitous) Nacktheit verwendet wird; andererseits soll naked die Abwesenheit erwartbarer, „normaler“ Kleidung bezeichnen, während nude mit positiven, ästhetischen, artistischen Kontexten assoziiert wird.

Der Kunsthistoriker Kenneth Clark versucht sich ebenfalls an einer Unterscheidung:

To be naked is to be deprived of our clothes, and the word implies some of the embarrassment most of us feel in that condition. The word “nude,” on the other hand, carries, in educated usage, no uncomfortable overtone. The vague image it projects into the mind is not of a huddled and defenseless body, but of a balanced, prosperous, and confident body: the body re-formed. [Link]

Naked bezeichnet laut Clark also eine unfreiwillige, mit Peinlichkeit verbundene Abwesenheit von eigentlich erwarteter Kleidung, während nude eine selbstbewusste, absichtsvolle Nacktheit bezeichnet, bei der Kleidung schlicht keine Rolle spielt.

Eine ähnliche Unterscheidung mit noch einer zusätzlichen Perspektive findet sich auf answers.com:

Nude: To be without clothes, or bare, in a setting that the subject feels safe and comfortable, and they are not being represented in a sexually accessible manner. For instance, the Roman statues of the vestal virgins would be a nude. … They are unclothed bodies that are intended to represent natural beauty, not to create impulses.

Naked: To be without clothing, or bare, in a setting that the subject would be embarrassed, left feeling exposed and defenseless, or to be presented in a sexual manner. A woman that is unclothed, except for her high heels and red lipstick, would be naked. An unclothed prisoner being interrogated would be naked. [Link]

Hier kommt die Dimension des Sexuellen hinzu: Nude bezeichnet angeblich eine natürliche Nacktheit, die nicht auf das Erzeugen (sexueller) „Impulse“ ausgerichtet ist, während naked eine wehrlose Nacktheit bezeichnet, die Sexualität implizieren kann. Gegen diese Idee spricht allerdings die Tatsache, dass nude regelmäßig für Aktbilder unterschiedlichster erotischer Subtilität verwendet wird: wenn ich im Internet z.B. Nacktbilder von George Clooney oder Angelina Jolie suche, kann ich das mit nude ebenso gut (vielleicht sogar etwas besser) als mit naked.

Um hier ein System zu erkennen, muss man sich zunächst klar machen, dass Nacktheit durch beide Wörter als kulturelles Phänomen konstruiert wird. Die Abwesenheit von Kleidung ist in unserer Kultur nicht der Normalfall, sondern das Besondere, Abweichende. Naked bezeichet diese Abwesenheit von Kleidung direkt. Je nach Kontext kann das negativ („fehlender Schutz, deshalb verletzlich, sexuell ausbeutbar“), neutral oder auch positiv sein („natürlich, so wie wir auf die Welt kommen“). Nude hingegen bezeichnet nicht die Abwesenheit von Kleidung, sondern den unverhüllten Körper selbst. Auch das kann je nach Kontext mit unterschiedlichen Bewertungen verknüpft sein, von anzüglich bis feinsinnig ästhetisch. Der Unterschied „Abwesenheit von Kleidung“ und „unverhüllter Körper“ erklärt auch, warum naked auch auf einzelne Teile des Körpers bezogen werden kann, denn Kleidung kann ja auch lokal abwesend sein. Nude ist man aber nur dann, wenn der Körper völlig unverhüllt ist.

Wenn man eine allgemeine Lehre aus der kurzen Diskussion dieser beiden Wortpaare ziehen wollte, dann sicher die, dass Sprache nie direkt die Wirklichkeit, sondern immer eine bestimmte kulturelle Perspektive auf die Wirklichkeit abbildet. Im Englischen sind die Form und Dunkelheit von Schatten wichtig, ebenso wie die Frage, ob jemand nackt ist, oder nur keine Kleider anhat. Das Deutsche ignoriert diese feinen Unterschiede (und macht sie dafür vielleicht an anderer Stelle). Will man eine fremde Sprache richtig sprechen, reicht es deshalb nicht, Vokabeln zu pauken. Man muss dabei auch lernen, die Unterscheidungen zu treffen, die die betreffende Sprachgemeinschaft über Hunderte von Jahren als sprachlich bedeutsam herausgebildet hat.

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Nach Umwegen über Politologie und Volkswirtschaftslehre habe ich Englische Sprachwissenschaft und Sprachlehrforschung an der Universität Hamburg studiert und danach an der Rice University in Houston, Texas in Allgemeiner Sprachwissenschaft promoviert. Von 2002 bis 2010 war ich Professor für Englische Sprachwissenschaft an der Universität Bremen, im August 2010 habe ich einen Ruf auf eine Professur für anglistische Sprachwissenschaft an der Universität Hamburg angenommen. Mein wichtigstes Forschungsgebiet ist die korpuslinguistische Untersuchung der Grammatik des Englischen und Deutschen aus der Perspektive der Konstruktionsgrammatik.

37 Kommentare

  1. Sprachlicher Reichtum

    Sehr interessant mal wieder vor Augen geführt zu bekommen, welch subtiles und differenziertes, mit Kultur und Geschichte verwobenes Werkzeug Sprache ist (und wie ungeheuer schwer es daher ist, in einer Fremdsprache jemals so etwas ähnliches wie muttersprachliches Niveau zu erreichen).
    Den Abschnitt über die vielen Lehnswörter in der englischen Sprache und deren bereichernde Wirkung dort sollten sich all diejenigen nochmal genau zu Gemüte führen, die die deutsche Sprache durch Übernahme von fremdsprachlichen (überwiegend aber englischen) Begriffen bedroht sehen. Ironischerweise zeigt also gerade ein Blick auf eben diesen ach so gefürchteten “Spracheneindringling” wie absurd diese xenophoben Befürchtungen sind.

  2. Unterschiede herausgearbeitet

    Die Moral gefällt mir am besten, nachdem ich vorher beim Lesen vor allem die Probleme verspürt habe, schwer definierbare Unterschiede herauszuarbeiten (das Herausarbeiten wäre auch eine Herausforderung für Michelangelo: er solle den Unterschied zwischen einem nude David und einem naked David herausarbeiten).

    Zur allgemeinen Lehre fällt mir ein, dass die Ethnologie nicht umsonst die teilnehmende Beobachtung als zentrale Methode entwickelt hat, um etwas über das Leben von Menschen zu erfahren. Und ein längerer Auslandsaufenthalt soll ja Sprachlernern nicht nur den Wortschatz vergrößern, sondern auch das Verständnis für die Angebrachtheit feiner Bedeutungsunterschiede = Verständnis für das Leben und Denken der Sprachgemeinschaft.

    Aber mal was anderes: Es gibt Nacktbilder von George Clooney?

  3. Hinweis

    “Für die mindestens (!!!) sechs (!!!) möglichen Kombinationen der drei Parameter Ursache (Sonne/alle Lichtquellen), Intensitätsgrad (etwas dunkel/sehr dunkel) und Form (klar definiert/nicht klar definiert)…”

    Es dürften 2^3 = 8, und zwar genau 8 Kombinationen gemeint sein…

  4. dreimal nackend

    Ich kenne im Deutschen drei Worte für Nacktheit: nackt, bloss und (schweizerdeutsch) blutt. Zugegeben – das “bloss” ist altmodisch, aber in “Blösse zeigen” kommt es noch vor.

    Beim Schatten muss ich aber passen. Bestenfalls das “Zwielicht” fiele mir noch ein.

  5. Inszenierte Nacktheit

    An meinem morgendlichen Gedankenhimmel mag ich ein, zwei unsortierte Wölkchen aufgreifen und hier einstreuen.
    “nude” steht eher für die ‘inszenierte’ Nacktheit, daher auch für Akte, Erotische Fotografie verwendet (siehe Blog oben), währen “naked” auch im übertragenen Sinne eher die Bloßheit, Unverhülltheit (evt. ungewollt) beschreibt.
    Die ‘Nacktheit’der Seele oder eines Textes würde man wohl mit “nakedness” beschreiben und nicht mit “nudeness”, sodass ‘nudeness’ vielleicht auch stilisierte, ‘inszenierte’ Nacktheit bedeutet, während “nakedness” die Blöße, Purheit, Unverhülltheit beschreibt, die (evt. ungewollte, unbeabsichtigte) Barheit von Hülle, Schminke, Taktik impliziert, derer man sich durchaus schämen kann, während “nudeness” dieser Touch ‘Ungeschminktheit’ (bildlich gesehen) fehlt.
    Man ist nicht ‘unbeabsichtigt’ “nude”, scheint mir, aber sehr wohl “naked”.

    Da fällt mir William Burroughs “Naked Lunch” ein…

    (@undividet bei twitter)

  6. Je länger ich darüber nachdenke, umso mehr scheint mir im metaphorischen Blick auf das Wortpaar “naked”, “nude” die größte Spannung im Sinne: deutlicher Unterschied zu liegen.

  7. Nacktheiten

    Ich bin überrascht, dass Unklarheiten bezüglich der unterschiedlichen Bedeutungen von “nude” und “naked” bestehen könnten. Vielleicht weil beide viel zu häufig einfach mit “nackt” übersetzt werden, welches im Deutschen zwar durchaus sämtliche beabsichtigten Bedeutungen abdeckt, aber eben keineswegs die einzige verfügbare Vokabel ist (weshalb “nackt” auch überhaupt kein Beispiel für die These ‘Angelsachsen haben manchmal präzisere Begriffe als wir’): entkleidet, unbekleidet, ausgezogen, unbedeckt, unverhüllt, ungeschützt…

    Nach meinen Erfahrungen mit Muttersprachlern ist “nude” eigentlich eine Spezialisierung von “naked”. Ersteres bezeichnet fast ausschließlich entkleidete Personen, während “naked” sämtliche Bedeutungen (und mehr) abdeckt, die auch im Deutschen die Verwendung von “nackt” erlauben, einschließlich entkleidete Personen.
    Es ist gebräuchlich zu sagen “a naked man”, “to the naked eye”, “the naked facts”, “in naked fear”, “out of naked greed”, usw., aber nur “a nude man” und nicht “to the nude eye”, “the nude facts”, “in nude fear”, “out of nude greed”, usw.

    Für mich sind also die Unklarheiten zu unpräzisen Übersetzungsgewohnheiten geschuldet, nicht unpräzisem Vokabular oder gar kulturellen Unterschieden. Es wird einfach konsequent mit “nackt” übersetzt, was eigentlich “unbekleidet”, “unbedeckt”, “ungeschützt” oder “rein” bedeuten soll.

  8. Schatten

    Mich wundert ein Wenig, dass die Muttersprachler, mit denen ich im Schatten saß, eine ganz andere Unterscheidung machen, als die Wörterbücher. Für die kam es nicht auf die scharfe Umgrenzung oder die Dunkelheit an, sondern schlicht auf den Kontext. “Shade” bezeichnet den Schatten, in dem man sitzt, wenn man sich vor Sonne schützen will. “Shadow” bezeichnet das Dunkle abbild eines Objektes.

    Der “shade”, in dem wir saßen, war tatsächlich zugleich der “shadow” eines Baums. Nur würden Muttersprachler selten sagen: “Lets sit in the shadow.”

  9. Schlagschatten

    Es gibt auch den Begriff des “Schlagschattens”, der die klar umgrenzte Form bezeichnet, mit der sich der Schatten auf einem Hintergrund abzeichnet. Ich denke, dass diesem immer ein “shadow” nie ein “shade” im Englischen entspricht.

  10. An Joachim anschliessend könnte man noch an Voll- und Halbschatten denken. Bei mehreren Lichtquellen ist der von beiden abgedeckte Bereich der Voll, der von nur einer Lichtquelle abgedeckte der Halbschatten. “Im Halbschatten sitzen” würde ich allerdings auch verwenden, wenn das Objekt tw. lichtdurchlässig ist, wie z.B ein Baum oder ein dünner, heller Sonnenschirm.

  11. freedom / liberty

    Zu Beginn des Irakkrieges erschien in der New York Tomes ein sehr interessanter Artikel über die Unterscheidung zwischen “freedom” und “liberty”.

    http://is.gd/XT167X

    Magst Du da vielleicht auch noch drauf eingehen?

  12. Ausgehend von dem Vorkommen von “shade” in der Popmupsik – z. B. “Shades of Deep Purple” und “A Whiter Shade of Pale” -, hatte ich “shade” immer mit “Schattierung” übersetzt. Könnte es sein, dass “shade” im Englischen mehrere Bedeutungen hat? Im Zusammenhang mit Farben macht es ja nicht viel Sinn, von “blocking the direct light from the sun” sprechen.

  13. sitting in the shad(e|ow)

    @Joachim:
    Ich glaube, die folgende Idee könnte alles erklären (ist aber erstmal nur eine Idee): shade beschreibt die (relative) Dunkelheit, die durch das Blockieren von Licht entsteht, als (formlose) „Substanz“, während shadow sie als „Objekt“ mit einer klaren Form beschreibt. Das würde nicht nur alle anderen Unterschiede erklären (die relative Intensität ist z.B. eine Voraussetzung für die klar umrissene Form, und je näher eine Lichtquelle ist, desto klar umrissener sind die Schatten, die sie wirft); dafür spräche auch, dass shade ein sogenanntes „nicht-zählbares“ Substantiv ist (a bit/lots of shade, aber nicht two/three/… shades), wie es für Substanzen typisch ist (sand, water, air, …), während shadow ein zählbares Substantiv ist (one shadow, two/three shadows), wie es für Objekte typisch ist.

    Das erklärt, warum man auch im shadow eines Baumes sagen kann, dass man im shade sitzt, denn es geht einem dabei ja nicht um die Form des Schattens, sondern nur um die Tatsache, dass man nicht in der Sonne sitzt.

    Übrigens kann man aber durchaus in the shadow sitzen – nämlich genau dann, wenn es einem wichtig ist, auf das schattenwerfende Objekt extra hinzuweisen. Ein paar typische Beispiele (Quelle: Google Books):
    1. When I grew up, Sohn wished to make a portrait of me, as he often saw me, sitting in the shadow of a tree, a straw hat on my head, in my simple morning attire.
    2. Sitting in the shadow of the Eiffel Tower while enjoying the quiet company of your loved one at sunset.
    3. Sitting in the shadow of the dark grey walls, with the moss-grown fountain whispering the story of some Norman Arethusa ia her ears…
    4. He found him sitting in the shadow of the Temple of the Sun, reading Tasso.

  14. @A.S. Schattenspiele

    Die Erklärung finde ich sehr einleuchtend. So ähnlich hatte ich mir das auch zusammengereimt, wollte meinem Sprachgefühl dann aber doch nicht so richtig trauen. Schließlich laufen mir diese beiden Wörter im alltäglichen Sprachgebrauch eher selten über den Weg (jedenfalls nicht bewusst).

    Die Unterscheidung von “naked” vs. “nude” finde ich auch sehr interessant. Das war mir so noch nicht bewusst, aber auch hier macht as absolut Sinn, dass sich “nude” eher auf den unverhüllten Körper bezieht. Wieder was gelernt.

  15. sitting in the shadow

    Ich lese die Beispiele für “sitting in the shadow” so, dass dabei durch Schattenwurf eine Fläche auf dem Boden markiert wird, innerhalb derer die Person(en) sitzt/en. (Die Fläche befindet sich, wie der Leser weiß, neben dem schattenwerfenden Objekt.)

    “sitting in the shade” müsste demnach den Schwerpunkt darauf legen, dass man nicht in der Sonne sitzt

    Wie ist es mit der Metapher “in jemandes Schatten stehen”? Beispiel: Merkel stand lange in Kohls Schatten.
    Meine Intuition sagt: “shade”, da Merkel sich in der Metapher nicht in der Sonne der Aufmerksamkeit befindet.

  16. Eminem aka Slim Shady

    Es gibt im Englischen ja auch den Ausdruck “acting shady” wenn jemand da nicht so saubere (im Sinne von transparent, sichtbar)Sachen macht.

  17. Shadow im übertragenen Sinn

    Im Englischen hat “shadow” noch eine übertragene Bedeutung. Sehr unterhaltsam nachzulesen im Roman “Nice Work” von David Lodge. Die beiden Protagonisten, eine Universitätsdozentin und ein Industriemanager, nehmen ein Semester lang an einem Wochentag am Arbeitsalltag des anderen als “shadow” teil. Durch dieses “shadow scheme” sollen Uni und Industrie einander besser kennenlernen. Also eine positiv konnotierte Beschattung.

  18. barely umbrellized

    Anatol Stefanowitsch schrieb (25. April 2012, 00:17):

    > Aber natürlich ist die Verbindung zwischen Sprache und Wirklichkeit nicht so einfach […]

    Nützliche Notationen zur Darstellung der Verbindung zwischen (unterscheidbaren aber ansonsten austauschbaren) Sprachelementen und (nachvollziehbarer) Wirklichkeit bzw. Aussage sind

    (1) Wikilink:

    [[<Artikelname>#<Verweis-auf-Ausdrucksform>|<Ausdrucksform>]]

    und

    (2) Wikiannotation:

    [[<Artikelname:A>#<Verweis-auf-Ausdrucksform:A>|<Ausdrucksform:A>]]
    [[<Artikelname:C>#<Verweis-auf-Ausdrucksform:(A.B)>| ]]
    [[<Artikelname:B>#<Verweis-auf-Ausdrucksform:B>|<Ausdrucksform:B>]]
    .

  19. Online-Wörterbücher

    Für alle, die es (noch) nicht kennen: Das Merriam-Webster Dictionary ist auch ganz nett…

    http://www.merriam-webster.com/dictionary/shadow
    http://www.merriam-webster.com/dictionary/shade
    http://www.merriam-webster.com/dictionary/naked
    http://www.merriam-webster.com/dictionary/nude

    Und noch eine Ergänzung bzgl. der “Moral der Geschicht”: Der Blick auf solche Begriffspaare ist gelegentlich auch ganz hilfreich, um in der eigenen Sprache (im Deutschen) Bedeutungsebenen von Begriffen herauszuarbeiten… (solche Paare sind häufig also gut als argumentativer Aufhänger geeignet).

    Bspw.:

    Raum – room/space
    Geschlecht – sex/gender
    Arbeit – work/job

  20. Raum – room/space
    Arbeit – work/job

    Diese Begriffspaare fallen aber nicht in dieselbe Kategorie. room und space haben sicher einige lexikalisierte Kollokationen oder Eigenbdeutungen (wie Zimmer oder All), sind aber oft austauschbar, z.B. in there wasn’t enough room/space in the boot our car.

    Und genauso wie work und job im Englischen getrennt sind, kann man im Deutschen auch Arbeit und Job (als Lehnwort) bzw. Arbeitsplatz von einander trennen.

    Ich kenne im Deutschen drei Worte für Nacktheit: nackt, bloss und (schweizerdeutsch) blutt. Zugegeben – das “bloss” ist altmodisch, aber in “Blösse zeigen” kommt es noch vor.

    Zu dem schweizerdeutschen Begriff kann ich nichts sagen, da ich ihn noch nie gehört habe, aber bloß ist sicher nicht mehr synonym mit nackt, da man es nicht mehr in allen Kontexten gebrauchen kann. Und in Redewendungen wie “die Blöße würde ich mir nicht geben” geht die Referenz zur Nacktheit auch verloren. Im Niederländischen sind übrigens sowohl bloot als auch naakt beide noch in regelmäßigem Gebrauch.

  21. room vs. space

    naja, die Bedeutungsunterschiede sind schon subtiler (soweit ich das korrekt in Erinnerung habe):

    “room” ist eher der geschlossene Raum (bspw. als Zimmer), während “space” eher der offene Raum ist. Ein “room” ist dann ein “extent of space”…

  22. shadow accountant

    Anatol Stefanowitsch schrieb (25. April 2012, 00:17):
    > Fälle, in denen es im Englischen zwei Wörter gibt, wo das Deutsche nur eins hat

    Umgekehrt gibt es auch Fälle, in denen es im Deutschen zwei Wörter gibt, wo das Englische nur eins hat, z.B.

    jogger Jogger(in), Bogenglattstoßmachine

    (vgl. http://dict.leo.org/…9Fmaschine&trestr=0x801),

    oder

    cutter Cutter(in), Kutter
    .

  23. Sicherheit vs. safety/security

    Interessant ist, dass es bei diesen Wörterpaaren gar nicht aufhört.

    Nehmen wir safety: Dies meint die Sicherheit vor Unglücksfällen oder Unfällen.

    Security meint Sicherheit vor Angriffen oder Übergriffen, oder kann sich auf emotionale (Selbst)sicherheit beziehen.

    Dann gibt es noch certainty, wenn man etwas mit Sicherheit weiß.

    Trotzdem: es gibt keinen Grund, auf die englischen Bedeutungsnuancen neidisch zu sein.

    Im Deutschen haben wir Kompositwörter, die verschiedene Bedeutungen sehr fein ausdifferenzieren können, wenn man nur kreativ genug ist.

    Diese sprachliche Kreativität scheint uns aber abhanden gekommen zu sein. Was für wundervoll suggestive Wörter sind z.B. “Schallplatte” oder “Zeitlupe”?

    Zugegeben, “Digitalschallplatte” spricht sich nicht so schnell wie das zweisilbige “CD”, aber es ist denkbar, dass sich ein Wort wie “Discha” hätte eingebürgern können, ähnlich wie man “Schuko” für “Schutzkondensator” sagt.

    Es ist einfach nur Mangel an Phantasie.

    Und ich möchte hier auch nicht einem gekünstelten Sprachpurismus das Wort reden.

    Ich denke, dass die sprachliche Differenzierung verwandter Konzepte durch verschiedene Wörter ein Spiegelbild davon abgibt, wie präsent eine Konzeptgruppe im Bewusstsein einer Sprachgemeinschaft ist. So munkelt man, dass Eskimos sehr viele verschiedene Wörter für “Schnee” kennen, während mir nur Schnee, Pulverschnee und Schneematsch geläufig sind.

  24. Snow?

    @Rechenmonster, das mit den Eskimos und dem Schnee war ein grosser Fehler, insbesondere hier….

    Ganz grosser Fehler.

  25. @ Armin

    Ich werde den ganzen Tag (ach was, den Rest meines Lebens!) damit verbringen, auf den Knien winselnd um Gnade für meinen “ganz großen Fehler” zu flehen.

    Gut, also bin ich einem der vielen falschen Mythen aufgesessen.

  26. Stichwörter zur weiteren Reflexion

    Sowohl den Beitrag als auch die Diskussion in den Kommentaren empfinde ich als sehr anregende Sprachreflexionen; mir fallen noch einige Variationen ein, die semantische Abgrenzungen und Überlappungen erkennen lassen. Um der Kürze willen werd ich nur stichwortartig aufführen:

    Re: “nackt” vs. “naked” und “nude”

    nackte Tatsachen/Wahrheit:
    Schockmoment der Erkenntnis zuvor verhüllter Umstände (vgl. bibl. Erkennen zw. Mann & Frau)

    Akt:
    ästhetisch inszenierte, künstlerisch legitimierte Nacktheit – im Engl. “nude”,
    wobei “in the nude” selbstbewusste Nacktheit auch in nicht-künstlerische Alltagskontexte bringen kann.

    Nudist/Nudismus:
    abgeleitet von der eben skizzierten Haltung kann Nacktheit zum (Lebens)Prinzip werden, im Deutschen wie im Englischen – nudist/nudism.

    Re: “Schatten” vs. “shadow” und “shade”

    Schemen:
    eine geisterhafter Wahrnehmungsgegenstand wie ein Schatten – lexikalische Alternative zu Schatten, entspricht einer Bedeutungsvariante von “shadow”

    Halbschatten – Schattierung:
    ersterer Begriff beschreibt die Lichtwirkung im Einflussbereich eines schattenwerfenden Objekts – speziell dann, wenn der Schattenwurf am Ort der Wahrnehmung(!) aufgrund der optischen Verhältnisse, z.B. zwischen Lichtquelle und Materialität des Objekts, eher als graduelles Modifikationsspektrum umgebender Beleuchtungsbedingungen (“Lichtschattierungen”) erscheint, nicht als ausgesprochener Kontrast. Das passt genau zu der Bedeutungsvariante von “shade” die hier schon als “Schattierung” benannt worden ist – bei “shades” im Plural(!) geht es also um Farb- & Helligkeitsvariationen von Substanzen; homonym steht jedoch “shades” auch für Lichtschutzvorrichtungen, die Augen oder Umgebung der Wahrnehmenden abschatten: sowohl Sonnenvorhänger als auch Sonnenbrillen, sogar Stirnbänder mit Blendschirm werden – zumindest im Amerikanischen, wie ich es erlebt habe, oft als “shades” bezeichnet. Andererseits wird mit “shade” als singulare tantum eine analoge Lichtmodifikation durch Objekte, die nicht der Kontrolle der Wahrnehmenden unterliegen, beschrieben; lexikalisch sehe ich daher eine Analogie zum Konzept des Halbschatten.

    Den Rest meiner Assoziationslawine zu diesen Fragen der lexikalischen Konzipierung von (objektiven) Erscheinungen und (subjektiven) Wahrnehmungen/Wahrnehmungshaltungen lasse ich mal im Dunkeln – niemand weiß, auch ich nicht, was da sonst noch “in the nude” zutage käme, würd ichs ans Licht zerren “from the shadowy realms of the unconscious”…

  27. Möglicherweise gibt es doch eine (regionale?) deutsche Entsprechung zu diesen beiden Differenzierungen.

    Mir ist das Wort “nackig” oder (altmodisch?) “nackend” durchaus geläufig. Wenn ich mich “nackt” fühle (z.B. beim Security-Fummler am Flughafen) würde ich diesen Zustand nie mit “nackig fühlen” bezeichnen. Auch umgekehrt funktioniert die eindeutige Aufforderung “Mach dich nackig” nicht mit “nackt”. Ein “Nackedei” (stammt das Wort von “nackend” ab?) wird sicher völlig anders interpretiert als ein “Nackter”.

    Beim Schatten meine ich auch eine Entsprechung zu finden. Wer im Sommer einen kühlen Ort aufsucht, zieht sich “ins Schattige” zurück. Wenn ich sage “Lass uns in den Schatten gehen” meine ich ziemlich sicher einen ganz konkreten Schatten eines Sonnenschirms o.Ä. “Es ist ganz schön schattig heute” meint eindeutig keine besonders hohe Zahl von Schlagschatten bestimmter Gegenstände, sondern allgemein kühle Temperaturen durch fehlende Sonneneinstrahlung. Wenn ich einen erkennbar durch einen eindeutig zugeordneten Gegenstand abgeschatteten Bereich “Schatten” nenne, ist dafür die Form der Ränder und die absolute Helligkeit nicht wichtig. “Schattig” würde ich aber immer mit “diffus, nicht wirklich dunkel” verbinden. Auch die Bedeutung von “shady” als “dubios” finde ich im Deutschen wieder. “Schattengestalten” sind definitiv nicht gleichbedeutend mit “schattigen Gestalten”.

  28. Nackig…

    …würde ich eher als kindlich/familiär bezeichnen. Es geht weniger um den Tatbestand bzw. die Situation, als darum wer das zu wem über wen sagt.

    Die Kinder sind “nackig” im Planschbecken. Nackig hat etwas verharmlosendes. Es geht eben gerade nicht um Erotik.

    Niemand sucht wohl Bilder, auf denen Clooney “nackig” ist…

  29. Erbloggtes

    “Wie ist es mit der Metapher ‘in jemandes Schatten stehen’? Beispiel: Merkel stand lange in Kohls Schatten.”

    “Smith was a renowned thingologist, but spent half of his life in the shadow of his father, an even more renowned researcher at the time. However, his later achievements put those of his father in the shade.”

    (von mir selber ausgedacht)

    Hoffentlich hilft das!

  30. Mach dich nackich

    In der morphologischen Struktur von naked, d.h. im Suffix {ed}, steckt doch schon ein wenig, dass es Ergebnis einer Handlung ist, während nude lediglich einen Zustand beschreibt. Diese Unterscheidung könnte man natürlich auch für das flektierbare nackt und das unflektierte nackig treffen, aber dieses deutsche Begriffspaar dürfte im Sprachgebrauch deutlich weniger stark konventionalisiert sein als das englische.

    Auch für shadow und shade gilt wie hier schon angemerkt, dass ihnen im Deutschen nicht allein Schatten, sondern (zweiterem) auch Schattierung entsprechen kann. Hinzu kommt, dass diese Wörter alle (auf germanischer Ebene) etymologisch verwandt sind, während der Latinismus nude allenfalls über indoeuropäische Wurzeln mit den anderen verbunden ist.

    Es gibt natürlich auch viel krassere Beispiele, z.B. im Englischen die germanischen Nutztiere, die in der Küche zu romanischen Fleisch werden, während im (Bundes-)Deutschen solch eine Unterscheidung fast völlig fehlt. Allerdings unterscheidet sich bei uns mitunter das bevorzugte Geschlechtslexem zwischen Hof und Haus:
    Henne – Hahn – Küken – Hühner vs. Grillhähnchen, Hühnerbrühe,
    Sau – Eber – Ferkel – Schweine vs. Schweinebraten,
    Kuh – Bulle/Stier/Ochse – Kalb – Rinder vs. Kuhmilch, Rinderbraten, Kalbsleberwurst, Ochsenschwanzsuppe,
    Aue – Widder/Bock/Hammel – Lamm – Schafe vs. Hammelfleisch, Lammdöner,
    Stute – Hengst//Wallach – Fohlen – Pferde vs. Rossbratwurst, Pferdewurst.

  31. Wörter für Materialien

    Die Unterscheidung zwischen einem “Ding” und seinem “Material” gibt es in den meisten Sprachen. Wie A.S. schon gesagt hat, der “shadow” ist aus “shade” gemacht. Im Deutschen ist der Unterschied nicht so häufig, meist wird nur der Artikel bei Materialien weggelassen. Eine schöne Ausnahme ist der “Felsen”, er besteht aus “Fels”.

    Im Arabischen ist der Unterschied ganz wichtig, besonders bei Nahrungsmitteln. Es gibt ein Wort für einen Apfel (tufaha) und ein (einfacheres) für die Apfelmasse, aus der man Kuchen bäckt (tufah).