Virtuelles Wasser – Mehr als ein Glasperlenspiel?

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Der Wasserverbrauch eines Produkts, eines Landes oder eines Menschen wird neuerdings mit „Fußabdruck“-Rechnungen genau erfasst. Sogenanntes virtuelles Wasser bezeichnet dabei jenes Wasser, das in einem anderen Teil der Welt genutzt wurde, um Güter zu produzieren, die hier vor Ort konsumiert werden. Der Welthandel entpuppt sich als Handel mit virtuellem Wasser. Ist diese Form des Wasserhandels problematisch und müssen virtuelle Wasserströme reguliert werden? Brauchen wir neben dem Carbon Footprint nun auch einen „Wasserfußabdruck“, um richtige Produktions- und Konsumentscheidungen zu treffen?

 

Die Verbindungen zwischen internationalem Handel, Nahrungsmittelsicherheit und der lokalen Nutzung von Wasserressourcen finden in letzter Zeit verstärkte Aufmerksamkeit. Ca. 70% allen weltweit entnommenen Wassers findet in der Landwirtschaft Verwendung, wobei die niedrigen und vielfach subventionierten Wasserpreise zu einem verschwenderischen Umgang mit der knappen Ressource beitragen. Gleichzeitig wird der Bedarf an Wasser in der Nahrungsmittelproduktion in Zukunft weiter ansteigen. Maßgeblich hierfür sind neben einer wachsenden Weltbevölkerung auch die sich ändernden Ernährungsgewohnheiten wie verstärkter Fleischkonsum, wofür in der Erzeugung deutlich mehr Wasser erforderlich ist. Vor diesem Hintergrund wird zunehmend die Frage diskutiert, ob die global verfügbaren Wasserressourcen in Zukunft ausreichen werden, die benötigte Menge an Nahrungsmitteln zu produzieren. Bereits heute sind einige Länder nicht mehr in der Lage, ihre Bevölkerung allein mit heimischen Wasserressourcen zu ernähren. Diesen Ländern bietet sich allerdings die Möglichkeit, ihre knappen Wasserressourcen durch Lebensmittelimporte zu entlasten: Die Mengen an Wasser, die zur Produktion dieser Güter im Exportland aufgewendet wurden, werden im Importland eingespart – es kommt zum Handel mit „virtuellem Wasser“.

Das Konzept des virtuellen Wassers – vom Geographen Anthony Allan in den 90er Jahren neu erfunden – hat in den vergangenen Jahren große Beachtung gefunden und eine stürmische Karriere hingelegt: Unzählige Studien versuchen, virtuelle Wasservolumina und Ströme zu quantifizieren, im Internet hat ein Konsument die Möglichkeit, seinen individuellen „Wasserfußabdruck“ zu berechnen.

Auch Unternehmen wie Coca Cola versuchen, die Nachhaltigkeit ihrer Produktionsweise mit Hilfe des Wasserfußabdrucks zu belegen, Institutionen wie UNESCO oder die EU-Kommission haben das Konzept ebenfalls anerkannt. Zudem werden in jüngster Zeit diverse Politikinstrumente vorgeschlagen (dazu unten), die auf virtuelle Wasserströme im Sinne einer „global water governance“ einwirken sollen. Angesichts der beeindruckenden umweltpolitischen Karriere des Konzepts stellt sich umso dringlicher die Frage nach der Aussagefähigkeit des Konzepts und seinen Politikimplikationen.

Virtuelles Wasser ist jenes Wasser, das zur Nutzung eines Produkts entlang der gesamten Wertschöpfungskette aufgewendet werden musste. Es geht also nicht um das Wasser, welches real in einem Produkt, etwa einer Tomate, enthalten ist, sondern jenes Wasser, das für die Produktion eines bestimmten Gutes auf jeder Stufe des Produktionsprozesses eingesetzt wurde – von der Feldfrucht bis zum fertigen Produkt im Handel. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die rasch wachsende Zahl gängiger Indikatoren, die Volumina und Ströme von virtuellem Wasser erfassen möchten.

 

Tabelle 1: Indikatorkonzepte virtuellen Wassers

Indikatorkonzepte virtuellen Wassers

Spezifischer Konsum

Handelsströme

  • Virtueller Wassergehalt eines Produkts
  • Wasserfußabdruck eines Produkts
  • Wasserfußabdruck einer Person
  • Wasserfußabdruck eines Unternehmens
  • Wasserfußabdruck eines Landes
  • Globaler virtueller Wasserkonsum
  • Konsumdisparität
  • Umfang des Virtuellen Wasserhandels
  • Wasserersparnisse durch virtuellen Wasserhandel
  • Virtuelle Wasser-Handelsbilanz
  • Importabhängigkeit von virtuellem Wasser
  • Hauptexporteure und –Importeure
  • Interregionale Handelsströme
  • Externer Wasserfußabdruck eines Landes

 

Durch den Handel mit wasserintensiven Produkten wird also auch virtuelles Wasser „gehandelt“, denn das im Produktionsprozess verbrauchte Wasser kann im Importland eingespart werden, während es im Exportland, zumindest innerhalb einer gewissen Zeit, nicht mehr für andere Zwecke zur Verfügung steht. So wird der virtuelle Wasserhandel als eine Möglichkeit arider Regionen angesehen, ihre heimischen Wasserressourcen zu entlasten, und sogar das Konfliktpotential des knappen Wassers, etwa im Nahen Osten, zu verringern. Handel mit virtuellem Wasser eröffnet nicht zuletzt die Möglichkeit, Wasser dort einzusetzen, wo es am wenigsten knapp ist und mit seiner Nutzung die geringsten Umweltauswirkungen verbunden sind. Nicht nur benötigt eine Feldfrucht in kühleren Klimazonen natürlicherweise geringere Wassermengen aufgrund geringerer Verdunstung, auch die Opportunitätskosten, die dadurch entstehen, dass landwirtschaftlich genutztes Wasser für andere Zwecke, etwa in der Industrie, nicht mehr zur Verfügung steht, sind in wasserreichen Regionen gering, ganz im Gegensatz zu ariden Ländern wie Ägypten oder Jordanien, wo viele Wassernutzer um die knappe Ressource konkurrieren.

Ähnlich dem „Carbon Footprint“ im Falle von CO‚-Emissionen macht der „Wasserfußabdruck“ die Anspannung globaler Wasserressourcen für ein Produkt, einen Menschen oder ein ganzes Land sichtbar. Seit den 1990er Jahren, verstärkt in jüngster Zeit steigt die Anzahl der Studien, welche Richtung und Volumina von virtuellen Wasserströmen zu erfassen suchen. So lässt sich bei Hoekstra/Chapagain, Water Footprints of Nations, Water Resources Management 21 (2007), 39, nachlesen, dass in einem kg Weizen etwa 1.300 Liter Wasser verarbeitet sind, während ein kg Rindfleisch bereits 15.500 Liter „enthält“. Besonderes Augenmerk wird auf die unterschiedlichen nationalen Pro-Kopf-Verbräuche an virtuellem Wasser gelegt: Denn während ein US-Amerikaner stolze 2.483 m³ Wasser pro Kopf und Jahr verbraucht, sind es in China gerade einmal 700 m³. Ebenso lassen sich Nettoimporteure und Nettoexporteure im virtuellen Wasserhandel identifizieren. Wasserknappheit, Wasserfußabdrücke und Importabhängigkeiten werden für einige ausgewählte Länder in Tabelle 2 aufgezeigt. Die Daten zeigen – ökonomisch wenig überraschend (dazu unten) –, dass gar kein eindeutiger Zusammenhang zwischen einem hohen „externen Wasserfußabdruck“ beziehungsweise einer hohen Importabhängigkeit und lokaler Wasserknappheit besteht. Dies haben bereits Kumar/Singh 2005 in Water Resources Management eindrucksvoll aufgezeigt.

 

Tabelle 2: Zusammenhang zwischen Wasserknappheit und virtuellen Wasserimporten für 18 Länder.

Land 

Gesamte erneuerbare Wasser- ressourcen (10ym³/Jahr) 

Gesamter Wasser- fußabdruck

(10ym³/Jahr) 

Externer Wasser- fußabdruck

(10ym³/Jahr)

= Gesamt- importe eines Landes (minus Reexporte) an virtuellem Wasser

Pro Kopf Wasser- fußabdruck

(10ym³/
Jahr)

Wasser- knappheit

(%)

= gesamte Wasser- fußabdruck eines Landes in Relation zu eigenen Wasser- ressourcen

Wasser- import- abhängig- keit

(%)

= Externer Wasser- fußabdruck eines Landes in Relation zu eigenen Wasser- ressourcen

Ägypten

58,30

69,50

13,13

1097

119

19

Argentinien 

814,00

51,66

3,34

1404

6

6

Australien

492,00

16,56

4,80

1393

5

18

Bangladesch

1210,64

116,49

4,05

896

10

3

Brasilien

8233,00

233,59

17,87

1381

3

8

China

2896,57

883,39

57,44

702

30

7

Deutschland

154,00

126,95

67,09

1545

82

53

Frankreich

203,70

110,19

41,09

1875

54

37

Indien

1896,66

987,38

15,99

980

52

2

Indonesien

2838.00

269,96

27.66

1317

10

10

Japan

430,00

146,09

94,22

1153

34

64

Jordanien

0,88

6,27

4,58

1303

713

73

Kanada

2902,00

62,80

12,81

2049

2

20

Mexiko

457,22

140,16

42,14

1441

31

30

Niederlande

91,00

19,40

15,91

1223

21

82

Spanien

111,50

93,98

33,60

2325

84

36

Thailand

409,94

134,46

11,22

2223

33

8

USA

3069,40

696,01

130,19

2483

23

19

Quelle: Eigene Darstellung nach www.waterfootprint.org.

 

Probleme durch virtuellen Handel?

Sind nun diese Wasservolumina und Handelsströme grundsätzlich problematisch, wie häufig beklagt wird? Brauchen wir eine Regulierung im Interesse von Umweltschutz und fairem Konsum? Tatsächlich betrachten die Begründer des Wasserfußabdruck-Konzepts und andere Autoren diese globalen Bewegungen von Wasserressourcen durchaus kritisch, schließlich werde hier eine lebenswichtige und knappe Ressource den „unfairen“ Regeln des weltweiten Agrarhandels unterworfen. So werden Industrienationen für ihre Agrarsubventionen kritisiert, die dafür sorgen, dass Nahrungsmittel zu Dumpingpreisen auf den Weltmarkt geworfen werden. Nicht nur folge hieraus eine Verdrängung der Landwirtschaft in Entwicklungsländern durch billige Importe, auch gerieten importierende Länder in eine problematische Abhängigkeit, die im Falle schwankender oder steigender Nahrungsmittelpreise die Nahrungsmittelsicherheit eines Landes gefährde. Dass dies ein Problem des Agrarhandels im Allgemeinen, und nicht nur die Folge einer virtuellen Wasser-„Strategie“ ist, wird dabei gerne ignoriert. Diese Interdependenzen gelten als besonders problematisch vor dem Hintergrund, dass zu den „Hauptexporteuren“ von virtuellem Wasser in erster Linie reiche Industrienationen wie die USA, Kanada und Frankreich zählen, weshalb hier oftmals einseitige Abhängigkeitsverhältnisse heraufbeschworen werden, und virtueller Wasserhandel gar als potentielles politisches Druckmittel der USA angesehen wird. Auch wird befürchtet, dass ein Import von virtuellem Wasser durch Entwicklungsländer lokale Entscheidungsträger für die Notwendigkeit eines nachhaltigeren Wassermanagements blind machen könnte. Dass virtuelles Wasser tatsächlich gleichzeitig auch von „Süd“ nach „Nord“ fließt, wird ebenso problematisiert: Hier richtet sich die Kritik gegen die „verschwenderischen“ Konsumgewohnheiten in den Industrieländern, die nicht nur zur Ausbeutung heimischer Wasserressourcen, sondern dank des Handelsmechanismus‘ auch zur „Externalisierung“ von Wasserverbrauch und -verschmutzung führen. Angetrieben durch die Weltmarkt-Nachfrage würden Wasserressourcen in den Entwicklungsländern rücksichtslos ausgebeutet, was zu lokalen Umweltschäden führe, die von hiesigen Konsumenten weder beachtet noch kompensiert würden. Der Handel gerät damit in sich – egal, in welche Richtung er erfolgt – zum jeweils ad hoc begründeten „Problem“.

Zudem steht hier die Vorstellung einer „gerechten“ Aufteilung der weltweit verfügbaren Wasserressourcen unter allen Erdbewohnern („virtual water for all“) Pate: In der industrialisierten Welt eigne man sich (virtuelles) Wasser an, das im Pro-Kopf-Vergleich weit über jenem „Anteil“ liege, der etwa einem Inder oder einer Sambierin jährlich zur Verfügung stünde. Auf der nationalen Ebene soll dies bedeuten, dass ein Land als Ganzes nicht mehr (virtuelles) Wasser verbrauchen dürfe als das Produkt aus Bevölkerungszahl und einem global durchschnittlichen Wasserkonsum, der sich wiederum aus einer zuvor selbst festgelegten Obergrenze der global nachhaltig verfügbaren Wasserressourcen errechnet. Wasser ist in dieser Wahrnehmung keine lokale Ressource mehr, sondern ein „globales öffentliches Gut“ (Pahl-Wostl). Relativ wasserreiche Länder wie die USA oder Kanada werden so in ein „moralisches Dilemma“ gezwungen, denn (virtuelles) Wasser zu horten oder selbst zu konsumieren wäre angeblich ebenso zu verurteilen wie der Export von virtuellem Wasser, welcher die erwähnten Abhängigkeitsverhältnisse nach sich ziehen würde. Wenn aber gleichzeitig Import, Export und Eigennutzung „schädlich“ sein sollen, stößt das Konzept an Grenzen menschlicher Denklogik.

Fortsetzung folgt…

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Erik Gawel ist stellvertretender Leiter des Departments Ökonomie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). Der Umwelt- und Energieökonom hat außerdem eine Professur für Volkswirtschaftslehre an der Universität Leipzig inne, wo er auch Direktor des Instituts für Infrastruktur und Ressourcenmanagement ist. Seine derzeitigen Forschungsschwerpunkte sind u. a. ökonomische Aspekte der Energiewende sowie des Wasserressourcenmanagements.

1 Kommentar

  1. Problem: Nichtnachhaltige Wassernutzung

    Virtuelles Wasser ist ein virtuelles, künstliches Konzept, da kann man dem Autor zustimmen. Länder, die Nahrungsmittel importieren oder exportieren tun dies kaum je wegen Überlegungen, die mit Wasser zu tun haben, sondern einfach darum, weil es innerhalb des globalen Nahrungsmittelmarktes profitabel ist Nahrungsmittel zu exportieren, bezugsweise zu importieren.
    Wasser ist zudem nicht immer die begrenzende Ressource.
    Solange Wasser nachhaltig bewirtschaftet wird ist virtuelles Wasser ein virtuellues und kein echtes Problem.

    Nicht nachhaltige Wassernutzung kommt allerdings nicht so selten vor. So wird in Ägypten fossiles Wasser für landwirtschaftliche Projekte genutzt und ein Teil der produzierten Nahrungsmittel wird gar exportiert. Das wird so lange betrieben, bis die Pumpen kein Wasser mehr fördern, worauf ein anderer Teil der Wüste mit fossilem Wasser urbar gemacht wird. Problematisch ist diese nichtnachhaltige Wassernutzung, weil so in wenigen Jahrzehnten der ägyptische Anteil des Nubischen Sandstein-Aquifers erschöpft wird und Ägypten anschliessend in Bezug auf die Wasserversorgung schlimmer dasteht als zuvor. Auch in Lybien gibt es einen verschwenderischen Umgang mit fossilen Wasserquellen.

    Fazit: Handel mit wasserintensiven Produkten ist kein Problem per se. Es ist nur dann ein Problem, wenn die Wassernutzung nicht nachhaltig ist und Wasserressourcen kurzfristigem Denken geopfert werden.

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