Schweineunterhaltung – eher Enrichment denn Welfare

BLOG: Vom Hai gebissen

Notizen aus dem Haifischbecken
Vom Hai gebissen

Ich hatte ja unter einem meiner letzten Artikel angekündigt, dass ich mich mal ein bisschen mit dem momentan recht populären Schweinespielzeug beschäftigen werde. Allgemein beginne ich derlei Vorhaben mit Bedienen einer recht bekannten Suchmaschine, manchmal hau ich auch einfach eine Anfrage an einen verheißungsvollen Wissenschaftler raus und harre der Dinge, die da kommen. Letztere Variante wählte ich in diesem Falle und ich kann sagen, dass da so einiges kam. Genaugenommen hat mich Dr. Uwe Richter, seines Zeichens wissenschaftlicher Mitarbeiter der Uni Kassel, derart mit Material eingedeckt, dass ich mich da erstmal zurechtfinden muss. Ein bisschen habe ich damit auch schon begonnen und dabei stellte ich etwas fest, was meine Aufmerksamkeit voll und ganz auf sich zog. Ob zurecht oder ob ich einfach nur eine Meise habe, das müsst Ihr mir dann sagen. Es geht um zwei Begriffe, darunter natürlich auch Animal Welfare. Here we go.

Wenn wir über Tierhaltung in menschlicher Obhut sprechen, gibt es zwei große Begriffe, um die sich gerade in den letzten Jahren (fast) alles dreht: Animal Welfare und Behavioral Enrichment. Ersterer Begriff wurde dabei in diesem Blog schon ziemlich oft erwähnt. Grob gesagt geht es hier um die Frage, wie sich das Tierwohl, welches sich nach den ebenfalls schon erwähnten fünf Freiheiten richtet, in der modernen Landwirtschaft möglichst gut im Geflecht anderer Ansprüche umsetzen lässt. Der zweite Begriff taucht dabei eher im Zoo-Bereich auf. Das Ziel dieser "Verhaltens-Bereicherung" ist eine Unterhaltung der Tiere, um sie in ihrem Lebensraum des zoologischen Gartens gemäß ihrer Fähigkeiten zu fordern und so Verhaltensstörungen entgegen zu wirken. Schließlich werden ihnen grundlegende Verhaltensweisen wie die ausgiebige Nahrungssuche oder die Überwachung des Territoriums abgenommen. Deshalb muss Ersatz her. Als Beispiele fallen mir da spontan Futterautomaten mit wechselndem Zeitschloss ein, sodass die Tiere immer wieder schauen müssen, wann es denn Futter gibt. Eine andere beliebte Variante ist Futter in Gegenständen, aus denen die Tiere ihre Mahlzeit dann erst herausbugsieren müssen, anstatt sie sich einfach aus der Schale in den Mund zu stecken. Alternativ kann man Futter auch im Lebensraum der Tiere verstecken – wenn sie nicht dabei sind.

Ok, soviel zu den beiden Begriffen, kommen wir jetzt mal zu den Schweinen, um die es hier ja gehen soll. Ich hatte mich schon mal in einem früheren Beitrag aus Dezember 2010 ein wenig mit diesen Tieren und ihrer Haltung beschäftigt. Es folgt ein Zitat der eigenen geistigen Kreation:

Um die Bedeutung und Rolle des Animal Welfare in der Landwirtschaft bzw. die Vor- und Nachteile verschiedener Haltungsmethoden zu erläutern, möchte ich noch ein wenig bei den Schweinen bleiben. Dabei beginnt alles mit der Frage, wann sich so ein Schwein denn wohlfühlt. Wirft man einen Blick auf die in unseren Wäldern lebenden Wildschweine, stellt man fest, dass diese in Rotten leben. Schweine sind also soziale Tiere. Ist eine Sau schwanger und stellt fest, dass die Geburt bevor steht, entfernt sie sich von der Gruppe und baut ein Nest, um dort ihre Jungen geschützt zur Welt zu bringen. In der Landwirtschaft mit ihren domestizierten Tieren sieht das dann meist etwas anders aus. Sauen werden einzeln gehalten, können sich nur bedingt bewegen und auch der Kontakt zu Artgenossen ist nur sehr eingeschränkt möglich. Nach der Geburt der Ferkel gelangen die Sauen dann in eine Art Käfig. Dort liegen sie auf der Seite, während die Ferkel an den Zitzen Milch saugen können. Für diese Art der Haltung spricht, dass die Tiere sich nicht streiten und gegenseitig verletzen können, was in einer Gruppe durchaus vorkommen kann, während der Sauenkäfig die Ferkel schützt. Er verhindert, dass die Sau beim Hinlegen versehentlich eins der Ferkel zerdrückt. Das klingt erstmal pragmatisch und durchaus plausibel. Wer möchte nicht, dass möglichst viele Ferkel überleben? Leider ist diese Art der Haltung nicht ganz unproblematisch. Dadurch können die Tiere viele natürliche Verhaltensweisen wie soziale Interaktion, Nestbau vor Beginn der Geburt oder schlichtes Wühlen im Boden nicht ausüben, was dann letztlich zu Verhaltensstörungen führt. Ein Signal für eine solche Störung ist zum Beispiel das Stangenbeißen. Lässt man die Tiere grundsätzlich draußen, kann das zu Parasitenbefall führen.*

Mit anderen Worten: bei dem Schweinespielzeug handelt es sich meiner bescheidenen Meinung nach eher um Behavioral Enrichment als um Animal Welfare. Nun, wie komme ich darauf? Wenn wir zum Beispiel über Kuhkomfort reden, geht es dabei überwiegend um Freilaufställe, Gummimatten als Liegeplätze, konstante Frischluftversorgung, Futter- und Melkautomaten oder auch Massagebürsten. Das ist zwar alles richtig und wichtig – und fördert darüberhinaus tatsächlich die Leistung der Tiere – hat aber irgendwie nichts mit Unterhaltung/Beschäftigung zu tun. Oder hat sich schon mal jemand mit dem Spielverhalten von Kühen auseinandergesetzt? Bei Schweinen sieht das schon anders aus.** Klar, wenn das Schwein zufrieden ist, fördert das auch den Aspekt des Tierwohls, das lässt sich kaum vermeiden. Trotzdem geht es hier weniger um grundlegende physiologische Aspekte, sondern vermehrt um die geistige Förderung der Tiere, was sich jetzt vermutlich wie ein Pädagogik-Fachbuch für Grundschüler liest. Aber genau das trifft es ganz gut: Schweine wollen beschäftigt werden, also Futter suchen oder ihren Lebensraum erkunden. Passenderweise gibt es zu meiner These, dass das Schweinespielzeug eher so ein "Zoo-Ding" ist, auch ein Video aus dem Zoo in Sacramento. In dem kleinen Clip sieht man, wie ein Pinselohrschwein ein Gerät herumschubst, um diesem Futter zu entlocken:

Aber dazu folgt natürlich noch ein ausführlicherer Artikel. Hier sollte es erstmal nur um die Überschneidung von Animal Welfare und Behavioral Enrichment gehen…

 


*Hier hat sich natürlich auch wieder einiges getan. So müssen auch Sauen in Abferkelhaltung mit zu untersuchenden Gegenständen unterhalten werden. Das Jahr 2013 wird spannnend!

** Die Sache mit dem Schweinespielzeug ist dabei gar nicht so neu. Die Idee, Tieren in einer reizarmen Umgebung ein wenig Ablenkung zu verschaffen existiert schon länger. Diese Info vielleicht noch als kleinen Teaser…

Wer sich für den oben zitierten Artikel interessiert, darf sich gerne Animal Welfare – die Zukunft der Landwirtschaft durchlesen.

Veröffentlicht von

Wissenschafts- und Agrarblogger seit 2009 – eher zufällig, denn als „Stadtkind“ habe ich zur Landwirtschaft keine direkten Berührungspunkte. Erste Artikel über Temple Grandin und ihre Forschungen zum Thema Tierwohl wurden im Blog dann allerdings meiner überwiegend ebenfalls nicht landwirtschaftlichen Leserschaft derart positiv aufgenommen, dass der Entschluss zu einer stärkeren Beschäftigung mit der Landwirtschaft gefallen war. Auch spätere Besuche bei Wiesenhof und darauf folgende Artikel konnten die Stimmung nicht trüben. Seit 2015 schreibe ich auch gelegentlich für das DLG-Blog agrarblogger.de, teile meine Erfahrung in der Kommunikation als Referent und trage nebenbei fleißig weitere Literatur zum Thema Tierwohl zusammen. Auf Twitter bin ich unter twitter.com/roterhai unterwegs.

4 Kommentare

  1. Auch Schweine wollen sich sauwohl fühlen

    Ich würde hier zwischen “Behavioral Enrichment” und “Animal Welfare” gar keinen so großen Unterschied machen, denn auch Schweine sollten sich wohlfühlen. Im Gegensatz zu anderen Stalltieren sind sie aber etwas intelligenter und verspielter, daher müssen sie auch mehr beschäftigt werden. Und da heute Welttierschutztag ist kann man schon mal darüber nachdenken: “Was schenk ich meinem Schwein?”

    http://fnl.de/…=04fdef95376f740b6d92fb061c8d87d2

    Wer sich umfassender über Schweine informieren möchte, dem kann ich die “Fallstudie Schwein” empfehlen: http://www.agrobiodiversitaet.net/…einefall1.pdf

  2. Hallo Mona,

    da hast Du natürlich recht. Natürlich gibt es da einen Zusammenhang zwischen Enrichment und Welfare, in den Studien, die ich dazu gelesen habe, wird das allerdings nur in einem Nebensatz erwähnt und das war mir etwas wenig. Mal sehen, wie sehr die Enrichment-Maßnahmen jetzt auch in der Landwirtschaft Einzug halten…

  3. Falscher Ordner…

    Der blöde Server, will meine Nachricht nicht speichern, ich habs 3x versucht, jetzt reicht’s mir und ich schreib hier weiter…

    Der Link war ziemlich hilfreich. Hast du noch mehr, vllt mit noch andern Haltungsvormen, ide noch netter sind. Denn das auf dem link war zwar gut, aber auch ncht so ideal (aber ich denke bei einigermaßen gleichem Platz geht nix anderes, oder?)

    Wie hießt die Haltungsform eig.?
    Grüße,
    Jasmin

  4. @Jasmin

    Die Idee einer Ideallösung ist einigermaßen utopisch, da sich die Tierhaltung in der Landwirtschaft vielen verschiedenen Anforderungen gegenüber sieht. Da wäre der Verbraucher, der ein leckeres und vor allem sicheres Produkt haben möchte, die Tiere müssen verantwortungsvoll gehalten werden und der Landwirt muss auch wirtschaften. Und dann wäre da noch das Lebensmittelrecht, das Tierschutzgesetz und und und…

    Ich könnte Dir jetzt natürlich noch weitere Zahlen nennen, zum Beispiel hat ein durchschnittlicher Milchvieh-Betrieb bei uns 46 Kühe, 100 ist aber auch schon ein guter Wert und vermutlich geht die Tendenz da hin. In den USA sind es durchschnittlich 110 Kühe pro Betrieb. Richtig viele Tiere sind das eigentlich nicht…Ich hatte mal einen konventionellen Betrieb besucht:

    https://scilogs.spektrum.de/…d-die-landwirtschaft-2050

    Das war schon ziemlich cool und stellt den heutigen Standard dar.

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