Digiphobe, hört! Surfen lässt mich geistig wachsen!

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Wahrheiten als Querdenkerisches verkleidet, von Gunter Dueck
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Googeln gilt neuerdings als gefährlich, weil sich manche beim Surfen verlieren. Oh, das könnte passieren. Aber ich selbst finde, ich gewinne mich beim Surfen. Vielleicht hat das Ganze auch gar nichts mit dem Surfen zu tun, mehr damit, dass man sich nicht verlieren soll. Hier nicht und dort nicht. Ich muss das Ganze noch einmal sagen!

Googeln bildet enorm. Ich traue mich kaum, das zu erklären, weil ich bestimmt wieder Schelte bekomme, dass ich die Begriffe Information, Daten, Wissen oder vernetztes Wissen zu sorglos gebrauche und nicht so, wie die Theoretiker es gerade für ein paar Monate festgelegt haben. Die knabbern noch daran, was „implizites“ Wissen ist, was „tacit knowledge“ bedeutet, wie Bauchgefühl, Intuition, Sinnerkennung und dergleichen PowerPoint tauglich in Bullets niedergelegt werden können. Ist mir egal! Nehmen wir gleich das Komplizierteste, was noch nicht wissenschaftlich erforscht ist, vernetzte Gesamtbildung – was weiß ich!
Das alles bekommt man beim Surfen, wenn man will. Ich stelle Fragen, bekomme Antworten. Ich füttere mein neuronales Netz, das unentwegte Ströme von Selbstlernadaptionen verarbeitet. Bei den Antworten wird auf Naheliegendes und auch ganz fernes per Link verwiesen, dadurch hüpft der Gedankengang zwischen meinen Hirnzellen hin und her, so wie es ohne Surfen ja nie geschähe. Das Aufgenommene, das Wissen, die Daten, die Verbindungen erbauen etwas Ganzheitliches in mir. Das geht heute in der digitalen Welt so schnell! Ich muss nicht mehr 30 Minuten Bibliotheksgang und Microfichefuzzelei für jede klitzekleine Frage verplanen. Ich habe Doktoranden gekannt, die damals für ihre Dissertation um die 2000 Artikel auf Abschreibbares/Auswertbares geistig scannen mussten – sie wohnten irgendwie in der Fernleihe der Uni-Bibliothek, die Monate und Jahre lang einen zähen Strom von Artikelkopien herausmüllerte.
Das Bilden, Mustererkennen, Zusammenfügen, Integrieren geht so viel leichter mit Google, das persönliche Formen zu einem harmonischen Hirnuniversum macht viel mehr Freude. Ich werde, ich entwickle mich, ich wachse, ich bin.

Aber natürlich – viele verlieren sich im Digitalen, verheddern sich, bleiben stecken, blicken süchtig auf Miniaspekte. Man sagt, sie haben nicht lernen gelernt, sie verstehen sich nicht auf multimedialen Umgang. Man sagt, sie können das Wichtige nicht vom Unwichtigen unterscheiden, weil sie nicht genügend gelernt hätten. Wie ein riesiger bunter Haufen von Nützlichem, bösen Versuchungen und Massenmüll präsentiere sich das Web dem Unkundigen.
Dabei geht es um mehr als nur das Lernen, mit dem scheinbar Ungeordneten umzugehen. Man muss nicht nur das Lernen lernen, sondern doch vor allem lernen wollen, sich entwickeln wollen, werden zu wollen, interessiert zu sein, liebzugewinnen. Ja, und dann – dann! Dann müsste man eine sehnsuchtsvolle Vorstellung haben, was man werden will, was man dafür lernen und wie man sich entwickeln will. Ein entscheidender Punkt im Leben ist, an dem man freudig eine konkrete eigene Bestimmung annimmt. „Das wird mein Leben!“
Wer weiß, was sein Leben werden soll, verliert sich nicht irgendwo. Er geht seinen Weg. Und das geht mit dem Internet in fast allen Fällen besser als ohne, weil das Internet uns mit seinem Reichtum und seinem Hirndünger schneller aufblühen lässt.
Wer sich aber nicht selbst gefunden hat, findet sich im Internet wahrscheinlich auch nicht. Diese simple Beobachtung kann nicht Grundlage sein, digiphob zu werden – so als sei es eine wichtige Maßnahme, den Menschen an sich (neuerlich) zu sich selbst zu führen. Nein, wir müssen Menschen auf ihren eigenen freudigen Weg bringen – und tun, was immer dazu hilft. Eltern, Lehrer und Vorgesetzte tragen die große Verantwortung dabei. Mit Hausordnungen, Verboten und „Ganztagsaufpassen“ ist nichts gewonnen. Bitte keine Ablenkung mit digiphoben Hasstiraden. Die Aufgabe, den Menschen im Menschen zu befreien, damit er sich begeistert einer Bestimmung widmet – die bleibt. Sie wird durch das Digitale nicht schwerer.

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www.omnisophie.com

Bei IBM nannten sie mich "Wild Duck", also Querdenker. Ich war dort Chief Technology Officer, so etwas wie "Teil des technologischen Gewissens". Ich habe mich viel um "artgerechte Arbeitsumgebungen" (besonders für Techies) gekümmert und über Innovation und Unternehmenskulturen nachgedacht. Besonders jetzt, nach meiner Versetzung in den Unruhestand, äußere ich mich oft zum täglichen Wahnsinn in Arbeitsumgebungen und bei Bildung und Erziehung ein bisschen polarisierend-satirisch, wo echt predigende Leidenschaft auf Stirnrunzeln träfe. Es geht mir immer um "artgerechte Haltung von Menschen"! Heute bin ich als freier Schriftsteller, Referent und Business-Angel selbstständig und würde gerne etwas zum Anschieben neuer Bildungssysteme beitragen. Ich schreibe also rund um Kinder, Menschen, Manager und Berater - und bitte um Verzeihung, wenn ich das Tägliche auch öfter einmal in Beziehung zu Platon & Co. bringe. Die Beiträge hier stehen auch auf meiner Homepage www.omnisophie.com als pdf-download bereit. Wer sie ordentlich zitiert, mag sie irgendwo hin kopieren. Gunter Dueck

2 Kommentare

  1. Spitzer-phobie

    Wer unter Spitzer-phobie leidet, dem könnte das Buch von Prof. Bert te Wildt ´Medialisation – Von der Medienabhängigkeit des Menschen´ empfohlen werden.
    Ein lesenswerter Auszug ´Kinder ohne Medien?´ findet sich in ´Psychologie Heute, 11/2012, S.66-71´.

  2. geistiger Stillstand & “Indi-Bewußtsein”

    Googlen ist Umweltverschmutzung, wenn man bedenkt wieviele Server WELTWEIT anlaufen und letztendlich CO2 produzieren, um des Surfers Suche in der Überproduktion von KOMMUNIKATIONSMÜLL zu befriedigen 🙂