Brandmarkt Zuwendungsversager!

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Wahrheiten als Querdenkerisches verkleidet, von Gunter Dueck
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Alten Berichten zufolge ließ Friedrich II. von Hohenstaufen (1194-1250) einigen Säuglingen testweise jede Zuwendung versagen, sie sollten ganz ohne Kontakt zum gesprochenen Wort aufwachsen. Der Kaiser wollte herausfinden, mit welcher Sprache Kinder geboren werden. Das fand man nicht wirklich heraus, denn sie starben.
Das habe ich zufällig im Internet gelesen, und meine Frau sagte auf meine Erzählung hin, sie hatte das schon in der Schule mitbekommen. Dann wissen Sie es schon alle, nur ich nicht?

Man sollte es so sehen: Das Versagen von Zuwendung ist eine Art Verbrechen. „Kinder brauchen Zuwendung!“ Das ist wahrscheinlich schon in unseren Köpfen angekommen, wir regen uns ja über „kalte“ Eltern auf, die wir erschütternd liebeleer erfahren. Bei solchen Eltern sehen wir eine Schuld, wir versuchen, hier einzugreifen und die Fehlentwicklungen zu korrigieren – oft sind ja auch noch Großeltern da, die alles zum Guten wenden können.

Mit fiel aber ein, dass wir mit vielen anderen Menschen zuwendungslos umgehen. Schauen Sie sich Ihr eigenes Benehmen gegenüber den Sicherheitskräften im Flughafen an, die wir alle zusammen als Institution gesehen nicht besonders liebhaben. Das lassen wir sie dann doch ein bisschen fühlen, wir beachten sie einfach (fast aktiv) nicht. Wenn ich in deren Gesichter schaue, glaube ich, sie etwas leiden zu sehen. Schlechte Schüler werden nicht so wirklich beachtet, das wollen sie eigentlich auch nicht, weil Beachtung ja mit „erfolgreicher Beteiligung“ zu tun hat. Sie führen ein Schattendasein. „Die im Dunkeln sieht man nicht.“ Oft entwickelt sich das Arbeitsleben so, dass wir von ständig wechselnden Teilzeitkräften bedient werden, die wir ja nie wieder sehen, wir versuchen gar keine Beachtung oder positive Zuwendung, „weil es uns nichts bringt“. „Unseren“ Briefträger gewinnen wir lieb, aber den ständig wechselnden von zig Logistikunternehmen nehmen wir wort- und danklos das Paket aus der Hand – die hetzen ja ohnehin und haben selbst für ein Lächeln kaum Zeit.

In dieser Weise gibt es also eine steigende Zahl von Menschen, die fast ganz im Schatten leben. Wir nehmen sie nicht wahr. Wir wenden uns ihnen nicht zu. Wir lassen sie seelisch allein. Wenn sie Säuglinge wären, würden sie sterben. Wir lassen so viele seelisch darben:

•    Viele Chefs ihre Mitarbeiter, alle oder die Minderleister
•    Viele Erzieher/Lehrer/Professoren – die Minderleister oder Ungeliebten („lohnt sich nicht, sich mit ihnen abzugeben“)
•    Viele die vielen Servicemitarbeiter, mindestens die weniger kompetenten
•    Viele oft die vielen ausländischen Mitbürger – „will ich nichts damit zu tun haben“
•    Ureinwohner die Zugezogenen
•    Die Masse die Besonderen
•    Etc etc.

All diese Überlegungen hatte ich eigentlich, als ich in einem Psychologiebuch mein Wissen über die passive Aggression auffrischte. Da sind Leute im Service, die uns warten oder „schmoren“ lassen, die etwas vergessen („oh!“), nicht geschafft haben („ich habe auch nur zwei Hände“), die uns wegschicken („bin ich nicht zuständig“) oder abschlägig bescheiden („diesen Antrag kann ich nicht bewilligen, bitte überarbeiten und sauberer ausdrucken“). Wenn wir solcherart von einem passiv Aggressiven traktiert werden, fühlen wir, dass er uns nicht respektiert. Wir sind dann fast versucht zu sagen, dass wir ihn als Kunde doch wohl bezahlen, oder? Wenn wir als Chef einen Minderleister entnervt drängeln, spüren wir ebenfalls diesen Hauch eines Hasses.

In der Psychologie kennt man die Persönlichkeitsstörung „passiv aggressiv“. Lesen Sie den Artikel in der Wikipedia, ich zitiere hier einfach kurz die Diagnosekriterien aus dem DSM III, die dort stehen (bei fünfmal JA in der folgenden Liste liegt eine Indikation auf eine Störung vor):

1.    startet Verzögerungsmanöver, d. h. Sachen werden so lange aufgeschoben, dass Fristen nicht mehr eingehalten werden können;
2.    wird mürrisch, reizbar oder streitsüchtig, wenn von ihm etwas verlangt wird, was er nicht tun möchte;
3.    arbeitet scheinbar vorsätzlich langsam oder macht die Arbeit schlecht, die er nicht tun möchte;
4.    beschwert sich ohne Grund, dass andere unsinnige Forderungen an ihn stellen;
5.    vermeidet die Erfüllung von Pflichten mit der Beharrlichkeit der Behauptungen, sie „vergessen“ zu haben;
6.    glaubt, seine Tätigkeit besser auszuüben, als andere glauben;
7.    nimmt anderen nützliche Vorschläge zur Steigerung seiner Produktivität übel;
8.    behindert Bemühungen anderer, indem er seinen Arbeitsbeitrag nicht leistet;
9.    reagiert mit unmäßiger Kritik oder Verachtung auf Autoritätspersonen.

Fühlen Sie sich doch einmal in diese Kriterien hinein. Ist da nicht so ein Mensch beschrieben, wie wir ihn dann vielleicht alle gemeinsam durch das Versagen von Zuwendung erzeugt haben? Einer, der unter unseren Vorwürfen unendlich leidet und uns im Gegenzug nicht mag?

Die Lage ist so: Wenn jemand an einer Stelle ist, wo er von ganz vielen Leuten ständig keine Zuwendung bekommt (von keinem Kunden, keinem Lehrer etc.), dann begehen alle diese Nichtzuwender ein kleines und damit scheinbar verzeihliches Verbrechen an ihm. Das Kollektiv der Nichtzuwender aber macht die Summe der Nichtzuwendung so groß, dass der unbeachtete Schattenmensch nicht gerade stirbt wie ein Säugling, aber dann alle Symptome der passiven Aggression zeigt (aktive geht ja nur noch als Amoklauf, der aus dem Schatten herausführen kann).
Ich will sagen: Die schiere Masse der Nichtzuwendung macht jemanden reif für eine Persönlichkeitsstörung. Wir alle sind die Zuwendungsversager. Wir werden nie bestraft. Aber unsere Opfer krümmen sich im Verborgenen und müssen, wenn es zu arg wird, zur Therapie. Die Therapie kümmert sich darum, das Problem am Opfer zu korrigieren, wo es doch in uns Zuwendungsversagern steckt.

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Veröffentlicht von

www.omnisophie.com

Bei IBM nannten sie mich "Wild Duck", also Querdenker. Ich war dort Chief Technology Officer, so etwas wie "Teil des technologischen Gewissens". Ich habe mich viel um "artgerechte Arbeitsumgebungen" (besonders für Techies) gekümmert und über Innovation und Unternehmenskulturen nachgedacht. Besonders jetzt, nach meiner Versetzung in den Unruhestand, äußere ich mich oft zum täglichen Wahnsinn in Arbeitsumgebungen und bei Bildung und Erziehung ein bisschen polarisierend-satirisch, wo echt predigende Leidenschaft auf Stirnrunzeln träfe. Es geht mir immer um "artgerechte Haltung von Menschen"! Heute bin ich als freier Schriftsteller, Referent und Business-Angel selbstständig und würde gerne etwas zum Anschieben neuer Bildungssysteme beitragen. Ich schreibe also rund um Kinder, Menschen, Manager und Berater - und bitte um Verzeihung, wenn ich das Tägliche auch öfter einmal in Beziehung zu Platon & Co. bringe. Die Beiträge hier stehen auch auf meiner Homepage www.omnisophie.com als pdf-download bereit. Wer sie ordentlich zitiert, mag sie irgendwo hin kopieren. Gunter Dueck

18 Kommentare

  1. Das Arbeitsleben ist Teil des gesellschaftlichen Lebens, im gesellschaftlichen Leben gibt es vieles nicht mit Sahnehäubchen obendrauf, auch wenn die politische Schicht mittlerweile scheinbar in eine Art tätschelnden Fürsorgeschicht umfunktioniert scheint, die mittlerweile bundesdeutsch und us-amerikanisch auch das modische Nudging umsetzt, bleibt es im gesellschaftlichen Leben und auf die Praxis Einzelner bezogen anders.
    Da gönnt keiner dem anderen etwas und einem wird auchnichts gegönnt, sofern keine freundschaftlichen oder kameradschaftlichen oder kollegialen Beziehungen vorliegen bzw. entwickelt worden sind.
    Insofern kann demjenigen, der sich in seiner Werktätigkeit unwohl und unangemessen behandelt fühlt, nur geraten werden, die Arbeitsstelle zu wechseln.
    Die Unternehmenskulturen unterscheiden sich, Arbeitsverhältnisse sind heutzutage wählbar.
    Vielleicht könnte hier an den Bildungsstätten besser für das Arbeitsleben vorbereitet werden, dieser WebLog-Artikel leistet bspw. Aufklärungsarbeit, auch wenn er etwas Anklägerisches zu haben scheint.
    MFG
    Dr. W

    • * tätschelnde[] Fürsorgeschicht
      ** wird auch [] nichts gegönnt

      Bonusfrage:
      Sind Sie eigentlich Dilbert-Leser, Herr Dr. Dueck?

    • “Da gönnt keiner dem anderen etwas und einem wird auch nichts gegönnt, sofern keine freundschaftlichen oder kameradschaftlichen oder kollegialen Beziehungen vorliegen bzw. entwickelt worden sind.”

      naiv gefragt: warum ist das so? Ich verstehe das nämlich nicht.

      • Das war eine Beschreibung des Normalzustands, es wird erst einmal niemandem etwas gegönnt, den man nicht kennt im Arbeitsleben wie auch ansonsten nicht.
        Erst, wenn sich welche kennen, wird gegönnt.
        ‘Zuwendung’ kann nur erwartet werden, wenn ein Verhältnis besteht, der WebLog-Artikel scheint diesen Normalzustand zu kritisieren.
        Wobei politische Ideologien geeignet sind diesen Zustand zu überschreiben, korrekt, was gut ist für Gemeinwesen; auf Unternehmens bezogen könnte hier geeignete Unternehmenskultur überschreiben, ist dann aber bei Unternehmen auch ein wenig problematisch für die Inhaberseite.

        • * das kleine S am Ende des ‘Unternehmens’ gerne zum drei Wörter davor stehenden ‘für’ verschieben – gedanklich

          KA, warum dem Schreiber dieser Zeilen immer wieder so etwas passiert…

        • ok, in einer hierarchischen Ordnung macht sowas Sinn. Wenn ich “besser” bin und “mehr habe” als der andere, bleibe oder komme ich an die Spitze oder weiter oben in der hierarchie. Komisch, dass mir das so total fremdartig vorkommt. Aus meiner Sicht sicherlich kein Normalzustand. Ich mag meine Ruhe haben und lasse deshalb auch andere Menschen in Ruhe. Wenn die was haben was ich nicht hab und es ist verdient: gut für sie. Wenn sie was haben was sie nicht verdient haben: joa, vielleicht irgendwo nicht gerecht, aber irgendwie auch nicht mein Bier, solange es nicht auf meine Kosten geschieht, was es ja wiederum nicht sein kann, wenn ich in Ruhe gelassen werde.

        • @ jade :
          Es ging Ihrem Kommentatorenfreund nicht um Hierarchien, sondern um das Wesen der humanen (vs. bärischen) Kooperation, zumindest wie sie sich in praxi darstellt.
          Kooperierende der Wirtschaft kennen oft ihre Partner nicht, wollen sie auch nicht unbedingt kennen und Vertrauen (das Fachwort – V. ist sozusagen das Schmiermittel wirtschaftlichen Handelns) wird nur unter bestimmten Bedingungen auf- oder abgebaut, Verhältnisse meinend, die am besten sinnhaft gewählt werden von den Handelnden und länger andauernd sind, die Spieltheorie weiß hier sozusagen Bescheid.
          Sie gönnen bspw. Ihrem Taxifahrer nichts und der Ihnen auch nicht, sogenanntes Trinkgeld ist hier eher eine Beruhigungsmaßnahme, selbst Claudia Schiffer hat vor einigen Jahren öffentlichkeitswirksam festgestellt, dass dies nicht gezahlt werden muss.

          Insofern mangelt es hier grundsätzlich an ‘Zuwendung’, der Schreiber dieser Zeilen ergänzt aber gerne, dass bereits die oft vorhandene Abwesenheit von “Abwendung” professionelle Kooperation und das Wirtschaftliche meinend nicht schlecht sein muss.

          Dass in sozusagen anonym oder unpersönlich gehaltenen wirtschaftlichen Kooperationsverhältnissen der eine oder andere unglücklich werden kann, ist korrekt, aber vielleicht am besten so zu bearbeiten, dass eben offen kommuniziert werden könnte, dass es dort nichts mit “Sahnehäubchen obendrauf” geben muss.

          MFG
          Dr. W

          • Gerade meinem Taxifahrer würde ich jetzt mal alles gönnen. Soll er bitte glücklich und, wenn es dazu nötig ist, auch reich werden. Schenken ist was anderes, da entsteht ja eine gewisse Unverhältnismäßigkeit. Das ist aber nicht das gleiche wie gönnen. Da hatte ich letztens einen Artikel über das islamische Finanzrecht gelesen, da ging es darum, dass Zinsen dort verboten sind, weil sie als ungerechte Vermögensmehrung ohne Gegenleistung einer gerechten Güterverteilung unnd somit gerechten Weltordnung entgegenstehen (Verbot von “Riba”).

            Kooperationen sind doch nur dazu da den eigenen Vorteil auszubauen. Dazu bedient man sich dann eines Zusammenschlusses. Und wenn der eine Partner dann merkt dass der andere irgendwie freigiebig ist, wird der Vorteil auf Kosten des anderen auch gerne mitngenommen. Ich glaube es dreht sich doch alles um Hierarchie. Das es keine Sahnehäubchen gibt, ist verständlich. Aber man darf dies auch nicht als Vorwand nutzen, um alles andere schlecht zu machen und ausschalten zu wollen und dürfen, was der eigenen Hierarchieposition entgegensteht. Warum nicht mal einfach nur “nett” sein? Da bricht niemandem ein Zacken aus seiner Wirtschaftskrone bzw. kullern ihm dadurch nicht die Münzen aus dem Portmonaie

  2. @webbaer, dr. In dem Buch sind ziemlich viele Schwallersprüche, die auch im Dilbert…

  3. Sehr geehrter Herr Prof. Dueck,

    vielen Dank für Ihren so wichtigen Beitrag. Am besten wäre es, Sie wiederholten Ihn alle Vierteljahre unverändert. Oder ich muß mir einen kleinen Zuwendungszettel an den Monitor kleben.

    Gott sei Dank habe ich eine warmherzige Frau, welche die Kinder tröstet, wenn ich manchmal zu hart und fordernd bin. Übrigens fast immer die Folge schlechter Laune meinerseits, die vielleicht ebenfalls aus Mangel an Zuwendung entstand. Ein Schneeballeffekt, eine Zuwendungsmangelspirale!

    Ich gelobe Besserung und verbleibe
    mit herzlichen Grüßen
    E. Strasser

  4. Es gibt Vermutungen, wonach die Geschichte mit Friedrich II. falsch sein könnte. Herodot berichtet von solchen Experimenten durch Pharao Psammetich I. im 7.Jhdt. vor null. Möglicherweise sollte Friedrich II. damit diskreditiert werden.

    Der Psychologe Rene Spitz machte in den 1940er Jahren Beobachtungen in Waisenhäusern. Die Kleinkinder damals wurden in den Betten durch Tücher von Sinnesreizen isoliert. Sie zeigten auffällige Entwicklungsstörungen. Ähnliche Beobachtungen mangelnder Zuwendung machte Harry Harlow in Experimenten mit Rhesus-Äffchen, denen ein Drahtgestell als Ersatzmutter angeboten wurde, einmal das nackte Drahtgestell und alternativ mit Fell überzogen. Schon dabei waren Unterschiede in der Entwicklung zu erkennen.

    Das Fazit ist jedenfalls, dass Reizvielfalt und Zuwendung besonders für den Säugling die Entwicklung fördert, bzw. umgekehrt stark hemmt. Natürlich gibt es eine Fülle neuerer Experimente dazu, mit ausgeklügelten Methoden und neuester Video- und Computertechnik.

  5. Lanz hatte gestern die Heimkinder in Romänien (Cighid) als Thema. Der totale Fürsorgeentzug führte bei einigen/vielen Kindern zum Tod. Die überlebenden Kinder hatten allesamt umfassende unaufholbare Entwicklungsstörungen und die “Integrationsfähigkeit” ist stark herabgesetzt. Diese romänischen Heimkinder sind seit ihrer “Entdeckung” durch die Öffentlichkeit ein recht aufmerksam erforschtes Szenario – das aktuellste solcherart. Doch davon merkt man in der Öffentlichkeit leider wenig. Manche medialen Säue sind eben schnell durchs Dorf getrieben – die Nächste wartet schon.

    Das Problem ist wirklich brisant. Und vor allem sind die Extrembeispiele nicht die einzigen Beispiele – sondern desgleichen die oben beschriebenen Alltagsbeispiele ebenso dramatisch und wirkungsvoll.

  6. Die Austauschbaren werden immer wieder ausgetauscht – am Schluss durch Software und Roboter.

    Ein grosser Teil des zivilisatorischen und vor allem wirtschafltichen Fortschritts kam gerade durch die Bildung von Rollen zustande, die jemand für ein bestimmte Zeit zu einem bestimmten Zweck einnehemen kann. Die Idee der Arbeitsteilung bedeutete schon bei seiner Erfindung im alten Kreta (wo es bereits 300 verschieden Berufe gab), dass man nicht mehr alles selber machen musste sondern den dazu am besten geeigneten einsetzte. Wenn es genügend Geeignete gibt, kann man diese bei Bedarf austauschen. Schon der Pöstler, den man kennt und begrüsst, ist austauschbar. Weil jeder von uns aber ständig damit beschäftigt ist, sich seine Umgebung einzuverleiben, sie in sein Leben zu integrieren, darum wird der immer wieder gleiche Pöstler dann zum Bestandteil des eigenen Lebens und ist somit nicht ohne weiteres austauschbar.

    Wirklich austauschbare Menschen sind eigentlich keine Menschen mehr sondern nur noch temporäre Besetzer von Rollen. Weil sie ihr Menschsein verloren haben, köntnen sie sich sogar erlöst fühlen, wenn sie wegautomatisiert werden. Das ist besser als diejenigen, denen keine Zuwendung zukommt, weil sie nur noch Rollenträger sind, zur Therapie zu schicken. Allerdings kommt mit dem Wegrationalisieren ein neues Problem: Das Problem was die freigestellten Personen – zu denen immer mehr gehören werden – mit ihrer zeit anfangen.

    • Der Ansatz gefällt mir, aber
      “dass man nicht mehr alles selber machen musste sondern den dazu am besten geeigneten einsetzte”
      Schön wäre es!
      “Weil jeder von uns aber ständig damit beschäftigt ist, sich seine Umgebung einzuverleiben,”
      Wie wäre es mit folgendem Vorschlag: als Pöstler ist derjenige ersetzbar, aber nicht als Mensch/Person?
      “Wirklich austauschbare Menschen sind eigentlich keine Menschen mehr sondern nur noch temporäre Besetzer von Rollen.”
      Das gefällt mir sehr gut, finde allerdings, dass das Person-sein niemals völlig verloren geht. Wenn wir uns darauf einigen, dass der “wirklich austauschbare Mensch” nur ein Idealtyp ist, den es so in der Wirklichkeit nicht gibt und nicht geben kann, gehe ich da aber mit.
      Und das Highlight zum Schluss:
      “Allerdings kommt mit dem Wegrationalisieren ein neues Problem: Das Problem was die freigestellten Personen – zu denen immer mehr gehören werden – mit ihrer zeit anfangen.”
      Also zu dem Problem möchte ich Bob Marley zitieren:
      “Said, I’m a living man, I’ve got work to do”
      Noch interessanter wird es doch, wenn wir uns überlegen, was passiert, wenn zu viele Personen wegmechanisiert/wegrationalisiert werden. Nun gibt es diejenigen, die behaupten, dass das kein Problem ist, weil da wo Jobs verloren gehen, entstehen wo anders neue (ganz nach dem Motto, wo sich eine Tür schließt, öffnet sich eine andere). Ich gehöre da eher zu den weniger optimistischen Personen. Wenige, einige, viele werden einen neuen Job bekommen, der Rest bekommt keine Lohnarbeit und muss vom Staat finanziert werden. Was für eine paradoxe Situation! Mechanisierung, die eigentlich begrüßenswert ist, weil dann weniger monotone Tätigkeiten erledigt werden müssen, führt zu systematischen Problemen.

  7. Wir begegnen doch tagtäglich mit so vielen Menschen, dass es uns gar nicht möglich ist, jedem die Aufmerksamkeit zu schenken, die er verdient hat. Den Anderen als Rolle zu betrachten, ist da reiner Selbstschutz. Das würde ich auch nicht als das Hauptproblem sehen, so ist das in einer stark arbeitsteiligen Gesellschaft. Problematischer sind mindestens zwei andere Dinge: erstens wenn Personen zu Tätigkeiten gezwungen werden, auf die sie eigentlich keine Lust haben, sie aber dennoch tun, weil sie das Geld brauchen und zweitens wenn emotionale Nahbeziehungen fehlen. Und noch schlimmer ist, wenn das schon im Kindesalter anfängt.