Deframing – oder der Sinndiebstahl

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Wahrheiten als Querdenkerisches verkleidet, von Gunter Dueck
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Mark Twain hat uns das Reframing gelehrt. Das Buch über die Abenteuer von Tom Sawyer ist 1876 erschienen, als es noch keine Psychologie gab. Jetzt sagen alle, es wäre eine Theorie von Aaron T. Beck und hieße ursprünglich „Cognitive Restructuring“. Oder es wäre eine Technik beim NLP.

Na gut, es geht beim Reframing oder beim Restrukturieren darum, einem Vorstellungsbild einen anderen Rahmen umzuhängen. Zum Beispiel sehen die Depressiven die Welt so sehr negativ, dass sie sich hilflos fühlen und gar nichts mehr tun können. Da hilft das Restrukturieren! In den Unternehmen geistert wohl dasselbe als „Positive Thinking“ herum, eine mehr praktische und fokussierte Variante, die den Mitarbeitern negative Gedanken verbietet, sodass sie dann das Gedankengut ihrer naiv permanentbegeisterten Bosse annehmen können.
Tom Sawyer wird bekanntlich von Tante Polly mit der harten und demütigenden Strafe belegt, den Zaun neu zu kalken. Das tut er dann auch unter dem schadenfreudigen Johlen der Dorfjugend. Er schafft es, das Anstreichen ganz ernst und wichtig zu nehmen. Da fragen die Jungen „darf ich auch mal etwas streichen?“, was Tom zunächst ablehnt, aber dann gegen Bezahlung doch noch erlaubt.
Formal gesehen hat Tom den Rahmen „Strafarbeit“ um das Vorstellungsbild seiner Arbeit durch den neuen Rahmen „Freude, etwas Herausforderndes zu bewältigen“ ersetzt. Wenn man seine Arbeit im Rahmen „Strafe“ betrachtet, johlt man. Wer sie aber im Rahmen „Challenge“ erblickt, will mitmachen.

Es ist also geschickt, einen prächtigen Rahmen um ein Vorstellungsbild zu hängen. Wenn ich Ihr Chef bin, hänge ich um Ihre „Arbeit“ den Rahmen „Selbstverwirklichung“, dann zahlen Sie mir vielleicht Lohn dafür. Tom Sawyer schaffte das. Die Psychologen arbeiten noch an dieser extremen Variante, ihre Techniken sind noch zu theorielastig.

Ich sehe auf der ganz anderen Seite eine andere Tendenz, die wohl noch keinem aufgefallen ist, ich musste erst noch das Wort Deframing dafür erfinden. Es geht darum, den Rahmen um eine Vorstellung ganz abzunehmen oder durch einen sehr funktionell einfachen Rahmen zu ersetzen. Dadurch wird das Ganze nüchterner. Es führt manchmal auch zu relativem Frust. Egal, Hauptsache der Rahmen ist weg.

Da gibt es in manchen Berufen, im Design oder in der IT, beim Texten, Predigen oder Singen so etwas wie eine „Berufung“, es fühlt sich wundervoll an, berufen zu sein. Dann aber sagt der Chef: „Lassen Sie diesen Schnickschnack. Es muss nicht beliebig gut sein, es geht mir nur um das Geld.“ Zong, der Rahmen „Verwirklichung“ ist durch „Diene meinen Zwecken“ ausgetauscht worden.
Früher gingen wir zur Schule, um sie als Hochgebildeter zu verlassen, das fühlten wir auf der Universität noch mehr. Wir wollten Einwohner der Gelehrtenrepublik werden. Deframe: Es geht nur noch darum, Eingangsvoraussetzungen zur nächsten Stufe zu erfüllen. Deframe: Das G8 vermittelt nur noch Stoff, Zeit zur Erziehung ist nicht mehr geplant. Deframe: Der Bachelor lernt nur noch „verschult“. Wer keine „Persönlichkeit“ von zuhause mitbringt, wird dann im Beruf ausgesiebt. Der wertvolle Mensch hatte den Rahmen „Gottes Kind“. Deframe: „Handelsware, gut und günstig, JA!“

Noch schlimmer sind sinnlose Prozesse. Da wird nicht einmal ein neuer Billigrahmen eingesetzt, da ist manchmal gar keiner mehr! „Dieses Einkaufssystem ist nur dann profitabel, wenn Sie für mehr als 50 Euro Original-HP-Patronen bestellen. Unter 50 Euro lohnt es sich nicht für uns, tätig zu werden.“ – „Ich will aber nur eine, die trocknen sonst aus.“ – „Geht nicht! Also drei?“ – „Ja, gut, dann drei.“ – „Hallo? Die Prüfung Ihrer Bestellung ergab: Dieses Einkaufssystem ist nicht berechtigt, Original-HP-Tintenpatronen zu beschaffen, weil die zu teuer sind. Wir sollen welche für 4,99 Euro no name kaufen.“ – „Okay, dann zehn, aber die trocknen aus.“ – „Meinten Sie elf?“ – „Sie trocknen aus.“ – „Danke für die Bestellung.“

Vor ein paar Tagen gingen wir beim schönsten Wetter um den Titisee herum. Mindestens drei Kinder kreischten gellend auf dem Weg wie Todesschreie. Eins keuchte zwischendurch hervor: „Selbst laufen!“ – Eines rief im Staccato: „Ich will laufen!“ Eins war noch zu klein, es schrie. Sie schrien verzweifelt, aber Mutter und Vater schoben sie im Buggy. Später wird man ihnen vorwerfen, nicht die Natur und nicht die Muße des Spazierengehens zu lieben, später werden sie arbeiten, etwa so:

„Ich muss meine Arbeitsstunden genau reporten. Jede Woche mindestens vierzig. Ich arbeite an einem Projekt, was erst in drei Monaten endet. Jetzt beginnt aber gerade ein großes neues Projekt, in dem ich meine Berufung sehe. Ich habe mich einfach als verfügbar gemeldet und arbeite dort mit. Ich will es schaffen, für die kurze Zeit an beiden Projekten gleichzeitig zu arbeiten, damit ich in mein Traumprojekt komme. Das sind 80 Stunden die Woche, die von den jeweiligen Kunden bezahlt werden. Ich rette dadurch den Gewinn meiner Abteilung. Ich arbeite Tag und Nacht, aber den ganzen Sonntag bilde ich mich weiter, acht Stunden lang, damit ich alles Fachwissen im neuen Projekt habe. Nach der ersten Woche meiner Herkulesarbeit habe ich im System achtzig bezahlte Stunden und acht Bildungsstunden reportet. Das System sagt aber, das sei nicht zulässig, weil wir nur zehn Prozent Weiterbildung reporten dürfen – weil wir ja sonst nicht genug arbeiten. Mein Manager schimpft, weil ich ungültige Zahlen eingegeben habe. Ich rechne für ihn nach, dass es nur zehn Prozent Weiterbildung sind. Er telefoniert einen halben Tag herum und findet heraus, dass es nur zehn Prozent von VIERZG sein dürfen. Er befiehlt mir, nur vier Stunden Weiterbildung einzugeben. Ich will das nicht, weil es mich kränkt. Rette ich denn nicht seine Abteilung? Ist es nicht auch verboten, an zwei Projekten gleichzeitig zu arbeiten? Ist es nicht arbeitsrechtlich total unzulässig, 88 Stunden die Woche zu malochen? Es interessiert ihn nicht, für ihn ist nur verboten, wenn das System meckert. Ich diskutiere das mit ihm. Er wird sehr böse und erklärt mich für absurd dumm, dass ich nicht endlich kapiere, dass es nur auf das System ankommt… Ich glaube, ich muss kündigen. Mich friert.“

Solche Mails bekomme ich öfter (zweifelhaft gerne), es sind meist Klagen über andere Unternehmen als Sie denken. DEFRAME ist überall! Was sollen wir nur tun? Sollen wir es wie das Management handhaben und den Rahmen durch grundlose Begeisterung ersetzen? Werden wir mit dieser großartigen Fähigkeit dann auch zu Managern befördert? Braucht man so viele? In welchem Rahmen?

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www.omnisophie.com

Bei IBM nannten sie mich "Wild Duck", also Querdenker. Ich war dort Chief Technology Officer, so etwas wie "Teil des technologischen Gewissens". Ich habe mich viel um "artgerechte Arbeitsumgebungen" (besonders für Techies) gekümmert und über Innovation und Unternehmenskulturen nachgedacht. Besonders jetzt, nach meiner Versetzung in den Unruhestand, äußere ich mich oft zum täglichen Wahnsinn in Arbeitsumgebungen und bei Bildung und Erziehung ein bisschen polarisierend-satirisch, wo echt predigende Leidenschaft auf Stirnrunzeln träfe. Es geht mir immer um "artgerechte Haltung von Menschen"! Heute bin ich als freier Schriftsteller, Referent und Business-Angel selbstständig und würde gerne etwas zum Anschieben neuer Bildungssysteme beitragen. Ich schreibe also rund um Kinder, Menschen, Manager und Berater - und bitte um Verzeihung, wenn ich das Tägliche auch öfter einmal in Beziehung zu Platon & Co. bringe. Die Beiträge hier stehen auch auf meiner Homepage www.omnisophie.com als pdf-download bereit. Wer sie ordentlich zitiert, mag sie irgendwo hin kopieren. Gunter Dueck

7 Kommentare

  1. Ich sehe auf der ganz anderen Seite eine andere Tendenz, die wohl noch keinem aufgefallen ist, ich musste erst noch das Wort Deframing dafür erfinden. Es geht darum, den Rahmen um eine Vorstellung ganz abzunehmen oder durch einen sehr funktionell einfachen Rahmen zu ersetzen. Dadurch wird das Ganze nüchterner. Es führt manchmal auch zu relativem Frust. Egal, Hauptsache der Rahmen ist weg.

    Klingt solid formuliert. – Allerdings: Wer “deframt” will später wieder “framen”, aber anders.
    MFG
    Dr. W

  2. Deframe. Fear of knowledge. Fear of meaning. Sie haben es genau auf den Punkt gebracht.

    Geld hat hat eine Funktion, und sogar eine wichtige Funktion, aber es keine Bedeutung und wird niemals eine haben. Ein dem Geld gewidmetes Leben ist von vornherein ein vergeudetes, sinnloses Leben.

    Aber wem will man heute noch den Unterschied zwischen Bedeutung und Funktion als wesentlich, wenn nicht gar als entscheidend für das Humanum unterjubeln?

    • Geld hat hat eine Funktion, und sogar eine wichtige Funktion, aber es keine Bedeutung und wird niemals eine haben.

      Der Besitz von Geld oder Wertgegenständen, auch Vermögen genannt, hat nicht nur eine Funktion, sondern auch eine Bedeutung, nämlich, dass etwas vermocht wird. Besitzstände ergänzen in diesem Sinne das Talent, das eine Metaphorik darstellt und zwar ebenso vom Besitzstand ausgehend auf das Vermögen im nicht monetären Sinne.

      Das Geld ist im Artikel anscheinend im Kontext “Tom Sawyer” der ‘Challenge’ nur deshalb entgegengestellt worden, weil es das “Deframing” (ein neues oder vielleicht nicht ganz neues Fachwort) beispielhaft belegen half.

      MFG
      Dr. W

  3. Deframing wie hier an Beispielen beschrieben meint mehr Regulierung und Bürokratie. Und wenn die Einhaltung von Regeln wichtiger wird als der eigentliche Inhalt, dann fürht das natürlich zu einem Sinnverlust.
    Firmen wie Google zeigen einem aber genau das Gegenteil, nämlich den Versuch den Unterschied zwischen Arbeit und Leben zum Verschwinden zu bringen. Deshalb liest man dort Dinge wie:

    Unsere Büros und Cafés sind so eingerichtet, dass die Interaktion zwischen Googlern innerhalb der Teams sowie teamübergreifend gefördert wird – ob bei der Arbeit oder bei einer Runde Kicker.

  4. @ dr. webbaer: Ja! Und Deframing hab ich einfach erfunden…musste sein…bzw. ich mag das Erfinden…

    • Jeder kluge Mensch sollte täglich mindestens ein neues Wort erfinden.
      MFG + weiterhin viel Erfolg!
      Dr. W (der zuletzt hier ein sehr zufriedener Leser geworden ist)

  5. @ dr. webbaer: Das mit der Zufriedenheit irritiert mich jetzt fast ein bisschen!