Der ökonomische Stimulus-Response-Wahn simpler „Chefs“

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Wahrheiten als Querdenkerisches verkleidet, von Gunter Dueck
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Die Idee des Behaviorismus ist nun gut hundert Jahre alt: Man setzt Tiere und Menschen gewissen Stimuli oder Reizen aus und beobachtet, wie sie darauf reagieren („response“). Wenn diese Stimuli oder Reize klug gewählt werden, reagieren Tier und Mensch wie gewünscht. Menschen können also manipuliert werden, nachdem man es an Tieren genügend geübt hat. Bei deutschen Menschen verwendet man das Wort „Anreiz“ und das Manipulationssystem heißt „Anreizsystem“. Wenn Menschen wie gewünscht reagieren, dann „greifen die Anreize“. Wenn sie es nicht tun, dann sind „die Anreize falsch gesetzt worden“.
Anreize für Menschen sind meist Belohnungen oder Strafen. Nach den Versuchen mit den Pawlowschen Hunden (denen beim Glockenton das Wasser im Mund zusammenläuft, weil es nach ihrer Erfahrung bald ganz gewiss etwas zu Fressen gibt) ist bekannt, dass man auch indirekte Anreize geben kann. Man ruft Menschen zur Arbeit! Dann freuen sie sich wie die Hunde, dass es irgendwann Geld („Fressen“) dafür gibt. Wenn das gut funktioniert, kann man die Belohnungen langsam herunterfahren, weil sich die Menschen schon daran gewöhnt haben, sich einfach nur über die Arbeit an sich zu freuen, Geld hin oder her. Deshalb verdienen Menschen oft nicht so viel. Manager dagegen verdienen sehr viel, weil sie die Einzigen sind, die keinen Pawlow-Reflex zeigen: sie wollen direkt Geld und kein versprochenes.

Eine ganze Ökonomie-Literatursparte beschäftigt sich mit der Frage, welche Anreize gut funktionieren, wie hoch die Anreize sein müssen oder wie viel sie kosten müssen, sodass es zum gewünschten Verhalten der Menschen kommt. Auch Erziehungsratgeber kreisen um diese Frage. Wie bringe ich Kinder zum Lernen? Wie Studenten durch ein Examen? Durch:

•    Lob und Tadel (Plaketten, Held des Monats, Niedermachen im Meeting, Schimpfen, Angstmache)
•    Strafe und Belohnung (Geld, Credit Points, Handyvertragsupgrade, Sitzenbleiben, Karriere, Strafversetzung, Dienste von Begleitagenturen)

Lob kostet nicht so viel, wirkt aber schwächer. „Was kann ich mir dafür kaufen?“, fragen ja manche Gelobte. Viele Manager loben nicht gerne, weil sie genau diese innere Frage fürchten. Sie wissen (! – sie glauben zu wissen), dass der gelobte Mitarbeiter das Lob irgendwann in Geld umwandeln will…

Gut – soweit zur Praxis.

Was kann man sonst noch tun? Immer wieder werden in wertvollen Beiträgen zum Wohle der Menschheit andere „Manipulations-Währungen“ vorgeschlagen:

•    Möglichkeit zum Lernen
•    Interessante Arbeit, die erfüllt („Flow“) und Freude macht
•    Vertrauensvoll Verantwortung übertragen
•    Herausfordernde Arbeit, die persönliches Wachstum ermöglicht
•    Alles rund um Liebe, tiefe persönliche Anerkennung und Respekt
•    Ernstnehmen und echte Aufmerksamkeit
•    Wundervolles Betriebsklima schaffen
•    Persönliche Anteilnahme auch der Vorgesetzten, Fürsorge

Diese „Anreize“ wirken nur unter Verzicht von Machtausübung. Vor allem aber verlangen sie ein Eingehen auf den einzelnen Menschen, der „manipuliert“ werden soll, und darüber hinaus eine gewisse Zuneigung zu ihm, eine Wertschätzung ihm gegenüber.
Ja, und nun kommt es: es ist nicht jedem Menschen, auch längst nicht jedem Manager gegeben, mit Interesse, Freude, Vertrauen etc. umzugehen. Da ist ja ein „grüner Daumen“ für Menschen verlangt und kein konkretes „Instrumentarium“ von möglichen „Maßnahmen“. Deshalb zieht sich mangels Begabung oder Bequemlichkeit die Realität dann doch wieder auf die konkreten „Maßnahmen“ zurück.

Soweit die Sachlage. Jetzt mein Punkt: Die Führenden der Welt haben bei ihrem Tun bestimmte bessere Zeiten und Weltläufe im Blick, sie wollen Anreize so setzen, dass wir alle glücklich werden, dass große Profite erzielt werden oder mindestens, dass wir wirkungsvoll arbeiten. Was immer herauskommen soll – es soll wundervoll sein!

Logisch und theoretisch gesehen wird also erwartet, dass mit den RICHTIGEN Anreizen alles Wundervolle erzeugt werden KANN. Nehmen wir an, das stimmt (Lehre des radikalen Behaviorismus nach Skinner). Nehmen wir an, wir könnten mit den RICHTIGEN Anreizen jede gewünschte Welt erzeugen.
Nehmen wir es an. Dann aber stelle ich die Gretchenfrage: Kann es nun zusätzlich sein, dass alles Wundervolle auch einfach NUR mit dem relativ armseligen Instrumentarium der Macht über Strafe und Belohnung erzeugt werden kann?
Die Theorie – sorry, noch einmal, weil es so wichtig ist – die Theorie sagt, dass man jeden Menschen zu jedem gewünschten Verhalten bringen kann, wenn man ihn beliebig manipulieren darf. Die Praxis in Politik, Wirtschaft und Erziehung manipuliert aber ganz überwiegend

1.    mit konkreten Belohnungen und Strafen und die
2.    so billig und einfach wie möglich und
3.    mit den Mitteln, die der beschränkt fähige Manipulator auch persönlich anzuwenden be-herrscht (das sind in der Regel wenige).

Unter diesen herben Einschränkungen an das Methodenarsenal der Manipulation und an die Fähigkeit der manipulierenden Führung kann dann aber nicht mehr jeder glückliche Weltzustand erzeugt werden, oder? Welche Zustände der Zukunft können denn mit vermindertem Instrumentarium überhaupt herauskommen?

Kurz: Kann man wundervolle Reaktionen („responses“) erwarten, wenn nur lausige Stimuli durch beschränkt aktionsfähige Stimulanten angewendet werden?

Warum verzweifeln die Stimulusgeber immer an den mangelhaften Responses der Stimulierten? Warum legt niemand Hand an die Stimulusseite? Wer herrscht denn dort überhaupt, auf der Stimulusseite?

Der Wahn, es ginge auch so.

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www.omnisophie.com

Bei IBM nannten sie mich "Wild Duck", also Querdenker. Ich war dort Chief Technology Officer, so etwas wie "Teil des technologischen Gewissens". Ich habe mich viel um "artgerechte Arbeitsumgebungen" (besonders für Techies) gekümmert und über Innovation und Unternehmenskulturen nachgedacht. Besonders jetzt, nach meiner Versetzung in den Unruhestand, äußere ich mich oft zum täglichen Wahnsinn in Arbeitsumgebungen und bei Bildung und Erziehung ein bisschen polarisierend-satirisch, wo echt predigende Leidenschaft auf Stirnrunzeln träfe. Es geht mir immer um "artgerechte Haltung von Menschen"! Heute bin ich als freier Schriftsteller, Referent und Business-Angel selbstständig und würde gerne etwas zum Anschieben neuer Bildungssysteme beitragen. Ich schreibe also rund um Kinder, Menschen, Manager und Berater - und bitte um Verzeihung, wenn ich das Tägliche auch öfter einmal in Beziehung zu Platon & Co. bringe. Die Beiträge hier stehen auch auf meiner Homepage www.omnisophie.com als pdf-download bereit. Wer sie ordentlich zitiert, mag sie irgendwo hin kopieren. Gunter Dueck

4 Kommentare

  1. Q: Wer herrscht denn dort überhaupt, auf der Stimulusseite?
    A: Der Wahn, es ginge auch so.

    Ein berechtigter “Wahn”!

    Es glaubt halt niemand so recht daran, dass Stimuli bessere Mitarbeiter machen.

    MFG
    Dr. W

  2. Ich kann hier das Buch “Mythos Motivation” von Reinhard K. Sprenger empfehlen. Sein Grundsatz: “Alles Motivieren ist Demotivieren”. Ich fand er konnte das schlüssig herleiten.

  3. Kann man wundervolle Reaktionen („responses“) erwarten, wenn nur lausige Stimuli durch beschränkt aktionsfähige Stimulanten angewendet werden?

    Nein, aber dafür können wir dankbar sein. Man kann uns mit geschickter individueller Manipulation auch dazu bringen für unsere Arbeit zu bezahlen – wir könnten es lieben ausgebeutet zu werden.

  4. “Man spürt die Absicht, und ist verstimmt”. Eigensinn ist eine sehr dominante, menschliche Eigenschaft. Menschen haben ihren Stolz und wollen nicht manipuliert werden.

    Wenn der “Anreiz/Stimulus” nicht reicht, dann vielleicht auch, weil die Ideologie, pardon, Theorie, unpassend ist. Es handelt sich dann vielmehr um eine Art Handel zwischen zwei Seiten mit verschiedenen Interessen, nicht um eine quasi unbewusste Reaktion eines pawlowschen Mitarbeiters auf einen Stimulus. Dazu muss man den Mitarbeiter aber als gleichwertig ansehen, und nicht nur als “human ressource”.