Deutschland steigt ab – aber wir sind noch gut!

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Wahrheiten als Querdenkerisches verkleidet, von Gunter Dueck
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Studien über Studien erscheinen und zeigen, dass Deutschland einen Platz im Mittelfeld einnimmt. Bei Bildung, Internet, Fremdsprachenkenntnissen, Zustand der Straßen – egal. Ganz vorne tummeln sich immer dieselben Länder aus Skandinavien. Südkorea ist gut, aber für uns mental weit weg. China, Singapur und Indien holen auf. Japan trauert.

Stellen Sie sich vor, Sie haben ein Kind, dass früher lange Zeit Klassenprimus war und dann nicht mehr so richtig Lust hatte. Es war dann immer noch richtig gut, daher konnte das hingenommen werden. Wer wird mit einem Kind maulen, das ja „gut“ ist? Wenn die Eltern bedauern, dass ihr Kind früher besser war, werden sie natürlich sofort von der Umwelt als größenwahnsinnige, arrogante Ehrgeizlinge schaudernd abgetan. Sie schweigen. Dann wird das Kind in der Schule noch einen Tick schlechter, dann noch einen und wieder einen: es wird durchschnittlich. Die Eltern beginnen nun, unruhig zu werden. Das Kind findet aber, dass ja nichts angebrannt sei, es sei ja gut durchschnittlich! „Ist da etwas Verwerfliches dran?“
Nein, das ist es im Prinzip nicht. Was aber bedenklich stimmt, ist die Richtung, in die das Kind geht: abwärts. Wenn die Eltern wüssten, dass diese Leistungsabschwächung heute beendet wäre, hätten sie kaum Sorgen. Aber so?
In anderem Kontext: Wenn Sie an einer Aktiengesellschaft beteiligt wären und „Ihr“ Unternehmen vom Superstarstatus langsam auf Durchschnitt sinkt, dann kostet es Sie echtes Geld. Aktienkurse bewerten das Zukunftsvertrauen…
Nehmen wir einen anderen Fall: Das Kind ist von Zuwanderern, kann kein Wort Deutsch. Es lernt, schafft geradeso die ersten Schulversetzungen, wird langsam sicher überall Vier, schreibt keine Fünfen mehr und schafft es nach einigen Schuljahren, durchschnittlich zu sein. Haben die Eltern dieses Kindes Sorgen? Nein, helle Freude. Und an der Börse: Wenn ein Unternehmen aus dem Dreck kommt und durchschnittlich wird, steigen die Aktien.
Nehmen wir an, beide durchschnittlichen Kinder oder durchschnittlichen Unternehmen sind in Rankings genau gleich gut. Dann würden wir doch aber die Aufsteiger besser, eigentlich viel besser sehen als die Absteiger?

„Wir sind doch noch gut!“ Damit entschuldigen die Studienleser Deutschland unentwegt. Sie bewerten den Zustand, ohne die Richtung mitzubewerten. Geht es irgendwie in die Köpfe rein, dass nicht nur der Zustand zählt, sondern auch die Bewegungsrichtung? Wer als Durchschnittlicher aufsteigt, sieht voll motiviert eine immer glänzendere Zukunft vor Augen. Wer als Durchschnittlicher absteigt, verweist auf die Verdienste in der Vergangenheit und will die Zukunft nicht wahrhaben.

Dieses Nichtwahrhabenwollen sehe ich an den Kommentaren zu den Studien: „Die Studien sind nicht repräsentativ.“ – „Die Fragen zum Internet sind unsinnig, das muss man gar nicht können.“ – „Die Fragen an die Schüler messen etwas, worauf wir in Deutschland gar keinen Wert legen, deshalb schneiden wir schlechter ab, kein Wunder.“ – „Bei solch einer Studie würde ich gar nicht vorn sein wollen.“ – „Die Studie ist politisch motiviert und bestellt.“ Es klingt wie: „Der Bio-Lehrer hat etwas gegen mich.“ – „Die Arbeit hat nur die begünstigt, die zufällig einen bestimmten Text kannten.“ – „Es wurde etwas gefragt, was nicht dran war.“ – „Das Aufsatzthema war abartig, darüber sollte man gar nichts schreiben wollen.“

Ich selbst mag die Studien insgesamt nicht so gerne, weil sie einzeln gesehen oft seltsam konzipiert worden sind und weil beim Anblick der Methodik zu viele graue Haare wachsen. Aber trotzdem: Ich habe Sorge. Ich kann mir keinen guten Grund vorstellen, warum alle diese kritikwürdigen Studien immer Deutschland benachteiligen sollten. Kennen Sie einen? Ist es nicht bei Kritik besser, einmal einfühlsamer als nötig hinzuhören? Und als Frage an den guten Menschenverstand: Warum bewerten und diskutieren wir die Richtung nicht, immer nur den Zustand?
Aufsteiger reden NUR über die Richtung und NIE über den Zustand, nicht wahr? Sind wir also Aufsteiger? Nein! Was sind wir dann?

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www.omnisophie.com

Bei IBM nannten sie mich "Wild Duck", also Querdenker. Ich war dort Chief Technology Officer, so etwas wie "Teil des technologischen Gewissens". Ich habe mich viel um "artgerechte Arbeitsumgebungen" (besonders für Techies) gekümmert und über Innovation und Unternehmenskulturen nachgedacht. Besonders jetzt, nach meiner Versetzung in den Unruhestand, äußere ich mich oft zum täglichen Wahnsinn in Arbeitsumgebungen und bei Bildung und Erziehung ein bisschen polarisierend-satirisch, wo echt predigende Leidenschaft auf Stirnrunzeln träfe. Es geht mir immer um "artgerechte Haltung von Menschen"! Heute bin ich als freier Schriftsteller, Referent und Business-Angel selbstständig und würde gerne etwas zum Anschieben neuer Bildungssysteme beitragen. Ich schreibe also rund um Kinder, Menschen, Manager und Berater - und bitte um Verzeihung, wenn ich das Tägliche auch öfter einmal in Beziehung zu Platon & Co. bringe. Die Beiträge hier stehen auch auf meiner Homepage www.omnisophie.com als pdf-download bereit. Wer sie ordentlich zitiert, mag sie irgendwo hin kopieren. Gunter Dueck

14 Kommentare

  1. Deutschland steigt auf, wenn es um seine Rolle in Europa geht, es steigt ab, wenn es um seine Rolle in der Welt geht. Alles andere wäre ja auch verwundertlich. In Europa steigt es auf, weil es Europa überhaupt erst seit kurzem als politisches Geblide gibt und dann muss Deutschland mit seiner starken industriellen Basis und seiner Exportorientierung bei 80 Millionen Menschen wohl eine gewichtige Rolle spielen. Weltweit gesehen wäre alles andere als ein relativer Abstieg verwunderlich. Schliesslich ist die Welt verglichen mit Deutschland recht gross: Bald wird nur noch jeder hunderste Erdenbürger ein Deutscher sein. Dazu kommt, dass man nicht auf ewig hungrig und ehrgeizig sein kann.
    Wirklich abgestiegen wäre Deutschland erst dann, wenn es keinem anderen Land mehr als Vorbild dienen könnte. Davon ist es aber noch weit entfernt.

    • Ohne allzuviel in der Politik herum zu wuseln, sehe ich Deutschland innerhalb von Europa, speziell innerhalb der EU gerade nicht als nacharmenswertes Vorbild, sondern eher als abschreckendes Beispiel dafür, wie man es gerade nicht machen sollte.
      Und sonst? – Ich denke, die leitenden Geister der deutschen Industrie brauchen diesen Abstieg dringend, um endlich und möglichst schmerzhaft von dem Ross herunter zu fallen, auf dem sie derzeit noch sitzen. Das Dumme ist nur, dass sie der Volkswirtschaft damit einen Schaden zumuten und zufügen, der nicht nötig wäre, würden sie jetzt schon freiwillig absteigen. Aber das ist ein anderes Kapitel und würde zu weit führen. Aber ich glaube/befürchte, dass unsere wirtschaftliche und wirschaftspolitische “Elite” erst dann etwas an ihrem derzeitigen Kurs ändert, wenn auch die Exportwirtschaft auf internationalem Mittelmass herab gesunken ist, und in anderen Bereichen von Wissenschaft und Technik, wo Deutschland auch mal ganz vorne mitgemischt hat, mit ein paar möchtegern Eliteschulen/Hochschulen nichts mehr zu reissen ist, weil die paar Spitzenkräfte nicht mehr ausreichen, um das Niveau zu erreichen, geschweige denn, es zu halten. Oder, frei nach Häuptling Seattle: “Erst wenn die letzten einheimischen Experten in Rente oder Tod sind und keine ausländischen Experten mehr zuwandern wollen, werdet Ihr begreifen, dass ihr mit einem streng aussiebenden Bildungssystem nicht weiter kommt. “

  2. Geht es irgendwie in die Köpfe rein, dass nicht nur der Zustand zählt, sondern auch die Bewegungsrichtung?

    Philosophisch betrachtet eine interessante und wichtige Frage.

    Zufriedenheit entsteht bekanntlich im Vergleich und wenn der Maßstab “frühere Zeit” angelegt wird, kann oft beim Hochleistenden Unzufriedenheit entstehen, wenn er früher einmal besser war oder besser gestellt war.
    Diese dann vielleicht entstehende Unzufriedenheit muss aber nicht vernünftig sein.


    Konkret auf die BRD bezogen und mit der EU vergleichend sieht es doch noch bestens aus, zumindest solange kein Zahltag kommt.

    MFG
    Dr. W (der sich (auch eher) zu den Kompetitiven zählt, den Gedankengängen des Artikels umfänglich folgen kann, zustimmend, der aber auch darauf hinweist, dass nicht jeder besonders kompetitiv ist, dass eine elitäre Sicht vorliegen könnte)

    • PS:
      Das Fachwort ‘Zufriedenheit’ kam übrigens im Artikel nicht vor, auch deshalb noch ein “Standardspruch”:
      ‘Zufrieden zu sein bedeutet nicht zu tun, was gemocht wird, sondern zu mögen, was getan wird.’

  3. Wer sagt denn, dass D mal besser war? Immer dieses Geheule….. “in den PISA-Studien sind wir nur Mittelmaß, wir müssen WIEDER Weltspitze werden….” etc…..

    Waren wir überhaupt mal Weltspitze? Woher will man das wissen???? Nö, wir waren immer MIttelmaß, und wir werden hoffentlich immer MIttelmaß bleiben und nur, wenn wir diese unsäglichen Studien als das betrachten, was sie tatsächlich sind, nämlich dummer Rotz und Geldschieberei von interessierten Gruppen, nur dann werden wir erkennen: Alle sind Mittelmaß, und alle sind gleich Mittelmaß.

    Alles andere ist nationalistische Arroganz mit dem Ziel, sich selbst als etwas “Besseres” zu deklarieren……

    Um Ihre letzte Frage im Artikel zu beantworten: Wir sind arrogant hoch drei und beanspruchen die Weltherrschaft aufgrund angeblicher vorheriger Weltherrschaften…… ich kotz ab…….

  4. @statistiker: Es gab einmal den Begriff “Wirtschaftswunder” und die DM erfuhr jedes Jahre eine Aufwertung – trotzdem stieg hier der Export… seien Sie bitte nicht so negativ. Ich habe auch nicht gesagt, wir sollen etwas beherrschen, sondern Kritik ernst nehmen, nicht kleinreden und etwas wollen…

    Ich habe Ihren Kommentar gerade erst zufällig gesehen, er war bei mir per Mail im Spam-Ordner gelandet.

    • Die 50´er-Jahre, unser angebliches “Fräulein-Wunder”, waren nichts anders als ein Jahrzehnt des weltweiten Wirtschaftsaufschwunges.

      Die DM erfuhr zwar eine Aufwertung, aber nicht allen Währungen gegenüber. Dem Dollar gegenüber beispielsweise nicht, nur darum konnten wir in die USA exportieren (was ja nichts anders heißt, als Arbeitslosigkeit exportieren und Armut importueren, denken Sie mal nach)…..

      Wir reden unsere Vergangenheit toll, ohne sie zu betrachten. Tha, “Früher war alles besser” wird überall geprahlt….. stimmt das? Setzen Sie sich mal in einen Bus und hören den 60-Jährigen zu…… Sie werden abkotzen bei diesem dummen Gesabbel……

      Da hören Sie nur dummes Zeug, dass jedem Hauptschüler von heute die Haare zu Berge stehen lässt, rechtsradikal und rassistisch noch dazu….. und das ist kein Vorurteil, das ist tägliches Erleben……..

      Machen Sie es mal, Sie werden erleben, wie asozial die Bevölkerung ist…..

  5. @dr. webbaer Habe gegoogelt, kannte ich nicht, jetzt weiß ich wenigstens, was es ist. Ich dachte erst, es ist eine Psycho-Theorie, dass sich Leute aus US exzeptionell empfinden.

    • Sorry, der Webverweis funktionierte nicht direkt, ein Nachbessern war unmöglich.

      Nöh, ist ein interessanter Topic, vielleicht sinnhaftem Patriotismus zuzuordnen, vielleicht auch nicht; ist in den Staaten auch tagespolitisch relevant, bspw. wenn sich ein demokratischer (die Partei der Demokraten ist gemeint, wissen Sie natürlich, aber vielleicht nicht alle, “Statistiker”?) Präsident mal wieder hier und mal da entschuldigt.

      Die Franzosen haben die Grande Nation, die Bundesdeutschen womöglich (nach dem letzten Krieg) eine Art Altruismus als Sendungsbewusstsein.
      Noch andere haben wieder anderes…

      Jeweils bleibt die Kompetitiviät im Spiel.

      MFG
      Dr. W

  6. Google ngram se mal “Bildung”.

    Ergebnis hat eine ähnliche Verteilung, wie “Lügenpresse”.

    https://books.google.com/ngrams/graph?content=l%C3%BCgenpresse&case_insensitive=on&year_start=1800&year_end=2000&corpus=20&smoothing=3&share=

    case-insensitive

    https://books.google.com/ngrams/graph?content=bildung&year_start=1800&year_end=2000&corpus=20&smoothing=3&share=&direct_url=t1%3B%2Cbildung%3B%2Cc0

    non case-insensitive

    Ich denke, das man das mit allen sozialen und gesellschaftlich relevanten Bgriffen machen kann und eine ähnliche Verteilung finden wird.

    https://books.google.com/ngrams/graph?content=gesundheit&year_start=1800&year_end=2000&corpus=20&smoothing=3&share=&direct_url=t1%3B%2Cgesundheit%3B%2Cc0

    non case-insensitive

    https://books.google.com/ngrams/graph?content=kirche&year_start=1800&year_end=2000&corpus=20&smoothing=3&share=&direct_url=t1%3B%2Ckirche%3B%2Cc0

    non case-insensitive

    https://books.google.com/ngrams/graph?content=herrschaft&year_start=1800&year_end=2000&corpus=20&smoothing=3&share=&direct_url=t1%3B%2Cherrschaft%3B%2Cc0

    non case-insensitive

    https://books.google.com/ngrams/graph?content=freiheit&year_start=1800&year_end=2000&corpus=20&smoothing=3&share=&direct_url=t1%3B%2Cfreiheit%3B%2Cc0

    non case-insensitive

    https://books.google.com/ngrams/graph?content=Liebe&year_start=1800&year_end=2000&corpus=20&smoothing=3&share=&direct_url=t1%3B%2CLiebe%3B%2Cc0

    non case-insensitive

    https://books.google.com/ngrams/graph?content=Krieg&year_start=1800&year_end=2000&corpus=20&smoothing=3&share=&direct_url=t1%3B%2CKrieg%3B%2Cc0

    non case-insensitive

    Es ist bestechend. Immer finden sich Peaks um 1920 und 1940.

    Da die Gegenstände eine Zeit benötigen, bis sie in den Büchern auftauchen, ist davon auszugehen, das in der Zeit davor jeweils etwas gravierendes geschehen sein muß, welches die Häufung als eine Art Sublimierung verursachte. Es bestand also plötzlich ein gwisser Druck auf und in der Gesellschaft, aus dem heraus “thematisiert” wurde. (Davon ausgegangen, das Verbal- oder schriftkommunikation erste Wahl zur Sublimierung sei).

    Was könnte die Ursache gewesen sein, die den Druck erzeugte?

    • ach so:
      Da es so aussieht, dass der Druck entwichen sei (leicht beim Blick in die Medien zu erkennen), dürfte es sich zukünftig mit dem Bildungserfolg “bessern”.