Facebook-Führerschein und Freisurfer

BLOG: WILD DUECK BLOG

Wahrheiten als Querdenkerisches verkleidet, von Gunter Dueck
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Neuerdings wird immer wieder gefordert, das Surfen sollte in der Schule gelehrt werden. Was denn noch alles? Witzig, was alles NICHT in der Schule vorkommt: Psychologie, Medizin, Jura, Wirtschaft, Selbstentwicklung – na, alles, was wir im Leben brauchen. Und dann kommen immer neue Forderungen hinzu, das Internet zum Beispiel. Dabei muss man doch bitteschön zuerst das Wichtige lernen, zum Beispiel wie viele Kelchblätter die Tulpe hat und wie man die Funktion sinn(los x) mit der Kettenregel ableitet.
Beim Internet geht es vorrangig nicht darum, dass man das Surfen lernt (wie in der Schule die Sonette von Gryphius), sondern dass man es kann. Das ist genauso wie beim Autofahren. Das Fahren ist nicht so einfach, aber jeder muss es sicher beherrschen – nicht einfach nur mal lernen. Deshalb machen wir einen Führerschein. Schauen wir auf das Schwimmen: Bevor man ins Tiefe springt, sollte man Schwimmen können. Dafür macht man den Freischwimmer! Nicht so wirklich in der Schule, einfach für sich selbst.

Ich fordere Führerscheine für Internet, Facebook, Internetbanking, Sicherheit, was weiß ich. Die gibt es schon an vielen Stellen! Es gibt tatsächlich alles, auch ein Internetseepferdchen. Surfen Sie doch einmal!
Das aber ist nicht der Punkt. Ich würde die Latte richtig schön hoch legen. Die liegt beim Nicht-schwimmer und bei Auto-Newbie auch einigermaßen hoch. Es muss eine Errungenschaft sein, etwas geschafft zu haben – hinterher sollte das „Welcome in the club“ sich krass anfühlen, nicht so wie das Herumalbern mit einer Baby-Übung.
Überall ist es so! Die Leute sind stolz, schwarze Pisten abzufahren, erst dann fühlen sie sich gut! Dagegen hat die Erteilung des Großen Latinums in mir keinen großen emotionalen Widerhall erzeugt.

Ja, und wenn das alles so eingeführt wird, könnten wir doch auf die Älteren ebenfalls eindringen, ebenfalls ein Internetseepferdchen zu erwerben. Die schwimmen jetzt eher auf der Gegenstolzlinie „Ich bin ein überzeugter Offliner und kein böser Mensch!“ In dieser Weise machen Internetveganer (gibt es schon ein Wort für solche Klickkeusche?) aus ihrer Berührungsangst eine Ideologie. Am besten haben sie für das Internet eine eigene Sekretärin. „Die druckt alles aus.“ Oder: „Wenn ich etwas im Internet kaufen will, macht das meine Enkelin für mich. Wir lassen sie nur 10 Minuten täglich surfen, aber sie hat dort schon eine Menge gelernt. Wir bewachen sie natürlich, dass sie keine Viren einfängt, zum Beispiel von der Firma Java, die wollen uns immer was downloaden. Nee, nee, da passen wir schon seit Jahren auf, leider geht trotzdem vieles auf dem Computer nicht mehr richtig.“

Manchmal verstehe ich die Welt nicht mehr so ganz: Wir haben das Internet nun schon zwanzig Jahre. Immer noch verwenden die Leute keine Passwörter für ihr Handy, oder sie schreiben es hinten auf einen Aufkleber. Ältere Manager brüllen im ICE „Meine Mailadresse ist Name@aol.com und das Passwort ist einfach mein Name! Loggen Sie kurz ein und lesen Sie mir jetzt laut die gerade verschickten Firmengeheimnisse vor! Bieten wir nun eine Milliarde zum Kauf der Firma X oder nicht? Aha, wir bieten. Gut, dass es keiner weiß.“ Und solche Leute erklären zu Hause ihren Kindern das Internet. Hilfe! Alle sollen einen Führerschein machen, alle – so wie ich ihn auch zum Beispiel bei Statistik für Geisteswissenschaftler und Mediziner gut fände. Und für Wirtschaftswissenschaftler – eigentlich für die ganze Studienindustrie und vor allem für Leute, die Studienergebnisse interpretieren.

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www.omnisophie.com

Bei IBM nannten sie mich "Wild Duck", also Querdenker. Ich war dort Chief Technology Officer, so etwas wie "Teil des technologischen Gewissens". Ich habe mich viel um "artgerechte Arbeitsumgebungen" (besonders für Techies) gekümmert und über Innovation und Unternehmenskulturen nachgedacht. Besonders jetzt, nach meiner Versetzung in den Unruhestand, äußere ich mich oft zum täglichen Wahnsinn in Arbeitsumgebungen und bei Bildung und Erziehung ein bisschen polarisierend-satirisch, wo echt predigende Leidenschaft auf Stirnrunzeln träfe. Es geht mir immer um "artgerechte Haltung von Menschen"! Heute bin ich als freier Schriftsteller, Referent und Business-Angel selbstständig und würde gerne etwas zum Anschieben neuer Bildungssysteme beitragen. Ich schreibe also rund um Kinder, Menschen, Manager und Berater - und bitte um Verzeihung, wenn ich das Tägliche auch öfter einmal in Beziehung zu Platon & Co. bringe. Die Beiträge hier stehen auch auf meiner Homepage www.omnisophie.com als pdf-download bereit. Wer sie ordentlich zitiert, mag sie irgendwo hin kopieren. Gunter Dueck

8 Kommentare

  1. Hier wird der Internet-Führerschein für Schulen und als Kundenbindungstool beworben. Kommt einem irgendwie vertraut vor:

    der “Internet-Führerschein® für Schüler” wurde bisher von mehreren Bildungsministerien zur Unterstützung des fachlichen Schulunterrichts kostenfrei verteilt. Die Finanzierung erfolgt über Bildungssponsoring.
    eine große deutsche Krankenkasse hat eine hauseigene Variante als Kundenbindungstool eingesetzt

    Fragt sich natürlich was die Lernziele sein sollen und was die Kinder über die Grundkenntnisse hinaus kennen lernen sollten: Nettiquette?, Herunterladen von Musik und Videos, Einkaufen mit Papas Kreditkarte?, Kostenlose Internetspiele wo man Punkte sammeln kann

    Nun vieles davon werden die Kinder schon selber herausfinden.

    • “Fragt sich natürlich was die Lernziele sein sollen”

      Diese stehen meistens nur auf der Werbeseite der Sponsoren. Das Ganze dient in erster Linie dazu, die Daten von den Kindern abzugreifen. Das Gymnasium meines Sohnes nahm an mehreren solcher Veranstaltungen teil. Dabei blieb mir eine große Krankenkasse besonders im Gedächtnis, die für die zehnte Klasse den Workshop “Assessment-Center” sponserte. Danach erhielten wir nämlich gefühlte einhundert Werbeanrufe. Irgendwann bat ich die Dame am Telefon es endlich aufzugeben und uns in Ruhe zu lassen, was sie mit der schnippischen Bemerkung kommentierte: “Hätte uns ihr Sohn seine Handynummer überlassen, dann könnten wir ihm unser Angebot selbst unterbreiten und Sie bräuchten sich nicht einzumischen.”

      • Das Ganze dient in erster Linie dazu, die Daten von den Kindern abzugreifen.

        Oho, danke für die Info.

        MFG
        Dr. W

  2. Zudem ‘Führerscheine’ ja im Deutschen unglaublich historisch belastet sind, haben sie doch irgendwie den Führer vorweggenommen, auch sein Sprache (‘Krafträder’, ‘Kraftfahrzeuge’) und den ‘Volkswagen‘, ein schreckliches Wort btw wie auch die ‘Autobahn’.

    Insofern müsste es, wie vom Autor ja vorgetragen, ‘Beim Internet geht es vorrangig nicht darum, dass man das Surfen lernt (wie in der Schule die Sonette von Gryphius), sondern dass man es kann.’, richtig sein, dass ‘gesurft’ wird, ein unverfänglicher Begriff zudem, weil ‘man es kann’.

    MFG
    Dr. W (der sogar etwas gegen einen Weltführerschein hätte, egal wie genau benannt)

  3. Medienkompetenz wird in den Schulen gelehrt. Nicht als extra Fach (wäre auch Quatsch) sondern in anderen Fächern eingebettet. (Einfach mal “lehrplan medienkompetenz” googeln)
    Von den Erwachsenen kann sich jeder bilden (notfalls auch per VHS). Das funktioniert i.A. auch ganz gut. Ausnahmen (auch krasse) findet man natürlich immer.

    Wer das nicht kann und sich im Netz bewegt, muss mit den Konsequenzen leben.

    Wenn man für alles einen Führerschein fordert, kommt man vom Hundertsten ins Tausendste und braucht am Ende einen Hygieneführerschein fürs Naseputzen.

  4. Was die Abwesenheit von Jura und Wirtschaft betrifft, muß man differenzieren. Zumindest hier in Sachsen gibt an den Gymnasien das Fach GRW (Gemeinschaftskunde, Recht, Wirtschaft).

    Daß die Schüler oft zwar einen flinken SMS-Daumen, aber keine Ahnung vom Internet haben, steht auf einem anderen Blatt. Selbst in der 10. Klasse sind sie ganz erschüttert, wenn der Lehrer ruckzuck rauskriegt, wo sie ihre angeblich selbstgeschriebene Hausarbeit abgekupfert haben …

  5. Vor allem Eltern sollten mehr über das Internet lernen und einen “Führerschein” machen. In 90% aller Fälle sind die Kinder ihren Eltern in Sachen Medienkompetenz, vor allem was das Internet betrifft, nämlich haushoch überlegen.

  6. Wenn wir schon beim Thema Führerschein sind, sollten wir auch gleich noch einen Führerschein für alle einführen, die Kinder bekommen möchten. Dann könnte auch Einiges verhindert werden.