Kroatien: Forschungs-Trip mit Hindernissen

BLOG: Über das Wissenschaftssystem

Betrachtungen von Menschen und Strukturen in Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen
Über das Wissenschaftssystem

Mein Kontakt zum EM-Land Kroatien ergab sich eigentlich, weil ich mit Kollegen auf einer Tagung beim Kaffee über Themen wie die Leistungsgerechtigkeit und den aktuellen Stand der Familienfreundlichkeit der deutschen Wissenschaft witzelte. Wie es manchmal so ist, wurde ich einige Zeit später aufgefordert, zu einem dieser Themen einen Beitragsvorschlag einzureichen: In der Folge wurde ich zu einem EU-gefördertem Research Seminar eingeladen, das ich im Frühjahr 2013 und 2014 in Dubrovnik besuchte. Dies war also genau die Zeit kurz vor und nach dem EU-Beitritt Kroatiens (1. Juli 2013), dies sollte noch Bedeutung bekommen. Denn dies waren auch Reisen mit Hindernissen, die man normalerweise gern vergisst (oder verdrängt). Dabei ist es vielleicht nützlich, in Zeiten von Grexit- und Brexit-Diskussionen solche Hindernisse sich selbst und ggf.  in Diskussionen ab und zu in Erinnerung zu rufen.
scilogs_em2016
Ein erstes Hindernis ergab sich bei der Übernachtungsorganisation. Da ich mir nicht ein anonymes Hotel, sondern eine kleine Pension direkt neben Inter University Center und Altstadt ausgesucht hatte, war schon die Anzahlung von umgerechnet rund 30 € kompliziert: Überweisung, mit Kreditkarte zahlen oder ein Geldsende-Service hätten (jedenfalls 2013) ein Mehrfaches an Gebühren gekostet, und vom Geldscheine einfach im Brief senden wurde mir von der Pension abgeraten. Erst vermittelt durch den Wirt der Pension Sesame Inn, wo ich eines der nur vier Zimmer buchte, fand sich schließlich eine bilaterale Kooperation einer Kroatischen Bank mit einer deutschen, die dies zu vertretbaren Gebühren ermöglichte. (Da bleibt nur zu hoffen, dass man ähnlich Umständliches nicht künftig bei Tagungsreisen nach U.K. erlebt… ;-))

Das zweite Hindernis waren starke Böen sogenannter Scherwinde zwischen den Bergen um Dubrovnik, die einen Flug direkt vor meinem zum zweimaligen Abbruch der Landung gezwungen hatten und weshalb mein Flug statt nach Dubrovnik unerwartet nach Split ging. Bis nach Dubrovnik sind es dann zwar nur rund 250 km weiter die Küste entlang, aber diese Küste samt Gebirge hat es in sich. Und außerdem gab es zu der Zeit Überschwemmungen, so dass die eingesetzten „Ersatzbusse“ auch noch Umwege fahren mussten. Die Küste ist zwar äußerst malerisch mit immer wieder atemberaubenden Ausblicken. Allerdings konnte ich es von Stunde zu Stunde nicht nur wegen der einbrechenden Dunkelheit weniger genießen, sondern auch aufgrund meines inzwischen völlig durchhängenden Magens. Denn ich hatte nur wenig Reiseproviant dabei, und im Bus gab es nichts. Zudem hatten die Busfahrer – so sagten sie auf Nachfrage – Anweisung durchzufahren und nicht unterwegs anzuhalten. Mit vereintem internationalem Kauderwelsch gelang es dann doch sie zu überzeugen, nach etwa zwei Dritteln der Strecke einmal zwecks Nahrungsaufnahme anzuhalten. Die Ankunft war dann ohnehin statt nachmittags mitten in der Nacht. (Es soll übrigens leichter erreichbare andere Flughäfen gegeben haben; aber wenn sich Nachbarländer gegenseitig nicht trauen, ist dies offenbar schwierig.)

Nach diesen Anfangshindernissen war ich dann vom persönlichen Flair der Pension sowie dem guten und reichhaltigem Essen, das ich dort trotz Küchenschluss zum Glück noch bekam, mehr als angetan. Am nächsten Morgen konnte ich bis kurz vor Seminarbeginn ausschlafen, denn ich hatte ja nur wenige Schritte zu den Tagungsräumen…

Im Seminar “Labour Time and Life Time” im Rahmen der Seminarreihe Organisationstheorien ging es dann um verschiedenste Forschungsperspektiven auf Arbeitszeiten und Lebenszeit und wie diese untereinander sowie mit anderen Aspekten zusammenhängen. Beispielsweise ging es um die Zusammenhang von Arbeitszeitumfang und Lebenszufriedenheit. Deren Balance kann von Arbeitenden und Organisationen sehr unterschiedlich gesehen werden und entsprechende Effekte auf deren Attraktivität und Produktivität haben (wie am Beispiel katalanischer Arzte oder eines tschechischen Arztes von einer Blogkollegin anschaulich gezeigt). Daneben ging es in weiteren Beiträgen um ähnlich gelagerte Themen wie flexible Arbeitszeitmodelle als eine Form doppelter Dezentralisierung von Entscheidungsfindungen zwischen Organisation und Individuen, um Modelle der Vertrauensarbeitszeit, und um die Bedeutung von Auszeiten (wie z.B. Sabbaticals) für die Attraktivität von Organisationen. Weitere Themen waren der Zusammenhang von Arbeitszeitarrangements und Familienzeiten von Vätern,  die Arbeitszeitregimes in der Lehre an Hochschulen, die Vereinbarkeit von Work-and-Familiy-Life in der Wissenschaft in Deutschland und Europa, die Problematik der Koppelung von Arbeitszeitflexibilität und gleichzeitiger Leistungsverdichtung durch Performance Measurement, bis hin zur (ökonomischen) Bedeutung unbezahlter Arbeit.

Sehr angenehm und produktiv für die fachlichen Diskussionen war die Zusammensetzung der Teilnehmer – nicht nur aus verschiedenen Ländern, sondern auch aus verschiedenen Fachdisziplinen. Ebenfalls recht angeregt waren dann (wie ich es bei einem guten Forschungsseminar wünsche) auch die persönlichen Gespräche bei den Abendausflügen in die lokale kulturelle und lukullische Szene in Cafés und Restaurants der Altstadt, und auf den Meeresterrassen vor der trotz mehrerer Kriege komplett erhaltenen mittelalterlichen Stadtmauer. Hierzu wurde dort allerdings auch berichtet: Erst als im Jugoslawien-Krieg in den 90er Jahren die Altstadt von Dubrovnik als UNESCO-Weltkulturerbe u.a. mit Brandgranaten beschossen wurde, regte sich ernsthafter internationaler Widerstand – nachdem zuvor in Dubrovnik wie in anderen ehemals jugoslawischen Städten bereits viele Menschen starben. Diese jüngste Vergangenheit wäre eine ganz eigene Geschichte, die hier nicht angemessen zu beleuchten möglich ist. Aber diese – zumindest für viele ab den 90er Jahren Geborene – eher unbekannte jüngste Vergangenheit lässt menschlich verständlich werden, warum sich die Nachbarländer z.T. gegenseitig nicht trauen.

Wichtig erscheint mir noch zu erwähnen, dass ich ein Jahr später beim Nachfolge-Research-Seminar 2014 die Anzahlung einfach gebührenfrei überweisen konnte. Das deutlich herabgesetzte Limit meiner Kreditkarte, mit der ich im damaligen Nicht-EU-„Balkanstaat“ in Restaurants zahlte, gilt allerding bis heute (obwohl alle Abrechnungen korrekt waren). Mein persönliches Fazit dieser Forschungs-Trips nach Kroatien war, dass mir noch einmal in Erinnerung gerufen wurde, was die Frage EU oder nicht EU ganz konkret ausmachen kann. Aber letztlich blieben neben den Reiseerfahrungen auch intensive fachliche und persönliche Begegnungen haften, von denen einige bis heute auch immer mal wieder aufgefrischt wurden. Und als ein Ergebnis der Research Seminars entstand außerdem u.a. auch ein Themenheft „Managing Diversity“ und dies war natürlich ebenfalls ein Aspekt, den ich zum Forschungs-Trip trotz der Anfangs-Hindernisse in positiver Erinnerung behielt. Ich würde es daher jederzeit wieder tun, aber: Ich würde jetzt immer genug Notproviant mitnehmen. J

Lust auf mehr Wissenschaft aus Kroatien? Der Nature Index, eine große Datenbank über Publikationen aus vielen Ländern und Instituten, gibt Ihnen einen Überblick über die dortige Forschungsszene.

Avatar-Foto

Dr. René Krempkow bloggte zunächst seit 2010 bei den academics-blogs, nach deren Einstellung zog er zu Scilogs um. Er studierte Soziologie, Kommunikationswissenschaft und Psychologie an der Technischen Universität Dresden und der Universidad de Salamanca. Nach dem Studium baute er zunächst am Institut für Soziologie, dann im Kompetenzzentrum Bildungs- und Hochschulplanung an der TU Dresden u.a. eine der ersten hochschulweiten Absolventenstudien in Deutschland auf und erarbeitete den ersten Landes-Hochschulbericht Sachsen. Nach seiner Promotion 2005 zum Themenbereich Leistungs- und Qualitätsbewertung an Hochschulen arbeitete er am Institut für Hochschulforschung Wittenberg am ersten Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs (BuWiN) mit. Danach war er im Rektorat der Universität Freiburg in der Abteilung Qualitätssicherung tätig, wo er die Absolventen- und Studierendenbefragungen leitete und eines der ersten Quality Audits an einer deutschen Hochschule mit konzipierte. Von 2009 bis 2013 leitete er am iFQ Bonn/Berlin (jetzt Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung - DZHW) ein bundesweites Projekt zur Analyse der Wirkungen von Governance-Instrumenten (v.a. Leistungsorientierte Mittelvergabe an Hochschulen) und arbeitete im Themenbereich wiss. Nachwuchs und Karrieren mit. Anschließend koordinierte er im Hauptstadtbüro des Stifterverbandes u.a. das Projekt zur Personalentwicklung für den wissenschaftlichen Nachwuchs und den Gründungsradar; sowie an der HU Berlin u.a. ein hochschulweites Projekt zur Kompetenzerfassung, sowie Sonderauswertungen der hochschulweiten Absolventenstudien. Derzeit ist er an der HTW Berlin im Curriculum Innovation HUB im Bereich Wirkungsanalysen und Evaluation tätig, sowie an der IU - Internationale Hochschule. Er berät seit etlichen Jahren Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Ministerien. Seine Arbeitsschwerpunkte sind: Leistungs- und Qualitätsbewertung an Hochschulen; Akademische Karrieren und Nachwuchsförderung; Indikatorenentwicklung, Evaluationsforschung; Hochschul-, Wissenschafts- und Bildungsforschung.

Schreibe einen Kommentar


E-Mail-Benachrichtigung bei weiteren Kommentaren.
-- Auch möglich: Abo ohne Kommentar. +