Warum verlassen Promovierte die Wissenschaft?

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Betrachtungen von Menschen und Strukturen in Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen
Über das Wissenschaftssystem

Es gab Zeiten, da galt es als erstrebenswert, in der Wissenschaft zu arbeiten – auch wenn dies nicht in den „Olymp“ der verbeamteten Professur führen würde. In diesen Zeiten war zwar das Hierarchiegefälle zwischen den Professor(inn)en und „normalsterblichen“ Wissenschaftler(inne)n auch schon sehr groß.[1] Aber es blieben Freiräume für eigene Ideen und Vorstellungen auch für letztere. Deshalb galt trotz geringerer Einkommen, geringerer Beschäftigungssicherheit und Karrierechancen, dass in der Wissenschaft die Arbeitszufriedenheit von Promovierten höher war als in der Wirtschaft. Damit sprachen immerhin „weiche“ Faktoren für einen Verbleib in der Wissenschaft.[2] Viele Professoren und Hochschulleitungen gehen auch immer noch davon aus, dass es für Promovierte ausreichend Gründe für einen Verbleib in der Wissenschaft in Deutschland gibt. Doch dies dürfte inzwischen zumindest fraglich sein, wie neuere Studien[3] zu Beschäftigungsbedingungen im Wissenschaftssystem zeigen.

Demnach ist nicht nur der Vorsprung der Wissenschaft auch in dem zuletzt noch als vorteilhaft genannten Aspekt Arbeitszufriedenheit dahin, wie auch bereits im letzten Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs (BuWiN 2013) festgestellt wurde.[4] Vielmehr kommen nach dem BuWiN erschienene neuere Studien zu dem Ergebnis, dass die Arbeitszufriedenheit von Promovierten inzwischen in der Wissenschaft sogar niedriger ist als in der Wirtschaft.

Arbeitszufriedenheit in der Wissenschaft sinkt: Nicht mehr besser als in der Wirtschaft

So untersuchten Sieverding/ Evers (2013) im Rahmen des „Postdoc-Perspektiven-Projekts“ an der Universität Heidelberg die berufliche Situation sowie die Einstellungen von Männern und Frauen kurz nach der Promotion und zeigen: Selbst die in früheren Studien für einen Verbleib in der Wissenschaft sprechende Arbeitszufriedenheit ist inzwischen in der Wissenschaft niedriger. Ähnlich zeigte im Rahmen von Absolventenstudien-Analysen auch eine Analyse für die Universität Freiburg, dass insbesondere für die Promovierten der Geistes- und Sozialwissenschaften sowie der Wirtschaftswissenschaften die berufliche Zufriedenheit in Wissenschaft deutlich niedriger ist als in der Privatwirtschaft.[5] Da die Arbeitszufriedenheit von Wissenschaftler(inne)n auch stark mit der wahrgenommenen beruflichen Freiheit zusammenhängt – neben weiteren Aspekten wie der beruflichen Anerkennung und der Befristung bzw. Arbeitsplatzsicherheit (bei wiss. Mitarbeitern)[6] – ist davon auszugehen, dass auch die berufliche Freiheit und Anerkennung entsprechend beeinträchtigt ist.

Die Ergebnisse legen damit nahe, dass es nicht nur höhere Einkommen und höhere Anteile an unbefristeten Stellen sowie Führungspositionen sind. Vielmehr dürfte es inzwischen offenbar weitere Gründe dafür geben, nach der Promotion aus der Wissenschaft auszusteigen, die zuvor nicht oder nicht in demselben Ausmaß galten und die nun auch inhaltliche Aspekte der Arbeit im Wissenschaftssystem betreffen. Aus der Perspektive der einzelnen Wissenschaftler(innen) ist es verständlich und rational nachvollziehbar, dass sich viele die Frage stellen, ob bzw. warum man als Promovierte(r) die Wissenschaft verlassen oder bleiben sollte. Für das Wissenschaftssystem bedeutet dies aber, nun in größerer Dringlichkeit als in den Jahrzehnten zuvor die Frage beantworten zu müssen, die der Wissenschaftsrat bereits vor über einer Dekade formulierte: Wie kann es gelingen, „die Besten für die Wissenschaft“ zu gewinnen?[7]

Wie kann es gelingen, „die Besten für die Wissenschaft“ zu gewinnen?

Gerade zu dieser Frage gibt es für die entscheidende Phase in den ersten bis zu fünf Jahren nach der Promotion, wenn die meisten Promovierten sich entscheiden (müssen), leider bislang nur wenige veröffentlichte Studien. Zu den vorhandenen Publikationen ist als Gesamteindruck festzuhalten, dass bisher überwiegend mittels quantitativer Studien die Berufssituation von Personen beschrieben wird, die (zumindest vorerst) im Wissenschaftssystem verbleiben. Es wurde aber bis jetzt nur selten der Fokus auf diejenigen gerichtet, die die Wissenschaft verlassen (und warum).[8] Hier sollen daher einige ausgewählte Ergebnisse vorgestellt werden, die Aufschluss darüber geben können, warum Promovierte die Wissenschaft verlassen oder in der Wissenschaft verbleiben.[9]

Bislang sind es eher qualitative Untersuchungen, die den Fokus auf diejenigen richteten, die die Wissenschaft verlassen.[10] Ihre Ergebnisse zeigen allerdings, dass aus der Perspektive der Promovierten nicht nur die „objektiven“ Rahmenbedingungen und personenbezogenen Faktoren den Verbleib bzw. Nichtverbleib in der Wissenschaft beeinflussen, sondern auch deren Zusammenspiel mit sogenannten „weichen“ Faktoren wie dem Arbeitsklima, berufliche Freiräume oder der beruflichen Anerkennung. Anerkennung kann z.B. mittels Förderung durch Vorgesetzte/Mentoren, durch eine Auszeichnung oder eine Aufforderung zur Mitarbeit in einem gemeinsamen Projekt erfolgen und die eigene Passung zur beruflichen Umwelt bestätigen.[11] So ist davon auszugehen, dass das Zusammentreffen von bestimmten individuellen Eigenschaften, Vorerfahrungen und (Beschäftigungs-)Bedingungen berufliche Intentionen und somit die Entscheidung über einen Verbleib in der Wissenschaft verändern kann. Folgt man dem ursprünglich von Goffman (1952) entwickelten „Cooling out“-Ansatz, so führen auch und gerade unerfüllte Anerkennungsansprüche dazu, dass die Begeisterung für eine Tätigkeit in der Wissenschaft „abkühlt“ und Personen den wissenschaftlichen Karriereweg verlassen.[12]

Einflussfaktoren auf das Verlassen der Wissenschaft

Eine der wenigen quantitativen Studien, die die Einflussfaktoren auf das Verlassen oder einen Verbleib in der Wissenschaft untersucht, ist eine jüngste Studie von Briedis et al. (2014).[13] Zwar hat auch diese Studie ihre Einschränkungen der Aussagekraft.[14] Dennoch ermöglicht der Ansatz im Vergleich zu vielen anderen Studien weitergehende Erkenntnisse, die hier zusammengefasst werden:

Zentrale deskriptive Befunde sind, dass beispielsweise die Einschätzungen der allgemeinen beruflichen Perspektiven für das Betätigungsfeld innerhalb der akademischen Forschung und Lehre (F&L)[15] deutlich schlechter ausfallen als für Bereiche außerhalb derselben (29% vs. 54% positive Einschätzungen – vgl. Briedis et al. 2014: 34). Zudem liegt der Frauenanteil in der Gruppe der Promovierten, die eine Tätigkeit außerhalb der akademischen Wissenschaft anstrebt, deutlich über dem Anteil an der Gesamtgruppe (50% zu 41%) und es zeigt sich, dass Befragte mit Kind (Männer wie Frauen) signifikant häufiger außerhalb der Wissenschaft tätig sein wollen.

In den Zusammenhangsanalysen zur Untersuchung der Einflussfaktoren zeigt sich dann der stärkste Zusammenhang mit dem Ziel, eine Tätigkeit außerhalb von F&L anzustreben, für die Selbstwirksamkeitserwartung. Dass kein (weiterer) Verbleib in der Wissenschaft angestrebt wird, hängt demnach am stärksten mit der Frage zusammen, ob Befragte genügend Interesse für alle Anforderungen aufbringen könnten, die mit den jeweiligen Tätigkeit verbunden sind (ebd.: 17). Am zweit- und drittstärksten hängt dies damit zusammen, inwieweit eine hohe Karriereorientierung besteht und ein sicherer Arbeitsplatz als wichtig und erreichbar angesehen werden.[16] Dies bedeutet also, dass insbesondere selbstbewusste, karriereorientierte und an längerfristiger Berufsperspektive interessierte Promovierende[17] einen Verbleib in der Wissenschaft nicht (mehr) anstreben, und zwar relativ unabhängig z.B. von Promotionsmotiven und Stellenangeboten.

Die von Briedis et al. (2014) ergänzend durchgeführten Sekundärdatenanalysen der HIS-Absolventenstudie können dann auch Einflussfaktoren auf den tatsächlichen Verbleib von Promovierten untersuchen (allerdings nur mit einzelnen Bestandteilen des ursprünglichen Modells). Für Promotionsnote und -alter finden sich hier erwartete positive Effekte auf einen Verbleib in der Wissenschaft, ähnlich wie zuvor in älteren Studien. Es zeigt sich darüber hinaus aber auch, dass die Wahrscheinlichkeit einer nicht-wissenschaftlichen Tätigkeit nach der Promotion signifikant höher ist, wenn die Promovierten bereits während der Promotionsphase Kinder haben (Männer ebenso wie Frauen). Darüber hinaus gibt es zusätzlich den Effekt, dass Frauen signifikant häufiger nach der Promotion außerhalb der Wissenschaft tätig sind.[18] Außerdem gibt es einen Einfluss der Bildungsherkunft: Hier tritt der Effekt auf, dass Promovierte, deren Eltern beide einen Hochschulabschluss haben, deutlich häufiger in der privatwirtschaftlichen Forschung und Entwicklung (F&E) tätig sind als in der akademischen F&L. Dieser Befund ist insofern bemerkenswert, als nach früheren Studien der Zugang zu Positionen in der Wissenschaft durchaus sozial selektiv ist und bei als erstrebenswert angesehenen Positionen üblicherweise eine Verdrängung „von oben nach unten“ stattfindet. Möglicherweise ist auch dies ein Zeichen dafür, dass Wissenschaft nicht mehr als attraktiv und erstrebenswert gilt.[19]

Das Ergebnis deckt sich mit dem Befund einer weiteren Studie (vgl. Raupach et al. 2014: 18)[20]: Demnach würden zwei Drittel der Tochter eines Freundes Wissenschaft als Beruf nicht empfehlen. Jüngste Auswertungen einer dritten Studie von Berndt et al. (2014) zeigen darüber hinaus, dass selbst von den hochselektierten Gruppen der Juniorprofessor(inn)en und Nachwuchsgruppenleiter(innen) ein Drittel darüber nachdachte, ihre Stelle aufzugeben. Als Hauptgründe dafür wurden von über der Hälfte der Befragten neben den unsicheren Berufsperspektiven die mangelnde Vereinbarkeit mit Familie und Partnerschaft genannt.[21] Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch die jüngste,  vorauss. im Sommer 2016 veröffentlichte WiNbus-Befragung des DZHW. Auch nach dieser  großangelegten Befragung der Nachwuchswissenschaftler in Deutschland für den nächsten BuWiN sehen sie ihre berufliche Zukunft inzwischen häufiger außerhalb als innerhalb des Wissenschafts-Systems. Diejenigen Befragten, die die akademische Wissenschaft verlassen wollen, nennen als Gründe dafür auch hier in erster Linie die „schlechteren Beschäftigungsperspektiven in der Wissenschaft“ und eine „höhere Beschäftigungssicherheit außerhalb der akademischen Wissenschaft“. Zudem haben diese beiden Gründe in den letzten Jahren ebenso an Bedeutung gewonnen wie Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie.

Fazit

Insgesamt zeigen die ausgewählten Ergebnisse der vorliegenden Studien aus den letzten Jahren,[22] dass sowohl die Karriereperspektiven als auch die Beschäftigungsbedingungen in der Wirtschaft inzwischen mindestens als gleichwertig gelten können im Vergleich zur Wissenschaft, und in vielen Aspekten sogar besser sind. Ergebnisse von Studien zu Einflussfaktoren auf den Verbleib innerhalb oder außerhalb der Wissenschaft legen zudem nahe, dass „weiche” Faktoren wie Arbeitsklima, Freiräume und Anerkennung – möglicherweise im Zusammenspiel mit Effekten wie dem „Cooling out“ – ebenfalls wichtige erklärende Faktoren dafür sein können, dass auch bei ursprünglich intendiertem Verbleib viele Promovierte die Wissenschaft verlassen. Es stellt sich folglich die Frage, inwieweit es derzeit tatsächlich noch möglich ist, „die Besten für die Wissenschaft gewinnen“ zu können – und dies für beide Geschlechter.

Optimistisch gesehen, muss die aktuelle Situation aber keineswegs so bleiben. Vielmehr könnten u.a. durch die Empfehlungen des Wissenschaftsrates und der Hochschulrektorenkonferenz Entwicklungen angestoßen werden, die die Situation verbessern.[23] Hinzu kommt, dass einige Bundesländer bereits Mindestvertragslaufzeiten im Hochschulgesetz beschlossen haben und weitere darüber diskutieren[24]; dass mehr und mehr Hochschulen Selbstverpflichtungen gegen den Missbrauch von Befristungen beschließen, dass der Bund das Wissenschaftszeitvertragsgesetz novellierte (siehe scilogs.spektrum.de/wissenschaftssystem/die-wisszeitvg-novelle/) und dass auch die Bundespolitik sich des Themas Berufsperspektiven in der Wissenschaft mit dem geplanten “Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs” inzwischen stärker annimmt. Ggf. könnten sich dann nicht nur wieder mehr der höchstqualifizierten Promovierten für einen Verbleib in der Wissenschaft entscheiden. Darüber hinaus könnte es auch zu einem „Warming up“ kommen: Wenn solche Promovierte, die ursprünglich nicht unbedingt das Karriereziel Wissenschaft verfolgten, aufgrund positiver Erfahrungen doch in der Wissenschaft verbleiben bzw. aus der Privatwirtschaft oder dem Ausland in die deutsche Wissenschaft zurückkehren, dass sich also Promovierte sukzessive (wieder) für Wissenschaft als Beruf in Deutschland „erwärmen“ können.

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Anmerkungen/Quellenangaben:

[1] Vgl. z.B. die zusammenfassende Ergebnisdarstellung von Lehrendenbefragungen der 90er Jahre in Krempkow (2005: 282, Volltext in URL: www.wissenschaftsmanagement-online.de/beitrag/leistungsbewertung-und-leistungsanreize-der-hochschullehre). Auch heute noch weist Deutschland europaweit eine der größten Differenzen der Arbeitszufriedenheit zwischen Professor(inn)en und wiss. Mitarbeiter(inne)n auf (vgl. Kwiek and Antonowicz 2013: 47, in: Teichler and Höhle 2013, Inhaltsübersicht in URL: www.uni-kassel.de/einrichtungen/en/incher/publications/edited-volumes/the-work-situation-of-the-academic-profession-in-europe-findings-of-a-survey-in-twelve-countries.html)

[2] Vgl. Krempkow (2010: 24-27, Volltext in URL: www.universitaetsverlagwebler.de/inhalte/fo-1-2010.pdf).

[3] Der Beitrag von Krempkow, Huber und Winkelhage (2014) erarbeitete einen Überblick über neuere Studien (vgl. , Volltext: www.researchgate.net/publication/271131022_Warum_verlassen_Promovierte_die_Wissenschaft_oder_bleiben_Ein_Uberblick_zum_gewunschten_beruflichen_Verbleib_nach_der_Promotion).

[4] Dem letzten BuWiN (2013) zufolge sehen in Deutschland die Berufsperspektiven für die Gruppe der Promovierten, die gleich nach Abschluss der Promotion (wie von vielen auch ursprünglich geplant ) in die (Privat-)Wirtschaft wechseln und dort meist ohne Forschungsbezug tätig sind (BuWN 2013: 287), vergleichsweise gut aus: In der Privatwirtschaft erzielen die Promovierten ein höheres Monatseinkommen und sind häufiger in Vorgesetztenfunktion (BuWiN 2013: 293). Außerdem sind sie in der Privatwirtschaft mit 81% wesentlich häufiger unbefristet beschäftigt als in der Wissenschaft mit 13%. (BuWiN 2013: 293). Während nach früheren empirischen Studien die Promovierten in der Privatwirtschaft noch eine geringere berufliche Zufriedenheit aufwiesen als in der Wissenschaft (vgl. den Überblick in Krempkow 2010), so gilt dies nach Auswertungen bundesweiter Studien für den BuWiN (2013: 281) nicht mehr. Als problematisch kann zudem angesehen werden, dass – wenngleich dies für die Privatwirtschaft wiederum weniger gilt als für die Wissenschaft – die Passung von realer Arbeitssituation nahezu durchgängig in allen Sektoren schlechter beurteilt wird, als es den eigenen beruflichen Wertvorstellungen der Promovierten entspricht (BuWiN 2013: 294). Insbesondere betrifft dies Aufstiegsmöglichkeiten, Beschäftigungssicherheit und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Überdies ist die Gleichstellung als problematisch anzusehen, denn Frauen müssen (zusätzlich zu den in allen Sektoren vorhandenen Nachteilen bei Einkommen und Führungspositionen) in der Wissenschaft häufiger damit rechnen, befristet beschäftigt zu werden. Schlussendlich sind sie auch seltener beruflich zufrieden (BuWiN 2013: 294f., Volltext in URL: www.buwin.de).

[5] In den anderen untersuchten Fächergruppen ist die Zufriedenheit in der Wissenschaft zumindest nicht (mehr) besser als in der Privatwirtschaft (vgl. Krempkow 2013: 10-15 in URL: www.uni-bamberg.de/fileadmin/scs.trac/Broschuere_CareerDays_Promotion.pdf).

[6] Vgl. ausführlicher hierzu Krempkow (2005: 328).

[7] Um nicht missverstanden zu werden: Natürlich sollten auch exzellente (Nachwuchs-)Wissenschaftler(innen) in die (Privat-)Wirtschaft gehen. Für den Selbsterhalt des Wissenschaftssystems auf einem entsprechend hohen Niveau ist es jedoch notwendig, dass (auch) genügend exzellente (Nachwuchs-)Wissenschaftler(innen) für die Wissenschaft selbst zur Verfügung stehen, damit diese auch in Zukunft wiederum exzellente (Nachwuchs-)Wissenschaftler(innen) ausbilden kann. Daher kann es nicht im Interesse der Wissenschaft sein, wenn selbst für beste Nachwuchswissenschaftler(innen) keine realistische Chance auf langfristige Beschäftigung besteht und sie daher sowie aufgrund mangelnder Attraktivität der Wissenschaft den Rücken kehren.

[8] Mit der BMBF-Förderinitiative FoWiN (Forschung zu den Karrierebedingungen und Karriereentwicklungen des Wissenschaftlichen Nachwuchses, läuft seit 2013) sollen potentiell weitere Erkenntnisse dazu gewonnen werden.

[9] Hierfür wurde explizit nach quantitativen wie auch qualitativen Studien zu den ersten bis zu fünf Jahren nach der Promotion gesucht, die Aufschluss darüber geben können, warum Promovierte die Wissenschaft verlassen oder in der Wissenschaft verbleiben. Hierbei wurde sich auf die seit 2009 veröffentlichten Studien konzentriert, da für die Zeit davor bereits umfassende Literaturrecherchen vorliegen (vgl. Abschnitt zur Postdoc-Phase in BuWiN 2008) und der Fokus dabei auf Deutschland gerichtet.

[10] Ausnahmen bilden Studienergebnisse des iFQ, nach denen ein relativ großer Teil von Promovierenden nicht das Karriereziel Professur bzw. einen Verbleib in der Wissenschaft anstrebt (vgl. Hauss et al. 2012: 152f., Volltext in URL: www.forschungsinfo.de/Publikationen/Download/working_paper_13_2012.pdf), sowie der Beitrag “WissenschaftlerIn aus Berufung?“ zur Wiener Hochschulforschungstagung, der Determinanten des Verbleibswunsches in der Wissenschaft untersuchte (vgl. Hauss, Tesch und Krempkow 2012, in URL: www.gfhf.net/jahrestagungen/siebte-jahrestagung/praesentationen/).

[11] Vgl. z.B. Franz (2012); Kahlert (2012); für Großbritannien McAlpine/ Turner (2014); ausführliche Quellenangaben hierzu wie auch zum „Cooling-out“-Ansatz vgl. Krempkow, Huber und Winkelhage (2014).

[12] Die Ursachen und Auswirkungen eines solchen „Cooling out“ sind jedoch noch nicht hinreichend geklärt. Die einschlägige Literatur deutet darauf hin, dass hierfür Faktoren wie die fehlende Anerkennung aus dem kollegialen Umfeld, mangelnde motivationale Förderung, fehlende Integration in die Wissenschaftsgemeinschaft sowie eine andauernde fehlende Passung zwischen beruflichen Zielen und den gegebenen Möglichkeiten zur Realisierung eben dieser Ziele relevant sind.

[13] Die Studie versucht auf der Grundlage des Models of Career Choice von Lent et al. (1994) die gemeinsamen Faktoren v.a. anhand der WiNbus-Online-Befragung zu analysieren. Die WiNbus-Befragung ist ein Online-Access-Panel, in dem sich nur Personen befinden, die ihr Einverständnis zur wiederholten Teilnahme erklärten (Briedis et al. 2014: 11), was die Repräsentativität einschränkt. Hinzu kommt das spezifische Problem, dass die Befragung lediglich Nachwuchswissenschaftler(innen) umfasst, die sich (noch) in der Wissenschaft befinden, und das auch nicht durch die angewandte Gewichtung der Daten ausgeglichen werden kann. Deshalb wurden von Briedis et al. (2014) in einem gesonderten Kapitel zusätzlich Daten der HIS-Absolventenstudie zum Prüfungsjahr 2001 herangezogen. (Volltext der Studie in URL: www.dzhw.eu/pdf/pub_fh/fh-201408.pdf)

[14] So ermöglicht die Studie von Briedis et al. (2014) v.a. eine Erklärung der beruflichen Ziele und damit noch nicht der tatsächlichen beruflichen Entscheidung. Die Stärke des Modells wird darin gesehen, dass neben psychologischen Komponenten wie Selbstwirksamkeitserwartungen auch individuelle Kontextfaktoren sowie unterstützende Angebote bzw. Netzwerke berücksichtigt werden können. Kritisch wird die ungeklärte Wirkungsrichtung der Komponenten angemerkt. Darüber hinaus ist m.E. kritisch zu sehen, dass das Modell von Briedis et al. (2014) mit den WiNbus-Daten nur bis zu den beruflichen Zielen umgesetzt wurde; denn die meisten Befragten befanden sich in der Promotions- bzw. Berufseinstiegsphase (vgl. Briedis et al. 2014: 10).

[15] Briedis et al. (2014) verstehen darunter den Beschäftigungssektor Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen.

[16] Alle anderen potentiellen Einflussfaktoren haben deutlich geringere Effekte (z.T. weil sie im Gesamtmodell durch die soeben genannten drei Effekte überlagert werden).

[17] Briedis et al. (2014: 44) analysierten dies auch für Promovierte, allerdings mit geringerer Erklärungskraft; hinzu kommen aus der Anlage der WiNbus-Befragung resultierende Einschränkungen der Aussagekraft.

[18] Bezieht man schließlich auch den Promotionskontext/ Finanzierung der Promotion in die Analysen ein und werden die Fächergruppen sowie die Integration in die Scientific Community während der Promotion im Gesamtmodell einbezogen, so zeigen sich dafür weitere signifikante Effekte. Der Eltern- sowie der Geschlechtereffekt sind dann zwar nicht mehr signifikant, die Richtung bleibt jedoch stabil. Darüber hinaus zeigt sich auch noch, dass diejenigen Promovierten, die auf einer Mitarbeiterstelle in Projekten an Hochschulen promovierten, im Anschluss an die Promotion häufiger eine Beschäftigung an Hochschulen und außer-universitären Forschungseinrichtungen fanden als jene, die ohne institutionelle Einbindung promovierten. Ein Fächereinfluss auf den Verbleib zeigt sich dergestalt, dass erwartungsgemäß Mediziner, Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler deutlich häufiger außerhalb von F&L tätig sind.

[19] Dennoch ist festzuhalten, dass in Deutschland – soweit bislang bekannt – eine eher geringe Diversität von Forschenden vorherrscht (vgl. Beiträge hierzu in Krempkow, Pohlenz und Huber 2014, Inhaltsübersicht in URL: www.universitaetsverlagwebler.de/krempkow-pohlenz-huber.htm, sowie zusammenfassend die Präsentation: www.wimacamp.de/site/assets/files/1046/session-diversita_t-und-performanz-beim-wissenschaftlichen-nachwuchs-in-deutschland.pdf)

[20] Bei dieser Studie ist die Repräsentativität zwar fraglich, da hierfür ein offener Link ohne systematisches Auswahlverfahren der Befragten genutzt wurde (vgl. Volltext der Studie in URL: www.perspektive-statt-befristung.de/Exzellenz_braucht_Existenz_online.pdf). Das Ergebnis beruht aber immerhin auf großen Fallzahlen und spiegelt damit eine weit verbreitete negative Wahrnehmung der Wissenschaft als Beruf wider.

[21] Vgl. Volltext der Auswertungen von Berndt u.a. (2014, in URL: www.boeckler.de/pdf_fof/S-2012-518-5-2.pdf). Insgesamt ist hierzu in Deutschland festzustellen, dass letztlich der Elternanteil an Nachwuchsforschenden deutlich geringer ist als anderswo, und zwar sowohl im Vergleich zu anderen Beschäftigungssektoren, als auch im Vergleich zu Wissenschaftseinrichtungen anderer Länder (für einen Überblick hierzu siehe scilogs.spektrum.de/wissenschaftssystem/vereinbarkeit/).

[22] Der ausführlichere Überblick über die vorliegenden Studien der letzten fünf Jahre enthält neben der Nennung der für den hier gewählten Fokus relevanten Ergebnisse auch Angaben zum methodische Ansatz, zu Fallzahl und Rücklaufquoten sowie ggf. Besonderheiten der einbezogenen Studien.

[23] Die u.a. von Wissenschaftsrat (WR-Drs. 4009-14, URL: www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/4009-14.pdf) und Hochschulrektorenkonferenz (Empfehlung vom 13.5.2014, URL: www.hrk.de/uploads/tx_szconvention/HRK_Empfehlung_Orientierungsrahmen_13052014.pdf) empfohlene Erhöhung des Anteils unbefristeter Stellen in der Wissenschaft wäre ein Beitrag zur Erhöhung der Attraktivität eines Berufsweges in der Wissenschaft, sofern sie umgesetzt wird.

[24] Der Verfasser erarbeitete 2015 eine Untersuchung der Hochschulgesetznovellierungen der Bundesländer in den letzten fünf Jahren, die zwar die Veränderungen der Hochschulautonomie fokussiert, die bei der Befragung von Ministerien und Hochschulen aber zugleich auch auf Gesetzesänderungen und aktuelle Diskussionen um solche Vorhaben zur Verbesserung der beruflichen Karriereperspektiven und der Beschäftigungsbedingungen in der Wissenschaft stieß (vgl. www.researchgate.net/publication/281289952_Hochschulautonomie_im_Landervergleich_Bestandsaufnahme_und_Ausblick_auf_zukunftige_Entwicklungen_Langfassung).

 

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Dr. René Krempkow bloggte zunächst seit 2010 bei den academics-blogs, nach deren Einstellung zog er zu Scilogs um. Er studierte Soziologie, Kommunikationswissenschaft und Psychologie an der Technischen Universität Dresden und der Universidad de Salamanca. Nach dem Studium baute er zunächst am Institut für Soziologie, dann im Kompetenzzentrum Bildungs- und Hochschulplanung an der TU Dresden u.a. eine der ersten hochschulweiten Absolventenstudien in Deutschland auf und erarbeitete den ersten Landes-Hochschulbericht Sachsen. Nach seiner Promotion 2005 zum Themenbereich Leistungs- und Qualitätsbewertung an Hochschulen arbeitete er am Institut für Hochschulforschung Wittenberg am ersten Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs (BuWiN) mit. Danach war er im Rektorat der Universität Freiburg in der Abteilung Qualitätssicherung tätig, wo er die Absolventen- und Studierendenbefragungen leitete und eines der ersten Quality Audits an einer deutschen Hochschule mit konzipierte. Von 2009 bis 2013 leitete er am iFQ Bonn/Berlin (jetzt Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung - DZHW) ein bundesweites Projekt zur Analyse der Wirkungen von Governance-Instrumenten (v.a. Leistungsorientierte Mittelvergabe an Hochschulen) und arbeitete im Themenbereich wiss. Nachwuchs und Karrieren mit. Anschließend koordinierte er im Hauptstadtbüro des Stifterverbandes u.a. das Projekt zur Personalentwicklung für den wissenschaftlichen Nachwuchs und den Gründungsradar; sowie an der HU Berlin u.a. ein hochschulweites Projekt zur Kompetenzerfassung, sowie Sonderauswertungen der hochschulweiten Absolventenstudien. Derzeit ist er an der HTW Berlin im Curriculum Innovation HUB im Bereich Wirkungsanalysen und Evaluation tätig, sowie an der IU - Internationale Hochschule. Er berät seit etlichen Jahren Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Ministerien. Seine Arbeitsschwerpunkte sind: Leistungs- und Qualitätsbewertung an Hochschulen; Akademische Karrieren und Nachwuchsförderung; Indikatorenentwicklung, Evaluationsforschung; Hochschul-, Wissenschafts- und Bildungsforschung.

7 Kommentare

  1. Es stellt sich folglich die Frage, inwieweit es derzeit tatsächlich noch möglich ist, „die Besten für die Wissenschaft gewinnen“ zu können – und dies für beide Geschlechter.

    Vielleicht indem auf den an dieser Stelle unnötigen Verweis auf die mögliche Kategorisierung “Geschlecht” verzichtet werden kann? – Nein, nur ein Spaß.
    Ansonsten müsste es schlicht OK sein, wenn Promovierte, wobei die Promotion vielleicht die einzige wissenschaftliche Leistung dargestellt hat, sich mit ihrer Arbeitsleistung sofortig der Wirtschaft anvertrauen. – Wobei nicht unterstellt worden ist, dass im WebLog-Artikel Anderes nahegelegt worden ist.
    Verdacht:
    Die “Besten der Besten der Besten” verbleiben ohnehin in der Wissenschaft?!

    MFG
    Dr. Webbaer

    • PS und Bonuskommentar :
      Den WebLog-Artikel durchzieht die Meinung, dass Wissenschaft per se eine staatlich oder allgemein-gesellschaftlich Veranstaltung ist.
      Dies ist nicht umfänglich klar.
      Diese anscheinend hier vorliegende Prämisse könnte (selbst-)kritisch geprüft werden.

      • Hallo Dr. Webbaer,

        Danke für die Kommentare! Ich habe in meinem Beitrag, basierend auf den vorliegenden Studien, bewusst kontrastierend zwischen Tätigkeiten in der (akademischen) Wissenschaft sowie (Forschungs- und Entwicklungs-)Tätigkeiten in der Wirtschaft unterschieden, wobei die gesellschaftliche Notwendigkeit von beidem m.E. außer Frage steht. Deutschland zählt allerdings innerhalb der OECD zu den Staaten mit einem besonders hohen Anteil von Promovierten, die außerhalb der Wissenschaft tätig sind (vgl. BuWiN 2013). Insgesamt scheint eine Tätigkeit außerhalb der Wissenschaft eher in den Ländern häufig zu sein, in denen der Innovationsgrad der Wirtschaft hoch eingeschätzt wird: so in Deutschland, Österreich und Belgien im Gegensatz etwa zu Rumänien und Litauen (Bundesbericht Forschung und Innovation 2010). Dies spräche eher dafür, dass die “Besten der Besten der Besten” in den erstgenannten Staaten nicht unbedingt ohnehin in der Wissenschaft verbleiben. 😉

  2. Wie bereits Max Weber unmissverständlich feststellte, ist es ohne inneren Schaden nicht auszuhalten, wenn “Jahr um Jahr Mittelmäßigkeit nach Mittelmäßigkeit über (einen) hinaussteigt” (ders.: Wissenschaft als Beruf, Stuttgart, 1995, S. 11: Reclam). Insofern ist es bloß eine Frage der Zeit, wann Ärzte eine auf diese Weise mehr über kurz als lang eintretende Invalidität diagnostizieren und die gesetzliche Sozialversicherung den an sich auf außerordentlichem Weg promovierten Forscher wegen voller Erwerbsminderung vorzeitig in Rente schickt. Nicht die Wirtschaft ist somit die Alternative, sondern das dadurch beschiedene Schicksal, selbst noch als wissenschaftlich hochqualifizierter Mitarbeiter materiell ein Dasein weit unterhalb der staatlich gewährten Grundsicherungsleistungen fristen zu müssen, die ansonsten ausschließlich langjährig arbeitssuchenden Ungelernten zustehen. Um also die Besten für die Wissenschaft zu gewinnen, sollten sich die Universitäten vor allem dem besagten Personenkreis zuwenden, der unter widrigsten Bedingungen tagtäglich um sein Überleben zu kämpfen hat und infolge dessen zum Wohle aller für eine “diskursive, sprachvermittelte Sozialforschung … als Gegenbewegung gegen die totale Herrschaft von Zahl und Datum” (Baethge/Oberbeck. Zukunft der Angestellten, Frankfurt/New York, 1986, S. 414) über unschätzbare Erfahrungen verfügt.

  3. Ich war einfach zu unflexibel. Ich hatte keine Lust, noch zwei Jahre ins Ausland zu gehen, anschließend um eine Nachwuchsgruppenleiterstelle oder Juniorprofessur (allein diese zwei Bezeichnungen für voll ausgebildete Wissenschaftler mit über 30 Jahren…) zu kämpfen und mich danach irgendwo in Deutschland, wo ich gar nicht leben möchte, mit Hunderten anderer exzellenter Kandidaten um eine anständige Professur zu bewerben. Währenddessen hat man kein Leben, nicht besonders viel Geld und (Familien-)Planung ist auch eher riskant. Abgesehen davon, dass man bei dem Leben einen wirklich verständnisvollen Partner braucht.
    Mein damaliger Doktorvater hätte mich zwar gerne unbefristet festangestellt, aber das funktioniert in unserer Unilandschaft leider nicht. Also: nix wie weg 😉

  4. Es gibt zu viele Wissenschaftler für zu wenig Stellen, dass entwertet den Nachwuchswissenschaftler, man kann sich ja aus einem übervollen Reservoir des akademischen Prekariats bedienen und wer nicht einverstanden ist, kann ja gehen. Das wichtigste an Wissenschaftlern scheint heute auch zu sein, dass sie bürokratisch und organisatorisch also Manager im System funktionieren können. Die fachliche Qualifikation kommt erst an zweiter Stelle.

  5. Insbesondere das deutsche Wissenschaftssystem bringt leider auch noch so hochqualifizierten und motivierten Wissenschaftlern keinerlei Commitment entgegen, so dass man sein Leben 1) finanzieren und 2) auch leben könnte. Wer in seinen Tagen auf Erden noch etwas anderes vorhat, als mit viel zu vielen anderen in einem begrenzten Topf nach Geldhäppchen zu fischen, verlässt die Wissenschaft besser früher als später. Es gibt auch ausserhalb der Wissenschaft geniale Jobs und das haben sehr viele sehr gute Leute bereits gemerkt, die der Wissenschaft reihenweise verlorengehen.

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