Meinung in der Mache

BLOG: Con Text

Wörter brauchen Gesellschaft.
Con Text

Unter der Maske freier Meinungsäußerung versteckt, glauben viele, sie könnten auch den hinterletzten Mist ohne jede Verantwortung auf die Menschheit rotzen. Dabei ist auch dieses Menschenrecht mit einer Pflicht verbunden:

You are not entitled to your opinion, you are entitled to your INFORMED opinion. [Harlan Ellison]

Dabei ist nicht jede Äußerung eine Meinung; oft redet jemand nur Unsinn, setzt Fehlinformation in die Welt, lügt, beleidigt. Geoffrey Pullum beschreibt das etwas aufgeregt in einem Beitrag für Language Log. Nun könnte man wie die beiden Kommentare, die er unter seinem Artikel veröffentlicht, argumentieren, ‘Worte schaden ja niemandem’.

Wenn dem aber so wäre, bräuchten wir gar kein verbrieftes Recht auf Meinungsfreiheit, da geäußerte Meinungen dann keine praktische Bedeutung hätten. Können Worte wirklich keinen Schaden anrichten? Ich denke doch, und ebenso dachten Kirchenfürsten, Kaiser, Diktatoren, sogar Philosophen. Plato mochte die Poeten nicht sonderlich, weil deren Werke die dummen Massen korrumpieren konnten.

Historische Fakten oder naturwissenschaftliche Wahrheiten, die alle in einem recht rigorosen Verfahren immer wieder überprüft werden, einfach beiseite zu wischen, damit das eigene Geschäftsmodell funktioniert, wie bei Homöopathie, hat mit Meinungsäußerung nichts zu tun.

Es ist keine Meinung, zu sagen, Wasser habe ein Gedächtnis.

Es ist keine Meinung, zu sagen, die bürokratisierte Vernichtung jüdischer Deutscher, Polen, Franzosen, Europäer hätte nicht stattgefunden.

Es ist keine Meinung, zu sagen, die Erde sei 6000 Jahre alt.

Es ist keine Meinung, zu sagen, wir lebten auf einer Scheibe.

Es ist keine Meinung, zu sagen, Behinderte seien minderwertig.

Es ist keine Meinung, zu sagen ‘Ausländer raus!’

Es ist keine Meinung, zu sagen, Johann singt Marmelade.

Selbst in einem Land mit nahezu absoluter Meinungsfreiheit – wie den USA –, in dem jede Form von Äußerung erlaubt ist, werden Ansprüche nicht ausgesetzt, die sich aus dem ergeben, was da gesagt oder geschrieben wurde. Wer etwas öffentlich sagt, muss z.B. die Gegenrede ertragen. Wer andere beleidigt, muss zahlen. Wer zu Gewalttaten aufruft, muss dafür eventuell im Gefängnis geradestehen.

Da schreien ausgerechnet die von ‘Zensur’, die ihren Dreck überall hinterlassen. Sie tun so, als ‘müsste das doch mal gesagt werden’. Nein, muss es nicht. Sie beschimpfen andere auf übelste Weise, und rennen heulend zu Mami, weil der andere reagiert: ‘du spinnst doch’.

‘I’m entitled to my opinion!’

‘It is your assumption that we are entitled to it as well that is irritating.’ [aus der britischen Science-Fiction-Serie Blake’s 7]

 

 

[Edit 2. Mai 2012: einen Tippfehler korrigiert – ‘Behinderte seine’->’Behinderte seien’; einen Codepagefehler korrigiert.]

Nach dem Abitur habe ich an der Universität Hamburg Anglistik, Amerikanistik, Soziologie und Philosophie studiert. Den Magister Artium machte ich 1992/93, danach arbeitete ich an meiner Promotion, die ich aus verschiedenen Gründen aufsteckte. Ich beschäftige mich meist mit drei Aspekten der Literatur: - soziologisch [Was erzählt uns der Text über die Gesellschaft] - technisch [Wie funktioniert so ein Text eigentlich] - praktisch [Wie bringen wir Bedeutung zum Leser] Aber auch theoretische Themen liegen mir nicht fern, z.B. die Frage, inwieweit literarische Texte außerhalb von Literatur- und Kunstgeschichte verständlich sein müssen. Oder simpler: Für wen schreiben Autoren eigentlich?

15 Kommentare

  1. Die Freiheit der Meinungsäußerung

    … kann halt nicht angemessen reguliert werden, außerhalb der Konditionierung von (klar definierten) Verbalinjurien und der Aufforderung zur Gewalt oder zu Verbrechen, d.h. bestimmte Konzepte greifen nicht sinnhaft – also wenn sie bspw. sog. Hassreden strafen wollen.

    Denn das wäre der unkontrollierbare Einstieg in das allgemeine Verbot von Meinung.

    Eigentlich Allgemeinwissen, aber ein immer wieder geprüftes!

    MFG
    Dr. Webbaer (der gerne noch anmerkt, dass überall die Freiheit der Meinungsäußerung (im zivilisatorischen Raum: wohldefinierte) Grenzen findet, aber eben nicht die von Ihnen intonierten)

  2. Politiker hinterlassen ihren Dreck im TV

    Es ist keine Meinung zu sagen, die Vernichtung armenischer Türken hätte nicht stattgefunden.
    Dies aber sagt Recep Tayyip Erdogan, das Staatsoberhaupt der Türkei.
    Es ist keine Meinung zu sagen, der Holocaust sei ein Erfindung des Weltjudentums.
    Diese “Meinung” verbreitet aber Ahmedinajad und schreckt vor solchen Äusserungen auch vor der Uno nicht zurück.
    Es ist keine Meinung Ahmedinajad nur dummes Gerde vorzuhalten, wenn er von der Ausradierung Israels von der Landkarte spricht
    Dies aber sagt Günther GraSS.
    Es ist keine Meinung zu behaupten, nicht das HI-Virus sondern Armut sei die wichtigste Ursache von AIDS
    Diese “Meinung” vertrat aber Thabo Mbeki, Staatspräsident von Südafrika von 1999 bis 2008

    Nun, es stimmt sicher, dass Lügen zum Politiker gehören wie das Gewehr zum Jäger.
    Man kann aber noch weitergehen und behaupten, dass offen zutage getragener Rassismus, Verbreitung von Verschwörungstheorien und Desinformationstaktiken bei Politikern häufiger sind als bei der Durchschnittsbevölkerung.

  3. Politiker

    Man kann aber noch weitergehen und behaupten, dass offen zutage getragener Rassismus, Verbreitung von Verschwörungstheorien und Desinformationstaktiken bei Politikern häufiger sind als bei der Durchschnittsbevölkerung.

    Kann man im Rahmen einer giftigen Polemik, wobei der Wahrheitsgehalt zumindest bezogen auf bundesdeutsche Politiker nicht sehr hoch wäre, behaupten. In den dortigen politischen Debatten ist aber nun eher Konformität zu beobachten – wie die Angst vor einem Sturm der Empörung, der das Karriereende bedeuten könnte oder zumindest vorläufige Rückstufung, d.h. es ist für das dortige politische Biotop eher Konformismus feststellbar.

    Bemerkenswert vielleicht auch das bestimmte politische Meinungen, bspw. zum Atomausstieg oder zum mangelhaften Skalieren des EURO-Systems, das heterogene und aneinander eher wenig interessierte Gesellschaften verbindet, oder zum EU-Bürokratismus wohl in der Bevölkerung existieren, aber nur spurenhaft beim politischen Vertreter dieser Bevölkerung – weil anscheinend Karrieren gefährdend.

    Es gibt hier besorgniserregende Tendenzen. – Früher gab es bspw. (grundsätzlich vernünftige) rechte Politiker, die jenes Spektrum der Meinung demokratisch integrierten, heute gibt es Ausgrenzung wie fast obligatorische Strafanzeigen bei problematischer Meinung.

    MFG
    Dr. Webbaer

  4. @Dierk: nur eine Meinung betrachtet?

    Solange du zugibst, daß man sich auch mal irren kann (Die Meinung, die Erde sei älter als 6000 Jahre tauchte meines Wissens nach vor ungefähr 140 Jahren durch geologische Untersuchungen zum ersten Mal auf.), ist es vielleicht besser, nicht das Recht auf Meinungsäußerung inhaltlich umzudeuten, sondern die Entstehung von Rechten generell an die Entstehung von Pflichten zu koppeln – etwa so wie wenn du einen Kredit aufnimmst: Du hast zwar plötzlich Geld, schuldest dafür aber der Bank. Dann würde man das Recht auf eine Meinung an die Pflicht zur Korrektur von nachgewiesenen Irrtümern koppeln und wer das nicht tut, würde sein Recht, Scheisse zu labern, verlieren.

    Ich hab ja bekanntlich keine Ahnung von praktischer Philosophie, aber vielleicht hat ja mal einer Lust, dieser These nachzugehen: Freiheit wäre dann eben nicht mehr die Freiheit bezogen auf eine einzelne Meinung, sondern die Freiheit zu einer Evolution von Meinungen. Das Problem, das Dr. Webber sieht, nämlich das Freiheitsrecht über den Inhalt von Meinungen zu designen, würde sich gar nicht stellen. Denn eine Freiheit, das HEGEN einer vereinzelten Meinung öffentlich zu zelebrieren, gäbe es dann nicht mehr. Man dürfte nur noch öffentlich diskutieren und Demonstrationen wären z.B. an die Pflicht zur Teilnahme an einer Abschlußdiskussion gekoppelt … oder sowas. Entsprechend müßten Ansprachen immer mehr als eine Position beleuchten und jede politische Rede, die das nicht tut, wäre per definition schon Propaganda. Das würde alle öffentlichen Diskurse ziemlich ändern, oder?

  5. derartige Konzepte

    … gab es schon:

    Denn eine Freiheit, das HEGEN einer vereinzelten Meinung öffentlich zu zelebrieren, gäbe es dann nicht mehr.

    … und wurden auch recht ordentlich mit entsprechenden Organen in entsprechenden Systemen verwaltet, wie der Schreiber dieser Zeilen findet.

    Warum soll man eine Meinung bzw. deren Äußerung nicht an eine Pflicht binden?, wenn zudem die Gedanken ohnehin frei bleiben?

    MFG
    Dr. Webbaer (der sich nun langsam ausklinkt)

  6. Differenzieren

    „Es ist keine Meinung, zu sagen, die Erde sei 6000 Jahre alt“ usw.

    Das kommt darauf an. Wenn jemand der Meinung ist, sie sei 6000 Jahre alt, dann ist es eine Meinung. Wenn er das gleiche sagt, um für seine Sekte Anhänger zu gewinnen, obwohl er gar nicht meint, daß sie erst 6000 Jahre alt sei, dann ist das keine Meinung, sondern der eigenen Meinung widersprechende Propaganda. Wenn er es sagt, weil er glaubt, andernfalls käme er nicht in den Himmel, obwohl er gar nicht meint, daß sie erst 6000 Jahre alt sei, dann ist das auch keine Meinung, wenn auch keine Propaganda. Und so ist es bei all den anderen Beispielen in dem Artikel auch.

    Es ist etwas ganz anderes, zu behaupten, etwas sei gar keine Meinung, als zu behaupten, bestimmte Meinungen seien falsch, und wiederum etwas anderes, zu fordern, bestimmte Meinungen dürften im öffentlich geregelten Bereich keine Rolle spielen (z. B. die ehrliche Meinung von der 6000 Jahre alten Erde habe kein Recht, im Lehrplan von Schulen zu stehen), und noch einmal etwas anderes ist es, bestimmte Meinungen dürften nicht geäußert werden (z. B. weil sie beleidigend sind oder politisch gefährlich). Also: ein bißchen mehr differenzieren muß man schon.

  7. Was ist eine Meinung?

    Nach Wikipedia enthält eine Meinung ein wertendes Element (Zitat):

    Eine Meinung (von indogermanisch moino Wechsel, Tausch) ist im engeren Sinn die
    subjektive Ansicht und Einstellung zu Zuständen, Ereignissen oder anderen Personen (rechtlich: Werturteil), ihre wesentliche Aufgabe ist die Bewertung oder Beurteilung, sie sagt aus, wie jemand etwas sieht.

    Mit dieser Definition können wir die Aussage des obigen Artikels schon einmal grob sortieren in eine Gruppe mit Meinungen im Wikipedia’ Sinn und eine Gruppe von Feststellungen ohne Werturteil:

    Echte Meinungen (Ansicht, Einstellung, sub. Urteil)
    – Behinderte sind minderwertig.
    – Ausländer raus!

    Aussagen, die nicht unbedingt Meinungen sind aber möglicherweise Irrtümer:
    – Wasser hat ein Gedächtnis
    – die bürokratisierte Vernichtung jüdischer Deutscher, Polen, Franzosen, Europäer hat nicht stattgefunden
    – wir leben auf einer Scheibe

    Nonsense-Aussagen:
    – Johann singt Marmelade

    Natürlich kann man wertende Urteile nicht so leicht von Tatsachenfestsellungen abtrennen wie das zuerst erscheint.
    Denn, was will uns derjenige sagen, der den Holocaust leugnet. Nicht etwa nur, dass er etwas in Frage stellt, was Konsens ist. Nein. Meistens ist so eine Aussage gegen die Juden gerichtet. Wennn Ahmadinejad sagt, der Holocaust sei eine Erfindung des Weltjudentums, dann wird es offensichtlich. Der Begriff Weltjudentum entspringt allein schon einer Verschwörungstheorie. Letzlich verbirgt sich hier hinter einer scheinbaren Anfechtung einer historischen Tatsache ein Werturteil, eine Abwertung der Juden.

    Es gibt aber auch profanere Absichten, Falschaussagen in die Welt zu setzen:

    “Wasser hat ein Gedächtnis” und ich verkaufe dir dieses (mein) Wasser

    “Wir leben auf einer Scheibe” und auch du lebst auf einer Scheibe und ich sage dir nun was du tun musst, damit du nicht herunterfällst

    “Die Erde ist 6000 Jahre alt” denn so (oder ähnlich) steht es in der Bibel und wer nicht glaubt was im heiligen Buch steht wird für ewig verdammt sein.

    Wir wissen alle, dass es kaum reines Wissen, kaum reine Tatsachen gibt, wenn Menschen involviert sind. Mit dem meisten, was wir sagen, wollen wir etwas erreichen oder etwas ausdrücken was uns berührt.

  8. Zuerst einmal habe ich nirgends ein Verbot von Meinungsäußerungen gefordert, nicht so sehr, weil es nicht gute Gründe gäbe, bestimmte Äußerungen zu verbieten. Solch ein Vorgehen ist aber ein slippery slope, da wir sehr schnell dabei sind, Aussagen zu verbieten, nur weil sie uns nicht gefallen. Das ist im privaten Rahmen möglich, auch in Blogs – ein Thema, das immer gerne diskutiert wird.*

    Interessanterweise zeigt die jahrzehntelange Diskussion um Verbote von rechtsextremen Parteien, von Nazi-Aufzügen etc., dass wir als Gesellschaft es uns nicht zu einfach machen. Manchmal machen wir es uns eher zu schwer, wenn wir nämlich jeden Quark, den jemand von sich gibt, als Meinung einstufen.

    Eines meiner Beispiel im Beitrag macht deutlich, dass wir auch mit bloßer Aussagenlogik nicht weiterkommen: Nonsense-Sätze sind darin nicht erfasst. Ein Problem, mit dem sich Wittgenstein hin und wieder beschäftigte.

    @Elmar
    Die Sache mit der sehr jungen Erde wurde zwar erst gegen 1800 zu einem Politikum, das stimmt wohl. Und Irrtümer sind natürlich immer zu erwarten, das ist ja der Witz am wissenschaftlichen Prozess. Wer aber trotz überwältigender Beweise auf dem Irrtum besteht, vertritt keine Meinung mehr, sondern stellt eine Aussage in den Raum, deren Wahrheitwert selbst in mehrwertiger Logik gleich Null ist.

    @Ludwig Trepl
    Ich halte es für eine Krücke, eine Meinung über die Ernsthaftigkeit des Glaubens freizusprechen. Wer wirklich daran glaubt, der Holocaust hätte nicht stattgefunden, verbreitet immer noch keine Meinung, sondern eine Beleidigung. Mindestens. Es sollte, gerichtsfest, sogar als Lüge durchgehen, denn es gibt genug öffentlich zugängliches Material, das dem Äußerer zeigen konnte, dass er sich irrt.

    Wir geben, siehe oben, im Zweifel dem Angeklagten Recht, auch außerhalb des Gerichtssaals. Aber das hat halt pragmatische Gründe.

    Wesentlich bleibt aber, dass nicht alles, was gesagt oder geschrieben wird, eine Meinung ist – unerheblich ob falsch oder richtig. Für sehr viele Sätze erkennt jeder das intuitiv, siehe ‘Johann singt Marmelade’, ein syntaktischer vollkommen korrekter Satz, der halt semantisch nur über Douglas-Adamsche Umwege semantisch aufgeht.

    Nicht anders sieht es mit Aussagen aus, die auch semantisch einen Sinn zu ergeben scheinen, aber bei genauerer Betrachtung logisch oder empirisch auseinanderfallen. Typisches Thema Religion [Tip: Denken wir drüber nach, welche Religion Recht hat, bekommen wir Probleme.].

    Jedwede fremdenfeindliche Aussage, wie z.B. die Sarrazins – ganz unabhängig davon, dass er zur Stützung seines Käses Zahlen fälschen musste -, ist nicht in Einklang zu bringen mit der biologischen Wahrheit, dass wir alle Menschen sind, eine Art, die sich nur oberflächlich unterscheidet. Damit gelten auch alle Menschenrechte für alle Menschen gleich. Das macht Aussagen über die Minderwertigkeit bestimmter Menschengruppen, gerade auf Basis ihrer Geburtsorte und Eltern, zu unsinnigen Aussagen – nicht nur zu falschen.

    Falls jemand Schwierigkeiten mit der Sprache der beiden Zitate im Text hat:

    Harlan Ellison: Sie haben kein Recht auf eine Meinung, sie haben das Recht auf eine sachkundige Meinung.

    Blake’s 7: ‘Ich habe ein Recht auf meine Meinung’ – ‘Ärgerlich ist deine Annahme, dass wir ein Recht auf deine Meinung hätten.’

    *Mein Antwort darauf: Mach doch dein eigenes Blog auf.

  9. @Martin Holzherr

    Tatsächlich ist ‘Ausländer raus!’ keine Meinung, sondern eine Aufforderung. Eine Meinungsäußerung muss mindestens mit den Mitteln der Aussagenlogik bearbeitbar sein. Daher dieses und das Nonsense-Beispiel im Text.

  10. Ächtung von Meinungen/Aussagen

    @Dierk Haasis: Der Eindruck, den mehrere Kommentatoren erhalten haben, es gehe in diesem Beitrag vor allem um das Ächten von bestimmten Aussagen/Meinungen, trifft schon zu. Man kann auch einen universalistischen Anspruch herauslesen, wird doch explizit der Bezug zu den Menschenrechten gemacht.

    Die Konsequenz der hier vorgetragenen Meinung zur Meinungsäusserungsfreiheit lässt sich so zusammenfassen:

    1) Aussagen, denen die Sachkundigkeit fehlt, sind angreifbar.
    2) Aussagen, die zusätzlich zu 1) beleidigend, fremdenfeindlich sind oder die sich sonst gegen Menschen/Menschengruppen richten
    können auch justitiabel sein, wenn auch aus pragmatischen Gründen eine Verfolgung durch das Recht nicht immer sinnvoll ist.

    Der Beitrag vertritt damit auch ein bestimmtes Gesellschaftsbild – und zwar das einer aufgeklärten, offenen, nicht-diskrimatorischen, potentiell multikulturellen und pluralistischen Gesellschaft. Mit anderen Worten es wird für die liberale Gesellschaft eingetreten, die die moralisch bessere Hälfte der Westler vertritt.

    Dumm nur, dass
    1) eine offene, liberale Gesellschaft auch immer gefährdet ist, nämlich gerade durch nicht-liberale Teilnehmer, die die Toleranz oder Permissivität einer derartigen Gesellschaft ausnützen
    2) eine solche offene, liberale auf Gleichbereichtigung ausgelegte Gesellschaft in starkem Gegensatz zu vielen Religionen und ganzen gewachsenen Gesellschaften steht und dass dadurch das Paradox entsteht, dass diese liberale Gesellschaft in letzter Konsequenz andere gewachsene Soziotope ablehnen muss

  11. (Zu mir) „Ich halte es für eine Krücke, eine Meinung über die Ernsthaftigkeit des Glaubens freizusprechen.“

    Das ist so ähnlich wie im Falle von jemandem, der aus Rache mordet und meint, daß er das darf, weil er aus einer Kultur kommt, in der man das darf: Er wird dennoch verurteilt. Trotzdem ist das seine Meinung. Es ist nun einmal die Bedeutung des Begriffs Meinung, daß man etwas subjektiv für richtig hält, ohne doch subjektiv völlig überzeugt zu sein (andernfalls nennt man es einen Glauben) und wohl wissend, daß man es nicht beweisen kann (sonst wäre es kein Meinen und auch kein Glauben, sondern ein Wissen).

    Und es ist etwas vollkommen anderes, wie man sich zur Äußerung einer Meinung oder zu Handlungen, die aus der Meinung folgen, verhalten soll: „Wer wirklich daran glaubt, der Holocaust hätte nicht stattgefunden, verbreitet immer noch keine Meinung, sondern eine Beleidigung.“ Doch, falls er glaubt, was er sagt, verbreitet er seine Meinung. Meinungen können beleidigend sein, sie können verwerflich und sie können gefährlich sein, aber sie sind dennoch Meinungen.
    Sie können nicht einfach die Bedeutung eines Begriffs völlig umstoßen; bzw. das kann man schon, aber das zwingt einen in aller Regel, eine Unzahl von anderen Begriffen auch neu zu definieren.

    „Jedwede fremdenfeindliche Aussage, wie z.B. die Sarrazins … , ist nicht in Einklang zu bringen mit der biologischen Wahrheit, dass wir alle Menschen sind, eine Art, die sich nur oberflächlich unterscheidet. Damit gelten auch alle Menschenrechte für alle Menschen gleich. Das macht Aussagen über die Minderwertigkeit bestimmter Menschengruppen, gerade auf Basis ihrer Geburtsorte und Eltern, zu unsinnigen Aussagen – nicht nur zu falschen.“

    Die Menschenrechte gelten nicht aufgrund einer biologischen Wahrheit. Im Gegenteil, sowie man anfängt, den Menschen biologisch begreifen zu wollen, ist man schon auf dem besten Wege, die Menschheit in Gruppen unterschiedlichen Wertes einzuteilen. (Lesen Sie mal meinen Blog, da kommt das Thema öfter vor). Was aber meinen Sie damit, daß die Aussagen über die Minderwertigkeit bestimmter Menschengruppen unsinnig und nicht nur falsch seien? Sie haben doch zweifellos einen Sinn – nämlich daß bestimmte Menschengruppen minderwertig seien. Aber sie sind falsch, denn was man mit „Wert des Menschen“ (oder „Menschenwürde“) meint, ist nicht so beschaffen, daß es abgestufte Werte oder Würdigkeiten geben könnte (sofern es um den Wert geht, den man als Mensch hat, nicht um den, den man sich selber gibt).

  12. Meinungen

    Manchmal machen wir es uns eher zu schwer, wenn wir nämlich jeden Quark, den jemand von sich gibt, als Meinung einstufen.

    Eines meiner Beispiel im Beitrag macht deutlich, dass wir auch mit bloßer Aussagenlogik nicht weiterkommen: Nonsense-Sätze sind darin nicht erfasst.

    … sind nach allgemeinem Verständnis Sichten auf eine Sache oder zu einem Sachverhalt, die durch Äußerung offenbar werden und erst dann betrachtet werden können.

    Diese erst dann als Aussagen oder Meinungen bezeichneten Sichten bleiben auch als “Quark” Aussagen oder Meinungen und selbst wenn die Konsistenz in Frage gestellt ist – bei einem ‘Ich sehe lecker gestern viel.’ beispielsweise mag das klar sein, aber es gibt auch sehr erhaben Klingendes, das in sich widersprüchlich ist, wobei diese Widersprüchlichkeit womöglich nie auffällig wird, weil das Gemeinte sehr komplex ist – bleiben es doch Aussagen [1] oder Meinungen.

    MFG
    Dr. Webbaer

    [1] ‘Aussagen zu einer Sache oder einem diesbezüglichem Verhalt sind aus Sicht des Systematikers immer zuerst als Aussagen zu einer Sache oder einem diesbezüglichem Verhalt einer Person(enmenge) zu betrachten’, also als Meinung. – Das gilt außerhalb der Betrachtung tautologischer Systeme wie bspw. der Mathematik oder der Philosophie, ‘a=a’ wäre beispielsweise bei entsprechender Belegung des Vergleichsoperators keine Meinung. Aussagen über die Welt dagegen sind immer Meinungen.

  13. Das Problem ist: Was eine Meinung ist und was nicht – ist in Grenzfällen eben auch Meinungssache.

  14. Meinungen und Grenzfälle

    Das Problem ist: Was eine Meinung ist und was nicht – ist in Grenzfällen eben auch Meinungssache.

    Der Schreiber dieser Zeilen hat in diesem Kommentar versucht diese Problematik zu umgehen.

    BEISPIEL für diese Problematik:
    Wenn ein Religiöser, der zuvor seinen bewussten Glaubensentscheid erklärt, sich also in den Bereich der Tautologie begibt, Aussagen aus dieser Aussagenmenge persönlich vertritt, die dann zwar tautologisch wären, aber doch allgemein und politisch als Meinungen verstanden werden (müssen), scheint das von Ihnen beschriebene und vielleicht auch zentrale Problem vorzuliegen.

    Hmm, interessanter Punkt! – Da bliebe ja fast nur noch: Jede Aussage ist eine Meinung, auch “a=a” (bei mathematisch üblicher Belegung), jedenfalls auf das Handling bezogen.

    Wollen Sie wirklich weiter in die Verwaltung von Meinung einsteigen?

    MFG
    Dr. Webbaer