• Von Ludwig Trepl
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Theologie als Wissenschaft Teil 2

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Zweiter Brief an T. Moos:

 

Lieber Herr Moos,

vielen Dank – ich verstehe nun eine ganze Menge mehr. Den meisten der Sätze, zu denen ich hier nichts schreibe, kann ich zustimmen. Nun bin ich aber studierten und Amateur-Theologen nicht nur auf dieser Tagung begegnet. Sie schreiben: „Wenn die Geltung theologischer Aussagen von einem historisch kontingenten Textkonvolut abhinge …“, dann wäre die Theologie keine Wissenschaft. Aber ich habe kaum je etwas anderes erlebt. Wann immer eine Behauptung der Art „Frauen dürfen auch Pfarrer werden“ oder „Wir müssen für Frieden eintreten“ aufgestellt wurde, wurde nach einer „biblischen Begründung“ gefragt. Man las nach, ob diese Behauptung sich auch in der Bibel finden läßt oder zumindest keine gegenteilige. Unter der Hand und kaum bewußt wurde freilich immer auch die Vernunft herangezogen, die Lebensumstände des Autors wurden zur Interpretation herangezogen und so nicht einleuchtende Aussagen relativiert usw. Aber daß es einfach im Hinblick auf die Geltung irrelevant sein könnte, was da steht, wie auch immer man es interpretieren mag, das ist mir nicht begegnet. Nun kann man, so meinte ich, bei Protestanten nicht annehmen, was man bei Katholiken wohl zu recht annimmt, nämlich daß eine mehr oder weniger heidnische Volksreligiosität von Leuten, die es besser wissen, geduldet oder gefördert wird, weil das auf dem Umweg über die Stärkung der Kirche doch zum Guten dient. Darum dachte ich, daß das, was Sie zurückweisen, doch das typische Verhältnis der protestantischen Theologen zu dem „historisch kontingenten Textkonvolut“ ist, mit einer mir unbekannten, aber sicher anspruchsvollen Begründung. Denn daß die deutschen Theologen auf dem Niveau amerikanischer protestantischer Sektenprediger sind, meinte ich ausschließen zu können.

Nun einige Einwände und Fragen zu Ihren Thesen. Sie haben, scheint mir, kaum mehr etwas damit zu tun, daß Sie Theologe sind, sondern damit, daß sie bestimmten philosophischen Überzeugungen anhängen, die ich nicht teile.

Ich beginne mit dem, was mir am wichtigsten zu sein scheint. Sie schreiben: „…Geschichtswissenschaft, Kulturwissenschaften … und – unter vielen anderen – eben auch Philosophie.“ (2) „Der bloße Rekurs auf ‚Vernunft’ reicht also nicht aus [das bestreite ich], zumal dann, wenn diese Vernunft philosophisch monopolisiert gedacht wird.“ (9) „Wenn man in der Philosophie den Richtungsstreit zwischen Hermeneutikern, Phänomenologen und analytischen Philosophen ansieht, ist auch hier deutlich, dass es mit einer allgemein anerkennungsfähigen philosophischen Vernunft im Sinne anerkennungsfähiger Begründungen de- oder präskriptiver Sätze empirisch nicht weit her ist.“ (11)

Sie reden in einem ganz anderen Sinne über Philosophie als ich in meinem Brief (Sie reden so wie Thomas Kuhn über die Wissenschaften redet, ich so, wie Popper und Lakatos darüber reden – in meinem Brief an Sie wohlgemerkt, sonst rede ich meist wie Kuhn). So wie Sie reden heute die meisten, z. B. auch Habermas. Wenn Sie nun sagen sollten, meine Auffassung ist altmodisch – meinetwegen, aber modisch ist ja auch kein Argument für Geltung. Es ist jedenfalls etwas grundlegend anders, ob man über eine Wissenschaft als ein historisches, kontingentes Gebilde redet (dann benutzt man gern Begriffe wie Disziplin oder Paradigma) oder über das, was diesen Gebilden als regulative Idee vor Augen steht, wenn sie miteinander diskutieren. Unter Angehörigen der Disziplin Biologie gibt es Darwinisten, Lamarckisten, Autopoiesistheoretiker, sogar Kreationisten. In der Disziplin der Biologie ist es darum mit anerkennungsfähigen Begründungen irgendwelcher Aussagen von einiger Reichweite empirisch nicht weit her. Aber: Sie streiten doch alle miteinander; im Hinblick auf eine allen gemeinsame Idee von Biologie meint jede Richtung, Recht zu haben, sonst könnten sie nicht streiten.

Ich habe den Eindruck, Sie glauben, hinsichtlich der Philosophie wäre ich der Meinung, von ihr könnten die anderen Wissenschaften anzuerkennende Aussagen übernehmen, ähnlich wie ein Biologe im Physiklehrbuch nachschaut und nicht selbst anfängt, über das physikalische Problem nachzudenken, auf das er gestoßen ist; denn auf das Physiklehrbuch kann man sich aller Erfahrung nach einigermaßen verlassen. Wenn das meine Meinung wäre, wäre sie natürlich ganz falsch. Wenn – was in der Tat auf mich zutrifft – die „Vernunft philosophisch monopolisiert gedacht“ wird, dann in dem eigentlich recht trivialen Sinn, daß die Philosophie (in dem regulativen Sinn, den ich eben zu skizzieren versuchte) dafür nun einmal zuständig ist, so wie für die Frage nach der Masse von Protonen nun einmal per definitionem die Physik und nicht die Genetik oder die Linguistik zuständig ist. Ein Physiker, der über Fragen der Logik oder der Ethik nachdenkt, was ja vorkommt, tut dies als Philosoph, auch wenn er nach wie vor Angehöriger der Disziplin Physik ist und einem bestimmten Paradigma gefangen ist, also in einem kontingenten, historischen Gebilde. Da gibt es nicht, wie Sie (bezogen auf die Philosophie) schreiben, Geltungsansprüche zu entmythologisieren. Das gilt nur für die Ansprüche der verschiedenen philosophischen Richtungen und auch für die faktischen Ansprüche von deren Gesamtheit. Am Anspruch der Physik, daß sie und nicht die Genetik für die Frage nach der Protonenmasse zuständig ist, ist nichts zu entmythologisieren.

So meine ich es hinsichtlich der Theologie auch. Theologen sind in den Punkten, in denen sie mit Philosophen streiten können, auch Philosophen. (In den Punkten, in denen sie mit Biologen streiten könnten, sind sie Biologen.) Philosophen andererseits sind, wenn sie z. B. über die Existenz Gottes nachdenken, Theologen – aber Theologie als ein Teilgebiet der Philosophie verstanden. Daß die Theologie Aufgaben hat etwa im Hinblick auf die Gemeinschaft der Gläubigen, die nicht unter Philosophie fallen (und eben darum nicht, wie ich dachte, insgesamt Teil der Philosophie ist, ohne es wahrhaben zu wollen), habe ich eben gelernt.

Sie schreiben weiter: „Gleichwohl kann der Geltungsstatus solcher Aussagen“ – nämlich von „Glaubensinhalten“ – „nicht volle Allgemeinheit beanspruchen, da er das (kontingente) Faktum christlicher Religiosität voraussetzt“ (3). Das finde ich nicht richtig. Glaubensinhalte – darunter stelle ich mir so etwas vor wie „Es gibt Gott“ oder „Unsere Sünden sind uns vergeben“ – haben nicht die Sicherheit des Wissens, aber als Glaubensinhalte sind sie von voller Allgemeinheit, sie gelten allgemein (so sind sie ja formuliert) oder gar nicht. Das (kontingente) Faktum christlicher Religiosität heißt ja nur, daß sie auf diese Weise, wenn ich so sagen darf, zur Welt gekommen sind. Es verhält sich hier nicht anders als bei wissenschaftlichen Aussagen. Das Fallgesetz gilt allgemein, daran ändert auch das kontingente Faktum nichts, daß es erst durch ein zufällig im 16. Jahrhundert lebendes Individuum als Aussage in die Welt gekommen ist. Es galt schon vor Galilei. Daß die Theologie im Rahmen einer historischen Gestalt des Denkens und Lebens denkt, macht ihrer Aussagen dem Anspruch nach nicht zu kontingenten, nur faktisch. Das ist aber in allen Wissenschaften so (weil es Irrtümer gibt, weil es Paradigmen gibt …).

Jedenfalls: Wenn ein Glaubensinhalt gilt, dann ganz unabhängig von dem kontingenten Faktum christlicher Religiosität. Dem verdanken wir nur das Wissen darum bzw. den Glauben an diesen Inhalt. „Inwiefern ist es also interessant, sich mit der Interpretation von Sätzen wie ‚Macht euch die Erde untertan’ zu befassen? … Systematisch dann und nur dann, wenn dieser Satz für die Selbstinterpretation gelebten christlichen Glaubens in der Gegenwart relevant ist – wenn also Gläubige sich wirklich darauf beziehen.“ (13) So ist der Satz aber nicht formuliert. Er beanspruchte wahr zu sein auch dann, wenn es gar keine Gläubigen gäbe. Vielleicht habe ich Sie nicht richtig verstanden, aber ich habe den Eindruck, Sie könnten als Theologe ruhig etwas weniger bescheiden auftreten.

„… Vernunft ist gerade das Mittel der Generierung allgemein anerkennungsfähiger Begründungen. Im säkularen Diskurs sind Christinnen und Christen an diese Vernunft gewiesen.“ Sie sind nicht nur im säkularen Diskurs, sondern immer an die Vernunft verwiesen. Auch ganz für sich kann weder ein Christ noch sonst irgendeiner gegen seine Vernunft glauben: Er glaubt dann nämlich nicht, was er glaubt zu glauben, sondern redet es sich nur ein. Wirklich glauben kann er z. B. dem Gebot, man solle „Jesus nachfolgen“, nicht deshalb, weil es in einem heiligen Text steht (oder weil es zur Tradition seiner Glaubensgemeinschaft gehört, oder weil es ihn gefühlsmäßig da hinzieht). Der Text ist ja für ihn nur deshalb „heilig“, weil ihn – d. h. seine Vernunft – das überzeugt, was von Jesus darin geschrieben steht.

„Gleichwohl sind normative Aussagen schon formal nicht letztbegründbar, da sie deduktiv wiederum auf normative Aussagen verweisen. Moralische bzw. rechtliche Diskurse haben also immer Begründungsnotstände und einen schon deswegen irreduziblen moralischen Überzeugungspluralismus.“ (10) Das gilt nur, wenn es sich um inhaltliche Aussagen handelt (nennt man das substantielle Ethik? Oder materiale?), nicht für das „Sittengesetz“. Es ist, so hieß es, ein „Faktum der reinen Vernunft“. Es ist in der Tat nicht „letztbegründbar“. Aber daraus folgt eben gerade kein moralischer Überzeugungspluralismus (der ist nur faktisch gegeben). Das Sittengesetz ist die formale Voraussetzung dafür, daß es in moralischen Dingen überhaupt Streit geben kann zwischen den verschiedenen „Moralen“ um die Wahrheit. Es hat in dieser Hinsicht einen ähnlichen Status wie Habermas’ „kontrafaktische Annahmen“, die man machen muß, damit es überhaupt ein ernsthaftes Gespräch geben kann. Wem wir die Erkenntnis des Sittengesetzes nicht zuschreiben, der ist für uns kein zurechnungsfähiges Wesen. Das ist der Sinn der „allgemeinen Vernunft“ der Aufklärung. All die historistischen und sonstigen Relativismen, die auf die Aufklärung folgten, haben zwar bestritten, daß es diese Vernunft gebe, aber es gibt keinen Relativisten, der nicht im Glauben an sie lebt. Er müßte sonst die barbarischsten Sitten, solche in anderen Kulturen oder Subkulturen oder Weltanschauungen wie dem Nationalsozialismus, hinnehmen – ich habe meine Moral, die haben ihre –, oder er dürfte die Vertreter dieser anderen Auffassungen nicht als zurechnungsfähige Menschen nehmen, sondern als Geisteskranke, die nicht zur Verantwortung zu ziehen sind. Das tut er aber nicht.

Was Sie über „Schöpfungserfahrung“ schreiben bzw. über „religiöse Erfahrungen, d.h. um gedeutete Erlebnisse, die Menschen kognitiv, voluntativ und emotiv in Anspruch nehmen (d.h. insbesondere nicht in kognitiven Gehalten aufgehen)“, habe ich nur ganz nebelhaft begriffen, vielleicht, weil ich solche Erfahrungen nicht habe oder sie mir doch nicht so recht bewußt geworden sind. Vielleicht hilft mir ja Ihr Text dazu weiter.

Herzliche Grüße

Ludwig Trepl

 

(Letzter Teil folgt)

 

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Ich habe von 1969-1973 an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der FU Berlin Biologie studiert. Von 1994 bis zu meiner Emeritierung im Jahre 2011 war ich Inhaber des Lehrstuhls für Landschaftsökologie der Technischen Universität München. Nach meinem Studium war ich zehn Jahre lang ausschließlich in der empirischen Forschung (Geobotanik, Vegetationsökologie) tätig, dann habe ich mich vor allem mit Theorie und Geschichte der Ökologie befaßt, aber auch – besonders im Zusammenhang mit der Ausbildung von Landschaftsplanern und Landschaftsarchitekten – mit der Idee der Landschaft. Ludwig Trepl