Filmbesprechung: Was es noch zu entdecken gilt

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Science-Fiction-Filme handeln meistens vom Krieg. Auch das Raumschiff Enterprise war zwar offiziell auf fünfjähriger Forschungstour, aber tatsächlich hatte es mehr Waffen an Bord als Laborausrüstung. Bei Star Wars ist der Weltraum ein einziges Schlachtfeld, exotische Welten und fremdartige Wesen bilden nur den Hintergrund für einen epischen Krieg.

Der mit kleinem Budget hergestellte Film Europa Report aus dem Jahr 2013 stellt dagegen die Wissenschaft in den Vordergrund. Der Name bezieht sich nicht etwa auf den Kontinent Europa, sondern auf den Jupitermond gleichen Namens. Eine private Gesellschaft schickt ein Raumschiff mit einer Besatzung von vier Männern und zwei Frauen dorthin. Sie sollen feststellen, ob es dort außerirdisches Leben gibt. Der Jupitermond Europa ist etwas größer als der Erdmond, aber anders als unser Trabant besteht seine Oberfläche fast vollständig aus Wassereis. Seine glitzernde Oberfläche reflektiert fast zwei Drittel der einfallenden Sonnenstrahlung, er gehört damit zu hellsten Objekten des Sonnensystems. Der Planet Jupiter ist etwa fünfmal so weit von der Sonne entfernt wie die Erde und empfängt deshalb nur noch etwa 4% der Sonnenstrahlung. Auf den Jupitermonden ist es also außerordentlich kalt, die Oberflächentemperatur auf Europa beträgt zwischen -160° und -220° Celsius. Das klingt nicht nach einer einladenden Umgebung für organisches Leben, aber unter der Oberfläche sieht es ganz anders aus. Europa verfügt über eine innere Wärmequelle und man vermutet unter der Eisdecke einen gigantischen, rund 100 km tiefen Ozean. Hier könnte sich tatsächlich Leben entwickelt haben. Es ist unklar, wie dick das Eis ist, in einigen Bereichen könnte das flüssige Wasser sogar fast die Oberfläche erreichen. Die Landschaft dort ist von tiefen Rissen und Schluchten durchzogen, Eisschollen haben sich gegenseitig hochgeschoben und zerdrückt. Die Astronomen sprechen deshalb von Chaos-Zonen (Chaos Terrain). Die Landung auf einem solchen Trümmerfeld würde extrem schwierig, doch genau hier hätten Astronauten die besten Chancen, außerirdisches Leben zu finden.

Europa wäre deshalb ein ausgezeichnetes Ziel für eine bemannte Expedition, andererseits liegt der Jupiter nicht gerade um die Ecke. Auf einer energiesparenden Hohmann-Bahn fliegt ein Raumschiff länger als 5 Jahre zum größten Planeten unseres Sonnensystems. Auf dem Rückweg wäre es genauso lange unterwegs. Wenn man mehr Energie aufwendet, verkürzt sich die Flugzeit. Im Film dauert der Flug 22 Monate, dabei haben sich die Drehbuchautoren vielleicht an der Flugzeit der Voyager-2-Sonde orientiert (20.8.1977 – 9.7.1979)

Die Expedition verläuft nicht glatt, schon nach sieben Monaten brennt in einem Sonnensturm das Kommunikationsmodul durch. Die sechs Astronauten haben keine Verbindung mehr zu Erde, so dass niemand weiß, ob sie noch am Leben sind. Der Reparaturversuch misslingt, dabei kommt ein Mitglied der Besatzung ums Leben. Der weitere Flug verläuft ruhig, aber die Landemodul verfehlt das Zielgebiet um wenige hundert Meter. Wegen der starken Strahlung ist eine längeres Verlassen des Landemoduls zu gefährlich, andererseits sind die Eisproben am Landepunkt unergiebig. Nur dort, wo noch vor kurzem frisches Wasser an die Oberfläche gelangt war, würde man Leben finden können. Der Bohrer, der das Eis durchdringen soll, findet nach mehr 2800 Metern flüssiges Wasser, aber kurz darauf bricht die Verbindung zu der heruntergelassenen Kamera ab. Es sieht also danach aus, als ob die Besatzung keine Möglichkeit mehr hat, nach außerirdischem Leben zu suchen.Die Expedition wäre damit gescheitert.

War also alles umsonst, die Anstrengung von fast zwei Jahren vergeblich? Die Astronauten beschließen, nicht aufzugeben. Sie stellen die Verbindung zur Erde wieder her, und es gelingt ihnen tatsächlich, Leben zu finden. Es sieht ganz anders aus, als sie erwartet hatten, und sie zahlen einen hohen Preis für ihren Erfolg.

Der ecuadorianische Regisseur Sebastián Cordero war um weitgehenden Realismus bemüht. Die Szenen aus dem Raumschiff waren so gestaltet, dass sie von Überwachungskameras zu stammen schienen, die jeden Winkel der Räume abdeckten. Auf dem Set ließ Cordero die Kulissen tatsächlich als geschlossene Räume mit eingebauten Wandkameras errichten. Die Schauspieler agierten also getrennt vom übrigen Team, was für den Regisseur, wie er sagt, durchaus gewöhnungsbedürftig war. Das Ergebnis wirkte erstaunlich realistisch. Auch das Raumschiff wurde so entworfen, wie es heute gebaut werden könnte. Die Mannschaftsquartiere rotieren an Auslegern um eine zentrale Nabe, um künstliche Schwerkraft zu generieren.

Auch ein alter Videoclip des amerikanischen Astrophysikers und bekannten Fernsehmoderators Neil deGrasse Tyson taucht im Film auf. Die Startrampe der gezeigten Rakete gehört im wirklichen Leben der privaten Firma SpaceX. Die Erzählweise entspricht im wesentlichen einer Pseudodokumentation. Ganz am Anfang weist eine eingeblendete Tafel darauf hin, dass die Europa 1 Mission der erste Versuch war, Menschen in den tiefen Weltraum zu schicken. Dann folgt eine kurze Sequenz aus dem Raumschiff, die mit dem Hinweis endet, dass von da an die Verbindung mit dem Raumschiff gestört war. Sechzehn Monate später wird die sichtlich um Fassung bemühte Projektleiterin interviewt, und eine weitere Schrifttafel weist darauf hin, dass Europa Ventures jetzt mit Hilfe von kürzlich freigegebenem Material die Geschichte vervollständigen kann. Anders als in den üblichen Sachfilmen wird die Geschichte aber nicht linear erzählt. Wir sehen am Anfang eine sichtlich deprimierte Mannschaft, die den Tod eines Crew-Mitglied betrauert. Erst später erfahren wir aber, was geschehen ist. Auch die Vorgeschichte des Projekts wird in eingestreuten Rückblenden erzählt. Der Zuschauer weiß eigentlich nie mehr als die Charaktere. Dadurch schafft er eine ganz eigene Spannung, die sich aus dem Fortgang der Expedition mit ihren Durchbrüchen, Pannen und Gefahren ergibt.

Die visuellen Effekte zeichnen ein beklemmend realistisches Bild des Weltraums und der fremden Welt des Jupitermonds. Offenbar hat sich die Crew an dem Filmmaterial von der ISS orientiert und die Tricktechnik entsprechend zurückhaltend eingesetzt. Für die Fans von knallbunten und perfekt ausgeleuchtete Effekten à la Starwars mag das enttäuschend sein. Wer sich ernsthaft für Raumfahrt interessiert, kann aber in Laufe des Films beinahe vergessen, dass er eine Fiktion vor sich hat.

Der Film verlangt den Zuschauern einiges ab. Man muss die eingeblendeten Zeitangaben mitverfolgen und man sollte auch wissen, dass der Raketentreibstoff Hydrazin schon in geringer Konzentration ausgesprochen giftig ist. Ferner sollte man eine Idee haben, wozu eine Landefähre einen Wasserschild brauchen könnte (Strahlenschutz). Auch der Realismus hat durchaus seine Grenzen. Wohl nur das Filmteam weiß, wie mit der gezeigten Ausrüstung eine tausend Meter tiefe Bohrung durch granithartes Eis bei -160° möglich sein soll. Ansonsten sind meinem kritischen Auge allerdings nur sehr wenige Fehler aufgefallen.

Insgesamt baut der Film eine langsame subtile Spannung auf, und den Schluss kann man kaum als Happy End bezeichnen. Trotzdem hat man hinterher das Gefühl, dass der erste Kontakt mit außerirdischem Leben genauso aussehen könnte – unspektakulär, aber extrem faszinierend.

Wir vergessen heute oft, dass Expeditionen ins Unbekannte gefährlich sind, und dass es Menschen geben muss, die solche Unternehmen trotzdem durchführen. Der Film zeigt sie nicht als übermenschliche Heldenfiguren, sondern als mutige Männer und Frauen, die bereit sind, für neues Wissen große Opfer zu bringen. Der zentrale Satz des Films, der – leicht variiert – zweimal vorkommt, lautet entsprechend:

„Verglichen mit dem Wissen, das es noch zu entdecken gilt, was bedeutet da dein Leben?“

 

Filmdaten: Europa Report, Regisseur Sebastián Cordero. Start Motion Pictures 2013. DVD und Blue-Ray, auch bei Netflix im Programm.

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www.thomasgrueter.de

Thomas Grüter ist Arzt, Wissenschaftler und Wissenschaftsautor. Er lebt und arbeitet in Münster.

5 Kommentare

    • Per Bohrer oder per Cryobot kann man sicherlich durch eine mehrere tausend Meter dicke Eisschicht gelangen. Ganz so, wie es im Film gezeigt wurde, geht es allerdings nicht. Der Bohrkopf ist ein ca. 40 cm messender, zwei Meter langer Zylinder und hängt an einem Stahlseil. Das Bohrloch ist offenbar vom Eis freigeräumt, jedenfalls verschwindet das Stahlseil mit einer Geschwindigkeit von mehr als einem Meter pro Sekunde nach unten. Ein Cryobot würde Tage brauchen, um die immerhin fast drei Kilometer dicke Eisschicht durchzuschmelzen. An der Oberfläche wäre auch kein Loch mehr zu erkennen, weil das Eis hinter dem Cryobot wieder zufriert. Also: an dieser Stelle ist der Film nicht sehr realistisch. Dieses Detail würde ich aber nicht zu hoch bewerten wollen, denn ansonsten wirkt alles sehr echt.

  1. Hab den Film auch faszinierend gefunden, alle nicht so astronomie-affinen Mitschauer allerdings nur als Schrott. Wenig hilfreich war die 3D-“Konvertierung”, die einfach nur Betrug war.

    • Europa Report ist ein Film für Raumfahrt-Enthusiasten. Er setzt in der Tat einiges an Wissen voraus und ist sicher kein entspanntes Popcorn-Kino. Es ist wirklich gut, dass es Regisseure gibt, die den Mut haben, solche Filme zu drehen.