„Biodiversitätsbasierte Ökosystemdienstleitungen“

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Zahlreiche „Dienstleistungen“, die man Ökosystemen zuschreibt, sollen auf deren „Biodiversität“ beruhen. Das trifft aber nur selten zu. Meist ist ein Großteil der Arten des Ökosystems überflüssig und könnte ausgerottet werden, wenn es nur um diese „Dienstleistung“ ginge.

Im folgenden geht es um einen Bericht von TEEB, der im englischen Original „The Economics of Ecosystems & Biodiversity“ heißt.[1]

TEEB steht für „The Economics of Ecosystems and Biodiversity“. „TEEB steht unter der Schirmherrschaft des Umweltprogramms der Vereinten Nationen und wird gefördert durch die Europäische Kommission, das deutsche Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, das britische Department for Environment, Food and Rural Affairs, das britische Department for International Development, das norwegische Außenministerium, das schwedische Umweltministerium, das niederländische Ministerium für Wohnungswesen, Raumordnung und Umwelt und das japanische Umweltministerium.“

„Biodiversität“ (oder auch „biologische Vielfalt“) kommt in dem Text ca. 140 mal vor, aber nur in 7 oder 8 Fällen ist auch Biodiversität gemeint, und zwar immer im Zusammenhang mit dem Begriff der Resilienz. Etwa 30 mal kommt „Biodiversität“ in der Kombination „Biodiversität und Ökosystemdienstleitungen“ vor. Ein Zusammenhang von Biodiversität und Ökosystemdienstleitungen wird aber auch an den anderen Stellen behauptet, den Stellen, die sich nicht explizit auf Resilienz beziehen. – Daß Biodiversität außer an diesen Stellen nicht „gemeint“ ist, stimmt nicht ganz: Biodiversität ist hier in dem Sinne gemeint, daß man glauben soll, es ginge um sie, was aber nicht zutrifft.

Im allgemeinen wird an diesen Stellen behauptet, daß es eine Reihe von „Ökosystemdienstleistungen“ gebe, und durch die Verbindung mit dem Begriff Biodiversität wird suggeriert, daß diese „Dienstleistungen“ – wie auch immer – durch die Biodiversität der jeweiligen Ökosysteme erbracht würden. Mir ist beim Durchlesen kein Fall aufgefallen, in dem diese Behauptung richtig wäre. In anderen Texten dieser Art – d. h. Texten zu den Themen Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen, die von offiziellen Stellen herausgegeben werden, verfaßt oder zumindest abgesegnet von zahlreichen Experten – mag es solche Fälle geben; ich kenne die Literatur hierzu nur teilweise und weiß das darum nicht. Daß unser Fall aber typisch ist, das kann ich mit Sicherheit sagen.

Der TEEB-Text zitiert aus dem „Millennium Ecosystem Assessment“, der „weltweite[n] Studie über Zustand und Entwicklung unserer Ökosysteme“. Diese Studie „definiert vier Kategorien von biodiversitätsbasierten Ökosystemleistungen, die zum menschlichen Wohlergehen beitragen:

–       Versorgungsleistungen – beispielsweise Wildnahrungsquellen, Nutzpflanzen, Süßwasser und pflanzliche Arzneimittel;

–       Regulierungsleistungen – zum Beispiel Schadstofffilterung durch Feuchtgebiete, Klimaregulierung durch Kohlenstoffspeicherung und Wasserkreislauf, Bestäubung und Schutz vor Naturkatastrophen;

–       Kulturelle Leistungen – beispielsweise Erholungswert, spirituelle und ästhetische Werte, Bildungswert;

–       unterstützende Leistungen – wie Bodenbildung, Photosynthese und Nährstoffkreislauf.“

Die Behauptung über die „kulturellen Leistungen“ will ich an anderer Stelle näher betrachten. Hier möchte ich nur fragen, was die sogenannten Versorgungs-, Regulierungs- und unterstützenden Leistungen mit „Biodiversität“ zu tun haben. Man wird gleich einwenden: Daß sie damit „zu tun haben“, kann man doch nicht bestreiten. In der Tat, man kann fragen, was der Fall wäre, wenn es keinerlei biologische Vielfalt gäbe – worunter man sich ja etwa vorzustellen hat: Es gibt nur eine einzige Art, diese ist in sich nicht differenziert, es gibt also keine Unterarten usw. und nicht einmal individuelle Verschiedenheiten, und die Individuen der Art sind in einer Weise miteinander verbunden, daß nicht verschiedene Ökosysteme entstehen. Wäre es so, dann gäbe es definitionsgemäß keine Wildnahrungsquellen. Denn es gäbe entweder nur eine Wild-Art oder nur eine Nahrungs-Art. Es gäbe auch keine Nutzpflanzen – aus dem entsprechenden Grund. Es gäbe überhaupt keine Ökosystemdienstleistungen, weil es entweder keine Ökosysteme (die ja definitionsgemäß mindestens ein Lebewesen enthalten müssen) gäbe oder keine Lebewesen der Art Homo sapiens, denen sie dienen können. Ohne jede Biodiversität wäre das alles also nicht möglich.

Doch das ist ja nicht gemeint. Gemeint ist manchmal explizit, immer aber implizit entweder, daß eine hohe Biodiversität notwendig ist (nämlich mindestens eine, die nicht weit unter der derzeitigen liegt), damit die Ökosysteme ihre Dienstleistungen erbringen können, oder daß sie diese um so besser erbringen können, je höher die Biodiversität ist.

Das ist offensichtlich falsch. Einige Beispiele für die Art der Argumentation:

„Würde man die Entwaldungsrate bis 2030 halbieren, könnten die weltweiten Treibhausgasemissionen um jährlich 1,5 bis 2,7 Gt CO2 sinken; dadurch ließen sich Klimawandel bedingte [sic! gemeint ist klimawandelbedingte] Schäden mit einem Kapitalwert von schätzungsweise US$ 3,7 Billionen vermeiden.“

Von Biodiversität ist an dieser Stelle nicht die Rede, aber der Kontext macht klar, daß das ein Argument für deren Erhaltung sein soll; Kohlenstoffspeicherung gehört ja zu den o. g. „biodiversitätsbasierten Ökosystemleistungen“. Wälder haben in der Tat die behauptete Wirkung, aber sie brauchen dazu nicht annähernd die derzeitige Biodiversität. Würde man in Mitteleuropa Forsten anpflanzen, die ausschließlich aus Rotbuchen bestehen (auf schlechteren Standorten ergänzt durch einige Arten von Mykorrhizapilzen), so wäre die Kohlenstoffspeicherung zwar etwas niedriger als dann, wenn auf jedem Standort die jeweils am besten geeigneten Arten wüchsen – vor allem nasse und sehr trockene Standorte blieben sogar waldfrei –, doch der Geldwert würde sich nicht sonderlich verringern. Und selbst wenn man die Wälder unter dem Gesichtspunkt der Kohlenstoffspeicherung optimiert, also alle für die Maximalleistung erforderlichen Pflanzen und ihre Mutualisten sowie alle ihre indirekten Förderer, z. B. remineralisierende Bodenorganismen einsetzt, so wäre doch die dafür erforderliche Artenzahl klein im Vergleich zur derzeit in Mitteleuropa vorhandenen. Man könnte die meisten Arten problemlos ausrotten, die Billionensumme würde nicht wesentlich niedriger.

„Bei einer vollständigen Kosten-Nutzen-Analyse der Erhaltung von Feuchtgebieten müssen auch Ökosystemleistungen, wie etwa der Abbau von Schad- und Nährstoffen im Wasser und die positiven Wirkungen auf die Verringerung von Hochwasserwellen berücksichtigt werden.“

Was eben für die Kohlenstoffspeicherung der Wälder gesagt wurde, gilt hier noch mehr. Die hier geltend gemachte „Dienstleistung“ wird von ganz wenigen Arten erbracht, eine Steigerung der Biodiversität über diese funktional wichtigen Arten hinaus ist praktisch nicht relevant.

„Mit ihrer Bestäubungsleistung sichern die Bienenvölker der Schweiz jährlich eine Agrarproduktion von US$ 213 Mio., rund fünfmal mehr als die Honigproduktion“.

Dazu braucht man keine Biodiversität, sondern eine einzige Nutztierart und einige wenige Pflanzenarten.

„Wie im vorstehenden Abschnitt erwähnt, ist die ärmere Landbevölkerung zur Deckung der eigenen Grundbedürfnisse deutlich stärker als andere Gruppen auf die biologische Vielfalt angewiesen; die Landwirtschaft ist weltweit für 37% der Erwerbstätigen – 1,2 Milliarden Menschen – immer noch die vorherrschende Wirtschaftstätigkeit“.

Die Landwirtschaft ist aber nicht auf die biologische Vielfalt angewiesen. Eher leuchtet die gegenteilige Behauptung ein: Die landwirtschaftliche Tätigkeit besteht seit eh und je nicht zuletzt darin, die biologische Vielfalt zu verringern zugunsten einiger weniger Nutzpflanzen- und Nutztierarten. Man kann deren Zahl erhöhen. Man kann die Vorteile genetisch variabler Nutzpflanzen- und Nutztierarten nutzten (und die damit verbundenen Nachteile in Kauf nehmen). Man kann Anbaumethoden einführen, die so gut wie nur möglich das Potential von Arten einbeziehen, die indirekt die Nutzarten fördern, von den Pflanzen in den Windschutzhecken bis zu den Boden-Kleinlebewesen: Man kann all das tun, aber das wird nichts daran ändern, daß die dadurch bedingte Erhöhung der Anzahl der für die Landwirtschaft nützlichen Arten im Vergleich zu allen Arten bzw. der „gesamten Biodiversität“ (ein ziemlich unsinniger Begriff, denn ein Zahlenwert, den man ihr zuschreibt, ist immer willkürlich, läßt sich nach Belieben erniedrigen und erhöhen) unbedeutend ist. Es wird nichts daran ändern, daß die meisten Arten für die Landwirtschaft immer noch überflüssig sein werden und daß für die Landwirtschaft eher deren Ausrottung vorteilhaft wäre als ihr Schutz.

Die Autoren behaupten: „Das Konzept der Ökosystemdienstleistungen ist gut geeignet, Biodiversität ökonomisch einzuschätzen und zu bewerten“. Man kann rundheraus sagen: Das stimmt nicht. Für die „Dienstleistungen“, die man hier im Auge hat, sind „wir“ zumindest größtenteils, und zu vermuten ist, fast durchwegs nicht auf „die Biodiversität“ angewiesen, sondern nur auf einige wenige Arten. Die unterschwellige Behauptung, die Angewiesenheit auch nur auf eine Art von Lebewesen sei eine Angewiesenheit auf die Biodiversität, da doch Biodiversität auch und vor allem darin besteht, daß das Leben sich in Arten differenziert, ist ein Taschenspielertrick. Er ist aber derart leicht durchschaubar, daß man sich fragen muß, wieso man ihn versucht.

Aber ist „versucht“ überhaupt richtig? Ist die Argumentationsweise, subjektiv, vielleicht gar kein Trick, sondern geschieht in gutem Glauben? Das scheint mir wahrscheinlich, jedenfalls für die meisten Autoren. Doch wie ist das möglich? Wie kann es sein, daß die Argumentationsweise Wissenschaftlern unterläuft, die doch ganz andere, viel weniger auf der Hand liegende Fehler sofort bemerken? Da ich die einschlägigen Diskussionen nur am Rande verfolge, weiß ich nicht, ob die Tatsache, daß in Texten von der Art des zitierten nicht einmal angedeutet wird, daß es daran Kritik gibt, bedeutet, daß es wirklich keine Kritik gibt. Angenommen, es wäre so: Wie ist es möglich, daß sich ein riesiges Forschungsfeld derart wirksam gegen überaus einfache Gedanken immunisieren kann?

An einigen Stellen geht es, wie eingangs erwähnt, in dem TEEB-Text tatsächlich um Biodiversität. Das soll heißen: Es wird behauptet, daß die Anzahl (oder diese in Verbindung mit der Verteilung, was im allgemeinen mit „Diversität“ gemeint ist) von Organismen (oder von Systemen von Organismen oder von Teilen/Elementen von Organismen) als solche eine bestimmte Wirkung hat. Irgendeine Eigenschaft des betreffenden ökologischen Systems wird dadurch gesetzmäßig verändert, daß die Artenzahl – oder ein anderes Diversitätsmaß – verändert wird.

Behauptet wird das in dem Text für die Resilienz. Was damit gemeint ist, wird nicht klar. An einer Stelle wird definiert: „Resilienz (die Fähigkeit, nach Störungen die ursprüngliche Funktionsweise wiederherzustellen)“ (1). An anderen Stellen heißt es, Resilienz sei die Fähigkeit von Ökosystemen, „unter sich ändernden Umweltbedingungen weiterhin Leistungen bereitzustellen“ (2) oder „Resilienz bezeichnet die Fähigkeit von Ökosystemen, ihre Funktionen unter veränderten Bedingungen aufrechtzuerhalten“ (3).

Die Bedeutung (1) kommt dem nahe, was ursprünglich in der Ökologie verbreitet war. Der Begriff Resilienz bezog sich auf die Geschwindigkeit der Rückkehr einer durch eine Störung veränderten Größe einer  Ökosystem-Eigenschaft zum Ausgangszustand. (2) könnte dies ebenfalls bedeuten, muß aber nicht; (3) scheint sich auf das zu beziehen, was üblicherweise „Resistenz“ heißt, die Fähigkeit des Systems, unter veränderten Bedingungen (Störung) seine Eigenschaften beizubehalten, also nicht zu verändern und dann, wenn „Resilienz“ des Systems vorliegt, in der Lage zu sein, den Ausgangszustand wiederherzustellen. (In ähnlichem Sinne wie unter (3) wird „Resilienz“ von der Resilience Aliance gebraucht.)

Wenn (1) gemeint sein soll, dann ist die Behauptung, daß „die Biodiversität“ die Resilienz steigert, mit hoher Wahrscheinlichkeit zumindest ganz überwiegend falsch. Hohe Resilienz galt gerade als typische Eigenschaft artenarmer Ökosysteme; diese Systeme stellen sich – hinsichtlich der untersuchten Merkmale – nach Störung im allgemeinen rasch wieder her, und auch der Bereich der möglichen Abweichung vom Ausgangszustand ist groß („global stability“). Bei artenreichen scheint eher das Gegenteil der Fall. Oft ist die Meinung vertreten worden, Artenreichtum verursache Resistenz, also Unveränderlichkeit unter wechselnden Umweltbedingungen, zugleich aber geringe Resilienz in dem Sinn, daß dann, wenn die Störung zu groß war (die Umweltbedingungen sich zu stark veränderten), das System sich schwer oder gar nicht wieder herstellen kann. Das ist vermutlich eine Übervereinfachung, auch wenn es dafür eingängige Beispiele gibt. Neuere experimentelle Untersuchungen haben sehr unterschiedliche Ergebnisse erbracht. Je nach Stabilitäts-Typ, untersuchter Ökosystem-Eigenschaft, Ökosystem-Typ oder ökosystemarem Status der von der Diversitätsänderung betroffenen Artengruppen (ob sie z. B. an der Basis oder an der Spitze der Nahrungskette stehen) hatte die Veränderung der Diversität andere Wirkungen.

Für „Ökosystemdienstleistungen“ – sofern sie überhaupt mit der Diversität in Beziehung stehen – ist manchmal eine niedrigere, manchmal eine höhere Artenzahl günstig. Letzteres ist z. B. naheliegenderweise insofern der Fall, als in der Weidewirtschaft bei höherer Artendiversität des Pflanzenbestandes die Gesamt-Produktivität unter wechselnden Umweltbedingungen ausgeglichener ist. Der Wissenschaft stünde es gut an, derartige für Ökosystemdienstleistungen günstige Wirkungen der Biodiversität zu ermitteln. Ob damit Propaganda für den Artenschutz zu machen ist, ist allerdings fraglich, denn sie fallen insgesamt wohl nicht sonderlich ins Gewicht.

Links zu Internetseiten mit Bezug zum Thema: Rolle der Vielfalt, Biodiversität messen, Resilienz 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8,  


 

[1] TEEB (2010): Die Ökonomie von Ökosystemen und Biodiversität: Die ökonomische Bedeutung der Natur in Entscheidungsprozesse integrieren. (TEEB (2010) The Economics of Ecosystems and Biodiversity: Mainstreaming the Economics of Nature) Ansatz, Schlussfolgerungen und Empfehlungen von TEEB – eine Synthese. (Die ökonomische Bedeutung der Natur in Entscheidungsprozesse integrieren (pdf))

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Ich habe von 1969-1973 an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der FU Berlin Biologie studiert. Von 1994 bis zu meiner Emeritierung im Jahre 2011 war ich Inhaber des Lehrstuhls für Landschaftsökologie der Technischen Universität München. Nach meinem Studium war ich zehn Jahre lang ausschließlich in der empirischen Forschung (Geobotanik, Vegetationsökologie) tätig, dann habe ich mich vor allem mit Theorie und Geschichte der Ökologie befaßt, aber auch – besonders im Zusammenhang mit der Ausbildung von Landschaftsplanern und Landschaftsarchitekten – mit der Idee der Landschaft. Ludwig Trepl

11 Kommentare

  1. @Annette Voigt

    Fast in allem d’accord. Ein paar ganz kleine Anmerkungen.
    Du verwendest Einzigartigkeit und Eigenart (als Werte, die man / der Naturschützer in der Natur sucht) gleichbedeutend. Ich meine aber, da ist ein wichtiger Unterschied. Was Eigenart hat, ist zwar einzigartig, ist individuell, es ist keine Kopie, nichts von der Stange. Aber es ist auch „von bestimmter Art“, es repräsentiert die Art, und zwar auf einzigartige Weise. Was nicht von bestimmter Art ist, ganz allein für sich steht, ist eigenartig, hat aber keine Eigenart. Es ist eine Kuriosität. Ich glaube, ein Kuriositätensammler ist ein ganz anderer Menschentyp als einer, der die Eigenart liebt, also etwa eine Landschaft, die es nur hier gibt, die aber doch „typisch“ ist für die Uckermark oder das Salzburger Land – am liebsten ist es ihm dann, wenn es hier so typisch Uckermärkisch oder Salzburgisch ist wie nirgendwo sonst in diesen Gegenden; aber eben doch so, wie es auch anderswo in diesen Gegenden ist oder eigentlich sein sollte. Der Kuriositätensammler ist eher ein Liberaler, ein Kosmopolit, der die Welt absucht nach Überraschendem, der Eigenart-Liebhaber ist ein Konservativer, der aus seiner Heimat gar nicht raus muß, ein typischer Heimatforscher z. B.

    Der Shannon-Index ist ein Versuch, tatsächlich die ersehnte Vielfalt zu erfassen. Denn man berücksichtigt gerade nicht nur Artenzahlen, sondern auch deren „Bedeutung“ – meist ist das die Häufigkeit, es könnte aber auch die Körpergröße sein, man will jedenfalls so etwas Unwichtiges wie eine Bodenmilbe nicht mit etwas so Bedeutendem wie einem Elch gleichsetzen. Und wenn der Shannon-Index hoch ist, hat man in der Tat meist das Gefühl, daß es da „vielfältig“ ist, viel mehr als wenn man nur die Artenzahl berücksichtigte. Aber natürlich ist die naturwissenschaftliche, quantifizierende Art, mit der man hier das Phänomen Vielfalt „erfassen“ will, letztlich untauglich.

    Du schreibst „’Natur als Ökosystem’ (Kontrolle, Konstruktion, Nutzung)“. Ich bin mir da nicht (mehr) so sicher; Nutzung ja, und deshalb stimmt es auch, daß „’Natur als Ökosystem’ den Sehnsüchten, die es hinsichtlich Natur in unserer Kultur gibt, diametral gegenüber[steht]: Natur als Gegenwelt, Freiheit, Paradies etc.“. Aber Kontrolle und Konstruktion stimmt vielleicht nicht. Georg Hausladen ist jedenfalls zur Zeit auf einer anderen Spur.

    Zu den ‘cultural services’ will ich demnächst hier einen Bolgartikel schreiben.

  2. Biodiversität und Ecosystem Services

    Dazu ein paar Gedanken:

    1)Vielleicht liegt der Grund dafür, das die beiden Begriffe in Zusammenhang bzw. Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen in kausalen Zusammenhang gebracht in Folgendem:

    1.1) Die Betrachtung von Natur in der Perspective von ‘ecosystem services’ schließt ziemlich viel von dem aus, was die meisten Menschen an Natur toll finden: Ökosystemnatur ist nicht schön, nicht erhaben, sie kann einem nicht das Gefühl geben, sich in ihr zu bewähren oder frei zu entfalten etc. Sie schließt auch Vielfalt und Einzigartigkeit (auf Ebene der Landschaften, einzelner Arten etc.) aus. Meine These ist, dass es um die Integration dessen geht, was weder in der Perspektive des Ökosystemansatzes (noch der der ‘ecosystem services’) vorkommen kann. Denn bei dieser Perspektiven geht es ja

    a) um eine naturwissenschaftliche, ökosystemare Sicht auf Natur, die Begriffe wie Energietranssfer, Stoffkreislauf oder Populationswachstum benutzt, aber

    b) eben nicht sagen kann, dass das, was sie betrachtet, einzigartig oder vielfältig ist (oder sein/ bleiben soll). Einzigartigkeit und Vielfalt kann in der Betrachtung von Natur als Ökosystem nicht vorkommen: Arten z.B. unterschieden sich nur noch hinsichtlich ihrer Rolle bei der Erhaltung des Ökosystems bzw. beim Bereitstellen von ‘services’. Alle anderen Unterschiede sind irrelevant. Arten bilden mit funktional äquivalenten Arten (oder abiotischen Elementen) Ökosystemkomponenten.
    Aber diese Sicht ist

    c) problemlos verbindbar mit dem Interesse an technischer und ökonomischer Nutzung von Natur, daher spricht man von ‘ecosystem services’ oder ‘benefits’, aber nicht ästhetischen oder kulturellen Werten oder symbolischen Bedeutungen.

    Nun deckt der Begriff Biodiversität natürlich nicht genau das gleiche ab, wie die kulturellen Ideen von Einzigartigkeit und Vielfalt. Er kann aber vielleicht als (vordergründig) biologische Formulierung dieser Ideen bzw. Sehnsüchte und Erwartungen an Natur verstanden werden. In gewisser Weise ist also der Versuch der Verbindung von Biodiversität und ‘ecosystem Services’ der Versuch, Eigenart und Vielfalt trotz und in der dominanten wissenschaftlichen und nutzenorientierten Sicht auf Natur zu retten.

    1.2)Der ‘ecosystem service’ Ansatz ist ein Ansatz, der nach dem (ökonomischen) Nutzen von Natur für uns fragt. Biodiversität lässt sich in diesen Ansatz nur integrieren, wenn man nach ihrem Nutzen fragt. Wenn man sie integrieren will, muss sie einen Nutzen haben – für das menschliche Überleben oder zumindest das menschliche Wohlergehen. Biodiversität selber ist kein service. Daher muss das eigentlich genauso gedacht werden, wie es gedacht wird: Biodiversität hat einen Nutzen für die Bereitstellung von Ökosystemdienstleistungen. Anders ist eine Integration nicht möglich. Die Konsequenz dieser Verbindung kann durchaus genau das Gegenteil von dem sein, was intendiert war – das Eigenart und Vielfalt, wenn sie nicht sogar in der funktionalen Perspektive “untergehen”, doch zumindest (noch mehr als bisher?) der nutzenorientierten, ökonomischen Perspektive unterworfen werden.

    1.3 Eigentlich müsste der ‘Ecosystem service’ Ansatz der Alptraum eines jeden ‘klassischen’ Naturschützers sein. Denn dieser Ansatz berücksichtigt nicht nur das nicht, was man eigentlich schützen will: Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur und Landschaft.

    Auf der Ebene der Bedeutung steht “Natur als Ökosytem” (Kontrolle, Konstruktion, Nutzung) den Sehnsüchten, die es hinsichtlich Natur in unserer Kultur gibt, diametral gegenüber: Natur als Gegenwelt, Freiheit, Paradies etc…
    Zudem dürfte in der praktischen Ausrichtung von Naturschutz und Landschaftsplanung auf Basis des ‘ecosystem service’ Konzeptes auch ein großer Teil dessen, was Vielfalt, Eigenart und Schönheit material repräsentiert, verloren gehen.

    3)Mir erscheinen die Begriffe ‘ecosystem service’ und Biodiversität jeder für sich ambivalent und widersprüchlich.

    3.1) Biodiversität wird ja sehr unterschiedlich benutzt – dazu einige unsystematische Gedanken:

    a) Einige Ökologen beziehen sich damit auf die Anzahl, meistens von Arten (um mal die Probleme der anderen, in diesem Begriff angeblich berücksichtigten Ebenen von Vielfalt außen vor zu lassen) und messen das dann z.B. mit dem Shannon-index. Es geht dann um die Anzahl von Arten eines Gebietes, diese kann höher oder niedriger sein als zu anderen Zeitpunkten oder in anderen Gebieten.

    b) Andere lassen bestimmte Arten bei der Bestimmung der BD eines Gebietes außen vor, nämlich die inasiven, exotischen. Sie unterscheiden also zwei Typen von BD, heimische und fremde, und sie machen das aufgrund einer normativen Setzung. “Außen vor lassen” ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck, bei vielen Bewertungsverfahren schlägt ja die Existenz von fremden Arten negativ zu Buche. Begründet wird das damit, dass die Existenz von fremden Arten darauf verweist, dass der Standort gestört ist und dass fremde Arten früher oder später heimische Arten verdrängen, die heimische BD also abnehmen wird.

    c) Das Biodiversität gut ist, erhalten werden soll, darin sind sich alle einig, einige weiten das auch auf die fremden, sogar auf die nutzlosen, nicht-integrierten Arten aus, die meisten jedoch nicht.

    d) Meinem Gefühl nach steht Biodiversität bei vielen Leute für Natur oder “das Gute an der Natur” und hört sich dabei so schön wissenschaftlich an. Er ist dann, wie oben schon gesagt, die biologische Formulierung bestimmter Sehnsüchte und Erwartungen an Natur.

    e) Zugleich ist der Begriff ohne jeden Maßstab, anwendbar auf die ganze Welt oder den eigenen Vorgarten, auf den Schutz des Pandabärs genauso gut wie auf den des tropischen Regenwald.global, regional, lokal – irgendwie geht es immer um Biodiversität. Da kann man nichts falsch machen.

    3.2. Ecosystem services

    Der Millennium Ecosystem Assessment report (2005) und auch TEEB unterscheiden jeweils 4 Kategorien von services. Diese sind mir sehr unterschiedlicher Art.

    a) Die ‘providing services’ sind, zumindest zum Teil, derart, dass, wenn man diesen ‘services’ nutzt, das ‘providing ecosystem’ gar nicht mehr da ist, z. B. wenn man das Holz eines Waldes nutzt oder ein Maisfeld aberntet. Das scheint mir etwas ganz anderes zu sein als wenn man die “Nebeneffekte” eines Waldes, z.B. die Klimaregulierung oder Wasserrückhaltung nutzt (oder ökonomisch bewertet).

    b) Hinsichtlich der ‘cultural services’ wird es noch schwieriger: Im ‘ecosystems service’ Ansatz wird genannt: “cultural services including cultural, intellectual and spiritual inspiration, recreational experiences, ecotourism and scientific discovery”.
    Wie oben schon gesagt, schließt die wissenschaftliche oder wissenschaftlich-technisch-ökonomische Betrachtung von Natur als produzierendes Ökosystem all das aus, was Natur kulturell oder individuell bedeutet.

    Naturwissenschaft und auch die Ökosystemtheorie kann dazu nichts sagen. Aber was ist mit den ‘cultural services’? Konsequenterweise wird hier gar nicht von Bedeutung, Sinn oder Wert gesprochen, sondern von Nutzen. Also ist auch bei den ‘cultural services’ Natur Ressource. Kulturelle und individuelle Bedeutungen und Werte werden ausschließlich unter dem Aspekt des (ökonomischen) Nutzens für das menschliche Wohlergehen betrachtet. Das kann man natürlich machen, trifft aber nicht das, was man unter kultureller oder symbolischer Bedeutung versteht. Der Versuch, diese kulturellen Dienstleistungen zu messen, führt dann auch dazu, dass meist monetär bewertet wird: Was sind die Nutzer bereit zu zahlen (willingness to pay, hedonic pricing…). Bedeutung und Wertschätzung von Natur wird reduziert auf monetären Wert.

    Zudem: Ist es überhaupt das System, das diese Dienstleistungen produziert? Der Begriff ‘ecosystem service’ ist nicht nur unpassend, weil hier eine kulturelle Ebene (Bedeutung von Natur) mit einer naturwissenschaftlichen und einer nutzenorientierten Ebene vermischt wird, sondern auch, weil völlig von dem Subjekt abgesehen wird. Das Wahrnehmen und Empfinden von Schönheit, Erhabenheit, Faszination, Harmonie etc, ist eine Fähigkeit des betrachtenden Subjektes, nicht eine Dienstleistung eines Ökosystems.

  3. Artikel von Uta Eser zu Biodiversität

    Ich vermute, dass es sich bei dem von Ludwig Trepl in seinem an Kenneth Anders gerichteten Kommentar vom 22.02. angesprochenen Artikel von Uta Eser um folgenden Beitrag handelt:

    Eser, Uta (2001): Die Grenze zwischen Wissenschaft und Gesellschaft definieren: boundary work am Beispiel des Biodiversitätsbegriffs. In: Höxtermann, Ekkehard; Kaasch, Joachim & Kaasch, Michael (Hrsg.): Berichte zur Geschichte und Theorie der Ökologie und weitere Beiträge zur 9. Jahrestagung der DGGTB in Neuburg a. d. Donau 2000. Verhandlungen zur Geschichte und Theorie der Biologie. Band 7. Verlag für Wissenschaft und Bildung, Berlin. S. 135-152.

    Sie beschreibt darin die “Erfindung der Biodiversität” zwischen Wissenschaft und Politik.

  4. @Köchy @Hausladen

    Außer den von Georg Hausladen genannten beiden Texten (Eisel, Kirchhoff) empfehle ich zu dieser Diskussion das von Mathias Gutmann und Peter Janich herausgegebene Buch “Methodologische Grundlagen der Biodiversität” (http://www.springerlink.com/…t/t171768176423q06/), darin besonders das Kapitel
    “Überblick zu methodischen Grundroblemen der Biodiversität” von Mathias Gutmann

  5. @ Martin Köchy

    Sehr geehrter Herr Köchy,

    vielen Dank für Ihre Antwort und die Hinweise auf die einschlägige Literatur. Ich habe dennoch zwei Bemerkungen:

    Vorerst eine Bemerkung dazu, dass „die meisten Menschen abwechslungsreiche Landschaften mögen“ und dass es offenbar einen Zusammenhang zwischen dem „gefühlten Artenreichtum“ und dem Wohlbefinden von Touristen gibt (der vermutlich darin bestehen soll, dass sich Touristen dort wohler fühlen, wohl der „gefühlte“ Artenreichtum am höchsten ist; ich muss allerdings gestehen: unter „gefühltem Artenreichtum“ kann ich mir nicht wirklich etwas vorstellen, aber ich nehme mal an, dass damit einfach der Artenreichtum gemeint ist, den man wahrnehmen kann). (1) Die meisten Touristen fühlen sich offensichtlich dort am wohlsten, wo es äußerst eintönig ist – in Hotels, die überall auf der Welt gleich ausschauen und die meist von nicht anderem als Palmen, Strand und Meer umgeben sind. Ist das abwechslungsreich? (dass die Touristen auch mal ins Umland fahren, heißt ja nicht, dass sie sich dort wohl fühlen; vielmehr scheint mir gerade das Gegenteil der Fall zu sein.) (2) Ich bezweifele, dass sich Touristen dort am wohlsten fühlen, wo der („gefühlte“) Artenreichtum am größten ist, denn das würde bedeuten, dass sie sich am liebsten in tropischen Regenwäldern aufhalten. Vielen Touristen schauen sich so einen Wald (bzw. oft nur das, was man ihnen dafür verkauft) gerne mal an. Aber ob sie sich dort wirklich wohl fühlen? Ich für meinen Teil empfinde Regenwälder als äußerst unangenehm; es ist immer nass und wenn’s nicht gerade tropische sind, meist sehr kühl. Zudem gibt es (wenn man nicht gerade auf Madagaskar oder in Neuseeland ist) einen Haufen giftige Viecher. Spannend sind solche Gegenden allemal, aber angenehm?

    Und nun noch eine kurze Bemerkung zu der Diversitäts-Frage: Ich wollte mit meinem Kommentar nur darauf hinweisen, dass die Begriffe Eigenart und Vielfalt einem ganz anderen wissenschaftlichen Paradigma entstammen als die Begriff der Vielzahl und Information. (v. a. Ulrich Eisel hat dazu einige Untersuchungen angestellt; siehe z. B. Eisel 2007, aber auch viele frühere Schriften; Kirchhoff 2005 behandelt diese Zusammenhänge auch). Mir ging es darum, darauf hinzuweisen, dass man, wenn man in den Debatten von „Vielfalt“ redet, eigentlich „Vielzahl“ meint und doch Vielfalt meinen möchte. Und dann wird’s wirr. Mit den Methoden, die Sie anführen, lässt sich nichts über Vielfalt sagen, sondern nur über eine bestimmte Form von Information (man könnte sie die thermodynamische nennen). Um anhand von „Information“ etwas über Vielfalt sagen zu können, müsste man zeigen, dass besagte Paradigmen irgendwie (logisch) vereinbar sind. Aber den Schlüssel dazu findet man sicher nicht in dem Informationsbegriff, mit dem man heute Biodiversität berechnet. Darauf wollte ich hinaus. Aber sie haben recht, das geht jetzt wohl schon etwas weit weg, von dem hier relevanten Thema der Ökosystemdienstleistung. Trotzdem würde ich mich freuen, wenn wir die Diskussion vielleicht ein andermal fortsetzen könnten.

    Schöne Grüße

    Georg Hausladen

    Eisel, U., 2007: Vielfalt im Naturschutz – ideengeschichtliche Wurzeln eines Begriffs in: Biodiversität – Schlüsselbegriff des Naturschutzes im 21. Jahrhundert Potthast, T. Bundesamt für Naturschutz. 25-40.

    Kirchhoff, T., 2005: Kultur als individuelles Mensch-Natur-Verhältnis. Herders Theorie kultureller Eigenart und Vielfalt. in: Strukturierung von Raum und Landschaft – Konzepte in Ökologie und der Theorie geselschaftlicher Naturverhältnisse. Weingart, M. Westfälische Dampfpost. Münster: 63-107.

  6. Abwechslungsreiche Landschaften

    Sehr geehrter Herr Hausladen!
    Wie komme ich darauf, dass „Menschen meistens abwechslungsreiche Landschaften mögen“? Ich hätte besser schreiben sollen: “die meisten Menschen mögen … “, denn natürlich gibt es Ausnahmen. Mir scheint aber, dass gemessen an der relativen Anzahl der Touristen Wüsten und Steppen nicht zu den bevorzugten Urlaubsgebieten gehören. Der Zusammenhang zwischen “gefühltem” Artenreichtum und Wohlfühlen von Touristen ist aber auch in einer Studie gezeigt worden (Dallimer et al. 2012).
    Die Shannon-Diversität (nein, ich meine nicht den Index, H’, sondern exp(H’), auch effective species number genannt, Jost 2006) ist schon recht brauchbar. Für die Vielfalt und Unterschiede zwischen verschiedenen Ökosystemen, die Sie ansprachen, würde man nicht unmittelbar die auf Arten beruhenden Indizes benutzen sondern etwa die von Whittaker eingeführten Indizes, die aber auch nicht unumstritten sind. Aber das führt vom Thema Ökosystemdienste ab.

    Dallimer, M., et al. 2012. Biodiversity and the Feel-Good Factor: Understanding Associations between Self-Reported Human Well-being and Species Richness. BioScience 62:47-55.
    Jost, L. 2006. Entropy and diversity. Oikos 113:363-375. Siehe auch: http://www.loujost.com/

  7. Vielfalt und Information

    Ich möchte etwas zur „Shannon-Diversität“ sagen. Martin Köchy hat den Begriff hier verwendet und ich halte ihn, obwohl er offenbar sehr häufig so verwendet wird, für äußerst unglücklich. Wenn ich mich recht erinnere, bezeichnet man das, was gemeint ist auch als „Shannon-Index“. Ich finde das besser. Es mag dem ein oder anderen etwas kleinlich vorkommen, aber mir scheint der Unterschied für die gesamte Debatte um „Biodiversität“ bedeutend und mitunter Ursache für die Kontroversen zu sein, denen man dort begegnet. Denn beim Shannon-Index geht es gerade nicht um „Diversität“, d. h. um „Vielfalt“, welche auf eine bestimmte Qualität eines Systems, nämlich, wenn ich es richtig verstanden habe, seine Eigenart zurückzuführen ist, sondern um eine bestimmte Art von Vielzahl – eine Quantität – nämlich Information. Diese soll im Folgenden kurz umrissen werden:
    Der Shannon-Index ist das Maß für die Menge an Information eines Systems (verschiedener Arten; Populationen; Individuen; Gene, Moleküle usw.), wobei mit „Information“ in etwa das gemeint ist, was man bei Computern damit meint und in „bits“ und „bytes“ angibt. Die Menge an Information, z. B. eines Ökosystems ist, abhängig von der Anzahl der Arten, den Relationen zwischen ihnen, sowie der Spezifik (s. u.) der Relationen (möglicherweise hab ich was vergessen, aber das spielt hier keine Rolle). Die Information steigt mit der Artenzahl, der Menge der Relationen zwischen den Arten sowie der Spezifik der Relation (d. h. wenn eine Relation zwischen einer Art und nur einer anderen besteht bzw. bestehen kann, ist die Information größer als wenn sie zwischen einer Art und vielen anderen besteht bzw. bestehen kann). Es geht, ganz allgemein gesagt, um die Menge möglicher Zustände eines Systems. Umso geringere die Menge der möglichen Zustände, umso größer ist die Information. Dabei ist es aus informationstheoretischer Sicht, und das ist nun entscheidend, jedoch völlig egal, welche Arten das System bilden. Systeme, die gleich viele Arten enthalten, die in gleich vielen und gleich spezifischen Relationen stehen, unterscheiden sich in dieser Hinsicht nicht – ein Wald, ein See und ein Ökosystem auf einem anderen Planeten können in dieser Hinsicht vollkommen ununterscheidbar sein, obwohl sie doch offensichtlich ganz andere Arten enthalten und uns ganz verschieden erscheinen.
    Mit diesem Informationsbegriff kann man einiges beschreiben, aber keine „Vielfalt“ und auch keine „Kultur“. Daher bezweifle ich auch, dass man „kulturelle Ökosystemdienstleitungen“ anhand einer „Ökosystemdienstkapazität“ beschreiben kann. Ich möchte allerdings auch nicht ausschließen, dass es möglich ist, „Vielfalt“ oder „Kultur“ informationstheoretisch zu beschreiben. Dann müsste mir das aber erstmal jemand zeigen. Und ich könnte mir vorstellen, dass in dieser Erklärung dann auch der fehlende Zusammenhang zwischen „Biodiversität“ und „Ökosystemdienstleistungen“ zu finden sein könnte.
    Und nebenbei möchte ich noch @ Martin Köchy bemerkt: Wie kommen Sie darauf, dass „Menschen meistens abwechslungsreiche Landschaften mögen“? Ich persönlich (und ich glaube, da gibt es auch noch ein paar andere) mag Wüsten sehr gerne.

  8. Biodiversität und Ökosystemdienste

    Sehrt geehrter Herr Trepl, sehr geehrter Herr Anders!
    Ich stimme Ihnen in fast allen Punkten zu. Die Rolle der Biodiversität (im Sinne von Artenreichtum) für die Funktion von Ökosystemen wird überbewertet. Deshalb ist man ja auch schon auf den Begriff “Funktionelle Diversität” gekommen (z.B. Mason et al., 2005). Es ist auch schwer nachzuvollziehen, warum selbst noch die seltenste Art in einem Ökosystem gleich viel zu seiner Funktion beitragen sollte wie die häufigste Art. Man könnte schnell die Artenzahl einer Wiese dadurch erhöhen, indem man alle Unterarten des Löwenzahns mitzählt. Es erscheint mir sinnvoller beim Aspekt der Ökosystemdienstleistungen, die Diversität (also Artenzahl gewichtet nach Häufigkeit, etwa Shannon-Diversität) zu betrachten.
    Beim Betrachten von Ökosystemdienstleistungen ist auch auffällig, dass diese offenbar von der Situation bzw dem menschlichen Bedarf abhängen. Damit sind einzelne Ökosystemdienste schlecht vergleichbar und der Bedarf kann sich schnell ändern. Andererseits kann ich mir vorstellen, dass eine monetäre ad-hoc Bewertung von einzelnen Ökosystemdiensten hilfreich ist, wenn es um den Schutz genau dieser Dienstleistung an einem bestimmten Ort geht.

    Wenn es aber darum geht, mehrere Ökosystemdienste an verschiedenen Orten gegeneinander abzuwägen, etwa in der Landschaftsplanung, schlage ich vor, die Ökosystemdienstkapazität zu betrachten (Köchy 2009). Die Ökosystemdienstkapazität ist definiert als Produktivität * Biomasse * Diversität (holzig,krautig) * ShannonDiversität (alles bezogen auf eine bestimmte Fläche). Damit wird fast die gesamte Bandbreite der TEEB-Dienstleistungen abgedeckt (für Gewässer und Wasserspeicherung muss das Konzept noch erweitert werden). In diesem Konzept ist die Diversität vor allem mit den kulturellen Dienstleistungen verbunden (Menschen mögen meistens abwechslungsreiche Landschaften) und mit der größeren Wahrscheinlichkeit bei größerer Diversität, dass unter den vorhandenen Arten eine dabei ist, die einen medizinischen Wirkstoff enthält oder eine Schlussstein (keystone)-Rolle im Ökosystem spielt. Auch an anderen Stellen ist die (Bio)Diversität wohl wichtig (Quijas et al. 2010). Bei der Anwendung des Konzepts zur Betrachtung von Eutrophierung oder Klimawandel oder Ausweitung der Siedlungsfläche kommt man auch schnell darauf, dass es möglich ist, Ökosystemdienste aufrecht zu erhalten ohne die seltenen oder charismatischen Arten und Lebensräume, die für den Naturschutz eine große Rolle spielen, zu schützen. Was zeigt, dass Ökosystemdienste und Naturschutz nicht grundsätzlich miteinander zu tun haben.

    Köchy, M. 2009. A species-neutral, quantitative ecological value of ecosystem service capacity (A common ecosystemic currency for assessing regional tradeoffs in ecosystem services). Joint Actions on Climate Change, 8.-10. June 2009, Aalborg, Denmark. http://gin.confex.com/gin/2009/webprogram/Manuscript/Paper2290/Koechy-paper.pdf
    Mason NWH, Mouillot D, Lee WG, Wilson JB (2005) Functional richness, functional evenness and functional divergence: the primary components of functional diversity. Oikos, 111, 112-118.
    Quijas, S., B. Schmid, and P. Balvanera. 2010. Plant diversity enhances provision of ecosystem services: A new synthesis. Basic and Applied Ecology 11:582-593.

  9. @Kenneth Anders Dienstleistungen

    Lieber Kenneth Anders,

    ich stimme Ihnen in, glaub ich, jedem einzelnen Punkt zu. In dem Artikel bin ich auf den Ökosystemdienstleistungsbegriff selbst nicht eingegangen, es überstiege auch meine Kompetenzen, ich bin kein Ökonom. Aber soviel meine ich doch sagen zu können: Man muß den Gedanken nur mal fortführen. Ein Haus wird gebaut, und da erbringt der Boden (oder das „System Boden“) eine Dienstleistung, denn er ermöglicht dem Haus, auf etwas zu stehen, das Wasser erbringt auch eine, denn sonst könnte man keinen Mörtel anrühren, die Erdanziehungskraft auch, sonst würde ja das Haus ins Weltall entschweben. Für all das hat man gefälligst zu bezahlen, denn es sind ja “Dienstleistungen”.

    Zwei Dinge sollte man m. E. im Auge haben, wenn man der Frage genauer nachgehen will: 1. Den Irrsinn der neoliberalen Ideologie, nach der es nichts geben darf, was einfach nur so da ist und von selbst geschieht, nichts, was außerhalb der Welt der ökonomischen Verwertung steht. 2. Die Vorstellung von Ökosystemen, die hier am Werk ist: Sie sind handelnde Subjekte. Ökologen erkennen dahinter leicht die „Superorganismustheorie“.

    Zur Etablierung des Biodiversitätskonzepts – es war ein politischer Coup – hat Uta Eser einst einen aufschlußreichen Artikel geschrieben, den ich leider nicht mehr auftreiben kann. Vielleicht kennt ihn jemand, der das liest?

    Viele Grüße

    Ludwig Trepl

  10. Dienstleistungen

    Das Bemühen um eine Etablierung des Ökosystemdienstleistungsbegriffs weist für meine Begriffe auch an anderen Stellen Ungereimtheiten auf. Ich kann zum Beispiel (sieht man mal von dem grundsätzlichen Unbehagen angesichts der Anwendung des Dienstleistungsbegriffs auf ein Ökosystem ab) schwer begreifen, warum einige Regulierungs- und unterstützende Leistungen, die doch die Selbstorganisationsfähigkeit der Systeme selbst betreffen, auf diese Weise gefasst werden. Das ist sicher möglich, da letztlich auch Menschen irgendwie von diesen Prozessen abhängig sind und sie also als Leistungen wahrnehmen können. Aber trotzdem finde ich es nicht richtig, eine Scheinsymmetrie zwischen so verschiedenen Dingen herzustellen. Es verwirrt. Einige der hier subsumierten Leistungen werden letztlich von Menschen in Ökosystemen durch Landnutzung bzw. Landschaftsgestaltung produziert, sind also intendiert, während andere eindeutig nicht intendiert sind. In meinen Augen darf man diesen Unterschied nicht verwischen. Auch in Bezug auf die Stoßrichtung des Dienstleistungsbegrffs werden meines Erachtens Dinge vermischt.Ich habe einmal (nicht ganz leichten Herzens) einen Artikel über kulturelle Dienstleistungen geschrieben und zu zeigen versucht, dass wir es hier mit einer Beziehungsqualität von Mensch und Umwelt zu tun haben und nicht mit einer objektiv erbrachten Leistung.
    Auch die Stoßrichtung wird mir oft nicht ganz klar. Einige der “Leistungen” müssen z.B. gesetzlich geschützt werden, denn es kann nicht angehen, dass die Unterlassung einer Zerstörung (z.B. des Bodens) als Aufgabe monetarisiert wird, über deren Notwendigkeit letztlich ein Markt entscheidet. Genau diese Logik steckt aber im Dienstleistungsbegriff und es gibt ja auch “Leistungen”, für deren Erbringung durch den Begriff der Ökosystemdienstleistung eben ein Markt geschaffen werden soll. Im dritten Fall geht es eher um eine Art Bewusstmachung: Seht, was ihr davon habt achtet es! (Das wurde früher Wohlfahgrtswirkung genannt) Auch diese Aspekte sollte man nicht vermischen.
    Nun haben Sie in Ihrem Text die Frage gestellt, wie das alles möglich ist, warum also von wissenschaftlichen Autoren so viele Behauptungen gemacht werden, die auf nicht durchdachten Identifikationen (z.B. von Biodiversität und Dienstleistung) beruhen. Ich glaube, das liegt daran, dass der Versuch, den Wert von Biodiversität über den Ökosystemdienstleistungsbegriff zu ermitteln, letztlich ein bereits erprobtes Muster wiederholt: Bereits die Etablierung des Bidiversitätskonzepts im politischen Raum hatte ja verschiedene Erscheinungsformen von Vielfalt huschig in eins gesetzt – in der Hoffnung, damit möglichst viele Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Das daraus abgeleitete politische Programm der Erhaltung von Biodiversiät ist damit zwar vollkommen verfehlt worden, aber trotzdem gab es jahrzehntelang für die Wissenschaft reichlich Forschungsmittel. Derselbe Film läuft gegenwärtig noch einmal ab, diesmal heißt er “Ecosystem Services”. Das eine Mal war’s eine Tragödie, das andre Mal ist’s eine Farce.