In der Forschung tweepts wohl

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Von Steinen bis zu den Sternen
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Das Kochrezept ist ganz einfach: Man nehme eine große öffentlichkeitswirksame Veranstaltung wie einen Tag der offenen Tür. Man lade neben der interessierten breiten Masse auch einen elitären Kreis von Onlinegeeks dazu, sagen wir besonders aktive Twitternutzer. Man sperre diesen Personenkreis in ein Zelt, das man mit schnellem Internet, genügend Stromdosen und Notlade-Kurbeln für Smartphones bestücke. Und man biete diesem elitären Zirkel ein außergewöhnliches Programm.

Paolo Nespoli im Gespräch mit Spacetweeps

ESA-Astronaut Paolo Nespoli im Gespräch mit Spacetweeps
(Karl Urban, CC-BY-NC-SA 3.0 DE)

So geschehen gestern auf dem Tag der Luft- und Raumfahrt. Geladen hatten die deutschen und europäischen Organisationen DLR und ESA in Köln. Zum ersten SpaceTweetup des Kontinents erschienen 60 raumfahrtaffine Tweeps aus 13 Ländern. Und sie twitterten ihre Erfahrungen beinahe im Sekundentakt nach draußen, knapp 8.500 Tweets in wenigen Stunden, 140 Tweets pro Person, dazu Blogeinträge und Livevideos.

Für mich als angehenden Wissenschaftsjournalisten war dieser Tweetup ein großartiges Erlebnis, weil er so viel erfrischender war als vergleichbare Presseveranstaltungen. Die halten DLR und ESA natürlich weiterhin für die traditionellen Medien ab. Dabei kommen vielleicht 40 Kollegen zusammen, setzen sich brav mit gespitzten Bleistiften ins Auditorium und lassen sich von den Experteninterviews auf der Bühne bespaßen. Für die angereisten Fernsehteams ist oft noch ein bisschen Show dabei, etwa ein britischer Kometenbäcker. Am Ende darf jeder die anwesenden Wissenschaftler (und natürlich auch den Kometenbäcker) interviewen, bevor es zurück in die Redaktion geht, wo man das Material für die geneigte Leserschaft aufbereitet.

Auf dem gestrigen Tweetup waren nun auch ein paar Journalisten dabei, der größte Teil der Tweeps waren dagegen Raumfahrtjunkies, Spacegeeks, Astrofans und Astronautengroupies. Regelmäßig betraten Raumfahrttechniker und Raumfahrer das Zelt, beantworteten Fragen und mischten sich unter die SpaceTweeps, die jedes Wort mit offenen Mündern (und geladenen Twitterapps) verfolgten.

Die morgendlichen Tweets der Organisatoren deuten darauf hin, dass man sehr zufrieden mit dem Tweetup ist, auch weil man das Gefühl hatte, endlich mal wieder viele Menschen zu erreichen und über die Steuergeld-finanzierte Arbeit großer Forschungseinrichtungen zu informieren. Warum gibt es noch keinen Max-Planck-Tweetup, keinen LHC-, Teilchen-, Biotechnik-Tweetup? Dabei kann es die Reichweite der sozialen Medien doch offenbar längst mit der traditioneller Medien aufnehmen.

Spacetweeps lauschen Ex-Astronaut und ESA-Direktor für bemannte Raumfahrt Thomas Reiter

Spacetweeps lauschen Ex-Astronaut und ESA-Direktor für bemannte Raumfahrt Thomas Reiter (Karl Urban, CC-BY-NC-SA 3.0 DE)

Dennoch bleibt ein leicht fahler Beigeschmack: Sind Astronautengroupies ein wirklich adäquater Ersatz für kritische Journalisten? Würde ihnen jemals ein negatives Wort über die Lippen kommen, wo sie die Gastgeber doch mit WLAN, Smartphone-Ladekurbeln und jeder Menge Astronauten ruhig gestellt haben?

Ich denke schon. Denn das Meinungsspektrum hat durch den Vormarsch sozialer Medien ja nicht ab-, sondern zugenommen. Die Tweeps sind anders als geladene Journalisten nicht Redaktionen, Verlagshäusern und kommerziellen Interessen verpflichtet, sondern nur ihren Followern, Lesern und Hörern. Darüber hinaus muss es weiterhin kritische Journalisten geben: Sie dürfen auf Pressekonferenzen und Tweetups gehen. Ihre Aufgabe wird aber immer spezieller. Sie müssen noch tiefer graben, recherchieren und aufdecken.

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Karl Urban wäre gern zu den Sternen geflogen. Stattdessen gründete er 2001 das Weltraumportal Raumfahrer.net und fühlt sich im Netz seitdem sehr wohl. Er studierte Geowissenschaften und schreibt für Online-, Hörfunk- und Print-Publikationen. Nebenbei podcastet und bloggt er.

6 Kommentare

  1. Kein Problem!

    Hallo Karl,

    ein sehr schöner Artikel, der mich in gewisser Weise an die von mir besuchte Pressekonferenz zum Privathof-Geflügel erinnerte. Da lief das noch sehr konventionell. Als einziger Blogger war ich da auch ein ziemlicher Exot. Was den faden Beigeschmack angeht, kann ich Deine Bedenken gut verstehen, bin aber für mich selbst zu dem Schluss gekommen, dass es mir in erster Linie mal um die Tiere geht. Wer sich da jetzt gewissen Innovationen annimmt, ist erstmal zweitrangig. Und vermutlich wird das bei Euch auch so gehandhabt. Ihr kümmert Euch um die Kommunikation dessen, was da stattfindet. Dabei ist Kritik gar nichts Schlimmes – wenn sie denn vernünftig rübergebracht wird.

    In diesem Sinne: weitermachen!

  2. Ich habe am Wochende Lars immer irgendwas mit dem Hashtag #spacetweetup twittern sehen und habe mich gefragt, was das ist. War leider zu faul das zu googeln, aber jetzt weiss ich Bescheid 😉

    Scheint eine echt coole Sache zu sein, die ich auf Anhieb unterstütze und die ich mir für viel mehr Organisationen und Veranstaltungen wünsche. Zur Frage kritische Journalisten vs. hingebungsvolle Geeks: Auf jeden Fall muss beides vorhanden sein und vielleicht könnte man auf Tweetups ja eine Art Symbiose beider fördern, die genutzt werden könnte, um insgesamt eine Wissenschaftskommunikation zu verbessern.

    So könnten sich etwa bloggende Geeks Tipps von Journalisten geben lassen und umgekehrt. Printmedien und Blogs sind ja zwei sehr unterschiedliche Sachen und bekommt man beispielsweise mit, wie der von der “anderen Seite” arbeitet, könnte das vielleicht für zukünftige Artikel von Vorteil sein.

  3. Journalisten und Geeks

    Ich habe auf dem #SpaceTweetup ein paar Tweeps für Raumfahrer.net interviewt – und am Ende auch mit Marco Trovatello aus der Kommunikations-Abteilung vom DLR gesprochen (ab 13:30):
    http://www.raumfahrer.net/…cast/index.php?id=581

    Er scheint die Rolle von so einem Tweetup für die Außenwirkung sehr hoch einzuschätzen – ohne, dass er die Rolle von traditionellen Medien herabwürdigen will.

    Also in deinem Sinne, Sebastian.

  4. Kommentar

    Man muss auch klar den Auftrag dieses Events sehen. Mehr Menschen für diese Art der Forschung begeistern. Das dann das ein oder andere negative Wort vermieden wird ist im Sinne des Auftrags und daher finde ich das legitim. Kritische Stimmen zum Thema Raumfahrt gibt es schließlich wie Sand am Meer. Jetzt ist es aber auch mal an den Befürwortern Ihre Position darzustellen. Genau dafür war das Event doch fantastisch und hat seine Aufgabe erfüllt.

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