Der Baum und die Erziehung

BLOG: WILD DUECK BLOG

Wahrheiten als Querdenkerisches verkleidet, von Gunter Dueck
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„Oma, was ist eine Erziehung?“ – „Die Kinder sollen gerade wachsen und ihren guten Weg gehen, sie sollen nicht auf Abwege kommen. Ja, weißt du das nicht, mein Kleines?“
Die Kleine schaute fragend.
Die Oma fuhr fort: „Siehst du die Holzfäller vor unserer Hausnordseite, mein Kind? Da unten? Sie schaffen ein wenig Ordnung, damit es wieder schöner aussieht, wenn Gäste zu uns kommen und mit dem Wagen vorfahren. Ganz früher hatten wir dort etliche Bäume gepflanzt. Da war ich noch so klein wie du. Die Bäume wuchsen schnell. Die aber am Rande des Hauses bekamen mehr Sonne. Da wuchsen sie schneller als die in der Mitte. Besonders der Baum direkt vor dem Haus war immer recht klein, aber man sah ihm an, dass er beharrlich in den Himmel wachsen wollte. Er wuchs langsam und ganz gerade – Jahr für Jahr, Jahrzehnt für Jahrzehnt. Er schien zu wissen, dass auch er einst Sonne bekäme, wenn er nur bald das Haus überragte. Ganz gerade!“
„Er ist erzogen Oma, nicht wahr? Und warum sind die anderen Bäume so schrecklich schief?“
„Ach Kind, das wollte ich dir doch erklären! Hab etwas Geduld! Spring mit deinem Verstande nicht vor meiner Geschichte her! Die Bäume am Rande des Hauses wuchsen nun immerfort so, dass ihre Kronen an der Nordseite vorbei mehr von der Sonne abbekamen. So wuchsen sie schief und krumm der Sonne entgegen, sie suchten das Licht. Dabei soll doch ein Baum von Natur aus in den Himmel ragen. Das vergaßen sie ganz. Sie kamen vom Wege ab. Und du, mein Kind, sollst gerade wachsen, sollst alles auf Erden richtig machen, aber immer wissen, dass genau über dir der Himmel ist, der dir den Weg zeigt.“ – „Aha, und weil die anderen ganz schiefen Bäume das vergaßen, werden sie nun abgesägt?“ – „Ganz genau.“
Schritte nähern sich.
„Papa, fein, dass du heimkommst, Oma hat ganz leckeres Essen gekocht! Oh…bist du traurig, Papa?“ – „Ach Kind, in unserer Firma wachsen die Bäume nicht gerade in den Himmel. Wir müssen uns nach jedem Sonnenstrahl krümmen, wir ächzen und zagen, damit wir schneller wachsen als die anderen Unternehmen.“ – „Warum müsst ihr denn schneller wachsen?“ – „Das will doch jeder!“ – „Aber du willst doch eigentlich, dass bei euch die Bäume in den Himmel wachsen?“ – „Ach Kind, das ist nur so eine Redensart.“
Sie aßen.

„Oma, das mit den Bäumen konntest du damals noch nicht wissen, als du Papa erzogen hast?“

Die Oma legt den Löffel weg. „Als dein Vater klein war, konnte er noch den Himmel sehen. Dann aber überschattete vieles unser Leben so sehr. Überall war Nebel. Es wurde uns bange, wir schauten jedem seltenen Lichtstrahl nach.“

„Oma, es ist babyeinfach. Das Sonnenlicht ist mal hier, mal da, aber der Himmel ist immer oben.“ – „Kind, da sagst du was.“

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www.omnisophie.com

Bei IBM nannten sie mich "Wild Duck", also Querdenker. Ich war dort Chief Technology Officer, so etwas wie "Teil des technologischen Gewissens". Ich habe mich viel um "artgerechte Arbeitsumgebungen" (besonders für Techies) gekümmert und über Innovation und Unternehmenskulturen nachgedacht. Besonders jetzt, nach meiner Versetzung in den Unruhestand, äußere ich mich oft zum täglichen Wahnsinn in Arbeitsumgebungen und bei Bildung und Erziehung ein bisschen polarisierend-satirisch, wo echt predigende Leidenschaft auf Stirnrunzeln träfe. Es geht mir immer um "artgerechte Haltung von Menschen"! Heute bin ich als freier Schriftsteller, Referent und Business-Angel selbstständig und würde gerne etwas zum Anschieben neuer Bildungssysteme beitragen. Ich schreibe also rund um Kinder, Menschen, Manager und Berater - und bitte um Verzeihung, wenn ich das Tägliche auch öfter einmal in Beziehung zu Platon & Co. bringe. Die Beiträge hier stehen auch auf meiner Homepage www.omnisophie.com als pdf-download bereit. Wer sie ordentlich zitiert, mag sie irgendwo hin kopieren. Gunter Dueck

2 Kommentare

  1. Witzigerweise sieht der aktuelle Papst zurzeit den Himmel, den terrestrischen:
    -> http://www.tagesschau.de/ausland/papst-enzyklika-105.html

    Ansonsten mag was dran sein an Ihrer Verlautbarung, auch wenn hier nicht allen Allegorien gefolgt werden konnte; das zu sehen, was ist (oder zu sein scheint), geht natürlich in der modernen, skeptizistischen & aufklärerischen Wissenschaftlichkeit, die mit Provisorien (unbekannten Verfallsdatums) gewohnt ist zu hantieren, die sozusagen alles in Frage stellt, außer ihre Methode [1], verloren.

    MFG
    Dr. W

    [1]
    Die Methode muss leider leider durch eine Art Glaubensentscheid angenommen werden.