Einstürzende Eselsbrücken, oder: Der Tod der Bilder

BLOG: Anatomisches Allerlei

Kopflose Fußnoten von Helmut Wicht
Anatomisches Allerlei

stat rosa pristina nomine, nomina nuda tenemus

Einleitung

Zur Anatomie gehören die Leichen. Neuerdings aber auch die Wortleichen. Ein Essay über “Mors verborum”, das Versterben der Verben, den Worttod, das Verbsterben. Und über den Tod der Bilder und die Dunkelheit und die Leere. Und eine Klage über den Eintritt ins post-nominalistische Zeitalter.

Der Tod der Bilder – Dialog I

Prüfung in der mikroskopischen Anatomie. Eine Studentin. Zwischen ihr und dem von ihr ersehnten Schein stehen einstweilen noch: Ich (der Prüfer), das Mikroskop, das zu besprechende Präparat, ein Blatt Papier und ein Bleistift.

Das Präparat zeigt straffes, parallelfaseriges kollagenes Bindegewebe.

straffes kollagenes Bg

Sie betrachtet es im Mikroskop. Sie erkennt es nicht. Ich sage ihr, es handele sich um Bindegewebe. Und es entspinnt sich folgender Dialog:

Ich: “Na gut. Nicht erkannt. Macht erstmal nix. Machen wir mal theoretisch weiter. Wie heissen denn die Zellen, die dieses Gewebe bilden?”
Sie (erfreut über die einfache Frage):
“Fibrozyten!”
Ich: “Ja. Und die sind ja eigentlich ganz leicht zu erkennen. Wie sehen sie denn aus, die Fibrozyten?”
Sie (hocherfreut über die simple Frage): “Spindelförmig!”
Ich: “Genau. Ganz einfach. Und wieso erkennen Sie dann das Gewebe und die Zellen nicht?”
Sie: (schweigt)
Ich: “Na, dann zeichnen Sie doch mal so einen Fibrozyten auf.”
Sie: “Ich kann nicht malen.”
Ich: “Sie sollen ja auch nicht malen, sondern mir eine schematische Skizze eines spindelförmigen Fibrozyten liefern. Sie müssen doch irgendein Suchbild im Kopf haben, das will ich sehen.”
Sie: (zeichnet leicht zitternd das:)

1Kringel mit Punkt

Ich (seufzend): “Das ist ein Kringel mit Punkt. Sieht so eine spindelförmige Zelle aus?”
Sie: “Nein.”
Ich: “In der Tat – wie aber dann?”
Sie: (schweigt)
Ich: “Skizzieren Sie mal eine Spindel!”
Sie (zeichnet das):

spirale

Nun war das Schweigen an mir, denn mich ergriff nicht die Heiterkeit, sondern die Verzweiflung. Denn der obige Dialog in Wort und Skizze ist nicht die Ausnahme, er wird zur Regel.
Ein Einschub

Ich weiss nicht, ob Sie, geschätzter Leser, es je mit der Mikroskopie von Zellen oder mit Medizinstudenten zu tun hatten, aber es gibt bei den Studenten so eine Art von Pawlowschem Reflex. Wenn das Stichwort: “Zeichen Sie mal eine Zelle” fällt, dann zeichnen sie das:

1Kringel mit Punkt

Einen Kringel mit Punkt.

“Zeichnen Sie mal einen Osteozyten!”
Man bekommt:

1Kringel mit Punkt

“Zeichnen Sie mal einen Epithelzellverband!”
Man bekommt:

3 Kringel mit Punkt

Zelle ist Kringel mit Punkt. In diesen Köpfen. In Wirklichkeit natürlich nicht. Es gibt – mit einer Ausnahme, s.u. – in der Welt der Zellen nichts, das aussähe wie ein Kringel mit Punkt. Die allermeisten Zellen sind nicht rund, und die Zellkerne sind nicht punktförmig. Wenn ich einen Fibrozyten zu skizzieren habe, mache ich das so:

fibrozyt

Und so habe ich es ihnen auch vorgemacht. Dazu muss man wahrlich nicht “malen” können.

Ich habe, speziell bei Prüfungen in der mikroskopischen Anatomie, die irrsinnigsten Dinge erlebt, wenn ich versuchte, die Bilder abzufragen, die die Studenten im Kopf haben, wenn sie in Bildern reden. Das Reden in Bildern haben sie von uns, den Anatomen, und aus den Lehrbüchern gelernt. Kein Anatom sagt “Fibrozyt” ohne “spindelförmig” gleich hinterher zu sagen. Und wenn man als Student “spindelförmig” hört, sich dabei aber gar nichts denkt, ausser “Kringel mit Punkt”, behelfsweise noch “Spirale” – dann muss man sich nicht wundern, wenn man die Dinge nicht erkennt. Allerdings kann man vor diesem Hintergrund ganz herrlich über die nutzlos-spitzfindige Fachsprache der Anatomie lästern, was auch gerne getan wird. Und über den bösen Prüfer.

“Spindelförmig”, “zigarrenförmig”, “stabartig”, “sternförmig”, “sichelförmig”, “parallelfaserig”, “verflochten”, “lamellenartig”, “schwammartig”, “wabig”, “körnig” – gross ist die Zahl der Worte und Bilder, selbst der deutschen, die die mikroskopische Anatomie verwendet, um ihre Dinge terminologisch dingfest zu machen. Und natürlich hat sie sich auch aus dem Fundus der Geometrie bedient, um ihren Gegenständen bildliche Namen zu geben: Zylinder, Prismen, Pyramiden, Polyeder, Polygone.

In dichtgepackten Zellverbänden, zum Beispiel im Stratum spinosum, der Stachelzellschicht der Haut

Stratum spinosum of the skin from the sole of the foot

erscheinen die Zellen nämlich als Polygone, als Vielecke.

Der Tod der Bilder – Dialog II

Erneute Prüfung, erneut wahr, andere Studentin. Das obige Bild ist im Mikroskop zu sehen.

Ich: “Nun skizzieren Sie doch mal so ein paar Zellen aus dem Stratum spinosum!”
Sie: “Ich kann aber nicht malen”

(folgende zwei Sätze genau wie weiter oben, ich dränge auf eine Skizze)

Sie: (zeichnet)

2 Kringel mit Punkt

Ich: “Das sind zwei Kringel mit Punkt. So sehen diese Zellen nicht aus. Gucken Sie doch noch mal ins Mikroskop! Die meisten sehen doch aus wie ein Hexa- oder Pentagon!”
Sie (verzweifelnd): “Aber wie das Weisse Haus sehen die doch auch nicht aus …”
Ich: (sprachlos, brauche einen Moment, um den assoziativen Übergang Vieleck-Fünfeck-Pentagon-amerikanisches Verteidigungsministerium – dessen Verwechslung mit dem Amtssitz des Präsidenten mir klar zu machen, sollte eigentlich lachen, mir wird aber zum Weinen, und ich sage):
“Sorry. Fünfeck. Ich meinte Fünfecke und Sechsecke. Ein Wabenmuster …”
Sie: “Ach so!”
Ich: “Gut. Nochmal. Wie sehen diese Zellen also aus?”
Sie: “Rundlich.”
Ich (nähere mich der Verzweiflung): “Aber rundlich und polygonal schliessen sich gegenseitig aus! Rund oder eckig? Was jetzt?”
Sie: (schweigt)
Ich (in hilfsbereitem Ton): “Nun, die ganze Schicht heisst Stratum spinosum, das haben Sie ja schon richtig gesagt. Warum heisst das denn so?”
Sie: “Wegen der Stacheln. Das heisst Stachelzellschicht.”
Ich: “Jawohlja, das stimmt. Jetzt nochmal. Gucken Sie da nochmal hinein und skizzieren Sie mir dann das Aussehen so einer vieleckigen Zelle aus der Stachelzellschicht!”
Sie (guckt lange. Denkt lange. Zeichnet dann das):

stachelzelle
Den Rest des Prüfungsgespräches verschweige ich Ihnen. Es ging nicht gut aus. Vor allem deshalb nicht, weil im Kopf der Studentin offenbar keinerlei Übergang von Gesehenem zu Gesagtem (= Auswendiggelerntem) stattgefunden hatte. Im konkreten Falle der Stachelzellschicht kam noch hinzu, dass die namensgebenden Stacheln eben nicht die zwei frei imaginierten Zipfel der nun spindelförmig skizzierten Zelle sind – es sind vielmehr die vielen feinen radiär von den Zellpolygonen weggehenden “Strahlen”, die jede einzelne Zelle wie einen kleine, wenn auch vieleckige Sonne samt ihrer Corona – Entschuldigung: Strahlenkrone – erscheinen lässt. All das sieht man im Mikroskop und in der obigen Abbildung.

Einstürzende Eselsbrücken

Man kann dieses Spiel ebensowohl in der makroskopischen Anatomie spielen, auch ohne Papier und Bleistift. Auch sie, die Makroskopie, strotzt von bildlicher Sprache und Metaphern, wenn auch die sich meist hinter lateinischen und griechischen Fachbegriffen verbergen.

Kehlkopf

Zugegeben – unter dem Fachbegriff “Cartilago arytaenoidea / Arytaenoid” für das Ding da oben (es ist ein Knorpelchen aus dem Kehlkopf, an dem die Stimmbänder hängen) konnte ich mir, als ich das erstmals lernte, auch nichts vorstellen.

Also hab’ ich’s nachgeschaut, und die Übersetzung “Giessbeckenknorpel” gefunden. Unter einem “Giessbecken” konnte ich mir aber auch nichts rechtes vorstellen, bis ich diesen Knorpel im Geiste flachlegte – und da sah er auf einmal aus wie das Oberteil einer Sauciere mit Schnaupe, aus der man Sosse ausgiesst – sieh da: ein Giessbecken. Wieder was gelernt. Und noch ein neues Wort gleich mit: Schnaupe, der Ausguss an einem Gefäss.

sauciere

Hat ein wenig Arbeit gekostet, diese Metapher in meinem Kopf wieder zum Leben zu erwecken, aber die Studentenschaft hält derlei meist für der Mühe nicht für wert. Sie bevorzugt tote Metaphern, denn tote Dinge lassen sich gut in Tabellen pressen, die man dann auswendig lernt.

Dass die “Musculi serrati” so heissen, weil sie gezähnt wie eine Säge sind, stört da nur, macht es aber unter Umständen arg schwer, sie im Muskelgewühl des Präparates zu erkennen. Wenn man weiss, dass “Vena azygos” die “ungepaarte Vene” heisst, wird man nicht in Versuchung geraten, ihr Gegenstück auf der anderen Seite des Rumpfes zu suchen. Wenn man die “Lingula pulmomis” als das Zünglein der Lunge kennt, das am Beutel des Herzens leckt, wird man es dort auch leicht finden.

Aber die Erleichterung, die die Bilder bieten wollen, wird als Erschwernis verstanden:

“Ja wie – ich soll nicht nur die Namen kennen — ich soll auch noch wissen, was sie bedeuten?”

Ja. Denn das ist Wissenschaft.
Ja. Denn Medizin ist ein wissenschaftliches Studium.
Ja. Denn Wissenschaft ist die Kunst der Versprachlichung, ist der Übergang von der Sache zum Begriff. Die “harten” Naturwissenschaften bringen ihre Sachen in der Sprache der Mathematik zum Begriff und zur Theorie. Die “weicheren” (darunter die Anatomie) tun das mit Worten. Aber die Worte meinen Sachen. Und da, wo sie metaphorisch, als Bilder geprägt sind, wollen die Wortbilder Brücken zur Sache bauen.

Eselsbrücken also. Neuerdings einstürzende.

Der Tod der Bilder – Dialog III

Linke_Hand_mit_Tabatiere

Es gibt da an der Daumenseite der Handwurzel ein Grübchen, das heisst “Tabatiere anatomique” – die anatomische Schnupftabaksdose. Gut, das ist ein Eponym, ein Spitzname, ein Eselsbrücken-Name, aber ein hübscher. Den Namen kennen alle. In der “trockenen”, offiziellen Terminologie heisst das Grübchen “Fossula radialis”, weil sie gleich am Ende des Radius, eines Unterarmknochens liegt, von dem man auch einen Fortsatz (den Griffelfortsatz) in ihr tasten kann. Aber den korrekten, offiziellen Begriff verwendet und kennt kaum einer. Selbst die Anatomen reden meist nur von der “Tabatiere”. Weil’s so schön plakativ ist. Meinen sie.

Ein Student (ohnehin schon aus der Kategorie “viel und schnell und auch vielschnellfalsch redender Konfusionsrat”) erzählt mit in der Prüfung atemlos wirre Dinge von der Hand. Unter anderem ist im Schwall seiner Worte folgender Satz:

Er:
“Und da gibt es noch die Tabatiere anatomique, die so heisst, weil sie die Fossula radialis ist.”

Ich musste lachen, und zwar aus zwei Gründen. Erstens, weil ich mich wirklich drüber freute und ein wenig wunderte, dass er beide Begriffe kannte. Zweitens, weil ich meinte, dass er im rasenden Rausch seiner Worte einfach zwei Nebensätze, die der unsinnigen Kausalkonstruktion, die er mir vorhaspelte, Sinn gegeben hätten, verschluckt hatte. Und sagte also:

“Halt! Sehr schön und richtig! Die Tabatiere anatomique heisst auch Fossula radialis. Aber da müssen wir kurz noch was klären! Warum heisst die denn Fossula radialis?”

Beim nachfolgenden Gang an das Skelett stellte sich heraus, dass er weder wusste, wo die Fossula radialis war, noch was ihr zu tasten ist.

Gut, dachte ich mir, probier’s mal andersherum, ihn zu dieser Grube zu führen. Und sagte:

“Warum heisst die Grube denn Tabatiere?”
“Wegen des Schnupftabaks!”
“Machen Sie das doch mal vor!”

Und er machte eine Geste, bei der er den Tabak vom Handrücken schnupfte.

Entschuldigung, diese Grube hat er sich selbst gegraben.

Tote Bilder

Die Metapher, die Königin der Tropen, der Sprachwendungen. Dauernd reden wir in Bildern. So oft, dass wir es manchmal gar nicht mehr merken, wenn wir eine tote Metapher verwenden, ein bildliches Wort, bei dem wir uns kein Bild mehr bilden.

“Es ist stockfinster.”

Wer denkt da noch an den Stock, den Holzklotz? Der zweifach gelochte und gespaltene und schlossbewehrte Klotz, in den die Fesseln der Gefangenen im finsteren mittelalterlichen Kellerverlies, in der Zelle, in der die Stöcke standen, eingespannt wurden? Wer denkt noch daran, dass die Fesseln unserer Beine eben darum Fesseln heissen, weil man uns darum im finsteren Keller, wo die Stöcke stehen, ebenjene Stockfesseln legen kann?

Keiner. Ist ja auch egal. Jeder weiss, was mit “stockduster” gemeint ist.

Was für ein Etwas aber mit “Fibrozyt” gemeint ist, weiss nicht jeder. Das “spindelförmig” sollte einen Bezug zum Ding selbst herstellen. Dieser bildliche Bezug hat sich aber gelöst – vielleicht, weil das Bild der Spindel zusammen mit dem Vorgang des Spinnens von Hand aus unserer Bildwelt verschwunden ist. “Spindelförmig” hat sich verselbständigt. Es ist als tote Metapher zu einem sinnleeren, aber (in den Studentenköpfen) offenbar notwendigen Attribut zu “Fibrozyt” verkommen.

Das ist aber bedenklich, denn offenbar – wie wir aus den obigen Beispielen sahen – verhindert der Tod der Metapher, das Einstürzen der Eselsbrücke, das Erkennen der Dinge. Und Wissenschaft ist Erkenntnis. Und, ärger noch: die tote Metapher ist ein geradezu ärgerlicher Wortballast geworden, den es auch noch zu lernen gilt.

Das Sterben der Metaphern – oder besser: die Ignoranz ihnen gegenüber, denn kaum einer macht sich mehr die Mühe, sie durch Nachschlagen wiederzubeleben – macht das anatomische Sprach- und Denkwerk also nicht leichter: Es macht es schwieriger. Worte. Leere, tote, mitgeschleppte Worte.

Vielleicht muss eine neue Metaphorik her. Aber ich kenne keine einzige Struktur in der Anatomie, die “Smartphone-förmig” ist. Wohl aber weiss ich, dass ein Smart-Phone dazu taugt, sich den metaphorischen Gehalt eines Begriffes mal eben schnell zeigen zu lassen, die Dinger haben ja einen Bildschirm.

Auf dem gucken sich viele aber lieber ihre Selfies statt einer Sauciere an.

Kringel mit Punkt

Ich weiss wirklich nicht, wo

1Kringel mit Punkt

als falsche skizzenhafte Universalmetapher für eine Zelle herkommt. Als astronomisches Symbol steht es für die Sonne. In einer Zelle aber ist es stockduster (s.o.), und es waren wirklich die engen Zellen der Mönche im Kloster oder die Gefängniszellen, die Robert Hooke 1665 im Sinn hatte, als er die Pflanzenzellen, die er im Mikroskop sah, so benannte. Und natürlich sind diese Zellen ebensowenig rund wie eine Mönchszelle: Sie sind eckig.

Células_en_Micrographia_de_Robert_Hooke

Oh, es gibt runde Zellen! Die weissen Blutkörperchen zum Beispiel.

leukozyten

Aber der Zellkern ist nie ein Punkt. Er ist stets, wenn wir in zwei Dimensionen bleiben wollen, Fläche, mitunter bizarr geformt, mitunter ein regelmässiger Kreis, in der dritten Dimension dann ein Ball. Zellkerne haben innere Struktur, erscheinen mitunter solide, mitunter von fädigen Material erfüllt – all das sind diagnostische Kriterien, die man verwenden kann, um einen bestimmten Typ von Zelle zu erkennen. Auch dafür gibt es Metaphern. Eine der schönsten ist der “Radspeichenkern” der Plasmazellen – hier ist einer:

Abbildung 65

Leider ist’s das mit wenigen, groben Speichen versehenen hölzerne Rad eines Ochsenkarrens, das dieser Eselbrücke als Pfeiler diente. Ochsenkarren gibt’s kaum noch, und wieder stürzt die Eselsbrücke.

Zur Ehrenrettung des Kringels mit Punkt: Es gibt eine Struktur in der mikroskopischen Anatomie, die im Mikroskop tatsächlich so aussieht.

nerv quer

Quergeschnittene Nervenfasern nämlich. Der Kringel ist die Zelle, die die elektrische Isolierung bildet, die das leitende Kabel in der Mitte (den Punkt also) umgibt. Wobei der Punkt, zugegebenermassen, schon wieder keiner ist. Er hat eine gewisse Fläche. Mein geschätzter Kollege PD Dr. Udo Rüb hat eine neue Metapher geprägt, die dem Rechnung trägt.

tofifee
“Sieht aus wie ein Tofifee.”

Auch gut. Passt. Nur werden die Tofifees, so fürchte ich, noch schneller aus unseren Bildwelten verschwinden als die Spindeln und die finsteren Verliese.

Post-Nominalismus

Als Nominalismus bezeichnet man jene (sprach-) ontologische Haltung, der zu folgen die Allgemeinbegriffe sich bilden, indem man den Dingen ihre Gemeinsamkeiten abschaut. Die Dinge gehen dem Allgemeinbegriff allemal voran, sind vorher da, und weil man die Spindel im Spinnrad ebensowohl erkennt wie in der Gestalt des Fibrozyten, bildet sich der Begriff “spindelförmig” als Allgemeinbegriff, als Abstraktum, als etwas, das wirklich “von den Sachen abgezogen” (das heisst “abstrahere”) ist.

In den Allgemeinbegriffen ist also nicht die Sache selbst, sondern immer nur ein Aspekt, ein Stück von ihr, die Worte, die Namen (Nomina) sind die Sache selbst nicht. Wohl können wir die Worte haben, deren Wesen erfassen – aber damit haben wir das Wesen der Sachen noch lange nicht.

rose

Bernhard von Cluny (um 1150) hat diese Fremdheit, die Trauer darüber, dass wir nie die Dinge der Welt, sondern nur unsere Worte über sie wirklich haben und begreifen können, in die berühmte Zeile gefasst:

“stat rosa pristina nomine, nomina nuda tenemus”

“Die Rose von einst blüht nur noch dem Namen nach, wir haben nur nackte Worte in der Hand.”

Und doch ist selbst in Cluny’s traurigem Rosenreim (denn er reimt, er alliteriert) noch ein Band, das vom Wort zum Ding führt: Das Bild der Rose, das wir im Kopf haben, wenn wir Rose sagen. Was diesen armen Medizinstudenten passiert ist (oder was sie sich selber angetan haben), ist noch viel ärger:

“ne quidem nomine stat rosa pristina, nomina vana tenemus”

“Noch nicht mal mehr dem Namen nach blüht uns die Rose von einst, wir haben nur leere Worte im Kopf behalten.”

Und jetzt?

Ist das schlimm? Ist das traurig? Ist das wichtig? Muss man da klagen? Muss man da was tun?

Jajajajajaja.

Die Wurschtigkeit mancher Linguisten, die den Sprachwandel halt als kulturelles Phänomen konstatiert, den im Sinne von “gut” oder “schlecht” zu bewerten niemandem zusteht, ist hier ganz und gar fehl am Platze. Denn es geht nicht um irgendeine Alltagssprache, sondern um eine Wissenschaftssprache, der es wesentlich ist, dass das Band von Gesagten zum Gemeinten eng geknüpft sei.

Und wenn dieses Band zerreisst – dann wehe. Wenn der Anatom die Spindel nicht mehr als Spindel und den Fibrozyten deshalb nicht mehr als Fibrozyten erkennt, dann ist das, als ob der Arithmetiker fünfe gerade sein liesse und sich wunderte, wenn ihm deshalb die Primzahlen durcheinander geraten.

Was hier geschieht, ist wirklich “schlecht”. Schlecht in dem moralischen Sinne, dass es nicht zielführend ist, dass es den Weg der Wissenschaft auf Abwege bringt, dass Dunkelheit und Blindheit in Köpfen herrscht, wo einst Bilderfülle war, die zu den Dingen selbst hinführte. Es ist wie in Platons Höhlengleichnis: Man gibt sich mit den Wortschatten der Dinge zufrieden, wiewohl man – und man hätte die Freiheit – sich nur ein wenig wenden, ein wenig anstrengen müsste, um die Dinge selbst, die die Schatten werfen, zu erkennen.

Fehl am Platze ist das Gejammer über “die armen Studenten, die ja achsoviel lernen müssen.” Die sind nicht nur zum Lernen da. Die sind vor allem zum Denken-Lernen da. Und genau das schalten sie allzu gerne ab. Viele zumindest. Man hat es ihnen wohl aberzogen. Ich war es nicht.

Ebenso fehl geht das Geschimpfe über die “bösen Professoren und Dozenten, die den Studenten das vorher nicht beibringen, was sie hinterher aus ihnen herausprüfen wollen”. Das ist völliger Quatsch. Wir überschütten die Studierenden in der Anatomie mit den Bildern zur Sache, nie habe ich als Dozent eine Zelle als Kringel mit Punkt skizziert, stets habe ich versucht zu erklären, was der Bildgehalt eines Wortes sei (und sei es eine Sauciere) – es ist wurscht. Viele wollen aus falschverstandener Denkökonomie heraus nicht begreifen.

Und manche können es nicht.

Oder ich kann es nicht gescheit lehren, was ebensowohl sein mag

Ergo bibamus

Was also?

Eine neue Metaphorik wäre eine Möglichkeit. Frische Bilder. “Tofifee” für die Nervenfaser. Nur fällt mir um’s Verplatzen kein anderes Wort für “Spindel” ein. “Beidseitig zugespitzter gerader Stab mit dickerer Mitte” — soll ich das sagen? Oder einfach eine Spindel zeigen und “die Gestalt von dem da” sagen? Und dann eine Mönchszelle zeigen und “die Gestalt von diesem da” sagen. Und dann, damit man die “Gestalt von dem da” (dem Fibrozyten) von der “Gestalt von diesem da” (der eckigen Epithelzelle) unterscheiden kann, die Sache einfach numerieren?

(#1) – Fibrozyt.

(#2) – Epithelzelle

(#2a) – Epithelzelle, hexagonal

(#2b) – Epithelzelle, pentagonal

(usf., durch alle Zelltypen hindurch, die Liste geht geschätzt in die tausende)

“Bitte bis in drei Wochen die Zahlen zu den Begriffen auswendig lernen!”
“Wird gemacht! Müssen wir die Sachen dann auch erkennen?”
“Nein, die Zahlen reichen.”
“Klasse! Danke für die genaue Lernzielangabe! Sie sind der beste Dozent weit und breit!”

Lernziele. Wir haben Lernzielkataloge an der Uni.
Aber keine Erkenntniszielkataloge.
Da liegt der Fehler.

Ergo bibamus.
Ich besauf’ mich jetzt.

 

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Veröffentlicht von

Gedankenfragmente von Helmut Wicht, Dozent an der Frankfurter Universität, über Neurobiologie, Anatomie, Philosophie, Gott und die Welt. Seine eigentliche Expertise bezieht sich auf die (Human-)anatomie und die vergleichende Anatomie des Nervensystems.

30 Kommentare

  1. Schreiben sie doch mal ein Märchenbuch für Medizinstudenten.Mit Geschichten wie “Spindelförmiger Fibrozyt verliebt sich in Medizinstudentin. Und natürlich sehr vielen – selbst gezeichneten – Bildern dazu.

    • Ich erzähle denen alle diese “Märchen”. Ich hab’ sogar zwei Bücher mit “Anatomischen Anekdoten” geschrieben. Es fruchtet nichts.

      Viele wollen gar kein Verstädnis.
      Sie wollen Scheine.

      Und es ist nicht ihre Schuld. Es sind UNSERE Kinder. Wir haben sie gemacht.

      • Zwei (!) Bücher ???

        Ah, erschienen November 2014. Das erklärt eventuell die lange Durststrecke, zumindest entschädigt es dafür. Zum Glück hatte ich noch kein Geschenk für mich zu Weihnachten.

        Vielleicht fruchtet es denn demnächst doch noch, (Achtung, Metapher:) man soll ja bekanntlich die Flinte nicht so schnell ins Korn werfen.

        Im übrigen bin ich mir keiner Schuld bewusst.

    • Sieht in der Tat aus wie manche moderne, grobspeichige Autofelge. Nur ist “alufelgenartig” aber keine allzu passende Metapher, denn die habe ja nicht notwendig Speichen, sind ja oft scheibenartig.
      Die groben, am Ende verdickten Speichen müsste irgendwie hinein — der Rotor eines Ventilators sieht so ähnlich aus wie das Chromatin dieses Zellkernes.
      “Ventilatorotoeides”?
      (“nach dem Bilde des Rotors des Ventilators geformt”)
      Hmmm…

  2. Dank auch von meiner Seite für den neuen Artikel. Damit geht eine lange Durststrecke zu Ende. Das ist vorgezogenes Wein-achten.

    Das mit Kringel und Punkt kann ich übrigens gut nachvollziehen. Wenn ich eine Zelle zeichnen soll, denke ich auch unwillkürlich zunächst an Einzeller. Das waren im Biologieunterricht die ersten Zellen, die ich (aus-)malen sollte. – Ich kann gar nicht malen! – Die wichtigsten Elemente waren, meine ich, Hülle und Kern, also nicht ganz runder Kreis und dicker Punkt.

    Dann erinnere ich mich noch an Ei- und Spermazellen. Die gibt’s auch weder rechteckig noch pentagonal, oder? Und davon sollen ja alle anderen menschlichen Zellen abstammen.

    Schließlich muss ich mich noch mit der einen Studentin, der mit der gezeichneten Spirale, solidarisch erklären. Geben Sie bei Google doch mal den Begriff “Spindeltreppe” ein und schauen sich die Bilder an. Nach derart geformten Zellen hätte auch ich gesucht, einer falschen Brücke folgend, ich Esel.

    • Wenn man’s genau nimmt, dann hat die Studentin eine Wendel oder Schraube gezeichnet… (ist für Deine freundliche Solidaritätsbekundung aber völlig unerheblich).

      • Das ist wahr, und den Schuh dieser Ignoranz ziehe ich mir an – ich lasse den Fehler, den ich da gemacht habe, erstmal stehen.

  3. “Die Wurschtigkeit mancher Linguisten, die den Sprachwandel halt als kulturelles Phänomen konstatiert, den im Sinne von “gut” oder “schlecht” zu bewerten niemandem zusteht, ist hier ganz und gar fehl am Platze. ”
    Das ist keine Wurschtigkeit, die Sprachwissenschaft ist dazu da Sprache, wie sie täglich produziert wird zu untersuchen und zu beschreiben ohne sie zu bewerten: wenn jemand Sprache bewertet dann spricht er nicht als Sprachwissenschaftler sondern als naja Feminist, Katholik Moslem, Heterosexuller, Transvestit, Unternehmer, Arbeiter usw. Natürlich steht es jedem zu aus seiner jeweiligen Position heraus Eigenheiten des Sprachgebrauchs als “gut”, “schlecht”,, “schön” oder “hässlich” zu bezeichnen, aber sie/er/x spricht er halt nicht als Sprachwissenschaftler. Der/die/x Sprachwissenschaftler(inn)x kann einfach nicht die Arbeit des Mediziners, Bauarbeiters oder Dönerbraters machen der eine Sprache für seinen jeweiligen Weltbezug sucht aber kann ir/(m)/x dabei schon helfen wenn er nett gefragt wird.
    Ansonsten ein sehr kluger und inspieiriender artikel. Sorry for the mistakes. German’s ehh, only one of my languages.

    • Das war ein Seitenhieb, von dem ich wusste, dass er als Tiefschlag aufgefasst werden würde, zumal man ihn ja auch als Schlag in meine EIGENE Magengrube verstehen kann, denn ich offenbare hier ja eine grobe Ignoranz gegenüber dem Fach “Linguistik”.

      Fern sei es von mir, irgendeine Gender-Debatte aufmachen zu wollen. Aber ich spüre eine gewisse generelle Verlotterung der geschriebenen und gesprochenen Sprache, die ich nicht nur einfach unter “Sprachwandel” abnicken möchte. Als Beispiel aus der Ecke der Populärwissenschaft (denn das versuche ich hier auch: Wissenschaft populär zu machen) möchte ich den Bestseller “Darm mit Charme” anführen, dessen infantile “pipikacka”-Sprache ich nun gar nicht charmant finden mag.

      Ich würde an den Sprachwandel schon eine Messlatte anlegen – eine ästhetische halt, wohl wissend, dass das eine sehr subjektive Skala sein wird. Ich will nicht soweit gehen wie Karl Krauss, der mal über Heine (den ich übrigens ebenso schätze wie Krauss) gesagt hat, “er habe das Mieder der deutschen Sprache soweit gelockert, dass seither jeder Kommis meint, darin herumfingern zu können.” Aber mit Dreckfingern sollte man der Sprache nicht an die Brüste gehen.

      Wie gesagt, mit ist klar, dass es nicht das Geschäft des Sprachwissenschaftlers ist, zu werten. Aber ganz ohne Wertung geht es nicht, und da müssen dann wohl die, die selber sprechen und schreiben, ‘ran.

      Aber das geschieht ja auch dauernd, denn im Kern ist ja jedes Reden und Schreiben ein Stück Sprachkritik – man affirmiert seinen eigenen Stil und kritisiert schon damit den der anderen.

      • Danke für die Antwort und Enschuldigung,
        liegt mir fern gewaltätig zu werden. Ich bin selber kein Sprachwissenschaftler, bin aber mit ein paar befreundet. Die muss ich schon verteidigen.

        Ausserdem, mir schien der Angriff ein bisschen von der “The Two Cultures” Krankheit zu kommen. Also einerseits die Angehörigen der ach so rational, materialistisch, nützlichen MINT-Fächer (Pfefferminzwissenschaft, Das Wort ist imho (sic) saublöd und hässlich.) für die Humanities nur schädliches Blahblah ist und andereseits dann das pseudopostmodern pseudolinke (eigentlich reaktionäre) Gelaber von der bösen unspirituellen Naturwissenschaft, die unkritischer Sklave der bestehenden Verhältnisse sei, usw. usf.. Argumentationen die sowas füttern haben imho keinen Respekt vor elementaren menschlichen materiellen und geistigen Bedürfnissen und müssen aus ethischen Gründen massiv bestraft, werden. Das im Blogbeitrag beschriebene Desinteresse der Anatomiestudenten am spachlichen und begrifflichen kommt möglicherweise auch daher (also Haltung: “Warum brauch ich Worte wenn ich Diagramme, Bilder und Formeln hab.)
        Die von mir erwähnten Bauarbeiter udn Dönerbrater die ich imho (aus beruflichen usw. Gründen) ganz gut kenne, scheinen trotz Mangel an akademischer Bildung und niedrigem Sozioökonomischem Status, die Adaption ihrer Sprache an die Berufswelt auch ohne externe Hilfe problemlos und effektiv zu bewältigen. (Umso schlimmer für die Studentlein.) Nix zu merken von allgemeiner Verlotterung. Können die sich gar nicht leisten.
        Das erwähnte Darmbuch ist imho ein völlig kommerzielles Kunstprodukt (so eine Art populäwissenschaftliche Kartoffelchips
        lecker aber unnötig und ungesund) und zur Beurteilung allgemeiner Tendenzen der
        Sprachentwicklun nur sehr bedingt geeignet.

        • Das mit der “two-cultures-Krankheit” habe ich nicht – oder vielleicht falsch – verstanden. Es geht mir – als Naturwissenschaftler – ja gerade darum, die Sprache auch innerhalb meiner Wissenschaft hochzuhalten, und zwar nicht nur als Fachsprache, sondern auch als ästhetische Unternehmung, als eine Art von “geisteswissenschaftlichem Mehrwert”, sozusagen, der die Beschäftigung mit den todlangweiligen Dingen der Natur erst spannend macht. In meiner Selbstwahrnehmung bin ich eigentlich ein Geisteswissenschaftler, der sich in die Naturwissenschaften verlaufen hat.

          Fragen Sie mal meine Studenten – die werden Ihnen bestätigen, dass ich die Anatomie zwar auch als Handwerk (mit Pinzette und Skalpell) aber eben auch als “Laberfach” betreibe – die kommen mir nicht davon, ohne sich alle möglichen Kreuz- und Querbezüge der anatomsichen Fachsprache in Kunst- und Kulturgeschichte anhören zu müssen.

          Denn natürlich sind es keine “zwei Kulturen” – es gibt nur eine, die des Geistes. “Vivitur ingenio, caetera mortis erunt.” (Motto Vesals, des grössten Anatomen.)

  4. Vielleicht sollten Sie die erste Ana1-Vorlesung mit etwas Erkenntnistheorie von Kant beginnen, einleitend mit dem Zitat: “Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.” Beispiele hierfür besitzen Sie ja zu genüge.
    Verzweifeln Sie nicht, Sie machen einen guten Job.

    Liebe Grüße

    Student der Humanmedizin 5. Semester, Goethe-Uni

    • Danke!
      Ist das Kant?
      Ich bilde mir ein, das fast genauso bei Schopenhauer gelesen zu haben – was aber auch nicht verwunderlich wäre, die Nähe der beiden bedenkend.
      Gruss
      Wicht

        • Danke, Dietmar!
          Ich glaub’, ich mach mir im nächsten Semester den Spass und lese diesen Absatz in der Vorlesung vor, bevor es an die Histologie und an die Bilder geht.

          Gruss
          Helmut

      • “Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.”

        Eine wahrlich schöne und geistreiche Metapher.

        Ich frage mich gerade, mit welcher die Zeiten überdauernden Eselsbrücke könnte sich ein Student der Philosophie wohl helfen, um im Prüfungsfall, die Autorenschaft sicher herleiten zu können?

        Mir fällt kein passendes Bild ein. Es bleibt nur, “Bitte bis in drei Wochen die Autoren zu den Zitaten auswendig lernen!”

        Anatomiestudenten haben es leicht.

  5. Herrlich! Endlich wieder “ein Wicht”…

    Ich konnte in meiner Histologieprüfung übrigens für die Spindelform auch die Zigarrenform bemühen (z. B. für eine glatte Muskelzelle).

    Mir ist aber auch aufgefallen, dass die Bilder der Anatomen – und derer gibt es viele – uns Studierende oftmals mehr schrullig als hilfreich vorkommen. Ich denke da an so Strukturen wie das Bochdaleksche Blumenkörbchen, den Hippocampus, der mit viel Phantasie aussieht wie ein Seepferdchen oder das/der (?) Corpus mammillare, woran man erkennt, dass die alten Anatomen “auch nur Männer” waren.

    Richtig fies werden diese Metaphern dann, wenn sie auch noch funktionelle Zusammenhänge erläutern sollen. Dabei denke ich z. B. an die “Windkesselfunktion der Aorta”. Heutzutage erklären die Dozenten eher den Windkessel mit der Aorta als andersherum.

    Ich glaube auch, dass es eine Tendenz der Zeit ist, alles zu ver”ökonomisieren” und möglichst wenig über die Sachen, für die man sich eigentlich in einem wissenschaftlichen Studium interessieren sollte, nachzudenken. Eine Lösung habe ich ebensowenig. Aber: Das Schimpfen auf die “Jugend von heute” haben – meines Wissens – auch Sokrates und Aristoteles schon betrieben. Vor knapp 2000 Jahren…

    • Jugendschimpfe war nicht intendiert. Denkfaulheit ist generationenübergreifend. Wie oben geschrieben: Fragen Sie selbst gestandene Anatomen, was “arytaenoides” bedeutet. Die meisten werden’s nicht wissen.

      Zur Ehrenrettung der alten Männer – nicht nur Brüste sahen sie hier und dort, das Hirn hat auch einen Penis.

  6. Moment. Ich muss mich korrigieren: Als zigarrenförmig wurden nur die Kerne der glatten Muskelzellen bezeichnet…

  7. Ich bin fachfremd, müssen die Studenten eigentlich Kurse im Zeichnen von Präparaten belegen?

    Jedes Kind weiß, wie man einen Baum zeichnet, denn es kennt Bäume und kann sie als Symbol abstrahieren, einen Strich für den Stamm, einen runden Kreis oder Scheibe darauf. Das hat mit Zeichentalent nichts zu tun.
    Die Formen in unserem Körper sind dagegen unbekannt, fremdartig, wirken auf den ungeschulten Blick “amorph”, bis der Zeichner mit viel Nachdenken und Schauen Formen erkennt.

    Viele denken, Zeichnen können, das besteht aus handwerklichen Geschick. Dazu gehört aber zuallererst Abstraktionsvermögen. Wer Formen (bzw. Muster) nicht wahrnehmen kann, kann auch nicht zeichnen, wer nicht weiß, was Zeichnen ist, erkennt auch keine Formen.

    Wenn ich mich recht erinnere, war es für die europäischen Zeichner, die als erste Maya-Hieroglyphen zeichnen wollte, ebenfalls sehr schwierig, die Formen zu erkennen und aufzuzeichnen. Analogien sind da sehr hilfreich, jedenfalls, wenn man die Analogie selbst entdeckt und nicht aus “toten” Worten in Lehrbüchern leiht.

    Etwas gedanklich zu abstrahieren lernt man am Besten durch die Praxis, indem man selbst etwas abzeichnet, am Besten zuerst vielleicht nach einem Foto, das dem ungeschulten Zeichner schon eine Abstraktionsstufe abnimmt. Die Aufgabe würde z.B. lauten: Zeichnen Sie die wesentlichen Eigenschaften dieses Zelltyps, den Sie hier in so zahlreich im Zellverband sehen. Jede einzelnen Zelle sieht etwas anders aus, aber was haben alle gemeinsam?

    Wenn das Prinzip verstanden ist, kann man es auch gedanklich auf andere Fälle applizieren. Das handwerkliche Geschick muss ja nicht wirklich trainiert werden. Ziel ist es ja, mit Hilfe des Zeichnens das Vermögen zu lernen, Formen zu erkennen, damit man später in der Praxis auch etwas erkennt, wenn man etwas bestimmen muss.

    Aber vielleicht trage ich ja Eulen nach Athen und alles hilft nichts, dann unterstütze ich Ihren Ansatz mit dem Besaufen.

    • Mein Reden.
      Zeichentalent ist nicht gefragt. Gefragt ist, ob man ein Bild im Kopf hat.
      Das visuelle “Prinzip” der Zelle ist keineswags “Kringel mit Punkt”.
      Diese Zellen sind vielgestaltig.
      “Kringel mit Punkt” ist nicht nur Denkfaulheit.
      Es ist Anschauungsfaulheit.

  8. Irgendwie muss ich grübeln, dass hier keine rationalen Schlussfolgerungen angeboten werden. Das kann aber mit dem typischen Spiegelproblem zu tun haben. Ist man selbst betroffen, will man den rationalen Schluss lieber nicht ziehen, denn man müsste ja über seine eigenen schwarzen Löcher bei Interaktion nachdenken.
    Die Sache ist für mich simpel. Der Bildspeicher – vermutlich in der rechten Hirnhälfte, denn biologische Bilder sollten evtl. nicht abstrakt genug sein, um im rationalen (Mutter)Sprachzentrum verankert zu sein – ist zugeschrottet mit sinnloser, komplexer Bilderflut (stundenlang pro Tag dröhnen sich die Studierenden Bilder ins Hirn, völlig unstrukturiert und zur Endorphinausschüttung, weil man ja kein normalen Sozialkontakte (verbale Kommunikation) mehr führt. Das es schlimm ist, hatte ich befürchtet, aber so schlimm…!!??? Was sollen das für Ärzte werden?? Handys abgeben, Uhren abgeben und Professoren samt Studierende 3 Monate in die Steppe, damit sie im wahrsten Sinne des Wortes einmal wieder “KLARE BILDER” sehen. Mich wundert gar nichts mehr. Die letzten 15 Jahre haben auch die letzten WissenschaftlerInnen ins “Überrennen” ihrer eigenen Möglichkeiten gebracht, und nun denken sie ernsthaft, die Pixelwelt zwischen Handy und Laptop und Whatsapp-Gestammel mit Emoticons (Prosodie Fehlanzeige) wäre ein Leben… Aber die Universitäten sind ja genauso pervers und glauben an E-learning und “intuitive” Bedienung von Geräten. Zum Totlachen, eine Minderheit von Stresswissenschaftlern hat das Emo-Zentrum noch nicht so totgelegt, dass das was “Intuitives” herauskommen könnte. Ich übertreibe natürlich, aber ohne extreme Übertreibung, nimmt sowieso keiner mehr etwas wahr. Also, einfach mal die Fachkollegen, welche über Hirn forschen, mal fragen, woran den sowas nur liegen kann… (Achtung – keinen Kollegen fragen der mit Pixelkram protzt, denn er MUSS mit seinen persönlichen Pixelproblemen natürlich an der Sache vorbeidenken. Wir wissen es seit Ewigkeiten und stellen uns doch wie eh und je so an, als könnte ein Prof. etwas Wahres entdecken. Absoluter Unsinn. Selbst für kleine Wahrheiten brauchts wohl n=4 gleichberechtigter Akteure, sonst ist alles nur Pseudowissenschaft. Man nenne mir eine medizinische Forschungsabteilung, in der 4 gleichberechtigte Kollegen miteinander PROBLEMORIENTIERT, KRITISCH ZUM THEMA (ohne Karrieregeilheit im Hinterkopf) kommunizieren. Na ja, Perspektive wechseln, das hat der Mediziner offenbar nun im Pixelwahn endgültig gestrichen. Es richtet sich nicht gegen den Autor hier, sondern gegen ein krankes System. Wissenschaft ist nie Wettbewerb gewesen – sie war immer kritische KOOPERATION. Grundgesetz ade… Fehlt nur noch die Kultur abzuschießen, dann schieben wir uns demnächst den Bildspeicher durch einen Schlitz, den wir den Kindern mit 6 Jahren in den Schädel fräsen. Aufwachen, hier bilden Kranke Kranke aus! So ist unser Gehirn angelegt, sich die persönliche Welt schön reden, uns austricksen und lügen. Aber irgendwann, kommt man dann doch einmal darauf, das die Ehefrau doch nicht jede Woche zum Romme-Abend mit älteren Damen geht… Macht Euren Job richtig bzw. lasst Euch helfen, um ihn danach wieder richtig machen zu können. 3 Montate Auszeit ohne Uhr und Pixelkram sollten reichen, wenn sich noch etwas Natur finden lässt. Wer Wortfindungsstörungen hat, sollte es SOFORT tun.

  9. Wie mir scheint haben Ihre Studenten nur den Zellkern erkannt und nicht die Zelle als ganzes. Das ist meine einzige Erklärung für die Zeichnungen. Denn eigentlich muss man doch wissen, dass die Zellen niemals in einem Zellverband rund sind und einfach im Raum “hängen”. Für Immunzellen würde runde Kreise ja noch passen. Wirklich sonderbar..
    Was aber die Eselsbrücken angeht…es braucht Zeit sich diese selbst zu schaffen, wenn man es nicht gewohnt ist. Dann ist es am Anfang auf jeden Fall mehr Arbeit und dafür hat man meistens nicht die Zeit, bei der Menge des Stoffs (auch wenn es sinnvoll wäre).

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