Pompeji und Herculaneum – das Eldorado für die Klassische Archäologie

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„Es ist viel Unheil in der Welt geschehen, aber wenig, das den Nachkommen so viel Freude gemacht hätte“[1]. Goethes (1749-1832) Empfindung während seines Besuches von Pompeji im Jahr 1787 hat bis heute für viele Gültigkeit. Das Besondere ist der sehr gute Erhaltungszustand. Pompeji und Herculaneum ermöglichen einen direkten Einblick in den Alltag der ehemaligen Bewohner aus römischer Kaiserzeit. Die Einmaligkeit des Fundortes ist das Ergebnis einer verheerenden Naturkatastrophe. Im Jahr 79 n.Chr. wurde die kleinen Landstädte vom nahegelegenen Vulkan, mit Namen Vesuv, zerstört.

Pompeji[2] wurde nicht völlig durch den Vulkan verschüttet. Umrisse von großen Gebäuden blieben in der Landschaft als Orientierungspunkte erkennbar. Aus diesem Grund wurde bereits in der Antike mit Ausgrabungen begonnen, die ungebrochen bis heute andauern. Kurze Zeit nach der Katastrophe wurde primär nach Wertgegenständen gesucht, beispielsweise Bronze und Marmor. Raubgräben und sogar Skelettreste von verschütteten Raubgräbern zeugen von einer umfassenden Durchforschung der Stadt. 1748 entschied man sich punktuell nach Skulpturen und Wandmalerei zu suchen, erst ab 1755 wurde kontinuierlich gegraben.[3] Um 1860 war der westliche Teil der Stadt weitgehend bekannt. Wichtige Funde – neben vielen anderen – waren der Apollon Tempel, die Casa del Fauno und die Casa del Poeta Tragico. Die Ausgrabungstechnik blieb bis zum 19. Jahrhundert gleich: Jedes Haus wurde auf das Straßenniveau von 79 n.Chr. freigeräumt, jeglicher Ausstattung beraubt und unter Schutzdächer gestellt. Diese ‚Zerstückelung‘ der Funde wurde von Beginn an kritisiert. Zumindest die wichtigsten Funde wurden in Museen konserviert. Der Rest ist verloren.[4] Erst ab 1911 unter Vittorio Spinanzola änderte sich das Ausgrabungskonzept: Es wurde noch Fassaden freigelegt, aber nur noch in ‚lohnend‘ erscheinende Häuser eingedrungen. Wichtigster Fund war u.a. die Villa dei Misteri.[5] Mittlerweile beschränken sich die Ausgrabungen auf ausgewählte Tiefgrabungen, die auch unter das Straßenniveau von 79 n.Chr. gehen, um etwas über die Siedlungsgeschichte zu erfahren. Der Zweite Weltkrieg brachte auch für die Ruinen Pompejis Zerstörung: 1943 bombardierten Flugzeuge der Alliierten die Ruinen Pompejis, weil sie glauben eine deutsche Panzerdivision habe sich in den Ruinen versteckt.

Mit einer Freilegung der ganzen Stadt ist erst in ferner Zukunft zu rechnen. Eine umfassende Ausgrabung wird im Augenblick auch nicht erwünscht, da es große Probleme in der Ruinenerhaltung gibt. Das Gestein konserviert die Ruinen weitaus besser, als es heute durch die menschliche Technik möglich wäre. Dies widerspricht dem populären Wunsch nach einem Freilichtmuseum.

Pompeji war nicht die einzige Siedlung, die 79 n.Chr. vom Vesuv verschluckt wurde. Auch Herculaneum[6] wurde zerstört. Doch anders als Pompeji wurde Herculaneum so tief und massiv verschüttet, dass keine Plünderungen möglich waren. Ein erneuter Ausbruch des Vulkans im Jahr 1631 verstärkte die Steinschichten auf bis zu 25 Meter. 1709 wurden erste Stollengrabungen von Prinz d’Elbœuf unternommen. Es wurden zahlreiche Statuen geborgen. 1776 endeten die Ausgrabungen bzw. Stollengrabung und wurden erst 1828 erneut begonnen.[7] Weitere Statuen, Hausfassaden und Thermen wurden entdeckt. 1927 erhielten die Ausgrabungsunternehmen große Unterstützung von Benito Mussolini: Acht innerstädtische Insulae (Häuserblöcke) und die suburbanen Thermen wurden freigelegt. Nach 1960 erfolgten kleinere Ausgrabungen. Entdeckt und ausgegraben wurden das Theater, der Bereich der sogenannten Basilika und die suburbane Villa dei Papiri (römische Villa mit zahlreichen Papyrus-Schriftrollen).[8] Ein Abschluss der Ausgrabungen ist nicht abzusehen. Im Gegensatz zu Pompeji ist Herculaneum weniger bekannt und populär: Hauptgrund ist die Bergungsproblematik.

Es ist nicht verwunderlich, das Pompeji und Herculaneum zum Sinnbild für die vermeintliche Nähe der antiken Lebenswelt wurden. Mehr als zwei Millionen Menschen besuchen die Ausgrabungsorte jährlich und bilden einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor der Region. Die Hoffnung der Archäologen liegt im Augenblick vor allem auf neuen Konservierungstechniken. Erst dann ist mit erneuten, umfangreicheren Grabungen zu rechnen.


[1] Vgl. Johann Wolfgang von Goethe: Italienische Reise. Neapel, den 13. März 1787, Band 11, in: Erich Trunz (Hg.): Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, Hamburg 1948, S.178-225. (http://www.zeno.org/nid/20004859707) 24.01.2015.

[2] Vgl. Valentin Kockel: Pompeji, DNP, (Brill Online 2015).

[3] Vgl. Christopher Charles Parslow: Rediscovering Antiquity. Karl Weber and the Excavation of Herculaneum, Pompeii and Stabiae, Cambridge 1998.

[4] Vgl. Egon Cäsar Conte Corti: Untergang und Auferstehung von Pompeji und Herculaneum, hrsg. von Theodor. Kraus, München 1978.

[5] Vgl. Soprintendenza Archeologica per le Province di Napoli e Caserta (Hg.): Alla ricerca di Iside, Ausstellungskatalog, Neapel 1992.

[6] Vgl. Valentin Kockel: Herculaneum, DNP, (Brill Online 2015).

[7] Vgl. Agnes Allroggen-Bedel: Winckelmann und die Archäologie im Königreich Neapel, in: Max Kunze (Hg.): Johann Joachim Winckelmann. Neue Forschung, Stendal 1990, S.27-46.

[8] Vgl. Antonio De Simone et al.: Lo scavo della Villa dei Papiri, in: Cronache Ercolanesi 28 (1998), S.1-63.

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Herzlich Willkommen! ‚Geschichte‘ ist ein Sammelbegriff für unendlich viele Geschichten: Geschichten von Menschen, Begriffen, Gruppen, Ereignissen, Ideen, Umbrüchen, Kulturen, Grenzen, Unterschieden, Mentalitäten, […]. Es gibt keine menschliche Eigenheit ohne Geschichte. Ich werde euch kurze Einblicke in die Alte Geschichte geben. Warum Alte Geschichte? Aus Leidenschaft und weil es mein Studienschwerpunkt ist. Eure Jessica Koch

8 Kommentare

  1. In Ihrem Beitrag “Schrift als Voraussetzung von Geschichtswissenschaft” schreiben Sie:

    “Damit Geschichte konserviert werden kann, ist Schriftlichkeit notwendig”

    In diesem neuen Beitrag habe ich den Eindruck, dass alternativ auch ein gemäßigter Vulkanausbruch die gleiche Funktion erfüllt.

    Nun ist mir nicht ganz klar, wie es um das Verhältnis von Klassischer Archäologie und Geschichtswissenschaft steht. Ob es separate Gebiete sind, oder letzteres Wissensgebiet der Oberbegriff ist.

    Wie dem auch sei, in Pompeji und Herculaneum gibt es beides:

    Aussagekräftige archäolgische Fundstücke und ebenso aufschlussreiche phonemische Alphabetschriften.

    • In meinem vorangegangenen Artikel ging ich der Frage nach, ob Schrift eine Voraussetzung für Geschichte als Wissenschaft ist. Und die Antwort war: ja! (Zumindest in meiner Meinung, ich lasse mich auch gerne vom Gegenteil überzeugen). In der Geisteswissenschaft gibt es im Augenblick keine andere Möglichkeit als unsere Erkenntnisse durch Schrift festzuhalten. (Die Naturwissenschaften haben noch Zahlensysteme, aber selbst dann werden die Beschreibungen etc. durch Schrift fixiert). Erst die Schrift ermöglicht es einer Wissenschaft zur Wissenschaft zu werden, da erst durch Schrift komplexe Gegenstände, Ideen etc. in relativ kurzer Form komprimiert und fixiert werden und lange Zeit überdauern.

      Geschichte an sich, wird natürlich nicht nur durch Schrift konserviert. Hinter jedem nur erdenklichen Gegenstand, materiell oder immateriell, steckt Geschichte. Die Geschichtswissenschaft versucht solche Gegenstände zu ordnen: Die Ergebnisse werden schriftlich festgehalten.

      Zwischen Historikern, Archäologen und Philologen gibt es in gewisser Weise einen Methodenstreit: Jede dieser Wissenschaften behauptet für sich ‘Hauptwissenschaft’ zu sein und degradiert die anderen Wissenschaften zur ‘Hilfswissenschaft’. Während Historiker und Philologen vor allem schriftliche Quellen analysieren, stehen bei Archäologen materielle und visuell erfassbare Hinterlassenschaften im Mittelpunkt, die sie durch Feldarbeit erhalten. Letzten Endes sind alle drei Wissenschaften sehr eng miteinander verbunden und je nach Fragestellung und Ausgangspunkt abhängig. Daneben gibt es noch zahlreiche andere Wissenschaften, die sich ebenfalls mit Geschichte befassen: beispielsweise die Epigrafik (spezialisiert auf Inschriften), die Numismatik (spezialisiert auf Münzen), die Papyrologie (spezialisiert auf das Material der Schriften), Dendrochronologie (Jahresringe von Bäumen, bei alten Siedlungen interessant), Radiokarbondatierung (Altersfeststellung durch Kohlenstoffatome) etc. Die Anzahl an Wissenschaften, die uns Erkenntnisse über die Antike Lebenswelt liefert, ist unbegrenzt groß und überschneidet sich in weiten Teilen. Aber alle Wissenschaften sind notwendig und helfen uns neue Erkenntnisse über die Antike zu erhalten.

  2. “Nun ist mir nicht ganz klar, wie es um das Verhältnis von Klassischer Archäologie und Geschichtswissenschaft steht. Ob es separate Gebiete sind, oder letzteres Wissensgebiet der Oberbegriff ist.”

    Fachlich sind beide getrennt, aber ohne einander geht es eigentlich nicht. Klassische Archäologie beschäftigt sich genaugenommen mit den materiellen Hinterlassenschaften der Antike. Hinzu käme noch Philologie, damit der Archäologe auch die Inschriften auf antiken Monumente korrekt entziffert.

    In Pompeji wurde ja nicht Geschichte konserviert, sondern eine Stadt (und bisweilen die Gestalten ihre Bewohner als Hohlräume in der Asche). Siehe die Erläuterungen von Yoaf Sapir zur “Geschichte” in chronologs.

  3. “In Pompeji wurde ja nicht Geschichte konserviert, sondern eine Stadt (und bisweilen die Gestalten ihre Bewohner als Hohlräume in der Asche)”.

    … sowie unzähligen teilweise decodierbaren Papyrusrollen und gut lesbaren Graffiti.

    Wenn in Pompeji und Herculaneum keine Geschichte auf dem Präsentierteller konserviert wurde, was ist dann Geschichte oder das Ergebnis von Geschichtswissenschaft?

    Bei den Kämpfen / Meinungsverschiedenheiten zwischen den an der Rekonstruktion von Vergangenheit beteiligten Disziplinen geht es ohne Frage, auch um die Verteidigung traditionell beanspruchter oder besetzter Domänen oder Arbeitsgebiete.

    Wobei nach meinem Eindruck die Historiker, die sich auf schriftliche
    Quellen berufen, derzeit etwas an Renommee verlieren, weil sich so viele für echt gehaltene Schriftquellen, Urkunden etc. als gefälscht herausstellen.

    Kommunizieren bedeutet bekanntlich vor allem manipulieren.

    • “Geschichte” entsteht doch erst, wenn etwas erzählt wird. Im Pompeji wurde ein Schnappschuss der Vergangenheit konserviert. Das Material ist zweifellos hochinteressant (naja, von den Papyrusrollen lassen sich wohl bestenfalls einige Worte lesen). Aber Geschichte vollzieht sich in Zeit und Kontexten, die müssen, soweit möglich, ja erst rekonstruiert werden.Die Geschichte(n) zu den Funden in Pompeji müssen die Historiker, Archäologen etc. schreiben.

      Für eine Geschichtsfernsehsendung ist es natürlich griffig, bzgl. Pompeji von konservierter Geschichte auf dem Präsentierteller zu schreiben. Klingt spannend. Im Fernsehen gibt es (oder gab es) doch auch eine Sendung, wo Material unkommentiert gezeigt wird. Man sieht zornige junge Männer demonstrieren, Häuser brennen hier und dort, Politikerkarossen fahren vor Konferenzzentren vor und wieder ab. Verstehen Sie ohne Kontextwissen, was da genau passiert?

      Von den so vielen Fälschungen habe ich nicht viel mitbekommen.

      Nochmals der Hinweis auf die Serie von Yoaf Sapir hier in chronologs zur Geschichte.

  4. Wenn Sie Pompeji mit einem kontextlosen Schnappschuss vergleichen, dann sind sämtliche auf Fundamenresten oder vagen Verfärbungen im Boden beruhende archäologische Rekonstruktionen von Gebäuden oder Siedlungen reine Phantasieprodukte.

    Dagegen wissen wir – um ein etwas skurriles aber eindrückliches Beispiel zu nennen – von Pompeji nicht nur wie die Gebäude tatsächlich aussahen, sondern auch was ein Puffbesuch kostete und sogar den Namen von Damen, die bei Männern besonders begehrt und empfehlenswert waren.

    Natürlich kann man auch letzteres – unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten – als Schnappschuss bezeichnen.

    Aber eben ein Schnappschuss, der tiefe Einblicke in das Sozialleben gibt.

    • Was Rekonstruktionen aus Fundamentresten etc. betrifft: reine Fantasie ist übertrieben, aber mit sehr großen Unsicherheiten belastet, z.B. genaue Höhe der Mauern oder Wände, Gestaltung von Obergeschossen (gab es sie überhaupt?), Art des Dachabschlusses, Fensterformen. Die prächtigen Rekonstruktionen in populären Publikationen suggerieren oft eine Präzision von Kenntnissen, die nicht vorliegt. Oft werden Vergleichsbeispiele herangezogen, um Wissenslücken in Rekonstruktionen zu stopfen. Das kann schnell schief gehen. Als man die Statue des Laokoon gefunden hat, fehlte ein Arm, man hat in rekonstruiert. Man hat den originalen Arm dann im frühen 20. Jh. (wenn ich mich recht erinnere) doch noch gefunden, aber seine Haltung war anders.
      Es gibt ein neues Projekt zu einer digitalen Rekonstruktion des Forum Romanum in Rom, die von den Wissenschaftler recht abstrakt gestaltet wurde, um keine Sicherheit im Wissen vorzutäuschen. (Internet-Adresse weiß ich gerade nicht auswendig).

      Dass Pompeji tiefe Einblicke gewährt, da gebe ich Ihnen völlig Recht.

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