Kinder, Kinder!

BLOG: Das Sabbatical

Abenteuer Auszeit
Das Sabbatical

Kinder sehen die Welt anders. Eine Binsenweisheit, deren Gültigkeit ich gerade hautnah erfahre. Meine beiden Neffen, zehn und dreizehn Jahre alt, sind mit meinem Bruder und seiner Frau nach Peru gekommen. Und auf unserer Reise darf ich erfahren, wie meine Wahlheimat auf Zeit sich für sie anfühlt.

Am Anfang waren die Fragen: Wie reagieren Kinder und Jugendliche auf die Höhe (Am Titicacasee immerhin 4000 Meter über dem Meer)? Wie kommen sie mit der intensiven Sonne zurecht? Finden sie Inkas und Co. überhaupt spannend? Beeindruckt sie ein Canyon? Sind sie bereit, für Kondore stundenlang im rappelvollen Bus zu sitzen? Was ist, wenn wir länger komplett offline sind?

Zu viel der Vorbehalte, die Viererbande aus Norwegen verblüfft mich täglich. Klar, Familienleben ist anstrengend, dafür aber sind die Erlebnisse viel intensiver. Das Blau des Sees, das am Daumen nuckelnde Baby auf den schwimmenden Schilfinseln, die gruselige Faszination der Eismumie “Juanita”, die vor 500 Jahren in einem grausigen Ritual zur Besänftigung der Götter geopfert wurde.

Als Journalistin verblüfft mich immer wieder, die Treffsicherheit ihrer Fragen. Sie gehen immer ein paar Zentimeter tiefer, geben nicht einfach auf, wenn wir Großen akzeptieren, dass das halt so ist. Dazu kommt die kindliche Fähigkeit zu genießen. “Ich liebe es, wenn es so schaukelt”, schwärmt der zehnjährige Gereon auf dem Boot. Und sein dreizehnjähriger Bruder Linus schwelgt in den Köstlichkeiten der Küche, dass es eine Freude ist. Genuss pur. Wir machen andere Begegnungen zusammen. Sprachbarrieren existieren nicht. Vor allem dann nicht, wenn Fußball gespielt wird. Die beiden Jungs tun das im Kinderheim Casa Verde, auf einer Insel im Titicacasee, in Cusco und zwischendurch, überall da, wo der Ball ein paar Zentimeter Platz findet.

Perubilder 0376Im Colca-Canyon treffen wir einen kleinen Jungen mit seinem Esel. Die Mutter läuft nebenher und es ist nicht zu übersehen, dass beide bettelarm sind. Hätten wir Erwachsene weggesehen? Die Jungs auf jeden Fall streicheln den Esel und wir alle kommen ins Gespräch über Kinder und ihre tierischen Freunde. Oder auch “Gilberto”, das entzückende Alpaka, das mit seinem jungen Menschenfreund zum Sonntagsspaziergang aufbricht. Der kleine Kerl ist so stolz auf die Aufmerksamkeit, die sie beide erregen, dass er uns alles über verlassene Dörfer, Alpakas und den Rest des Lebens erzählt, was er an Wissen in seinem kurzen Leben angehäuft hat.

Perubilder 0400Vor allem dem Jüngsten in unserer skurrilen Reisegruppe fliegen die Herzen zu. Kein Wunder, was er an spanischem Wortschatz aufschnappt, wird augenblicklich angewendet. Und Peruaner lieben Kinder. Dass sie beim Essen stets die gleichen Portionen bekommen wie die Erwachsenen ist selbstverständlich, dass sie auch mal lauter und lebhafter sind, normal. Hinreißend ist die Neugierde, mit der sie die vulkanischen Quellen im Colca-Canyon unter die Lupe nehmen und mein Spanisch ebenso wie mein naturwissenschaftliches Halbwissen auf eine harte Probe stellen.

Perubilder 0477Eine Eselsgeduld stellen die beiden in den langen Busfahrten unter Beweis, wo sie mit stoischer Ruhe einfach aushalten – nützt ja nichts zu jammern. Zu zwölft im Führerhaus, eingeklemmt zwischen riesigen Tüchern, vollbusigen Bauersfrauen, dem Schalthebel und dem Fahrer sind die Kinder aus dem reichen Westen kaum mehr wieder zu erkennen. Und auf dem Titicacasee kommen sie mit den hygienischen Verhältnissen, die ein wenig beschönigend als “basico” bezeichnet werden, hervorragend zurecht. Dass es keine Heizung gibt, die Zudecke tonnenschwer auf uns lastet und ein bisschen nach Lama riecht, sei es drum. Dafür tanzen alle abends im Dorfgemeinschaftshaus wie die Wilden. Und auch wir Großen haben uns keine Sekunde gefragt, ob wir uns in Ponchos, Mützen und zünftigen Röcken vielleicht lächerlich machen, so ansteckend war die Begeisterung.

Perubilder 0776Die kindliche Freude steckt ebenso an wie das Staunen. Das macht uns alle zu besseren Reisenden. Wir nehmen an, was kommt, finden das spannend und der Forschergeist ist geweckt. Sticht das Vieh oder doch nicht? So ganz haben wir dieses Rätsel noch nicht gelöst. Die Einheimische verscheuchen die “Kolibri-Mücke”, wie wir sie scherzhaft genannt haben, hektisch um sich schlagend. Wir werden es herausbekommen, so viel ist sicher.Perubilder 0519Und ich habe einen völlig neuen Blick auf mir schon vertraute Orte und Zusammenhänge gewonnen. Da fallen mir auch wieder die “Wissensschreiber” ein, das Projekt von Spektrum der Wissenschaft, das ich vor genau einem Jahr leiten durfte. Gerade die Deutschen, die so arm sind an Nachwuchs, sollten sich von diesem mehr inspirieren und zum Fragen anleiten lassen. Kinder lassen sich nicht so schnell abspeisen, denken um die Ecke herum und kommen so zu kreativen Lösungen. Das schafft Durchblick.

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Ich bin von Natur aus neugierig, will Menschen und ihre Beweggründe verstehen und ich liebe gute Geschichten über alles: Das macht mich zur Journalistin. Ich möchte aber den Dingen auch auf den Grund gehen und verstehen, was die Welt im Innersten zusammenhält: Das erklärt meine Faszination für Wissenschaft und Forschung. Nach dem Studium der Germanistik und Politikwissenschaft habe ich als Zeitungsredakteurin für viele Jahre das Schreiben zum Beruf gemacht. Später kamen dann noch Ausbildungen zur zertifizierten Mediatorin und zum Coach hinzu, die mich in meiner Auffassung bestärkt haben, dass das Menschliche und das Allzumenschliche ihre Faszination für mich wohl ein Leben lang nicht verlieren werden. Das Organisieren habe ich als Büroleiterin einer Europaabgeordneten gelernt, bevor ich im Juli 2012 als Referentin des Chefredakteurs bei Spektrum der Wissenschaft begonnen habe. Von dieser Tätigkeit bin ich nun erst einmal ab 1. Januar 2015 für ein Sabbatical beurlaubt. Und ganz gespannt, was das „Abenteuer Auszeit“ für mich bereithalten wird.

2 Kommentare

  1. Als Journalistin verblüfft mich immer wieder, die Treffsicherheit ihrer Fragen [der von Kindern, Ergänzung: Dr. Webbaer]. Sie gehen immer ein paar Zentimeter tiefer, geben nicht einfach auf, wenn wir Großen akzeptieren, dass das halt so ist.

    Kinder sind zum einen deshalb in ihren Fragen vglw. treffsicher, weil sie (noch) Grundsätzliches fragen, zum anderen, weil sie soziale Konventionen zumindest nicht seit langer Zeit angenommen haben, die u.a. verbieten bestimmte Fragen zu stellen, ein simples Beispiel, das der in gewisser Hinsicht durchaus kindlich gebliebene, wenn auch väterlich bis großväterlich gewordene Schreiber dieser Zeilen sich erlaubt beizubringen ist die Frage:
    Ist der Mohammedanismus vielleicht intrinsisch verbrecherisch?

    Ansonsten, klar, Tagesschreiber (“Journalisten”) dürfen gerne ihre Augen und Ohren offen halten,
    MFG + viel Erfolg, Spaß und so in Peru,
    Dr. W

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