Lichtbildwerk oder nicht? Wikimedia verliert Streit um Urheberrecht

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Denkmale

In einem Urteil vom 31. Mai 2016 beansprucht das Landgericht Berlin Urheberschutz für fotografische Reproduktionen von Gemälden, auch wenn diese selbst gemeinfrei sind. Gegen das Urteil sollen Rechtsmittel eingelegt werden. Ob im Zuge der Auseinandersetzung die in Deutschland praktizierte Rechtsprechung zu diesem höchst umstrittenen Thema geändert wird, ist fraglich.

Darf hier nicht gezeigt werden: Cäsar Willich, Porträt des Richard Wagner, um 1862
Darf hier nicht gezeigt werden: Cäsar Willich, Porträt des Richard Wagner, um 1862

 

Wikimedia-Dateien kommerziell genutzt

Die Vorgeschichte: Ein Wikipedia-User hatte Fotos von 17 Gemälden, die vom Fotografen der Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim angefertigt worden waren, auf Wikimedia  Commons hochgeladen und für gemeinfrei erklärt. Von der Website wurden die Dateien mehrfach heruntergeladen,  unter anderem auch für die gewerbliche Nutzung. Die Reiss-Engelhorn-Museen sahen sich als  Inhaber der Urheberrechte an den  Fotografien und hatten  gegen die Wikimedia Foundation und gegen  Wikimedia Deutschland Unterlassungsansprüche geltend gemacht.

Das Landgericht Berlin entschied, dass die Fotos des Museumsfotografen unabhängig vom (gemeinfreien) Motiv nach dem deutschen Urheberrecht als Lichtbilder geschützt seien.

Randbemerkung: Der Urheberschutz gilt eigentlich nur für den menschlichen Schöpfer,  nicht für eine Institution. Falls er als Urheber im Sinn des Gesetzes gelten kann, gibt der Museumsfotograf aber sein im Urheberrecht verankertes Verwertungsrecht in der Regel (für sein monatliches Gehalt) an den Arbeitgeber ab. Wenn dieser also auf die Wahrung des Urheberrechts klagt, geht  es ihm um den Teil der Urheberrechte, die der Fotograf an ihn abgeben konnte. Es ist nicht der Schutz des Kreativen, sondern die Wahrung der potentiellen Einnahmequellen, um die es sich hier dreht.

Schöpfungshöhe

Im Kern geht es um die Frage, wann eine Fotografie als persönliche geistige Schöpfung urheberrechtlich geschützt ist. Ist das nämlich der Fall, dann  liegt in Deutschland bis 50 Jahre nach erstmaligem Erscheinen des Fotos – anders als in der Malerei,  der Bildhauerei oder der Literatur, wo es bis 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers sind – das volle Veröffentlichungs-, Nutzungs- und Verwertungsrecht des Werkes bei dem Urheber selbst oder dessen Nachfolgern. Diese Rechte kann er, zum Beispiel in Form von Lizenzverträgen, weitergeben. Als Voraussetzung für den Urheberschutz wird stets die „persönliche geistige Schöpfung“ angesehen.

Die Argumentation der Reiss-Engelhorn-Museen hebt aber letztlich auf einen ganz anderen Aspekt ab:

Die Fotografien sind mit einigem  Aufwand und Kosten erstellt worden.

Man klagt über die

… kommerziellen  Folgenutzungen, mit denen wir nicht  einverstanden waren (z.B. Verwendung auf diversen unpassenden Merchandising-Artikeln durch einen großen US-amerikanischen Online-Händler ) und die andernfalls  zu moderaten Tarifen hätten lizensiert werden können. Letztlich wären die  Lizenzeinnahmen für solche Sondernutzungen wiederum der Allgemeinheit  zugutegekommen.

Statt der „persönlichen geistigen Schöpfung“  führen die Reiss-Engelhorn-Museen technisches Know-How ins Feld:

Vielmehr ist es ohne fundiertes  Wissen eines professionellen  Fotografen und ohne Kenntnisse der technischen und  physikalischen Grundlagen nicht  möglich, eine Fotografie in einer solchen Qualität  zu fertigen.  … Gerade  der Aufwand, ein zweidimensionales Gemälde zu fotografieren, ist nicht zu unterschätzen.  Das Licht muss so gesetzt sein, dass in allen vier  Ecken des Gemäldes die Lichtsetzung  und Farbechtheit übereinstimmt. Hierfür sind 2 bis  4 Tageslichtleuchten erforderlich.  Darüber hinaus muss je nach Beschaffenheit der Oberfläche des Gemäldes das Licht so  angepasst werden, dass die Pinselstrukturen sichtbar sind, aber nicht zu deutlich die  Abbildung beeinflussen. Auch auf die dunklen Bereiche eines Gemäldes muss geachtet  werden, damit diese nicht untergehen und als ein einziger dunkler Fleck, sondern auch die  Zeichnung bzw. Merkmale in diesen Bereichen wahrgenommen werden können. Wenn die  Lichtsetzung hinsichtlich dieser Vorgaben nicht funktioniert, muss gegebenenfalls das  Gemälde von den Restauratoren gedreht werden. Ohne  Stativ ist eine professionelle  Fotografie nicht möglich, weil die Abbildung sonst  trapezförmig verzerrt wäre.

Die Nutzung eines Stativs? Das Landgericht Berlin haben die Argumente offenbar überzeugt.

 

Gemeinfreie Bilder für alle

Es gab im vergangenen Jahr ein Urteil  des Amtsgerichts Nürnberg (Az.:32 C 4607/15), ebenfalls in einem von den Reiss-Engelhorn-Museen angestrengten Verfahren, das die Sache anders sah. Die Schöpfungshöhe der mit viel technischem Können erstellten Fotografie stand dort aber nicht im Mittelpunkt. Hier zielte die Überlegung des Gerichts auf einen ganz anderen Aspekt: auf die Gemeinfreiheit des Motivs. Es ging um ein vom Museumsfotografen erstelltes Foto eines Porträts  von Richard Wagner, gemalt 1862 von Cäsar Willich. Das war auf der Webseite von Wikimedia publiziert und von dort von einem Nutzer für seine Website übernommen worden. Das Museum sah die Nutzung  ohne seine  Zustimmung als Urheberrechtsverletzung an.

Der Maler des Wagner-Porträts, Cäsar Willich, ist seit 1886 tot. Die 70 Jahre der Schutzfrist sind also längst abgelaufen. Dennoch steht das damit gemeinfreie Gemälde für Abbildungen nicht kostenlos zur Verfügung, zum Beispiel um in diesem Blog besprochen werden zu können. Da im Museum Fotografierverbot besteht, kann eine Reproduktion nur vom Museum gekauft werden, etwa für 250,00 EUR  bei der Verwendung auf einer nicht-kostenpflichtigen, redaktionellen Internetseite.

Dazu das Amtsgericht Nürnberg (hier zitiert):

Im Endeffekt werden damit die Wertungen der Gemeinfreiheit nach Ablauf der Schutzfrist von 70 Jahren umgangen. Indem die Klägerin durch eigene Fotografen eigene Lichtbilder fertigen lässt, begründet sie letztlich ein neues Schutzrecht mit einer Schutzdauer von weiteren bzw. neuen 50 Jahren gemäß § 72 Abs. 3 UrhG. Zur Überzeugung des Gerichts werden damit die Wertungen der Gemeinfreiheit umgangen.

Und zur Schöpfungshöhe der Fotografie:

..ist insbesondere auszuführen, dass selbst der BGH in seiner Entscheidung Bibelreproduktion (Urteil vom 08.11.1989, Az: l ZR 14/88, zitiert nach Juris) die grundsätzliche Problematik erkannte. In der genannten Entscheidung ging es allerdings lediglich um die rein technische Reproduktion zweidimensionaler Werke. Insoweit geht auch die ganz herrschende Meinung in der Rechtsprechung und Literatur davon aus, dass die rein technische Reproduktion im Wege rein technischer Abläufe für zweidimensionale Vorlagen keinen Lichtbildschutz im Sinne von § 72 Abs. 1 UrhG erfährt.

Fraglos ist die Aufnahme durch den Museumsfotografen kein „rein technischer Ablauf“. Gleichwohl finde ich die Frage nach der persönlichen Schöpfung dabei berechtigt. Bislang sind die meisten deutschen Gerichte der Auffassung gefolgt, dass das Abfotografieren von Kunstwerken (dessen Qualitätsmerkmal ja die besonders originalgetreue Wiedergabe und keinesfalls sie persönliche Handschrift des Fotografen ist) urheberrechtliche Ansprüche begründet …

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Ich bin Kunsthistorikerin und arbeite freiberuflich als Redakteurin/Lektorin/Autorin. Dieser Blog enthält Überlegungen und Informationen, die ich sonst nirgendwo unterbringe. Die aber rauswollen.

9 Kommentare

  1. Es ist nicht der Schutz des Kreativen, sondern die Wahrung der potentiellen Einnahmequellen, um die es sich hier dreht.

    Aber bei den Kreativen selbst dreht sich doch auch immer alles nur um die Einnahmequellen. Zitat: “Ich würde die Bilder schnellstens verkloppen” [1][2]. Vaterlandslose Gesellen oder Geschäftemacher oder beides? Man weiß es nicht.

    [1] http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/gerhard-richter-kritik-am-kulturgutschutzgesetz-a-1043563.html
    [2] http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/bundestag-verabschiedet-kulturgutschutzgesetz-a-1099319.html

  2. Das man für gute Fotografien technischen Sachverstand benötigt, ist klar, “schöpferisch” ist das nicht, nur gutes, sehr gutes (oder manchmal mieses) Handwerk.
    Selbstverständlich geht es um Einnahmenquellen, aber nicht für den Hersteller einer Fotografie, den Fotografen, sondern für das Museum. Oft werden sie von den vorgesetzten städtischen oder staatlichen Stellen dazu auch angehalten. 250.- Euro für eine Fotografie sind eine Unverschämtheit und vor allem für freie Kunsthistoriker sind solche Preise eine Forschungsbehinderung. Die Kunstwerke in einem Museum gehören (sofern es kein Privatmuseum ist) der Allgemeinheit, einer Kommune oder dem Land und jedes Museum ist eigentlich qua Auftrag dazu verpflichtet, seine Werke auch öffentlich zugänglich zu machen. Dafür werden auch Steuern gezahlt. Stattdessen sitzen die Museum auf ihren Bilderschätzen wie Fafner auf seinem Hort. Was die deutschen Museen mit wenigen Ausnahmen an Bilder auf ihren Seiten zeigen, ist meist ein Witz, sie erreichen selten Postkartengröße und dann gibt es noch als Superextraservice ein tool, ein Lupe, wo man in diesen winzigen Abbildungen noch winzige Details etwas vergrößern kann. Es ist eine Schande für eine Kulturnation, aber kaum einer protestiert dagegen. Großzügig ist dagegen das Rijksmuseum Amsterdam mit großformatigen scans.
    Für kommerzielle Nutzung darf man natürlich Gebühren nehmen, aber “kommerziell” wird eben absurd weit ausgelegt. Schon die Verwendung für einen wissenschaftliche Publikation fällt meist darunter. Es ist Forschungsbehinderung. Statt die Kunst an den Mann/die Frau zu bringen, wird sie weggeschlossen und mit Gesetzen eingezäunt.

    • “Das man für gute Fotografien technischen Sachverstand benötigt, ist klar, “schöpferisch” ist das nicht, nur gutes, sehr gutes (oder manchmal mieses) Handwerk.”

      Sehe ich auch so! Bilder in Museen werden in der Regel abfotografiert um Druckvorlagen herzustellen. Was soll daran “schöpferisch” sein?

      Überhaupt nimmt die Geldschneiderei in allen Bereichen immer üblere Ausmaße an. So wird seit einiger Zeit darüber gestritten, ob Dozenten an Universitäten Studierenden überhaupt noch Manuskripte zur Verfügung stellen dürfen ohne sich einer Urheberrechtsverletzung schuldig zu machen. Zwar ist die Sache noch nicht endgültig ausgestanden, aber wegen der unsicheren Rechtslage wird von einigen Dozenten bereits jetzt darauf verzichtet Skripte zur Verfügung zu stellen.

      Nähere hier: http://www.golem.de/news/vg-wort-studenten-muessen-bald-mehr-recherchieren-1512-117905.html

  3. Besonders ärgerlich finde ich diese Sache immer für didaktische Zwecke. Da will ich (und vermutlich mit mir viele andere) nur etwas illustrieren oder die *Aussage* eines Bildes nutzen. Ich bin keine Kunsthistorikern und kein Kunstlehrer; es geht mir nicht um Pinselstriche oder perfekte Reproduktion, sondern nur darum z.B. zu zeigen, dass die Uhren bei Dalí verbogen sind – und dabei ist mir völlig egal, ob Aquarell oder Öl und Pointilismus oder ruppiger vanGogh- Pinselstrich mit viel Farbe… Um die Botschaft, die Kernaussage zu diskutieren brauche ich nichtmal den Museumsfotografen, sondern es reicht ein Schnappschuss eines Besuchers: aber das wird von vornherein verboten. Und in den Museen, in denen es erlaubt ist, nützt es auch nichts, weil ich es nicht verwenden darf … *hmpf*
    Für Historiker geht damit eine ganze Palette von Aussagen verloren, nur weil sie eben auf einem zweidimensionalen Medium und damit auf einem verwendungsverbotenen Medium erhalten sind. Texte könnte man einfach abschreiben und zitieren. Bilder abzuzeichnen ist aber in dieser Perfektion schwieriger und das Tool “Fotografie” bzw. seine Früchte, das es gestatten würde, ist verboten. Schade für die Forschung!

  4. Hier wird ebenfalls darüber, aber nur kurz berichtet:

    http://blog.arthistoricum.net/beitrag/2016/06/23/rueckschlag-beim-urheberrecht/

    und hier ausführlich:

    http://blog.arthistoricum.net/beitrag/2014/10/19/what-an-ugly-mess-to-hell-with-it/

    Die deutschen Museen schließen sich aus der Rezeption der Kunst aus, die Kunsthistoriker werden so gut es geht, auf andere, weniger restriktive Sammlungen ausweichen, auf Abbildungen verzichten, die Sammlungen werden unsichtbarer, genau das Gegenteil ihres Auftrages.

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