Kritik am Anthropozän-Konzept – ein update

Derzeit geht es in der Anthropozän-Community in Teilen ziemlich rund. Diskutiert wird insbesondere

1) wie das Anthropozän tatsächlich definiert werden kann, insbesondere wo genau die Untergrenze zu legen wäre (und interessanterweise hat es ein Artikel dazu sogar in Nature gebracht, einige Antworten dazu gibt es bereits, andere kommen demnächst).

2) Des weiteren gibt es eine innerwissenschaftliche Diskussion zur Rolle der Erdsystemwissenschaften bzw. zu dessen Beziehung zu Stratigraphie, Ökologie und Umweltforschung.

3)  Dann gibt es noch diejenigen, die das Anthropozän-Konzept einfach mit unsubstantiierten Behauptungen belegen, daraus ein Strohpuppenanthropozän bauen, die bis hin zu Verschwörungstheorien gehen, um dann das Anthropozän damit in Misskredit zu bringen.

4) Spannend ist aber auch die Debatte, wo beim Anthropozän-Konzept die Wissenschaft aufhört, wo das Konzept “ausfranst” und wo eine die mögliche Vereinnahmung anderer Bereiche stattfindet.

crutzen
Abb. 1: Super, Paul! So sieht das Comic-Alter-Ego von Paul J. Crutzen, dem “Vater des Anthropozäns” aus. – Illustration: Martyna Zalalyte/Anthropozän-Projekt, aus Hamann et al. 2014

Insbesondere zu 4 ist in Spektrum.de vor kurzem ein Artikel von Gábor Paál erschienen unter dem Titel “Meinung: Das Anthropozän muss wissenschaftlich bleiben!” Er schloss sich an eine von Herrn Paál moderierte einstündige Radiosendung (SWR2 Forum: Die Menschenzeit. Welches Menschenbild steckt in der Idee vom Anthropozän?” mit Helmuth Trischler (Kulturwissenschaftler), Dagmar Röhrlich (Geologin, Autorin) und mir (Geologe, Geobiologe, “Anthropozäniker” und Kommunikator) an.

Zur Frage “Wann begann das Anthropozän?” wird derzeit heftig innerhalb der “offiziellen” Anthropocene Working Group (AWG) als auch außerhalb diskutiert. Die Mehrheit der AWG, zu der auch ich gehöre, diskutiert eine Untergrenze bei 1945/1950, als Reaktion darauf publizierten Lewis & Maslin ihre Idee einer Untergrenze bei 1610 bzw. 1964 in Nature, darauf gab es eine erste Entgegnung durch die AWG (ebenfalls in Nature, eine umfassendere ist in Vorbereitung). Zur Diskussion außerhalb der AWG siehe auch auch hier). Archäologen sehen eher eine diachrone Untergrenze, eine Gruppe um William Ruddimann und Erle Ellis sähe entweder eine Grenzziehung bei der neolithischen Revolution oder wollen das Anthropozän alternativ lieber doch nicht geologisch definieren.

Gabór Paál stellte im oben genannten aktuellen Artikel aber insbesondere die Frage, ob es aufregend sei, im Anthropozän zu leben. Der nachfolgende Text basiert insbesondere auf einem Kommentar zu diesem Artikel. Für die Wissenschaften ist die Frage ob das Anthropozän aufregend sei, auf alle Fälle mit ja zu beantworten, und sicherlich könnte es auch für die gesamte Gesellschaft ähnlich aufregend werden. Ich gebe Herrn Paal recht, dass das Anthropozän zuallererst eine wissenschaftliche These darstellt bzw. darstellen sollte. Diese These geht davon aus, dass a) der Mensch zu einem Erdsystem-Faktor geworden ist und zumindest die exogene Geologie (Sedimentationsprozesse, Wasserkreislauf, Stoffflüsse, Bodenbildung, Biodiversität uvm) enorm beeinflusst,  b) dieser Eingriff in das Erdsystem entsprechende Spuren auch in der geologischen Überlieferung, also in den Sedimenten hinterlässt, und c) dieser Eingriff so stark ist, dass die umweltstabile Situation des Holozäns, also die Nacheiszeit bereits verlassen wurde und damit grundsätzlich keine Rückkehr ins Holozän mehr möglich ist, also tatsächlich eine neue erdgeschichtliche Epoche angebrochen ist.
Wie gesagt, dies alles ist erst einmal ein wissenschaftlicher Thesensatz, für den die Wissenschaften inzwischen aber umfassend Argumente zur Untermauerung zusammengetragen haben und noch weiter zusammentragen.

Im Detail geht es hoch her bei dieser wissenschaftliche Auseinandersetzung, dies ist auch richtig und wichtig. Es geht zum einen natürlich um die Frage, wo die Untergrenze des Anthropozäns am besten zu legen sei, ob zuerst die Analyse der Sedimente, danach die der zugrundeliegenden Prozesse einsetzen sollte oder umgekehrt, wie Stratigrafie (also im weiteren Sinne die Genese von Gesteinsschichten) und Erdsystemforschung zusammespielen, ob bzw wie stark sich die Erdsystemforschung  noch weiter öffnen sollte, ob bzw. wie diese sich dann von anderen Wissenschaftssparten abgrenzen sollte oder dies überhaupt noch muss. Bereits seit 1993 gibt es die Forderung, die Erdystemforschung um eine Anthroposphäre (sensu WBGU 1993, Hauptgutachten 1993) zu ergänzen; tatsächlich ist eine der Schlüsselaussagen aus der wissenschaftlichen Analyse, aber auch aus theoretischen Überlegungen, dass der angebliche Dualismus Mensch – Natur nichts mehr zum Erkenntnisgewinn beiträgt und statt dessen die Tätigkeiten der Menschheit in die Analyse, Modellierung und ggf. Szenarienbildung der Erdystemforschung mit integriert werden müssen. Daher sollten Sozial-, Kultur-, Technik- und Geisteswissenschaften mithelfen, die nicht linearen Vorgänge und dynamischen Wechselwirkungen im überkomplexen Erdsystem eines Anthropozäns besser zu verstehen. Manche Wissenschaftlern sehen hier einen genuinen Paradigmenwechsel der integrierten Erdsystemforschung, auf den wir nachher nochmals zu sprechen kommen werden.

Nun zum Einwand Paáls, ob ein paar Jahre oder auch Jahrhunderte für die Wissenschaften tatsächlich einen Unterschied machen würden? Selbstverständlich machen sie das, wenn man den Sinn von zeitlichen Korrelationen verstanden hat. Um erdgeschichtliche Prozesse aus den Gesteinen herauslesen zu können, benötigt man eine möglichst akkurate und hohe zeitliche Auflösung. Je genauer diese ist, je weniger also Äpfel mit Birnen verglichen werden, desto exakter ist die Interpretationsmöglichkeit. So erlauben z.B. nur die sehr hohen zeitlichen Auflösungen an der Paläozän-Eozän-Grenze  den Vergleich mit aktuellen Business-as-Usual-Zukunftsszenarien, nur die jährliche Auflösung auch von fossilen Zeitabschnitten etwa mithilfe der Jahresringe zooxanthellater Korallen erlaubt Aussagen über frühere El Niños, nur das Vorhandensein von “Tidal Bundles” in 230 Millionen Jahre alten Sedimenten lässt die Gezeitenaktivität von damals in ihrer Höhe abschätzen. Wo diese Auflösung fehlt, sind auch keine entsprechenden Aussagen möglich. Wenn wir also häufige Plastikreste als wesentliches Merkmal anthropozäner Sedimente definieren und dann die Untergrenze des Anthropozäns bei 1800 oder gar zu Beginn des Neolithikum legen würden, könnten wir die rasche technische Evolution nicht mehr aus den Sedimenten herauslesen, sondern spätere Geologen könnten ggf. fälschlicherweise zu dem Schluss kommen, dass Plastik seit dem Neolithikum verwendet wurde.

Neben der wissenschaftlich sehr wichtigen Sachdiskussion zur Definition des Anthropozäns, aber auch zu den methodischen Forschungsansätzen gibt es natürlich auch die ebenfalls mehr oder weniger wissenschaftliche Diskussion vieler Kollegen, darunter natürlich auch klassischen Bedenkenträgern, wo ist das nicht so? So gibt es fast aus allen Wissenschaftsbereichen vehemente Befürworter, aber auch vehemente Gegner des Anthropozän-Konzeptes (Abb. 2). Und etliche bauen sich ihr eigenes Anthropozän, indem sie z.B. Strohpuppen aufbauen, um sie dann genüsslich wieder einreißen zu können (siehe dazu die Stellungnahme von Christian Schwägerl, oder auch seinen Kommentar auf Paáls Artikel – beiden schließe ich mich voll an). Die meisten dieser Kommentare entstammen der nachvollziehbaren, dennoch in der Regel kontraproduktiven Furcht, die “Anthropozäniker” könnten einem den eigenen Claim streitig machen. Viele Geografen befürworten das Anthropozän-Konzept, weil es längst überfällig physische Geografie und Humangeografie wieder zusammenbringt, andere Geographen kritisieren hingegen, dass sie dies alles doch schon längst auch ohne das Anthropozän-Konzept machen würden. Geologen befürworten und lehnen ebenfalls gleichermaßen ab (“wir haben doch schon die Quartärgeologie und die Ingenieursgeologie”), ähnliches gilt für Biologen, aber auch für Historiker, Archäologen, Kulturwissenschaftler und viele andere. Auch diesen Diskurs gilt es transparent zu führen. Und ja, da franst es tatsächlich manchmal aus, v.a. dann wenn, wie gerade erwähnt, jeweils ein persönliches Anthropozänkonzept zusammengebastelt wird. Klar, keinem “gehört” das Anthropozän-Konzept, meines Erachtens sollte man allerdings doch den Ansatz von Paul Crutzen und Eugene Stoermer sowie den später auch von Crutzen mitgetragenen Konkretisierungen folgen.

anthrokritik
Abb. 2: Kursorische Übersicht genereller Pro- (grün) und Kontra- (rot) Argumente zum Anthropozän aus disziplinärer Sicht, basierend auf persönlichen Erfahrungen und Medienrecherche, nicht repräsentativ).

Wo also verlässt das Anthropozän-Konzept die Wissenschaften tatsächlich, wie Herr Paal dies offensichtlich befürchtet? Ist es die Kommunikation des Konzeptes in Foren, Ausstellungen oder Comics? Das kann vermutlich nicht gemeint sein, denn Popularisierungsaspekte gehören zu jeder Wissenschaft, Wissenschaft gehört eben auch aufbereitet, transferiert und öffentlich diskutiert, heute mehr denn je. Ja, ich sehe es tatsächlich so, dass das Konzept gerade auch geeignet ist, die Öffentlichkeit stärker für das Zusammenhängen von allem mit allem und der Eingebundenheit der Menschheit in dieses Gesamtsystem zu sensibilisieren. Ich möchte die Frage Paáls , ob man das Anthropozän braucht, um sich für Nachhaltigkeitsfragen zu engagieren,  folgendermaßen beantworten: Ja, ich denke, das Anthropozän ist hierbei hilfreich, denn bei den bisher gestellten Nachhaltigkeitsfragen ist allzuoft nur der Abwägungsgedanke zwischen Ökonomie, Sozialem und eben Ökologie implementiert – allzu oft mit dem Ausgang, dass die ökologische Nachhaltigkeit zu Gunsten von Pragmatismus hinten herunterfällt. Zu oft bedeutet heute nachhaltiges Wirtschaften immer nur, die Optimierung der Natur für unsere kurzfristigen Bedürfnisse ein bisschen abzuschwächen bzw. zu verlangsamen. Das ganzheitliche Denken, das Austauschen eines Umweltgedankens zugunsten eines Unsweltgedankens, das Erkennen unserer heutigen Abhängigkeit von längst vergangenen Naturprozessen und damit auch die bessere Reflexion des heutigen Tuns hinsichtlich zukünftiger “erdgeschichtlicher” Auswirkungen sehe ich als überaus hilfreich an.  Paal kritisiert in diesem Zusammenhang den Untertitel unserer Münchner Anthropozän-Ausstellung “Unsere Verantwortung für die Zukunft Erde” als “ausfransend”. Oben hab ich ja schon konzidiert, dass manchmal etliches tatsächlich “ausfranst”, insbesondere wenn sich jeder sein eigenes Anthropozän zurechtlegt. Aber doch gerade nicht in diesem Kontext! Wir begeben uns nun also voll in die Debatte zur gesellschaftlichen Relevanz von Wissenschaften, zur Einbeziehung der Zivilgesellschaft in transdisziplinäre Ansätze, zur Frage, wo wissenschaftliche Beratung der Politik aufhört und damit also insgesamt zur gesellschaftlichen Verantwortung von Wissenschaft. Diese Debatte können wir hier nicht in der ganzen Breite führen. Aber brechen wir das auf das Anthropozän herunter:  Wenn wir eine “Anthroposphäre” als eine eng mit den Natursphären verzahnte Einheit als konzeptionell notwendig für eine neue Erdsystemforschung erachten, um Komplexitäten, Externalitäten, aber auch psychische Bedingtheiten von uns als Individuen, Gruppen und in unserer Gesamtheit mit zu berücksichtigen, ist das Thema Verantwortung selbstverständlich sofort auf dem Tisch. Ob dies noch ein integraler Teil des Anthropozän-Konzepts ist oder sich “nur” aus diesem ergibt, mag dahin gestellt sein und ist fast egal (- die Diskussion geht auch hier insbesondere in den Geistes- und Sozialwissenschaften weiter -), aber es bedeutet so oder so, dass dieser neue wissenschaftliche, systemische Blick auf die Welt eben auch das Thema Gerechtigkeit, Verantwortung, politische Machbarkeiten von Transformationen etc mit berücksichtigt, ja berücksichtigen muss. Wie dann allerdings die Bewertung stattfindet, also welche Zukunftspfade eingeschlagen werden könnten, und wie die Rolle und Gewichtung der Player dabei ist, muss ein gesellschaftlich-politischer Aushandlungsprozess leisten, der notwendig ist und – ja –  der vielleicht ohne Anthropozän-Konzept anders aussehen könnte als mit. Ich persönlich sehe hier durchaus eine gewisse Kompatibilität zwischen der von Gabór Paál skizzierten globalen Ethik und einem Verantwortungsgedanken, der sich aus dem Anthropozän-Konzept ergibt. Wenn die Geoethik allerdings nur die Geoethik von Geowissenschaftlern darstellen soll, würde dies m.E. viel zu kurz greifen. Im Anthropozän können sich aus meiner Sicht eine Geoethik, eine Bioethik, eine Neuroethik oder auch eine humanökologische Ethik nicht gegenseitig ausspielen oder zumindest voneinander abgrenzen, sondern müssten verbunden gedacht werden.  In diesem Sinne bietet das Anthropozänkonzept eben eine anregende Ausgangsbasis für eine ethische Neubesinnung, die viel vorhandenes aufnehmen, um neue Aspekte erweitert und weiterentwickelt werden kann, ja muss.

Version vom 25.5.2015, mit Nachtrag der Abb. 2 am 26.5.2015

Nachtrag vom 31.5.2015: Soeben wurden gleich vier Kommentarartikel in “The Anthropocene Review” veröffentlicht. Der oben erwähnte Kommentar der Anthropocene Working Group zum Lewis & Maslin-Artikel ist auch dabei, daneben u.a. eine Replik von Lewis & Maslin auf unseren Kommentar: http://anr.sagepub.com/content/early/recent

Außerdem gibt es in der heute erschienenen Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung einen sehr interessanten Artikel namens Wie kommen wir nun ins Anthropozän?  (FAS vom 31.5.2015, Nr. 22, S. 58-59). Der Artikel behandelt u.a. auch die  Diskussion um die Definition des Anthropozäns (ggf. hier beziehbar)

Reinhold Leinfelder ist Geologe, Geobiologe und Paläontologe. Er ist Professor an der Freien Universität zu Berlin (Arbeitsgruppe Geobiologie und Anthropozänforschung) sowie (seit Okt 2018) zusätzlich Senior Lecturer am Institut Futur der FU. Seit April 2022 ist er formal im Ruhestand. Seit 2012 ist er Mitglied der Anthropocene Working Group der International Stratigraphic Commission. Von 2006-2010 war er Generaldirektor des Museums für Naturkunde Berlin, von 2008-2013 Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), von 2011-2014 Research Fellow und affiliate Carson Professor am Rachel Carson Center an der LMU, München, von 2012-2018 Principal Investigator am Exzellenzcluster "Bild-Wissen-Gestaltung" der Humboldt-Universität zu Berlin, von 1. Sept. 2014 bis 15. Sept. 2016 Gründungsdirektor der Futurium gGmbH in Berlin. Seine Forschungs- und Lehrschwerpunkte liegen beim Anthropozän, Korallenriffen, neuen Methoden und Herausforderungen des Wissenstransfers und Museologie | Homepage des Autors | blog in english, via google translate

14 Kommentare

  1. Der Begriff Anthropozän wurde nicht aus rein geologischen Gründen erfunden, sondern gerade um die Verantwortung des Menschen für den ganzen Planeten hervorzuheben, denn so die Behauptung: Der Mensch beeinflusst nun die Erde bis auf die klimatische und geologische Ebene und hat damit auch automatisch Verantwortung übernommen. Es liegt nahe den Begriff Anthropozän in die gedankliche Linie einzuordnen, die durch Bücher wie Rachel Carsons “Der stumme Frühling”, des Club of Romes “Limits to Growth” und Ehrlich “The population bomb” gezogen wird. Diese Linie möchte ich die apokalyptische Linie nennen. Fast jeder assoziiert wohl apokalyptische Visionen im Zusammenhang mit dem Begriff Anhropozän. Das aber hat eine Gegenbewegung auf den Plan gerufen, die vom guten Anthropozän sprechen will. Andrew Revkin von der New York Times hat das in The Good, the Bad and the Anthropocene (Age of Us)” thematisiert und auch die passenden Figuren dazu gefunden. Der australische Philosoph Clive Hamliton beispielsweise lehnt den Begriff “Good Anthropocene” grundsätzlich ab, denn das Anthropozän sei schlecht.

    Oft wird der Begriff Anthropozän auch benutzt um die Notwendigkeit für ein globales Erdsystemmanagement zu untermauern. Die politische Realität, eine Welt aufgebaut aus sehr verschiedenen Nationen mit ganz unterschiedlichen Ambitionen und Zielen, in der die UNO nur gerade ein Debattierklub nicht aber eine globale Entscheidungszentrale ist, macht aber die Grenzen sichtbar, die einem Erdsystemmanagement gesetzt sind.

    Wer in der apokalyptischen Linie denkt fordert oft das grosse Umdenken, die radikale Umkehr. Das tut beispielsweise Clive Hamilton. Das scheint mir aber wenig erfolgsversprechend. Ein Zurück, eine Rückkehr in die Natur kann es realistischerweise nicht geben. Statt dessen sollten meiner Ansicht nach langfristig wirkende Tendenzen wie die zunehmende Urbanisierung in eine Richtung gelenkt werden, die insgesamt positive Auswirkungen für den Menschen und seine Umwelt haben. Die Urbanisierung bedeutet ja, dass der Mensch in einer Umwelt leben kann und leben will, die weitgehend von ihm gestaltet ist. Der urbane Mensch ist per se kein Umweltfrevler. Die Umweltbelastung und -schäden kommen in einer urbanisierten Umwelt wenn schon dadurch zustande, dass die Stadt sehr viel Ressourcen konsumiert und sie dann als Abfall wieder ausspukt. Realisiert die Stadt aber eine Kreislaufwirtschaft, dann sinken ihre negativen Auswirkungen auf die Erde massiv. Auf die Qualität des Stadtlebens hat eine ressourceneffizienteres Innenleben der Stadt keinen negativen Einfluss, denn das sind eigentlich nur die Rädchen und das Getriebe im Untergrund, das richtig laufen muss.

    • Lieber Herr Holzherr, der Begriff stammt, zumindest bei seiner Verwendung durch Paul Crutzen aus der Global Change / Erdsystemforschung. Und ja, dabei geht es um die oben unter a, b, c geschilderten Aspekte, aus denen natürlich, wie geschildert, die Auflösung des Dualismuss Mensch-Natur und daraus die Verantwortung des Menschen resultiert. In diesem Sinne hat das Konzept durchaus Vergleichbarkeiten mit Hans Jonas’ Ökologischem Imperativ, nur ist es aufgrund des umfassenden Erdsystemaspekt offener bzw. dynamischer, aber ggf. auch noch vorsichtiger (Stichwort nichtlineare Zusammenhänge).Siehe dazu meine früheren Beiträge auf diesem Blog, etwa hier oder hier oder hier. Was daraus allerdings erwächst, steht auf einem anderen Blatt. Richtig, viele meinen, dass der Karren erst an die Wand gefahren werden muss, bis etwas als Reaktion passiert, andere setzen ihre Hoffnung auf ein “Weniger ist mehr”, wieder andere, wie Sie auf eine erdsystemverträgliche, “bioadaptive” Kreislaufwirtschaft, und noch andere wollen mit Hightech-Innovation die Natur entlasten (siehe hierzu mein ebenfalls bei Scilogs gepostetes Rahmenkonzept für das Haus der Zukunft). Ein gutes Anthropozän ist selbstverständlich das, was anzustreben ist, wie aber dieses “gut” aussieht und welche Wege dorthin führen könnten, muss gesellschaftlich ausverhandelt werden und zwar unter der Berücksichtigung aller Aus- und Wechselwirkungen der diskutierten Lösungen. Simple “Einknopfdruck”-Lösungen a la Geoengineering oder Atomkraftausbau gehören aus meiner Sicht sicherlich nicht dazu. Besonders wichtig für die Kommunikation einer anthropozän-Welt ist also gerade das Reflektieren über Zusammenhänge. Ich gebe Ihnen in einem gewissen Umfang Recht: der urbane Mensch ist nicht zwangsläufig Umweltfrevler. Der Metabolismus Stadt ist allerdings dermaßen entfremdet geworden, dasss Ressourcenverbrauch nicht wie früher (etwa durch das Hochtragen von Kohlen aus dem Keller oder dem Schöpfen von Wasser aus einem Brunnen) “erfühlt” werden kann. Daher braucht es auch hier neuere Denkansätze, die genau diese Verbundenheit auch von Städten mit dem Erdsystem wieder nachvollziehbarer machen. (Auch hierzu haben wir übrigens ein Projekt laufen: “Die Anthropozän-Küche: Das Labor der Verknüpfung von Haus und Welt. Die Rolle der Städte ist uns als Zufuhr-, Abfuhr-, Prozessierungs- und Aufbewahrungssystem ist uns hierbei besonders wichtig.)

      • Danke für die Antwort. Die Hoffnung “Weniger ist mehr” ist kein global anwendbares Rezept sondern eine Maxime, die hier im Westen seit dem späten 20. Jahrhundert herumgeistert ohne etwas bewirkt zu haben. Jetzt noch einmal 20 Jahre warten darauf, dass die Leute weniger konsumieren und weniger fliegen ist verschwendete Zeit.

        Trends, die es ohnehin schon gibt positiv, umweltverträglich formen, finde ich den besten Ansatz. Solche Trends sind die Urbanisation, die Intensivierung der Landwirtschaft (in den USA wird seit 1930/40 immer gleich viel Land beackert, aber mit mehr Ertrag) oder der Trend zur informationsüberwachten Produktion beispielweise in der Landwirtschaft als Präzisionsfarming realisiert.

        Wenn man zusehr in Visionen verharrt dann besteht die Gefahr, dass man zuerst einmal eine Revolution fordern oder auf eine Revolution warten muss bis man überhaupt etwas bewirken kann. Ihr Satz ” Simple “Einknopfdruck”-Lösungen a la Geoengineering oder Atomkraftausbau gehören aus meiner Sicht sicherlich nicht dazu. “ scheint mir ein Beispiel einer Gegenvision, gegen die sie sich meinen wehren zu müssen. Doch hier gebiert eine falsche Annahme eine unnütze Gegenreaktion. Denn
        1) Geoengineering wirklich global gesteuert wird es genau so wenig geben wie es heute eine global abgestimmte Klimapoltik gibt Schlicht und einfach, weil die Vorstellungen der souveränen Länder über Klimainterverventionen zu unterschiedlich sind. Wenn schon werden die Chinesen ihr chinesisches Klima manipulieren wollen, sicher aber werden sie keiner globalen Klimaintervention zustimmen, die ihren Interessen widerspricht.
        2) Ein Atomkraftwerkausbau ist in China und anderen Schwellenländern geplant, aber nur als Teil einer allgemeinen Expansion der Energieproduktion. In China wird die Atomkraft im Jahr 2020 weniger als 10% des Stroms liefern und im Jahr 2030 immer noch weniger als 10%. Ein allgemeiner AKW-Ausbau ist mit heutigen Reaktoren auch gar nicht möglich, weil die heutige Technologie zuviele Probleme aufweist. Richtig ist dagegen, dass es Formen der Nuklearenergie gäbe, die ausbaufähig wären, weil sie weniger Abfall erzeugen und sicherer im Betrieb sind. Doch diese Formen wurden kaum erforscht und es gibt nicht einmal laufende Prototypen davon.
        Sie projizieren also mit den Knopfdrucklösungen Geoengeenering und globaler Ausbau der Atomkraft einen Strohmann, einen Gegner, den es gar nicht gibt. Doch sie meinen wahrscheinlich auch etwas anderes als sie direkt sagen: Sie meinen wohl, man solle Geoengineering gar nicht erst erforschen und man solle auch die Nuklearenergie ruhen lassen und nach keinen neuen, besseren Nuklearreaktoren suchen.
        Hier bin ich nun anderer Ansicht. Neue bessere Nuklearreaktoren könnten Teil einer zukünftigen Energieproduktion sein. In meinen Augen ist das Abblocken schon im Voraus, das Verweigern sogar der Forschung im Bereich Nuklearenergie falsch, zumal Nuklearreaktoren allein von ihrer Energiedichte her ideal wären, könnte man doch mit dem idealen Nuklearreaktor auf sehr kleinem Raum sehr viel Energie erzeugen und das mit sehr wenig Input (Brennstoff) und sehr wenig Abfall (beim idealen Reaktor).

        Die Vision Cesare Marchettis, die er in seinem Aufsatz 10^12 – A Check on Earth Carrying Capacity for Man entworfen hat, finde ich heute noch interessant. In dieser Vision entwirft er eine Welt in der der Mensch sich vollkommen auf 10% der Landfläche zurückgezogen hat und in der er alle Nahrung , alle Energie, alle Strassen und alle Wohnflächen in diesen 10% der Landfläche unterhält, wobei er alles rezykliert, also keinen Abfall generiert. Dies ist zudem nicht nur eine abstrakte Vision, sondern sie basiert auf dem beobachteten Trend zur zunehmenden Urbanisierung und will diesen Trend so formen, dass eine nachhaltige Lösung entsteht.
        Man bezeichnet die Entwicklungsrichtung, die ich hier meine auch als Ecomodernismus. Im Gegensatz dazu stehen Low-Tech-Visionen, die etwa sämtliches Erdöl und Erdgas durch Biomasse ersetzen wollen, was dann eine Landfläche von der Grösse Brasiliens allein für die Biomassenprodudktion benötigte.
        Viele Vertreter von ökoromantischen Lösungen verklären auch die Vergangenheit. Man muss sich bewusst sein, dass vor dem Ersatz von Holz durch Kohle im Energiebereich und von Holz durch Stahl im Konstruktionsbereich, die europäischen Wälder weitgehend abgeholzt wurden. Seit der Substitution von Holz durch andere Energieträger und andere Konstruktionsmaterialien hat die Waldfläche wieder zugenommen, seit 1900 ist sie in Europa um 30% gestiegen. In vielen Gegenden Afrikas dagegen wird heute noch Holz und aus Holz gewonnen Holzkohle als Brennholz verwendet (und das sogar in Grosstädten wie Mombasa) und diesem Einsatz werden ganze Wälder geopfert. Die Natur noch stärker in den Dienst des Menschen zu stellen, als das ohnehin schon getan wird scheint mir der falsche Weg.

        • Vielen Dank! Da sind wir doch schon fast in einer richtig interessanten Visionendiskussion. Ich halte diese für tatsächlich unabdingbar, denn genauso wie Sie von dem von Ihnen vertretenen Ansatz überzeugt sind, sind es andere von den jeweils ihrigen (Suffizienz, C2C etc). Also brauchen wir hier etwas Geduld, um auch ordentlich mit Zukunftsvisionen und deren Machbarkeit umgehen zu können. Denn hier hilft nur, dass alle Argumente auf den Tisch kommen und auch von allen ernst genommen werden, sofern es echte Argumente sind. Strohmänner bzw. Strohpuppen sollten dabei tatsächlich nicht aufgebaut werden. Und speziell hierzu: Ich habe nicht gesagt, dass ich gegen Geoengineering-Forschung bin (dazu gehört übrigens ja ein weites Spektrum), sondern nur, dass Solar Radiation Management eine zu kurz gedachte Pseudolösung ist (verhindert z.B. keine Meeresversauerung, Governance-Problematiken etc). Sollten wir es je schaffen, Kernfusion zu beherrschen oder sichere Kernenergie ohne Abfall zu produzieren (ja, ich weiß, derzeit sind da einige neue Prototypen, etwa IMSR angekündig und auch bei der Fusion tut sich angeblich etwas), wäre dies ggf. eine neue Situation. Allerdings wäre es unverantwortlich, jetzt nichts zu tun und statt dessen so lange abzuwarten, bis all diese neuen Dinge entwickelt und überall implementiert sind (von wem eigentlich?). Verklärung der Vergangenheit (ganz nach dem von mir oft strapazierten valentinesken Motto “Die Zukunft war früher auch besser”) hilft hier natürlich auch nicht, da haben Sie auch meiner Meinung nach vollkommen recht. Aber ein Abwarte”fatalismus” nach dem Motto “erst mal weiter wie bisher, bis wir was vieeeeel besseres haben”, also z.B. ein Abwarten bis zum kompletten Vorhandensein von Nanocarbon-Wohntürmen, “photosynthetischem” Energiebeton oder high-tech-Nahrungsselbstversorgung wird ebenfalls nicht gehen. Ein Patentrezept wird es nicht geben und wir werden im zukünftigen Anthropozän wohl v.a. auch lernen müssen, dass Lösungsansätze immer wieder hinterfragt bzw. ausgetauscht werden müssen. Aber eine hohe technische und soziale Innovationsrate zu haben kann ja durchaus auch sehr positiv sein.

          • Zustimmung: Entwicklungen, die schon eingeleitet sind, sollten weiterlaufen trotz möglicher Schwächen. Kaliforniens Renewables Portfolio Standard beispielsweise zielt auf einen Anteil von 33% an Erneuerbaren Energien bis 2020. Dabei tauchen auch schon Schwierigkeiten auf wie Phasen von Stromüberproduktion. Es gibt verschiedene Vorschläge wie damit umgegangen werden soll. Ein Vorschlag will den Überschussstrom in Batterein von Elektromobilen speichern, denn E-Mobile gibt es in Kalifornien auch schon mehr als in anderen Staaten. Es muss also improvisiert werden. Wir haben es mit einer evolutionären Entwicklung zu tun. Ein Übergang zu mehr Erneuerbaren stösst in fast jedem Land auf andere Probleme, die auch jeweils anders gelöst werden müssen. Flexibilität ist nötig und neue Entwicklungen – wie beispielsweise ein hoher Anteil von EMobilen- sollten in bestehende Projekte einfliessen.
            Daneben sollte es aber auch Forschung geben, die längerfristig orientiert ist und die später eventuell zu völlig neuen Lösungen führen kann.

          • Es sollten möglichst viele Ansätze parallel verfolgt werden. Sowohl theoretische wie Suffizienz, C2C, Veganismus, als auch praktische. Europa schneidet bei der Vielfalt der in der theoretischen Ansätze gut ab, die USA schneiden bei der parallelen Verfolgung vieler technischer Alternativen gut ab. Das ARPA-E-Programm beispielsweise fördert potenziell transformative Energietechnologien aus allen denkbaren Bereichen, von den erneuerbaren Energien, der Elektromobilität bis zu den Electrofuels (Bakterien die aus Elektrizität direkt Treibstoff herstellen). ARPA-E beschränkt sich aber nicht auf die Erneuerbaren-Schiene. Kürzlich wurden mehrere alternative Wege der Nuklearfusion ins Förderprogramm aufgenommen mit Firmen wie Helion-Energy (Staged Magnetic Compression of FRC Targets to Fusion Conditions 3.9 Millionen Förderung, LANL – HyperV – Spherically Imploding Plasma Liners as a Standoff Magneto-Inertial-Fusion Driver 5.5 Millionen Förderung). Daneben gibt es in den USA eine Vielzahl von Firmenneugründungen, die im Energiebereich neue Technologien etablieren wollen. Bei der Nuklearenergie ist das beispielsweise Transatomic Power, welche einen Zirkon-moderierten Flüssigsalzreaktor plant, der radioaktiven Abfall als Brennstoff akzeptiert und womit eine Reaktorflotte solcher Reaktoren allen hochradioaktiven Abfall der USA in 70 Jahren verbrauchen könnte, oder Terrestrial Energy, eine kanadische Firma, die einen Flüssigsalzreaktor baut, welcher sichere und konzeptionell einfache Technologie massenfabrizierbar machen will.
            Es gibt bis jetzt keine eindeutigen Siegertechnologien. Lange Zeit wurde im Energiebereich kaum investiert. Sich nur auf Wind- und Solarenergie festzulegen scheint angesichts der Offenheit der technologischen Zukunft nicht klug. Zumal nicht alle Länder gleich gut für eine rein erneuerbare Energieversorgung geeignet sind. David Mc Kay’s Map of the World zeigt sehr instruktiv, dass eine Energieversorung allein mit Wind, Sonne und Biomasse für ein Land umso schwieriger wird, je höher die Bevölkerungsdichte und der Energieverbrauch pro Person ist. Länder wie die USA, Russland, Australien, Brasilien sollten schon mit einer geringen Fläche an Wind- und Solarinstallationen relativ zu ihrer Landesfläche ihre Energiebedürfnisse abdecken können, Für Länder wie Südkorea, Deutschland, Grossbritannien wird das schon schwieriger. In diesen Ländern muss beim gegenwärtigen Energieverbrauch bis zu 1/4 der Landesfläche Wind-Sonne und Biomassepflanzungen gewidmet werden, was nur dann akzeptierbar erscheint, wenn es keine überzeugende Alternative zu diesen Enerigen gibt.

          • Und speziell hierzu: Ich habe nicht gesagt, dass ich gegen Geoengineering-Forschung bin (dazu gehört übrigens ja ein weites Spektrum), sondern nur, dass Solar Radiation Management eine zu kurz gedachte Pseudolösung ist (verhindert z.B. keine Meeresversauerung, Governance-Problematiken etc).

            SRM wäre ein Workaround, böse Stimmen zumindest halten zeitgenössische Politik, wenn sie der Aufklärung geschuldet ist, der Menge, generell für “Workarounds”.

            Workarounds sind insofern sozusagen Standard, sie halten erfolgreiche Systeme, auch in der Wirtschaft, am Leben und werden in sogenannten Paradigmenwechseln von sozusagen echten Lösungen abgelöst (die aber streng genommen wiederum keine sein müssen).

            Auch insofern wird das Anthropozän interessant und wichtig bleiben.

            MFG
            Dr. W

  2. Ich möchte die Frage Paáls , ob man das Anthropozän braucht, um sich für Nachhaltigkeitsfragen zu engagieren, folgendermaßen beantworten: Ja, ich denke, das Anthropozän ist hierbei hilfreich, denn bei den bisher gestellten Nachhaltigkeitsfragen ist allzuoft nur der Abwägungsgedanke zwischen Ökonomie, Sozialem und eben Ökologie implementiert – allzu oft mit dem Ausgang, dass die ökologische Nachhaltigkeit zu Gunsten von Pragmatismus hinten herunterfällt.

    Mit ‘Nachhaltigkeit’ ist hoffentlich sinnhaftes ökologisches Handeln gemeint, nichts, was Richtung Biozentrismus geht…
    Ansonsten, das Konzept Anthropozän ist nett und hilfreich, was politische Fragen betrifft, das Anthropozän ist natürlich auch ein wissenschaftliches Konzept, gut dass hier weiterhin erörtert wird.
    Das Anthropozän ist politisch hilfreich, um einerseits das terrestrische Gesamtsystem eben als zusammenhängend anzunehmen und um andererseits auch nach Chancen zu suchen.
    Chancen gibt es natürlich, ein (auch regional steuerbarer) “Erdthermostat” wäre in jedem Fall sinnvoll, auch wenn die Erderwärmung noch ein wenig auf sich warten lassen sollte.

    MFG + weiterhin viel Erfolg,
    Dr. W

      • @ Herr Leinfelder :
        Ihr Kommentatorenfreund hat dies fast vermutet, ordnet dementsprechend aber nicht als günstig ein.
        Es gibt halt die üblichen grundsätzlichen Sichtmengen “anthropozentrisch/humanistisch”, “biozentrisch”, “theozentrisch” [1] und vielleicht noch anderes (das dem Schreiber dieser Zeilen im Moment nicht einfällt).

        MFG
        Dr. W

        [1]
        Die RK hat sich hier, spätestens mit diesem Werk dualistisch sozusagen abgefeimt, Benedikt, der XVI. wurde nicht müde die Möglichkeit des Zusammenseins von Glauben und Vernunft zu betonen; beim Biozentrismus und so dürfte es aber sehr schwierig werden.

  3. Lieber Herr Leinfelder,
    wie versprochen, jetzt nach meinem Urlaub, noch eine kurze Stellungnahme.
    Was die Geoethik betrifft, sind wir uns einig – das habe ich ja auch deutlich gemacht, dass ich es für kontraproduktiv halte, sie auf eine Ethik der Geowissenschaften zu reduzieren.
    Ebenso einig sind wir uns offenbar in bezug auf die Wissenschaftlichkeit.

    Ihr Argument in bezug auf die tages- oder wenigstens jahresgenaue Untergrenze überzeugt mich weniger. Sie schreiben: “Um erdgeschichtliche Prozesse aus den Gesteinen herauslesen zu können, benötigt man eine möglichst akkurate und hohe zeitliche Auflösung. Je genauer diese ist, je weniger also Äpfel mit Birnen verglichen werden, desto exakter ist die Interpretationsmöglichkeit.” Das stimmt, aber die jahresgenaue Anthropozän-Definition zielt, wenn ich es richtig sehe, nicht darauf ab (und vielleicht ist das das Problem), dass daraus weitere Erkenntnisse folgen. Nur weil jemand “1610” oder “1945” festlegt – oder aber einen groben Zeitraum am Ende des Pleistozän – wird ja niemand daraus falsche Kausalschlüsse ziehen und etwa die Kernenergie als Ursache der Industrialisierung “identifizieren”. Im Gegenteil: Erst die Nennung eines Jahres suggeriert ja, es gäbe “das” eine Jahr, das eine Ereignis, ab dem alles anders wurde. Wissenschaftlich würde ich umgekehrt argumentieren: Das Anthropozän ist ein Sammelbegriff, der die signifikante Änderung vieler – zunächst unabhängiger – Parameter bezeichnet. Es auf einen Stichjahr zu reduzieren, würde bedeuten, die Unterschiede zwischen den Parametern über einen Kamm zu scheren. Wenn ich nun die Diskussion richtig verfolge, wird man sich ja in der Working Group deshalb ja auch entweder nicht einig werden oder aber man einigt sich auf einen – im Zweifel politischen – Kompromiss. Solange nicht klar ist, was aus der Untergrenzen-Definition überhaupt folgen soll, scheint mir diese Debatte ziemlich müßig. Immerhin hat sie dem Anthropozän nochmal eine mediale Welle beschert – vielleicht ist das der tiefere Sinn dahinter?

    Ob das Anthropozän der Nachhaltigkeitsdebatte neue Impulse gibt, wird sich zeigen. All die in dem Zusammenhang relevanten Probleme – Klimawandel, Bodendegradation, Flächen – und Ressourcenverbrauch, Meeresversauerung, globale Gerechtigkeit – wurden lange vor der Anthropozändebatte diskutiert. Ob (und ab wann) man das Anthropozän anerkennt oder nicht, spielt für die politischen und technischen Antworten auf diese Probleme letztlich keine Rolle – es sei denn man überhöht das Anthropozän zu einer “neuen” ökologischen Haltung – die sich dann aber wie gegenüber der “alten” unterscheidet? Selbst der “Mensch als Teil der Natur” ist keine These, die es zuvor nicht auch schon gegeben hätte. Aber auch sie lässt sich ja, wie wir wissen, sehr unterschiedlich auslegen – auch fatalistisch. Eine besondere Verantwortung folgt aus dieser These allein nicht zwingend.

    Und trotzdem – da gebe ich Ihnen wieder recht – ist das Anthropozän als Idee natürlich aufregend. Das sage ich jetzt (mit Blick auf Ihre Tabelle) als Geograph: nicht weil es die Geographie wieder zusammenbrächte – sondern weil es einen neuen Blick auf die Erde erlaubt. Es ist vielleicht seit Plattentektonik und Treibhauseffekt das geowissenschaftliche Konzept mit dem stärksten öffentlichen “Aha-Effekt”-Potential. Der Unterschied ist, dass diese beiden Modelle konkrete praktische Konsequenzen (Erdbeben, Klimawandel) implizierten. Das fehlt dem Anthropozän (noch?). Die These sagt ja nichts voraus, sondern stellt etwas fest und benennt es. Aber es ist ein starkes heuristisches Konzept. Gerade deshalb meine ich, sollte man auch das Anthropozän nicht böse gesprochen, kulturphilosophisch überladen. Die Plattentektonik – wenn der Vergleich erlaubt ist – hatte das auch nicht nötig.

  4. Lieber Herr Paal, vielen Dank für diese interessanten Zeilen. Ich antworte da gerne noch ausführlicher, komme aber in den nächsten Tagen / der nächsten Woche aus Zeitgründen wohl leider nicht dazu. Aber eins ist mir gleich wichtig: die Unterschiede zum Nachhaltigkeitsgedanken. In der klassischen “Brundtland”-Definition, die unseren heutigen Nachhaltigkeitsgedanken nach wie vor dominiert, bilden Ökologie, Ökologie und Soziales die drei Säulen der Nachhaltigkeit, oder besser drei getrennte Bereiche, die sich eben überlappen sollten. Und diese Schnittmenge ist leider meist ziemlich klein, und die Ökologie zieht immer den kürzeren, wenn Ökonomie und Soziales besonders wesentlich erscheinen (wie jetzt z.B. bei der Braunkohle-AbbaudebatteI. Aus Anthropozän-Sicht wird die Ökologie zwar nicht irgendwie “wichtiger” als die beiden anderen Bereiche (was bei biozentrischer Betrachtungsweise ggf. der Fall wäre), sondern die Beziehungen sind insgesamt anders – es gibt keine ggf. verhandelbare Schnittmenge, sondern eine “Einbettung”. Die Ökonomie (ein innerer Kreis) kann nur nachhaltig funktionieren, wenn sie sozial eingebettet ist (ein mittlerer Kreis, in dem die Ökonomie “ruht”) und diese beiden wiederum sollten sich ihrer Bedingtheit und Abhängigkeit vom funktionierenden Erdsystem (ein äußerer Kreis, in dem die beiden anderen komplett eingebettet sind) bewusst sein. Das ergibt aus meiner Sicht schon eine deutlich andere Sichtweise auf die Nachhaltigkeit. siehe dazu auch http://www.nature.com/nature/journal/v495/n7441/full/495305a.html Beste Grüße, Reinhold Leinfelder

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