Warum die EU/Türkei-Verhandlungen ein Rubinstein-Spiel waren

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Sehr viele EU-Bürger haben Mitleid mit den syrischen Flüchtlingen und möchten ihnen helfen. Sie sind viel mehr als diejenigen, die Flüchtlingsheime anzünden oder auf der Straße gegen die weitere Aufnahme von Flüchtlingen demonstrieren. Die EU-Regierungen sehen die Aufnahme von Flüchtlingen jedoch als Problem, die ungeplante große Kosten im Staatsbudget verursacht und zukünftige Wählerstimmen kosten kann. Je länger der Syrien-Krieg dauert, desto mehr Flüchtlinge kommen und desto höher werden diese Kosten.

Von diesem Standpunkt aus kann man die zurückliegenden EU/Türkei-Verhandlungen zu den syrischen Flüchtlingen auch spieltheoretisch betrachten: Es geht um ein Problem, dass umso größer wird, je länger man wartet, es durch Verhandlungen zu lösen. In der Verhandlungstheorie, einer Disziplin der Spieltheorie, nennen Spieltheoretiker dieses Szenario Rubinstein-Spiel, nachdem Spieltheoretiker Ariel Rubinstein, der 1982 einen viel beachteten Fachartikel dazu schrieb.

Ein Beispiel für dieses Rubinstein-Spiel ist die Joker Mob Negotiation in dem sechsten Batman-Film The Dark Knight.

Ein Beispiel für ein Rubinstein-Spiel: Joker Mob Negotation in The Dark Knight

Leider gibt es noch keine deutschen Untertitel für diesen Video-Clip.

Worum geht es in der Joker Mob Negotation?

Der Joker raubt mit einer Gruppe von Bankräubern die Gotham National Bank aus, die der Mafia gehört und ihr als Geldwäschepunkt dient. Kurz nach dem Banküberfall ruft der Mafiaboss Sal Maroni die anderen Gothamer Gangsterbosse zu einer Besprechung zusammen. Er erwähnt den Joker, der ihnen ihr Geld gestohlen hat, und bezeichnet ihn als “irgendeinen geschminkten Schwachkopf mit billigem Lila Anzug”, einen Niemand, den man vergessen könne, seine Sorgen gelten der Tatsache, dass das Geld von der Polizei zurückverfolgt werden kann. Der chinesische Gangster Lau, der über einen Fernseher an der Konferenz teilnimmt, erzählt ihnen, dass er die gesamten Guthaben der Banken an einen sicheren Ort gebracht hat und sie dort aufbewahren würde.

Der Joker platzt in das Meeting und bezeichnet den “sogenannten Plan” der Gangster als schlechten Witz. Er bietet den Gangsterbossen an,  Batman zu beseitigen, fordert dafür aber die Hälfte ihres gesamten Vermögens. Er sagt ihnen auch, dass Batman Lau finden würde und dass Lau die anderen, wenn er verhaftet wird, verraten würde. Je länger die Gangsterbosse ihre Entscheidung hinauszögern, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Batman Lau findet und die Gangster all ihr Geld verlieren. Die Zeit spielt also gegen sie. Der Tschetschene und Sal Maroni sind interessiert, aber Gambol, verärgert über die Respektlosigkeit des Jokers, versucht ihn anzugreifen, woraufhin der Joker eine Ladung Granaten zeigt, die er an der Innenseite seiner Jacke trägt und deren Zündung er mit einem Faden an seinem Daumen befestigt hat. Der Joker verschwindet dann – nicht ohne seine Businesskarte für weitere Verhandlungen zurückzulassen. Später nehmen die Gangsterbosse das Angebot des Jokers an.

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Joe Dramiga ist Neurogenetiker und hat Biologie an der Universität Köln und am King’s College London studiert. In seiner Doktorarbeit beschäftigte er sich mit der Genexpression in einem Mausmodell für die Frontotemporale Demenz. Die Frontotemporale Demenz ist eine Erkrankung des Gehirns, die sowohl Ähnlichkeit mit Alzheimer als auch mit Parkinson hat. Kontakt: jdramiga [at] googlemail [dot] com

12 Kommentare

  1. Zum Verständnis – nachdem mich Wikipedia wegen einer für mich unverständlichen mathematischen Notation im Stich lässt, eine Frage:
    Es gibt ein Verhandlungsmodell, dass in Filmen manchmal zu sehen ist.
    A: Es kostet 50 $.
    B: Ich biete 30 $.
    A: 60 $.
    B: Okay, Sie haben gewonnen. 50 $.
    A: 70 $.
    B: Ich habe verstanden. 80 $.
    Ist das ein Rubinstein-Modell?

  2. Die EU/Türkei-Verhandlungen waren nur dann ein Rubinstein-Spiel, wenn die Türken ihren Part der Bedingungen erfüllen. Sollten sie vertragsbrüchig werden nachdem sie bereits Milliarden überwiesen erhielten, wäre es kein Rubinstein-Spiel, denn ein Rubinstein-Spiel geht von vollständiger Informiertheit beider Parteien aus. Beide Parteien sehen die gleiche Zukunft und zweifeln nicht daran. Wenn eine Partei besser informiert ist als die andere, dann ist es kein Rubinstein-Spiel.

    • @ Herr Holzherr :

      ein Rubinstein-Spiel geht von vollständiger Informiertheit beider Parteien aus

      Netter Gedanke, außerhalb idealtypisierender Modellierung kann es dann aber, in der Realwelt sozusagen, keine Rubinstein-Spiele geben.
      Das, was der Schreiber dieser Zeilen der Rubinstein-Modellierung entnimmt, ist der Zeitfaktor, die Geduld, Rubinstein-Modellierung erklärt sehr genau, warum Verhandlungen wichtige Gegenstände (die in praxi nie nicht klar umrissen sind, vgl. mit dem oben Zitierten) meinend lange dauern müssen.
      Obwohl dies (erst einmal) anti-intuitiv ist.

      MFG
      Dr. Webbaer

      • Ein Rubinstein-Spiel ist ein mathematisches Modell. Die geforderte vollständige Infomiertheit ist aber meiner Ansicht nicht nötig. Es muss nur gefordert werden, das beide Verhandlungspartner gleich informiert sind. Entscheidend bei der Rubinstein-Situation ist der Zeitfaktor, was bedeutet, dass Verhandeln auch einen Preis hat, der umso mehr steigt, je länger die Verhandlungen dauern. In der Realität gibt es fast immer einen “Rubinsteinfaktor”. Nehmen wir einmal an, es gehe darum bis zu einem bestimmten Termin ein neues Gebäude (Schule) oder eine Infrastruktur (Autobahnabschnitt) zu erstellen und es gibt zwei konkurrierende Projektierungsinstanzen (z.b. zuständiges Amt und beauftragter Projektleiter), die leicht unterschiedliche Ansichten über die Realisierung haben. Je länger nun die Diskussionen und die Verhandlungen anhalten umso weniger Zeit bleibt für die Realisierung und umso schwieriger wird es den gegeben Zeitrahmen einzuhalten. Bei weniger Zeit werden die Autragnehmer, die das Projekt ausführen, auch eine höhere Entgeltung fordern oder es gibt eine kleinre Auswahl von Auftragnehmern, die gerade verfügbar sind.

        • @ Herr Holzherr :

          Es muss nur gefordert werden, das beide Verhandlungspartner gleich informiert sind.

          Negativ.

          Dies ist in der “Realwelt”, gerade auch das Wirtschaftliche meinend, leider leider nicht möglich.
          Mit dem Zeitfaktor liegen Sie natürlich richtig, Mehrwert kann nur generiert werden, wenn sich eine dbzgl. Möglichkeit auftut, idR sind hier auch Lieferanten von möglicher Ware und (Dienst-)Leistung im Spiel und Abnehmer, die eben diese Ware oder Leistung benötigen, jeweils eine besondere Zeitlichkeit meinend.

          Dbzgl. besteht in der Tat ein “Gag” darin, dass einerseits wirtschaftlich sinnhaft zusammengewirkt werden könnte, dass die Zeitlichkeit hier aber potentiell destruktiv wirkt.
          Also bei dieser Rubinstein-Modellierung, die allerdings trivial wirkt, zumindest: bei einigen.
          Der Name ist natürlich OK.

          MFG
          Dr. Webbaer

  3. Eventuelle könnten die Verhandlungen um das klimapolitische 2°C-Ziel ein Rubinstein-Spiel sein.
    Rubinstein-Spiel:: Ein Rubinstein-Spiel ist ein 2-Parteien-Spiel wo Forderungen des einen vom andern akzeptiert oder abgelehnt und mit einer Gegenforderung quittiert werden können. Je länger sich die Verhandlungen hinziehen umso weniger bleibt vom ursprünglichen Verhandlungsziel – dem symbolischen Kuchen, den man verteilen möchte – übrigt.
    Klimaverhandlungen als Rubinstein-Spiel
    Die Klimaverhandlungen die zum Ziel haben mit klimapolitischen Massnahmen unter einer Erdsystemerwärmung von 2°C zu bleiben können als N-Parteien-Rubinsteinspiel interpretiert werden. Jeder Verhandlungspartner kann von den Anderen bestimmte klimapolitische Massnahmen einfordern. Die anderen können diese Massnahmen ablehnen, womit die nächste Runde eröffnet ist. Je länger dieses Hin und Her geht, desto weniger ist das 2°C-Ziel erreichbar, denn ohne eingeleitete klimapolitische Massnahmen steigen die Temperaturen ungebremst.
    Sind die Bedingugen für die Erfüllung des Rubinsteinspiel-Kriteriusm beim Klimapoker erfüllt?
    1) Sind es 2 Parteien, die um ein Ziel kämpfen? Nein: Beim Kliampoker sind es die 170+ souveränen UNO-Staaten, die verhandeln und nicht 2 Parteien.
    2) Haben alle Parteien die gleiche und vollständige, vollkommene Information? Im Prinzip ja. Niemand hat zwar vollständige Information, aber alle haben die gleichen Informationsquellen in Form beispielsweise externen Expertenwissens
    3) Handelt es sich um stationäre, geschichtsunabhängige Strategien? Es macht den Eindruck. Dazugelernt haben die Akteure nicht.
    4) Haben die Teilnehmer die richtige Lösung, die es zum Rubinstein-Spiel gibt gefunen? Nein. Denn dann müssten sie die Verhandlungen mit dem ersten “gerechten” Verhandlungsangebot beenden.

    • Ich denke auch, dass man die klimapolitischen Verhandlungen über das 2°C-Ziel als N-Parteien-Rubinsteinspiel interpretieren kann. Das mehr als zwei Parteien beteiligt sind ist ein Grund (von vielen) warum die Sache komplizierter ist. Ein anderer Grund ist, dass hier noch die Tragödie des Allgemeinguts (tragedy of the commons) hineinspielt. Je mehr mitverhandeln umso weniger will der Einzelne zur Erreichung des Ziels beitragen.

    • Die “Klimaverhandlungen” werden ein Prozess bleiben, zumindest der Schreiber dieser Zeilen tippt hier auf den “Verhandlungserfolg” Adaption an den sich abzeichnenden Wandel.
      Es wird dennoch zu weitreichenden Zahlungsfolgen kommen, auch weil die Verhandelnden ihr Gesicht wahren müssen, es nicht ihr Geld ist und Verhandlungserfolge oder “Verhandlungserfolge”> zumindest in “westlichen” Gesellschaften zu kommunizieren sind.

      Übrigens ist dies immer ein Problem auch in der Wirtschaft, wenn Verhandelnde nicht gleichzeitig Teilhaber sind.

      • Die Klimakonferenzen haben sich über Jahre hingezogen, weil das Klima oder das 2°C-Ziel bei vielen Staaten längst nicht den hohen Stellenwert hat, den ich mir wünsche. Für diese Staaten gab es daher wenig Druck über das Klima zu verhandeln. Der Druck musste künstlich enorm erhöht werden, um die Verhandlungszeit zu verkürzen und schnell eine Einigung zu erzielen. (Wie das gemacht wurde, weiß ich nicht). Bei den EU-Staaten war in Bezug auf Flüchtlinge der Druck enorm hoch und sie konnten sich mit der Türkei innerhalb weniger Monate einigen. Bei hohem Druck und wenig Zeit ist natürlich die Frage was die jeweiligen Parteien “Schönes” anzubieten haben. Nicht nur schön, sondern auch etwas, von dem sie lange etwas haben. Wenn die zu verhandelnde Sache für eine Partei einen geringen Stellenwert hat und die andere Partei wenig zu bieten hat, dann wird es sehr wahrscheinlich nicht auf ein Rubinstein-Spiel hinauslaufen. Eine Möglichkeit, die andere Partei wieder in ein Rubinstein-Szenario zu “zwingen” ist, das Angebot der einen Partei gleichzeitig über ein anderes Thema zu verhandeln, welches für die andere Partei einen hohen Stellenwert hat und wünschenswerter Weise schnell erledigt werden sollte.

        • Lieber Herr Dramiga, ganz ehrlich, so ganz schlau ist Ihr Kommentatorenfreund aus dem Rubinstein-Verhandlungsmodell noch nicht geworden, insbesondere auch nicht daraus, wie das Nash-Equilibrium hier hineinspielt oder hineinspielen soll, zudem müssten alle nicht-kooperativen Verhandlungen “Rubinstein-Spiele” sein, wenn es einen Mehrwert zu generieren gibt, wenn also beide (oder n) Seiten von Kooperation profitieren könnten.

          Wenn eine Kooperationsseite eine andere dazu “zwingt” auf ein bestimmtes Angebot einzugehen indem sie schlicht in einzelnen Punkten “gekauft” wird, liegt wohl auch ein “Rubinstein-Spiel” vor, korrekt, allerdings funktioniert das wirtschaftliche Handeln schon eher so, dass Anbieter von Dienstleistung oder Ware und Abnehmer von Dienstleistung oder Ware in der Nähe des sogenannten Marktpreises eine Näherung finden.

          Ganz am Rande angemerkt: Zu den Klimaverhandlungen gibt es das wissenschaftsnahe WebLog Umweltforsch (vs. ‘Umweltfrosch’ wie der Schreiber dieser Zeilen beim anfänglichen Lese-Konsum längere Zeit gelesen hat), die Kollegen um (?) Reimund Schwarze machen einen sehr klugen Eindruck, sofern dies der Schreiber dieser Zeilen so einschätzen darf und kann, natürlich nur.

          MFG + weiterhin viel Erfolg!
          Dr. Webbaer

  4. Ergänzt werden kann zur Analyse im WebLog-Artikel, vielen Dank hierfür, noch, dass die EU über Möglichkeiten verfügt ungesteuerte Einwanderung zu verhindern, Stichwort: Schließung der sogenannten Balkan-Route, dass also auch die Türkei in den Verhandlungen unter einem gewissen Druck steht, denn eigentlich -so zumindest der Verdacht- wollen bestimmte europäische Politiker hauptsächlich Fernsehbilder verhindern, die sie unmenschlich erscheinen lassen könnten.
    Insofern steckt auf beiden Seiten der Zynismus (vs. Ursismus).

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