Digitale Meme

Wie wirkt sich die Digitalisierung auf Meme der Schrift aus? Ein naheliegender Gedanke wäre es, die digitale Kodierung eines Textes als ein weiteres Medium aufzufassen, in dem Schrift ausgeprägt sein kann. Damit wäre die digitale Kodierung ein weiterer „Phänotyp“ eines Mems. In der Evolutionstheorie bezeichnet der Phänotyp die Gesamtheit der Eigenschaften eines Organismus. Diese werden durch die Gene maßgeblich gesteuert. Die Fähigkeit des Organismus sich fortzupflanzen, und somit die Reproduktion der Gene hängt entscheidend vom Phänotyp ab.[i] Dawkins bezeichnet den Phänotyp auch als ein Vehikel der Gene, als ihre „Überlebensmaschine“. Und die Evolution hat unüberschaubar viele „Überlebensmaschinen“ hervorgebracht, die mit ihren jeweiligen Eigenschaften an bestimmte Umweltbedingungen angepasst sind – von der Amöbe über die Orchidee bis zum Brontosaurus.

Weil die Organismen in ihrer Entwicklung mit der Umwelt interagieren, weisen sie aber auch Variationen auf, die nicht durch die Gene gesteuert sind. Die Größe eines Tiers etwa hängt zum Teil eben auch davon ab, wie viel und welche Nahrung ihm zur Verfügung steht. Phänotypen von Memen sind Sprachlaute, Texte, Bilder, Klänge, Fotos, Gebäude, Kleidungsstücke, Geräte, Aufführungen, Kunstwerke und vieles andere. All diese Phänotypen sind auch an bestimmte kulturelle Umweltbedingungen angepasst. Eine Ballettaufführung als phänotypische Realisierung eines choreografischen Mems kann nur im Ballettsaal oder auf der Bühne „leben“ (sieht man einmal von der medialen Reproduktion etwa per Videoaufzeichnung ab), ein komplizierter philosophischer Text wie die Kritik der reinen Vernunft von Immanuel Kant nur in schriftlicher Form auf dem Papier (oder anderen Trägermedien für Schrift). Man kann dabei gleich erkennen, dass ein Phänotyp auch bei Memen ein gewisses Variationsspektrum aufweist. Inszenierungen von Goethes Faust unterscheiden sich im Theater erheblich voneinander – es sind durch die jeweiligen kulturellen Umweltbedingungen geprägte Phänotypen des Memplex „Faust“ (und die einzelnen Aufführungen einer Inszenierung Abend für Abend dementsprechend die „Lebewesen“). Wichtige Werke aus Literatur und Wissenschaft werden immer wieder neu aufgelegt und liegen in unterschiedlichen Fassungen vor, die ebenfalls als unterschiedlich ausgeprägte Phänotypen verstanden werden können. Übersetzungen derartiger Werke entstehen alle paar Jahrzehnte neu; auch sie kann man als Varianten eines Phänotyps verstehen.

Die digitale Kodierung von Schrift als einen weiteren Phänotyp aufzufassen, ist allerdings nicht sehr plausibel, weil die Kodierung von Schrift auf digitalen Trägermedien ganz andere Eigenschaften aufweist als die Fixierung von Schrift auf physischen Medien wie Papier. Vor allem können wir Menschen die digitale Kodierung nicht direkt nutzen, sondern müssen sie durch den Computer in eine uns zugängliche Form übersetzen. Deshalb können wir hier nicht von dem Phänotyp eines Mems sprechen, und deshalb ist es sinnvoller, die digitale Kodierung selbst als memetische Information anzusehen, aus der Phänotypen hervorgehen können. Der Phänotyp eines digitalen Mems wäre dann seine Darstellung auf dem Computerbildschirm, sein Verhalten als ausgeführtes Programm oder sein Ausdruck auf Papier. Damit würden digitale Meme einen zweiten Typus von Memen darstellen neben denjenigen, die seinerzeit von Dawkins betrachtet wurden. Diese Meme haben ihren Lebensraum ja in menschlichen Gehirnen und gelangen ebenfalls durch Medien als Phänotypen in die dingliche Welt. Wir sollten diese beiden unterschiedlichen Arten von Memen klar voneinander unterscheiden: Ich möchte die Meme in unseren Köpfen „neuronale Meme“ oder kurz „n-Meme“ nennen, die digitalen Meme dann entsprechend „d-Meme“.

Verhältnis von d-Memen zu n-Memen

In welchem Verhältnis stehen d-Meme und n-Meme zueinander? Viele d-Meme entstehen offenbar aus n-Memen. Wenn ein Mensch einen Text schreibt, verwandelt er die n-Meme in seinem Kopf zu d-Memen im Speicher des Computers. Das unterscheidet das hybride Schreiben vom traditionellen Schreiben in der Schriftkultur: Dort wurden durch den Schreibvorgang Phänotypen von n-Memen geschaffen. Das hybride Schreiben hingegen bringt Phänotypen von n-Memen hervor und zugleich d-Meme als solche. Beim digitalen Schreiben hilft der Computer mit: Schon bei der Erfassung der einzelnen Schriftzeichen, aber auch im Schreibprozess oder bei der Textgestaltung ist er beteiligt. d-Meme entstehen also durch menschliches Tun, der Computer ist aber von Anfang an beteiligt.

n-Meme und d-Meme „begegnen“ einander auf der Ebene mancher Phänotypen: Die Darstellung eines digitalen Textes auf dem Computerdisplay erlaubt es dem Menschen, das digitale Mem im Computer durch Lesen als ein neuronales Mem in seinem Kopf zu rekonstruieren. Derartige Phänotypen bilden also Schnittstellen zwischen den Welten der n-Meme und der d-Meme. Manche anderen Phänotypen verbleiben jedoch in der einen oder anderen Welt: Durch handschriftliche Notizen an der Tafel, begleitet von erläuternden mündlichen Ausführungen, wandern in einem Seminar zwar n-Meme von Kopf zu Kopf, lassen sich bislang aber nicht per Computer erfassen und angemessen digital repräsentieren. Gleiches gilt für den gemeinsamen Bedeutungsraum, der zwischen Menschen in einer Diskussion entsteht. Auf der anderen Seite sind auch viele Phänotypen von d-Memen dem Menschen nicht zugänglich: Eine DVD stellt ein Medium für digitale Kodierungen dar, die von Computern ein- und ausgelesen werden können, nicht aber von Menschen. Auch Listen, Tabellen oder andere Arten der systematischen Aufstellung umfangreicher Informationsbestände sind dem Menschen in ihrer Gesamtheit selbst dann nicht zugänglich, wenn sie ausgedruckt auf Papier vorliegen – allenfalls in kleinen Ausschnitten.

Auch wenn n-Meme und d-Meme mit bestimmten Phänotypen einander „begegnen“, werden sie in ihrem jeweiligen Umfeld doch auf sehr unterschiedliche Weise verarbeitet. Der Mensch ist sehr gut darin, Bezüge herzustellen, Analogien auszumachen, Metaphern zu verarbeiten, größere gestalthafte Zusammenhänge zu erkennen und emotionale Bewertungen vorzunehmen. Diese Fähigkeiten prägen auch die Evolution von n-Memen, indem sie zu Veränderungen führen – zielgerichtete Mutationen, die zuweilen auch als Kreativität bezeichnet werden. Der Computer arbeitet mit d-Memen ganz anders: Sie werden nach festen Regeln durchsucht und gruppiert, es werden statistische Informationen aus ihnen abgeleitet und Ordnungen hergestellt. Durch die „Übersetzung“ von Memen aus der Sphäre des Menschen in die des Computers oder umgekehrt werden die jeweils anderen Verarbeitungsverfahren erschlossen: Werden etwa statistische Daten visualisiert, sind sie der ganzheitlich-gestalthaften, auf Analogien und Metaphern ausgerichteten Denkweise des Menschen zugänglich. Werden andererseits sprachliche Daten digitalisiert, kann sie der Computer auszählen, statistisch untersuchen und nach unterschiedlichen Kriterien Listen erstellen. In beiden Fällen entstehen neue Meme, n-Meme und d-Meme.

Eigenschaften digitaler Meme

Richard Dawkins hatte drei Eigenschaften von Memen (und Genen) genannt, anhand derer ihr evolutionärer Erfolg abgeschätzt werden kann: Fruchtbarkeit, Wiedergabetreue (Kopiergenauigkeit) und Langlebigkeit. Auch d-Meme können wir danach beurteilen. Die Voraussetzung ihrer Fruchtbarkeit ist der Zusammenschluss von Computern zu Netzwerken. Ein d-Mem, beispielsweise ein Foto, könnte sich ohne das Internet kaum von Computer zu Computer bewegen. Das Internet hat jedoch eine sehr schnelle Verbreitung an eine Vielzahl von Empfängern möglich gemacht, so dass manche d-Meme eine sehr große Fruchtbarkeit erzielen können – eine viel größere, als sie n-Meme ohne digitale Verbreitungsverfahren erreichen könnten.

d-Meme können außerdem von einer hohen Kopiergenauigkeit profitieren, die durch ihre digitale Kodierung bei der Reproduktion gegeben ist. Beim Kopieren digitaler Daten werden Fehlererkennungs- und Korrekturtechniken eingesetzt, die eine sehr weitgehende Resistenz gegen die Entstehung von Kopierfehlern auch über viele „Generationen“ hinweg ermöglichen. Zusammen mit einer potentiell hohen Fruchtbarkeit können digitale Informationen in einem kurzen Zeitraum in identischer Form weltweite Wahrnehmung erlangen. In memetischer Interpretation heißt das, dass manche d-Meme sehr erfolgreich in anderen Computern reproduziert werden. Wir kennen solche Phänomene aus dem Nachrichtenbereich, wo Bilder traditionell eine große Rolle spielen: Durch das Internet sind Fotos manch aktueller Ereignisse nach wenigen Minuten, ja Sekunden auf Millionen von Computern, Smartphones oder Tablets weltweit.

Der dritte Aspekt des evolutionären Erfolgs von Memen, die Langlebigkeit, ist auf den ersten Blick bei d-Memen weniger gut ausgeprägt. Ein d-Mem wird nur selten physisch gesichert, es vergeht vielmehr beim Ausschalten des Computers oder bei einer Neubelegung des begrenzten Speichers. Ähnliches gilt allerdings auch für Gene und n-Meme: Genkopien verschwinden beim Tod des Individuums, n-Meme werden vergessen. Allenfalls mediale Speicherungsformen auf solider materieller Basis – Stein, Metall und ähnliches – stellen die langfristige Speicherung von n-Memen sicher. Aber darum geht es auch gar nicht: Die Langlebigkeit von Genen und Memen bezeichnet die Lebensdauer über die einzelnen Generationen hinweg. Viele n-Meme, etwa die sprachlichen, „leben“ schon seit Jahrhunderten, weil sie von Mensch zu Mensch weitergegeben werden. Manche Gene in unserem Körper gibt es seit Millionen von Jahren. Und ein ähnliches Prinzip gilt auch für d-Meme: Aufgrund ihrer sehr kurzen individuellen Lebensdauer in Speicherchips, auf Festplatten und DVDs werden digitale Daten ständig umkopiert und auf anderen Rechnern gesichert. Dadurch können auch sie eine hohe Lebensdauer erlangen – Informationen aus der Frühzeit des World Wide Web lassen sich noch heute in unveränderter Form abrufen, etwa die erste jemals veröffentlichte Web-Seite überhaupt.[ii] Der digitalen Sphäre ist aufgrund ihrer technischen Bedingungen von vornherein die ständige Reproduktion von Informationen eingeschrieben, wenn diese eine ausreichend große Bedeutung aufweisen.

Selektionseigenschaften von d-Memen

d-Meme besitzen also die Voraussetzung dafür, in der digitalen Sphäre einen eigenständigen evolutionären Prozess zu durchlaufen. In dieser Sphäre, ihrem „Biotop“, müssen auch besondere Selektionsbedingungen herrschen. Welche sind es? Es kann sich nur um die technologischen Bedingungen der Digitalität handeln, die anderen Beiträgen dieses Blogs schon thematisiert wurden: Automatisierung, Datenintegration und Vernetzung – darum ging es schon in Beiträgen zum digitalen Lesen und Schreiben und den kulturellen Tendenzen der Hybridität, der Multimedialität und der Sozialität näher befasst.

Der Grundgedanke ist ganz einfach: Wenn digitale Informationen als Meme evolutionär erfolgreich sind, sich also gegen andere d-Meme in Selektionsprozessen durchsetzen, dann kommt es auf genau diese Eigenschaften an. d-Meme, die so strukturiert sind, dass sie besonders effizient und umfassend automatischen Verarbeitungsverfahren zugänglich sind, setzen sich gegen weniger gut automatisierbare d-Meme durch. In charakteristischer Weise ist dies etwa bei der Digitalisierung von Musik zu sehen. Dies ist nämlich auf zwei verschiedene Arten möglich – so wie es auf CDs geschieht, auf denen die Schallwellen auf relativ direktem Wege digital kodiert werden, und auf der Basis des MP3-Standards, wobei das Audiosignal durch automatische Verfahren komprimiert wird. Nur durch die Komprimierung ist die Verschickung im Internet effizient möglich.

Ähnliches ist auch bei Texten zu verzeichnen: An einem gescannten Text, der wie ein Bild gespeichert wurde, kann man keine Textverarbeitung vornehmen. Dies ist nur mit einem zeichenweise kodierten Text möglich. Steht ein solcher Text zur Verfügung, wird er in der digitalen Sphäre einen Selektionsvorteil gegenüber dem als Bild gespeicherten Text besitzen, denn nur in diesem lassen sich Zeichenketten auffinden und Textstücke entnehmen. Die zweite Tendenz digitaler Texte ist die zur Datenintegration. Führt eine bestimmte Beschaffenheit von Texten zu einer umfassenderen Automatisierbarkeit, so erreichen Texte, die aufgrund der Datenintegration multimedial gestaltet sind, eine erhöhte Aufmerksamkeit und eine breitere kognitive Verarbeitung durch den Menschen. Der selektive Vorteil wird hier durch den Menschen bewirkt, der bei der Wahl zwischen einem multimedialen und einem monomedialen Informationsprodukt wohl grundsätzlich zu ersterem tendiert. Und schließlich die dritte Bedingung: Vernetzung. Hier wirkt der selektive Vorteil in beide Richtungen: Technisch gesehen lassen sich d-Meme in größerer Zahl reproduzieren, wenn sie auf die Gegebenheiten der Vernetzung möglichst gut abgestimmt sind. Dies gilt für verlinkte Webseiten im Internet gegenüber digitalen Print-Dokumenten wie etwa PDF-Dateien. Auf der anderen Seite wirken offenbar auch die Menschen auf die Selektion ein: Besser vernetzbare d-Meme unterstützen die kulturelle Tendenz der Sozialität. Das würde die gegenwärtig zu beobachtende Entwicklung erklären, nach der die E-Mail-Nutzung unter jüngeren Menschen deutlich zurückgeht zugunsten von Nachrichtendiensten, die in soziale Netzwerke integriert sind.

d-Meme als neue Replikatoren

Diese Beschreibung der Selektionsfaktoren von d-Memen wirft die Frage auf, ob sich die digitale Evolution nicht zumindest teilweise von der Einflussnahme durch den Menschen gelöst hat. n-Meme brauchen den Menschen zur Replikation, d-Meme den Computer. Zwar ist dieser durch den Menschen geschaffen worden, aber einmal vorhanden wird der Mensch für den Vorgang der Replikation nicht mehr benötigt. d-Meme können sich im Speicher eines Computers selbst replizieren, alle Voraussetzungen dafür sind vorhanden. Ist das d-Mem somit ein neuer Replikator, nach Gen und n-Mem der dritte? Ich bin der Meinung, dass er es tatsächlich ist. Mit digitalen Memen ist ein neuer Replikator entstanden, der sich vom Menschen gelöst hat. Er besitzt mit dem digitalen Code einen eigenen Replikationsmechanismus, der ganz anders funktioniert als die Replikation neuronaler Meme im Menschen. Er hat sich ein neues Biotop erschlossen, den Computer, und er unterliegt einer eigenständigen evolutionären Dynamik, die zumindest teilweise nicht mehr vom Menschen kontrollierten Selektionsbedingungen folgt. Ja, digitale Meme sind neue Replikatoren, und wir erleben bereits, auch wenn wir es nicht sehen wollen, dass ihre Evolution sie vom Menschen wegzuführen beginnt.

 

[i] Vgl. Zrzavý, Jan, Hynek Burda, David Storch, Sabine Begall & Stanislav Mihulka (2013). Evolution. Ein Lese-Lehrbuch. Berlin: Springer Spektrum, 2. Auflage, S. 55 und S. 103-107.

[ii] S. http://info.cern.ch/hypertext/WWW/TheProject.html, welches auch die Originaladresse ist. Die Seite datiert von Dezember 1990.

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Henning Lobin ist seit 2018 Direktor des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim (Mitglied der gemeinsam vom Bund und allen 16 Bundesländern finanzierten Leibniz-Gemeinschaft) und Professor für Germanistische Linguistik an der dortigen Universität. Zuvor war er ab 1999 Professor für Angewandte Sprachwissenschaft und Computerlinguistik an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Seine Forschungsschwerpunkte bilden die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Sprache, Texttechnologie, Grammatik, Wissenschaftskommunikation und Politolinguistik. Er ist Sprecher der Sektion "Geisteswissenschaften und Bildungsforschung" und Präsidiumsmitglied der Leibniz-Gemeinschaft, Mitglied germanistischer Fachbeiräte ua. von DAAD und Goethe-Institut, er war Mitglied des Forschungsbeirats der Stiftung Wissenschaft und Politik und des Fachkollegiums Sprachwissenschaft der DFG. Lobin ist Autor von neun Monografien und hat zahlreiche Sammelbände herausgegeben. Zuletzt erschienen sind Engelbarts Traum (Campus, 2014, polnische Übersetzung 2017, chinesische Übersetzung 2018), Digital und vernetzt. Das neue Bild der Sprache (Metzler, 2018) und Sprachkampf (Duden, 2021). Bei den SciLogs ist Henning Lobin seit 2014 Autor des Blogs "Die Engelbart-Galaxis", nachdem er dort bereits ab 2008 am Gruppenblog "Interactive Science" beteiligt war.

145 Kommentare

  1. Nur um mal i.p. der sog. Memetik ein wenig aufzuklären:
    Die Meme, die der geschätzte Herr Dawkins meint und die er auf Grund seiner Ausbildung als Biologe zu theoretisieren, auch wirksam über populärwissenschaftliche Publikationen zu verkaufen wusste, meinen natürlich die vulgäre Sichtenbildung der Menge, die weitgehend außerwissenschaftlich erfolgt, die in diesem Sinne tatsächlich gesondert betrachtet werden kann, sinnhafterweise, wobei aber nichts anderes vorliegt als die Sichtenbildung oder Theoretisierung der Leutz oder der Menge, sofern sie eben nicht in den wissenschaftlichen Apparat geraten ist.

    Insofern könnte sich unter (uns) Aufgeklärten auch gerne von der biologistischen Betrachtungsweise (“Meta-Theoretisierung”) ein wenig gelöst werden und – Schwupp! – anthropologisch oder politologisch geworden werden.

    Die derart gepflegte Rücksichtnahme auf die Biologie, auf derartige “biologistsiche” Merkmalserkennung und Theoretisierung, ist auf die heutzutage gesellschaftlich vorgefundenen Bezüge “etwas für die anderen” oder “Bull”.

    HTH
    Dr. W (der durchaus ein Herz für diejenigen hat, die unter dem Aspekt der heute bereit stehenden Informationstechnologie besonders abstrakt werden wollen, aber Biologismus à la Dawkins (der hier insgesamt sehr geschätzt wird, seine zentrale Idee auch vglw. töfte findet) muss nicht entstehen, es kann alternativ und besser einfach im Gesellschaftlichen argumentiert, Streit ausgetragen werden, ohne diesem unsäglichen biologistischen Überbau mit den Memen)

  2. Lese ich in dem Beitrag das plä..dings für die “quasi-natürliche” Selektion von im Internet gespeichertem Wissen (d-Memen) in Form von den angesprochenen sich über Generationen hinweg sich durch Wiederaufnahme und Abspeicherung duplizierenden Memen?

    Meint: keine Sicherung nach Art eines lexikalischen oder historischen Systems des Inhalts vom WWW?

    • @ demolog :

      ‘N-Meme’ müssten die Kultur meinen, ‘d-Meme’ die Kulturtechnik, hierzu:

      Wenn digitale Informationen als Meme evolutionär erfolgreich sind, sich also gegen andere d-Meme in Selektionsprozessen durchsetzen, dann kommt es auf genau diese Eigenschaften an. d-Meme, die so strukturiert sind, dass sie besonders effizient und umfassend automatischen Verarbeitungsverfahren zugänglich sind, setzen sich gegen weniger gut automatisierbare d-Meme durch.

      …ist vielleicht zu ergänzen, dass sich Kulturtechniken nicht zwingend durchsetzen, wenn sie den ihren zugedachten Aufgaben besonders gut entsprechen, dbzgl. effektiv und effizient sind [1], sondern dass im Ex-Post (vs, Ex-Ante und Ex-Inter) von erkennenden Subjekten und dies immer wahlfrei ein Selektionsprozess (mit einem bestimmten Ergebnis) sinnhafterweise nachträglich festgestellt werden kann.
      Wobei diese Feststellung eine Momentaufnahme zu bleiben hat, nichts Schlechtes daran, es darf auch nachträglich theoretisiert werden, warum dieser Prozess genau die vorgefundenen Ergebnisse / die vorgefundene Selektion bewirkt haben könnte.
      In etwa so wie der Giraffe zugesprochen wird, genau deshalb einen langen Hals zu haben, weil sie so besser fressen konnte (als andere Tiere); letztlich bleibt derartige Theoretisierung vage wie gewagt.

      MFG + ein schönes WE noch,
      Dr. W (der sich allerdings nicht ganz sicher ist die Frage korrekt verstanden zu haben)

      [1]
      Das sogenannte Betamax, das technisch überlegen war, hier “mal so” als Beispiel genannt.

      • Was du sagst, hab ich verstanden. Vielleicht hab ich das d-Mem falsch verstanden.
        In meiner Frage gings um das Speichern des Inhalts vom WWW. Sollte man, oder nicht. Und wenn, wie
        Oder sollte man auf eine evolutionäre Duplizierung des sich so als nützlichen Wissens herrausstellten Inhaltes setzen.
        Alles, was nicht dupliziert wird oder anderweitig immer wieder neu digital bereitgestellt wird, wäre dann für immer weg.

        Dazu war irgendwo ein Beitrag gewesen (entweder hier auf Scilogs oder auf Scienceblogs)

        Ach, der WIX-affine.. oder sind sie´s nicht? Manchmal werden ja auch Accounts / Alias im Sinne der vierten Dimension verwendet. (Vulgo: gemeinsam nacheinander verwendet).

        • @ demolog :

          In meiner Frage gings um das Speichern des Inhalts vom WWW. Sollte man, oder nicht. Und wenn, wie

          Herr Dr. Lobin sieht anscheinend eine “neue Welt aufziehen”, er hat sich insofern von herkömmlicher anthropologischer Sprachlichkeit gelöst; wie in dieser neuen Welt dann die Persistenz von Daten genau erfolgt, würde er vermutlich den sogenannten d-Memen überlassen sehen wollen, ursisch oder zynisch formuliert.
          Ansonsten bleibt Ihrem Kommentatorenfreund ein wenig unklar, wie Ihre Fragestellung ist, sowas kennen Sie?! :
          -> https://archive.org/web/

          Oder anders formuliert, davon hier selbst händisch zu werden, i.p. Datenhistorisierung (das Fachwort) des gesamten Webs, würde Ihr Kommentatorenfreund eher abraten.

          MFG
          Dr. W

          • “..sowas kennen Sie?!”

            Nein, wahrscheinlich nicht. ich glaub, ich will auch nicht. Neuerdings bin ich auch zu “deutsch” für sowas. Meint: ich hab nicht nur die Sprache verlernt, sondern auch die Möglichkeit, sie neu zu erschliessen – wie mir scheint.

            Auf die Gefahr hin, meine Messie-Neurose zu entlarven:
            Nichts aus dem Leben (und der Erinnerung) zu “löschen” (wegwerfen, zerstören, löschen, demontieren…) hat einen bestimmten Reiz. Dem muß nicht immer nachgegeben werden. Aber die andere Perspektive auf den Gegenstand zeigt gewisse Notwendigkeit zur Erhaltung auf.

            Warum abzuraten wäre, könnte mir allerdings gewissermaßen klar sein. Es würde herauskommen, dass es viele virtuelle Realitäten gibt – und zwar in einem sehr konkretem Sinne (nicht nur ala stereotyper Spielwelten eines Gamers). Was recht unangenehm wäre. Wie das so mit Wahrheit sei.

  3. Ich kann den Unterschied zwischen Texten, die wir per Computer projezieren und jenen, die wir ohne Energieaufwand direkt ablesen können, nicht nachvollziehen. Der Inhalt eines Textes, der erst in einem Gehirn eine Representation oder Besser ein Verständnis erlangt, ändert sich doch überhaupt nicht in Abhängigkeit von der Art und Weise, welchen Aufwand wir betreiben müssen, ihn zu dekodieren.
    Ich meine, sollte ich ein Mem schriftlich fixieren, dazu aber eine Tinte benutzen, die nur in UV-Licht sichtbar wird und dazu noch ein Code-Buch brauchen, weil ich sie in einer Cäsar-Chiffre notiere, dann ändert sich das Mem doch nicht! Ein Computer stellt doch auch nur eine Codiermaschine dar, der ich Energie zufügen muss. Ich sehe den Unterschied nicht! Das Mem ändert sich nicht, nur weil ich eine “Lesehilfe” benötige. Kants Text wird sich inhaltlich nicht dadurch ändern, dass ich ihn gedruckt vor mit habe oder aber aus Lichtemmisionen vom Bildschirm ablese.
    Viel entscheidender ist doch der soziale Kontext. Der ist sicher ein anderer, wenn ich einen Computer nutze, weil meine soziale und historische Stellung entscheidend ist, ob ich denn überhaupt einen Computer habe…

    • Alles richtich, Herr Dr. Lobin postuliert aber ganz dem Anschein nach eine Sich-Heraus-Lösung von, nun, von was eigentlich, eine neue Sprachlichkeit scheint zumindest gefunden worden zu sein. [1]
      Nice1 auch hier:

      Ja, digitale Meme sind neue Replikatoren, und wir erleben bereits, auch wenn wir es nicht sehen wollen, dass ihre Evolution sie vom Menschen wegzuführen beginnt.

      Wobei Schlussätze immer etwas Fazitäres haben, hmm, hmm…

      MFG
      Dr. W (der einräumt vor längerer Zeit US-amerikanische SciFi der Sechziger recht umfänglich zur Kenntnis genommen zu haben, sog. technische und experimentelle SciFi, die manchmal auch langweilig war, ihm hier vielleicht abär doch gelegentlich nützt)

      [1]
      Ansonsten könnte womöglich der bekannte Satz gelten, dass Systeme der IT keine sozialen Probleme lösen, dass sie als Werkzeug hinzugebaut sind und rein beihelfen.
      Geschäftslogik, Business Logic, hat kein Eigenleben entwickeln können, auch wenn bei Großunternehmen wie Google, Amazon und FB diesbezüglich angefragt werden könnte, bleibt die Antwort: nein.

    • Der Unterschied zwischen analogen und digitalen Texten ist meiner Meinung nach durchaus grundsätzlicher Natur. Ein wichtiger Unterschied ist der, dass digitale Texte immer einer gewissen “Interpretation” bedürfen, um von Menschen genutzt werden zu können. Der Rechenaufwand, den ein Computer betreiben muss, um einen HTML-kodierten Text im Browser anzuzeigen oder einen Word-Text auf das Display zu bekommen ist mittlerweile ziemlich groß. Und diese Kluft zwischen der digitalen Daten und der für uns Menschen geeigneten Darstellung wird immer größer: Man vergegenwärtige sich nur die computerlinguistischen Prozesse, die durchlaufen werden, wenn man sich eine auf Chinesisch verfasste Webseite im Chrome-Browser auf Deutsch anzeigen lässt.
      Die Eigenschaften der Digitalität, die dies ermöglichen bzw. notwendig machen, bilden auch die Grundlage für einen weiteren Punkt, der es rechtfertigt, hier einen Unterschied anzusetzen: Digitale Texte sind maschinell auswertbar, und es gibt mittlerweile eine ganze Reihe von Anwendungen, in denen natürlichsprachliche Texte ausschließlich von Rechnern erzeugt und verarbeitet werden. So werden bei automatisiert arbeitenden sog. “Quant-Fonds” Nachrichten wie die auf Google News für die Ermittlung von Kauf- bzw. Verkauf-Entscheidungen ausgewertet oder, anders herum, mittels Generatoren aus Wirtschaftsdaten Nachrichten generiert, die dann wiederum maschinell ausgewertet werden. Einige derartige Kreisläufe lassen sich inzwischen nachweisen, und derartige Phänomene sind einer der Gründe dafür, dass ich in diesem Beitrag von “n-Memen” und “d-Memen” spreche.

  4. Die Viralität einer Botschaft, eines Mems, spielte und spielt in der menschlichen Gesellschaft von jeher eine grosse Rolle. Moden gibt es nicht nur im Kleidungs- sondern in fast jedem Bereich und sie spielen insbesondere auch in der Wissenschaft eine wichtige Rolle. Eine neue Mode im Lebenstil, in der Art der Freizeitbeschäftigung, im Slang und den Redewendungen bereitet sich oft ähnlich und ähnlich schnell wie ein Virus aus. Digitale Meme/Botschaften sind potenziell sogar noch viraler als Botschaften, die über andere Medien transportiert werden, weil einfacher replizierbar, schneller kommunizierbar und einfacher und schneller editierbar.
    Doch wirklich selbständig sind digitale Botschaften nicht. Sie machen vor allem für Menschen Sinn und für einige Programme, die sie auswerten. Das könnte sich aber ändern, wenn Technologie – wie zu erwarten – immer mehr Ähnlichkeiten mit lebenden Systemen erhält. Zukünftige Strassen oder Gebäude könnten sich selbst reparieren, erhalten und bauen und dies augrund einer in ihnen verankerten technischen “DNA”. Technische Systeme könnten dann einer Evolution ganz ähnlicher Art und Weise wie der biologischen Evolution unterworfen sein.

  5. “Diese Beschreibung der Selektionsfaktoren von d-Memen wirft die Frage auf, ob sich die digitale Evolution nicht zumindest teilweise von der Einflussnahme durch den Menschen gelöst hat. […] Mit digitalen Memen ist ein neuer Replikator entstanden, der sich vom Menschen gelöst hat. Er besitzt mit dem digitalen Code einen eigenen Replikationsmechanismus, der ganz anders funktioniert als die Replikation neuronaler Meme im Menschen.”

    Ja und Nein. Ja, es gibt einen neuen Replikationsmechaismus. Aber beim Replizieren digitalen Codes handelt es sich rein um eine neue Art der Replikation, die da evolviert ist. Wenn man das Ganze decodiert hat, sich jeweils die Inhalte anschaut, findet man keine neue Ideen, keinen neuen Wein. Es sind immer noch die altbekannten Meme in neuen, nun eben nur ganz andersartigen Schläuchen. Also nein, es gibt keinen neuen Replikator.

    So haben sich sicher auch die Selektionsfaktoren geändert, aber selektiert werden doch noch immer die klassischen Meme.

    Mit der neuen Art der Replikation hat sich natürlich auch die Memexpression geändert. Möchte man die Idee der Memetik am Leben halten, so denke ich, sollte man nicht vorschnell für eine Inflation von Mem-Typen sorgen. Man könnte sich stattdessen zunächst einmal umfangreicher bei der Genetik bedienen und versuchen, weitere Analogien zu bilden. In der Genetik, tummeln sich z.B. so Dinge wie Ribosomen, mRNA und tRNA, die alle eine Rolle bei der Genexpression spielen. Eventuell ließen sich hier geeignete(re) Parallelen finden zum Verhältnis zwischen Memen und den neuen digitale Medien.

    Durch Schrift und die Möglichkeit zur technischen Reproduktion von Schrift hat sich die Art und Weise geändert wie Meme sich verbreiten können. Sozusagen weg von der bis dahin einzig möglichen, der sexuellen Vermehrung, mittels intimem, körpernahem Austausch von Mensch zu Mensch, hin zum ungeschlechtlichen Vervielfältigen und Klonen. Digitale Medien erlauben diese Vorgänge noch zu beschleunigen und gestatten darüber hinaus nun auch für Sprache, Musik und Videos die asexuelle Vermehrung, mehr nicht.

    • @ Joker :

      Sprachliche Regelungen aus der Mehrschichtigkeit des Seins schichtenübergreifend zu übernehmen, verglichen werden darf hier bspw. mit dieser kleinen NASA-Visualisieriung – http://apod.nasa.gov/apod/ap120312.html – hat wohl für einige etwas Verlockendes, muss aber nicht sachnah sein.
      Blöd, wie es vielleicht einigen scheint, dient die Informationstechnologie mit ihren Anwendungen direkter Idee der Betreibenden und Entwickelnden.
      Sie kann keine sozialen Probleme lösen und entwickelt keine neue Idee.

      Ursisch oder zynisch formuliert benötigte eine Zentraleinheit (“CPU”) womöglich die Größe der Erde und deren “Laufzeit”, um wie ins Auge gefasst neuernd zu werden.

      MFG
      Dr. W (der bereits bei der begrifflichen Verwendung von ‘Mem’ und ‘Selektion’ ungünstig hellhörig wird)

      • PS hierzu :

        Durch Schrift und die Möglichkeit zur technischen Reproduktion von Schrift hat sich die Art und Weise geändert wie Meme sich verbreiten können. Sozusagen weg von der bis dahin einzig möglichen, der sexuellen Vermehrung, mittels intimem, körpernahem Austausch von Mensch zu Mensch, hin zum ungeschlechtlichen Vervielfältigen und Klonen.

        “Meme” oder die ‘vulgäre Sichtenbildung der Menge, die weitgehend außerwissenschaftlich erfolgt’ (s.o.), wobei der Schreiber dieser Zeilen die Sicht und die Sichtenbildung deutlich begrifflich bevorzugt, sich Ansprüchen der sogenannten Memetik entgegenstellend, benötigen die Idee, diese kann dann, Datenlagen und Ideenlehren betreffend im Rahmen den Informationstechnologie bzw. deren Anwendung meinend persistiert werden, nichtsdestotrotz benötigt es weiterhin erkennende Subjekte, die in der Lage sind Information [1] zu Daten zu kodieren und per Dekodierung oder Abstraktion Idee aus Daten zu entnehmen, wobei die jeweiligen Kodierungsvorschriften, das Fachwort, bekannt bleiben müssen.

        Insofern guckt der Schreiber dieser Zeilen auch nur bestenfalls ein wenig gräulich, wenn die beschriebene Schichtenbildung irgendwie revolutioniert werden soll.
        Hier leidet übrigens auch traditionell das, was sich AI-Forschung nennt, dem Schreiber dieser Zeilen sind zwar seit bald 50 Jahren vollmundige Nachrichten dbzgl. Bemühter bekannt, aber keine Ansätze, die hierzu irgendwie beizuhelfen scheinen.
        Denn es gälte erkennende Subjekte zu bilden, wenn mehr als Instrumente gemeint sein sollen.

        [1]
        Niemand weiß, was Information genau ist, sie scheint aber eine Art Einstellung zu sein, die erkennende Subjekte oder Erkenntnissubjekte tragen, wenn sie sich der Welt oder alltäglichem Handeln unterwerfen, gerne hervorgeholt werden in diesem Zusammenhang Erkenntnissysteme, also letztlich soziale Veranstaltungen, die die Welt und das Sittliche meinen, allerdings ist dieser Bereich im Philophischen offen, die Formalwissenschaften haben bspw. keine derartige Entsprechung, sondern sind (erst einmal) “nackte Philosophie”.

        • *
          im Philosophischen

          MFG
          Dr. W (der bei derart notwendiger Korrektur nicht nur im Dreieck springt, nicht nur bildlich gesprochen, sondern zum Tilten neigt, weil dbzgl. Korrrektur hier unmöglich)

          PS:
          Auch beim Austimen der hier verwendeten CAPTCHAs neigt der Schreiber dieser Zeilen mittlerweile zur Implosion)

        • @ Dr. W

          “wenn die beschriebene Schichtenbildung irgendwie revolutioniert werden soll”

          Mem ist ein Neologismus, der bisher in keiner Schicht anzutreffen war; nur in einer Schicht, der kulturellen, Anwendung finden soll; und keinesfalls eine Schichtenbildung revolutioniert.

          Analogien zu bilden, Metaphern zu benutzen ist sprachimmanent. Dies geschieht ständig, und zwar schichten- und kategorienübergreifend – wie auch sonst? – ohne die bestehenden Grenzen dabei in Frage zu stellen.

          “das Fachwort” für Fachwort ist Terminus – HTH.

          Hierzu und auch zu “dieser kleinen NASA-Visualisieriung”, die Sie an allen passenden und unpassenden Stellen verlinken:

          “There is no reason for humans to remain stuck in an endless behavioral loop when wasps don’t.”

          • @ Joker :

            Die Sache mit der Memetik ist schon ‘neologisch’, sprachlich neuernd, und zwar Schichten meinend, es könnte einigen nicht entgangen sein, was der hiesige werte Inhaltegeber womöglich: weitergehend vorhat.
            Aus anthropologischer Sicht scheint hier nichts zu holen, andere womöglich: angeregte bis gewünschte Sprachlicheit bemühend.

            Insgesamt, dies soll auch offen eingeräumt werden, trampelt der Schreiber dieser Zeilen, der ja eine Kunstfigur ist, wie es jeder hier nicht unter klarer Namensnennung i.p. Feedback Beitragender ist, öh, .., wo war er stehen geblieben, …, .., …., öch ja, wichtich bleibt die System-Granulariät (das Fachwort), diejenige, die des Primaten Bemühung zu grundieren weiß, bedarfsweise, diese hier gerne beigebrachte “kleine NASA-Animation” ist natürlich nichts weiter als ein Wink, ein Schulterklopfen.

            MFG
            Dr. W (der natürlich nicht immer in Bestform ist, der i.p. Memetik aber negativ zäh bleibt)

          • @ Dr. W

            “was der hiesige werte Inhaltegeber womöglich: weitergehend vorhat.”

            Wenn Sie vielleicht noch die Güte hätten, die Stelle in dieser kleinen NASA-Animation zu bezeichnen – nicht nur um deren hiesige Relevanz aufzuzeigen -, an der ihrer Meinung nach Herr Lobin womöglich vorhat, die Schichtenbildung zu revolutionieren.

          • @ Joker :

            Diese “kleine NASA-Animation” wird hier traditionell beigebracht, um ein wenig auf die Nerven zu gehen und um zaunpfahlartig darauf hinzuweisen, dass sinnhaft zu bildende Schichtenbildung (“System-Granularität”) nicht nur in den Naturwissenschaften zu erfolgen hat, die “Gesetze” der Makro- und Mikro-Welt sind physikalisch bekanntlich nicht zu vereinbaren, im Rahmen einer “Weltformel”, sondern auch im Geisteswissenschaftlichen.

            Selbstverständlich ist der Schreiber dieser Zeilen hier ein wenig im “Gute-Laune-Modus”, selbstverständlich wird hier mit Analogien arbeitend zum Nachdenken angeregt.
            Es gibt bekanntlich unterschiedliche Systeme, in denen sich der Primat um Erkenntnis bemüht, bspw. die Natur betreffend, bspw. die Sitte betreffend, aber auch anderes betreffend, bspw. das Formale oder die Formalwissenschaften oder grob zusammengefasst die Logik oder Sprachlichkeit betreffend.

            Herr Dr. Lobin war an anderer Stelle so freundlich darauf hinzuweisen, dass er es mit der Memetik nicht sonderlich ernst meint, auf besonderen Wunsch hin wird Ihr Kommentatorenfreund hier noch belegend werden, insofern wird hier gemeinsam ein wenig herumgestochert, allgemein anzunehmenderweise: im “Gute-Laune-Modus”.

            MFG
            Dr. W

    • Ihren letzten beiden Absätzen kann ich nur beipflichten. Obwohl in der Sprach- und Kommunikationswissenschaft eine ganze Menge erreicht wurde in den letzten Jahrzehnten, so werden evolutionstheoretische Erwägungen bislang nur auf die ganz großen Zeiträume bei der Entwicklung von Sprachen angestellt. Inwieweit beispielsweise ein Gespräch als eine Bedeutungsevolution verstanden werden kann, in dem sich die Deutungen von Wörtern oder Aussagen durch Selektion und Reproduktion ausdifferenzieren, ist bislang kaum Gegenstand von Studien gewesen. Ganz ohne den Mem-Begriff hier strapazieren zu müssen, stellen sich hier eine ganze Reihe noch zu beantwortender Fragen.

  6. Herr Lobin, Sie schreiben:

    »d-Meme können außerdem von einer hohen Kopiergenauigkeit profitieren, die durch ihre digitale Kodierung bei der Reproduktion gegeben ist. Beim Kopieren digitaler Daten werden Fehlererkennungs- und Korrekturtechniken eingesetzt, die eine sehr weitgehende Resistenz gegen die Entstehung von Kopierfehlern auch über viele „Generationen“ hinweg ermöglichen.«

    Das aber würde doch jeden evolutiven Wandel verunmöglichen, oder etwa nicht? Schon bei n-Memen stellte sich ja die Frage, wie das Zusammenspiel von Replikation und Variation aussehen könnte, damit von einem echten evolutiven Wandel in Analogie zur genetischen Information (g-Memen?) gesprochen werden kann.

    Evolution besteht schließlich nicht darin, dass ein Gen oder Allel (oder Mem) unverändert die Zeiten überdauert, sondern darin, dass es sich in Variationen verbreitet und darum, und weil der Vermehrung Grenzen gesetzt sind, einer „Selektion“ unterworfen ist.

    • Ja, mit dieser Anmerkungen haben Sie recht. Dies gilt allerdings auch schon für die “klassische” Memetik, bei der Imitation als Mechanismus der Reproduktion angenommen wird. Sowohl Blackmore als auch Dennett und Schurz gehen deshalb davon aus, dass wir es im Bereich der kulturellen Evolution mit einer Art geleiteten Variation zu tun haben. Das Prinzip von Versuch und Irrtum setzt ja voraus, dass nicht einfach irgendetwas variiert wird, wenn z.B. ein technisches Gerät entwickeln wird, sondern einzelne Eigenschaften des bestehenden, noch zu verbessernden Geräts gezielt verändert werden, um dann zu sehen, wie sich diese Veränderungen auswirken.
      Auch im Falle der d-Meme, der digitalen Meme, sehe ich als einen bedeutenden Mechanismus der geleitete Variation, die in diesem Fall allerdings sehr viel schneller ablaufen und sehr viel mehr Parameter betreffen kann. Auf diese Weise sind etwa die Erfolge der Künstlichen-Intelligenz-Forschung in den letzten zehn Jahren entstanden: Nicht etwa, weil die Algorithmen grundsätzlich besser geworden sind, sondern weil der Suchraum viel größer werden konnte. Auf diese Weise kann etwa beim Schach für eine bestimmte Stellung eine neue Siegesstrategie gefunden werden, die für den Menschen aufgrund ihrer zu großen kombinatorischen Komplexität verschlossen bleiben. Man könnte also sagen, dass mit den d-Memen neue Möglichkeiten der Variation durch Massendatenanalyse entstehen.

      • Sowohl Blackmore als auch Dennett und Schurz gehen deshalb davon aus, dass wir es im Bereich der kulturellen Evolution mit einer Art geleiteten Variation zu tun haben. Das Prinzip von Versuch und Irrtum setzt ja voraus, dass nicht einfach irgendetwas variiert wird, wenn z.B. ein technisches Gerät entwickeln wird, sondern einzelne Eigenschaften des bestehenden, noch zu verbessernden Geräts gezielt verändert werden, um dann zu sehen, wie sich diese Veränderungen auswirken.

        Die gerichtete oder guided Variation ist aus memetischer Sicht ein problematisches Konzept, denn wer sollte für die Richtung sorgen, wenn nicht die Akteure mit ihren Interessen (mit ihrer Kompetenzverlustvermeidung)? Schurz beruft sich (S. 225f.) u.a. auf Boyd & Richerson. Es ist aber etwas anderes, ob Boyd & Richerson von guided variation sprechen oder ein Memetiker.

        Gut finde ich den Hinweis bei Schurz, dass die Nicht-Blindheit bei kulturellen Variationen nicht gegen die Evolutionsprinzipien spricht, wie es manche Puristen der biologischen Evolutionstheorie immer wieder behaupten.

        Gerichtete Variation beruht im Grunde darauf, dass erreichte Zustände gespeichert werden können, sodass jederzeit darauf zurückgegriffen werden kann, was in der biologischen Evolution üblicherweise nicht möglich ist.

        Beispiel: Ein Techniker ersinnt eine Produktverbesserung (das ist eine kreative Leistung, bei der Zufälle im Spiel sind). Anschließend wird ein Prototyp konstruiert, um das Produkt zu testen. Schneidet der Prototyp bei kritischen Tests besser ab als das bisherige Produkt, macht man damit weiter. Das ist der Weg, den die Natur üblicherweise auch einschlägt. Schneidet der Prototyp aber deutlich schlechter ab, wird man ihn wohl verwerfen und auf der Grundlage des bisherigen Produktstatus weitermachen. Dieser Weg steht der Natur üblicherweise nicht zur Verfügung. Sie muss mit jeder Mutation weitermachen, auch wenn sie eine Verschlechterung darstellt, denn der Ausgangszustand steht nicht mehr zur Verfügung (er stirbt irgendwann).

        Eine Verbesserung bei dieser Vorgehensweise stellt die Sexualität dar. Hier könnte man bei etlichen Arten die Männchen als Prototypen bzw. Testdummies verstehen: Diejenigen, die nicht den Ansprüchen der Weibchen (Kunden) genügen, werden evolutionär ausgeschieden. Mit den in ihren Augen besonders gut gelungenen Mutationen (den Produktverbesserungen) machen sie dann weiter.

        Kulturelle “Mutationen” bei den Männchen stellen dann eine weitere Verbesserung des Prozesses dar. Hier sind die Männchen nicht allein an ihre Gene gebunden, stattdessen können sie ihre Fitnessindikatoren (z. B. ihren Gesang) fortlaufend verbessern. Das setzt natürlich voraus, dass sie ihre Ohren aufhalten und ihr Angebot ständig verbessern und auf Anklang bei den Weibchen testen (üben üben üben). Spätestens hier ist man bei Merkmalen angelangt, deren Ausprägungen sich nur noch bedingt genetisch erklären lassen.

    • Danke für die Antwort, Herr Lobin. Sie schreiben:

      »Sowohl Blackmore als auch Dennett und Schurz gehen deshalb davon aus, dass wir es im Bereich der kulturellen Evolution mit einer Art geleiteten Variation zu tun haben.«

      Da sehe ich keinen Unterschied zur organismischen Evolution. Die möglichen Variationen sind bei Lebewesen aufgrund der systemischen Bedingungen stark eingeschränkt, wohl viel stärker als bei kulturellen Artefakten. Man denke nur an die „Evolution“ des iPods. In der Natur würde man bei einem solchen Entwicklungssprung von einem „hopeful monster“ sprechen.

      »Das Prinzip von Versuch und Irrtum setzt ja voraus, dass nicht einfach irgendetwas variiert wird, wenn z.B. ein technisches Gerät entwickeln wird, sondern einzelne Eigenschaften des bestehenden, noch zu verbessernden Geräts gezielt verändert werden, um dann zu sehen, wie sich diese Veränderungen auswirken.«

      Hier würde ich einen fundamentalen Unterschied zum natürlichen Evolutionsprozess sehen, denn dort gibt es das Prinzip von Versuch und Irrtum eigentlich nicht, also nicht wirklich, dort gibt es dieses Prinzip nur im übertragenen Sinne, also rein konzeptionell.

      »Man könnte also sagen, dass mit den d-Memen neue Möglichkeiten der Variation durch Massendatenanalyse entstehen.«

      Das verstehe ich leider nicht. Wohl weil mir überhaupt nicht klar ist, was genau im Zusammenhang mit d-Memen gemäß der Theorie alles variieren kann.

      —-
      Vielen Dank übrigens auch dafür, dass Sie auf Ihrem Blog einen uneingeschränkten Austausch der Gedanken bzw. Meme ermöglichen. Das wird nicht auf allen SciLog-Blogs so gehandhabt, mit sicherlich fatalen Folgen für die Verbreitung mancher der Meme.

      • Hier würde ich einen fundamentalen Unterschied zum natürlichen Evolutionsprozess sehen, denn dort gibt es das Prinzip von Versuch und Irrtum eigentlich nicht, also nicht wirklich, dort gibt es dieses Prinzip nur im übertragenen Sinne, also rein konzeptionell.

        Das ist zweifellos ein Unterschied, aber kein fundamentaler. Wird gut erklärt bei Schurz, S. 226.

      • Vielen Dank übrigens auch dafür, dass Sie auf Ihrem Blog einen uneingeschränkten Austausch der Gedanken bzw. Meme ermöglichen. Das wird nicht auf allen SciLog-Blogs so gehandhabt, mit sicherlich fatalen Folgen für die Verbreitung mancher der Meme.

        Mir war es gar nicht bewusst, dass in anderen Scilogs auch dann in die Kommentare eingegriffen wird, sofern es sich nicht um unsachliche Äußerungen handelt. Dann danke ich Ihnen sehr für den Zuspruch – der freie Austausch von Meinungen und Argumenten, wie er in den Kommentaren dieses Blogs so intensiv betrieben wird, zeigt ja deutlich, dass daraus ein erheblicher Mehrwert geschöpft werden kann.

      • »Man könnte also sagen, dass mit den d-Memen neue Möglichkeiten der Variation durch Massendatenanalyse entstehen.«

        Das verstehe ich leider nicht. Wohl weil mir überhaupt nicht klar ist, was genau im Zusammenhang mit d-Memen gemäß der Theorie alles variieren kann.

        Mein Punkt ist hier der, dass digitale Meme zwar einzeln aufgrund der Möglichkeit fehlerfreier Duplizierbarkeit ein eingeschränktes Variationspotential besitzen, in großen Beständen derartiger Meme jedoch auf statistischem Wege neue Meme aufgedeckt werden können. Beispielsweise erlauben die Verfahren des Text Mining das Auffinden von inhaltlichen Zusammenhängen in digitalen Textkorpora, die ein menschlicher Leser nicht erkennen könnte. Dies macht man sich ja inzwischen auch in der Forschung oder der Finanzwirtschaft zunutze. Wenn es also bei der Variation darum geht, neue Meme zu erzeugen, dann kann dies im digitalen Raum auf eine andere Weise erfolgen als es dem Menschen unter Verwendung seines Gehirns erlaubt ist.

      • @ Herr Lobin :

        Gelegentlich auch experimentelles Feedback zuzulassen, ist nicht jedem im Web Publizierenden gegeben, zumal auch die Sachbezogenheit von Nachricht generell nicht einfach festgestellt werden kann. Sie machen aber einen, wie der Schreiber dieser Zeilen findet, durchgehend entspannten Eindruck, wie es sich im Web, wie der Schreiber dieser Zeilen, der Webbaer, findet, auch gehört.

        KA, wie ernst meinen Sie diese an die sogenannte Memetik angelehnte Metaphorik, die Sie zuletzt Ihren Fachbereich betreffend verstärkt bemüht haben?

        MFG
        Dr. W

        • @Dr.Webbaer:

          Es handelt sich in meinen Augen um ein interessantes Gedanken-Experiment, das in der Lage ist, evolutionstheoretische Betrachtung in die Kulturwissenschaften hineinzutragen. Das, was ich dazu zu sagen habe, ist selbstverständlich kein substanzieller wissenschaftlicher Beitrag, sondern eher eine mögliche Anregung dafür. Auch erscheint es mir sinnvoll, implizit oder explizit “evolutionäre” Untersuchungen, wie sie z.B. in der Allgemeinen Sprachwissenschaft und Sprachtypologieforschung zu finden sind, über das Instrument der Memetik in einen größeren Kontext zu stellen. Grundsätzlich würde ich Schurz folgen, der das Konzept des Mems durchaus für sinnvoll hält, aber es ablehnt, dafür gleich eine eigene, neue wissenschaftliche Disziplin zu reklamieren.

  7. Die Meme hatten so etwas wie einen Vorläufer in der Informationswissenschaft; dort wurde 1971 der Begriff “Informem” von Alwin Diemer vorgeschlagen. Durchgesetzt hat sich das offensichtlich nicht, und im Web lässt sich nicht sonderlich viel dazu finden, vgl. aber

    Capurro, R. (1985). Epistemology and Information Science. Report TRITA-LIB-6023, Royal Institute of Technology Library, Stockholm. [HTML]

    Diemer calls thought content being transmitted in the information process “Informem“. Informemes are constituted by the intersubjective process of understanding and they are identified in different ways through the processes of indexing and abstracting. […] Informemes are constituted through the mediation of the interpreter’s pre-understanding which is itself part of the of pre-understanding of a scientific community. The computer processes only data or tokens.

    In der Informationswissenschaft wurde immerhin ein Konsens zum Informationsbegriff erreicht, die dort geläufige pragmatische Begriffsbestimmung von Information als jener „Teilmenge von Wissen, die von einer bestimmten Person oder einer Gruppe in einer konkreten Situation zur Lösung von Problemen benötigt wird und häufig nicht vorhanden ist“, stammt von Rainer Kuhlen. Vgl. dazu auch W. Rauch (2004): Die Dynamisierung des Informationsbegriffes, [PDF].

    Das ist nun alles reichlich inkompatibel zu der Art und Weise, wie beispielsweise Dennett und Blackmore (in ihren jeweiligen Beiträgen zur NASA Collection Cosmos & Culture) bezogen auf “Meme” von Information reden, denn hier wird konsequent “Information” mit “Daten” verwechselt. Dennetts “Evolution of Culture” ist in diesem Lichte nichts anderes als die Diffusion von zwischenmenschlich kommunizierbaren Daten in sozialen Gemeinschaften.

    In der ganzen Memetik kann ich beim besten Willen nichts anderes erkennen als einen Versuch, aus Dawkins’ Entdeckung einer Banalität in Verbindung mit begrifflicher Verwirrung eine neue Wissenschaft zu machen.

    • @ Chrys :
      Nice-1 – hierzu noch:

      In der Informationswissenschaft wurde immerhin ein Konsens [Hervorhebung: Dr. W] zum Informationsbegriff erreicht, die dort geläufige pragmatische Begriffsbestimmung von Information als jener „Teilmenge von Wissen, die von einer bestimmten Person oder einer Gruppe in einer konkreten Situation zur Lösung von Problemen benötigt wird und häufig nicht vorhanden ist“, stammt von Rainer Kuhlen.

      “Information” ist die Nachricht von bestimmten Primaten an bestimmte Primaten, die die ihnen bereits vorliegende Theoretisierungen über die Welt oder das Verhalten der Welt an sich, ergänzen mögen, wobei diese Nachricht “ausschnittsartig, näherungsweise und an die Interessen von erkennenden Subjekten gebunden” erfasst, kodiert und gesendet worden ist, wobei auf die Bekanntheit der Kodierungsvorschriften gesetzt worden ist und zudem darauf, dass die Rezipienz eben derart zu dekodieren oder abstrahieren in der Lage ist, dass sich “ausschnittsartig, näherungsweise und an die Interessen von erkennenden Subjekten gebunden” eine ähnliche Information ergibt.
      Wobei dann auf Seite der Rezipienz fleißig dekodiert, abstrahiert und Sichten wie Sichtenbildung (idealerweise, also bei positiver Annahme der Nachricht oder des Nachrichtenverbunds) anpassend geübt wird.

  8. @Dr. Webbaer

    »“Information” ist die Nachricht von bestimmten Primaten an bestimmte Primaten, …«

    Damit sagen Sie nicht, was “Information” ist, sondern allenfalls, wie Sie dieses Wort verwendet wissen wollen. Bei der Kommunikation mit anderen Primaten können Sie es nicht als selbstverständlich voraussetzen, dass jene anderen das Wort im gleichen Sinne gebrauchen wollen wie Sie. Für die Belange des Alltags ist es weitgehend uneheblich, ob tatsächlich ein Konsens über die Begriffsverwendung vorliegt, doch für einen Sprachgebrauch mit wissenschaftl. oder erkenntnistheor. Anspruch ist das nicht so. So ist mit “Information” in der Informationswissenschaft etwas anderes gemeint als in der Informationstheorie, und wo man sich der kontextuell begrenzten Geltung unterschidlicher Informationsbegriffe nicht bewusst ist, wird häufig nur wirres Zeug dahergeredet. More to explore:

    Capurro, R. (2001). Informationsbegriffe und ihre Bedeutungsnetze. Ethik und Sozialwiss., 12(1), 14-17. [HTML]

    • Chrys: “Damit sagen Sie nicht, was “Information” ist, sondern allenfalls, wie Sie dieses Wort verwendet wissen wollen.”

      Anbei eine “Definition” aus César Hidalgo “Why Information Grows”, 2015:

      Seite xv: “The word information became a synonym for the ethereal, the unphysical, the digital, the weightless, the immaterial. But information is physical. It is as physical as Boltzmann’s atoms or the energy they carry in their motion. Information is not tangible; it is not a solid or a fluid. It does not have its own particle either, but it is as physical as movement and temperature, which also do not have particles of their own. Information is incorporeal, but it is always physically embodied. Information is not a thing; rather, it is the arrangement of physical things. It is physical order, like what distinguishes different shuffles of a deck of cards. What is surprising to most people, however, is that information is meaningless, even though the meaningless nature of information, much like its physicality, is often misunderstood.”

      In Abgrenzung dazu auf S. 165 (und an anderen Stellen):

      “We have noted that information and knowhow are clearly distinct concepts. Information refers to the order embodied in codified sequences, such as those found in music or DNA, while knowledge and knowhow refer to the ability of a system to process information.”

      Information ist bei Hidalgo also immer nur das, was viele als “syntaktische Information” bezeichnen, während der Prozess der Bedeutungszumessung (semantische/pragmatische Information) bei ihm unter Informationsverarbeitung fällt.

      Mir gefällt diese klare und einfache Unterscheidung sehr gut.

      • Information ist nicht physisch, sondern eine Art des Verstehens des Geistes; der Transport von Information erfolgt über den Versand von Daten, die auf Seite des Senders, bestimmten Kodierungsvorschriften und Medienlagen folgend, veranlasst wird und die auf Seite des Empfängers dekodiert oder abstrahiert wird, zu Inhalt oder Information. Dieser Transport ist eine physische oder physikalische Leistung, aus bestimmter Sicht.
        Was Information genau ist, weiß keine Sau, auch kein Bär, von der oben beschriebenen Näherung einmal abgesehen.
        HTH
        Dr. W

        • @Dr. Webbaer

          Information ist nicht physisch, sondern eine Art des Verstehens des Geistes; der Transport von Information erfolgt über den Versand von Daten, die auf Seite des Senders, bestimmten Kodierungsvorschriften und Medienlagen folgend, veranlasst wird und die auf Seite des Empfängers dekodiert oder abstrahiert wird, zu Inhalt oder Information. Dieser Transport ist eine physische oder physikalische Leistung, aus bestimmter Sicht.

          Damit verwenden Sie aber Information ganz anders, als es der Autor (César Hidalgo) des von mir genannten Buches tut. Sie sagen Daten zu dem, was Hidalgo mit Information bezeichnet, und Sie sagen Information zu etwas, das für Hidalgo Informationsverarbeitung ist.

          Beispiel: Sie sehen eine Ausgabe der Bildzeitung mit der Schlagzeile “Wir sind Papst!”. Für Hidalgo ist das eine Information, für Sie dagegen Daten. Die Schlagzeile ist physisch, d.h. sie ist auf Papier gedruckt. Ich könnte den gleichen Satz auch in den Raum schreien, dann ist die Information gleichfalls physisch, nämlich an Schallwellen gebunden.

          Aus der Information kann jeder Leser etwas anderes machen. Manch einer wird sie ignorieren, andere werden sie wahrnehmen, aber ganz unterschiedlich interpretieren. Die Bedeutungszuweisung ist in der Tat eine Leistung des Geistes (und des Körpers), die Wahrnehmung übrigens auch. Beispielsweise können wir (ohne Hilfsgeräte) bestimme Ultraschallwellen nicht hören, etliche Hunde aber sehr wohl. Dies liegt wieder einmal am 2. HS der TD. Es muss Energie aufgewendet werden, um Ultraschall wahrnehmen zu können. Ferner wird Energie benötigt, um die Fähigkeit zur Ultraschallwahrnehmung fortlaufend zu reproduzieren, sonst geht sie mit der Zeit verloren. Ist der Energieaufwand höher als der energetische Gewinn, der aus der zusätzlichen Fähigkeit gezogen werden kann, dürfte sie sich mit der Zeit “ausevolutionieren”.

          Wie auch immer: Die Vorgänge der Wahrnehmung und der Interpretation (Bedeutungszuweisung) bezeichnet Hidalgo als Informationsverarbeitung.

          Meine Prognose: Es wird sich letztlich die Definition des Begriffs Information durchsetzen, für die sich die Naturwissenschaften mehrheitlich entscheiden. Das ist eigentlich immer so.

          • Beim von Ihnen Zitierten muss beizeiten eine Art Grund-Mopsigkeit festgestellt werden, wo haben Sie den Kollegen her?, Data und Info gelten ansonsten & allgemein schon als unterscheidbar.

          • @ Lena :

            Mit einigem zeitlichen Versatz, die Nachricht weiter oben war eher experimenteller Art, um zu schauen, was kommt, wenn etwas kommt, antwortend:

            Beispiel: Sie sehen eine Ausgabe der Bildzeitung mit der Schlagzeile “Wir sind Papst!”. Für Hidalgo ist das eine Information, für Sie dagegen Daten.

            Das ist genau dann eine Information, wenn den Kodierungsvorschriften, die der Instandsetzung der Nachricht zugrunde liegt, derart gefolgt werden kann, dass die Nachricht dekodiert und abstrahiert als Inhalt verstanden werden kann, was der Fall ist.

            In Unkenntnis der Kodierungsvorschriften liegen “nur” Daten vor und in Kenntnis dieser Vorschriften liegen Daten vor, die als Information dekodiert und zu Information abstrahiert werden könnten.

            Wie auch immer: Die Vorgänge der Wahrnehmung und der Interpretation (Bedeutungszuweisung) bezeichnet Hidalgo als Informationsverarbeitung.

            Meine Prognose: Es wird sich letztlich die Definition des Begriffs Information durchsetzen, für die sich die Naturwissenschaften mehrheitlich entscheiden. Das ist eigentlich immer so.

            Es wird sich das durchsetzen, was den Kodierungsvorschriften und dem sich anschließenden Versand und Empfang von Nachricht verstanden werden kann, wenn andere Transport-, Kodierungs- & Dekodierungsmittel minder-, mangel-, fehl- oder minusleistend sind, im Vergleich.

            Durchgesetzt wird sich immer im Vergleich.
            Und dies wird im Ex Post festgestellt werden, nicht unbedingt vom Schreiber dieser Zeilen, korrekt.

            Eingeräumt wird hier, dass sich mit Hidalgo bisher noch nicht en detail auseinandergesetzt worden ist, hier, Sie könnten vielleicht vorab noch ein wenig werben, so dass dies eingeläutet werden könnte.

            MFG
            Dr. W

        • @Dr. Webbaer

          Das ist genau dann eine Information, wenn den Kodierungsvorschriften, die der Instandsetzung der Nachricht zugrunde liegt, derart gefolgt werden kann, dass die Nachricht dekodiert und abstrahiert als Inhalt verstanden werden kann, was der Fall ist.

          In Unkenntnis der Kodierungsvorschriften liegen “nur” Daten vor und in Kenntnis dieser Vorschriften liegen Daten vor, die als Information dekodiert und zu Information abstrahiert werden könnten.

          Wie schon gesagt, Sie bezeichnen als Daten das, was Hidalgo Information nennt, und Sie sagen Information zu etwas, das bei Hidalgo Informationsverarbeitung ist.

          Sie sagen selbst: “liegen Daten vor, die als Information dekodiert und zu Information abstrahiert werden könnten”

          Die Daten werden also einer intensiven Datenverarbeitung ausgesetzt.

    • Wie kann man in den Kommentaren eigentlich zitieren und Textstellen hervorheben? Gibt es dazu irgendwo eine Bedienungsanleitung?

      • Wie man Textteile markiert, wie man zitiert etc. kann man mithilfe des Browsers erfahren, wenn man den Seitenquelltext inspiziert. In Firefox ist das der Menupunkt Extras->Webentwickler->Seitenquelltext anzeigen., in Chrome Weitere Tools->Quelltext anzeigen

        In diesem Quelltext kann man dann nach Kommentarstelle suchen (CTRL+F), von denen man weiss, dass sie die gewünschte Markierung besitzen und dann die entsprechenden Tags in den eigenen Text einfügen..

    • @Lena
      Warren Weaver kommentierte zum Informationskonzept bei Shannon,

      The word information, in this theory, is used in a special sense that must not be confused with its ordinary usage. In particular, information must not be confused with meaning.

      Andererseits bezieht Kommunikation naturgemäss immer auch einen Aspekt von Bedeutung auf die eine oder andere Weise ein, sodass die Vertreter einer gegenteiligen Auffassung ihre Sichtweise ebenfalls als berechtigt ansehen können. Insgesamt ist die Lage ziemlich verworren. Für eine Übersicht sei hier noch ein Text verlinkt, durch den ich auch zuerst u.a. auf Rafael Capurro und die “Informeme” aufmerksam wurde:

      Klemm, H. (2003). Ein großes Elend. Informatik-Spektrum, 26(4), 267-273. [PDF]

      Zu den Memen schreibt Susan Blackmore: “So think of memes this way. Their core definition is “that which is imitated” or that which is copied.” Wenn dem so sein sollte, dann ist da eigentlich die Rede von Daten oder Zeichen oder Signalen, wozu es aber gar keinen Neologismus braucht. Insbesondere kann in diesem Fall die Memetik auch nicht erklären, warum Google für den Satz “Die Ente bleibt draussen” viele Treffer liefert, für den Satz “Die Gans bleibt draussen” aber keinen einzigen. Und wenn die Memetik nicht einmal das kann, warum sollte ich dann glauben, dass sie überhaupt irgend etwas zur “kulturellen Evolution” zu sagen hat?

      • @Chrys

        Sehr informativ, der verlinkte Aufsatz von Helmut Klemm. Danke! Mir scheint, der Begriff ‚Information‘ ist ein Chamäleon, er passt sich prima an die kontextuelle Umgebung an.

        • @ Balanus

          “er [der Begriff ‚Information‘] passt sich prima an die kontextuelle Umgebung an.”

          Ja, genau wie der Begriff ‚Evolution‘, findest Du nicht?

          Kontextfreie Semantik ist in Sprachen wohl eher selten anzutreffen.

        • @Joker

          » “er [der Begriff ‚Information‘] passt sich prima an die kontextuelle Umgebung an.”

          Ja, genau wie der Begriff ‚Evolution‘, findest Du nicht?«

          Ja, vielleicht, das habe ich mich auch schon gefragt, ist ja nicht ganz auszuschließen, dass ich im Falle des Evolutionsbegriffs einem “essentialistischen Begriffsdogmatismus” (zit. nach Rafael Capurro) fröne. Wie aktuell vielleicht auch Ludwig Trepl im Blog nebenan beim Begriff ‚Rassismus‘ („Rassismus und politische Korrektheit“).

          Aber ich denke, mit dem Begriff „Information“ verhält es sich schon etwas anders als mit dem Begriff „Evolution“. Der „Wesenskern“ des abstrakten Begriffs ‚Information‘ ändert sich nicht mit dem jeweiligen Kontext, in dem er gebraucht wird (so wie ein Chamäleon immer ein Chamäleon bleibt). Zumindest nicht nach meinem Empfinden, Informationswissenschaftler bzw. –theoretiker sehen das womöglich anders. Es verhält sich wohl so wie mit dem Begriff ‚Temperatur‘, der Wesensinhalt dieses Begriffs ändert sich ja auch nicht mit dem jeweiligen Messobjekt. Für die Information als solche spielt der physische Datenträger keine Rolle.

          Mit dem Evolutionsbegriff verhält es sich m. E. aber anders, denn Evolution bezeichnet einen Prozess. Erst das Attribut vor Evolution (kosmisch, chemisch, biologisch, kulturell) macht deutlich, um welche Art von Prozess es sich jeweils handelt.

          An sich kann ein Begriff natürlich mehrere Bedeutungen haben, aber wenn ich das eine Tier „Pferd“ nenne, und das andere, das eine ganz andere Entstehungsgeschichte hat, ebenfalls „Pferd“, dann entstehen halt leicht Missverständnisse, die aber vermieden werden können, wenn ich bereits begrifflich die verschiedenen Spezies unterscheide.

          Das heißt, wenn ich den einen Prozess Evolution nenne, und den anderen ebenfalls, dann könnte man auf den Gedanken kommen, es gäbe ein allgemeines Evolutionsprinzip, das für beide Prozesse gelten würde.

          • @Balanus

            Das heißt, wenn ich den einen Prozess Evolution nenne, und den anderen ebenfalls, dann könnte man auf den Gedanken kommen, es gäbe ein allgemeines Evolutionsprinzip, das für beide Prozesse gelten würde.

            Die kosmische “Evolution” dürfte eigenständigen Prinzipien gehorchen, die chemische “Evolution” vermutlich auch, wenngleich Addy Pross dies in Pross, Addy (2011): Toward a general theory of evolution: Extending Darwinian theory to inanimate matter; In: Journal of Systems Chemistry 2011, 2/1; http://www.jsystchem.com/content/2/1/1 bezweifelt.

            Die biologische und kulturelle Evolution beruhen aber möglicherweise auf gemeinsamen Evolutionsprinzipien. Das behauptet sogar der Universelle Darwinismus, dem man hier frönt.

            Mit der Behauptung, dass diese beiden Evolutionen auf unterschiedlichen Evolutionsprinzipien beruhen, vertreten Sie im Grunde eine Minderheitsmeinung.

          • @Lena

            »Mit der Behauptung, dass diese beiden Evolutionen auf unterschiedlichen Evolutionsprinzipien beruhen, vertreten Sie im Grunde eine Minderheitsmeinung.«

            Meine Behauptung ist eine ganz andere.

            Ich behaupte, dass kulturelle Veränderungen und Entwicklungen nicht evolutionstheoretisch, das heißt, nicht durch naturgesetzliche Evolutionsmechanismen erklärt werden können.

            Wer die Entstehungsgeschichte der organismischen Vielfalt erforscht, ist zwangsläufig ein Evolutionsforscher. Wer hingegen die Entstehungsgeschichte der kulturellen Vielfalt erforscht, ist Historiker, Ethnologe, oder sonstwas, aber bestimmt kein Evolutionsforscher.

            Ich werde es wohl nicht mehr erleben, dass sich Historiker mehrheitlich als Evolutionsforscher begreifen.

            Was die Mehrheit unter (kultureller) Evolution versteht, kann man beispielsweise hier sehen:

            „Evolution einer Ikone“

          • @Balanus

            Wer hingegen die Entstehungsgeschichte der kulturellen Vielfalt erforscht, ist Historiker, Ethnologe, oder sonstwas, aber bestimmt kein Evolutionsforscher.

            Das war vielleicht einmal so. Maßgeblich mag das daran liegen, dass es bis heute keine abgestimmte Evolutionstheorie für die kulturelle Evolution gibt. Ohne die biologische Evolutionstheorie würde man auch in der Biologie heute nur von Entwicklungen sprechen. Wenn überhaupt.

            Aber das ganze Thema ist im Wandel. Siehe z. B. die Bücher von Beinhocker oder Hidalgo. Selbstverständlich sind das Evolutionsökonomen (die Evolutionsökonomik ist übrigens eine eigenständige Disziplin). Hidalgo versucht in seinem Buch die ökonomische Vielfalt (warum einige Länder dies, andere etwas anderes produzieren und warum sie unterschiedlich reich sind) evolutionstheoretisch zu erklären. Man ist also auf dem Weg. Mit Ihrem beharrlichen “nur in der Biologie gibt es Evolution, alles andere erkennen wir nicht an” werden Sie irgendwann allein dastehen.

          • @Lena

            »Maßgeblich mag das [Historiker sehen sich nicht als Kulturevolutionsforscher] daran liegen, dass es bis heute keine abgestimmte Evolutionstheorie für die kulturelle Evolution gibt.«

            Vielleicht besteht einfach kein großer Bedarf. Als Darwin sein Origin of Species… präsentierte, fiel es vielen Zeitgenossen wie Schuppen von den Augen. Das Erklärungspotential der Kulturevolutionstheorien scheint dagegen doch eher bescheiden zu sein.

            »(die Evolutionsökonomik ist übrigens eine eigenständige Disziplin)«

            Da habe ich kein Problem mit. Wenn es hilft, wenn Ökonomen Anleihen bei Evolutionstheorien nehmen, dann kann man ja schlecht was dagegen haben.

          • @Balanus

            Das Erklärungspotential der Kulturevolutionstheorien scheint dagegen doch eher bescheiden zu sein.

            Nein, daran liegt es nicht, sondern:

            1. Es gibt bislang keine anerkannte Evolutionstheorie, die auch kulturelle evolutionäre Entwicklungen modellieren kann.
            2. Die Biologen haben daran überwiegend kein Interesse, sie die Evolution für sich behalten möchten.
            3. Die Sozialwissenschaftler haben daran überwiegend kein Interesse, da sie Evolution für Biologismus halten.

            Da habe ich kein Problem mit. Wenn es hilft, wenn Ökonomen Anleihen bei Evolutionstheorien nehmen, dann kann man ja schlecht was dagegen haben.

            Sie nehmen momentan keine wirklichen Anleihen bei den Evolutionstheorien (auch bei ihnen hat sich noch keine durchgesetzt), sondern eher bei der Evolution. Sie verstehen, dass sich manche Entwicklungen besser evolutionär deuten lassen, haben aber dafür noch keine Theorie, wie es in der Biologie der Fall ist. Ein wesentlicher Grund dafür scheint mir zu sein, dass man krampfhaft versucht, bei den biologischen Evolutionsprinzipien (mit gewissen Anpassungen) zu bleiben. Mersch ist nach meiner Kenntnis der einzige, der meint, dass das Selektionsprinzip aufgegeben werden muss, wenn man die Evolutionstheorie auch für kulturelle Entwicklungen nutzbar machen möchte.

      • @Chrys

        Ich finde den Artikel von H. Klemm auch informativ und lesenswert. Allerdings leidet er wie viele andere Betrachtungen darunter, dass er versucht, den Begriff der Information zu erklären, statt ihn zu definieren. Denn wenn man sagt, dass sich Systeme ihre Information selbst machen und die Umwelt eines Systems keinerlei Information enthält, dann ist damit semantische/pragmatische Information gemeint.

        Ein wenig zu positiv kam mir Luhmanns Systemtheorie weg. Die scheint mit doch sehr problematisch zu sein, und zwar nicht nur aufgrund der sonderbaren Verwendung des Begriffs der Autopoiesis:

        https://books.google.de/books?id=NatrcL-4MZQC&pg=PA22&lpg=PA22&dq=jantsch+maturana+autopoiesis+knien&source=bl&ots=BeENtgJaH3&sig=cvilJhqY0NTl-61nyPyf_eVekx0&hl=de&sa=X&ved=0CCQQ6AEwAGoVChMIltmb6bnexwIVRXByCh1v3w5Y#v=onepage&q=jantsch%20maturana%20autopoiesis%20knien&f=false

        Dass Bedeutung benutzerseitig konstruiert wird, wird sehr plastisch in dem bereits mehrfach erwähnten Beispiel aus dem Kapitel “Informations- und Wissensentstehung” in “Die egoistische Information” erwähnt, bis hin zu der Ableitung, dass Evolutionsakteure darum bemüht sind, Informationsentropiezunahmen ihres Modells der Umwelt entgegenzuwirken.

        Die gängige Auffassung (gemäß Schrödinger, Prigogine & Co) ist, dass Lebewesen dem 2. HS der TD zu trotzen versuchen, indem sie ihre eigene Entropie auf Kosten ihrer Umwelt niedrig halten. Die Systemische Evolutionstheorie behauptet demgegenüber, dass sie die Informationsentropie ihres Modells der Umwelt niedrig halten. Damit erklärt sich auch die Fortpflanzung. Mersch nennt das eine Akzentverschiebung. Ich halte das für Tiefstapeln.

      • In den um die Informationstechnologie bemühten Formalwissenschaften wird oft mit der Notation gearbeitet, hier einmal ein primitives Beispiel beibringend: Eine Zahl mit 100 Nullen am Ende, bspw. die Zahl ‘10000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000’ könnte jederzeit ohne Informationsverlust anders kodiert (und transportiert) werden, bspw. eben als “Eins mit sich anschließenden hundert Nullen”.
        D.h. es gibt im Technischen sinnhafterweise scheinbar oder anscheinend einen anderen Informationsbegriff als im allgemein Philosophischen, korrekt.
        Warum es bei der Information nicht um die Bedeutung gehen kann, wie im Zitierten nahegelegt, ist dem Schreiber dieser Zeilen abär unklar geblieben.
        MFG
        Dr. W

      • @ Chrys

        Es scheint vor kurzem eine Mutation im Mempool stattgefunden zu haben. Meine Google-Suche ergab:

        “Die Gans bleibt draussen”

        1 Ergebnis (0,36 Sekunden)

        —-

        Man sollte die Ansprüche an die Memetik nicht so hoch schrauben, sie nicht gleich mit der bestens bewährten Genetik vergleichen. Fair wäre es eher, sie an anderen Theorien zu messen, die ebenfalls versuchen, kulturelle Entwicklung besser verstehbar zu machen. Hier ist mir keine Theorie bekannt, die bereits in der Lage wäre etwa zu erklären, warum es Badewannen, Quietscheentchen und Zeichentrickfilme gibt, aber keine, oder doch nur wenige, Quietschegänse.

        Eine Rahmen liefern, zu verstehen, warum Loriot zur Zeit noch häufiger zitiert wird als @Chrys, sich das in hundert Jahren aber vielleicht geändert hat, das macht sie allemal.

        • @Chrys

          Hier ist mir keine Theorie bekannt, die bereits in der Lage wäre etwa zu erklären, warum es Badewannen, Quietscheentchen und Zeichentrickfilme gibt, aber keine, oder doch nur wenige, Quietschegänse.

          Mit der Systemischen Evolutionstheorie ließe sich das ganz leicht erklären.

          • @ Chrys

            Mag damit baden gehen, wer will, die Systemische Evolutionstheorie bleibt draußen – sonst lasse ich das Wasser heraus.

          • Als Einstieg in das Thema empfehle ich den Film über Margarete Steiff
            (http://www.amazon.de/dp/B000GYHYJK/), der eindrucksvoll zeigt, wie wenig solche kulturellen Entwicklungen mit Memen und wie viel sie mit der Kompetenzverlustvermeidung der beteiligten Akteure zu tun haben. Man muss den Film nur auf sich wirken lassen, und schon weiß man, wie kulturelle Evolution funktioniert.

            Warum es Quietscheentchen und keine Quietschegänse gibt, liegt dann auch auf der Hand.

        • @Joker

          »1 Ergebnis (0,36 Sekunden)«

          Das war zu befürchten, ein Fall von suchalgorithmischer Selbstwiderlegung, oder so ähnlich.

          Der Satz mit der Ente gilt (e.g. bei de.wikipedia) als “geflügeltes Wort”. Eine entsprechende Feststellung lässt sich nach der Substitution von Ente durch Gans anscheinend nicht mehr uneingeschränkt treffen. Das macht die Angelegenheit ungemein kompliziert. Was macht einen Satz mit Geflügel zu einem geflügelten Wort?

          Meines Erachtens liegt unsere Unterscheidung zwischen dem Satz mit Ente und dem mit Gans gar nicht an dem, was an diesen Sätzen kopierbar oder imitierbar ist. Also nicht an dem, was hypothetisch auch für fremdwannenbenutzende Badegäste extraterrestrischer Herkunft an “codierter Information” aus diesen Sätzen extrahierbar wäre. Wir verstehen und unterscheiden auf der Grundlage unseres kulturell geprägten Vorverständnisses, und darin liegt etwas Wesentliches, das in diesen Sätzen selbst gar nicht codiert ist oder transferiert wird. So leid es mir tut, ich sehe halt nicht, dass die Memetik einen geeigneten Rahmen liefert, um sich mit solchen Fragestellungen zu befassen, dafür scheint sie mir u.a. schon im Ansatz viel zu simpel gestrickt.

    • @Lena

      Das Buch von Hidalgo habe ich jetzt zwar nicht zur Hand, doch nach dem Eindruck, den ich mittlerweile habe, gehört er zur jener “It from Bit”-Gemeinde, die Information konzeptuell gerne naturalisieren und in allem möglichen einen Computer sehen möchte (und die gerade am MIT gehäuft vertreten zu sein scheint). John Horgan hatte mal einen dazu passenden Beitrag in seinem SciAm-Blog (Why information can’t be the basis of reality):

      A growing number of scientists, Gleick [The Information (Pantheon 2011)] writes, are beginning to wonder whether information “may be primary: more fundamental than matter itself.” This notion has inspired other recent books, including Programming the Universe by Seth Lloyd (Vintage 2007), Decoding the Universe by Charles Seife (Penguin 2007), Decoding Reality by Vlatko Vedral (Oxford 2010) and Information and the Nature of Reality, a collection of essays edited by Paul Davies (Cambridge 2010). But the everything-is-information meme violates common sense.

      Vergleichsweise neu scheint nun die biologische und oekonomische Ausrichtung der Botschaft zu sein. Information sei Ordnung, meint Hidalgo, und so physikalisch (oder physisch) wie Energie oder Temperatur. Na prima, eine empirisch feststellbare Ordnung erschliesst sich jedoch stets nur aus dem Blickwinkel eines Betrachters, der über den Gegenstand seiner Betrachtung reflektiert. Auch sind Energie oder Temperatur nicht einfach so da. “Der Begriff existiert für den Physiker erst dann,” erklärte uns Einstein, “wenn die Möglichkeit gegeben ist, im konkreten Falle herauszufinden, ob der Begriff zutrifft oder nicht.” Dies hatt eine begriffliche Konvention zur Voraussetzung. Das gilt aber auch für Nicht-Physiker. Bisweilen wird ja beispielsweise die Shannon Entropie als ein Mass für die Biodiversität eines Biotops herangezogen. Darauf kann man sich allenfalls in Form einer Konvention verständigen, und man darf sich dabei nicht einbilden, es sei a priori eine Messgrösse namens Biodiversität objektiv vorgegeben, bei der es nur darauf ankomme, die richtige Art und Weise ihrer Messung herauszufinden. Das Resultat einer solchen Messung darf dann gewiss auch eine Information genannt werden.

      • @Chrys

        doch nach dem Eindruck, den ich mittlerweile habe, gehört er zur jener “It from Bit”-Gemeinde, die Information konzeptuell gerne naturalisieren und in allem möglichen einen Computer sehen möchte (und die gerade am MIT gehäuft vertreten zu sein scheint).

        Nein, dazu gehört er nicht, wenngleich er einige dieser Autoren erwähnt.

        Vergleichsweise neu scheint nun die biologische und oekonomische Ausrichtung der Botschaft zu sein. Information sei Ordnung, meint Hidalgo, und so physikalisch (oder physisch) wie Energie oder Temperatur. Na prima, eine empirisch feststellbare Ordnung erschliesst sich jedoch stets nur aus dem Blickwinkel eines Betrachters, der über den Gegenstand seiner Betrachtung reflektiert.

        Nein, den Betrachter benötigt man dazu nicht notwendigerweise. Dass eine Tasse mit Kaffee in der linken Hälfte und Milch in der rechten “geordneter” ist als eine Tasse, in der beide Substanzen vermischt sind, lässt sich durchaus physikalisch abstrakt beschreiben. Ordnung ist aber eigentlich ohnehin ein problematischer Begriff, das wäre meine Kritik an Hidalgos Definition. Korrekter müsste man von wahrscheinlicheren und weniger wahrscheinlicheren Zuständen sprechen. Mersch geht sehr eingehend auf das Thema ein und beruft sich dabei auf Roger Penrose und andere Autoren. Beispielsweise wirkt ein Stern, der aus einer Gaswolke per Gravitation hervorgegangen ist, in unseren Augen geordneter als die ursprüngliche Gaswolke, er besitzt aber dennoch die größere Entropie als die Gaswolke, da er unter den Bedingungen der Gravitation der wahrscheinlichere Zustand ist.

        Auch sind Energie oder Temperatur nicht einfach so da. “Der Begriff existiert für den Physiker erst dann,” erklärte uns Einstein, “wenn die Möglichkeit gegeben ist, im konkreten Falle herauszufinden, ob der Begriff zutrifft oder nicht.” Dies hatt eine begriffliche Konvention zur Voraussetzung.

        Das scheint mir ein übertrieben spitzfindiger Einwand zu sein. Natürlich bemüht sich auch die Physik um eine ständige Klärung ihrer Begriffe. Beispielsweise war die Gravitation für Newton eine reine Kraft zwischen Objekten, für Einstein ist sie dagegen eine Folge der Raumzeitkrümmung. Man kann aber nicht so tun, als sei sie physikalisch nicht vorhanden. In unserem Universum ist sie ein bestimmendes Phänomen.

        Hidalgos Feststellung, dass Information physikalisch sei (er gehört damit in der Physik zur Mehrheitsmeinung), hat jedenfalls etwas. Ich kenne keine Information, die ohne einen physikalischen Träger auskommt.

  9. @Chrys

    »Na prima, eine empirisch feststellbare Ordnung erschliesst sich jedoch stets nur aus dem Blickwinkel eines Betrachters, der über den Gegenstand seiner Betrachtung reflektiert.«

    Dazu hätte ich mal ‘ne Frage: Wie wichtig ist Dir in diesem Zusammenhang die ‚Reflexion‘ über die Beobachtung? Genügt es nicht, wenn eine Wahrnehmung oder ein Sinneseindruck eine spezifische Reaktion hervorruft?

    Hilgado schreibt:

    Information refers to the order embodied in codified sequences, such as those found in music or DNA,…

    – woraus doch wohl folgt, dass das Muster erkannt und gelesen werden muss, damit von Information gesprochen werden kann. Die Muster, die Hilgado als Beispiele aufführt, verweisen ja bereits auf einen „präexistenten“ Lesemechanismus.

    Aber es gibt auch Muster in der Natur, die sind nicht entstanden, damit sie einer liest oder weil es einen dazugehörigen Leseapparat gibt. Gesteinsschichten zum Beispiel. Steckt nach Deinem Informationsverständnis in einem Gesteinsschichtenmuster Information?

  10. @Balanus

    Aber es gibt auch Muster in der Natur, die sind nicht entstanden, damit sie einer liest oder weil es einen dazugehörigen Leseapparat gibt. Gesteinsschichten zum Beispiel. Steckt nach Deinem Informationsverständnis in einem Gesteinsschichtenmuster Information?

    Hidalgo und vermutlich auch die meisten Naturwissenschaftler würden das so sehen. Manch einer würde aus dem Gesteinsschichtenmuster vielleicht auf eine erhöhte Wahrscheinlichkeit schließen, an dieser Stelle alte Saurierknochen zu finden (oder Gold, Öl, Uran und was es sonst noch so alles geben mag).

  11. @Lena

    »Nein, dazu gehört er nicht, wenngleich er einige dieser Autoren erwähnt.«

    Kennen Sie Hidalgos Artikel in Scientific American 8/2015? Die Erde ist eine Hard Disk. Oder doch ein Computer? Das habe ich vielleicht nicht so genau verstanden, aber Bäume sind jedenfalls Computer. “We often fail to acknowledge trees as computers, but the fact is that trees contribute to the growth of information in our planet because they compute.

    Ach ja, auch die Menschheit ist ein Computer: “That’s not a metaphor, insists César Hidalgo, but a reality.” DOI: 10.1016/S0262-4079(15)30743-0

    »Nein, den Betrachter benötigt man dazu nicht notwendigerweise. Dass eine Tasse mit Kaffee in der linken Hälfte und Milch in der rechten “geordneter” ist als eine Tasse, in der beide Substanzen vermischt sind, lässt sich durchaus physikalisch abstrakt beschreiben.«

    Sie wählen sich dabei doch zunächst eine bestimmte Betrachtungsweise für Ihren Milchkaffee, nämlich die der statist. Mechanik, und beziehen sich anschliessend auf einen zum gewählten theoretischen Rahmen passenden Begriff von Ordnung. Man kann es aber auch anders betrachten und etwa nach dem Vorliegen makroskopischer Symmetrien fragen, was dann zu ganz anderen Vorstellungen von Ordnung führt.

    »Das scheint mir ein übertrieben spitzfindiger Einwand zu sein.«

    Je mehr wir uns an den unreflektierten Gebrauch eines Begriffs gewöhnt haben, desto selbstverständlicher und trivialer erscheint er uns üblicherweise. Energie oder Temperatur sind jedoch alles andere als trivial. Wer meint, schon seit dem Schulunterricht verstanden zu haben, was es mit der Energie auf sich, mag dann ungemein verwundert sein angesichts Feynmans Feststellung, dass die Physiker ausserstande sind zu sagen, was Energie ist. Energie erkennt man eben nicht einfach dadurch, dass man in die Landschaft schaut.

    »Hidalgos Feststellung, dass Information physikalisch sei (er gehört damit in der Physik zur Mehrheitsmeinung), hat jedenfalls etwas.«

    Auch in der math. Linguistik wird die Shannon Entropie als Informationsbegriff verwendet, und Linguistik ist gewiss keine Physik, auch wenn die Benutzer von Sprache im physikal. Raum anzutreffen sind. Hidalgo sollte zumindest zwischen Information als einer info.-theor. Entropie (wie e.g. Gibbs Entropie) und dem, was gemeinhin im Zusammenhang mit einem Computer Information genannt wird, klar unterscheiden, denn es sind dabei signifikante Unterschiede feststellbar. In dem erwähnten SciAm Artikel macht er aber eher genau das Gegenteil davon.

    @Balanus
    Claude Shannon hat offenbar bereits 1950 auf einem Symposium festgestellt:

    The word ‘information’ has been given many different meanings by various writers in the general field of information theory. It is likely that at least a number of these will prove sufficiently useful in certain applications to deserve further study and permanent recognition. It is hardly to be expected that a single concept of information would satisfactorily account for the numerous possible applications of this general field.

    Dem hätte ich eigentlich nichts hinzuzufügen. Dass in der Umgangssprache ein widerspruchfreier Gebrauch von ‘Information’ erreicht werden könnte, halte ich für illusorisch. Für einen wissenschaftl. Sprachgebrauch gelten aber andere Regeln. Da ist nachvollziehbar klarzustellen, wie der Begriff (kontextuell begrenzt) anzuwenden ist, wenn man ihn benutzen will. Beispielsweise in den Texten von Blackmore und Dennett, die ich angeschaut hatte, wird aber nicht einmal ansatzweise eine begriffliche Klärung angestrebt.

    • @Chrys

      aber Bäume sind jedenfalls Computer.

      Ja, Lebewesen sind für Hidalgo informationsverarbeitende Systeme. Damit steht er aber nicht allein. Spätestens seit Manfred Eigen ist das ein Gemeinplatz in den Naturwissenschaften. Ich habe aber bei Hidalgo (bislang noch) nicht gelesen, dass das gesamte Universum ein Computer sei. Das ist das, was Personen wie Seth Lloyd (und die restliche IT from BIT-Fraktion) behaupten.

      Sie wählen sich dabei doch zunächst eine bestimmte Betrachtungsweise für Ihren Milchkaffee, nämlich die der statist. Mechanik, und beziehen sich anschliessend auf einen zum gewählten theoretischen Rahmen passenden Begriff von Ordnung. Man kann es aber auch anders betrachten und etwa nach dem Vorliegen makroskopischer Symmetrien fragen, was dann zu ganz anderen Vorstellungen von Ordnung führt.

      Je nach Betrachtung kann man in ein und derselben Sache unterschiedliche Ordnungen erkennen. Das ändert aber nichts daran, dass die Ordnungen auch ohne Beobachter vorhanden sind.

      Energie oder Temperatur sind jedoch alles andere als trivial.

      Das mag sein. Nichtsdestotrotz handelt es sich in beiden Fällen um physikalische Begriffe, die physikalische Phänomene beschreiben. So, wie Hidalgo Information definiert, ist sie ebenfalls physikalisch. Physiker, die sich mit Quanteninformation beschäftigen, würden dies bekräftigen.

      Hidalgo sollte zumindest zwischen Information als einer info.-theor. Entropie (wie e.g. Gibbs Entropie) und dem, was gemeinhin im Zusammenhang mit einem Computer Information genannt wird, klar unterscheiden, denn es sind dabei signifikante Unterschiede feststellbar.

      Welcher denn?

    • @Lena
      Den richtigen Entropiebegriff vorausgesetzt, ist es absolut plausibel, dass ein Baum morphogenetisch Information generiert. Dies erfordert jedoch in jedem Fall eine Abstraktion des Vorfindlichen, eine geeignete Modellierung des Wachstumsprozesses als ein formales dynamisches System. Hier bietet sich beispielsweise an, das Wachstum eines Baumes als L-System zu modellieren und dann mit den Mitteln der algorith. Informationstheorie zu untersuchen. Laut Stephen Wolfram lassen sich L-Systeme auch durch zelluläre Automata darstellen, was die Interpretation als ein Rechenprozess deutlicher betont. Und es ist zu erwarten, dass dieser Rechenprozess für generische Fälle tatsächlich als eine irreducible computation herauskommt, wie Wolfram das nennt. Es liesse sich dann sagen, dass Bäume durch ihr Wachstum Information generieren, in einem durchaus bereits etablierten Sprachgebrauch von ‘Information’.

      Es zeigt sich dabei aber auch der Unterschied zu der ‘Informationsverabeitung’, die wir landläufig mit unseren gemeinen Computern verbinden. Deren Rechenprozesse sind gerade keine solchen ‘irreducible computations’. Im Sinne der AIT wird dabei nichts an neuem Informationsgehalt kreiert.

      Ich schätze aber, das hat kaum etwas gemeinsam mit dem, worauf Hidalgo hinauswill. Ob er das Universum als einen Computer sieht? Nun ja, machen Sie sich Ihren eigenen Reim darauf (aus dem besagten SciAm Artikel):

      But the beauty of Lloyd’s formula is that it can be used to estimate the information-storing capacity of any physical system, not just the universe. Recently I have drawn inspiration from Lloyd’s formula while exploring the computational capacities of economies and societies. Lloyd’s formula does not incorporate much of the social and economic complexity inherent in our economies, but it gives us rough estimates of the capacity of systems to store and process information. Think of Earth as a hard drive.

      »Je nach Betrachtung kann man in ein und derselben Sache unterschiedliche Ordnungen erkennen. Das ändert aber nichts daran, dass die Ordnungen auch ohne Beobachter vorhanden sind.«

      Das war u.a. ein Ziel des Wiener Kreises, die Rolle des Beobachters quasi herauszukürzen und Rechtfertigungen dafür zu geben, aus dem a posteriori Erfahrungswissen über einen Gegenstand auf demselben a priori innewohnende Eigenschaften zu schliessen. Dieses Vorhaben ist gescheitert, das funktioniert nicht. Wittgenstein hatte das bereits im Tractatus antizipiert (“Es gibt keine Ordnung der Dinge a priori.”), und nachfolgend hat Popper seinen kritisch-rationalistischen Gegenentwurf gerade in der Auseinandersetzung mit dem logisch-empiristischen Ansatz des Wiener Kreises entwickelt. Eine “objektive Betrachtungsweise” ist eben ein Oxymoron.

      »Nichtsdestotrotz handelt es sich in beiden Fällen um physikalische Begriffe, die physikalische Phänomene beschreiben.«

      Die Energie ist so physikalisch, wie der Geologenhammer geologisch ist. Soll heissen, Energie ist kein Gegenstand physikal. Untersuchung, sondern vielmehr ein methodisches Werkzeug, ohne das in der modernen Physik praktisch nichts geht. Mit der Information würde ich das eher ganz ähnlich sehen wollen, auch sie ein Werkzeug des Verstandes und keinesfalls ein Naturgegenstand, der einfach so da wäre.

  12. @Chrys

    Es liesse sich dann sagen, dass Bäume durch ihr Wachstum Information generieren, in einem durchaus bereits etablierten Sprachgebrauch von ‘Information’.

    Meiner Meinung nach generieren sie eher durch Evolution Information.

    Ich schätze aber, das hat kaum etwas gemeinsam mit dem, worauf Hidalgo hinauswill.

    Das sehe ich auch so.

    Eine “objektive Betrachtungsweise” ist eben ein Oxymoron.

    Es ging nicht um eine objektive Betrachtungsweise, sondern darum, ob die beobachteten Ordnungsphänomene tatsächlich vorhanden sind. Nehmen wir einen Pulsar, von dem wir regelmäßige Radiowellenimpulse empfangen. Verschiedene Beobachter auf der Erde dürften zur gleichen Beobachtung kommen. Deshalb darf angenommen werden, dass es diese Ordnung tatsächlich physikalisch gibt.

    Die Energie ist so physikalisch, wie der Geologenhammer geologisch ist. Soll heissen, Energie ist kein Gegenstand physikal. Untersuchung, sondern vielmehr ein methodisches Werkzeug, ohne das in der modernen Physik praktisch nichts geht.

    Angesichts von e = m*c**2 eine mir nicht nachvollziehbare Aussage.

  13. @Lena

    »Meiner Meinung nach generieren sie [die Bäume] eher durch Evolution Information.«

    Es ist nicht die Evolution, die Hidalgo mit seinen rechnenden Bäumen im Blick hat:

    A tree, for example, is a computer that knows in which direction to grow its roots and leaves. […] As a computer, a tree begets order in the macrostructure of its branches and the microstructures of its cells.

    »Verschiedene Beobachter auf der Erde dürften zur gleichen Beobachtung kommen. Deshalb darf angenommen werden, dass es diese Ordnung tatsächlich physikalisch gibt.«

    Was genau meinen Sie damit, annehmen zu dürfen, dass es etwas im Ergebnis einer gewissen Anzahl von Observationen “tatsächlich physikalisch gibt”? Dass man Messergebnisse “beobachtungsfrei” deuten darf als etwas, das irgendwie auch vorhanden wäre, auch wenn gar keiner misst? Je mehr Beobachter, desto besser lassen sich zwar individuelle Ausreisser im Gesamtresultat statistisch erfassen und eliminieren, was aber an der prinzipiellen Rolle von Beobachtern als aktive Mitspieler im Szenario einer Beobachtung nichts ändert.

    »Angesichts von e = m*c**2 eine mir nicht nachvollziehbare Aussage.«

    Jede physikal. Formel, die Sie überhaupt hinschreiben können, bezieht sich auf eine theoretisierte Darstellung, eine abstrakt modellierte Beschreibung eines Phänomens. Zwischen Modell und Phänomen ist aber strikt zu trennen. Für die Brauchbarkeit eines Modells ist einzig entscheidend, welche Vorhersagen zu konkreten Observationen sich daraus gewinnen lassen. Und wenn Sie im Modell Koordinaten als ein Mittel der Beschreibung verwenden, folgern Sie gewiss auch nicht, dass es diese dann auch “physikalisch gibt”.

    In der gängigen Darstellung der Newtonschen Gravitationstheorie hat es ein Gravitationspotential und damit auch eine Gravitationsenergie. In der geometrisierten Fassung, der Newton-Cartan Theorie, ist dieses Potential dann weg, und mithin auch seine Energie. Dessen ungeachtet sind beide Theorien observationell äquivalent. Was schliessen Sie daraus hinsichtlich der Energie?

  14. @Chrys

    Es ist nicht die Evolution, die Hidalgo mit seinen rechnenden Bäumen im Blick hat:

    Ich weiß. Das ist auch die Schwachstelle seines Buches: Ihm fehlt eine Evolutionstheorie. Merschs und Hidalgos Bücher und Ansätze sind praktisch deckungsgleich, mit dem kleinen Unterschied: Mersch argumentiert auf der Grundlage der einer allgemeinen Evolutionstheorie.

    Das, was Darwin als Anpassung bezeichnet, könnte man auch als Informationsgewinnung bezeichnen (bzw. als Kompetenzgewinnung, wenn man Information so eng definiert, wie es Hidalgo tut). Besser angepasste Individuen besitzen gewissermaßen ein besseres Modell ihrer Umwelt. Sie sind in der Lage, genauere Vorhersagen als schlechter angepasste Individuen zu machen. Informationstheoretisch kann das wie folgt ausgedrückt werden: Die Informationsentropie ihres Modells der Umwelt (ihrer Theorien über die Umwelt) ist niedriger als die Modelle der anderen. Oder: Die Ungewissheit über ihren Lebensraum ist niedriger als bei den anderen. D.h.: Sie wissen mehr. Anpassung erzeugt also gewissermaßen einen Wissenszuwachs. Bei genetischen Lebewesen kann dies ausschließlich per Evolution erfolgen.

    Darauf wies auch (richtigerweise) Adolf Heschl in “Das intelligente Genom” hin. Was er meiner Meinung nach dabei übersah: Wenn Lebewesen über ein Gehirn verfügen und zu kultureller Leistung fähig sind, können sie sich auch nichtgenetisch anpassen und somit auf schnellere Weise Information gewinnen..

    Zusammenfassend: Ich halte Hidalgos Ansatz für grundsätzlich richtig, allerdings besitzt er noch wesentliche Schwachstellen (keine dazu passende Evolutionstheorie), die andere bereits geschlossen haben, die man jedoch nicht kennt, da deutsch.

    Was genau meinen Sie damit, annehmen zu dürfen, dass es etwas im Ergebnis einer gewissen Anzahl von Observationen “tatsächlich physikalisch gibt”? Dass man Messergebnisse “beobachtungsfrei” deuten darf als etwas, das irgendwie auch vorhanden wäre, auch wenn gar keiner misst? Je mehr Beobachter, desto besser lassen sich zwar individuelle Ausreisser im Gesamtresultat statistisch erfassen und eliminieren, was aber an der prinzipiellen Rolle von Beobachtern als aktive Mitspieler im Szenario einer Beobachtung nichts ändert.

    Ich nehme an, dass es den Mond und die Sonne tatsächlich gibt und sie nicht nur beobachtbare Phänomene am Himmel sind. Desweiteren nehme ich an, dass amerikanische Astronauten im Jahr 1969 tatsächlich auf dem Mond gelandet sind, d.h. auf dem gleichen Objekt, das ich als optisches Phänomen Nacht für Nacht am Himmel bewundern kann.

    Bei rein statistischen Resultaten mag man zu anderen Vorstellungen kommen.

    Jede physikal. Formel, die Sie überhaupt hinschreiben können, bezieht sich auf eine theoretisierte Darstellung, eine abstrakt modellierte Beschreibung eines Phänomens. Zwischen Modell und Phänomen ist aber strikt zu trennen. Für die Brauchbarkeit eines Modells ist einzig entscheidend, welche Vorhersagen zu konkreten Observationen sich daraus gewinnen lassen.

    Klar, Vollmer nennt das einen “hypothetischen Realismus”, Hawking einen “modellabhängigen Realismus”. Die meisten Naturwissenschaftler haben ähnliche Vorstellungen.

    Und wenn Sie im Modell Koordinaten als ein Mittel der Beschreibung verwenden, folgern Sie gewiss auch nicht, dass es diese dann auch “physikalisch gibt”.

    Das ist überhaupt nicht übertragbar. Anders als bei den Koordinaten handelt es sich bei Energie um eine fundamentale physikalische Größe. Für sie gibt es sogar einen Erhaltungssatz.

    In der gängigen Darstellung der Newtonschen Gravitationstheorie hat es ein Gravitationspotential und damit auch eine Gravitationsenergie. In der geometrisierten Fassung, der Newton-Cartan Theorie, ist dieses Potential dann weg, und mithin auch seine Energie.

    Was wollen Sie damit sagen? Dass die Objekte in der einen Gravitationstheorie über potentielle Gravitationsenergie verfügen, in der anderen aber nicht? Das wäre mir neu. Nach meiner Kenntnis ist in dem einen Modell die Gravitation eine eigenständige physikalische Kraft, in dem anderen resultiert sie dagegen aus der “Geometrie”. An der Energie ändert sich dadurch nichts.

  15. @Lena

    »Ich nehme an, dass es den Mond und die Sonne tatsächlich gibt und sie nicht nur beobachtbare Phänomene am Himmel sind.«

    Behauptungen wie “Es gibt den Mond,” verstanden als “Der Mond existiert,” sind Scheinsätze, denn zu existieren ist lediglich ein grammatisches, jedoch kein logisch-empirisches Prädikat. Umgangssprachlich nimmt man es da nicht so genau, und Sätze wie “Es gibt Bohnen mit Speck” sind gemeinhin ja auch nicht als reine Existenzbehauptung aufzufassen.

    Gegenstände der Erfahrung existieren einzig in dem Sinne, dass sie jeweils mindestens ein empirisch festellbares Prädikat erfüllen. Oder in den Worten von W.V.O. Quine, “To be is to be the value of a variable.” Was unter empirisch feststellbar genau zu verstehen ist, bedarf freilich einer wiss.-theor. Klärung, aber jeder Bezug zur Empirie bindet alle diesbezüglichen Urteile unhintergehbar an die menschliche Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeit. Alles, was hierbei überhaupt sinnvoll festgestellt werden kann, ist zwangsläufig aus der Perspektive eines Beobachters heraus festzustellen.

    »Anders als bei den Koordinaten handelt es sich bei Energie um eine fundamentale physikalische Größe. Für sie gibt es sogar einen Erhaltungssatz.«

    Es bleibt immer etwas ethalten, wo wir einen Prozess im zeitlichen Verlauf sehen und eine Identität in der Verändung ausmachen können. Wo nichts erhalten bleibt, erkennen wir keine zusammenhängenden Strukturen im Wandel unserer Sinneseindrücke. Das Prinzip der Energieerhaltung konstatiert nur, dass irgendwas erhalten bleibt. (Das ist jetzt nicht meine Entdeckung, gesagt hat das ein studierter Bergbauingenieur, der von Karl Popper sogar als grösster Wissenschaftsphilosoph überhaupt bezeichnet worden sein soll.) Insbesondere ist das Prinzip der Erhaltung von Energie nicht falsifizierbar, das lässt sich immer irgendwie hinbiegen.

    »Was wollen Sie damit sagen? Dass die Objekte in der einen Gravitationstheorie über potentielle Gravitationsenergie verfügen, in der anderen aber nicht?«

    Energie ist eben keine Grösse, die direkt zu observieren wäre. Sie wird im Rahmen einer modellhaften Beschreibung eingeführt und stets nur berechnet; sie dient gleichsam der Buchhaltung. In einer Theorie der Gravitation ohne zugehöriges Potential lässt sich schwerlich noch von potentieller Energie reden. Der unmittelbaren Anschauung noch näher liegt sicherlich die Schwerkraft selbst. In der geometrisierten Theorie ist die dann auch konzeptuell nicht länger vorhanden, und der Apfel fällt hier nicht vom Baum, weil eine Kraft an ihm zerrte.

    • Mit Vergnügen lese ich Ihre Beiträge, weil sie mit meinen Anschauungen annähernd vollständig übereinstimmen. Es würde mich noch interessieren, wer mit dem Bergbauingenieur gemeint ist.

      Der Energieerhaltungssatz stammt ursprünglich schon vom Theologen und Naturforscher Pierre Gassendi (1592-1655), der allerdings noch von der Krafterhaltung sprach, „In der Welt bleibt stets die gleiche Kraft“, weil das Konzept der Energie damals noch nicht bekannt war. Gassendi ist ein äußerst interessanter Mann. Später haben bekanntlich die Mediziner Robert Meyer und Hermann von Helmholtz den Energieerhaltungssatz formuliert, also alles keine Physiker!

      Naturphilosophisch interessant ist nebenbei auch das Noether-Theorem zur Begründung der Erhaltungssätze, das eine Relation zu den Symmetrien der Physik herstellt. So kann der Energieerhaltungssatz aus der Symmetrie der Zeit hergeleitet werden, analog die Impulserhaltung aus der Symmetrie des Raumes.

      Zur Schwerkraft noch ein nettes Zitat des Sprachphilosophen J.B.Johnson (1786-1867):

      “Das Wort Schwerkraft benennt viele interessante und wichtige Phänomene; aber wenn wir zusätzlich zu diesen nach der Schwerkraft an sich Ausschau halten, handeln wir ebenso ahnungslos wie das Kind, das, nachdem es in der Oper mit Ungeduld dem Orchester und den Gesängen zugehört und den Tänzen zugeschaut hatte, den Ausspruch tat: Jetzt hab ich genug davon, jetzt soll die Oper kommen.”

      • @Anton Reutlinger
        Umgekehrt ergeht es mir mit Ihren Beiträgen ganz entsprechend, dass ich darin immer wieder vieles von meiner eigenen Sicht der Dinge entdecken kann.

        Der Bergbauingenieur, das ist Henri Poincaré. Er war tatsächlich auch zeitweilig als Ingenieur im Bergbau beschäftigt. Zur Energieerhaltung schreibt er in La Science et l’Hypothèse, Chapitre 10. (bei wikisource in verschiedenen Sprachen zu finden).

        Eine Quelle zu Poppers philos. Einschätzung von Poincaré kenne ich leider nicht. Da habe ich nur einen Hinweis auf Renée Bouveresse & Hervé Barreau, hier in einem review (Popper considère par ailleurs Poincaré comme « le plus grand philosophe des sciences de tous les temps ».)

        • Danke für den Hinweis auf Poincaré. Zufällig habe ich gerade vor kurzem die “Geschichte der speziellen Relativitätstheorie” bei Wiki gelesen, an der Poincaré wie Lorentz maßgeblich, aber nur indirekt, beteiligt war. Sein Missgeschick gegenüber Einstein war, dass er sich nicht von der Existenz des Äthers lösen konnte. Einstein hat seine Bedeutung in späteren Jahren jedoch noch anerkannt.

          https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_speziellen_Relativit%C3%A4tstheorie

          • Noch kurz zu wikipedia angemerkt: Das Buch Wissenschaft und Hypothese (1902) wird da auch genannt. Was anscheinend unerwähnt bleibt, Poincaré hat dort im Kap. XII auch prognostiziert, dass der Aether zweifellos eines Tages als nutzlos verworfen werden würde. Einstweilen könne man aber so tun, als ob er vorhanden wäre. Poincaré hatte ein offensichtliches Faible für Lorentz, dem er ja auch die “Lorentz Transformation” zugewidmet hat, und ich schätze, dem wollte er keinesfalls in die Parade fahren.

    • @Chrys

      Alles, was hierbei überhaupt sinnvoll festgestellt werden kann, ist zwangsläufig aus der Perspektive eines Beobachters heraus festzustellen.

      Ja klar, wenn man vielleicht noch präziser sagt “aus der Perspektive eines Beobachters und seiner Theorien/Modelle” (bzw. in der Wortwahl der Systemischen Evolutionstheorie: “aus der Perspektive eines Evolutionsakteurs und seiner Umweltkompetenzen”). Ich sprach bereits davon, dass die meisten Physiker wissenschaftstheoretisch modellabhängige Realisten sind. Sehr gut erklärt wird das in den Büchern von Stephen Hawking. Allerdings sind einige Physiker diesen Fragen gegenüber auch eher desinteressiert eingestellt. Charakteristisch ist etwa der Satz von Nobelpreisträger Richard Feynman (sinngemäß): “Wissenschaftstheorie ist für Wissenschaftler so bedeutsam wie Ornithologie für Vögel.”

      Auffällig ist jedenfalls, dass es mit diesen Modellen gelang, Menschen auf dem Mond zu landen, eine Raumfähre auf einem Kometen und eine andere lediglich 12.500 km am Pluto vorbeizusteuern. Sätze wie “ist alles nur aus der Perspektive eines Beobachters” haben dazu nichts beigetragen, zumal sich ohnehin fragt, wofür die verwendeten Begriffe denn nun wieder stehen:
      – Was ist der Beobachter?
      – Und was beobachtet er überhaupt?
      Innerhalb der Systemischen Evolutionstheorie ist der “Beobachter” nur ein weiterer Begriff eines wissenschaftlichen Modells. Er wird zwar ein wenig präzisiert, am Ende beruht er aber auf grundsätzlichen Annahmen des Modells. Insbesondere macht er außerhalb eines evolutionären Kontextes kaum noch Sinn, und innerhalb des evolutionären Kontextes der Memetik eigentlich auch nicht.

      Das Prinzip der Energieerhaltung konstatiert nur, dass irgendwas erhalten bleibt.

      Na ja, es hat in Verbindung mit Einsteins e = m*c**2 u.a. zur Entwicklung der Wasserstoffbombe und der Fusionsreaktoren geführt. Offenbar haben die Physiker schon etwas genauere Vorstellungen darüber, was da erhalten bleibt.

      Insbesondere ist das Prinzip der Erhaltung von Energie nicht falsifizierbar, das lässt sich immer irgendwie hinbiegen.

      Hinbiegen? Das ist geradezu respektlos. Es finden darüber weiterhin breite Diskussionen innerhalb der Physik/Kosmologie statt. Erstens ist es ein Erfahrungssatz (d.h. eine grundsätzliche Annahme), zweitens gilt es nur für geschlossene Systeme und drittens streitet man sich noch darüber, ob unser Universum als Ganzes (man kann nur einen Teil davon beobachten) überhaupt ein geschlossenes System ist.

      Tatsache ist jedenfalls, dass das Prinzip erstaunlich wirkungsvolle (und nachprüfbare) Konsequenzen hat. Siehe z. B. die Wasserstoffbombe. Aber auch sonst findet es überall Anwendung. Ich kenne kaum eine physikalische Fragestellung, bei der es irgendwann nicht ganz konkret herangezogen wird. Beispiel: Germanwings Absturz. Man stellte fest, dass zahlreiche Fundstücke verbrannt waren. Die Experten müssen dann klären, ob die Beobachtungen eher mit einer Bombenexplosion, der Wucht des Aufpralls (und der dabei freigesetzten Energie), dem Verbrennen des Treibstoffs oder was auch immer zu erklären sind.

      Energie ist eben keine Grösse, die direkt zu observieren wäre. Sie wird im Rahmen einer modellhaften Beschreibung eingeführt und stets nur berechnet; sie dient gleichsam der Buchhaltung. In einer Theorie der Gravitation ohne zugehöriges Potential lässt sich schwerlich noch von potentieller Energie reden. Der unmittelbaren Anschauung noch näher liegt sicherlich die Schwerkraft selbst. In der geometrisierten Theorie ist die dann auch konzeptuell nicht länger vorhanden, und der Apfel fällt hier nicht vom Baum, weil eine Kraft an ihm zerrte.

      Ich halte diese Sätze für indiskutabel.

    • @Lena
      Nach meinem persönlichen Eindruck halten die meisten Naturforscher es für ziemlich selbstverständlich, dass es eine externe, vom menschlichen Denken unabhängige Realität gibt, die man erforschen kann. Die denken nicht so sehr darüber nach, um auf die Idee zu kommen, dass diese Realität allenfalls als ein “rein metaphysisches, regulatives Prinzip” gedacht werden kann, wie es der philosophisch geneigte Chemiker Hans Primas formuliert hat, der spürbar tiefer nachgedacht hat.

      Sofern man an eine externe Realität glaubt, kann diese nicht modellabhängig sein. Und sofern sie modellabhängig ist, besteht sie nicht unabhängig vom menschlichen Denken. By the way, wenn Hawking von einem -ismus spricht, so ist mir das ohnehin mehr als suspekt. Er meint schliesslich auch, dass sich Philosophen untereinander zu beschimpfen pflegen, indem sie sich gegenseitig irgendwelcher -ismen bezichtigen.

      »Na ja, es hat in Verbindung mit Einsteins e = m*c**2 u.a. zur Entwicklung der Wasserstoffbombe und der Fusionsreaktoren geführt. Offenbar haben die Physiker schon etwas genauere Vorstellungen darüber, was da erhalten bleibt.«

      Es geht definitiv nicht um eine Einteilung zwischen den Kategorien ‘real’ und ‘fiktional’. Wer meint, Energie müsse ‘real’ sein, weil sie andernfalls ja nur ‘fiktional’ und daher völlig beliebig wäre, was offenbar nicht sein kann, dann ist das eine falsche Sicht. Primzahlen sind schliesslich auch abstrakte Konstrukte des Denkens, doch sind sie keinesfalls ‘fiktional’ wie etwa Donald Duck. Umgekehrt lässt sich aus dem Umstand, dass Primzahlen ganz praktische und erfahrbare Anwendungen in der Kryptographie haben, keineswegs folgern, dass sie irgendwie gegenständlich ‘real’ zu sein hätten.

      »Ich halte diese Sätze für indiskutabel.«

      Da grüble ich, was genau Sie damit sagen wollen. Ihnen ist schon klar, dass auch in Einsteins allg. Relativität keine Schwerkraft vorkommt und die Äpfel kräftefrei vom Baum fallen?

      • @Chrys

        Die denken nicht so sehr darüber nach, um auf die Idee zu kommen, dass diese Realität allenfalls als ein “rein metaphysisches, regulatives Prinzip” gedacht werden kann, wie es der philosophisch geneigte Chemiker Hans Primas formuliert hat, der spürbar tiefer nachgedacht hat.

        Spürbar tiefer nachgedacht? Wie soll Evolution ohne unabhängig existierende Realität (und Umwelt) funktionieren? An was passen sich z. B. Lebewesen an? Wie entsteht Erkenntnis? Und über was?

        Sofern man an eine externe Realität glaubt, kann diese nicht modellabhängig sein.

        Das sehe ich auch so. Das Modell stellt eine Anpassung an die Realität dar, ist aber nicht die Realität. Welcher Art die Realität “wirklich” ist, kann gemäß solchen Vorstellungen nie festgestellt werden. Es bleibt bei Modellen.

        By the way, wenn Hawking von einem -ismus spricht, so ist mir das ohnehin mehr als suspekt.

        Mir nicht, schließlich erklärt er ziemlich genau, wie er das meint.

        Leider weiß ich schon längst nicht mehr, worum es hier überhaupt geht. In einem anderen Beitrag schrieben Sie:

        Was unter empirisch feststellbar genau zu verstehen ist, bedarf freilich einer wiss.-theor. Klärung, aber jeder Bezug zur Empirie bindet alle diesbezüglichen Urteile unhintergehbar an die menschliche Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeit. Alles, was hierbei überhaupt sinnvoll festgestellt werden kann, ist zwangsläufig aus der Perspektive eines Beobachters heraus festzustellen.

        Wenn es um Evolutionstheorie geht, vertrete ich in erster Linie die Systemische Evolutionstheorie. Wie der Name schon sagt, beruht sie auf der Systemtheorie. Zu deren Grundlagen gehört die Trennung von System und Umwelt bzw. von Beobachter und Umwelt. Alle Akteure der Systemischen Evolutionstheorie sind letztlich Beobachter in ihrer jeweiligen Umwelt. Alles Wissen, was sie dabei erlangen, erlangen sie als Beobachter. Mit anderen Worten: Das, was Sie schreiben, ist Grundlage dieser Evolutionstheorie. Es ist direkt in ihr integriert. Bei der Memetik, um die es hier in erster Linie geht, ist das nicht der Fall. Wäre es dann nicht eher angebracht, Ihre Kritik und Belehrungen eher dahin zu richten?

        Wer meint, Energie müsse ‘real’ sein, weil sie andernfalls ja nur ‘fiktional’ und daher völlig beliebig wäre, was offenbar nicht sein kann, dann ist das eine falsche Sicht. Primzahlen sind schliesslich auch abstrakte Konstrukte des Denkens, doch sind sie keinesfalls ‘fiktional’ wie etwa Donald Duck. Umgekehrt lässt sich aus dem Umstand, dass Primzahlen ganz praktische und erfahrbare Anwendungen in der Kryptographie haben, keineswegs folgern, dass sie irgendwie gegenständlich ‘real’ zu sein hätten.

        Tut mir leid, das verstehe ich überhaupt nicht. Wenn man im Rahmen einer Kernfusion zwei Wasserstoffatome zu einem Heliumatom verschmelzt, wird gemäß Atomgewichten und Einsteins Formel eine gewisse Menge Energie freigesetzt. Diese Menge lässt sich präzise berechnen. Und sie lässt sich spüren. Sie kann töten. Ich weiß nun aber nicht, was das mit Primzahlen zu tun haben soll.

        Ihnen ist schon klar, dass auch in Einsteins allg. Relativität keine Schwerkraft vorkommt und die Äpfel kräftefrei vom Baum fallen?

        Und Ihnen ist schon klar, dass wir die ganze Zeit von Energie und nicht von Kräften reden? Gemäß Newton zieht die Gravitationskraft Äpfel zu Boden, gemäß Einstein müssen Apfelbäume Energie aufwenden, um die Äpfel in ihrer Position am Baum zu halten, da sie sonst auf einer Raumzeit-Geodäte zu Boden fallen würden. An welcher Stelle soll ein Problem mit der Energie aufgekommen sein?

  16. @Lena

    »Besser angepasste Individuen besitzen gewissermaßen ein besseres Modell ihrer Umwelt. […] Anpassung erzeugt also gewissermaßen einen Wissenszuwachs.«

    Wo findet der „Wissenszuwachs“ denn statt, im Individuum oder in der Population? Besitzt ein Individuum, das dank einer Mutation z. B. einen antimikrobiellen Angriff überlebt, wirklich ein besseres Modell seiner Umwelt, wenn es zuvor noch nie mit diesem antimikrobiellen Wirkstoff Kontakt hatte?

  17. @Balanus

    Besitzt ein Individuum, das dank einer Mutation z. B. einen antimikrobiellen Angriff überlebt, wirklich ein besseres Modell seiner Umwelt, wenn es zuvor noch nie mit diesem antimikrobiellen Wirkstoff Kontakt hatte?

    Ja, das ist ein Fall, den Mersch in seinem Buch – in einer etwas anderen Konstellation – ausführlich diskutiert und durchrechnet. Die Umwelt hat sich durch das Ereignis verändert. Dadurch steigt die Informationsentropie des Modells der Umwelt in fast allen Individuen an, mit Ausnahme vielleicht der Individuen, die mit der Umweltveränderung hinreichend klarkommen. Darwin hätte ganz entsprechend dazu gesagt: Fast alle Individuen sind unter den veränderten Umweltbedingungen nicht mehr ausreichend angepasst.

    Einen evolutionären Wissenszuwachs kann man nur unter konstanten Umweltbedingungen ernsthaft begründen. Bei völlig neuen Umweltbedingungen sind keinerlei Vorhersagen möglich. Aber das ist eigentlich auch klar. Sollte es auf der Erde sukzessive immer heißer werden (z. B. weil sich die Sonne ausdehnt), wird komplexes Leben irgendwann nicht mehr möglich sein. Alles Wissen geht dann verloren.

  18. @Lena
    Was Naturforscher typischerweise über empirisches Erkennen glauben, kann ich nur nach eigenem, letztlich unmassgeblichen Eindruck einschätzen. Und nach diesem Eindruck ergibt sich mir das Bild, dass Naturforscher Realtät bevorzugt irgendwie ontologisch begreifen wollen und dies durch ihrer Art der Forschung legitimiert sehen. Das geht über ein unreflektiertes Alltagsverständnis von ‘Realität’ praktisch nicht hinaus und führt zur Beschäftigung mit Fragen wie hier: Was ist wirklich real? Was ‘Realität’ genannt wird ist jedoch grundsätzlich ein metaphysisches Konzept und kein empirischer Gegenstand.

    Aber gut, ich will hier kein Nebenthema aufmachen und Ihnen auch keine Sicht unterstellen, die Sie gar nicht vertreten. Nur wundert es mich, dass Sie bei der Energie so störrisch sind, wenn Sie die ganze “Welt” ohnehin modellabhängig sehen.

    »Diese Menge [an Energie] lässt sich präzise berechnen. Und sie lässt sich spüren. Sie kann töten.«

    Energie wird berechnet, ja, das ist auch meine Rede. Und nein, sie lässt sich nicht messen, nicht observieren, nicht spüren, und sie bringt niemanden um. Die Grössen, die konkret gemessen, observiert, gespürt werden, sind in konkreten Fällen jeweils ganz andere, und Energie lässt sich stets nur im Rahmen einer Theoretisierung damit in Verbinding bringen.

    »Und Ihnen ist schon klar, dass wir die ganze Zeit von Energie und nicht von Kräften reden?«

    Und von Fallobst. Die Schwerkraft der klassischen Newton-Gravitation ist eine Potentialkraft, und das Potential ist in den geometrisierten Theorien von Gravitation (GR, Einstein-Cartan, Newton-Cartan) nicht vorhanden, mit allen Konsequenzen. Energieerhaltung bedeutet in der GR, dass der Energie-Impuls Tensor divergenzfrei ist, und der beinhaltet keine Gravitation. Die GR oder die Newton-Cartan kennen keine Entsprechung zur lokalen Gravitationsenergiedichte beim klass. Newton. Energie und ihre Erhaltung wird immer nur in die jeweilige Theorie passend hineinegedacht, als ein methodisches Konzept, und sie ist nicht als ein sich wundersam verwandelndes Naturobjekt vorhanden.

  19. @Chrys

    Was ‘Realität’ genannt wird ist jedoch grundsätzlich ein metaphysisches Konzept und kein empirischer Gegenstand.

    Die Metaphysik wird dazu nichts beitragen.

    … wenn Sie die ganze “Welt” ohnehin modellabhängig sehen.

    Die Wahrnehmung der Welt ist modellabhängig. Manche Modelle haben sich aber längst als falsch erwiesen. Wie könnte man das sagen, wenn es nicht den Schiedsrichter Realität gäbe?

    Energie und ihre Erhaltung wird immer nur in die jeweilige Theorie passend hineinegedacht,

    Einstein hat sich die Energie nicht passend hineingedacht.

  20. @Lena
    Auch Sie können von Realität nicht in einem anderen Sinne sprechen als dem einer gedanklich konstruierten Vorstellung von Realität. Die Sprache selbst macht es unmöglich, dem Wort ‘Realität’ jene Bedeutung zu geben, die in sämtlichen Varianten von externem Realismus eigentlich beabsichtigt ist. Und bekanntlich, wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.

    »Einstein hat sich die Energie nicht passend hineingedacht.«

    Nach Einsteins eigenem Bekunden wäre schliesslich auch seine Formel E = mc² nicht sicher, insofern auf die Wirklichkeit bezogen wird, und insofern sie sicher ist, bezieht sie sich nicht auf die Wirklichkeit.

  21. Auch Sie können von Realität nicht in einem anderen Sinne sprechen als dem einer gedanklich konstruierten Vorstellung von Realität.

    Ich muss nicht von ihr sprechen. Ich muss sie nur annehmen und beobachten.

    Die Sprache selbst macht es unmöglich, dem Wort ‘Realität’ jene Bedeutung zu geben, die in sämtlichen Varianten von externem Realismus eigentlich beabsichtigt ist. Und bekanntlich, wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.

    Ist der Mond real? Ist das Auto real, das auf der Straße genau auf sie zukommt? Ich würde Ihnen raten, dies anzunehmen.

    Nach Einsteins eigenem Bekunden wäre schliesslich auch seine Formel E = mc² nicht sicher, insofern auf die Wirklichkeit bezogen wird, und insofern sie sicher ist, bezieht sie sich nicht auf die Wirklichkeit.

    Das ist schlimme Polemik.

    • @ Lena :

      Wenn Sie bspw. kommentieren, wäre es schon gut, wenn Sie nicht zwischen ‘davon sprechen’ und ‘annehmen’ unterscheiden würden.

      Einstein wird zudem nicht gegen sich selbst polemisiert haben,
      MFG
      Dr. W (der Sie bei Chrys einstweilen in guten Händen sieht)

      • Einstein wird zudem nicht gegen sich selbst polemisiert haben,

        Nein, er hat nur sachlich darauf hingewiesen, dass naturwissenschaftliche Theorien falsifizierbar sein müssen und in der Regel irgendwann auch falsifiziert werden.

        Kreationisten nutzen ähnliche Äußerungen gegenüber der Evolutionstheorie ähnlich aus.

    • Ist das Auto in der Schrottpresse auch real? Ist der Mond auch real, wenn er nicht sichtbar ist? Sie vertreten offenbar den naiven Realismus. Die Polemik kommt vielmehr von Ihnen, weil Sie einem erzkonservativen Esoteriker (P.Mersch) aufgesessen sind und es nicht wahrhaben wollen.

      Die Evolution bezeichnet eine stetige, kontinuierliche Form von Entwicklung, die sich sowohl von der Revolution wie von der Konstruktion abgrenzt. Dies gilt jedoch ausschließlich für komplexe Systeme in einer komplexen Umgebung, nicht für Systeme, die planmäßig oder gesetzmäßig bestimmt und berechenbar sind. Eine allumfassende, systemische Evolutionstheorie ist ein Schmarrn. Ein Organismus ist nicht mit einem (technischen) System zu vergleichen, auch wenn es umgangssprachlich häufig gemacht wird.

      Mersch hat die biologische Evolution gar nicht verstanden. Er stellt sie auf den Kopf und vermischt sie mit seinem wirren Weltbild. Typisch für solche Leute ist, dass sie sich als unverstandene Opfer des Establishments sehen und sich als besserwissende Rebellen gefallen, mit entsprechender Polemik gegen die Macht der Wissenschaft, Wirtschaft, Medien und Politik, die sich angeblich gegen sie verschworen hat. Das ist nicht Wissenschaft, sondern Ideologie oder Esoterik.

      • Ist das Auto real, das auf der Straße genau auf sie zukommt? Ich würde Ihnen raten, dies anzunehmen.

        Das ist übrigens der alte Jokus mit der sich nach unten öffnenden Hand, unter der sich der Fuß des händisch Öffnenden befindet.
        Wird der Stein nach unten fallen, auf den Fuß?

        Muss nicht vorbehaltlich und praktischerweise davon ausgegangen werden, dass der Fuß verletzt werden könnte (und sich insofern jede weitere epistemologische Erörterung verbietet), lol.

        MFG
        Dr. W

        • Nach Abschicken meines Betrags habe ich mir den Spaß gegönnt, nach Mersch und “Lena Waider”, Biologin und angebliche Wissenschaftlerin zu googeln. Interessant, was da zutage kommt, im wesentlichen die Bestätigung meines obigen Beitrags. Aus einem Forum von 2010:

          Der Rezensent/ die Rezensentin mit dem Namen “Lena Waider” hat sich bei Amazon mit zahlreichen Besprechungen von einerseits pornografischen Büchern (kein Spaß!), andrerseits von Büchern zum Thema Evolutionsbiologie einen Namen gemacht. Mit einer derart breiten Allround-Kompetenz kann ich nicht mithalten. Auffallend ist, dass sich in so gut wie jeder Besprechung eines Evolutionsbuches durch L.W. eine Empfehlung eines (unsäglichen) Buches eines Herr Peter Mersch über Evolution findet. Auch dieser Herr Mersch verfügt über Breitband-Kompetenzen. So hat er u. a. auch Bücher über die Behandlung von Kopfschmerzen und gegen die Emanzipation der Frau verfasst.

          Lena kapert den Blog für Ihre persönlichen Zwecke. Es gibt Gerüchte im Netz, dass dahinter Mersch selber steckt. Das halte ich allerdings für unbegründet. Noch etwas zu Mersch, von einem Foristen, den ich aus diversen Foren zur Evolution als fachkundig kenne (Gymnasiallehrer), ein Forum von 2012:

          Was mir aber auffiel ist auf der einen Seite die Arroganz, auf der anderen Seite die Aggressivität, vor allem dann, wenn man argumentiert, dass hier Biologismus in Spiel sein könnte (habe ich gerade im Atheisten-Forum dezent wieder einmal gemacht, die Reaktion war typisch).

          In Evolutionsbiologie kenne ich mich ganz passabel aus, ich habe mich ein wenig in Merschs erstes Buch zur Evolutionstheorie eingelesen. Weder die Arbeiten, die er zitiert, noch das, was er daraus gemacht hat, schienen mir besonders beeindruckend zu sein. Für die eigentliche Evolutionsbiologie scheint sein Ansatz nicht so nützlich zu sein, dass er rezipiert wird. Mersch geht es aber auch weniger darum, sondern um Anwendungen. Mir ist daher aufgefallen, dass die Poster auf der einen Seite sehr darauf bedacht waren, die evolutionsbiologisch Kompetenz Merschs zu betonen, aber auf der anderen Seite gleich jeden Biologismus-Verdacht (oder auch nur den naturalistischen Fehlschluss) vehement abzulehnen. Für mich ist das ein starker Verdacht, dass genau das beabsichtigt ist: aus einer naturwissenschaftlichen Theorie politische Forderungen oder auch medizinische Therapien zu begründen, die ansonsten nicht leicht vertretbar wären.

          • @ Herr Reutlinger :
            Ihr Kommentatorenfreund hat schon den Eindruck mit Lena eine diskutable Persönlichkeit adressiert zu haben, insofern wird er nicht super-froh, wenn derart versucht wird aufzulösen; besser wäre schon “gepflegt” zu grillen, sofern hier zulässig.
            MFG
            Dr. W (der natürlich nichts gegen eher niedrige Nachricht hat, selbst ja auch ein wenig gewohnt ist beizeiten experimentell beizutragen)

          • @Dr.Webbaer;
            Nun, das eigentliche Theme “Meme” ist ausführlich diskutiert und die Diskussion dreht sich nur noch im Kreis. Die “systemische Evolutionstheorie” ist hier so wenig Thema wie die wirre Weltanschauung von Mersch. Mir genügt ein einziges Wort aus Merschs Theorie, das “Reproduktionsinteresse”, das die Unhaltbarkeit seiner Theorie und sein Unverständnis der Evolution deutlich macht. Deshalb gehe ich lieber selber grillen, als Merschs PR-Beauftragte zu “grillen”, was ohnehin ungenießbar ist.

          • Es gibt Gerüchte im Netz, dass dahinter Mersch selber steckt. Das halte ich allerdings für unbegründet. Noch etwas zu Mersch, von einem Foristen, den ich aus diversen Foren zur Evolution als fachkundig kenne (Gymnasiallehrer)

            Sie meinen sicherlich Thomas Waschke aka El Schwalmo. Der ist nur neidisch. So etwas:
            https://de-de.facebook.com/Evolutionsbiologen.de/posts/246700185452525
            ist an Peinlichkeit kaum mehr zu überbieten. Was bildet sich diese Person ein, jemanden, der neue Theorien entwickelt und Bücher schreibt, auf diese Weise anzugehen? Wir sind doch hier nicht in der DDR, oder? Herr Waschke hat sogar versucht, Herrn Mersch bei psiram zu diskreditieren. Für mich ist diese Person in höchstem Maße unseriös.

            Was mir aber auffiel ist auf der einen Seite die Arroganz, auf der anderen Seite die Aggressivität, vor allem dann, wenn man argumentiert, dass hier Biologismus in Spiel sein könnte…

            Da sehen Sie doch die unerträgliche Phrasendrescherei. Man könnte der Memetik Biologismus unterstellen, da der Replikatorengedanke aus der Biologie stammt. Man könnte auch allen soziobiologischen Versuchen Biologismus unterstellen. Die Systemische Evolutionstheorie hat demgegenüber überhaupt nichts mit Biologismus zu tun. Es ist doch gerade der Punkt, dass sie sich bereits konzeptionell von der Biologie abgrenzt. Im Zentrum stehen Begriffe wie Kompetenzen, Information, Reproduktionsinteresse, System, Umwelt, Zweiter Hauptsatz der Thermodynamik. Es tauchen immer wieder Kritiker auf, die behaupten, Mersch habe die biologische Evolutionstheorie nicht verstanden und überhaupt: Evolution gebe es nur in der Biologie. Sie sind doch das beste Beispiel dafür. Und dann zitieren Sie einen bekannten Besserwisser (und Lehrer!), der permanent mit Pseudobegriffen wie Biologismus um sich wirft, obwohl auch er sich daran stört, dass sich die Systemische Evolutionstheorie von der biologischen Evolutionstheorie abgrenzt. Es ist wirklich unerträglich, wie diese Person frei von jeder Logik rein polemisch argumentiert.

          • @Anton Reutlinger

            so wenig Thema wie die wirre Weltanschauung von Mersch

            Geht es vielleicht auch ein wenig sachlicher?

            Mir genügt ein einziges Wort aus Merschs Theorie, das “Reproduktionsinteresse”, das die Unhaltbarkeit seiner Theorie und sein Unverständnis der Evolution deutlich macht.

            Und mir genügt ein einziges Wort von Dawkins, das seine Theorie unhaltbar macht: “Gen-Egoismus”.

            So platt argumentieren typischerweise Kreationisten.

            Sie erkennen aber die ähnliche Intention, die hinter den beiden Begriffen “Reproduktionsinteresse” und “Gen-Egoismus” steckt? Oder?

            Das Problem ist, dass man die Evolution ohne irgendeine Akteurseigenschaft bei den Individuen (dass diese Individuen also in irgendeiner Form lebendig sind) nicht zum Laufen bekommt. Alle echten Evolutionstheoretiker haben so etwas gebraucht. Darwin sprach von übermäßiger Vermehrung, Wettbewerb und Struggle for Existence, Dawkins spricht vom Gen-Egoismus. In sozialen Kontexten existieren die Begriffe Egoismus und Altruismus. Altruismus kann man in der Systemischen Evolutionstheorie als vermindertes Reproduktionsinteresse definieren.

            Auch untergliedert man die Lebensaufgabe von Lebewesen in der Biologie meist in Selbsterhaltung und Fortpflanzung. Die Systemische Evolutionstheorie erklärt beide Aufgaben aus dem Reproduktionsinteresse der Individuen: Bei der Selbsterhaltung geht es um die Reproduktion der Kompetenzen mit hoher Zeitpräferenz (= möglichst zeitnah). Aus diesem Grund gehen Lebewesen auf Nahrungssuche und verteidigen sich gegenüber Fressfeinden. Bei der Fortpflanzung geht es um die Reproduktion der Kompetenzen mit niedriger Zeitpräferenz (= über das eigene Leben hinaus). Hinter der Selbsterhaltung stehen also Reproduktionsinteressen mit hoher Zeitpräferenz, bei der Fortpflanzung Reproduktionsinteressen mit niedriger Zeitpräferenz. Das ist letztlich pure Ökonomie. Sogar die Begriffe stammen daher. Für Ökonomen ist es schließlich auch etwas anderes, ob ein Unternehmen nur den defekten PC an einem Arbeitsplatz austauscht (= Reproduktion mit hoher Zeitpräferenz) oder die übernächste Produktgeneration entwickelt (= Reproduktion mit niedriger Zeitpräferenz). Die Biologie ist in der Hinsicht nichts Besonderes.

            Die Begriffe der Systemischen Evolutionstheorie sind lediglich allgemeiner, einheitlicher und einfacher.

          • @Dr. Webbaer

            hr Kommentatorenfreund hat schon den Eindruck mit Lena eine diskutable Persönlichkeit adressiert zu haben, insofern wird er nicht super-froh, wenn derart versucht wird aufzulösen; besser wäre schon “gepflegt” zu grillen, sofern hier zulässig.

            Vielen Dank für den sehr klaren Hinweis, hier doch bitte sachlich zu bleiben.

      • … weil Sie einem erzkonservativen Esoteriker (P.Mersch) aufgesessen sind …

        Was soll denn dieser Quatsch? Mersch legt Wert darauf, dass man die Grundannahmen einer Evolutionstheorie physikalisch und systemisch begründen muss. Was hat das mit Esoterik zu tun (speziell im Vergleich zu Dawkins Theorien)? Und wieso ist jemand, der eine neue Theorie vorschlägt, erzkonservativ?

        Die Evolution bezeichnet eine stetige, kontinuierliche Form von Entwicklung,

        Das ist falsch.

        Eine allumfassende, systemische Evolutionstheorie ist ein Schmarrn.

        Können Sie das auch begründen? Oder sind Sie ein Gott, der nichts begründen muss, sondern absolute Urteile spricht?

        Mersch hat die biologische Evolution gar nicht verstanden.

        Woher wissen Sie das? Die biologische Evolutionstheorie folgt jedenfalls als Spezialfall aus seiner Systemischen Evolutionstheorie, so schlimm kann es also nicht sein.

        Er stellt sie auf den Kopf und vermischt sie mit seinem wirren Weltbild.

        Das ist krudes Zeug.

        Das ist nicht Wissenschaft, sondern Ideologie oder Esoteriky

        Nun, so wie Sie argumentieren, würde ein Wissenschaftler jedenfalls nie argumentieren.

        • Weder Sie noch Mersch sind Wissenschaftler, ich auch nicht. Es ist nicht meine Absicht, mit Ihnen hier über Evolution und auch nicht über Mersch zu diskutieren, denn es wäre genauso sinnlos wie endlos. Eine Theorie, die alles erklären will, erklärt nichts.

          Zwischen der biologischen und der kulturellen Evolution gibt es eine Bruchzone. Das ist das menschliche Bewusstsein. Funktional lässt es sich biologisch erklären, inhaltlich aber ist es symbolischer Natur und entzieht sich der biologischen und naturalistischen Beschreibung und Erklärung. Das ist die Grundlage für den “naturalistischen Fehlschluss” in der Philosophie. Genauso falsch ist seine Umkehrung, der “traditionalistische Fehlschluss”, vom Sollen auf ein Sein zu schließen, wie es in Religionen oder ideologischen Traditionen praktiziert wird.

          • Weder Sie noch Mersch sind Wissenschaftler, ich auch nicht.

            Selbstverständlich ist Mersch Wissenschaftler, was denn sonst? Sein Buch “Die egoistische Information” verfügt in keiner Hinsicht über ein geringeres wissenschaftliches Niveau als etwa das Evolutionsbuch von Schurz. Deshalb wird er von Wissenschaftlern ja auch ernst genommen.

            Eine Theorie, die alles erklären will, erklärt nichts.

            Die Systemische Evolutionstheorie versucht nicht alles zu erklären, sondern Evolution. Den gleichen Anspruch besitzen u.a. das Buch von Schurz und “Das egoistische Gen” von Dawkins. Auch darin wird versucht, die Evolutionsprinzipien auf kulturelle Entwicklungen auszuweiten. Darf man das nicht?

            Zwischen der biologischen und der kulturellen Evolution gibt es eine Bruchzone.

            Das bestreitet nicht einmal die Systemische Evolutionstheorie. Es gibt aber auch eine Bruchzone zwischen der Evolution der Zaunkönige und der Evolution der Amöben, dennoch versucht die biologische Evolutionstheorie, beides mit den gleichen Prinzipien zu beschreiben. Ich befürchte, Sie unterliegen gerade einem naturalistischen Fehlschluss: “Weil es zwischen der biologischen und kulturellen Evolution eine Bruchzone gibt, soll man sie nicht mit einheitlichen Prinzipien beschreiben.”

            Funktional lässt es sich biologisch erklären, inhaltlich aber ist es symbolischer Natur und entzieht sich der biologischen und naturalistischen Beschreibung und Erklärung. Das ist die Grundlage für den “naturalistischen Fehlschluss” in der Philosophie.

            Das soll die Grundlage sein? Gewiss nicht. Hört sich alles ein wenig wie der Fehlschluss des naturalistischen Fehlschlusses an: https://de.wikipedia.org/wiki/Naturalistischer_Fehlschluss#Kritik

  22. @Lena
    Die Forderung nach intersubjektiver Nachvollziehbarkeit in den empirischen Wissrnschaften bedingt die sprachliche Kommunizierbarkeit der verwendeten Konzepte. Falls etwa Dawkins meinte, es reiche ihm, Meme annehmen und — vermeintlich — beobachten zu können, dann würden Sie das gewiss nicht für ein wissenschaftl. vertretbares Vorgehen halten.

    Wenn Sie den Mond oder ein Automobil beobachten, dann beobachten Sie eben nicht “die Realität”, sondern jeweils ein konkret benennbares Phänomen, zu welchem Ihnen ein intersubjektiv nachvollziehbares und mithin empirisch verlässliches Wissen verfügbar ist. Die aus wissenschaftl. Sicht interessierende Frage ist nicht, ob der Mond real ist, sondern schlicht und einfach, ob er phänomenal ist.

    Was Sie Balanus zum Vorwurf machen, nämlich einen Anspruch der Biologen auf die ‘Evolution’ verteidigen zu wollen, betreiben Sie Ihrerseits inzwischen verschärft mit einem Anspruch der Physiker auf die ‘Energie’. Dabei wäre das Prinzip der Erhaltung von Energie doch eigentlich etwas, das sich für eine Erörterung im Lichte der ‘kulturellen Evolution’ geradezu anbietet — und das ist ganz und gar nicht polemisch gemeint.

    The ‘discovery’ of the law of conservation of energy has long been a topic of historical dispute, not least because the law stemmed from multiple types of sources and contexts—philosophical, physical, physiological, cultural, technological and political economic—some of which stretched as far back as the seventeenth century.

    Cahan, D. (2012). Helmholtz and the British scientific elite: From force conservation to energy conservation. Notes Rec. R. Soc., 66(1), 55-68. DOI: 10.1098/rsnr.2011.0044

  23. Bruchzonen

    @Lena:

    [Anton Reutlinger: ] » „Zwischen der biologischen und der kulturellen Evolution gibt es eine Bruchzone.“

    Das bestreitet nicht einmal die Systemische Evolutionstheorie. Es gibt aber auch eine Bruchzone zwischen der Evolution der Zaunkönige und der Evolution der Amöben,… «

    Da sieht man mal wieder, wohin das führt, wenn jeglicher Wandel „Evolution“ sein soll. Man muss „Bruchzonen“ konstatieren, damit die Rede von der universellen Evolution überhaupt einigermaßen Sinn ergibt.

    Das ist wohl der Preis, den man zahlen muss, wenn der rein biologische und völlig sinnfreie Vorgang des Wandels über Generationen hinweg zusammen mit den Vorgängen, die auf Lernen, Erfahrung und Tradition beruhen, in einen Topf namens Evolution geworfen wird.

    —-
    » Bei der Selbsterhaltung geht es um die Reproduktion der Kompetenzen mit hoher Zeitpräferenz…«

    Es bleibt nach wie vor rätselhaft, was die Selbsterhaltung eines Organismus etwas mit einer „Reproduktion“ der Fähigkeiten oder „Kompetenzen“ zu tun haben soll.

    Abstraktionen sind ja schön und gut und oftmals nützlich, aber hier schießt man wohl weit über das Ziel hinaus.

    • Bruchzonen II

      @Lena

      Ich vergaß:

      »Es gibt aber auch eine Bruchzone zwischen der Evolution der Zaunkönige und der Evolution der Amöben,… «

      Das bestreite ich, innerhalb der organismischen Evolution gibt es weder Brüche noch Bruchzonen. Amöben, Zaunkönige und Menschen unterliegen alle gleichermaßen dem kontinuierlichen Prozess des evolutionären Wandels.


      Den Biologismus-Vorwurf hinsichtlich Merschs Systemischer ET halte ich übrigens für berechtigt, schließlich werden gemäß dieser Theorie Wirtschaftsunternehmen als Superorganismen betrachtet. Eine solche Betrachtungsweise fällt unter den üblichen Biologismus-Begriff.

      Das muss Sie (oder Mersch) aber nicht bekümmern, biologistische Auffassungen sind derzeit en vogue.

      • Das bestreite ich, innerhalb der organismischen Evolution gibt es weder Brüche noch Bruchzonen. Amöben, Zaunkönige und Menschen unterliegen alle gleichermaßen dem kontinuierlichen Prozess des evolutionären Wandels.

        Wenn Sie es so formulieren, dann besteht auch keine Bruchzone zwischen der orgasmischen Evolution und der kulturellen Evolution. Dann unterliegt alles nur gleichermaßen dem kontinuierlichen Prozess des evolutionären Wandels.

        Dass Biologen selbst von Major Transitions sprechen, wissen Sie aber, oder?

        Den Biologismus-Vorwurf hinsichtlich Merschs Systemischer ET halte ich übrigens für berechtigt, schließlich werden gemäß dieser Theorie Wirtschaftsunternehmen als Superorganismen betrachtet. Eine solche Betrachtungsweise fällt unter den üblichen Biologismus-Begriff.

        Nein, diese Betrachtungsweise fällt unter Systemtheorie. Wird ganz gut erklärt u.a. in Maturana/Varela: Der Baum der Erkenntnis.

    • Da sieht man mal wieder, wohin das führt, wenn jeglicher Wandel „Evolution“ sein soll. Man muss „Bruchzonen“ konstatieren, damit die Rede von der universellen Evolution überhaupt einigermaßen Sinn ergibt.

      Wie gesagt, diese Bruchzonen gibt es auch innerhalb der biologischen Evolution. Man spricht dort üblicherweise von Major Transitions. Ich hätte auch Amöben und Bienensozialstaaten als Beispiele nennen können, dann wäre es noch offensichtlicher gewesen.

      Das ist wohl der Preis, den man zahlen muss, wenn der rein biologische und völlig sinnfreie Vorgang des Wandels über Generationen hinweg zusammen mit den Vorgängen, die auf Lernen, Erfahrung und Tradition beruhen, in einen Topf namens Evolution geworfen wird.

      In beiden Fällen geht es um Information bzw. Kompetenzen. Wenn man schon – wie Sie – keinen gravierenden Unterschied in der Evolution von Einzellern, sich getrenntgeschlechtlich fortpflanzenden Tieren und eusozialen Gemeinschaften sehen will, warum dann einen zwischen genetischer und zerebraler Kompetenzspeicherung? Mir leuchtet das nicht ein.

      Es bleibt nach wie vor rätselhaft, was die Selbsterhaltung eines Organismus etwas mit einer „Reproduktion“ der Fähigkeiten oder „Kompetenzen“ zu tun haben soll.

      Nehmen wir einmal die Fähigkeit, schnell laufen zu können. Tut das Tier nichts, verliert es die Fähigkeit nach wenigen Tagen. Es ist dann nicht mehr in der Lage, Nahrung zu erlangen oder vor Fressfeinden davon zu laufen. Dann stirbt es und verliert sowieso alle seine Kompetenzen. Hat es sich zu dem Zeitpunkt noch nicht fortgepflanzt, sind alle seine spezifischen genetischen Kompetenzen weg.

      Also muss das Lebewesen für seinen Selbsterhalt sorgen. Das nennt die Systemische Evolutionstheorie “Reproduktion seiner Kompetenzen mit hoher Zeitpräferenz”. Hier geht es um die schnelle Amortisation der eingesetzten Mittel. Läuft also das Tier mit maximaler Geschwindigkeit einer Beute hinterher (weil es Hunger hat), dann geht es um die baldige Reproduktion seiner Fähigkeiten (= hohe Zeitpräferenz). Einige Zeit nach der Nahrungsaufnahme ist es wieder so kräftig (und schnell) wie zuvor. Seine Fähigkeiten wurden reproduziert.

      Bei der Fortpflanzung werden die genetisch vermittelten Fähigkeiten an die nächste Generation weitergegeben. Das nennt die Systemische Evolutionstheorie “Reproduktion der Kompetenzen mit niedriger Zeitpräferenz” (die Reproduktion der Fähigkeiten wird erst zeitlich später erwartet):

      Sehr klar wird das in der Unternehmenswelt: Stellen wir uns ein Unternehmen vor, dessen Fähigkeit darin besteht, wettbewerbsfähige Mobiltelefone herzustellen. Wenn der PC eines Mitarbeiters ausfällt, wird er zeitnah ersetzt. Das nennt man Reproduktion mit hoher Zeitpräferenz. Vergleichbar ist das mit der körperlichen Regeneration eines Tieres nach der Nahrungsaufnahme. Daneben arbeitet die Forschung & Entwicklung an der nächsten Mobiltelefongeneration. Das ist Reproduktion mit niedriger Zeitpräferenz. Die Amortisation der in die Forschung & Entwicklung gesteckten Mittel (Gelder) wird erst zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt erwartet. Das Unternehmen könnte eine gewisse Zeit sogar ganz ohne F&E auskommen. Auf Dauer verlöre es damit aber seine Anpassung an den Markt. F&E ist also vergleichbar mit der Fortpflanzung bei Tieren.

      Wie man sieht: Bewegt man sich nur innerhalb der Biologie, lassen sich manche Zusammenhänge nur schwer verstehen.

      Abstraktionen sind ja schön und gut und oftmals nützlich, aber hier schießt man wohl weit über das Ziel hinaus.

      Abstraktion ist eine Kunst. Damit kann man richtig, aber auch falsch liegen. Eine andere Abstraktion hat man beim Universellen Darwinismus gewählt. Da hat man gesagt: “Die biologische Evolution beruht auf dem Replikator ‘Gen’. Replikatoren scheinen für Evolutionen charakteristisch zu sein, zumindest kann man dann die Darwinschen Evolutionsprinzipien ganz leicht verallgemeinern. Also muss auch die kulturelle Evolution auf einem Replikator beruhen. Hierfür postulieren wir das ‘Mem’.”

      Das halte ich für eine problematische Abstraktion, die über das Ziel hinausschießt. Das Hauptziel bei dieser Vorgehensweise war vermutlich, die Darwinschen Prinzipien möglichst unangetastet zu lassen.

    • Es gibt keinen Zweifel, dass auch die Kultur auf einem biologischen Fundament ruht, den organismischen Fähigkeiten und Möglichkeiten des Menschen. Darüber hinaus aber ist Kultur ein Resultat des Geistes oder Bewusstseins, auf dem Fundament symbolischer Aktivitäten, insbesondere der Sprache. Hier verläuft die Bruchzone. Wie Thomas Kuhn für die Wissenschaft gezeigt hat, gibt es dort nicht nur Evolution, sondern auch Revolution. In der Technologie spricht man von Konstruktion, weil nicht der Gegenstand selber, aus sich heraus evolviert, sondern von einer systemfremden Instanz geplant und konstruiert wird, mit Ziel- und Zwecksetzung, im Gegensatz zur biologischen Evolution.

      Der Versuch, einen Sachverhalt zwanghaft unter einen gemeinsamen Oberbegriff zu subsumieren, führt meist zu unsinnigen Verrenkungen. Die biologische Evolution ist weder graduell oder kontinuierlich, noch unstetig, noch zufällig, noch logisch im mathematischen Sinn. Sie hat ihre eigenen Gesetze, auf Grund der unvergleichlichen Komplexität der Organismen. Zu jedem Zeitpunkt bilden die rezenten Arten den Ausgangspunkt der weiteren Evolution. Sogenannte “major transitions” gibt es nur scheinbar, weil die Zwischenschritte nicht beobachtbar oder noch nicht beobachtet sind. Die Äußerlichkeiten der Anatomie oder des Verhaltens sind nicht maßgebend. Die inneren Gemeinsamkeiten der Lebensformen sind viel größer als die äußerlichen Unterschiede. Die Erklärung dafür ist die gemeinsame Abstammung.

      Das Charakteristikum der biologischen Evolution ist die Interaktion aller Lebensformen mit der Umwelt. Schon Jakob von Uexküll (1864-1944) hat dazu geforscht und die Ökologie mit Merkwelt und Wirkwelt entwickelt. Heute spricht man von “Nischenkonstruktion” und “extended evolutionary synthesis” (EES). Die Umwelt einer generalisierten, systemischen Evolutionstheorie wäre das gesamte Universum und damit wird sie inhaltsleer und wirklichkeitsfremd, verliert jede Aussagekraft.

    • @Lena .

      »Wenn Sie es so formulieren, dann besteht auch keine Bruchzone zwischen der orgasmischen Evolution und der kulturellen Evolution. Dann unterliegt alles nur gleichermaßen dem kontinuierlichen Prozess des evolutionären Wandels.«

      Nein, es besteht deshalb keine „Bruchzone“ zwischen der organismischen Evolution und der kulturellen Evolution, weil der Begriff „Evolution“ in diesen beiden Zusammensetzungen jeweils etwas anderes bedeutet. Nur für den, der behauptet, der Evolutionsprozess könne sich auf so unterschiedliche Gegenstände wie Organismen und/oder Kultur(en) beziehen, nur für den existieren Bruchzonen zwischen den Evolutionen bzw. innerhalb der Evolution insgesamt.

      » Dass Biologen selbst von Major Transitions sprechen, wissen Sie aber, oder?«

      Da geht es um etwas völlig anderes (siehe z. B. Wikipedia). Ich rede davon, um es mal plakativ zu formulieren, dass aus keinem Saurierei jemals ein Vogel geschlüpft ist. Ein solches Ereignis wäre für mich eine echte „Bruchzone“ in der Abstammungslinie der Vögel.

      Ich bestreite selbstverständlich nicht, dass z. B. die Entstehung von Eukaryonten für uns ein überaus wichtiges Ereignis war (ein „Major Transition“).

      » „…Eine solche Betrachtungsweise fällt unter den üblichen Biologismus-Begriff.“

      Nein, diese Betrachtungsweise fällt unter Systemtheorie. «

      Eine Systemtheorie, die Wirtschaftsunternehmen als Superorganismen bezeichnet, kann insoweit als biologistisch eingestuft werden.

      »Wenn man schon – wie Sie – keinen gravierenden Unterschied in der Evolution von Einzellern, sich getrenntgeschlechtlich fortpflanzenden Tieren und eusozialen Gemeinschaften sehen will, warum dann einen zwischen genetischer und zerebraler Kompetenzspeicherung? Mir leuchtet das nicht ein.«

      Man muss unterscheiden zwischen (a) den Grundbedingungen für den Evolutionsprozess, die für alle Lebensformen gelten, (b) den unterschiedlichen Evolutionsmechanismen, die nicht für alle Lebensformen gelten können und vor allem (c) den unterschiedlichen Abstammungslinien oder Entstehungsgeschichten, also das, was Sie meistens mit Evolution meinen: die Evolution der Insekten, des Menschen, des Auges, der Zweigeschlechtlichkeit, und so fort.

      Im Zusammenhang mit der genetischen Information würde ich zwar nicht von „Kompetenzspeicherung“ sprechen, aber das sei mal dahingestellt. Der genetische Speicherinhalt ist Ergebnis eines blinden Evolutionsprozesses, der zerebrale Speicherinhalt ist, wie gesagt, das Ergebnis von individuellen, teils bewussten Lernprozessen. Das ist m. E. ein Unterschied, der größer nicht sein könnte und der eigentlich jedem sofort ins Auge springen müsste.

      »Also muss das Lebewesen für seinen Selbsterhalt sorgen. Das nennt die Systemische Evolutionstheorie “Reproduktion seiner Kompetenzen mit hoher Zeitpräferenz”.«

      In Analogie zum soziologischen Reproduktions-Begriff, nehme ich an. Damit werden aber die Bedeutungsunterschiede des Begriffs ‚Reproduktion‘ in Biologie und Soziologie verwischt. So wie laufend der Bedeutungsunterschied des Begriffs ‚Evolution‘ in Biologie und Kultur verwischt wird. Bloß damit am Ende alles begrifflich schön zueinander passt. Was Ihnen da als Vereinheitlichung oder Verallgemeinerung erscheinen mag, stellt sich mir als Verwirrung dar.

      » Eine andere Abstraktion hat man beim Universellen Darwinismus gewählt. Da hat man gesagt: “Die biologische Evolution beruht auf dem Replikator ‘Gen’. Replikatoren scheinen für Evolutionen charakteristisch zu sein, zumindest kann man dann die Darwinschen Evolutionsprinzipien ganz leicht verallgemeinern.«

      Nochmal, meines Wissens besagt der Universelle Darwinismus lediglich, dass überall im Universum, wo Leben entstanden ist, eine Evolution nach den von Darwin beschriebenen Gesetzmäßigkeiten stattfinden wird. Das Konstrukt „Meme“ hat damit nichts zu tun, das hat Dawkins nur im Rahmen seiner Spekulationen über mögliche Mechanismen einer kulturellen Evolution erfunden.

      • Nein, es besteht deshalb keine „Bruchzone“ zwischen der organismischen Evolution und der kulturellen Evolution, weil der Begriff „Evolution“ in diesen beiden Zusammensetzungen jeweils etwas anderes bedeutet.

        Doch nur deshalb, weil der Begriff der Evolution von den Biologen gekapert, zum Eigentum deklariert und mit zusätzlichen Eigenschaften propreitär gemacht wurde. Ansonsten ist das eine reine Behauptung.

        Nur für den, der behauptet, der Evolutionsprozess könne sich auf so unterschiedliche Gegenstände wie Organismen und/oder Kultur(en) beziehen, nur für den existieren Bruchzonen zwischen den Evolutionen bzw. innerhalb der Evolution insgesamt.

        Wer bezieht denn den Evolutionsprozess auf Organismen und Kulturen? Nach meinem Verständnis vertritt der Betreiber dieses Blogs die Memetik. Die bezieht den Evolutionsprozess auf Kulturobjekte. Die Systemische Evolutionstheorie bezieht den Evolutionsprozess dagegen grundsätzlich auf selbstreproduktive Systeme (Evolutionsakteure). Von einer Evolution der deutschen Kultur oder der Kultur der Inkas, d.h. von einer Evolution der Kulturen spricht sie nicht. Mich stören ein wenig die ständigen Missverständnisse, die auf Begriffsungenauigkeiten beruhen.

        Ich rede davon, um es mal plakativ zu formulieren, dass aus keinem Saurierei jemals ein Vogel geschlüpft ist. Ein solches Ereignis wäre für mich eine echte „Bruchzone“ in der Abstammungslinie der Vögel.

        Ja und? Sie werden es nicht glauben: Aus VW wird über Nacht kein Lebensmittelladen werden.

        Eine Systemtheorie, die Wirtschaftsunternehmen als Superorganismen bezeichnet, kann insoweit als biologistisch eingestuft werden.

        Das ist pure Polemik. Für den Systemtheoretiker Luhmann etwa bestehen Wirtschaftsunternehmen ausschließlich aus Kommunikation.

        Bunge und Mahner dazu:

        Als Vertreter einer sozialwissenschaftlichen Systemtheorie ist in Deutschland vor allem Niklas Luhmann bekannt. Dieser behauptet zum Beispiel: ‘Social systems … consist of communications and nothing but communications – not of human beings, not of conscious mental states, not of roles, not even of actions. They produce and reproduce communications by meaningful reference to communications.’ (…) Über welche idealistische Fantasie Luhmann hier auch reden mag, mit sozialen Systemen hat diese Konzeption nur wenig zu tun. Gewiss stellt Kommunikation ein wichtiges Element der Endostruktur sozialer Systeme dar, aber Kommunikation ist eine Relation, und Relationen existieren nicht ohne Relata – in diesem Fall menschlichen Personen. Eine menschenlose Theorie sozialer Systeme ist völlig verfehlt, wenn nicht sogar verwerflich in Hinblick auf mögliche soziotechnische Konsequenzen.

        Diese beiden Autoren meinen also, dass die Mitarbeiter – anders als es bei Luhmann der Fall ist – zum Unternehmen gehören, genauso wie es die Systemische Evolutionstheorie sieht. Ist das auch schon Biologismus? @§!%$!

        Man muss unterscheiden zwischen (a) den Grundbedingungen für den Evolutionsprozess, die für alle Lebensformen gelten, (b) den unterschiedlichen Evolutionsmechanismen, die nicht für alle Lebensformen gelten können und vor allem (c) den unterschiedlichen Abstammungslinien oder Entstehungsgeschichten, also das, was Sie meistens mit Evolution meinen: die Evolution der Insekten, des Menschen, des Auges, der Zweigeschlechtlichkeit, und so fort.

        Offenkundig lesen Sie nicht, was ich hier poste, sonst könnten Sie nicht behaupten, dass ich meist (c) meine.

        Der genetische Speicherinhalt ist Ergebnis eines blinden Evolutionsprozesses, der zerebrale Speicherinhalt ist, wie gesagt, das Ergebnis von individuellen, teils bewussten Lernprozessen. Das ist m. E. ein Unterschied, der größer nicht sein könnte und der eigentlich jedem sofort ins Auge springen müsste.

        Sie machen da aus einer Mücke einen Elefanten, bzw. Sie konstruieren einen riesengroßen Unterschied, wo kein gravierender ist.

        Nehmen wir einmal an, Frauen bevorzugten bei der Partnerwahl hochgewachsene, kräftige Männer. Nehmen wir ferner an, sie wählten diese Männer bewusst. In der Folge würden solche Männer mehr Nachkommen hinterlassen als kleinere Männer. In einem solchen Fall wäre der Mensch bereits aus Ihrer sehr eng definierten Evolution ausgeschieden, denn der Evolutionsprozess wäre nicht länger blind. Es sei denn, man würde behaupten, dass Frauen grundsätzlich blind seien.

        Sie könnten das ganze auch auf Pfauen übertragen. Aber da würden Sie vermutlich antworten: Pfauen verfügen über kein Bewusstsein. Doch woher wollten Sie das wissen? Vielleicht wählen sie ihre Männchen ja ebenfalls bewusst …

        In Analogie zum soziologischen Reproduktions-Begriff, nehme ich an. Damit werden aber die Bedeutungsunterschiede des Begriffs ‚Reproduktion‘ in Biologie und Soziologie verwischt. So wie laufend der Bedeutungsunterschied des Begriffs ‚Evolution‘ in Biologie und Kultur verwischt wird. Bloß damit am Ende alles begrifflich schön zueinander passt. Was Ihnen da als Vereinheitlichung oder Verallgemeinerung erscheinen mag, stellt sich mir als Verwirrung dar.

        Wenn Sie einen Unterschied haben wollen, sollten Sie in der Biologie von Fortpflanzung, Replikation oder Vermehrung sprechen. Ansonsten ist der soziologische Reproduktionsbegriff lediglich eine Verallgemeinerung des biologischen. In der Biologie macht man sich über solche Dinge kaum Gedanken. Da scheint man noch nicht einmal mitbekommen zu haben, dass sich in den Sozialwissenschaften die Demografie mit dem Fortpflanzungsverhalten von Menschen beschäftigt und zum Teil zu unvereinbaren Ergebnissen kommt.

        Nochmal, meines Wissens besagt der Universelle Darwinismus lediglich, dass überall im Universum, wo Leben entstanden ist, eine Evolution nach den von Darwin beschriebenen Gesetzmäßigkeiten stattfinden wird. Das Konstrukt „Meme“ hat damit nichts zu tun, das hat Dawkins nur im Rahmen seiner Spekulationen über mögliche Mechanismen einer kulturellen Evolution erfunden.

        Nein: https://de.wikipedia.org/wiki/Darwinismus#Universeller_Darwinismus
        Der universelle Darwinismus stellt eine Verallgemeinerung der Darwinschen Lehre auf Gebiete außerhalb der Biologie (z. B. den Kulturwissenschaften) dar. Was der Betreiber dieses Blogs vertritt, gehört letztlich zum Universellen Darwinismus.

      • Universaler Darwinismus /@Lena

        Bezüglich dieser Frage beziehe ich mich auf das, was Dawkins selbst zum „Universal Darwinism“ geschrieben hat:

        NOTES

        (1) I would put my money on one fundamental principle … all life evolves by the differential survival of repicating entities.

        My wager that all life, everywhere in the universe, would turn out to have evolved by Darwinian means has now been spelled out and justified more fully in my paper `Universal Darwinism’ and in the last chapter of The Blind Watchmaker. I show that all the alternatives to Darwinism that have ever been suggested are in principle incapable of doing the job of explaining the organized complexity of life.

        (Chapter 11 from Richard Dawkins, “The Selfish Gene” [ First published 1976; 1989 edition: Oxford University Press, ISBN 0-19-286092-5 (paperback) ])

        Die „Verallgemeinerung des Darwinismus auf Gebiete, auch außerhalb der Biologie“ (Wikipedia) gibt es zwar, ist aber unsinnig und muss deshalb nicht weiter beachtet werden.

      • @Lena

        »Doch nur deshalb, weil der Begriff der Evolution von den Biologen gekapert, zum Eigentum deklariert und mit zusätzlichen Eigenschaften propreitär gemacht wurde.«

        Den Biologen wurde der Begriff im Wesentlichen von einflussreichen, fachfremden Leuten „aufgedrückt“ (eine wichtige Rolle spielte hierbei Herbert Spencer, ein Philosoph und Soziologe).

        Heute gibt es neben dem neuen biologischen Fachbegriff auch die überkommene, alltagssprachliche Variante, die eine spezielle Form der graduellen Entwicklung meint.

        In der Systemischen ET wird, wenn ich Sie denn recht verstehe, offenbar eine dritte Variante des Evolutionsbegriffs verwendet, und zwar eine Variante, bei der die Bedeutung des Begriffs so verallgemeinert ist, dass sie die beiden anderen Begriffsbedeutung mit einschließt.

        So in etwa?

        • @Balanus

          In der Systemischen ET wird, wenn ich Sie denn recht verstehe, offenbar eine dritte Variante des Evolutionsbegriffs verwendet, und zwar eine Variante, bei der die Bedeutung des Begriffs so verallgemeinert ist, dass sie die beiden anderen Begriffsbedeutung mit einschließt.

          Nein. Wikipedia definiert die biologische Evolution (wie in der Biologie üblich) wie folgt:

          Evolution (von lateinisch evolvere „entwickeln“) ist die allmähliche Veränderung der vererbbaren Merkmale einer Population von Lebewesen von Generation zu Generation.

          In der Systemischen Evolutionstheorie würde man entsprechend sagen:

          Evolution ist die allmähliche Veränderung der reproduzierbaren Kompetenzen einer Population von selbstreproduktiven Systemen über die Zeit.

          Wie man unmittelbar sieht, ist die biologische Evolutionsdefinition davon ein Spezialfall.

      • @Lena

        »Sie machen da aus einer Mücke einen Elefanten, bzw. Sie konstruieren einen riesengroßen Unterschied [zwischen genetischem und zerebralem Wissensspeicher], wo kein gravierender ist.«

        Größe ist relativ, zugegeben. Aber Ihre Begründung, warum der Unterschied nicht groß, sondern klein ist, überzeugt nicht.

        Wenn ich von der Blindheit des Evolutionsprozesses rede, dann kann man das nicht damit entkräften, dass man einen speziellen, im Laufe der Evolution entstandenen (evolvierten) Selektionsmechanismus, die sexuelle Selektion, ins Feld führt. Und schon gar nicht können bewusste Auswahlverfahren als Argument dienen, denn diese sind definitionsgemäß nicht Teil der natürlichen Evolution.

        Aber gut, diese Einwände sind halt meiner „sehr eng definierten Evolution“ geschuldet.

        »Wenn Sie einen Unterschied [beim Reproduktionsbegriff] haben wollen, sollten Sie in der Biologie von Fortpflanzung, Replikation oder Vermehrung sprechen. Ansonsten ist der soziologische Reproduktionsbegriff lediglich eine Verallgemeinerung des biologischen.«

        Tatsächlich? Ich dachte, in der Soziologie bedeute ‚Reproduktion‘ so viel wie Aufrechterhaltung oder Weiterführung eines Zustandes (siehe Wikipedia). Wenn z. B. die Tochter den gleichen Bildungsabschluss erreicht wie Mutter, dann hat sie, die Tochter, den Abschluss ihrer Mutter reproduziert. Oder, hier vielleicht noch passender, weil ökonomischer, laut Online-Duden: „ständige Erneuerung des Produktionsprozesses durch Ersatz oder Erweiterung der verbrauchten, alten, überholten Produktionsmittel“.

        Mir scheint, der Begriff ‚Reproduktion‘ bezeichnet in Biologie und Soziologie doch recht verschiedene Vorgänge.

        »Da [in der Biologie] scheint man noch nicht einmal mitbekommen zu haben, dass sich in den Sozialwissenschaften die Demografie mit dem Fortpflanzungsverhalten von Menschen beschäftigt und zum Teil zu [mit der Biologie/Evolutionstheorie?] unvereinbaren Ergebnissen kommt.«

        Das halte ich für ein Gerücht, dass die Sozialwissenschaften etwas finden könnten, was mit biologischen Evolutionstheorien nicht vereinbar wäre.

        • @Balanus

          Aber gut, diese Einwände sind halt meiner „sehr eng definierten Evolution“ geschuldet.

          Einerseits. Andererseits bezieht sich die Blindheit der Evolution auf Mutationen. Siehe Wikipedia zu Dawkins Buch “Der blinde Uhrmacher”:

          Während Paley einen intelligenten Schöpfer („Uhrmacher“) am Werk sah, beschreibt Dawkins, wie sich allein aus dem Zusammenwirken von zufälliger („blinder“) Mutation und nicht-zufälliger natürlicher Selektion evolutionäre Kreativität ergibt („Uhrmacher“).

          Blind sind also die Innovationen. Das ist bei kulturellen Evolutionsprozessen nicht anders.

          Mir scheint, der Begriff ‚Reproduktion‘ bezeichnet in Biologie und Soziologie doch recht verschiedene Vorgänge.

          Nicht, wenn man von der Reproduktion (Erneuerung) von Kompetenzen spricht. Lebewesen tragen in den Keimzellen (und auch in den somatischen Zellen) ein symbolisches Abbild ihrer Kompetenzen in sich. Dies muss fortwährend reproduziert werden. Das fällt unter Selbsterhaltung. Nach dem Tod geht es jedoch restlos verloren. Um das zu verhindern, muss es in neue Lebewesen (mit leichten Änderungen) transportiert werden. Das fällt unter Fortpflanzung. In beiden Fällen handelt es sich um eine Reproduktion von Kompetenzen.

          Das halte ich für ein Gerücht, dass die Sozialwissenschaften etwas finden könnten, was mit biologischen Evolutionstheorien nicht vereinbar wäre.

          Siehe aber:
          https://de.wikipedia.org/wiki/Demografisch-%C3%B6konomisches_Paradoxon#Erkenntnistheoretische_Brisanz
          und die beiden folgenden Abschnitte.

        • Blinder Uhrmacher /@Lena

          »Andererseits bezieht sich [bei Dawkins] die Blindheit der Evolution auf Mutationen.
          […]
          Blind sind also die Innovationen. Das ist bei kulturellen Evolutionsprozessen nicht anders.
          «

          Nicht nur Mutationen („Innovationen“) sind bei Dawkins blind, sondern der gesamte biologische Evolutionsprozess. Dawkins schreibt:

          Die Computerspiele mit Biomorphen führen uns diese Dinge sehr deutlich vor Augen und bilden eine lehrreiche Brücke zwischen kreativen Prozessen der Menschen – wie der Planung einer Gewinnstrategie beim Schach – und der evolutionären Kreativität der natürlichen Auslese, dem blinden Uhrmacher.

          Ob man das so auch für kulturelle “Evolutionsprozesse” sagen kann? Verdanken wir unsere kulturellen Errungenschaften Dawkins‘ blindem Uhrmacher? Ich denke, nein, da sind wir einer Meinung. Also ist der Uhrmacher, der die Kulturprodukte kreiert, allenfalls auf einem Auge blind.

          Es bleibt also dabei, die blinde organismische Evolution kann kein „Spezialfall“ eines halbblinden Evolutionsprozesses sein. Es ist im Gegenteil umgekehrt: Die blinde Evolution hat sehende Kulturschaffende hervorgebracht.

          Während in der Biologie die „Reproduktion“ der lebenden Systeme zum Zwecke der Selbsterhaltung blind erfolgt, findet die „Reproduktion“ in Wirtschaftsunternehmen sehenden Auges statt.

          Das ist in meinen Augen ein gravierender Unterschied.

          • @Balanus

            Nicht nur Mutationen („Innovationen“) sind bei Dawkins blind, sondern der gesamte biologische Evolutionsprozess.

            Das ist beim kulturellen Evolutionsprozess nicht anders. Ich glaube kaum, dass jemand vor 100 Jahren geahnt hätte, dass im Jahre 2015 fast alle mit Smartphones herumlaufen. Geplant war das nicht.

            Ob man das so auch für kulturelle “Evolutionsprozesse” sagen kann?

            Ja, kann man genauso sagen. Es ist unerheblich, ob sich die Akteure der Evolution bei ihren nächsten Entscheidungen etwas denken (“planen”) oder ob sie das nicht tun: Die Evolution selbst bleibt blind. Ich wies bereits auf die sexuelle Selektion hin: Auch da könnten sie den Akteuren planerische Entscheidungsprozesse unterstellen. Es ändert sich dadurch für die Evolution aber nichts.

            Es bleibt also dabei, die blinde organismische Evolution kann kein „Spezialfall“ eines halbblinden Evolutionsprozesses sein. Es ist im Gegenteil umgekehrt: Die blinde Evolution hat sehende Kulturschaffende hervorgebracht.

            Diese Kulturschaffenden unterliegen weiterhin der biologischen Evolution, die weiterhin Einfluss auf ihr Kulturschaffen hat. Die organismische Evolution ist deshalb nur ein Spezialfall einer komplexeren Gesamtevolution.

            … findet die „Reproduktion“ in Wirtschaftsunternehmen sehenden Auges statt.

            Bei der sexuellen Selektion: dito. Pfauenweibchen sehen jedenfalls genau hin.

          • @Lena

            » „… findet die „Reproduktion“ in Wirtschaftsunternehmen sehenden Auges statt.“

            Bei der sexuellen Selektion: dito. Pfauenweibchen sehen jedenfalls genau hin.«

            Sie belieben zu scherzen…

            »Es ist unerheblich, ob sich die Akteure der Evolution bei ihren nächsten Entscheidungen etwas denken (“planen”) oder ob sie das nicht tun: Die Evolution selbst bleibt blind.«

            Das trifft eben nur auf die organismische Evolution zu. Das, was Sie und andere kulturelle Evolution nennen, wird angetrieben durch bewusste, also reflektierte Entscheidungen, Planungen und Lernprozesse, da kann von Blindheit keine Rede sein. Dass man hinsichtlich des Verlaufs der kulturellen Entwicklungen keine langfristigen Vorhersagen machen kann, hat damit nicht das Geringste zu tun.

            (Das gilt im Übrigen auch dann, wenn man meint, es gäbe keine wirkliche Willensfreiheit (im starken Sinne), weil alle Entscheidungen vorbewusst getroffen würden.)

            »Ich wies bereits auf die sexuelle Selektion hin: Auch da könnten sie den Akteuren planerische Entscheidungsprozesse unterstellen.«

            Nein, kann ich eben nicht.

            ‚Sexuelle Selektion‘ bezeichnet einen speziellen Evolutionsmechanismus, der am genetisch verankerten Paarungsverhalten mancher Tierarten besonders augenfällig wird, der aber keineswegs nur im Tierreich eine Rolle spielt. Hier gibt es nichts, was planerischen Entscheidungsprozessen auch nur annähernd ähnelt.

            »Diese Kulturschaffenden unterliegen weiterhin der biologischen Evolution, die weiterhin Einfluss auf ihr Kulturschaffen hat.«

            So wie es aussieht, beschränkt sich der „Einfluss“ der organismischen Evolution darauf, dass sie die Fähigkeit zur Kultur hervorgebracht und erhalten hat.

            Oder können Sie für die letzten 300 oder 3000 Jahre ein Beispiel beibringen, wo die biologische Evolution des Menschen Einfluss auf sein Kulturschaffen genommen hätte?

          • @Balanus

            Das trifft eben nur auf die organismische Evolution zu. Das, was Sie und andere kulturelle Evolution nennen, wird angetrieben durch bewusste, also reflektierte Entscheidungen, Planungen und Lernprozesse, da kann von Blindheit keine Rede sein. Dass man hinsichtlich des Verlaufs der kulturellen Entwicklungen keine langfristigen Vorhersagen machen kann, hat damit nicht das Geringste zu tun.

            Das ist aber bei der sexuellen Selektion nicht zwingend anders. Ich sehe zwischen der natürlichen und kulturellen Evolution vor allem den Unterschied, dass im ersten Fall Anpassungen gegenüber der Natur stattfinden und im zweiten Fall gegenüber Populationen (bzw. Menschen). Die erste evolutionäre Adaption ist also gewissermaßen natürlich, die zweite sozial.

            Diesen Unterschied hat man aber auch zwischen der natürlichen und sexuellen Selektion. Darauf wies bereits Karl Popper in seinen Medawar Lectures hin. Demnach bewegen sich Tiere bei der sexuellen Selektion in zwei Evolutionsräumen:
            1. einem natürlichen Evolutionsraum. Die Umwelt ist hierbei die jeweilige Nische bzw. die Natur. Darin finden die Individuen der Gesamtpopulation aus Männchen und Weibchen ihre Ressourcen, die sie zum Überleben (bzw. zur Reproduktion) benötigen, aber auch Konkurrenten und Feinde. Die Anpassung findet gegenüber der Natur statt.
            2. einem sozialen Evolutionsraum. Die Umwelt ist hierbei die Gesamtpopulation aus Männchen (Konkurrenten) und Weibchen (Fortpflanzungsressourcen), die Population des Evolutionsraums besteht dagegen nur aus den Männchen, die sich gegenüber dieser spezifischen Umwelt anpassen. Die Anpassung erfolgt also gegenüber der Gesamtpopulation und hierbei insbesondere den Selektionspräferenzen der Weibchen.

            Im Zusammenspiel beider Evolutionen kann es zu Fehlanpassungen kommen. Das ist das, was Darwin bei der sexuellen Evolution “Kopfschmerzen” bereitete.

            Die Argumentationen von Mersch und Popper sind in diesem Punkt völlig identisch. Mersch macht lediglich auf eine weitere Facette aufmerksam: Im natürlichen Lebensraum herrscht üblicherweise das “Recht des Stärkeren” vor (die Ressourceninteressenten machen unter sich aus, wer die Ressource bekommt, der aktuelle Ressourcenbesitzer besitzt keine Sonderrechte), während im sozialen/kulturellen Lebensraum meist das “Recht des Besitzenden” gilt (der aktuelle Ressourcenbesitzer entscheidet, was Zugang zu seiner Ressource erhält und unter welchen Bedingungen). Dieser markante Unterschied ist – angefangen beim Vogelgezwitscher bis zum Verkauf von Smartphones – über alle kulturellen Evolutionen hin so geblieben. Mit anderen Worten: Der wirklich entscheidende Unterschied (Akzeptanz von Verfügungsrechten an Ressourcen) zwischen der natürlichen Evolution und der kulturellen Evolution hat man innerhalb der Biologie nach meiner Kenntnis noch überhaupt nicht wahrgenommen.

            ‚Sexuelle Selektion‘ bezeichnet einen speziellen Evolutionsmechanismus, der am genetisch verankerten Paarungsverhalten mancher Tierarten besonders augenfällig wird, der aber keineswegs nur im Tierreich eine Rolle spielt. Hier gibt es nichts, was planerischen Entscheidungsprozessen auch nur annähernd ähnelt.

            Woher wollen Sie das denn wissen? Wenn ein Lappenstarmännchen feststellt, dass eine bestimmte Melodie bei den Weibchen einen größeren Anklang findet als eine andere, wird es diese vermutlich bevorzugt trällern. Wenn es eine interessante Melodie eines anderen Männchens hört, wird es vermutlich versuchen, diese zu imitieren, denn vielleicht kommt es damit noch besser bei den Weibchen an. Warum sollte dies weniger planerisch sein als das Verhalten moderner Unternehmen beim Entwurf und Verkauf ihrer Produkte?

            Oder können Sie für die letzten 300 oder 3000 Jahre ein Beispiel beibringen, wo die biologische Evolution des Menschen Einfluss auf sein Kulturschaffen genommen hätte?

            Das nimmt sie doch ständig. Oder glauben Sie ernsthaft, das folgende Produkt sei ausschließlich aus nichtbiologischen Gründen entstanden?

            https://www.bmw.de/de/neufahrzeuge/bmw-i/i8/2015/erleben.html

            Und weshalb glauben Sie, hat sich der junge Mann in dem folgenden Video einer solchen spezifischen Herausforderung gestellt?

            https://www.youtube.com/watch?v=-C_jPcUkVrM

          • @Lena

            » „ Oder können Sie für die letzten 300 oder 3000 Jahre ein Beispiel beibringen, wo die biologische Evolution des Menschen Einfluss auf sein Kulturschaffen genommen hätte?“

            Das nimmt sie doch ständig. Oder glauben Sie ernsthaft, das folgende Produkt sei ausschließlich aus nichtbiologischen Gründen entstanden? «

            Ich schrieb „biologische Evolution“, womit selbstredend der Evolutionsprozess gemeint war, der evolutive Wandel, also die Veränderung in den Allelfrequenzen in der Menschenpopulation, denn viel mehr hat sich in den letzten 3000 Jahren nicht getan in der Evolution des Menschen.

            Es wird doch ständig auf die enorm unterschiedlichen Geschwindigkeiten in der biologischen und kulturellen Evolution hingewiesen. Wie könnte also der wahnsinnig langsame biologische Prozess Einfluss nehmen auf das, was im rasend schnellen kulturellen Prozess passiert?

            Dass alle heutigen Lebensformen durch ihre evolutionäre Entstehungsgeschichte geprägt sind, physisch und psychisch, steht für mich außer Frage, ist aber ein ganz anderes Thema.

            » Darauf wies bereits Karl Popper in seinen Medawar Lectures hin. Demnach bewegen sich Tiere bei der sexuellen Selektion in zwei Evolutionsräumen:
            1. einem natürlichen Evolutionsraum. […]
            Die Anpassung findet gegenüber der Natur statt.
            2. einem sozialen Evolutionsraum. […]
            Die Anpassung erfolgt also gegenüber der Gesamtpopulation und hierbei insbesondere den Selektionspräferenzen.
            «

            Zu jedem Zeitpunkt der Evolutionsgeschichte waren die Lebensformen an ihre jeweilige Lebensumwelt angepasst. Deshalb halte ich den Begriff „Anpassung“, so wie Sie ihn hier gebrauchen, für problematisch, ich finde, er suggeriert irgendwie einen aktiven Prozess oder ein Streben nach einem Optimum. Dabei waren unsere Vorfahren vor 20 Millionen Jahren sicherlich prima an ihre Umwelt angepasst, womöglich sogar besser als wir heutzutage (gut, dass wir unser erfindungsreiches Mem-Organ haben…).

            Richtig ist jedenfalls, dass durch die Entstehung der Zweigeschlechtlichkeit eine weitere Komplikation im Evolutionsgeschehen aufgetreten ist, denn schließlich müssen die Geschlechter zusammenfinden. Hierbei sind im Zuge der Evolution zahlreiche artspezifische Fortpflanzungs-Strategien entstanden. Der Vorgang des spezifischen Zusammenfindens der Sexualpartner ist folglich eine neue Komponente innerhalb der natürlichen Selektions- bzw. Erhaltungsprozessen. Wir nennen sie aus naheliegenden Gründen Sexuelle Selektion. Und da (auch) im Tierreich nicht vorausschauend geplant wird, kann es im Zuge sexuell bedingter Selektionsprozesse zu problematischen Auswüchsen kommen („Fisher‘s runaway“), die sogar den Fortbestand der Spezies gefährden können. Das alles scheint mir unstrittig und nachvollziehbar. Weshalb wir für diese Vorgänge auch keine zwei separate „Evolutionsräume“ zu kreieren brauchen.

            Und nochmal: Sexuelle Selektion ist das eine, Partnerwahl und Sexualverhalten das andere. Wenn man von „Selektionspräferenzen der Weibchen“ spricht, könnte der Eindruck entstehen, dass „sexual selection“ und „female choice“ durcheinander gebracht werden.

            »Im natürlichen Lebensraum herrscht üblicherweise das “Recht des Stärkeren” vor […], während im sozialen/kulturellen Lebensraum meist das “Recht des Besitzenden” gilt […].«

            Ich bin mir nicht sicher, ob Sie jetzt noch über Evolution reden oder bereits über bestimmte Verhaltensmuster, die im Zuge der Evolution entstanden sind.

            »Mit anderen Worten: Der wirklich entscheidende Unterschied (Akzeptanz von Verfügungsrechten an Ressourcen) zwischen der natürlichen Evolution und der kulturellen Evolution hat man innerhalb der Biologie nach meiner Kenntnis noch überhaupt nicht wahrgenommen.«

            Vermutlich deshalb nicht, weil hier etwas in die Natur hingelegt wird, was aus einer anderen Sichtweise nicht hinein gehört. Auch ich finde die von Ihnen hier skizzierte Interpretation der natürlichen sexuellen Selektion schon recht eigenwillig.

            »Woher wollen Sie das denn wissen [dass es im Tierreich keine planerischen Entscheidungsprozesse wie beim Menschen gibt] ?«

            Das schließe ich aus den ornithologischen Beobachtungen.

            »Warum sollte dies [das Verhalten mancher Vögel] weniger planerisch sein als das Verhalten moderner Unternehmen beim Entwurf und Verkauf ihrer Produkte?«

            Bei einem Plan hat man typischerweise ein Ziel vor Augen, man plant, indem man vom Ende her denkt. Nachahmen und Melodien variieren geht wohl auch ohne planvolles Handeln.

            Keine Frage, es gibt recht clevere Vögel und Säugetiere, und sofern bei diesen Lernen und Tradition vorkommt, so wäre der diesbezügliche Wandel genauso wenig als kulturelle ‚Evolution‘ zu bezeichnen, wie beim Menschen. Der Begriff ‚Evolution‘ impliziert nach meinem Verständnis einen bestimmten Mechanismus der Veränderungen, und der ist beim kulturellen Wandel einfach nicht gegeben.

          • @Balanus

            Ich schrieb „biologische Evolution“, womit selbstredend der Evolutionsprozess gemeint war, der evolutive Wandel, also die Veränderung in den Allelfrequenzen in der Menschenpopulation, denn viel mehr hat sich in den letzten 3000 Jahren nicht getan in der Evolution des Menschen.

            Dann nehmen Sie die Laktosetoleranz von Erwachsenen als Beispiel. Sie hat die Milchkulturen erst ermöglicht.

            Ferner könnte man den Baldwin-Effekt heranziehen: https://de.wikipedia.org/wiki/Baldwin-Effekt

            Deshalb halte ich den Begriff „Anpassung“, so wie Sie ihn hier gebrauchen, für problematisch, ich finde, er suggeriert irgendwie einen aktiven Prozess oder ein Streben nach einem Optimum.

            Ich habe den Begriff Anpassung so verwendet, wie ihn Darwin verwendet hat und wie er in zahlreichen Lehrbüchern der Evolutionsbiologie verwendet wird (z. B. Stearns/Hoekstra).

            Weshalb wir für diese Vorgänge auch keine zwei separate „Evolutionsräume“ zu kreieren brauchen.

            Klar, das braucht man nicht zwingend. Außer man möchte Klarheit in die Sache bringen und verstehen. In der Biologie mag man sich vielleicht noch mit einfacheren Konzepten helfen können. Die erklären jedoch letztlich nichts und führen außerhalb der Biologie nicht weiter.

            Und nochmal: Sexuelle Selektion ist das eine, Partnerwahl und Sexualverhalten das andere. Wenn man von „Selektionspräferenzen der Weibchen“ spricht, könnte der Eindruck entstehen, dass „sexual selection“ und „female choice“ durcheinander gebracht werden.

            Ich weiß, diese unnötige Verkomplikation der Diskussion hatten sie schon einmal versucht, obwohl absolut klar ist, was ich in diesem Kontext meine.

            Darwin schrieb beispielsweise:

            … when the males and females of any animal have the same general habits … but differ in structure, colour, or ornament, such differences have been mainly caused by sexual selection.

            Da könnten Sie Ihre Belehrungen genauso anbringen.

            Ich bin mir nicht sicher, ob Sie jetzt noch über Evolution reden oder bereits über bestimmte Verhaltensmuster, die im Zuge der Evolution entstanden sind.

            (…)

            Vermutlich deshalb nicht, weil hier etwas in die Natur hingelegt wird, was aus einer anderen Sichtweise nicht hinein gehört. Auch ich finde die von Ihnen hier skizzierte Interpretation der natürlichen sexuellen Selektion schon recht eigenwillig.

            Auf Wikipedia heißt es unter Sexual Selection:

            Sexual selection is a mode of natural selection where typically members of one gender choose mates of the other gender to mate with, called intersexual selection, and where females normally do the choosing, and competition between members of the same gender to sexually reproduce with members of the opposite sex, called intrasexual selection.

            Ist Ihnen noch nie in den Sinn gekommen, diese Unterscheidungen könnten lediglich “bestimmte Verhaltensmuster, die im Zuge der Evolution entstanden sind” beschreiben und dass auf diese Weise “etwas in die Natur hingelegt wird, was aus einer anderen Sichtweise nicht hinein gehört”?

            Auch die klassischen biologischen Beschreibungen verwenden allesamt Begriffe (Konkurrenz unter den Männchen untereinander, um Weibchen zu erlangen; Wahl der Partner durch die Weibchen), bei denen es sich um menschliche Strukturierungen von Phänomenen in der Natur handelt. Wie kommen Sie auf die Idee, man könne die Natur nur auf diese Weise und in diesen Worten strukturieren? Und mit welchem Recht? Es fällt immer wieder auf, dass sich viele Biologen offenbar keine andere Sprache vorstellen können, als die, die sie selbst gewohnheitsmäßig verwenden.

            Das schließe ich aus den ornithologischen Beobachtungen.

            (…)

            Bei einem Plan hat man typischerweise ein Ziel vor Augen, man plant, indem man vom Ende her denkt. Nachahmen und Melodien variieren geht wohl auch ohne planvolles Handeln.

            Sollten Außerirdische den Menschen beobachten, könnten sie vielleicht ebenfalls geneigt sein, ihm keine Planungsfähigkeit zu unterstellen. Haben Sie einmal Filme von Vögeln gesehen, bei denen die Männchen den Weibchen Luxusnester bauen, um sie anzulocken und von ihnen selektiert zu werden? Dabei im Gegensatz zum Menschen kein planerisches Verhalten erkennen zu wollen, beruht m. E. auf nichts anderem als auf menschlicher Arroganz.

            Klar, der Mensch verfügt über eine größere geistige Leistungsfähigkeit als Vögel, jedenfalls meistens. Aber das, was man beim Menschen als Planung beobachtet, ist im Allgemeinen auf keinem deutlich höheren Niveau als der Nestbau solcher Vögel.

            Keine Frage, es gibt recht clevere Vögel und Säugetiere, und sofern bei diesen Lernen und Tradition vorkommt, so wäre der diesbezügliche Wandel genauso wenig als kulturelle ‚Evolution‘ zu bezeichnen, wie beim Menschen. Der Begriff ‚Evolution‘ impliziert nach meinem Verständnis einen bestimmten Mechanismus der Veränderungen, und der ist beim kulturellen Wandel einfach nicht gegeben.

            Dabei sollten wir es belassen. Ihrer Meinung ist der Begriff der Evolution das geistige Eigentum der Biologen, nur in der Biologie gibt es Evolution und außerhalb der Biologie darf der Begriff nicht verwendet werden.

            Wir werden in diesem Punkt zu keiner weiteren Klärung kommen, zumal Sie auf die von mir vorgetragene kanonische Verallgemeinerung der Definition der biologischen Evolution aus Wikipedia mit keinem Wort eingegangen sind (warum sollte man Evolution so definieren dürfen wie auf Wikipedia, nicht aber so, wie es absolut entsprechend die Systemische Evolutionstheorie tut???). Da lass ich es dann lieber. EOD.

          • @Balanus

            Ich schrieb „biologische Evolution“, womit selbstredend der Evolutionsprozess gemeint war, der evolutive Wandel, also die Veränderung in den Allelfrequenzen in der Menschenpopulation, denn viel mehr hat sich in den letzten 3000 Jahren nicht getan in der Evolution des Menschen.

            Dann nehmen Sie die Laktosetoleranz von Erwachsenen als Beispiel. Sie hat die Milchkulturen erst ermöglicht.

            Ferner könnte man den Baldwin-Effekt heranziehen: https://de.wikipedia.org/wiki/Baldwin-Effekt

            Deshalb halte ich den Begriff „Anpassung“, so wie Sie ihn hier gebrauchen, für problematisch, ich finde, er suggeriert irgendwie einen aktiven Prozess oder ein Streben nach einem Optimum.

            Ich habe den Begriff Anpassung so verwendet, wie ihn Darwin verwendet hat und wie er in zahlreichen Lehrbüchern der Evolutionsbiologie verwendet wird (z. B. Stearns/Hoekstra).

            Weshalb wir für diese Vorgänge auch keine zwei separate „Evolutionsräume“ zu kreieren brauchen.

            Klar, das braucht man nicht zwingend. Außer man möchte Klarheit in die Sache bringen und verstehen. In der Biologie mag man sich vielleicht noch mit einfacheren Konzepten helfen können. Die erklären jedoch letztlich nichts und führen außerhalb der Biologie nicht weiter.

            Und nochmal: Sexuelle Selektion ist das eine, Partnerwahl und Sexualverhalten das andere. Wenn man von „Selektionspräferenzen der Weibchen“ spricht, könnte der Eindruck entstehen, dass „sexual selection“ und „female choice“ durcheinander gebracht werden.

            Ich weiß, diese unnötige Verkomplikation der Diskussion hatten sie schon einmal versucht, obwohl absolut klar ist, was ich in diesem Kontext meine.

            Darwin schrieb beispielsweise:

            … when the males and females of any animal have the same general habits … but differ in structure, colour, or ornament, such differences have been mainly caused by sexual selection.

            Da könnten Sie Ihre Belehrungen genauso anbringen.

            Ich bin mir nicht sicher, ob Sie jetzt noch über Evolution reden oder bereits über bestimmte Verhaltensmuster, die im Zuge der Evolution entstanden sind.

            (…)

            Vermutlich deshalb nicht, weil hier etwas in die Natur hingelegt wird, was aus einer anderen Sichtweise nicht hinein gehört. Auch ich finde die von Ihnen hier skizzierte Interpretation der natürlichen sexuellen Selektion schon recht eigenwillig.

            Auf Wikipedia heißt es unter Sexual Selection:

            Sexual selection is a mode of natural selection where typically members of one gender choose mates of the other gender to mate with, called intersexual selection, and where females normally do the choosing, and competition between members of the same gender to sexually reproduce with members of the opposite sex, called intrasexual selection.

            Ist Ihnen noch nie in den Sinn gekommen, diese Unterscheidungen könnten lediglich “bestimmte Verhaltensmuster, die im Zuge der Evolution entstanden sind” beschreiben und dass auf diese Weise “etwas in die Natur hingelegt wird, was aus einer anderen Sichtweise nicht hinein gehört”?

            Auch die klassischen biologischen Beschreibungen verwenden allesamt Begriffe (Konkurrenz unter den Männchen untereinander, um Weibchen zu erlangen; Wahl der Partner durch die Weibchen), bei denen es sich um menschliche Strukturierungen von Phänomenen in der Natur handelt. Wie kommen Sie auf die Idee, man könne die Natur nur auf diese Weise und in diesen Worten strukturieren? Und mit welchem Recht? Es fällt immer wieder auf, dass sich viele Biologen offenbar keine andere Sprache vorstellen können, als die, die sie selbst gewohnheitsmäßig verwenden.

            Das schließe ich aus den ornithologischen Beobachtungen.

            (…)

            Bei einem Plan hat man typischerweise ein Ziel vor Augen, man plant, indem man vom Ende her denkt. Nachahmen und Melodien variieren geht wohl auch ohne planvolles Handeln.

            Sollten Außerirdische den Menschen beobachten, könnten sie vielleicht ebenfalls geneigt sein, ihm keine Planungsfähigkeit zu unterstellen. Haben Sie einmal Filme von Vögeln gesehen, bei denen die Männchen den Weibchen Luxusnester bauen, um sie anzulocken und von ihnen selektiert zu werden? Dabei im Gegensatz zum Menschen kein planerisches Verhalten erkennen zu wollen, beruht m. E. auf nichts anderem als auf menschlicher Arroganz.

            Klar, der Mensch verfügt über eine größere geistige Leistungsfähigkeit als Vögel, jedenfalls meistens. Aber das, was man beim Menschen als Planung beobachtet, ist im Allgemeinen auf keinem deutlich höheren Niveau als der Nestbau solcher Vögel.

            Keine Frage, es gibt recht clevere Vögel und Säugetiere, und sofern bei diesen Lernen und Tradition vorkommt, so wäre der diesbezügliche Wandel genauso wenig als kulturelle ‚Evolution‘ zu bezeichnen, wie beim Menschen. Der Begriff ‚Evolution‘ impliziert nach meinem Verständnis einen bestimmten Mechanismus der Veränderungen, und der ist beim kulturellen Wandel einfach nicht gegeben.

            Dabei sollten wir es belassen. Ihrer Meinung ist der Begriff der Evolution das geistige Eigentum der Biologen, nur in der Biologie gibt es Evolution und außerhalb der Biologie darf der Begriff nicht verwendet werden.

            Wir werden in diesem Punkt zu keiner weiteren Klärung kommen, zumal Sie auf die von mir vorgetragene kanonische Verallgemeinerung der Definition der biologischen Evolution aus Wikipedia mit keinem Wort eingegangen sind (warum sollte man Evolution so definieren dürfen wie auf Wikipedia, nicht aber so, wie es absolut entsprechend die Systemische Evolutionstheorie tut???). Da lass ich es dann lieber. EOD.

          • Evolutionsdefinition gemäß SET / @Lena

            » Wir werden in diesem Punkt zu keiner weiteren Klärung kommen, zumal Sie auf die von mir vorgetragene kanonische Verallgemeinerung der Definition der biologischen Evolution aus Wikipedia mit keinem Wort eingegangen sind (warum sollte man Evolution so definieren dürfen wie auf Wikipedia, nicht aber so, wie es absolut entsprechend die Systemische Evolutionstheorie tut???).«

            Na gut, dann mach ich Ihnen die Freude und gehe noch kurz auf diese Definitionen ein:

            Wikipedia:

            Evolution (von lateinisch evolvere „entwickeln“) ist die allmähliche Veränderung der vererbbaren Merkmale einer Population von Lebewesen von Generation zu Generation.

            SET:

            Evolution ist die allmähliche Veränderung der reproduzierbaren Kompetenzen einer Population von selbstreproduktiven Systemen über die Zeit.

            Was einem (mir) in der Definition unter SET sofort ins Auge springt, ist die Unbestimmtheit des, ich sag‘ mal, zeitlichen Rahmens für die Veränderungen.

            In der biologischen ET erfolgt die Veränderung von Generation zu Generation. Veränderungen, die nicht an die nächste Generation weitergegeben werden, sondern nur innerhalb derselben Generation stattfinden, sind für den Evolutionsprozess irrelevant. Das heißt, die Aussage „von Generation zu Generation“ spezifiziert den zeitlichen Rahmen für die Veränderung und ist demzufolge für den biologischen Evolutionsbegriff wesentlich.

            Demgegenüber erscheint in der SET der Zusatz „über die Zeit“ inhaltsleer und somit überflüssig, weil der Begriff ‚Veränderung‘ ohnehin eine gewisse Zeitspanne zwischen vorher und nachher impliziert.

            Deshalb schrumpft die SET-Evolutions-Definition zu:

            Evolution ist die allmähliche Veränderung der reproduzierbaren Kompetenzen einer Population von selbstreproduktiven Systemen.

            Und da „reproduzierbare Kompetenzen“ sowohl im Genom als auch in den Gehirnen verortet werden (Natur und Kultur), und „selbstreproduktive Systeme“ sowohl alle Organismen als auch sämtliche sozialen Systeme und sämtliche Unternehmen vom Ein-Mann-Betrieb bis zum multinationalen Konzern umfassen, schrumpft die SET-Evolutions-Definition letztlich weiter zu:

            Evolution ist die allmähliche Veränderung der natürlichen und künstlichen Systeme.

            Wen wundert’s, dass solch eine Definition in der Biologie keinen Anklang findet?

          • @Balanus

            In der biologischen ET erfolgt die Veränderung von Generation zu Generation. Veränderungen, die nicht an die nächste Generation weitergegeben werden, sondern nur innerhalb derselben Generation stattfinden, sind für den Evolutionsprozess irrelevant. Das heißt, die Aussage „von Generation zu Generation“ spezifiziert den zeitlichen Rahmen für die Veränderung und ist demzufolge für den biologischen Evolutionsbegriff wesentlich.

            Die Aussage ist aber tautologisch (und problematisch) und somit überflüssig. Denn einerseits sind die meisten Merkmale von Lebewesen nicht “vererbbar”, da sie maßgeblich auch durch die jeweilige Umwelt bestimmt werden: Pflanzen mit den identischen Genen würden sich in einer günstigen Umwelt ganz anders entwickeln als in einer kargen (das ist der problematische Teil). Andererseits spezifiziert Wikipedia “vererbbares Merkmal” als: “Diese Merkmale sind in Form von Genen codiert, die bei der Fortpflanzung kopiert und an den Nachwuchs weitergegeben werden.” Wenn das unter “vererbbare Merkmale” verstanden wird, dann kann die Veränderung tatsächlich nur von Generation zu Generation erfolgen. Der Zusatz “von Generation zu Generation” kann deshalb entfallen (er ist überflüssig) und der Satz auf die folgende inhaltsgleiche Aussage reduziert werden:

            “Evolution (von lateinisch evolvere „entwickeln“) ist die allmähliche Veränderung der vererbbaren Merkmale einer Population.”

            Demgegenüber erscheint in der SET der Zusatz „über die Zeit“ inhaltsleer und somit überflüssig,…

            Wie der Zusatz “von Generation zu Generation” bei der biologischen Evolutionsdefinition.

            Deshalb schrumpft die SET-Evolutions-Definition zu:

            Evolution ist die allmähliche Veränderung der reproduzierbaren Kompetenzen einer Population von selbstreproduktiven Systemen.

            Ganz ähnlich wie bei der biologischen Evolutionstheorie.

            Und da „reproduzierbare Kompetenzen“ sowohl im Genom als auch in den Gehirnen verortet werden (Natur und Kultur), und „selbstreproduktive Systeme“ sowohl alle Organismen als auch sämtliche sozialen Systeme und sämtliche Unternehmen vom Ein-Mann-Betrieb bis zum multinationalen Konzern umfassen, schrumpft die SET-Evolutions-Definition letztlich weiter zu:

            Evolution ist die allmähliche Veränderung der natürlichen und künstlichen Systeme.

            Das ist aus vielerlei Gründen Unsinn (auf keinen Fall ist die Veränderung von Systemen bereits Evolution, höchstens in der merkwürdigen Evolutionsdefinition gemäß Waschke). Innerhalb der SET ist für selbstreproduktive Systeme zu spezifizieren, wie das konkrete Reproduktionsverfahren (von Kompetenzen!) aussieht. Das ist Bestandteil der Definition eines Selbstreproduktiven Systems. Mit anderen Worten: Versteht man Lebewesen als selbstreproduktive Systeme, muss man zugleich das Reproduktionsverfahren benennen. Für einfache Lebewesen ist das im Rahmen der SET die Fortpflanzung. Ersetzt man also innerhalb der Evolutionsdefinition der SET die jeweiligen allgemeineren Begriffe der SET durch die spezifischen Begriffe der Biologie (z. B. selbstreproduktives System durch Lebewesen, reproduzierbar durch vererbbar etc.), dann hat man exakt die Evolutionsdefinition der Biologen.

            Untersucht man dagegen eine Population aus Smartphone-Herstellern und versteht man diese Hersteller als selbstreproduktive Systeme, dann muss man das Reproduktionsverfahren dieser Hersteller benennen. Mersch hat in seinem Buch einen eigenen Abschnitt über die Evolution der Technik. Darin spezifiziert er das Reproduktionsverfahren im genannten Fall recht detailliert. Man wird das vielleicht nur verstehen, wenn man sich eingehend mit Wirtschaftsprozessen auskennt.

            Ihre Einwände gehen deshalb alle in die Leere.

            Ihr Herumreiten auf dem Zusatz “von Generation zu Generation” offenbart zugleich das gesamte Dilemma Ihrer Argumentation. Es gehört zu den Grundannahmen der Evolutionsbiologie, dass die genetischen Informationen der Keimzellen nur während der Fortpflanzung weitergegeben und verändert werden. Bei einem solchen Reproduktionsverfahren können sich die Veränderungen dann natürlich nur von Generation zu Generation realisieren. Es ist aber durchaus vorstellbar, dass die Natur irgendwann Mittel findet, den genetischen Code noch zu Lebzeiten auszutauschen (obwohl das mit ungeheuren technischen Schwierigkeiten verbunden wäre). Für die Evolution ist aber einzig entscheidend, dass diese Veränderungen tradiert werden können, nicht zu welchem Zeitpunkt sie erfolgen. Es ist wissenschaftlich absolut schlechter Stil, in Theorien nur genau das hineinzugießen, was man aktuell beobachten kann. In der Physik wäre man bei einer solchen Vorgehensweise heute noch bei den Steinwerkzeugen. Überlegen Sie mal, wie man die meisten heute bekannten Elementarteilchen gefunden hat!

            Wen wundert’s, dass solch eine Definition in der Biologie keinen Anklang findet?

            Warum sollte sie in der Biologie Anklang finden, die haben doch bereits ihre eigene stark eingeschränkte Evolutionswelt und können mit ihrem eigenen eingeschränkten Evolutionsbegriff gut leben? Das Problem ist doch eher umgekehrt, dass nämlich eine ganze Reihe an Biologen in bemerkenswerter Arroganz meint, sie könnten allein beurteilen, ob es eine kulturelle Evolution gibt, und wenn ja, auf welchen Prinzipien sie beruht.

            Sie hatten die Existenz einer kulturellen Evolution bestritten, obwohl sich dieser Blog hier mit ihr beschäftigt.

            In Peter Atkins “Über das Sein” heißt es auf S. 51ff.:

            Erstens ist es wichtig, jeweils Tatsachen von der Theorie zu unterscheiden. Beobachtungen von Mechanismen, Phänomene von Erklärungen. Die Evolution ist eine Tatsache; die natürliche Selektion ist eine Theorie darüber, wie diese Evolution zustanden kam.

            (…)

            Schließlich existiert eine Theorie, wie die Evolution zustande kam. An dieser Stelle gibt es im Prinzip Raum für Auseinandersetzungen und Zweifel; hier verhält sich die Naturwissenschaft wie eine Wissenschaft und gestattet die Ersetzung einer Erklärung durch eine andere.

            In diesem Sinne möchte ich ergänzen (zumal Atkins in seinem Buch in einem Atemzug von Orchideen und Kathedralen spricht):

            Die kulturelle Evolution ist eine Tatsache. Sie ist unbestreitbar. Sie findet vor unseren Augen statt.

            Allerdings existiert noch keine breit akzeptierte Theorie über die Mechanismen der kulturellen Evolution. Es gibt konkurrierende Modelle (wie die Memetik und die SET), aber über deren jeweilige Triftigkeit wird noch gestritten.

          • @Balanus

            Nehmen wir einmal ein fiktives Beispiel:

            Kapitän Nemo (aus Jules Verne) hat auf seiner geheimnisvollen Insel einige bedeutende Erfindungen und Entdeckungen gemacht. Als er den bevorstehenden Vulkanausbruch und damit die Vernichtung seiner Insel (und all seiner Erfindungen und Entdeckungen) erahnt, bringt er alles zu Papier und deponiert es in einer hitzebeständigen Kapsel. Kurze Zeit später stirbt er bei dem Vulkanausbruch.

            Nun könnte man sich mehrere Szenarien vorstellen:
            1. Die Kapsel wird wenige Jahre später (d.h. innerhalb der gleichen Generation”) an einer ganz anderen Stelle auf der Erde entdeckt und seine Texte entschlüsselt. Dann hätte Kapitän Nemo seine Kompetenzen an die Menschheit weitergegeben, allerdings nicht an seine direkten Nachkommen, sondern an Menschen, die ggf. 10.000 km weit entfernt leben.
            2. Die Kapsel taucht erst viele Tausend Jahre später wieder auf. Die Texte sind noch lesbar. Man erkennt, dass sich darin viel Wissen befindet, über das die Menschheit noch immer nicht verfügt (das also absolut neu ist):

            Im zweiten Fall wäre das Wissen (die Kompetenzen) nicht von Generation zu Generation weitergegeben worden, sondern erst an eine viel spätere Generation.

            Dieses konservierte Wissen als Meme im Sinne der Memetik zu verstehen, dürfte übrigens auf Schwierigkeiten stoßen. Denn das wahrscheinliche Szenarium in beiden Fällen ist: Ein Großteil des gefundenen Wissens wird sofort als geheim deklariert werden. Entweder würde es von den Militärs für bessere Waffen genutzt werden, oder von Unternehmen für überlegene Produkte. Im letzteren Fall würde ein Teil des Wissens patentiert werden. Von der freien Verbreitung der Ideen von Gehirn zu Gehirn also keine Spur. Stattdessen Einschränkung der Verbreitung des Wissens aufgrund von Eigeninteressen (Reproduktionsinteressen) von Akteuren. Denn auch bei der gezielten Einschränkung von Wissensverbreitungen handelt es sich um Kompetenzverlustvermeidung gemäß SET.

            Vielleicht wären Nemos Aufzeichungen aber auch längst technologisch veraltet. Dann wären sie nur noch von historischem Interesse. Da mit ihnen kaum jemand mehr einen ökonomischen Vorteil erlangen könnte (außer vielleicht die Historiker), werden sich Nemos Meme und Kompetenzen folglich auch nicht ausbreiten. Darüber entscheiden nämlich die Akteure, die sie gewinnbringend (im Sinne ihrer Reproduktionsinteressen) nutzen können.

            Die biologische Evolutionstheorie kann zu all dem nichts beitragen. Deshalb sollte man sie auch nicht krampfhaft zum Maßstab für die kulturelle Evolution machen. Bei der kulturellen Evolution haben wir es mit Komplexitäten zu tun, die in der Biologie noch nicht bekannt sind.

          • von Generation zu Generation /@Lena

            »Die Aussage [von Generation zu Generation] ist aber tautologisch (und problematisch) und somit überflüssig.«

            Nicht ich, sondern Sie haben diese Definition aus Wikipedia zitiert und quasi als Vorlage für die SET-gemäße Evolutionsdefinition dargestellt. Ich sehe also keine Veranlassung, sie zu verteidigen.

            Dennoch bin ich keineswegs davon überzeugt, dass man bei dieser Definition darauf verzichten kann, zu spezifizieren, dass die Veränderung der vererbbaren Merkmale von Generation zu Generation bzw. generationenübergreifend erfolgen muss, wenn es sich um Evolution und nicht bloß um Entwicklung handeln soll. Denn wenn man sagt,

            Evolution ist die allmähliche Veränderung der vererbbaren Merkmale einer Population.“,

            dann könnten damit auch jene Veränderungen der vererbbaren Merkmale gemeint sein, die nur im Laufe eines individuellen Lebens auftreten. Sie nannten als Beispiel die Wuchsformen der Pflanzen in Abhängigkeit von der Umwelt.

            An Organismen finden wir vererbbare und nicht vererbbare Merkmale. Wenn man also sagen würde:

            Evolution (von lateinisch evolvere „entwickeln“) ist die allmähliche Veränderung der nicht vererbbaren Merkmale einer Population von Lebewesen von Generation zu Generation.,

            dann würde man von einer Art kulturellen Evolution sprechen.

            Und wenn man „vererbbar“ weglassen würde, dann hieße es:
            Evolution ist die allmähliche Veränderung der Merkmale einer Population von Lebewesen von Generation zu Generation.

            Das ist dann wohl das, was bei manchen unter „biokulturelle Evolution“ verstanden wird.

            »Innerhalb der SET ist für selbstreproduktive Systeme zu spezifizieren, wie das konkrete Reproduktionsverfahren (von Kompetenzen!) aussieht. Das ist Bestandteil der Definition eines Selbstreproduktiven Systems.«

            Das klingt, als müsste man erst mal herausfinden, was im kulturellen Bereich als ein *selbstreproduktives* System bezeichnet werden kann bzw. was ein solches tatsächlich ist, bevor man Veränderungen in/an diesem System als Evolution deklarieren darf:

            »Mit anderen Worten: Versteht man Lebewesen als selbstreproduktive Systeme, muss man zugleich das Reproduktionsverfahren benennen. Für einfache Lebewesen ist das im Rahmen der SET die Fortpflanzung.«

            Mit „Lebewesen“ sind offensichtlich Organismen gemeint. Diese sind aber nur auf der Organisationsebene der Einzeller im Wortsinne „selbstreproduktiv“. Erst bei einer *Population* von Organismen könnte man von „Selbstreproduktion“ (der Population durch Fortpflanzung der Systemeinheiten, oder so ähnlich) sprechen.

            »Ersetzt man also innerhalb der Evolutionsdefinition der SET die jeweiligen allgemeineren Begriffe der SET durch die spezifischen Begriffe der Biologie (z. B. selbstreproduktives System durch Lebewesen, reproduzierbar durch vererbbar etc.), dann hat man exakt die Evolutionsdefinition der Biologen.«

            Eben nicht. Eine „Population von Lebewesen“ (Bio ET) ist nicht analog zu einer „Population von selbstreproduktiven Systemen“ (SET), weil, wie gesagt, im Rahmen einer Evolutionsdefinition nur einzellige Lebewesen als selbstreproduktive Systeme bezeichnet werden können.

            In der Biologie müssen die Veränderungen generationenübergreifend, also von Lebewesen zum nachfolgenden Lebewesen (bei Vielzellern) oder von Lebewesen zu den beiden nachfolgenden Lebewesen (bei Einzellern) erfolgen, damit überhaupt von Evolution gesprochen werden kann. Das ist doch der Witz bei der ganzen Sache, weshalb Evolution, so wie wir sie kennen, überhaupt stattgefunden hat und weiterhin stattfindet.

            Wenn man nun sagt, dass es darauf nicht ankommt, sondern nur darauf, dass die Erbinformation (Kompetenzen) weitergegeben werden, dann sprechen wir von einer Evolution, wie wir sie allenfalls (und mit gewissen Einschränkungen) von den Einzellern her kennen (bei Einzellern markiert die Teilung den Übergang von einer Generation auf die nachfolgende).

            »Mersch hat in seinem Buch einen eigenen Abschnitt über die Evolution der Technik. Darin spezifiziert er das Reproduktionsverfahren im genannten Fall recht detailliert. Man wird das vielleicht nur verstehen, wenn man sich eingehend mit Wirtschaftsprozessen auskennt.«

            Soll ich nun daraus schließen, dass meine Vorstellung, dass gemäß der SET ein (kompetenter) Freiberufler mit seinem häuslichen Arbeitszimmer und all den Gerätschaften, die er besitzt, ein selbstreproduzierendes und damit evolutionsfähiges System bildet, falsch ist?

            Ist eine Religionsgemeinschaft im Sine der SET ein selbstreproduzierendes System?

            »Ihre Einwände gehen deshalb alle in die Leere.«

            Ich fürchte, da machen Sie sich selbst etwas vor.

            Ich überspringe jetzt ein paar Punkte und mache hiermit weiter:

            »Es ist wissenschaftlich absolut schlechter Stil, in Theorien nur genau das hineinzugießen, was man aktuell beobachten kann.«

            Ja, zu dem, was offen zu Tage liegt, braucht man keine Theorie zu entwickeln. Aber wenn eine Theorie mit den Beobachtungen nicht vereinbar ist, dann taugt die schönste Theorie nichts.

            » Sie hatten die Existenz einer kulturellen Evolution bestritten, obwohl sich dieser Blog hier mit ihr beschäftigt.«

            Nun ja, inzwischen habe ich dank SciLogs gelernt, dass man kulturelle Entwicklungen auch Evolution nennen kann und darf. Papier ist eben geduldig.

            »Die kulturelle Evolution ist eine Tatsache. Sie ist unbestreitbar. Sie findet vor unseren Augen statt.«

            Ich würde es so sagen:

            Der kulturelle Wandel ist eine Tatsache. Er ist unbestreitbar. Er findet vor unseren Augen statt.

            »Allerdings existiert noch keine breit akzeptierte Theorie über die Mechanismen der kulturellen Evolution.«

            Tja, Pech für die Kulturevolutionstheoretiker.

            Aber es gibt, glaube ich, auch keine breit akzeptierte Theorie über die Mechanismen des kulturellen Wandels. Obwohl, was ich auf spectrum.de unter dem Stichwort „kulturelle Evolution“ lesen kann („korrektere Bezeichnung kulturelle Entwicklung…“), dürfte weithin Konsens sein. Ich hatte an anderer Stelle (https://scilogs.spektrum.de/engelbart-galaxis/sprachliche-meme-replikation-sprache-schrift/#comment-1465 ) bereits darauf hingewiesen, Sie hatten aber nicht mehr darauf reagiert.

            —-
            Ad Kapitän Nemo:

            »Die biologische Evolutionstheorie kann zu all dem nichts beitragen.«

            Und will auch nichts dazu beitragen.

            Sie schreiben von der möglicherweise verhinderten Ausbreitung von Nemos Kompetenzen. Ich würde ja sagen, die hat Nemo ohnehin mit ins Grab genommen. Hinterlassen hat er lediglich bestimmte kulturelle Produkte (nämlich Dokumente), die von anderen Intelligenzen erst mal verstanden werden müssen, damit sie bei denen wieder zu Kompetenzen werden können.

            So ist das eben mit den evolvierten intelligenten Lebewesen, wenn sie etwas nicht lernen und verstehen können, dann wird es auch nichts mit der diesbezüglichen Kompetenz. Das immerhin, so scheint mir, geht konform mit der biologischen Evolutionstheorie.

          • @Balanus

            Dennoch bin ich keineswegs davon überzeugt, dass man bei dieser Definition darauf verzichten kann, zu spezifizieren, dass die Veränderung der vererbbaren Merkmale von Generation zu Generation bzw. generationenübergreifend erfolgen muss, wenn es sich um Evolution und nicht bloß um Entwicklung handeln soll. Denn wenn man sagt (…) dann könnten damit auch jene Veränderungen der vererbbaren Merkmale gemeint sein, die nur im Laufe eines individuellen Lebens auftreten. Sie nannten als Beispiel die Wuchsformen der Pflanzen in Abhängigkeit von der Umwelt.

            Diese im Laufe des individuellen Lebens auftretenden umweltbedingten Veränderungen sind eben nicht vererbbar. In der Biologie werden die vererbbaren Merkmale nur durch Fortpflanzung weitergegeben und nur dann verändert. Wenn man sich also ohnehin innerhalb der Biologie bewegt, dann ist der Zusatz von “Generation zu Generation” redundant.

            An Organismen finden wir vererbbare und nicht vererbbare Merkmale. Wenn man also sagen würde:

            Evolution (von lateinisch evolvere „entwickeln“) ist die allmähliche Veränderung der nicht vererbbaren Merkmale einer Population von Lebewesen von Generation zu Generation.,

            dann würde man von einer Art kulturellen Evolution sprechen.

            Nein, diese Definition wäre unsinnig.

            Und wenn man „vererbbar“ weglassen würde, dann hieße es:
            Evolution ist die allmähliche Veränderung der Merkmale einer Population von Lebewesen von Generation zu Generation.

            Das ist dann wohl das, was bei manchen unter „biokulturelle Evolution“ verstanden wird.

            Und diese ist ebenfalls unsinnig.

            Das klingt, als müsste man erst mal herausfinden, was im kulturellen Bereich als ein *selbstreproduktives* System bezeichnet werden kann bzw. was ein solches tatsächlich ist, bevor man Veränderungen in/an diesem System als Evolution deklarieren darf:

            Aber natürlich. Das kann genauso schwierig zu beantworten sein, wie die Frage der Biologen nach den Einheiten der Selektion. Sie müssten z. B. die Frage beantworten, ob und warum ein Ökosystem ein selbstreproduktives System ist (für die SET: Nein).

            Mit „Lebewesen“ sind offensichtlich Organismen gemeint. Diese sind aber nur auf der Organisationsebene der Einzeller im Wortsinne „selbstreproduktiv“. Erst bei einer *Population* von Organismen könnte man von „Selbstreproduktion“ (der Population durch Fortpflanzung der Systemeinheiten, oder so ähnlich) sprechen.

            Es geht nicht darum, was in irgendeinem angeblichen Wortsinne selbstreproduktiv ist (was z. B. Sie meinen, was der Begriff bedeuten könnte), sondern was in den Definitionen der SET selbstreproduktiv ist (so wie die SET den Begriff selbstreproduktiv definiert). Und da gilt ganz klar: Organismen sind selbstreproduktive Systeme, Populationen hingegen nicht. Bienensozialstaaten sind wiederum selbstreproduktive Systeme, Unternehmen auch. Dies hat auch etwas mit dem Unterschied von Ordnung und Organisation zu tun, so wie er von John v. Neumann erklärt wurde.

            In der Biologie müssen die Veränderungen generationenübergreifend, also von Lebewesen zum nachfolgenden Lebewesen (bei Vielzellern) oder von Lebewesen zu den beiden nachfolgenden Lebewesen (bei Einzellern) erfolgen, damit überhaupt von Evolution gesprochen werden kann. Das ist doch der Witz bei der ganzen Sache, weshalb Evolution, so wie wir sie kennen, überhaupt stattgefunden hat und weiterhin stattfindet.

            Damit wiederholen Sie nur das, was Sie schon die ganze Zeit tun: Ja, die biologische Evolution der Organismen unterliegt technologischen Beschränkungen. Organismen können ihre Erbinformationen nur über die Fortpflanzung bewahren und erneuern (reproduzieren). Deshalb findet die Veränderung und Bewahrung hier nur von Generation zu Generation statt. Das ist bei kulturellen Evolutionsprozessen aber nicht der Fall. Solange Sie darauf bestehen, dass Evolution nur das sein kann, was den Beschränkungen der biologischen Evolution unterliegt (Informationsweitergabe von Eltern an ihre Kinder, Informationsveränderungen nur bei der Fortpflanzung), kann es für Sie selbstverständlich außerhalb der Biologie keine Evolution geben.

            Und alle denkbaren Verallgemeinerungen halten Sie in Unkenntnis der gewählten Begrifflichkeiten von vornherein für Blödsinn. Versuchen Sie einmal mit einem Kreationisten zu diskutieren, der neben dem Dogma, dass jedes Lebewesen Gottes Schöpfung ist, nichts akzeptiert. Da werden Sie sich genauso festbeißen. Wenn Sie andere Sichtweisen kennenlernen wollen, müssen Sie irgendwann die eigene einmal verlassen.

            Soll ich nun daraus schließen, dass meine Vorstellung, dass gemäß der SET ein (kompetenter) Freiberufler mit seinem häuslichen Arbeitszimmer und all den Gerätschaften, die er besitzt, ein selbstreproduzierendes und damit evolutionsfähiges System bildet, falsch ist?

            Der Freiberufler ist ein selbstreproduktives System, ob seine Kompetenzen einen langfristigen evolutiven Einfluss haben, lässt sich allerdings nicht generell beantworten (wie in der Biologie). Die meisten Freiberufler reproduzieren ihre Kompetenzen nur zu ihren Lebzeiten. Bei Joanne K. Rowling sähe das bereits anders aus.

            In der Terminologie der Systemischen Evolutionstheorie sind nur Populationen aus selbstreproduktiven Systemen “evolutionsfähig”. Der Freiberufler ist deshalb kein evolutionsfähiges System (evolutionsfähig ist ein Populationsbegriff). Ich denke, das sieht man in der Biologie nicht anders.

            Ist eine Religionsgemeinschaft im Sine der SET ein selbstreproduzierendes System?

            Selbstverständlich ist z. B. die katholiische Kirche ein selbstreproduktives System. Wer wollte das bestreiten?

            Ja, zu dem, was offen zu Tage liegt, braucht man keine Theorie zu entwickeln. Aber wenn eine Theorie mit den Beobachtungen nicht vereinbar ist, dann taugt die schönste Theorie nichts.

            Historisch gesehen war es fast immer umgekehrt: Neue (fruchtbare) Theorien ermöglichen neue Beobachtungen. Ohne ein Modell ihrer Umwelt können Sie eigentlich gar nichts wahrnehmen (erkennen).

            In Ihrer Vorstellung würden Sie die Entwicklung der Erkenntnisfähigkeit interessanterweise aber als evolutiv bezeichnen, solange sie genetisch bedingt ist (solange die tradierten Modelle der Umwelt ein genetisches Fundament besitzen), andernfalls als eine bloße kulturelle Entwicklung. Unsere dreidimensionale Raumvorstellung wäre also evolutiv entstanden, die 4-dimensionale Vorstellung der Allgemeinen Relativitätstheorie dagegen nur im Rahmen einer kulturellen Entwicklung. Gleichfalls wäre die Entwicklung der Pfauenschweife (z. B. deren Augenzahl) für Sie evolutiv, da die Merkmale genetisch weitergegeben werden, die Tradierung des Gesangs der Lappenstare aber bloße Entwicklung, da es sich dabei um nichtgenetische Merkmale handelt, die über das Gehirn weitergegeben werden.

            Für Systemtheoretiker ist eine solche Sichtweise inakzeptabel. Sie ist unstrukturiert.

            Obwohl, was ich auf spectrum.de unter dem Stichwort „kulturelle Evolution“ lesen kann („korrektere Bezeichnung kulturelle Entwicklung…“), dürfte weithin Konsens sein.

            Ja, die Definition in http://www.spektrum.de/lexikon/biologie/kulturelle-evolution/37630 stimmt sehr weit mit den Vorstellungen der SET überein. Allerdings ist die SET viel allgemeiner, da sie auch komplexere Systeme wie Bienensozialstaaten oder Unternehmen in ihre Überlegungen einschließt.

          • @Lena

            : »Diese im Laufe des individuellen Lebens auftretenden umweltbedingten Veränderungen sind eben nicht vererbbar. […] der Zusatz von “Generation zu Generation” [ist] redundant.«

            Wenn man das meint, dann kommt eben diese unsinnige (biologische) Evolutionsdefinition heraus,

            “Evolution ist die allmähliche Veränderung der vererbbaren Merkmale einer Population”,

            bei der die Frage offen bleibt, wo und wann denn diese Veränderung der vererbbaren Merkmale stattfinden muss, damit es Evolution ist. Denn das ist für den biologischen Evolutionsbegriff entscheidend.

            Da hilft auch nicht der Hinweis, dass in der Biologie die vererbbaren Merkmale nur durch Fortpflanzung weitergegeben werden können. Denn zum einen werden Fortpflanzung und Vererbung in der Definition gar nicht erwähnt, und zum anderen steht außer Frage, dass vererbbare Merkmale auch einer umwelt- oder kulturbedingten Veränderung unterliegen können, genauso wie das Faktum außer Frage steht, dass diese Veränderungen meist nicht vererbbar sind.

            »Das [die Frage nach dem selbstreproduktivem System] kann genauso schwierig zu beantworten sein, wie die Frage der Biologen nach den Einheiten der Selektion.«

            Immerhin, in der Biologie ist mittlerweile klar, dass alle Organismen dem Evolutionsprozess unterworfen sind. Gestritten wird dort im Grunde nur um das Wie (welche Mechanismen).

            Im Bereich der Kultur ist offenbar nicht von vorneherein klar, welche Einheiten oder Systeme einer Evolution unterliegen. Man streitet also nicht nur um das Wie, sondern auch um das Was. Oder geht es im Wesentlichen überhaupt nur darum, festzustellen, welche Systeme evolvieren könn(t)en?

            Ich muss gestehen dass ich mir bislang etwas anderes unter dem Begriff ‚Kulturelle Evolution‘ vorgestellt habe. Eher so etwas, wie es auf spektrum.de im „Lexikon der Biologie“ erklärt wird.

            Überhaupt, die Begriffe:

            »Es geht nicht darum, was in irgendeinem angeblichen Wortsinne selbstreproduktiv ist (was z. B. Sie meinen, was der Begriff bedeuten könnte), sondern was in den Definitionen der SET selbstreproduktiv ist (so wie die SET den Begriff selbstreproduktiv definiert)…«

            Das macht die Diskussion nicht gerade einfacher. Und erleichtert auch nicht das Verständnis.

            »Solange Sie darauf bestehen, dass Evolution nur das sein kann, was den Beschränkungen der biologischen Evolution unterliegt (Informationsweitergabe von Eltern an ihre Kinder, Informationsveränderungen nur bei der Fortpflanzung), kann es für Sie selbstverständlich außerhalb der Biologie keine Evolution geben.«

            Aber selbstverständlich kann es für mich auch Evolution außerhalb der Biologie geben. Voraussetzung ist lediglich, dass es sich um einen echten evolutionären Prozess handelt, analog zu dem in der Biologie. Es genügt (mir) halt nicht, Evolution neu zu definieren, damit auch außerhalb der Biologie, also in Kultur und Technik, Evolution stattfinden kann.

            Überhaupt finde ich, dass Sie es sich zu einfach machen. Evolution muss man von den enormen Möglichkeiten der Veränderungen her sehen, also von dem her, was die „beschränkte“ biologische Evolution hervorgebracht hat. Ohne das „geniale“ Prinzip der generationenübergreifenden Weitergabe der Erbinformation, ohne das, was Sie als Beschränkung bewerten, gäbe es uns gar nicht. Der biologische Evolutionsmechanismus besitzt ganz offensichtlich ein ungeheures (kreatives) Potential.

            Dagegen könnten sich kulturelle Entwicklungen als zwar heftiges, aber kurzes Strohfeuer erweisen.

            »Die meisten Freiberufler reproduzieren ihre Kompetenzen nur zu ihren Lebzeiten. Bei Joanne K. Rowling sähe das bereits anders aus.«

            Wie kann man denn nach dem Ableben noch seine Kompetenzen reproduzieren?

            »In der Terminologie der Systemischen Evolutionstheorie sind nur Populationen aus selbstreproduktiven Systemen “evolutionsfähig”.«

            Mein Fehler, da habe ich nicht aufgepasst. Wann wird aus vielen Freiberuflern eine Population von Freiberuflern? Wenn diese vernetzt sind (das gleiche Gebiet bearbeiten) und ihre Kompetenzen untereinander weitergeben, austauschen, miteinander reproduzieren?

            »Selbstverständlich ist z. B. die katholiische Kirche ein selbstreproduktives System. Wer wollte das bestreiten?«

            Ich wollte es nur wissen.
            Dann besteht der evolutive Wandel der kath. Kirche u.a. vermutlich im Wandel des religiösen Glaubens seiner Mitglieder, der Organisationsstrukturen, der religiösen Vorschriften, etc. Ob dem Papst klar ist, dass er die Richtung der Evolution der Kirche beeinflussen kann?

            »In Ihrer Vorstellung würden Sie die Entwicklung der Erkenntnisfähigkeit interessanterweise aber als evolutiv bezeichnen, solange sie genetisch bedingt ist (solange die tradierten Modelle der Umwelt ein genetisches Fundament besitzen),…«

            Ich würde, wann immer es geht und ich daran denke, statt „Entwicklung“ nur von „Entstehung“ reden. Auch Darwin hat den irreführenden Begriff „evolution“ weitestgehend vermieden (in seinem Hauptwerk). Im (biologischen) Evolutionsprozess entstehen Strukturen, sie entfalten oder entwickeln sich nicht (auch wenn es Evolution heißt).

            Im Falle, dass Systemtheoretiker eine solche Sichtweise für inakzeptabel weil unstrukturiert halten, dann ist das deren Problem, nicht meins.

          • @Balanus

            Wenn man das meint, dann kommt eben diese unsinnige (biologische) Evolutionsdefinition heraus, (…) bei der die Frage offen bleibt, wo und wann denn diese Veränderung der vererbbaren Merkmale stattfinden muss, damit es Evolution ist. Denn das ist für den biologischen Evolutionsbegriff entscheidend.

            Nein, denn schon im Folgesatz wird auf Wikipedia definiert, was ein vererbbares Merkmal ist: “Diese Merkmale sind in Form von Genen codiert, die bei der Fortpflanzung kopiert und an den Nachwuchs weitergegeben werden.”

            Man braucht den Generationenbegriff deshalb nicht.

            Immerhin, in der Biologie ist mittlerweile klar, dass alle Organismen dem Evolutionsprozess unterworfen sind. Gestritten wird dort im Grunde nur um das Wie (welche Mechanismen).

            Nein, so einfach ist es nicht. Zahlreiche Bienenforscher (darunter zählt in Deutschland u.a. Jürgen Tautz) halten den Bienenstock für einen Superorganismus, der der Evolution unterliegt (genauer: Populationen aus Bienenkolonien). Es wird also auch darum gestritten, auf “was” der Evolutionsprozess greift.

            Im Bereich der Kultur ist offenbar nicht von vorneherein klar, welche Einheiten oder Systeme einer Evolution unterliegen. Man streitet also nicht nur um das Wie, sondern auch um das Was.

            Das ist bei der Kultur ja auch viel schwieriger zu beantworten. Das Thema ist äußerst komplex.

            Ich muss gestehen dass ich mir bislang etwas anderes unter dem Begriff ‚Kulturelle Evolution‘ vorgestellt habe. Eher so etwas, wie es auf spektrum.de im „Lexikon der Biologie“ erklärt wird.

            Diese Erklärung ist nicht schlecht, aber für wirkliche kulturelle Evolutionsprozesse viel zu biologisch. Es handelt sich um kein Thema der Biologen.

            Überhaupt, die Begriffe: (…) Das macht die Diskussion nicht gerade einfacher. Und erleichtert auch nicht das Verständnis.

            Das liegt in der Natur der Sache. Sie sehen doch, wie lange schon um den Begriff des Mems diskutiert wird. Man darf nicht erwarten, dass eine wissenschaftliche Theorie alle Begriffe so verwendet, wie man das in der Alltagssprache tut. Deshalb haben es manche Wissenschaftler vorgezogen, neue Kunstwörter einzuführen (was aber letztlich auch nicht weiterhilft).

            Aber selbstverständlich kann es für mich auch Evolution außerhalb der Biologie geben. Voraussetzung ist lediglich, dass es sich um einen echten evolutionären Prozess handelt, analog zu dem in der Biologie. Es genügt (mir) halt nicht, Evolution neu zu definieren, damit auch außerhalb der Biologie, also in Kultur und Technik, Evolution stattfinden kann.

            In der Systemischen Evolutionstheorie wurde versucht, den kulturellen Evolutionsprozess analog zum biologischen Evolutionsprozess zu definieren, allerdings auf eine ganz andere Weise, als es die Memetik versucht hat. Sie können jedoch nicht erwarten, dass die Definitionen und Beschreibungen identisch sind. Beispielsweise werden die genetischen Informationen bei der biologischen Evolution nur von Eltern zu Nachkommen (die Verwandtenselektion lasse ich mal weg) weitergegeben, bei der kulturellen Evolution aber an andere Populationsmitglieder. Außerdem gibt es bei der kulturellen Evolution kein zwingendes Generationenkonzept mehr. All das muss man beachten, wenn man sich mit kultureller Evolution beschäftigen. Das Thema ist komplex.

            Überhaupt finde ich, dass Sie es sich zu einfach machen. Evolution muss man von den enormen Möglichkeiten der Veränderungen her sehen, also von dem her, was die „beschränkte“ biologische Evolution hervorgebracht hat. Ohne das „geniale“ Prinzip der generationenübergreifenden Weitergabe der Erbinformation, ohne das, was Sie als Beschränkung bewerten, gäbe es uns gar nicht. Der biologische Evolutionsmechanismus besitzt ganz offensichtlich ein ungeheures (kreatives) Potential.

            Das bestreitet doch niemand. Die biologische Evolution ist so etwas wie die Hardwareentwicklung in der Computerindustrie, die kulturelle Evolution so etwas wie die Softwareentwicklung. Natürlich war es die Hardwareentwicklung, die die heutige Software erst ermöglicht hat. Benötigen Sie eine leistungsfähigere Hardware, müssen Sie sich in der Regel ein neues Modell kaufen, so wie es bei der biologischen Evolution der Fall ist. Eine leistungsfähigere Software können Sie aber im Allgemeinen sofort aufspielen (sofern die Hardware leistungsfähig genug ist – siehe Singvögel versus Pfauen). Es wäre aber ein Fehler, nur die Hardwareentwicklung betrachten zu wollen.

            Es bleibt die einfache Tatsache, dass bei den Singvögeln wichtige Merkmale ganz wesentlich über das Gehirn evolvieren (Anpassung an die Präferenzen der Weibchen), während bei den Pfauen Merkmale, die den gleichen Zweck erfüllen (Anpassung an die Präferenzen der Weibchen) ausschließlich genetisch evolvieren. Die Behauptung, das eine sei Evolution, das andere aber nicht, geht offenkundig in die Irre.

            Dagegen könnten sich kulturelle Entwicklungen als zwar heftiges, aber kurzes Strohfeuer erweisen.

            Diese Gefahr besteht bei genetischen Entwicklungen ebenso.

            Wie kann man denn nach dem Ableben noch seine Kompetenzen reproduzieren?

            Sie werden von anderen zur eigenen Kompetenzreproduktion genutzt. Bei genetischen Kompetenzen ist das offensichtlich, bei kulturellen Kompetenzen für viele Menschen weniger offensichtlich. Die muss man erst darauf hinweisen.

            Wann wird aus vielen Freiberuflern eine Population von Freiberuflern? Wenn diese vernetzt sind (das gleiche Gebiet bearbeiten) und ihre Kompetenzen untereinander weitergeben, austauschen, miteinander reproduzieren?

            Bei Wissenschaftsdisziplinen (aber auch vielen Künsten und Berufen) ist das der Fall. In den Wissenschaften findet ein reger Austausch untereinander statt. Ferner hat man Mechanismen installiert, um neue Wissenschaftler auszubilden (wozu u. a. die Hochschulausbildung zählt, aber auch Lehrbücher, populärwissenschaftliche Abhandlungen, Zeitschriften etc.). Viele etablierte Wissenschaftler kreieren ganze Schulen, in denen die Theorien des Stifters reproduziert werden. Sie können z. B. bei einem führenden Stringtheoretiker kaum mit einer Arbeit promovieren, in denen die Schwächen der Stringtheorie aufgezeigt werden und ein anderes Modell priorisiert wird.

            Dann besteht der evolutive Wandel der kath. Kirche u.a. vermutlich im Wandel des religiösen Glaubens seiner Mitglieder, der Organisationsstrukturen, der religiösen Vorschriften, etc. Ob dem Papst klar ist, dass er die Richtung der Evolution der Kirche beeinflussen kann?

            Ja, es handelt sich um eine fortwährende Anpassung an die Anforderungen der Zeit. Darum geht es u. a. bei der momentanen Auseinandersetzung mit dem Islam, der strukturell weniger anpassungsfähig als das Christentum zu sein scheint, zumal das Neue Testament viel weniger in unmittelbare Lebensbereiche eingreift als der Koran. Ich z. B. halte es nur noch für eine Frage der Zeit, bis der Papst auch die Pille und Kondome als generelles Mittel zur Empfängnisverhütung erlaubt. Das nennt man Anpassung.

            Die katholische Kirche besitzt durch die Forderung nach einer zölibatären Lebensweise ganz nebenbei ein hochinteressantes Verfahren zur Mitgliederreproduktion: Die müssen nämlich aus den Gesellschaften angeworben werden. Damit gleicht die katholische Kirche in einem entscheidenden Punkt vielen modernen Unternehmen. Auch dort könnte man einen Trend (zumindest bei wichtigen Mitarbeitern) ausmachen, seine gesamte Kraft dem Unternehmen zu widmen und möglichst kinderlos zu bleiben.

            Ich würde, wann immer es geht und ich daran denke, statt „Entwicklung“ nur von „Entstehung“ reden. Auch Darwin hat den irreführenden Begriff „evolution“ weitestgehend vermieden (in seinem Hauptwerk). Im (biologischen) Evolutionsprozess entstehen Strukturen, sie entfalten oder entwickeln sich nicht (auch wenn es Evolution heißt).

            Strenggenommen war Evolution immer ein Populationsbegriff, so erklärt es auch Ernst Mayr. In dem Sinne evolviert z. B. eine Population aus Elefanten. Wenn sie wollen, dann entwickeln sich auf diesem Wege ihre Merkmale. Das ist aber bei der Systemischen Evolutionstheorie nicht anders, nur dass bei ihr die Organismen durch selbstreproduktive Systeme ersetzt werden und ihnen neben den Genen auch andere Speicher- und Weitergabemöglichkeiten (d.h. Informationsverarbeitungsmöglichkeiten) zur Verfügung stehen. In beiden Fällen geht es aber um Evolution.

          • @Lena

            » Nein, denn schon im Folgesatz wird auf Wikipedia definiert, was ein vererbbares Merkmal ist: “Diese Merkmale sind in Form von Genen codiert, die bei der Fortpflanzung kopiert und an den Nachwuchs weitergegeben werden.”

            Man braucht den Generationenbegriff deshalb nicht.«

            Doch, ob Sie’s nun wahrhaben wollen oder nicht, man muss in einer biologischen Evolutionsdefinition deutlich machen, dass die Veränderungen der erblichen Merkmale nicht in ein und derselben Generation, sondern über Generationen hinweg erfolgen. Im Übrigen ist der von Ihnen zitierte Folgesatz nicht Teil der von Ihnen oben zitierten Evolutions-Definition.

            »Die biologische Evolution ist so etwas wie die Hardwareentwicklung in der Computerindustrie, die kulturelle Evolution so etwas wie die Softwareentwicklung.«

            Wobei man aber nicht übersehen darf, dass in der biologischen Evolution Hard- und Softwareentwicklung ein und dasselbe sind—und zwar von Anfang an.

            Die kulturelle „Evolution“ wäre in diesem Bild in bestimmten Aspekten des In- und Outputs der sich selbst vernetzenden Computer zu sehen.

            »Es bleibt die einfache Tatsache, dass bei den Singvögeln wichtige Merkmale ganz wesentlich über das Gehirn evolvieren (Anpassung an die Präferenzen der Weibchen), während bei den Pfauen Merkmale, die den gleichen Zweck erfüllen (Anpassung an die Präferenzen der Weibchen) ausschließlich genetisch evolvieren. Die Behauptung, das eine sei Evolution, das andere aber nicht, geht offenkundig in die Irre.«

            Sie bauen einen Strohmann auf. Was bei den Singvögeln nicht unter den Begriff Evolution fällt, das ist allein der Wandel der Melodien—sofern diese ausschließlich durch Lernen erworben und individuell variiert werden. Das ist analog zur menschlichen Sprache. Die wandelt sich ja auch nicht aus sich selbst heraus, sondern aufgrund der Kreativität ihrer Sprecher.

            Wobei klar sein dürfte, dass das Sprach-, Sing- und Lernvermögen ein Faktor ist, der den evolutionären Wandel beeinflussen kann (denn sonst gäbe es keine Gehirne mit diesen Fähigkeiten).

            » „Wie kann man denn nach dem Ableben noch seine Kompetenzen reproduzieren?“

            Sie werden von anderen zur eigenen Kompetenzreproduktion genutzt. «

            Dann war Ihre obige Formulierung (»Die meisten Freiberufler reproduzieren ihre Kompetenzen nur zu ihren Lebzeiten. Bei Joanne K. Rowling sähe das bereits anders aus«) wohl sinnentstellend verkürzt. Auch jemand wie Joanne K. Rowling kann ihre Kompetenzen nur zu ihren Lebzeiten reproduzieren. Wohl aber hinterlässt sie kulturelle Produkte, die von anderen zur eigenen Kompetenzreproduktion genutzt werden können—wenn die anderen es denn wollen.

            Demgegenüber haben Organismen keine Wahl, ob sie die von den Eltern erhaltenen genetischen Informationen nutzen wollen oder nicht.

            »Ich z. B. halte es nur noch für eine Frage der Zeit, bis der Papst auch die Pille und Kondome als generelles Mittel zur Empfängnisverhütung erlaubt. Das nennt man Anpassung.«

            Das ist wohl ein weiteres Beispiel dafür, dass in der biologischen Evolution der Prozess der „Anpassung“ auf fundamental andere Weise erfolgt als im kulturellen Bereich.

            »Das ist aber bei der Systemischen Evolutionstheorie nicht anders [als in der biologischen ET], nur dass bei ihr die Organismen durch selbstreproduktive Systeme ersetzt werden und ihnen neben den Genen auch andere Speicher- und Weitergabemöglichkeiten (d.h. Informationsverarbeitungsmöglichkeiten) zur Verfügung stehen.«

            „Nur“ ist gut.

            Basierend auf dem, was Sie insgesamt zur SET hier im Kommentarbereich geschrieben haben, wurde fast alles, was die Besonderheit und das Einzigartige der biologischen Evolution ausmacht, beim Versuch der Verallgemeinerung neu bzw. umdefiniert, wenn nicht gar eliminiert.

            Betrachten wir z. B. die „Weitergabemöglichkeiten“: Weitergeben kann man nur materielle Dinge (wie etwa die DNA). Abstrakta, Bewusstseinsinhalte, Fähigkeiten und dergleichen (auch Kompetenzen) können nicht weitergegeben werden, sondern sie müssen aktiv erworben werden. Dieser Unterschied mag systemtheoretisch vielleicht ohne Belang sein, aber evolutionstheoretisch, wenn es um die Mechanismen der Reproduktion bzw. Selbstreproduktion geht, ist das entscheidend.

            Summa summarum ist mein Eindruck, dass es sich bei der Systemischen Evolutionstheorie im Kern bloß den Versuch handelt, kulturellen Wandel systemtheoretisch (auch) mit Begriffen aus der Evolutionsbiologie zu beschreiben. Kann man machen, aber mir scheint, soweit ich das Ihren Kommentaren entnehmen kann, dieser Ansatz führt nicht wirklich zu neuen Erklärungen und Einsichten über die komplexe Dynamik kultureller Veränderungen.

            EOD? Oder gab es da noch etwas, auf das ich hätte eingehen sollen?

          • @Balanus

            Doch, ob Sie’s nun wahrhaben wollen oder nicht, man muss in einer biologischen Evolutionsdefinition deutlich machen, dass die Veränderungen der erblichen Merkmale nicht in ein und derselben Generation, sondern über Generationen hinweg erfolgen. Im Übrigen ist der von Ihnen zitierte Folgesatz nicht Teil der von Ihnen oben zitierten Evolutions-Definition.

            Doch, dieser Folgesatz ist Teil der Evolutions-Definition. In der Evolutionsdefinition kommt das Wort “vererbbar” vor, und der Folgesatz erklärt, was darunter zu verstehen ist. Damit wird dann allerdings auch der Generationenzusatz redundant.

            Wobei man aber nicht übersehen darf, dass in der biologischen Evolution Hard- und Softwareentwicklung ein und dasselbe sind—und zwar von Anfang an.

            Das war bei der Computerentwicklung nicht anders. Die ersten Computer waren fest programmiert. Selbst Abacus und Rechenschieber sind so. Erst mit John von Neumann kam die klare Trennung zwischen Hardware und Software.

            Die kulturelle „Evolution“ wäre in diesem Bild in bestimmten Aspekten des In- und Outputs der sich selbst vernetzenden Computer zu sehen.

            Was reden Sie denn da? Also wenn man nun gar keinen Plan von der Sache hat …

            Eine moderne Software (wie z. B. Google Chrome) können Sie auf unterschiedliche Hardwaresysteme aufspielen (PC, Notebook, Smartphone, …). Sie können 10 PCs betreiben, und die Software jedes Mal kopieren. Sie können sich einen leistungsfähigeren (“angepassteren”, “intelligenteren”) PC kaufen und die Software wieder aufspielen. Möglicherweise können Sie sie aber nicht auf ein leistungsschwächeres Modell zum Laufen bekommen. Sie können auf einem PC die Software aktualisieren, ohne sich einen neuen PC kaufen zu müssen. Bei den Browsern geschieht das heute automatisch in kurzen Abständen.

            Der Zusammenhang zur genetischen/kulturellen Evolution liegt auf der Hand: Ein Pfau kann seinen Schweif nur über die Fortpflanzung (in den Nachkommen) anpassen, denn er ist als Hardware realisiert, ein Singvogel kann dagegen seinen Gesang jederzeit ändern, denn er ist in weiten Teilen in Software realisiert, jedenfalls der Teil, den wir als “kulturell” bezeichnen.

            Sie bauen einen Strohmann auf. Was bei den Singvögeln nicht unter den Begriff Evolution fällt, das ist allein der Wandel der Melodien—sofern diese ausschließlich durch Lernen erworben und individuell variiert werden. Das ist analog zur menschlichen Sprache. Die wandelt sich ja auch nicht aus sich selbst heraus, sondern aufgrund der Kreativität ihrer Sprecher.

            So so, die Kreativität! Und auf was soll die Kreativität eines Singvogels beruhen? Leider kann man nicht geplant kreativ sein. Alle wirklich kreativen Menschen haben das bestätigt. Möglicherweise läuft im Gehirn so etwas wie Mutation, Speicherung und Selektion im Schnelldurchgang ab. Das Ergebnis sieht dann geplant aus. Im Grunde unterliegen Sie dem gleichen Gedankenfehler wie die Kreationisten, die sich in der Evolution auch nur das Endergebnis anschauen (z. B. Elefant) und dann meinen, dies könne nur das Resultat großer Kreativität gewesen sein.

            Wobei klar sein dürfte, dass das Sprach-, Sing- und Lernvermögen ein Faktor ist, der den evolutionären Wandel beeinflussen kann (denn sonst gäbe es keine Gehirne mit diesen Fähigkeiten).

            Damit meinen Sie sicherlich mal wieder, dass dieser Faktor den genetischen Wandel beeinflussen kann und sonst nichts, da es für Sie keine kulturelle Evolution gibt. Glücklicherweise vertreten Sie damit nur eine Exotenmeinung.

            Dann war Ihre obige Formulierung (»Die meisten Freiberufler reproduzieren ihre Kompetenzen nur zu ihren Lebzeiten. Bei Joanne K. Rowling sähe das bereits anders aus«) wohl sinnentstellend verkürzt. Auch jemand wie Joanne K. Rowling kann ihre Kompetenzen nur zu ihren Lebzeiten reproduzieren. Wohl aber hinterlässt sie kulturelle Produkte, die von anderen zur eigenen Kompetenzreproduktion genutzt werden können—wenn die anderen es denn wollen.

            Nein, sie hinterlässt nicht nur Produkte, sondern auch Kompetenzen. Bei Wissenschaftlern mag das noch deutlich offensichtlicher sein als bei Joanne Rowling.

            Demgegenüber haben Organismen keine Wahl, ob sie die von den Eltern erhaltenen genetischen Informationen nutzen wollen oder nicht.

            Was mal wieder die technischen Limitationen der biologischen Evolution aufzeigt. Glauben Sie mir: Wenn es eine Möglichkeit gäbe, die jeweils besten Eigenschaften der beiden Elterntiere an ihre Nachkommen weiterzugeben (z. B. die guten Augen der Mutter und die gute Nase des Vaters): Tiere würden davon Gebrauch machen. Warum? Weil es sich um einen evolutionären Vorteil handelte.

            Das ist wohl ein weiteres Beispiel dafür, dass in der biologischen Evolution der Prozess der „Anpassung“ auf fundamental andere Weise erfolgt als im kulturellen Bereich.

            Wenn die Anpassung im kulturellen Bereich exakt so erfolgte wie in der Biologie, gäbe es keinen Bedarf für Kultur.

            Basierend auf dem, was Sie insgesamt zur SET hier im Kommentarbereich geschrieben haben, wurde fast alles, was die Besonderheit und das Einzigartige der biologischen Evolution ausmacht, beim Versuch der Verallgemeinerung neu bzw. umdefiniert, wenn nicht gar eliminiert.

            Betrachten wir z. B. die „Weitergabemöglichkeiten“: Weitergeben kann man nur materielle Dinge (wie etwa die DNA). Abstrakta, Bewusstseinsinhalte, Fähigkeiten und dergleichen (auch Kompetenzen) können nicht weitergegeben werden, sondern sie müssen aktiv erworben werden. Dieser Unterschied mag systemtheoretisch vielleicht ohne Belang sein, aber evolutionstheoretisch, wenn es um die Mechanismen der Reproduktion bzw. Selbstreproduktion geht, ist das entscheidend.

            Gibt es irgendein Naturgesetz, welches postuliert, dass Information im Rahmen evolutionärer Prozesse nur im Push-Verfahren übertragen (oder meinetwegen repliziert) werden kann oder sollte? Mir ist keines bekannt. Es ist doch gerade das Problem der sich an der biologischen Evolution orientierenden Evolutionstheoretiker, dass sie vorschnell meinen, auch in allen anderen evolutionären Prozessen müsse alles so laufen wie in der Biologie. Beispiel: “Die biologische Evolution beruht auf dem Replikator ‘Gen’. Also muss jede Evolution auf Replikatoren beruhen.” Ungefähr so argumentiert Richard Dawkins in “Das egoistische Gen”. Ich halte den Schluss für problematisch.

            Summa summarum ist mein Eindruck, dass es sich bei der Systemischen Evolutionstheorie im Kern bloß den Versuch handelt, kulturellen Wandel systemtheoretisch (auch) mit Begriffen aus der Evolutionsbiologie zu beschreiben. Kann man machen, aber mir scheint, soweit ich das Ihren Kommentaren entnehmen kann, dieser Ansatz führt nicht wirklich zu neuen Erklärungen und Einsichten über die komplexe Dynamik kultureller Veränderungen.

            Hat sie doch längst geführt. Auch ist die SET erstaunlich kompatibel mit anders erzielten Resultaten in den Kulturwissenschaften, z. B. mit Theorien in der Ökonomie und den Organisationswissenschaften. Alle anderen allgemeinen Evolutionstheorien sind bislang daran gescheitert. Beispielsweise findet sich im Buch von Schurz kein einziges maßgebliches Resultat der Sozialwissenschaften, dass sich direkt aus seiner allgemeinen Evolutionstheorie herleiten lässt.

            Im Übrigen funktioniert die Wissenschaft so: Man versucht mit theoretischen Modellen die Welt zu beschreiben. Diese Modelle können sich grundsätzlich unterscheiden, selbst wenn sie den gleichen Gegenstand besitzen. Beispielsweise betrachtet die Memetik den Sprachwandel von den Memen aus, die SET jedoch von den Eigeninteressen der Akteure. Kreiiert oder übernimmt etwa ein Jugendlicher einen neuen Sprachausdruck, dann dient dies gemäß der SET eher der Abgrenzung gegenüber der Erwachsenenwelt und dem Statusgewinn in der eigenen Gruppe. Um eine maximale Verbreitung eines Mems geht es dabei jedoch nicht. Ähnlich sieht es bei neuen Erfindungen in Unternehmen aus: Die werden entweder schon bald patentiert oder aber auch völlig geheim gehalten.

            Sie möchten sich damit jedoch überhaupt nicht auseinander setzen. Ihnen geht es ausschließlich um die Sicherstellung des Alleinstellungsmerkmals der biologischen Evolution, damit die Evolutionsbiologen den Begriff ausschließlich für sich reklamieren können. Ihre obigen Argumente machen es mehr als deutlich. Und an etwas anderem sind Sie nicht interessiert. Wie schon geschrieben: Die Debatten mit Kreationisten laufen kein bisschen anders. Auch für die gilt, dass nicht sein kann, was nicht sein darf.

          • @Lena

            : »Doch, dieser Folgesatz ist Teil der Evolutions-Definition.«

            Sie schrieben im Kommentar vom 30. September 2015 13:31:

            Wikipedia definiert die biologische Evolution (wie in der Biologie üblich) wie folgt:

            „ Evolution (von lateinisch evolvere „entwickeln“) ist die allmähliche Veränderung der vererbbaren Merkmale einer Population von Lebewesen von Generation zu Generation.“

            In der Systemischen Evolutionstheorie würde man entsprechend sagen:

            „ Evolution ist die allmähliche Veränderung der reproduzierbaren Kompetenzen einer Population von selbstreproduktiven Systemen über die Zeit.“

            Wie man unmittelbar sieht, ist die biologische Evolutionsdefinition davon ein Spezialfall.

            Wie jeder sehen kann, ist der nachträglich angeführte Folgesatz in Wikipedia, der erklärt, was vererbbare Merkmale sind, auch auf Wikipedia nicht Teil der zitierten Evolutionsdefinition, ist es übrigens nirgends, in keiner mir bekannten wissenschaftlichen Definition.

            Doch davon mal abgesehen, Sie verwechseln beharrlich „vererbbare Merkmale“ mit „vererbbare Veränderungen“.

            Wenn Sie auf den Zusatz „von Generation zu Generation“ verzichten wollen, dann müssten Sie etwas Ähnliches formulieren wie:

            „Evolution (…) beruht auf vererbbaren Merkmalsveränderungen in einer Population von Lebewesen“

            Wie man unmittelbar sehen kann, ist der Evolutionsbegriff der SET keineswegs bloß eine Verallgemeinerung des biologischen Evolutionsbegriffs, sondern etwas völlig anderes.

            »Was reden Sie denn da? Also wenn man nun gar keinen Plan von der Sache hat …«

            Manchmal kommt es mir so vor, als lebten wir auf unterschiedlichen Planeten…

            Wenn man, wie Sie es getan haben, die biologische Evolution mit der Hardwareentwicklung in der Computerindustrie vergleicht, dann stimmt dieses Bild eben nicht, weil in der biologischen Evolution Hardware- und Softwareentwicklung eins sind.

            Wenn also Hardware und (lernfähige) Software in diesem Bild bereits für die biologische Evolution stehen, womit könnte man dann, wenn man im Bild bleiben will, die kulturelle Evolution vergleichen? Was meinen Sie? (Und nicht vergessen, die biologische Software ist lernfähig!)

            » So so, die Kreativität! Und auf was soll die Kreativität eines Singvogels beruhen?«

            Auf der Verschaltung bestimmter Neuronenverbände, die in der Lage ist, Tonfolgen neu zu ordnen oder zu imitieren. Dazu braucht es keinen (freien) Willen und kein Bewusstsein. Da ist nichts geplant. Allerdings ist die Kreativität eines Singvogels beim Erfinden neuer Melodien nicht vergleichbar mit der Kreativität eines Komponisten, der seine Einfälle abwägen und bewerten kann.

            »Im Grunde unterliegen Sie dem gleichen Gedankenfehler wie die Kreationisten, die sich in der Evolution auch nur das Endergebnis anschauen (z. B. Elefant) und dann meinen, dies könne nur das Resultat großer Kreativität gewesen sein.«

            Nein, Kreationisten meinen angesichts der Funktionalität lebender Gebilde, ein (intelligenter) Schöpfer müsse hier am Werke gewesen sein. Sie, die Kreationisten, können sich eben nicht vorstellen, wie „kreativ“ die blinde Natur sein kann.

            Im Falle der kulturellen Gebilde (Opern, Religionen, Unternehmen, Parlamente, etc.) handelt es sich eher nicht um einen kreationistischen Gedankenfehler, denn wer hier die blinde Natur am Werke sieht, dürfte es schwer haben, das zu begründen.

            »Damit meinen Sie sicherlich mal wieder, dass dieser Faktor [Lernvermögen] den genetischen Wandel beeinflussen kann und sonst nichts, da es für Sie keine kulturelle Evolution gibt.«

            Wenn ich abstreite, dass es eine kulturelle Evolution gibt, dann deshalb, weil ich mit dem Begriff Evolution die Sinn- und Ziellosigkeit des Wandels (von was auch immer) verbinde. Wenn man zeigen könnte, dass Veränderungen in Wirtschaft oder Politik oder Kunstbetrieb ähnlich blind, i.e. naturgesetzlich, erfolgen wie in der Natur, würde ich meine („exotische“) Position wohl überdenken. Dass Lernprozesse kulturelle Entwicklungen beeinflussen können, steht für mich außer Frage.

            Nochmal, die aus der Biologie bekannten Mechanismen der Evolution sind für mich eigentlich nicht das Entscheidende, mir kommt es vor allem auf das Ergebnis an, auf den resultierenden Prozess des Wandels. Dass mir bislang keine anderen Mechanismen untergekommen sind, hat vielleicht damit zu tun, dass diese Mechanismen womöglich doch essentiell für einen wahren Evolutionsprozess sind.

            »Nein, sie [Rowling] hinterlässt nicht nur Produkte, sondern auch Kompetenzen. Bei Wissenschaftlern mag das noch deutlich offensichtlicher sein als bei Joanne Rowling.«

            Ich habe an anderen Stellen bereits mehrfach dargelegt, wieso es kommunikationstechnisch unmöglich ist, Kompetenzen zu hinterlassen. Sie sind darauf nicht eingegangen. Offenbar sind Sie der Auffassung, wenn ein Wissenschaftler ein Lehrbuch verfasst, dann verbreitet er damit seine Kompetenz(en). Tatsächlich aber hat er lediglich ein Kulturprodukt geschaffen, das anderen helfen kann, selber Kompetenzen zu entwickeln. Ein kleiner, aber alles entscheidender Unterschied.

            »Glauben Sie mir: Wenn es eine Möglichkeit gäbe, die jeweils besten Eigenschaften der beiden Elterntiere an ihre Nachkommen weiterzugeben (z. B. die guten Augen der Mutter und die gute Nase des Vaters): Tiere würden davon Gebrauch machen. Warum? Weil es sich um einen evolutionären Vorteil handelte.«

            Zunächst wäre es nur von Vorteil im individuellen Leben (vermutlich, sicher kann man da nicht sein). Ob daraus ein evolutionärer Vorteil wird, hängt von weiteren Faktoren ab. Aber egal, der Punkt ist, wenn darüber bestimmt wird, welche Gene verändert und kombiniert werden, dann ist damit und insoweit die natürliche biologische Evolution ausgehebelt, dann findet Zucht statt, und die ist eine kulturelle, zielorientierte Unternehmung.

            »Es ist doch gerade das Problem der sich an der biologischen Evolution orientierenden Evolutionstheoretiker, dass sie vorschnell meinen, auch in allen anderen evolutionären Prozessen müsse alles so laufen wie in der Biologie.«

            Nun, als erstes wäre ja zu klären, welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit ein Prozess des Wandels als ‚evolutionär‘ eingestuft werden kann. Aber dazu muss man schon vorab einen Begriff davon haben, was das entscheidend Wichtige und Wesentliche bei einem Evolutionsprozess ist, was einen Evolutionsprozess von anderen Prozessen des Wandels unterscheidet. Ganz offensichtlich gibt es trotz der Erfolge evolutionsbiologischer Forschungen unterschiedliche Auffassungen darüber, was Evolution im Kern ausmacht.

            Der Evolutionsbegriff der SET erscheint mir demgegenüber ziemlich unspezifisch, weil völlig unterschiedliche Prozesse der Veränderung gleichermaßen als Evolution bezeichnet werden. Das ist fast so, als würde man Hunde und Katzen aufgrund systemtheoretischer Überlegungen in die Kategorie „Katzentiere“ einordnen, und würde dann Hunde als eine Sonderform der Katzentiere betrachten. Kann man machen, ergibt aber wenig Sinn.

            »Beispielsweise findet sich im Buch von Schurz kein einziges maßgebliches Resultat der Sozialwissenschaften, dass sich direkt aus seiner allgemeinen Evolutionstheorie herleiten lässt.«

            Das nun finde ich bemerkenswert, gerade weil Henning Lobin sich ausdrücklich auf das Buch von Gerhard Schurz stützt. Dass »die SET erstaunlich kompatibel mit anders erzielten Resultaten in den Kulturwissenschaften [ist], z. B. mit Theorien in der Ökonomie und den Organisationswissenschaften«, wundert mich überhaupt nicht, schließlich wurde bei der Formulierung der Theorie darauf geachtet, dass sie mit bestimmten kulturellen Vorgängen kompatibel ist.

            »Im Übrigen funktioniert die Wissenschaft so: Man versucht mit theoretischen Modellen die Welt zu beschreiben. Diese Modelle können sich grundsätzlich unterscheiden, selbst wenn sie den gleichen Gegenstand besitzen.«

            Im Falle der organismischen Evolution wären das dann wohl die Evolutionstheorie und die Intelligent-Design-Theorie: Ein Gegenstand, zwei völlig unterschiedliche Modelle.

            »Beispielsweise betrachtet die Memetik den Sprachwandel von den Memen aus, die SET jedoch von den Eigeninteressen der Akteure.«

            Gemäß der Memetik sind Ideen („Meme“) dann „evolutionär“ erfolgreich, wenn sie von vielen Akteuren aufgegriffen und geteilt werden. Wenn jemand eine Idee in die Welt setzt oder übernimmt, dann geschieht das durchaus aus einem gewissen „Eigeninteresse“ des Akteurs heraus. Zumindest dann, wenn dieser „Jemand“ ein Mensch ist. Und dann wird es eben kompliziert, dann geraten wir in Konflikt mit der Idee der biologischen Evolution, die ja als Vorlage für Dawkins‘ kulturelle Evolution dienen soll. Dem biologischen Evolutionsprozess sind aufgrund der biologischen Evolutionsmechanismen irgendwelche „Eigeninteressen“ naturgemäß fremd.

            So wie ich das sehe, liegt das vor allem an dem Mechanismus der Verbreitung von Information (‚Information‘ im weitesten Sinne): Die in den Genen enthaltene Information wird im Zuge der Reproduktion an die Nachkommen (nächste Generation!) weitergereicht. Die in Gehirnen enthaltene Information kann nicht direkt weitergereicht werden, sie muss erst in ein materielles Gebilde gegossen werden (Sprache, Text, was auch immer), und dieses Gebilde muss dann von anderen verstanden und als Information rekonstruiert bzw. reproduziert werden. In der Biologie braucht das Individuum nichts zu tun, um an die genetische Information zu kommen, die erhält es mit dem Beginn seiner Existenz. Kulturelle Information hingegen muss aktiv erworben werden, von den Artgenossen, den Eltern, von Freunden, aus Büchern, von Arbeitskollegen, von wem oder was auch immer.

            Die SET will diese völlig unterschiedlichen Vorgänge des Informationsflusses in einem einzigen Evolutionsmodell abbilden, wenn ich Sie recht verstanden habe. Warum? Das nützt weder der Evolutionsbiologie (die haben ihre eigenen Modelle und Theorien) noch nützt es den klassischen Geisteswissenschaften (die haben auch ihre spezifischen Modelle und Theorien). Eine Theorie, die alles zugleich irgendwie erklären will, erklärt vermutlich recht wenig. Insoweit dürfte @Anton Reutlinger Recht haben.

            »Ihnen geht es ausschließlich um die Sicherstellung des Alleinstellungsmerkmals der biologischen Evolution, damit die Evolutionsbiologen den Begriff ausschließlich für sich reklamieren können.«

            Genau genommen geht es mir um die wissenschaftliche Bedeutung des Begriffs. Dass es zur Evolution der Lebensformen auf diesem Planeten nichts Vergleichbares gibt, steht ja hoffentlich außer Frage.

            Vor rund 150 Jahren hätte man eigentlich dafür argumentieren müssen, den von Darwin entdeckten Prozess des Artenwandels nicht ‚Evolution‘ zu nennen, weil dieser Begriff aus der Alltagssprache die Sache nicht wirklich trifft. Aber nachdem er nun in der Biologie etabliert ist, kann man dafür argumentieren, dass dessen spezifische wissenschaftliche Bedeutung erhalten bleibt und nicht verwässert wird. Denn dafür gibt es viele gute Gründe.

        • @Balanus

          Wie jeder sehen kann, ist der nachträglich angeführte Folgesatz in Wikipedia, der erklärt, was vererbbare Merkmale sind, auch auf Wikipedia nicht Teil der zitierten Evolutionsdefinition, ist es übrigens nirgends, in keiner mir bekannten wissenschaftlichen Definition.

          Natürlich ist er das. In der biologischen Evolutionsdefinition wird der Begriff “vererbbare Merkmale” verwendet, in der Evolutionsdefinition der SET der Begriff “reproduzierbare Kompetenzen”. In beiden Fällen sind diese Begriffe noch zu erklären. Auf Wikipedia geschieht das für den biologischen Evolutionsbegriff im zitierten Folgesatz.

          Doch davon mal abgesehen, Sie verwechseln beharrlich „vererbbare Merkmale“ mit „vererbbare Veränderungen“.

          Wie kommen Sie denn darauf?

          Wenn Sie auf den Zusatz „von Generation zu Generation“ verzichten wollen, dann müssten Sie etwas Ähnliches formulieren wie:

          „Evolution (…) beruht auf vererbbaren Merkmalsveränderungen in einer Population von Lebewesen“

          Wie kommen Sie denn darauf?

          Wie man unmittelbar sehen kann, ist der Evolutionsbegriff der SET keineswegs bloß eine Verallgemeinerung des biologischen Evolutionsbegriffs, sondern etwas völlig anderes.

          Wenn man das leicht sehen könnte, würde ich es auch sehen. Das ist leider nicht der Fall.

          Manchmal kommt es mir so vor, als lebten wir auf unterschiedlichen Planeten…

          … und Sie dabei weit jenseits des Neptun.

          Wenn man, wie Sie es getan haben, die biologische Evolution mit der Hardwareentwicklung in der Computerindustrie vergleicht, dann stimmt dieses Bild eben nicht, weil in der biologischen Evolution Hardware- und Softwareentwicklung eins sind.

          Das ist nichts anderes als problematischer Waschkismus. Wie ich bereits schrieb (haben Sie das wirklich nicht mitbekommen?), gab es die Trennung in Hardware und Software zu Beginn der Computerrevolution ebenfalls nicht. Sie beruht auf späteren Erkenntnissen.

          Wenn also Hardware und (lernfähige) Software in diesem Bild bereits für die biologische Evolution stehen, womit könnte man dann, wenn man im Bild bleiben will, die kulturelle Evolution vergleichen? Was meinen Sie? (Und nicht vergessen, die biologische Software ist lernfähig!)

          In diesem Bild steht die Biologie ausschließlich für die Hardware. So sieht das übrigens selbst die normale Bevölkerung. Wenn jemand z. B. sagt, Intelligenz sei maßgeblich erblich bedingt, dann sagt er nichts anderes, als dass wesentliche Teile der Intelligenz in Hardware realisiert sind (man kann sie dann nicht einfach ändern, sondern muss gewissermaßen mit seinen Möglichkeiten leben). Deshalb findet darüber stets eine hitzige Debatte statt.

          Auf der Verschaltung bestimmter Neuronenverbände, die in der Lage ist, Tonfolgen neu zu ordnen oder zu imitieren. Dazu braucht es keinen (freien) Willen und kein Bewusstsein. Da ist nichts geplant. Allerdings ist die Kreativität eines Singvogels beim Erfinden neuer Melodien nicht vergleichbar mit der Kreativität eines Komponisten, der seine Einfälle abwägen und bewerten kann.

          Woher wollen Sie das wissen? Vielleicht wägt der Vogel auch ab. Möglichkeiten dazu hat er jedenfalls. Die Weibchen übrigens auch, sonst könnten sie nicht entscheiden, ob sie den Gesang A besser als den Gesang B finden.

          Nein, Kreationisten meinen angesichts der Funktionalität lebender Gebilde, ein (intelligenter) Schöpfer müsse hier am Werke gewesen sein. Sie, die Kreationisten, können sich eben nicht vorstellen, wie „kreativ“ die blinde Natur sein kann.

          Weil Sie, wie ich schrieb, nur das Endergebnis (den fertigen Elefanten) sehen und nicht den evolutionären Prozess, der dazu geführt hat. Den gleichen Fehler machen Sie bei großen geistigen Leistungen von Menschen. Sie wissen doch gar nicht, welche Selektionsprozesse vorher in deren Gehirn stattgefunden haben, um so etwas hervorzubringen. Offenbar können Sie sich den Prozess dahin genauso wenig vorstellen wie die Kreationisten den biologischen Evolutionsprozess.

          Im Falle der kulturellen Gebilde (Opern, Religionen, Unternehmen, Parlamente, etc.) handelt es sich eher nicht um einen kreationistischen Gedankenfehler, denn wer hier die blinde Natur am Werke sieht, dürfte es schwer haben, das zu begründen.

          Peter Atkins tut in seinen Büchern genau das. Sie wissen wer Atkins ist?
          https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Atkins_(Chemiker)

          Wenn ich abstreite, dass es eine kulturelle Evolution gibt, dann deshalb, weil ich mit dem Begriff Evolution die Sinn- und Ziellosigkeit des Wandels (von was auch immer) verbinde. Wenn man zeigen könnte, dass Veränderungen in Wirtschaft oder Politik oder Kunstbetrieb ähnlich blind, i.e. naturgesetzlich, erfolgen wie in der Natur, würde ich meine („exotische“) Position wohl überdenken. Dass Lernprozesse kulturelle Entwicklungen beeinflussen können, steht für mich außer Frage.

          Ich werde es Ihnen bestimmt nicht noch einmal erklären. Das wäre genauso sinnlos, wie einem Kreationisten die Evolution erklären zu wollen.

          Nochmal, die aus der Biologie bekannten Mechanismen der Evolution sind für mich eigentlich nicht das Entscheidende, mir kommt es vor allem auf das Ergebnis an, auf den resultierenden Prozess des Wandels. Dass mir bislang keine anderen Mechanismen untergekommen sind, hat vielleicht damit zu tun, dass diese Mechanismen womöglich doch essentiell für einen wahren Evolutionsprozess sind.

          Wenn Sie immer die gleichen Bücher lesen, können Ihnen auch keine anderen Mechanismus unterkommen. Es gibt dazu zahllose Ansätze, die SET ist bei Weitem nicht der einzige.

          Ich habe an anderen Stellen bereits mehrfach dargelegt, wieso es kommunikationstechnisch unmöglich ist, Kompetenzen zu hinterlassen. Sie sind darauf nicht eingegangen. Offenbar sind Sie der Auffassung, wenn ein Wissenschaftler ein Lehrbuch verfasst, dann verbreitet er damit seine Kompetenz(en). Tatsächlich aber hat er lediglich ein Kulturprodukt geschaffen, das anderen helfen kann, selber Kompetenzen zu entwickeln. Ein kleiner, aber alles entscheidender Unterschied.

          Nein, da liegen Sie falsch. Natürlich müssen kulturelle Kompetenzen individuell erworben werden. Ein Nürnberger Trichter existiert nicht. Aber wenn z. B. ein Fußballspieler den Ball auf eine ganz bestimmte Weise am Fuß führt, seine Gegner auf eine neuartige Weise ausspielt, sodass Millionen Spieler auf der Welt seine Tricks nachzuahmen versuchen, dann hinterlässt er primär seine Kompetenzen, d.h, sein Wissen, Fußball zu spielen. Wenn Ihnen das noch nicht einleuchtet, dann nehmen Sie meinetwegen Schach.

          Zunächst wäre es nur von Vorteil im individuellen Leben (vermutlich, sicher kann man da nicht sein). Ob daraus ein evolutionärer Vorteil wird, hängt von weiteren Faktoren ab. Aber egal, der Punkt ist, wenn darüber bestimmt wird, welche Gene verändert und kombiniert werden, dann ist damit und insoweit die natürliche biologische Evolution ausgehebelt, dann findet Zucht statt, und die ist eine kulturelle, zielorientierte Unternehmung.

          Darwin sprach von natürlicher bzw. sexueller Zuchtwahl. Er hat den Unterschied also nicht gesehen, den Sie hier aufzumachen versuchen. Wie auch immer: Sowohl in meinem Beispiel als auch bei der Damenwahl werden Merkmale selektiert, nicht Gene. Ob die Merkmale auf Genen oder etwas anderem beruhen, muss den Individuen nicht bekannt sein. Wesentlich ist dabei jedoch: In beiden Fällen erfolgt die Selektion nicht blind, sondern anhand von Fitnessindikatoren. Sie leugnen da etwas, das ganz eindeutig in der biologischen Evolution existiert.

          Nun, als erstes wäre ja zu klären, welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit ein Prozess des Wandels als ‚evolutionär‘ eingestuft werden kann. Aber dazu muss man schon vorab einen Begriff davon haben, was das entscheidend Wichtige und Wesentliche bei einem Evolutionsprozess ist, was einen Evolutionsprozess von anderen Prozessen des Wandels unterscheidet. Ganz offensichtlich gibt es trotz der Erfolge evolutionsbiologischer Forschungen unterschiedliche Auffassungen darüber, was Evolution im Kern ausmacht.

          Ja natürlich gibt es darüber unterschiedliche Auffassungen, selbst bei der Frage, was eigentlich Gegenstand der Evolution ist. Die SET hat lediglich einen eigenen Vorschlag für eine allgemeinere Evolutionsdefinition gemacht. Den kann man als fruchtbaren Ansatz ansehen oder es auch lassen. Mit Sicherheit falsch scheint mir lediglich die Waschke-Definition zu sein, gemäß der Evolution die Veränderung eines Systems im Laufe der Zeit ist. Da sähe ich Ansatzpunkte für Sie.

          Der Evolutionsbegriff der SET erscheint mir demgegenüber ziemlich unspezifisch, weil völlig unterschiedliche Prozesse der Veränderung gleichermaßen als Evolution bezeichnet werden. Das ist fast so, als würde man Hunde und Katzen aufgrund systemtheoretischer Überlegungen in die Kategorie „Katzentiere“ einordnen, und würde dann Hunde als eine Sonderform der Katzentiere betrachten. Kann man machen, ergibt aber wenig Sinn.

          Nein, ein wenig intelligenter ist die Definition schon. Sie ist auf keinen Fall so platt wie die Waschke-Definition oder Ihr Katzen/Hunde-Beispiel.

          Das nun finde ich bemerkenswert, gerade weil Henning Lobin sich ausdrücklich auf das Buch von Gerhard Schurz stützt.

          Das mag ja alles sein. Das behebt aber nicht den Mangel der Memetik, dass aus ihr bislang kein ernsthaftes Resultat der Sozialwissenschaften hergeleitet (reproduziert) werden konnte. Aus der SET folgt immerhin eine verallgemeinerte Fassung von Ricardos Theorem. Die Nobelpreisträger Paul Krugman und Paul Samuelson haben beide Ricardos Theorem als eines der fundamentalsten Sätze der Ökonomie hervorgehoben:

          https://de.wikipedia.org/wiki/Komparativer_Kostenvorteil#Samuelsons_Wertsch.C3.A4tzung_der_Theorie_des_komparativen_Kostenvorteils
          http://web.mit.edu/krugman/www/ricardo.htm

          Für Paul Krugman ist das Ricardos Theorem ähnlich fundamental wie die natürliche Selektion. Mersch behauptet an einer Stelle seines Buches gar, Ricardos Theorem sei gewissermaßen eine Verallgemeinerung des Prinzips der natürlichen Selektion.

          Eine Allgemeine Evolutionstheorie, mit der sich keine allgemein akzeptierten Resultate der Sozial- und Kulturwissenschaften reproduzieren lassen, kann man m. E. getrost vergessen.

          Dass »die SET erstaunlich kompatibel mit anders erzielten Resultaten in den Kulturwissenschaften [ist], z. B. mit Theorien in der Ökonomie und den Organisationswissenschaften«, wundert mich überhaupt nicht, schließlich wurde bei der Formulierung der Theorie darauf geachtet, dass sie mit bestimmten kulturellen Vorgängen kompatibel ist.

          Das ist eine reine Behauptung. Es ist alles andere als selbstverständlich, dass sich aus einer allgemeinen Evolutionstheorie sowohl Darwins Selektionstheorie als Spezialfall als auch fundamentale Resultate der Ökonomie herleiten lassen.

          Im Falle der organismischen Evolution wären das dann wohl die Evolutionstheorie und die Intelligent-Design-Theorie: Ein Gegenstand, zwei völlig unterschiedliche Modelle.

          Und andere Modelle ebenso (z. B. die Modelle des Santa-Fe-Institutes).

          Gemäß der Memetik sind Ideen („Meme“) dann „evolutionär“ erfolgreich, wenn sie von vielen Akteuren aufgegriffen und geteilt werden. Wenn jemand eine Idee in die Welt setzt oder übernimmt, dann geschieht das durchaus aus einem gewissen „Eigeninteresse“ des Akteurs heraus. Zumindest dann, wenn dieser „Jemand“ ein Mensch ist. Und dann wird es eben kompliziert, dann geraten wir in Konflikt mit der Idee der biologischen Evolution, die ja als Vorlage für Dawkins‘ kulturelle Evolution dienen soll. Dem biologischen Evolutionsprozess sind aufgrund der biologischen Evolutionsmechanismen irgendwelche „Eigeninteressen“ naturgemäß fremd.

          Dann scheinen Sie keine Bücher von Biologen zu lesen.

          So wie ich das sehe, liegt das vor allem an dem Mechanismus der Verbreitung von Information (‚Information‘ im weitesten Sinne): Die in den Genen enthaltene Information wird im Zuge der Reproduktion an die Nachkommen (nächste Generation!) weitergereicht. Die in Gehirnen enthaltene Information kann nicht direkt weitergereicht werden, sie muss erst in ein materielles Gebilde gegossen werden (Sprache, Text, was auch immer), und dieses Gebilde muss dann von anderen verstanden und als Information rekonstruiert bzw. reproduziert werden. In der Biologie braucht das Individuum nichts zu tun, um an die genetische Information zu kommen, die erhält es mit dem Beginn seiner Existenz. Kulturelle Information hingegen muss aktiv erworben werden, von den Artgenossen, den Eltern, von Freunden, aus Büchern, von Arbeitskollegen, von wem oder was auch immer.

          Die SET will diese völlig unterschiedlichen Vorgänge des Informationsflusses in einem einzigen Evolutionsmodell abbilden, wenn ich Sie recht verstanden habe. Warum? Das nützt weder der Evolutionsbiologie (die haben ihre eigenen Modelle und Theorien) noch nützt es den klassischen Geisteswissenschaften (die haben auch ihre spezifischen Modelle und Theorien). Eine Theorie, die alles zugleich irgendwie erklären will, erklärt vermutlich recht wenig. Insoweit dürfte @Anton Reutlinger Recht haben.

          Das ist kein sinnvoller Einwand. Genauso könnten Sie gegen die biologische Evolutionstheorie anführen, dass sie über Einzeller, Mehrzeller, Pflanzen, Tiere und Eusozialitäten die gleichen Evolutionsprinzipien stülpt, dabei seien die doch alle fundamental verschieden. Haben Sie keine besseren Einwände? Verallgemeinerung funktioniert immer so, dass sie bislang Getrenntes unter ein gemeinsames Dach vereint. Wenn man das von vornherein als unmöglich ausschließt, ist man vielleicht gar nicht am Thema interessiert.

          Genau genommen geht es mir um die wissenschaftliche Bedeutung des Begriffs. Dass es zur Evolution der Lebensformen auf diesem Planeten nichts Vergleichbares gibt, steht ja hoffentlich außer Frage.

          Vor rund 150 Jahren hätte man eigentlich dafür argumentieren müssen, den von Darwin entdeckten Prozess des Artenwandels nicht ‚Evolution‘ zu nennen, weil dieser Begriff aus der Alltagssprache die Sache nicht wirklich trifft. Aber nachdem er nun in der Biologie etabliert ist, kann man dafür argumentieren, dass dessen spezifische wissenschaftliche Bedeutung erhalten bleibt und nicht verwässert wird. Denn dafür gibt es viele gute Gründe.

          Die Sie leider nicht genannt haben. So bleibt es bei dem zweifelhaften Versuch, den Begriff der Evolution als Eigentum der Biologie zu festigen.

          • @Lena

            » [„] …. Sie verwechseln beharrlich „vererbbare Merkmale“ mit „vererbbare Veränderungen“.[“]

            Wie kommen Sie denn darauf?«

            Nun, das ergibt sich aus Ihren Äußerungen. Weil Sie offensichtlich meinen, man könne bei der Evolutionsdefinition (Wikipedia) auf die Spezifizierung „von Generation zu Generation“ verzichten.

            Beispiel: Körpergröße ist ein vererbbares Merkmal. Nun kann sich dieses Merkmal in einer Population verändern, z. B. in Richtung Zunahme. Nach Ihrer Definition wäre das bereits Evolution, denn es hat sich ja ein vererbbares Merkmal verändert. Tatsächlich kann es aber sein, dass bloß die Nahrungssituation besser war als in früheren Zeiten. Das heißt, die Größenzunahme, i. e. die Veränderung, ist in diesem Falle nicht vererbbar.

            Man sieht, es kommt auf vererbbare Veränderungen an, und nicht auf vererbbare Merkmale, denn die können sich aus vielerlei Gründen verändern.

            » [„] … Allerdings ist die Kreativität eines Singvogels beim Erfinden neuer Melodien nicht vergleichbar mit der Kreativität eines Komponisten, der seine Einfälle abwägen und bewerten kann.[“]

            Woher wollen Sie das wissen? Vielleicht wägt der Vogel auch ab. Möglichkeiten dazu hat er jedenfalls.«

            Ich hoffe, dass die SET nicht auf derlei wilden Spekulationen basiert…

            »Weil [s]ie [die Kreationisten], wie ich schrieb, nur das Endergebnis (den fertigen Elefanten) sehen und nicht den evolutionären Prozess, der dazu geführt hat. Den gleichen Fehler machen Sie bei großen geistigen Leistungen von Menschen. Sie wissen doch gar nicht, welche Selektionsprozesse vorher in deren Gehirn stattgefunden haben, um so etwas hervorzubringen.«

            Das Gegenteil ist richtig: Gerade weil ich Denkprozesse vor Augen habe, bestreite ich, dass das Ergebnis des Denkens durch einen evolutionären Prozess zustande gekommen ist.

            Vermutlich kommen Sie jetzt wieder mit irgendeinem Wissenschaftler, der der gleichen Auffassung ist wie Sie, und meinen, das würde irgendetwas beweisen. Ich halte nichts von einem „neuronalen Darwinismus“, wie ihn etwa Gerald Edelman vertritt (oder mal vertreten hat, ich weiß es nicht). Solche Vorstellungen beruhen auf einem falschen Verständnis von Evolution. Man kann das Etikett „Selektion“ auf viele Vorgänge draufpappen, das macht einen Vorgang noch lange nicht zu einem evolutionären Prozess.

            » Natürlich müssen kulturelle Kompetenzen individuell erworben werden. […] Aber wenn z. B. ein Fußballspieler den Ball auf eine ganz bestimmte Weise am Fuß führt, seine Gegner auf eine neuartige Weise ausspielt, sodass Millionen Spieler auf der Welt seine Tricks nachzuahmen versuchen, dann hinterlässt er primär seine Kompetenzen, d.h, sein Wissen, Fußball zu spielen.«

            Ja, sicher, wenn ich mir Fertigkeiten von jemandem abkucke, dann kann man sagen, dieser Jemand habe sie mir „hinterlassen“. Aber das ist eben bloß eine Redeweise, die nicht den tatsächlichen Vorgang beschreibt. Es wäre m. E. ein Fehler, dies in einer Evolutionstheorie nicht zu berücksichtigen.

            » [„] Aber egal, der Punkt ist, wenn darüber bestimmt wird, welche Gene verändert und kombiniert werden, dann ist damit und insoweit die natürliche biologische Evolution ausgehebelt, dann findet Zucht statt, und die ist eine kulturelle, zielorientierte Unternehmung.[“]

            Darwin sprach von natürlicher bzw. sexueller Zuchtwahl. Er hat den Unterschied also nicht gesehen, den Sie hier aufzumachen versuchen.«

            Da irren Sie sich, Darwin hat sehr genau unterschieden zwischen dem, was der Taubenzüchter bewusst mit den Tauben macht, und dem, was in der Natur von selbst geschieht. Für Darwin hatte die züchterische oder künstliche Selektion nicht das mindeste mit der natürlichen (sexuellen) Selektion zu tun (außer, dass ohne das Prinzip der natürlichen Evolution halt keine Tierzucht möglich wäre—die Tierzucht diente Darwin lediglich als anschauliches Modell für den Artenwandel). Diesen Unterschied zwischen Evolution und Züchtung können Sie 1:1 auf die biologische und sogenannte kulturelle Evolution übertragen.

            »Genauso könnten Sie gegen die biologische Evolutionstheorie anführen, dass sie über Einzeller, Mehrzeller, Pflanzen, Tiere und Eusozialitäten die gleichen Evolutionsprinzipien stülpt, dabei seien die doch alle fundamental verschieden.«

            Nein, dieser Vergleich hinkt gewaltig. Lebewesen sind fundamental gleich (DNA, Stoffwechsel, etc.). Dieses einheitliche Fundament ist die Basis der organischen Evolutionstheorie.

            »Verallgemeinerung funktioniert immer so, dass sie bislang Getrenntes unter ein gemeinsames Dach vereint.«

            Das mag im Prinzip richtig sein, aber ob eine formulierte Verallgemeinerung wirklich funktioniert, ist halt die Frage. Nach meiner Einschätzung kann es für den natürlichen und kulturellen Wandel kein einheitliches Evolutionsprinzip geben, dazu sind die Vorgänge und treibende Kräfte zu unterschiedlich. Es hat schon seinen Grund, warum man zwischen Teleonomie (Natur) und Teleologie (Kultur) fein säuberlich unterscheidet und nicht alles über einen Kamm schert.

            Ganz offenkundig passt unter das gemeinsame Dach der SET auch die Evolutionstheorie von Lamarck. Das macht die Sache in meinen Augen doch etwas suspekt.

            » [„]….Aber nachdem er [der Begriff ‚Evolution‘] nun in der Biologie etabliert ist, kann man dafür argumentieren, dass dessen spezifische wissenschaftliche Bedeutung erhalten bleibt und nicht verwässert wird. Denn dafür gibt es viele gute Gründe.[“]

            Die Sie leider nicht genannt haben.«

            Ich habe in gefühlten 100 Kommentaren nichts anderes getan, als zu begründen, warum man den biologischen Evolutionsbegriff nicht vernünftig verallgemeinern kann, ohne dass der Begriff Evolution seine spezifische Bedeutung verliert.

          • @Balanus

            Man sieht, es kommt auf vererbbare Veränderungen an, und nicht auf vererbbare Merkmale, denn die können sich aus vielerlei Gründen verändern.

            Das wäre beim Zusatz “von Generation zu Generation” nicht anders. Die vererbbaren Merkmale könnten sich von Generation zu Generation aufgrund unterschiedlicher Umweltbedingungen verändern. Mir ist nicht klar, was Sie überhaupt sagen wollen.

            Ich hoffe, dass die SET nicht auf derlei wilden Spekulationen basiert…

            Eine wilde Spekulation ist Ihre Annahme, dass der Mensch alles plant und Tiere nix.

            Gerade weil ich Denkprozesse vor Augen habe, bestreite ich, dass das Ergebnis des Denkens durch einen evolutionären Prozess zustande gekommen ist.

            Wer sprach denn von evolutionären Prozessen? Es war eigentlich nur von Selektionsprozessen die Rede. Die benötigen keine übergeordnete Planung, wie Sie stets behaupten.

            Man kann das Etikett „Selektion“ auf viele Vorgänge draufpappen, das macht einen Vorgang noch lange nicht zu einem evolutionären Prozess.

            Ja eben! Deshalb war ja auch nur von Selektionsprozessen die Rede.

            Ja, sicher, wenn ich mir Fertigkeiten von jemandem abkucke, dann kann man sagen, dieser Jemand habe sie mir „hinterlassen“. Aber das ist eben bloß eine Redeweise, die nicht den tatsächlichen Vorgang beschreibt. Es wäre m. E. ein Fehler, dies in einer Evolutionstheorie nicht zu berücksichtigen.

            Es wäre ein Fehler, eine Evolutionstheorie ausschließlich auf passiver und nicht auch auf aktiver Informationsweitergabe beruhen zu lassen. In der Natur kommt beides vor. Also sollte eine Evolutionstheorie beides unterstützen. Es gibt überhaupt keinen Grund für die willkürlichen Limitationen, die Sie der Evolutionstheorie auferlegen möchten, außer vielleicht Besitzstandsbewahrung.

            Darwin hat sehr genau unterschieden zwischen dem, was der Taubenzüchter bewusst mit den Tauben macht, und dem, was in der Natur von selbst geschieht. Für Darwin hatte die züchterische oder künstliche Selektion nicht das mindeste mit der natürlichen (sexuellen) Selektion zu tun…

            Schon wieder diese Ungenauigkeiten. Die natürliche Selektion hat in der Tat wenig mit der künstlichen Selektion eines Züchters zu tun. Bei der Damenwahl (als Teil der sexuellen Selektion) sieht das jedoch ganz anders aus. Das ist Zucht, wie bei einem Züchter. Deshalb sind ja auch die Ergebnisse teilweise so bizarr (siehe etwa Paradiesvögel). In der Natur kommt also auch hierbei beides vor. Eine Evolutionstheorie sollte beides unterstützen können.

            Lebewesen sind fundamental gleich (DNA, Stoffwechsel, etc.). Dieses einheitliche Fundament ist die Basis der organischen Evolutionstheorie.

            Lebewesen sind überhaupt nicht fundamental gleich. Sie gucken sich lediglich ein paar Merkmale aus, die bei allen Lebewesen vorkommen, und meinen dann, die seien einzig entscheidend. Also wenn Wissenschaft so laufen würde…

            Übrigens könnte man genauso behaupten, dass auch Unternehmen und Butterblumen fundamental gleich sind. Die Elemente (“Zellen”) von Unternehmen sind ihre Mitarbeiter, die haben auch DNA und Stoffwechsel. Wenn man will, kann man sich alles so zusammenbasteln, wie es einem in den Kram passt.

            Nach meiner Einschätzung kann es für den natürlichen und kulturellen Wandel kein einheitliches Evolutionsprinzip geben, dazu sind die Vorgänge und treibende Kräfte zu unterschiedlich. Es hat schon seinen Grund, warum man zwischen Teleonomie (Natur) und Teleologie (Kultur) fein säuberlich unterscheidet und nicht alles über einen Kamm schert.

            Wie kommen Sie denn auf diesen absurden Unterschied? Für Kultur reicht die Teleonomie genauso wie für die Biologie. Teleonomische Annahmen sind dafür nicht erforderlich.

            Ganz offenkundig passt unter das gemeinsame Dach der SET auch die Evolutionstheorie von Lamarck.

            Nein, siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Jean-Baptiste_de_Lamarck#Evolutionstheorie
            Diese Evolutionstheorie hat mit der SET nichts zu tun. Außer in einer billigen Polemik vielleicht.

            Ich habe in gefühlten 100 Kommentaren nichts anderes getan, als zu begründen, warum man den biologischen Evolutionsbegriff nicht vernünftig verallgemeinern kann, ohne dass der Begriff Evolution seine spezifische Bedeutung verliert.

            Ist Ihnen leider nicht gelungen. Ihre Argumente überzeugten nicht.

          • @Lena

            : » Die vererbbaren Merkmale könnten sich von Generation zu Generation aufgrund unterschiedlicher Umweltbedingungen verändern. Mir ist nicht klar, was Sie überhaupt sagen wollen.«

            Sie meinten weiter oben, es genüge in einer Evolutionsdefinition zu sagen, dass sich in einer Population vererbbare Merkmale mit der Zeit verändern. Ich hingegen sage, dass (a) die Veränderungen vererbbar sein müssen, und (b) diese Veränderungen von Generation zu Generation weitergegeben werden müssen. Und dass das in einer kulturellen Evolutionsdefinition nicht vorkommt. In der SET wird ‘Evolution’ so allgemein definiert, dass das, was die biologische Evolution (also die Blaupause der SET) überhaupt erst ermöglicht, keine Rolle mehr spielt.

            »Eine wilde Spekulation ist Ihre Annahme, dass der Mensch alles plant und Tiere nix.«

            In Wahrheit ist meine begründete Annahme, dass zwischen den Planungen des Menschen und denen der Tiere Welten liegen. Man braucht nur mit offenen Augen durch die Welt zu gehen, um das zu sehen.

            » » » “Gerade weil ich Denkprozesse vor Augen habe, bestreite ich, dass das Ergebnis des Denkens durch einen evolutionären Prozess zustande gekommen ist.“

            » Wer sprach denn von evolutionären Prozessen?«

            Na Sie, indem Sie auf vermeintliche Selektionsprozesse im Denkprozess hinwiesen, als es um Evolutionsprozesse ging. Im Übrigen zählen zu den Ergebnissen von Denkprozessen auch die Organisationsstrukturen von Wirtschaftsunternehmen, nur so als Beispiel.

            »Es wäre ein Fehler, eine Evolutionstheorie ausschließlich auf passiver und nicht auch auf aktiver Informationsweitergabe beruhen zu lassen. In der Natur kommt beides vor. Also sollte eine Evolutionstheorie beides unterstützen. Es gibt überhaupt keinen Grund für die willkürlichen Limitationen, die Sie der Evolutionstheorie auferlegen möchten, außer vielleicht Besitzstandsbewahrung.«

            Entscheidend ist, was eine Theorie erklären soll. Wenn der Wandel der Arten erklärt werden soll, dann wird man vernünftigerweise eine biologische Theorie formulieren. Darin kommen selbstredend dann auch Lernprozesse vor (wird von einigen auch als „epigenetische Vererbung“ bezeichnet). Aber durch Lernen erworbene Fähigkeiten und Fertigkeiten werden halt nur in Lamarcks Evolutionstheorie auf eine Weise weitergegeben, dass daraus ein Artenwandel resultieren kann.

            »Diese [Lamarcks] Evolutionstheorie hat mit der SET nichts zu tun.«

            Aha! Die Weitergabe erworbener Kompetenzen, die laut SET einen Evolutionsmechanismus darstellt, hat also nichts mit Lamarcks Evolutionstheorie zu tun, laut der individuell erworbene Eigenschaften an die nächste Generation weitergegeben werden. Klingt wenig überzeugend…

            »Bei der Damenwahl (als Teil der sexuellen Selektion) sieht das jedoch ganz anders aus. Das ist Zucht, wie bei einem Züchter. Deshalb sind ja auch die Ergebnisse teilweise so bizarr (siehe etwa Paradiesvögel).«

            Ich habe immer mehr den Eindruck, dass wesentliche Elemente der SET auf diesem speziellen (Miss-)Verständnis der darwinschen natürlichen sexuellen Selektion beruhen.

            »Lebewesen sind überhaupt nicht fundamental gleich. Sie gucken sich lediglich ein paar Merkmale aus, die bei allen Lebewesen vorkommen, und meinen dann, die seien einzig entscheidend. Also wenn Wissenschaft so laufen würde… «

            Ich kucke mir die Merkmale aus, die einen lebenden Organismus von z. B. einem Brötchen oder einer Fabrik unterscheiden. Ich denke, das ist zulässig. So läuft das halt in der Wissenschaft, auch wenn’s nicht gefällt…

            »Übrigens könnte man genauso behaupten, dass auch Unternehmen und Butterblumen fundamental gleich sind.«

            Kann man eben nicht. Wohl aber sind Unternehmer und Butterblumen fundamental gleich. Begründung: siehe oben.

            » Die Elemente (“Zellen”) von Unternehmen sind ihre Mitarbeiter, die haben auch DNA und Stoffwechsel. Wenn man will, kann man sich alles so zusammenbasteln, wie es einem in den Kram passt.«

            Das scheint mir eine recht treffende Beschreibung der Vorgehensweise bei der Entwicklung der SET zu sein.

            » Wie kommen Sie denn auf diesen absurden Unterschied? Für Kultur reicht die Teleonomie genauso wie für die Biologie.«

            Der von Ihnen respektierte Gerhard Vollmer ist auch auf diesen „absurden Unterschied“ zwischen Teleonomie und Teleologie gekommen:
            http://www.spektrum.de/lexikon/biologie/teleologie-teleonomie/65691

            » » » „Ich habe in gefühlten 100 Kommentaren nichts anderes getan, als zu begründen, warum man den biologischen Evolutionsbegriff nicht vernünftig verallgemeinern kann, ohne dass der Begriff Evolution seine spezifische Bedeutung verliert.“

            Ist Ihnen leider nicht gelungen. Ihre Argumente überzeugten nicht.«

            Überzeugten Sie nicht. War eigentlich auch nicht zu erwarten, die SET scheint über jede Kritik erhaben zu sein. Macht aber nichts, mir kommt es nicht wirklich darauf an, andere von meinen Vorstellungen zu überzeugen, auch wenn ich ernsthaft versuche, Argumente zu finden, die an sich überzeugend sein müssten.

            Im Übrigen waren wir uns ja zumindest in einem Punkt einig, nämlich dass Wissen aktiv erworben werden muss. Mehr als Hilfestellungen leisten kann man da eh nicht.

          • @Balanus

            Sie meinten weiter oben, es genüge in einer Evolutionsdefinition zu sagen, dass sich in einer Population vererbbare Merkmale mit der Zeit verändern. Ich hingegen sage, dass (a) die Veränderungen vererbbar sein müssen, und (b) diese Veränderungen von Generation zu Generation weitergegeben werden müssen. Und dass das in einer kulturellen Evolutionsdefinition nicht vorkommt.

            Im kulturellen Bereich gibt es kein klares Generationenkonzept mehr wie in der Biologie, deshalb ist das Generationenkonzept in Allgemeinen Evolutionstheorien nicht zu gebrauchen. Selbstverständlich setzt auch die SET voraus, dass reproduzierbare Kompetenzen gespeichert werden können, sie spricht schließlich vom Kompetenzerhalt. Der Mensch hat dazu im kulturellen Bereich u. a. die Schrift erfunden. Stellen Sie sich vor, jemand macht eine bedeutsame wissenschaftliche Entdeckung, kann aber niemand anderem davon berichten. Oder aber, er könnte zwar davon berichten, weigerte sich jedoch dazu. Könnte auf diese Weise eine Wissensevolution stattfinden? Natürlich nicht. Es gibt aber in den Wissenschaften den bekannten Spruch “auf den Schultern von Riesen”. Der drückt genau das aus, was die Evolution in den Wissenschaften ausmacht. Dabei wurden die Erkenntnisse Newtons jedoch Einstein nicht unfreiwillig eingeimpft, sondern er hat sie sich im Ausbildungsprozess angeeignet. Sie behaupten dagegen permanent, dass auf diese Weise keine Evolution entstehen könne, denn Evolution beschränke sich ausschließlich auf den blinden Wandel aus Mutation, Replikation und Selektion. Irgendwann wird’s langweilig.

            In der SET wird ‘Evolution’ so allgemein definiert, dass das, was die biologische Evolution (also die Blaupause der SET) überhaupt erst ermöglicht, keine Rolle mehr spielt.

            Wieso denn das? Nehmen wir ein einfaches Beispiel: Amazon entdeckt, dass ein Konkurrent auf seiner Website eine sehr kundenfreundliche Funktion integriert hat. Also gibt man den eigenen Programmierern den Auftrag, auch so etwas zu realisieren. Sie müssten also die neue Funktion in den genetischen Code (den Programmcode) der Amazon-Website integrieren. Kann dies automatisch (per Knopfdruck) erfolgen? Nein, dazu bedarf es kreativer Programmierer. Kurt Gödel, einer der größten Mathematiker aller Zeiten, hat das formal bewiesen.

            Die Natur steht vor vergleichbaren Problemen. Ein Mann betreibt 3 Stunden am Tag Bodybuilding, wodurch sich seine Muskeln ungemein kräftigen. Kann er diese Kräftigung an seine Kinder weitergegeben. Nein. Denn dazu bedürfte es eines automatischen Verfahrens, seine erworbenen Fähigkeiten in den genetischen Code (den Programmcode) seiner Nachkommen zu übersetzen, was es aber gemäß Kurt Gödel nicht geben kann. Wie man sieht: Man muss z. B. die wichtige Bedingung des Neo-Darwinismus überhaupt nicht separat annehmen oder gar systematisch verifizieren, wie es Weismann getan hat, denn sie folgt bereits aus der Struktur der genetischen Informationsweitergabe. Mersch weiß das, da er die entsprechenden mathematischen Arbeiten kennt. In der Biologie meint man dagegen, man sei irgendwie einzigartig mit seinen Problemen.

            In Wahrheit ist meine begründete Annahme, dass zwischen den Planungen des Menschen und denen der Tiere Welten liegen. Man braucht nur mit offenen Augen durch die Welt zu gehen, um das zu sehen.

            Bei den meisten Zeitgenossen eher nicht.

            Na Sie, indem Sie auf vermeintliche Selektionsprozesse im Denkprozess hinwiesen, als es um Evolutionsprozesse ging. Im Übrigen zählen zu den Ergebnissen von Denkprozessen auch die Organisationsstrukturen von Wirtschaftsunternehmen, nur so als Beispiel.

            Organisationen von Wirtschaftsunternehmen sind kein Ergebnis von Denkprozessen, sondern von komplexen (evolutionären) Abstimmungsprozessen. Unter Denkprozesse verstand ich die nicht dem Bewusstsein zugänglichen Prozesse im Gehirn, die vor dem bewussten Gedanken liegen. Am Ende sieht das Ergebnis (der Gedanke, der Geistesblitz) dann geplant aus, obwohl er es nicht war.

            Entscheidend ist, was eine Theorie erklären soll. Wenn der Wandel der Arten erklärt werden soll, dann wird man vernünftigerweise eine biologische Theorie formulieren. Darin kommen selbstredend dann auch Lernprozesse vor (wird von einigen auch als „epigenetische Vererbung“ bezeichnet). Aber durch Lernen erworbene Fähigkeiten und Fertigkeiten werden halt nur in Lamarcks Evolutionstheorie auf eine Weise weitergegeben, dass daraus ein Artenwandel resultieren kann.

            Ja, wenn man eine Situation wie bei einfachen, nichtintelligenten und nichtsozialen Lebewesen vorliegen hat, bei denen jegliche Informationsweitergabe an andere Individuen über das Genom erfolgt, dann wird man den Artenwandel wohl so beschreiben müssen, wie das in der biologischen Evolutionstheorie erfolgt. Aber noch einmal: Unter den genannten Prämissen folgt die biologische Evolutionstheorie vollständig aus den allgemeineren Prinzipien der SET. Das wurde formal bewiesen. Es ist deshalb nicht erforderlich, die biologische Evolutionstheorie so speziell zu formulieren, wie das aktuell getan wird. Und es ist darüber hinaus ein ganz schlimmer Fehler, zu behaupten, nur das sei Evolution und alles andere lediglich Entwicklung. Wir reden hier lediglich von Spezialfällen.

            Aha! Die Weitergabe erworbener Kompetenzen, die laut SET einen Evolutionsmechanismus darstellt, hat also nichts mit Lamarcks Evolutionstheorie zu tun, laut der individuell erworbene Eigenschaften an die nächste Generation weitergegeben werden. Klingt wenig überzeugend…

            Siehe meine Erläuterungen weiter oben am Beispiel Amazons. Kulturelle Evolution ist viel komplexer als die biologische Evolution, deshalb tut man sich bis heute schwer damit, sie zu verstehen und Prinzipien zu benennen.

            Ich habe immer mehr den Eindruck, dass wesentliche Elemente der SET auf diesem speziellen (Miss-)Verständnis der darwinschen natürlichen sexuellen Selektion beruhen.

            Für Darwin gab es keine “natürliche sexuelle Selektion” als Unterprinzip der natürlichen Selektion.

            Ich kucke mir die Merkmale aus, die einen lebenden Organismus von z. B. einem Brötchen oder einer Fabrik unterscheiden. Ich denke, das ist zulässig. So läuft das halt in der Wissenschaft, auch wenn’s nicht gefällt…

            Die gleichen Probleme haben Sie in der Natur massenhaft. Nehmen Sie nur als Beispiel Dawkins Buch vom erweiterten Phänotyp. Wenn man nichts von Systemtheorie versteht, kommen halt solche Gurkenlösungen heraus.

            Wohl aber sind Unternehmer und Butterblumen fundamental gleich. Begründung: siehe oben.

            Aha.

            Das scheint mir eine recht treffende Beschreibung der Vorgehensweise bei der Entwicklung der SET zu sein.

            Und der Vorgehensweise in der Biologie. Siehe etwa Maturana/Varela “Der Baum der Erkenntnis”, dort Kapitel 8 “Die sozialen Phänomene”. Darin spricht er von Kopplungen der dritten Art, hat gar eine eigene Box mit der Überschrift “Organismen und Gesellschaften”. Gleich zu Beginn heißt es:

            “Organismen und Gesellschaften gehören einer gleichen Klasse von Metasystemen an. Diese werden durch die Verbindung von autonomen Einheiten gebildet, die zellulär oder metazellulär sein können.”

            Das gleiche könnten Sie über Unternehmen sagen.

            Der von Ihnen respektierte Gerhard Vollmer ist auch auf diesen „absurden Unterschied“ zwischen Teleonomie und Teleologie gekommen:
            http://www.spektrum.de/lexikon/biologie/teleologie-teleonomie/65691

            Nein, eben nicht. Das Wort Kultur kommt im gesamten Text nicht einmal vor. Außerdem darf ich einmal mehr vor einem Missverständnis warnen. Für die SET evolvieren auch im kulturellen Bereich nicht die Kulturprodukte, sondern die Akteure (Wissenschaftler, Unternehmen, etc.). Kulturprodukte mögen durchaus einen Zweck haben. Aber bereits in Simon, Fritz B. (2007): Einführung in die systemische Organisationstheorie. Heidelberg: Carl-Auer, S. 29f. heißt es in aller Klarheit:

            “Überträgt man dieses Bild auf Organisationen, so zeigt sich, dass irgendwelche sachlichen Ziele gegenüber der reinen Selbsterhaltung des Systems sekundär sind. Das macht die Organisation als Typus des sozialen Systems in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Subsystemen so vielfältig verwendbar. (…) Hinzu kommt, dass an ihrem Zustandekommen und Erhalt eine größere Zahl an Akteuren beteiligt ist, die dies aufgrund ihrer eigenen, spezifischen Zwecke tun. Daher ist die Idee eines gemeinsamen, alle Beteiligten vereinigenden Ziels illusorisch.”

            Auch dieser Organisationswissenschaftler argumentiert also vollständig teleonomisch, genauso wie es in der Biologie üblich ist.

            Überzeugten Sie nicht. War eigentlich auch nicht zu erwarten, die SET scheint über jede Kritik erhaben zu sein. Macht aber nichts, mir kommt es nicht wirklich darauf an, andere von meinen Vorstellungen zu überzeugen, auch wenn ich ernsthaft versuche, Argumente zu finden, die an sich überzeugend sein müssten.

            Leider waren Ihre Argumente nicht überzeugend. Sie beharren darauf, dass es nichts anderes als die biologische Evolution geben kann und jede Abweichung davon dann keine Evolution mehr ist. Im Übrigen argumentieren Sie nicht speziell gegen die SET (das ist nur ein Modell einer Allgemeinen Evolutionstheorie), sondern u. a. gegen jegliche kulturelle Evolution und damit natürlich auch gegen all das, was der Blogbetreiber zum Gegenstand hat. Während ich letztlich nur die Frage stelle, ob das verwendete Evolutionsmodell dauerhaft tragfähig ist, stellen Sie bereits den gesamten Forschungsgegenstand infrage.

          • @Lena

            : »Im kulturellen Bereich gibt es kein klares Generationenkonzept mehr wie in der Biologie, deshalb ist das Generationenkonzept in Allgemeinen Evolutionstheorien nicht zu gebrauchen.«

            So kann man es natürlich auch sagen, was irgendwie nicht ins Konzept passt, ist halt nicht zu gebrauchen.

            Das ist in etwa so, als würde man, ausgehend von einer Theorie über das Fliegen, das Konzept der Flügel oder Tragflächen fallen lassen, damit eine verallgemeinerte Theorie über das Reisen formuliert werden kann (unter Einziehung von Bussen). Das mag ja noch angehen, aber wenn diese Theorie dann Allgemeine Flugtheorie genannt wird, dann stellt sich, finde ich, doch die Sinnfrage.

            »Es gibt aber in den Wissenschaften den bekannten Spruch “auf den Schultern von Riesen”. Der drückt genau das aus, was die Evolution in den Wissenschaften ausmacht.«

            Sie meinen, was Sie unter „Evolution in den Wissenschaften“ verstehen. Ich und andere nennen das wissenschaftlichen Fortschritt. Der beruht auf völlig anderen Mechanismen als der evolutionäre Wandel in der Natur. Ich werde das solange wiederholen, bis Sie nachvollziehbar dargelegt haben, warum man den wissenschaftlichen Fortschritt in Anlehnung an die biologische Evolution ebenfalls als „Evolution“ bezeichnen kann. Auch wenn’s langweilig wird.

            » Die Natur steht vor vergleichbaren Problemen [wie Amazon, wenn es um die Veränderung einer strukturgebundenen Information geht].«

            Ich fürchte, es führt leicht in die Irre, wenn man auf diese metaphorische Weise von Naturprozessen spricht.
            Bei Amazon werden Pläne und Ziele verfolgt, in der Natur nicht.
            Bei Amazon werden strukturgebundene Informationen gezielt verändert, in der Natur nicht.
            Darum beobachten wir bei Amazon bloß kulturelle Entwicklungen, in der Natur aber Evolution. So einfach ist das im Grunde.

            »Unter Denkprozesse verstand ich die nicht dem Bewusstsein zugänglichen Prozesse im Gehirn, die vor dem bewussten Gedanken liegen. Am Ende sieht das Ergebnis (der Gedanke, der Geistesblitz) dann geplant aus, obwohl er es nicht war.«

            Gedanken oder Ideen, die plötzlich im Bewusstsein aufscheinen, hält kein vernünftiger Mensch für geplant. Interessant wir die Sache erst, wenn mehrere Gedanken abgewogen werden und schließlich eine Idee übrigbleibt, die dann zu Handlungen führt, etwa zur Gründung oder Umstrukturierung eines Unternehmens. Diese Form der Selektion einer Handlungsoption aus einer Reihe von Möglichkeiten hat mit dem evolutionären Selektionsprozess nicht das mindeste zu tun. Dass das von Vertretern einer Allgemeinen Evolutionstheorie aus mir unerfindlichen Gründen anders gesehen wird, habe ich inzwischen mitgekriegt.

            »Für Darwin gab es keine “natürliche sexuelle Selektion” als Unterprinzip der natürlichen Selektion.«

            Selbst wenn Darwin die Sexuelle Selektion nicht als einen natürlichen Selektionsprozess betrachtet hätte (was er aber hat), die heutigen Evolutionsbiologen tun das, und zwar mit gutem Grund. Womöglich sieht man das in Allgemeinen Evolutionstheorien anders.

            » Nein, eben nicht. Das Wort Kultur kommt im gesamten Text nicht einmal vor.«

            Im oben verlinkten Text von Gerhard Vollmer über den Unterschied von Teleologie und Teleonomie heißt es:

            Didaktisch unbedenklich ist sie [die teleologische Sprechweise] allerdings nur dann, wenn sie nicht eine psychologisch-intentionale Fehlinterpretation nahelegt, die Pflanzen und Tieren Absichten zuschreibt.

            Natürlich gibt es Absichten, Zwecke, Pläne, Ziele, und zwar vor allem im Bereich menschlicher Handlungen (und in beschränktem Umfange auch bei Höheren Tieren). Dort sind teleologische Fragestellungen (Wozu-Fragen im intentionalen Sinne) durchaus sinnvoll.

            (Fettdruck von mir)

            Der „Bereich menschlicher Handlungen“ ist der Bereich der Kultur, was sonst. Und vor allem dort gibt es „Absichten, Zwecke, Pläne, Ziele“, mit den bekannten (kulturellen) Folgen.

            Ihre Behauptung, dass „[f]ür Kultur die Teleonomie genauso [reicht] wie für die Biologie“, steht also auf recht wackeligen Füßen. Viele menschliche Handlungen sind nun mal stark intentional geprägt, weshalb der kulturelle Wandel anderen Gesetzmäßigkeiten gehorcht als der biologische Wandel.

            »Sie beharren darauf, dass es nichts anderes als die biologische Evolution geben kann und jede Abweichung davon dann keine Evolution mehr ist.«

            Das trifft es nicht ganz. Ich behaupte, dass der Prozess der Phylogenese der Organismen (auf diesem Planeten) einzigartig ist, weshalb der Begriff „Evolution“ in der Biologie zu Recht eine ganz bestimmte, klar umrissene Bedeutung hat (ungeachtet der leicht unterschiedlichen Evolutionsdefinitionen, die in der Fachwelt kursieren).

            Diese spezifische Bedeutung des Begriffs lässt sich m. E. nicht so ohne weiteres auf andere Bereiche übertragen. Wenn außerhalb der Biologie von Evolution die Rede ist, dann wird zwar oft auf den biologischen Prozess angespielt (wie z. B. in der Mazda-Werbung: „Evolution einer Stilikone“), es kann aber auch etwas ganz anderes gemeint sein (z. B. Entwicklung von irgendetwas, oder einfach nur Fortschritt).

            Die Sache mit dem Begriff ‚Evolution‘ ist also schon ein bisschen komplizierter, als Sie das hier darstellen.

            Was nun die sogenannte ‚kulturelle Evolution‘ anbelangt, da geht es mir vor allem darum zu zeigen, dass in diesem zusammengesetzten Begriff das Wort ‚Evolution‘ eine andere Bedeutung hat als in der Biologie.

            Eine „Allgemeine Evolutionstheorie“ steht also vor dem Problem, unterschiedliche Prozesse des Wandels sinnvoll zu vereinen.

            Übrigens, wie wir wissen, sollte eine ordentliche Theorie falsifizierbar sein. Welche Beobachtung(en) würde(n) denn eine kulturelle Evolutionstheorie zum Einsturz bringen?

          • @Balanus

            Das ist in etwa so, als würde man, ausgehend von einer Theorie über das Fliegen, das Konzept der Flügel oder Tragflächen fallen lassen, damit eine verallgemeinerte Theorie über das Reisen formuliert werden kann (unter Einziehung von Bussen). Das mag ja noch angehen, aber wenn diese Theorie dann Allgemeine Flugtheorie genannt wird, dann stellt sich, finde ich, doch die Sinnfrage.

            Das ist ein völlig absurder und unpassender Vergleich, der allein der biologistischen Besitzstandswahrung am Evolutionsbegriff dient.

            Sie meinen, was Sie unter „Evolution in den Wissenschaften“ verstehen. Ich und andere nennen das wissenschaftlichen Fortschritt. Der beruht auf völlig anderen Mechanismen als der evolutionäre Wandel in der Natur. Ich werde das solange wiederholen, bis Sie nachvollziehbar dargelegt haben, warum man den wissenschaftlichen Fortschritt in Anlehnung an die biologische Evolution ebenfalls als „Evolution“ bezeichnen kann. Auch wenn’s langweilig wird.

            Dazu müsste es einen erkennbaren, zumindest minimalen Versuch Ihrerseits geben, zu verstehen, was etwa die SET unter Evolution in den Wissenschaften und unter Evolutionsakteuren und ihrer Anreicherung von Kompetenzen/Wissen versteht. Das ist nicht der Fall, insoweit wäre jede weitere Argumentation genauso zwecklos wie der Versuch, einen Kreationisten von der Evolutionstheorie zu überzeugen.

            Bei Amazon werden Pläne und Ziele verfolgt, in der Natur nicht.
            Bei Amazon werden strukturgebundene Informationen gezielt verändert, in der Natur nicht.

            Das ist spätestens mit der Damenwahl in der Natur falsch.

            Gedanken oder Ideen, die plötzlich im Bewusstsein aufscheinen, hält kein vernünftiger Mensch für geplant. Interessant wir die Sache erst, wenn mehrere Gedanken abgewogen werden und schließlich eine Idee übrigbleibt, die dann zu Handlungen führt, etwa zur Gründung oder Umstrukturierung eines Unternehmens. Diese Form der Selektion einer Handlungsoption aus einer Reihe von Möglichkeiten hat mit dem evolutionären Selektionsprozess nicht das mindeste zu tun.

            Dies mag mit dem Selektionsprozess der natürlichen Selektion nichts mehr zu tun haben, aber muss er denn damit etwas zu tun haben? Sie behaupten das immer, weil Sie an Dogmen glauben. Wie ich schon schrieb: Die Selektionsprozesse im Gehirn vor Etablierung eines Gedankens im Bewusstsein können genauso blind und planlos sein wie die in der Natur. Ihre Behauptung ist die ganze Zeit: Alles muss in der Evolution haarklein so laufen wie in der biologischen Evolution. Tut es das nicht, handelt es sich nicht um Evolution. Das ist mindestens genauso dogmatisch wie das Denken der Kreationisten.

            Selbst wenn Darwin die Sexuelle Selektion nicht als einen natürlichen Selektionsprozess betrachtet hätte (was er aber hat),

            Noch einmal: Darwin sah die Sexuelle Selektion zwar als einen natürlichen Selektionsprozess an, nicht aber als “natürliche Selektion”. Ihre Argumentationswiese ist unlauter! Dass Sie meine Worte dermaßen verdrehen ist eigentlich unglaublich.

            Im oben verlinkten Text von Gerhard Vollmer über den Unterschied von Teleologie und Teleonomie heißt es: (…)

            Nichts in diesem Zitat lässt den allgemeinen Schluss zu, den Sie gezogen haben (der Unterschied zwischen Biologie und Kultur sei Teleonomie versus Teleologie).

            Und vor allem dort gibt es „Absichten, Zwecke, Pläne, Ziele“, mit den bekannten (kulturellen) Folgen.

            Ja, bei den Akteuren. Aber nicht nur dort, denn Sie schreiben “vor allem”. Auch in der Natur findet man Absichten und Ziele. Unabhängig davon steht die Frage, ob die Evolution an sich Ziele verfolgt. Genau darum ging es doch stets. Kreationisten und IDler nehmen ein intelligentes Wesen an, dass Elefanten hervorbringt. Eine solche Planhaftigkeit findet man weder in der Biologie noch in der Kultur, auch wenn im Laufe der Evolution so etwas wie eine bedingte Planungsfähigkeit in den Akteuren evolviert ist (sie verstehen meinen Punkt?).

            weshalb der kulturelle Wandel anderen Gesetzmäßigkeiten gehorcht als der biologische Wandel.

            Die Akteure verfügen dann über mehr Fähigkeiten. Warum der biologische Wandel deshalb zwingend anderen Gesetzmäßigkeiten gehorchen muss als der kulturelle (nur weil in den Akteuren mal wieder per Evolution ein paar neue Kompetenzen evolviert sind), wird wohl immer Ihr Geheimnis bleiben. Irgendwie wäre das ja auch eine putzige Vorstellung von Evolution:

            “Zunächst verläuft die Evolution nach gewissen Prinzipien. Dabei entwickeln die Akteure (Lebewesen) immer mehr Fähigkeiten. Schließlich bringt die Evolution eine Fähigkeit hervor, die die Evolution beendet, denn alles was nun kommt, passt nicht mehr in das enge Korsett der Evolution, so wie sie vorher abgelaufen ist.”

            Wissenschaft geht irgendwie anders.

            Ich behaupte, dass der Prozess der Phylogenese der Organismen (auf diesem Planeten) einzigartig ist, weshalb der Begriff „Evolution“ in der Biologie zu Recht eine ganz bestimmte, klar umrissene Bedeutung hat (ungeachtet der leicht unterschiedlichen Evolutionsdefinitionen, die in der Fachwelt kursieren).

            Ja und? Nur weil die Phylogenese von einfachen Lebewesen einzigartig ist, muss man den Begriff der Evolution noch lange nicht einschränken.

            Diese spezifische Bedeutung des Begriffs lässt sich m. E. nicht so ohne weiteres auf andere Bereiche übertragen.

            Warum sollte man diese spezifische Bedeutung auf andere Bereiche übertragen? Ich halte schon den ganzen Ansatz für falsch.

            Die Sache mit dem Begriff ‚Evolution‘ ist also schon ein bisschen komplizierter, als Sie das hier darstellen.

            Sie ist möglicherweise komplexer, als Sie es sich vorstellen können.

            Eine „Allgemeine Evolutionstheorie“ steht also vor dem Problem, unterschiedliche Prozesse des Wandels sinnvoll zu vereinen.

            Sie steht vor allem vor dem Problem, Prozesse des Wandels zu entdecken und in eine Evolutionstheorie zu integrieren, die man sich in der Biologie möglicherweise überhaupt nicht vorstellen kann.

            Übrigens, wie wir wissen, sollte eine ordentliche Theorie falsifizierbar sein. Welche Beobachtung(en) würde(n) denn eine kulturelle Evolutionstheorie zum Einsturz bringen?

            Jede Falsifikation der biologischen ET für einfache Lebewesen wäre auch eine Falsifikation der SET. Ihr Argument geht daneben.

          • @Lena

            : »Jede Falsifikation der biologischen ET für einfache Lebewesen wäre auch eine Falsifikation der SET.«

            Das habe ich mir schon gedacht. Deshalb fragte ich speziell nach der Falsifikation einer kulturellen Evolutionstheorie (so es denn eine gibt). Denn eine solche kann man auch formulieren, wenn man meint, die Erde sei erst 6000 Jahre alt.

            »Warum sollte man diese spezifische Bedeutung [des biologischen Evolutionsbegriffs] auf andere Bereiche übertragen? Ich halte schon den ganzen Ansatz für falsch.«

            Das sehe ich auch so.

            »Warum der biologische Wandel deshalb zwingend anderen Gesetzmäßigkeiten gehorchen muss als der kulturelle (nur weil in den Akteuren mal wieder per Evolution ein paar neue Kompetenzen evolviert sind), wird wohl immer Ihr Geheimnis bleiben.«

            Nein, ich mache da kein Geheimnis draus. Um nur einen Punkt herauszugreifen: Der biologische Wandel, von dem hier die Rede ist, kann bekanntlich nur über Generationen hinweg erfolgen, der kulturelle Wandel hingegen kennt diese naturgegebene und notwendige Beschränkung nicht, der kann auch innerhalb einer Generationen erfolgen.

            »Kreationisten und IDler nehmen ein intelligentes Wesen an, dass Elefanten hervorbringt. Eine solche Planhaftigkeit findet man weder in der Biologie noch in der Kultur, auch wenn im Laufe der Evolution so etwas wie eine bedingte Planungsfähigkeit in den Akteuren evolviert ist (sie verstehen meinen Punkt?).«

            Ich fürchte, nein. Der Punkt ist m. E. folgender (habe ich oben schon mal ausgeführt, scheint aber nicht angekommen zu sein): Kreationisten und IDler schließen vom Design und der Komplexität der Lebewesen auf einen intelligenten Schöpfer. So, wie es eben bei einer Uhr durchaus naheliegend ist. Kreationisten und IDler übertragen folglich die Entstehungsgeschichte kultureller Artefakte auf das Naturgeschehen Evolution und glauben an einen Schöpfer bzw. intelligenten Designer.

            Was im Bereich der Biologie absurd ist, macht im Bereich der Kultur aber durchaus Sinn, denn Schöpfer und Designer findet man hier zuhauf. Und die sorgen dafür, dass ein Unternehmen wächst und gedeiht. Oder wollen Sie mir erzählen, dass das alles, wie in der Natur, ganz von selbst geschieht? Ich behaupte nicht, dass ein Einzelner es völlig in der Hand hätte, wie sich ein Unternehmen entwickelt, aber die Eigendynamik, die in der Regel entsteht, wenn viele Akteure zusammenkommen, diese nur schwer beherrsch- und steuerbar Eigendynamik ist nach meinem Verständnis eben auch etwas völlig anderes ein evolutionäres Geschehen.

            » Darwin sah die Sexuelle Selektion zwar als einen natürlichen Selektionsprozess an, …«

            Aha, also doch, dann frage ich mich, was es an meiner Formulierung von der „darwinschen natürlichen sexuellen Selektion“ zu kritisieren gab.

            Ich denke, ich verstehe schon, was Sie meinen: Natürliche Selektion findet für Sie in der belebten und unbelebten Umwelt statt, während sich der Mechanismus sexuelle Selektion aus dem (evolvierten) Verhalten der Individuen einer Spezies ergibt.

            »Dies [die Selektion einer Idee] mag mit dem Selektionsprozess der natürlichen Selektion nichts mehr zu tun haben, aber muss er denn damit etwas zu tun haben? Sie behaupten das immer, weil Sie an Dogmen glauben. […] Ihre Behauptung ist die ganze Zeit: Alles muss in der Evolution haarklein so laufen wie in der biologischen Evolution. Tut es das nicht, handelt es sich nicht um Evolution.«

            Das stimmt einfach nicht. Es muss nur im Prinzip so ablaufen wie in der Natur, das würde mir für einen Evolutionsprozess vollauf genügen. Ein Selektionsprozess wäre demnach nur dann ein Evolutionsmechanismus, wenn er ohne einen intelligenten Designer/Züchter auskommt. Irgendwo muss man die Grenzen schon ziehen, wenn kein Wischiwaschi herauskommen soll.

            ——„Bei Amazon werden Pläne und Ziele verfolgt, in der Natur nicht.
            Bei Amazon werden strukturgebundene Informationen gezielt verändert, in der Natur nicht.“

            »Das ist spätestens mit der Damenwahl in der Natur falsch.«

            Haben Sie die „Damen“ schon mal befragt? Sie schließen doch nur von der Damenwahl im Café Keese auf tierliches Verhalten, weil es auf den ersten Blick schön zu passen scheint. Was in den Tieren tatsächlich vorgeht, können Sie überhaupt nicht wissen. Absichtsvolles Handeln wird gemeinhin nur Menschen zugesprochen. Unter anderem deshalb sieht das Gesetz keine Haftstrafen für Tiere vor.

            » Das ist ein völlig absurder und unpassender Vergleich, …«

            Warum? Ich finde ihn sehr gelungen!

            Ich finde, wir sollten es hierbei belassen, die Argumente sind ausgetauscht, und @Henning Lobin hat das Rad „Digitale Meme“ an anderer Stelle wieder ein Stück weitergedreht.

          • @Balanus

            Um nur einen Punkt herauszugreifen: Der biologische Wandel, von dem hier die Rede ist, kann bekanntlich nur über Generationen hinweg erfolgen, der kulturelle Wandel hingegen kennt diese naturgegebene und notwendige Beschränkung nicht, der kann auch innerhalb einer Generationen erfolgen.

            Die Generationen wurden in der Biologie erst relativ spät eingeführt, davor gab es den horizontalen Gen-Transfer im großen Stil. Insgesamt: Was spielt das alles für eine Rolle? Sie können der Evolution doch keine Vorschriften machen, welche Mechanismen sie im Laufe der Zeit hervorbringt.

            Was im Bereich der Biologie absurd ist, macht im Bereich der Kultur aber durchaus Sinn, denn Schöpfer und Designer findet man hier zuhauf. Und die sorgen dafür, dass ein Unternehmen wächst und gedeiht. Oder wollen Sie mir erzählen, dass das alles, wie in der Natur, ganz von selbst geschieht? Ich behaupte nicht, dass ein Einzelner es völlig in der Hand hätte, wie sich ein Unternehmen entwickelt, aber die Eigendynamik, die in der Regel entsteht, wenn viele Akteure zusammenkommen, diese nur schwer beherrsch- und steuerbar Eigendynamik ist nach meinem Verständnis eben auch etwas völlig anderes ein evolutionäres Geschehen.

            Nein, Sie können der Evolution keine Vorschriften machen, wie sie sich zu entwickeln hat.

            Aha, also doch, dann frage ich mich, was es an meiner Formulierung von der „darwinschen natürlichen sexuellen Selektion“ zu kritisieren gab.

            Ihre ständige Subsummierung der sexuellen Selektion unter der natürlichen Selektion. Die ist falsch.

            Das stimmt einfach nicht. Es muss nur im Prinzip so ablaufen wie in der Natur, das würde mir für einen Evolutionsprozess vollauf genügen. Ein Selektionsprozess wäre demnach nur dann ein Evolutionsmechanismus, wenn er ohne einen intelligenten Designer/Züchter auskommt.

            Wenn er ohne einen übergreifenden Züchter auskommt. Ansonsten ist es egal, ob die Akteure intelligent sind oder nicht. Sie können der Evolution doch keine Auflagen machen, wie sie sich zu entwickeln hat.

            Haben Sie die „Damen“ schon mal befragt?

            Haben Sie sie schon befragt? Haben Sie schon mal einen Amerikaner gefragt, warum er Donald Trump wählen möchte? Ich möchte wetten, da kommt nichts Erbaulicheres heraus als bei der Wahl der Lappenstarweibchen.

          • @Lena

            : »Sie können der Evolution doch keine Vorschriften machen, welche Mechanismen sie im Laufe der Zeit hervorbringt.«

            Tut auch keiner, der bei Sinnen ist. Die Gefahr ist eher, dass man sich welche ausdenkt, bloß damit eine Theorie funktioniert. Wie wird der Evolutionsmechanismus, der den Wandel der Unternehmen maßgeblich vorantreibt, eigentlich genannt?

            »Ihre ständige Subsummierung der sexuellen Selektion unter der natürlichen Selektion. Die ist falsch.«

            Sexuelle Selektion ist nach gängiger biologischer Auffassung Teil der natürlichen Selektion. Was ist falsch daran?

            »Wenn er [der Selektionsprozess] ohne einen übergreifenden Züchter auskommt. Ansonsten ist es egal, ob die Akteure intelligent sind oder nicht. Sie können der Evolution doch keine Auflagen machen, wie sie sich zu entwickeln hat.«

            Welcher „Evolution“? Und was heißt „übergreifend“? Sobald ein intelligenter Akteur in das natürliche (organische) Evolutionsgeschehen eingreift, d.h., als willkürlicher Selektionsfaktor in Erscheinung tritt, ist es vorbei mit der reinen Natürlichkeit, dann sind die schönen Formeln der Populationsgenetik kaum noch anwendbar. Das gilt vermutlich nicht für den kulturellen Bereich, wo das Lamarck‘sche Evolutionsprinzip dominiert.

            »Haben Sie sie [die Vogeldamen] schon befragt?«

            Ethologen haben das getan, indirekt. Die Befunde deuten auf ein unbewusstes Verhalten in Abhängigkeit physiologischer Parameter (Hormone etc.) hin. Inwieweit so etwas die Wähler von Donald Trump oder Angela Merkel zutrifft, weiß ich nicht. Klar scheint mir, man kann sich seine Neigungen und Vorlieben nicht wirklich aussuchen. Auch intelligente Akteure haben nicht alles in der Hand.

          • @Balanus

            Die Gefahr ist eher, dass man sich welche ausdenkt, bloß damit eine Theorie funktioniert. Wie wird der Evolutionsmechanismus, der den Wandel der Unternehmen maßgeblich vorantreibt, eigentlich genannt?

            Ganz allgemein: Absolute und komparative Kompetenzverlustvermeidung. Bei Amöben: dito

            Bei Unternehmen würde man lediglich spezifischer von absoluter und komparativer Kernkompetenzverlustvermeidung sprechen.

            Man kann den Mechanismus direkt auf den 2. HS der TD zurückführen. Man kann ihn also physikalisch begründen.

            Sexuelle Selektion ist nach gängiger biologischer Auffassung Teil der natürlichen Selektion. Was ist falsch daran?

            Das ist nicht falsch, wenn es um die sexuelle Selektion im Rahmen der Haremsbildung geht. Für einen Systemtheoretiker ist es aber total falsch, wenn es um die Damenwahl geht. Darauf wies auch Karl Popper hin.

            Darwin hat das übrigens sehr genau gespürt. Für ihn war die Damenwahl nicht mit seiner natürlichen Selektion vereinbar.

            Ich habe Dawkins Begründung, warum sexuelle Selektion angeblich nur eine Unterform der natürlichen Selektion sei, genau studiert. Ich halte seine Argumente für nicht stichhaltig genug.

            Welcher „Evolution“? Und was heißt „übergreifend“? Sobald ein intelligenter Akteur in das natürliche (organische) Evolutionsgeschehen eingreift, d.h., als willkürlicher Selektionsfaktor in Erscheinung tritt, ist es vorbei mit der reinen Natürlichkeit, dann sind die schönen Formeln der Populationsgenetik kaum noch anwendbar.

            Ach darum geht es also, dass man die schönen Formeln der Populationsgenetik noch anwenden kann? Das hätte ich Ihnen gleich sagen können, dass man das bei der soziokulturellen Evolution nicht kann.

            Das gilt vermutlich nicht für den kulturellen Bereich, wo das Lamarck‘sche Evolutionsprinzip dominiert.

            Im kultuellen Bereich dominiert kein Lamarck’sches Evolutionsprinzip. Das ist pure Unkenntnis.

            Die Befunde deuten auf ein unbewusstes Verhalten in Abhängigkeit physiologischer Parameter (Hormone etc.) hin. Inwieweit so etwas die Wähler von Donald Trump oder Angela Merkel zutrifft, weiß ich nicht.

            Da trifft das genauso zu. Da geht es ebenfalls um Kompetenzverlustvermeidung. Am Ende meint man dann, man hätte sich aufgrund einer tollen intellektuellen Leistung für den einen oder anderen Kandidaten erschienen, dabei ging es nur um Eigeninteressen und persönliche Präferenzen, die irgendwann eine Entscheidung hervorgebracht haben.

            Wie meine Nachbarin bei der letzten Kommunalwahl. Erst wollte sie SPD wählen. Dann stand plötzlich die Kandidatin der CDU vor der Tür, hat ein paar nette Worte gesagt, ihr ein paar Heftchen in die Hand gedrückt, und daraufhin hat sie die gewählt. Die sei ja so nett.

            Klar scheint mir, man kann sich seine Neigungen und Vorlieben nicht wirklich aussuchen. Auch intelligente Akteure haben nicht alles in der Hand.

            Tja. Deshalb gestaltet man Evolutionstheorien besser so, dass sie damit klarkommen.

          • @Lena

            : »Ganz allgemein: Absolute und komparative Kompetenzverlustvermeidung. Bei Amöben:dito«

            Das scheint mir eine (etwas aufgeblähte) Umschreibung für Selbsterhaltung bzw. Lebenserhaltung zu sein. Lebewesen verhalten sich (in aller Regel) so, dass sie am Leben bleiben und sich fortpflanzen können. Unternehmen agieren so, dass sie bestehen bleiben und wachsen können. Das ist, aus meiner Sicht, für sich genommen noch kein Evolutionsmechanismus, sondern schlicht die Vorbedingung für ein evolutionäres Geschehen—zumindest bei Amöben.

            Die Beifügung „komparativ“ soll vermutlich darauf hindeuten, dass die Lebenserhaltung bei Lebewesen und Unternehmen im Vergleich oder relativ zu anderen („Mitbewerbern“) betrachtet wird. In der Biologie wäre die Entsprechung vermutlich der „differentielle Reproduktionserfolg“.

            »Darwin hat das übrigens sehr genau gespürt. Für ihn war die Damenwahl nicht mit seiner natürlichen Selektion vereinbar.«

            Mir ist nicht ganz klar, was Sie mit „nicht vereinbar“ meinen. ‚Sexuelle Selektion‘ ist ein spezieller Evolutionsmechanismus im Rahmen der ‚Natürlichen Selektion‘, der vor allem den Geschlechtsdimorphismus bei bestimmten Spezies erklärt. Es liegt doch auf der Hand, dass die ‚Sexuelle Selektion‘ nur eine weitere Komponente im evolutionären Gesamtgeschehen sein kann, neben anderen Mechanismen wie etwa der genetischen Drift.

            Wenn Darwin etwas „genau gespürt“ hat, dann wohl, dass Zufallsvariationen und Umweltbedingungen alleine nicht sämtliche morphologischen Bildungen erklären können und dass das evolvierte Paarungsverhalten manche der nutzlos erscheinenden Eigenschaften erklären kann.

            »Ach darum geht es also, dass man die schönen Formeln der Populationsgenetik noch anwenden kann? Das hätte ich Ihnen gleich sagen können, dass man das bei der soziokulturellen Evolution nicht kann.«

            Das brauchten Sie mir nicht zu sagen. Ich weiß ja, dass es bei sogenannten soziokulturellen Evolution nichts zu messen und zählen gibt. Wäre es anders, könnte man über das Label „Evolution“ vielleicht diskutieren.

            »Im kultuellen Bereich dominiert kein Lamarck’sches Evolutionsprinzip. Das ist pure Unkenntnis.«

            Ohne die Weitergabe individuell erworbener Kompetenzen, Fähigkeiten und Eigenschaften gäbe es wohl keine kulturellen Entwicklungen. Warum wehren Sie sich so dagegen, dass dieses Prinzip, wenn es denn ein Evolutionsprinzip sein soll, „lamarckistisch“ genannt wird? Das ist doch nichts Ehrenrühriges.

          • @Balanus

            Das scheint mir eine (etwas aufgeblähte) Umschreibung für Selbsterhaltung bzw. Lebenserhaltung zu sein. Lebewesen verhalten sich (in aller Regel) so, dass sie am Leben bleiben und sich fortpflanzen können. Unternehmen agieren so, dass sie bestehen bleiben und wachsen können.

            Nein, bei Lebewesen beinhaltet es auch die Fortpflanzung (das ist Kompetenzverlustvermeidung mit einer niedrigen Zeitpräferenz). Wenn Eltern sparen, damit es ihre Kinder später einmal besser haben, tun sie im Grunde genau das Gleiche.

            Das ist, aus meiner Sicht, für sich genommen noch kein Evolutionsmechanismus, sondern schlicht die Vorbedingung für ein evolutionäres Geschehen—zumindest bei Amöben.

            Es ist die Grundannahme (aus der sich die Mechanismen der SET gewissermaßen ableiten), ähnlich wie die Gen-Egoismus-Annahme bei Dawkins.

            Mir ist nicht ganz klar, was Sie mit „nicht vereinbar“ meinen. ‚Sexuelle Selektion‘ ist ein spezieller Evolutionsmechanismus im Rahmen der ‚Natürlichen Selektion‘, der vor allem den Geschlechtsdimorphismus bei bestimmten Spezies erklärt.

            Darwin ging davon aus, dass die Natürliche Selektion bestimmte Formen des Geschlechtsdimorphismus (z. B. die großen Pfauenschweife) eben gerade nicht erklären könne. Aber seine Natürliche Selektion war ja auch noch vollständig, so wie sie von Ernst Mayr in “Das ist Evolution” erklärt wird. Heute formuliert man sie meist als reine Korrelationsbeziehung, die aber nichts erklärt. Mersch hat ein paar nette Beispiele beschrieben, mit der man sie ad absurdum führen kann.

            Es liegt doch auf der Hand, dass die ‚Sexuelle Selektion‘ nur eine weitere Komponente im evolutionären Gesamtgeschehen sein kann, neben anderen Mechanismen wie etwa der genetischen Drift.

            Ja und “Inclusive Fitness”, Mehrebenenselektion und was den Evolutionsbiologen demnächst sonst noch so alles einfallen mag. Vielleicht hat man in 100 Jahren 30 weitere Selektionsmechanismen gefunden.

            Wenn Darwin etwas „genau gespürt“ hat, dann wohl, dass Zufallsvariationen und Umweltbedingungen alleine nicht sämtliche morphologischen Bildungen erklären können und dass das evolvierte Paarungsverhalten manche der nutzlos erscheinenden Eigenschaften erklären kann.

            Das wäre doch schon was.

            Das brauchten Sie mir nicht zu sagen. Ich weiß ja, dass es bei sogenannten soziokulturellen Evolution nichts zu messen und zählen gibt. Wäre es anders, könnte man über das Label „Evolution“ vielleicht diskutieren.

            Mit soziokultureller Evolution beschäftigt sich u. a. die Ökonomie, zunächst vielleicht eher indirekt (immerhin mit sogenannten “Wachstumstheorien”), heute dann ganz offiziell unter dem Namen Evolutionsökonomik. Aber selbst Marx versuchte sich bereits als sozioökonomischer Evolutionstheoretiker.

            Man kann der Ökonomie sicherlich nicht vorwerfen, da gäbe es nichts zu messen und zu zählen. Im Gegenteil: Mersch geht in seinem Buch das Fitnessthema mit den Methoden der Ökonomen an und zeigt, dass der herkömmliche Fitnessbegriff der Biologen für den Bereich der Biologie widersprüchlich ist.

            Ohne die Weitergabe individuell erworbener Kompetenzen, Fähigkeiten und Eigenschaften gäbe es wohl keine kulturellen Entwicklungen. Warum wehren Sie sich so dagegen, dass dieses Prinzip, wenn es denn ein Evolutionsprinzip sein soll, „lamarckistisch“ genannt wird? Das ist doch nichts Ehrenrühriges.

            Weil die gesamte Denke Lamarcks auf Generationen und Individuen, die irgendetwas an die nächste Generation weitergeben, bestimmt war. Davon muss man sich bei der soziokulturellen Evolution lösen.

          • @Lena

            : »Es [die absolute und komparative Kompetenzverlustvermeidung] ist die Grundannahme (aus der sich die Mechanismen der SET gewissermaßen ableiten), ähnlich wie die Gen-Egoismus-Annahme bei Dawkins.«

            Aber auf diese (neuen?) Evolutionsmechanismen, die den Wandel der Unternehmen maßgeblich vorantreiben, zielte meine (abschließende) Frage.

            Bei Lamarck war es, bezogen auf Spezies, die Vererbung erworbener Eigenschaften, und bei Darwin war es die Vererbung zufälliger Variationen in Verbindung mit einer differentiellen Reproduktion. Was also postuliert die SET in Bezug auf Unternehmen?

  24. Es gibt keinen Zweifel, dass auch die Kultur auf einem biologischen Fundament ruht, den organismischen Fähigkeiten und Möglichkeiten des Menschen.

    Richtig. Damit sagen Sie (in der Terminologie der Systemischen Evolutionstheorie), dass sie auch auf den genetisch vermittelten Kompetenzen des Menschen beruht.

    Darüber hinaus aber ist Kultur ein Resultat des Geistes oder Bewusstseins, auf dem Fundament symbolischer Aktivitäten, insbesondere der Sprache. Hier verläuft die Bruchzone. Wie Thomas Kuhn für die Wissenschaft gezeigt hat, gibt es dort nicht nur Evolution, sondern auch Revolution. In der Technologie spricht man von Konstruktion, weil nicht der Gegenstand selber, aus sich heraus evolviert, sondern von einer systemfremden Instanz geplant und konstruiert wird, mit Ziel- und Zwecksetzung, im Gegensatz zur biologischen Evolution.

    Damit betrachten Sie die kulturelle Evolution so, wie es vor der Systemischen Evolutionstheorie üblich war, wie es beispielsweise Thomas Kuhn oder auch Richard Dawkins getan haben, nämlich von den Kulturprodukten aus. So redet man dann über die kulturelle Evolution von Melodien, von wissenschaftlichen Theorien, von technischen Geräten etc. Die Systemische Evolutionstheorie betrachtet Evolution jedoch immer von den Akteuren und ihren Kompetenzen aus. Und diese Kompetenzen können genetischer Art sein, sie können aber z. B. auch in Gehirnprozessen bestehen. Die technische Evolution der Mobiltelefone wird auf diese Weise auf die Evolution der Mobiltelefonhersteller und ihren Kompetenzen, Mobiltelefone herzustellen und zu vermarkten zurückgeführt, die Evolution der physikalischen Theorien auf die Evolution der Physiker etc. Man hat in den Wissenschaften sogar eigene kulturelle Mechanismen installiert (z. B. die Hochschulausbildung), mit denen das erlangte Wissen (die erlangten Kompetenzen) an die nächste Generation weitergegeben wird. Es handelt sich jedoch immer um Kompetenzen, die Wissenschaftler erlangt haben.

    Sieht man die Sache so, dann fällt all das, was Sie geschrieben haben, in sich zusammen, dann gibt es keine Planungen systemfremder Instanzen, keine Revolutionen, keinen Gegensatz zur biologischen Evolution, sondern lediglich eine Erweiterung um neue Kompetenzspeicherungsebenen mit anderen Formen der Reproduktion.

    Der Versuch, einen Sachverhalt zwanghaft unter einen gemeinsamen Oberbegriff zu subsumieren, führt meist zu unsinnigen Verrenkungen. Die biologische Evolution ist weder graduell oder kontinuierlich, noch unstetig, noch zufällig, noch logisch im mathematischen Sinn. Sie hat ihre eigenen Gesetze, auf Grund der unvergleichlichen Komplexität der Organismen.

    Ich sehe da keine Verrenkungen, sondern lediglich eine kanonische Verallgemeinerung. Man bleibt nämlich bei der Komplexität der Organismen, erweitert sie aber um die Ebene der Superorganismen, und natürlich um weitere Kompetenzspeicherungsebenen mit anderen Reproduktionsverfahren. Das ist schon alles. So, wie Sie die biologische Evolution aus der unvergleichlichen Komplexität der Organismen erklären, so erklärt die Systemische Evolutionstheorie die kulturelle Evolution aus der unvergleichlichen Komplexität der Evolutionsakteure (eine Verallgemeinerung der Organismen).

    Der Hauptfehler, der bei der kulturellen Evolution m. E. immer gemacht wurde (und da schließe ich die Memetik nicht aus), ist der, den ich eingangs erwähnte: Es wurde immer versucht, die kulturelle Evolution über den Wandel der Kulturprodukte zu erklären. Das finden Sie schon bei Dawkins mit seiner Melodienevolution bei den Lappenstaren. Das machte es notwendig, Replikatoren für Kulturprodukte zu postulieren, was äußerst problematisch ist. Die Herangehensweise der Systemischen Evolutionstheorie ist ganz anders, und zwar so, wie es auch bei der biologischen Evolutionstheorie der Fall ist: Im Zentrum stehen die Akteure mit ihren Kompetenzen. In der Biologie werden die Kompetenzen per Fortpflanzung weitergegeben. In diesem Fall macht es Sinn, von Replikatoren zu sprechen. Bei den kulturellen Kompetenzen kann es solche Replikatoren jedoch nicht geben, da sie z. B. in Unternehmen in Netzwerken vorgehalten werden. Netzwerke werden jedoch nicht repliziert. Das geht schon beim Gehirn nicht mehr.

    Das Charakteristikum der biologischen Evolution ist die Interaktion aller Lebensformen mit der Umwelt. Schon Jakob von Uexküll (1864-1944) hat dazu geforscht und die Ökologie mit Merkwelt und Wirkwelt entwickelt. Heute spricht man von “Nischenkonstruktion” und “extended evolutionary synthesis” (EES). Die Umwelt einer generalisierten, systemischen Evolutionstheorie wäre das gesamte Universum und damit wird sie inhaltsleer und wirklichkeitsfremd, verliert jede Aussagekraft.

    Nein, die Umwelt ist auch bei der Systemischen Evolutionstheorie nicht das gesamte Universum. Auch diese Theorie kennt Fokussierungen. Nehmen wir einmal die Bewegung des Mondes um die Erde. In einer ersten Annäherung kann man alle anderen Himmelsobjekte (einschließlich der Sonne) ignorieren und die Mondbewegung ausschließlich auf die Gravitation von Erde und Mond zurückführen. Will man es genauer haben, müsste man auch die Sonne und alle anderen Planeten mit einkalkulieren, wenn man es ganz genau haben wollte, müsste man alle Himmelsobjekte im gesamten Universum einkalkulieren. Es ist also auch in diesem Fall üblich, die Umwelt einzuschränken, um zu klaren Aussagen und einfachen Theorien zu gelangen.

    So ähnlich sieht es in der Biologie aus: Selbstverständlich bewegt sich ein Lebewesen nicht nur in seiner Nische, sondern im gesamten Universum. Es könnte z. B. ein Meteorid auf die Erde zurasen, der genau in diese Nische einschlagen wird. Selbstverständlich hätte dieser Meteorid Auswirkungen auf den Fortpflanzungserfolg unseres Lebewesens. Solche Fälle werden aber im Rahmen der biologischen Evolutionstheorie zunächst einmal ignoriert: Man betrachtet die Anpassung der Lebewesen in ihrer Nische und ihren relativen Fortpflanzungserfolg.

    Geht man im Rahmen der Systemischen Evolutionstheorie zur kulturellen Evolutionstheorie über, dann ändert sich an diesem Szenario nichts. Dann definiert man z. B. die Umwelt (Nische) der Hersteller von Mobiltelefonen als den “Markt der Mobiltelefone” und nicht das gesamte Universum, obwohl Letzteres genauer wäre. Oder man definiert die Umwelt (Nische) der Singvogelmännchen als die Population aus Weibchen und Männchen (Kunden und Wettbewerbern) und ignoriert dann sogar die gesamte sonstige Umwelt inklusive aller Fressfeinde. Es ändert sich nichts. Nichts wird inhaltsleer oder wirklichkeitsfremd, verliert seine Aussagekraft oder was auch immer. Alles funktioniert noch immer so, wie wir es von der biologischen Evolutionstheorie her kennen, es hat lediglich eine systemtheoretische Verallgemeinerung stattgefunden, das ist alles.

  25. @Lena

    Da Anton Reutlinger nicht über den bzw. seinen Evolutionsbegriff mit Ihnen diskutieren möchte, erlaube ich mir ein paar Anmerkungen zu Ihren Ausführungen. Sie schreiben:

    »Damit betrachten Sie [A. R.] die kulturelle Evolution so, wie es vor der Systemischen Evolutionstheorie üblich war, wie es beispielsweise Thomas Kuhn oder auch Richard Dawkins getan haben, nämlich von den Kulturprodukten aus. […] Die Systemische Evolutionstheorie betrachtet Evolution jedoch immer von den Akteuren und ihren Kompetenzen aus.«

    Wo, frage ich, ist da ein substanzieller Unterschied?

    Erkennbar wird Kultur nur an den kulturellen Produkten, sie manifestiert sich sozusagen in ihren Produkten, so wie sich die lebende Natur in den Organismen manifestiert.

    Darwin hat bei der Entwicklung seiner Evolutionstheorien nur die Organismen gesehen, das, was tatsächlich der Evolution unterliegt, nämlich die genetische Information, konnte er nicht sehen.

    Ganz analog verhält es sich mit der Kultur: Man sieht nur deren Produkte, nicht aber das, was laut der Systemischen ET der Evolution unterliegen soll, nämlich die den Produkten zugrundeliegenden „Kompetenzen“, also Gehirnprozesse oder neuronalen Verschaltungen oder Aktivitätsmuster.

    Heute können wir die organismische Evolution dank der molekularbiologischer Techniken direkt beobachten.

    Von den Gehirnprozessen, die zur Entwicklung von Mobiltelefonen geführt haben und die zu deren Produktion notwendig sind, wissen wir im Grunde nichts, da stehen wir (fast) auf der gleichen Erkenntnis-Stufe wie seinerzeit Darwin.

    Was Sie also als den Hauptfehler bei dem (hergebrachten) kulturellen Evolutionsverständnis bezeichnen, nämlich dass immer versucht wurde, die kulturelle Evolution über den Wandel der Kulturprodukte zu erklären, lässt sich m. E. gar nicht vermeiden, weil wir eben nichts anderes als diese Produkte haben, um überhaupt von Kultur sprechen zu können.

    Sie schreiben, dass diese bisherige Herangehensweise es notwendig machte,

    »Replikatoren für Kulturprodukte zu postulieren, was äußerst problematisch ist.«

    Sie meinen, vermute ich, Replikatoren für die *Produktion* bzw. die *Produzenten* von Kultur, wie z. B. Dawkins‘ „Meme“. Es scheint mir aber nicht sonderlich problematisch zu sein, (bildhaft oder abstrahierend) von Ideen zu sprechen, die sich vervielfältigen und fortpflanzen können.

    »Die Herangehensweise der Systemischen Evolutionstheorie ist ganz anders, und zwar so, wie es auch bei der biologischen Evolutionstheorie der Fall ist: Im Zentrum stehen die Akteure mit ihren Kompetenzen.«

    Ja, im Zentrum der biologischen Beobachtung stehen die Organismen mit ihren Eigenschaften, aber die Einheit der Evolution, also das, was die Zeiten überdauert und sich wandelt, ist die genetische Information, die in der Struktur der DNA codiert ist.

    »In der Biologie werden die Kompetenzen per Fortpflanzung weitergegeben. In diesem Fall macht es Sinn, von Replikatoren zu sprechen. Bei den kulturellen Kompetenzen kann es solche Replikatoren [wie in der Biologie] jedoch nicht geben, da sie z. B. in Unternehmen in Netzwerken vorgehalten werden. Netzwerke werden jedoch nicht repliziert. Das geht schon beim Gehirn nicht mehr.«

    Ja, das ist ein Problem, dass die den Ideen zugrundeliegenden Strukturen nicht (so wie die DNA) repliziert und auf diese Weise weitergegeben werden können. Sondern dass die Ideen via Trägermedium von anderen Individuen aufgenommen und reproduziert werden müssen.

    Ich weiß nun nicht genau, was Sie mit Netzwerken meinen, ist aber auch egal. Auf jeden Fall müssen die kulturellen Kompetenzen im Netzwerk auch auf physischen Trägern vorliegen. Und sobald die Kompetenzen in eine materielle Struktur überführt worden sind, also nicht mehr (allein) in Gehirnprozessen realisiert sind, haben wir es in einem gewissen Sinn mit kulturellen Produkten zu tun.

    Die von Ihnen aufgeführten „kulturellen Kompetenzen“ müssen also, wenn sie einem Wandel unterliegen sollen, erst zu Kulturprodukten (Texte und dergleichen) werden.

    Und damit wären wir wieder bei dem angelangt, was Sie als den „Hauptfehler“ herkömmlicher Kulturevolutionstheorien bezeichnen.

    • @Balanus

      Wo, frage ich, ist da ein substanzieller Unterschied?

      Erkennbar wird Kultur nur an den kulturellen Produkten, sie manifestiert sich sozusagen in ihren Produkten, so wie sich die lebende Natur in den Organismen manifestiert.

      Darwin hat bei der Entwicklung seiner Evolutionstheorien nur die Organismen gesehen, das, was tatsächlich der Evolution unterliegt, nämlich die genetische Information, konnte er nicht sehen.

      Nein, im Zentrum der biologischen Evolution stehen Lebewesen (Organismen) und ihre Merkmale. So steht es auch in aller Klarheit in der Definition der biologischen Evolution auf Wikipedia:

      Evolution (von lateinisch evolvere „entwickeln“) ist die allmähliche Veränderung der vererbbaren Merkmale einer Population von Lebewesen von Generation zu Generation.

      An dieser Stelle muss man noch überhaupt nichts über Gene wissen.

      Die Systemische Evolutionstheorie hat Lebewesen zu “selbstpreduktives System” (wobei sie genau beschreibt, was das ist) und Merkmal zu Kompetenz verallgemeinert. Ansonsten bleibt der obige Wikipedia-Satz unverändert.

      Ganz analog verhält es sich mit der Kultur: Man sieht nur deren Produkte, nicht aber das, was laut der Systemischen ET der Evolution unterliegen soll, nämlich die den Produkten zugrundeliegenden „Kompetenzen“, also Gehirnprozesse oder neuronalen Verschaltungen oder Aktivitätsmuster.

      Es ist doch egal, was man in diesem Zusammenhang sieht. Betrachten Sie einmal Pfauenmännchen und Lappenstarmännchen. Die einen balzen mit genetisch fixierten Schweifen, die anderen mit ihrem Gesang. Für die Systemische Evolutionstheorie sind beides “Kompetenzen” (zur Erlangung weiblicher Fortpflanzungsressourcen). Dabei betont sie, dass auch die Lappenstarweibchen in erster Linie keine Melodien, sondern genetisch vermittelte Fähigkeiten der Männchen bewerten, z. B. Ausdauer, Lautstärke, Intonation etc. Und ja: Das kulturelle Gesamtprodukt des Männchens (so, wie es den Gesang vorträgt) lässt Rückschlüsse auf seine Kompetenzen zu. Das ist bei kulturellen Produkten des Menschen (oder von Unternehmen) nicht anders, siehe die aktuelle VW Abgaskrise. Und so sieht es auch bei sprachlichen Kompetenzen des Menschen aus. Dazu gibt es unzählige wissenschaftliche Arbeiten.

      Ganz analog verhält es sich mit der Kultur: Man sieht nur deren Produkte, nicht aber das, was laut der Systemischen ET der Evolution unterliegen soll, nämlich die den Produkten zugrundeliegenden „Kompetenzen“, also Gehirnprozesse oder neuronalen Verschaltungen oder Aktivitätsmuster.

      Selbstverständlich sieht man auch die Kompetenzen, wie ich zuvor beschrieben habe. Und diese Kompetenzen werden auch bewertet. An der Börse sowieso. Es gibt eine ganze Industrie an Beratungsunternehmen, die fast nichts anderes tun, als die Kompetenzen von Unternehmen zu bewerten.

      Heute können wir die organismische Evolution dank der molekularbiologischer Techniken direkt beobachten.

      Von den Gehirnprozessen, die zur Entwicklung von Mobiltelefonen geführt haben und die zu deren Produktion notwendig sind, wissen wir im Grunde nichts, da stehen wir (fast) auf der gleichen Erkenntnis-Stufe wie seinerzeit Darwin.

      Ja und? Darwin hat die Evolutionsprinzipien der biologischen Evolution gefunden, ohne etwas von Genen zu wissen.

      Was Sie also als den Hauptfehler bei dem (hergebrachten) kulturellen Evolutionsverständnis bezeichnen, nämlich dass immer versucht wurde, die kulturelle Evolution über den Wandel der Kulturprodukte zu erklären, lässt sich m. E. gar nicht vermeiden, weil wir eben nichts anderes als diese Produkte haben, um überhaupt von Kultur sprechen zu können.

      Die Systemische Evolutionstheorie hat diesen Fehler aber vermieden. Sie konzentriert sich wieder auf die Akteure und deren Kompetenzen, nicht auf deren Produkte.

      Thomas Kuhn schreibt in “Die Struktur wissenschaftlicher Revolutonen”:

      Die Analogie zwischen der Evolution von Organismen und der Evolution wissenschaftlicher Ideen kann leicht zu weit getrieben werden. Doch im Hinblick auf die Fragen dieses Schlussabschnitts ist sie fast vollkommen. Der Prozess (…) ist die durch einen Konflikt innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft herbeigeführte Selektion des geeigneten Weges, die zukünftige Wissenschaft zu betreiben. Das Ergebnis einer Folge solcher revolutionären Selektionen, die mit Perioden normaler Forschung abwechselten, ist das wunderbar geeignete System von Werkzeugen, das wir moderne wissenschaftliche Erkenntnis nennen. Die aufeinanderfolgenden Stadien dieses Entwicklungsprozesses sind durch eine Steigerung der Artikulation und Spezialisierung markiert. Und der ganze Prozess kann so vor sich gegangen sein, wie wir es heute von der biologischen Evolution annehmen, ohne den Vorteil eines wohlbestimmten Ziels, einer überzeitlichen, feststehenden wissenschaftlichen Wahrheit, von der jedes neue Stadium der Entwicklung wissenschaftlicher Erkenntnis ein besseres Abbild ist.

      Er macht genau den Fehler, auf den ich hinzuweisen versuchte. Verschiedene Autoren haben den darin beschriebenen Evolutionsansatz für die Wissenschaften zum Teil heftig kritisiert. Auch ist er sehr ungenau, denn wenn man ihn zu Ende denkt, stellt man fest, dass einige erhebliche Unterschiede zur biologischen Evolution bestehen, die Kuhn aber verschweigt.

      Sie meinen, vermute ich, Replikatoren für die *Produktion* bzw. die *Produzenten* von Kultur, wie z. B. Dawkins‘ „Meme“. Es scheint mir aber nicht sonderlich problematisch zu sein, (bildhaft oder abstrahierend) von Ideen zu sprechen, die sich vervielfältigen und fortpflanzen können.

      Nein, ich meine Replikatoren für die Kulturprodukte, z. B. Replikatoren für Melodien. Und selbstverständlich ist es problematisch, von Ideen zu sprechen, die sich vervielfältigen und fortpflanzen können. Ideen können das nicht, Gene übrigens auch nicht. Nur Lebewesen können ihre Gene vervielfältigen! Es sind immer die Akteure, die etwas tun und zweckhaft handeln.

      Ich weiß nun nicht genau, was Sie mit Netzwerken meinen, ist aber auch egal. Auf jeden Fall müssen die kulturellen Kompetenzen im Netzwerk auch auf physischen Trägern vorliegen. Und sobald die Kompetenzen in eine materielle Struktur überführt worden sind, also nicht mehr (allein) in Gehirnprozessen realisiert sind, haben wir es in einem gewissen Sinn mit kulturellen Produkten zu tun.

      Wieso kulturelle Produkte? Ein Smartphone ist für mich ein kulturelles Produkt, eine Melodie ebenso. Im Unternehmen Apple arbeiten aber Tausende Mitarbeiter zusammen, um Smartphones zu produzieren. Alle Mitarbeiter verfügen über spezifische Kompetenzen. Zusammen bilden sie mit ihren Kompetenzen ein Netzwerk. Und dieses Netzwerk besitzt dann die Kompetenz, Smartphones zu produzieren. Kein einzelner Mitarbeiter verfügt über diese Kompetenz, sehr wohl aber das Unternehmen (d.h. das Unternehmen Apple verfügt über diese komplexe Kompetenz, die die Struktur eines Netzwerks besitzt). Meiner Meinung nach kann man sie nicht replizieren.

      Wenn Sie also ein iPhone erwerben, dann haben Sie ein kulturelles Produkt eines Unternehmens mit einer spezifischen Kompetenz erworben. Das iPhone ist Ausdruck dieser Kompetenz, so wie der Gesang eines Vogelmännchens Ausdruck seiner biologischen Kompetenzen ist.

      Die von Ihnen aufgeführten „kulturellen Kompetenzen“ müssen also, wenn sie einem Wandel unterliegen sollen, erst zu Kulturprodukten (Texte und dergleichen) werden.

      Erst dann wird man feststellen können, dass sie einem Wandel unterlegen haben. Dennoch findet der Wandel unabhängig davon statt.

      Stellen Sie sich vor, jemand bei Apple hat die Idee, wesentliche Smartphonefunktionen in Armbanduhren zu integrieren. Leider fehlt dazu noch entscheidendes Wissen. Also holt man sich zunächst Experten ins Unternehmen, die etwas von Uhren verstehen. Bereits jetzt haben sich die Kompetenzen des Unternehmens gewandelt. Erster echter Ausdruck dieser gewandelten Kompetenzen wäre dann eine marktreife Apple-Uhr. Dann beginnt aber zunächst die Zeit der Bewährung im Markt. Kritisch dürften u.a. die Betriebszeiten ohne Netz und die Ablesefähigkeit bei Sonnenschein sein. Ferner Größe und Gewicht und natürlich das Design. Schließlich sollte die Uhr auch besser als eine normale Uhr sein.

      Man sieht unmittelbar: Die kulturellen Kompetenzen sind etwas anderes als die kulturellen Produkte. Berücksichtigt man noch die Tatsache, dass in Hightech-Märkten alle Produkte mit dem Markteintritt bereits schon wieder veraltet sind, dann lässt sich sagen, dass die Kulturprodukte im Allgemeinen den kulturellen Kompetenzen hinterherhinken.

    • @Lena

      »Die Systemische Evolutionstheorie hat Lebewesen zu “selbstpreduktives System” (wobei sie genau beschreibt, was das ist) und Merkmal zu Kompetenz verallgemeinert. Ansonsten bleibt der obige Wikipedia-Satz [Evolution (von lateinisch evolvere „entwickeln“) ist die allmähliche Veränderung der vererbbaren Merkmale einer Population von Lebewesen von Generation zu Generation] unverändert.«

      Die „vererbbaren Merkmale“ sind beobachtbare Entitäten, Kompetenzen hingegen sind nicht direkt beobachtbar, Sie brauchen erst ein Merkmal wie z. B. ein Smartphone, um auf die Kompetenz eines selbstreproduktiven Systems schließen zu können.

      Daraus folgt, dass auch die Systemische ET notwendigerweise von den Kulturprodukten ausgehen muss, um zu den dahinterliegenden Kompetenzen zu gelangen. Ergo, kein wesentlicher Unterscheid zu den herkömmlichen Theorien zur sogenannten kulturellen Evolution.

      Sie schreiben es ja selber:

      »Wenn Sie also ein iPhone erwerben, dann haben Sie ein kulturelles Produkt eines Unternehmens mit einer spezifischen Kompetenz erworben. Das iPhone ist Ausdruck dieser Kompetenz, …«

      Na bitte, meine Rede!

      » „Die von Ihnen aufgeführten „kulturellen Kompetenzen“ müssen also, wenn sie einem Wandel unterliegen sollen, erst zu Kulturprodukten (Texte und dergleichen) werden.“

      Erst dann wird man feststellen können, dass sie [die Kompetenzen] einem Wandel unterlegen haben. Dennoch findet der Wandel unabhängig davon [von den Kulturprodukten] statt.«

      Das nun scheint mir völlig unmöglich zu sein.

      Ich greife Ihr Beispiel auf: Stellen Sie sich vor, jemand bei Apple hat die Idee, wesentliche Smartphonefunktionen in Armbanduhren zu integrieren. Leider fehlt dazu noch entscheidendes Wissen. Also holt man sich zunächst Experten ins Unternehmen, die etwas von Uhren verstehen.

      Und jetzt kommt’s: Woher wissen wir, dass sie etwas von Uhren verstehen? Das erkennen wir an den Dingen, die sie bereits gemacht haben, oder an Expertisen, Zeugnisse, etc., auf jeden Fall an bestimmten kulturellen Produkten. Wir können ja nicht in den Kopf der Experten kucken und dort deren Kompetenzen sehen.

      Nach meinem Verständnis ist jeder Buchstabe und jede Ziffer bereits ein Kulturprodukt. Jedes Schriftstück und jeder (sinnvolle) gesprochene Satz ist ein Produkt menschlicher Kultur. Der Produktionsplan ist nicht weniger Kulturprodukt als das Produkt selber. Kompetenzänderungen in einem selbstreproduktiven System sind nur möglich über die Aufnahme oder Internalisierung von Kulturprodukten. So einfach ist das.

      Themenwechsel:

      »Nein, im Zentrum der biologischen Evolution stehen Lebewesen (Organismen) und ihre Merkmale. So steht es auch in aller Klarheit in der Definition der biologischen Evolution auf Wikipedia: […] An dieser Stelle muss man noch überhaupt nichts über Gene wissen.«

      Man kann vielleicht sagen, dass Organismen im Zentrum der Beobachtungen stehen. Aber Fakt ist, dass als sogenannte „Einheit der Evolution“ nur die genetische Information in Frage kommen kann. Wenn die Systemische Evolutionstheorie das anders sieht, dann hätten wir hier einen wesentlichen Schwachpunkt gefunden.

      Wenn ich mich nicht täusche, dann ist für Sie die „Einheit der biologischen und kulturellen Evolution“ die „Kompetenz“, die zum einen im Genom codiert ist und zum anderen in Gehirnprozessen.

      Liege ich damit richtig?

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