Wo will SpaceX von Brownsville aus hin?

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Raumfahrt aus der Froschperspektive
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Die US-Firma SpaceX mischt aktuell mit ihren Falcon-Raketen und ihrem Dragon-Raumschiff den Markt auf. Sie könnte es in naher Zukunft sehr eng für die die europäische Arianespace werden lassen, insbesondere, wenn Europa wirklich am Projekt Ariane 6 wie heute geplant festhält. Aber das ist ein anderes Thema. SpaceX hat vor, in der Küstenstadt Brownsville/Texas, nahe an der Grenze zu Mexiko eine Startbasis zu errichten. Diese soll ab 2016 einsatzbereit sein. Der erste Spatenstich wurde am 22.9. getan.

SpaceX startet seine Raketen bereits in von der US-Regierung gemieteten Basen in Cape Canaveral (Florida) und Vandenberg (Kalifornien). Brownsville soll nun die erste Basis sein, in der SpaceX allein das Sagen hat. Es sollen von dort aus die Falcon 9 und die Falcon Heavy gestartet werden, also die dicken bis ganz dicken Dinger, auch bemannt und interplanetar.

Brownsville liegt allerdings am Ende des Golfs von Mexico, sodass sich schon die Frage stellt, wo man von dort aus hin will bzw. kann. Üblicherweise baut man Startbasen dicht an der Küste, sodass der Staat über das Meer hinaus erfolgen kann. Das minimiert das Risiko, dass jemand am Boden von Trümmern getroffen wird, wenn die Rakete versagt. Außerdem fallen Sachen, die unterwegs abgeworfen werde, wie die Nutzlastverkleidung, ausgebrannte Stufen und Booster nicht auf Land. Bei der Falcon legt die Erststufe allerdings mittlerweile eine kontrollierte Landung unter Triebwerksschub hin.

Der wesentliche Parameter ist der Startazimut. Für Erdbeobachtungssatelliten (ziviler und militärischer Art) wird meist eine sonnensychrone Bahn gebraucht. Dazu müsste die Rakete entweder mit einem Azimut um 350 oder um 190 Grad starten (0 Grad ist direkt nach Norden, 90 Grad nach Osten). Das geht von Brownsville nicht, denn der Aufstieg würde dann komplett über Land erfolgen. Zum Erreichen der ISS, deren Bahn eine Neigung von etwas mehr als 51 Grad hat, müsste von Brownsville der Startazimut entweder rund 45 oder rund 135 Grad betragen.

Wenn nach Nordosten gestartet wird, kreuzt die Subspur schon bald die Golfküste der USA; die Rakete würde dann die Südstaaten überfliegen. Wenn die kontrollierte Landung der Erststufe gewünscht wird, könnte das ideal sein – wenn alles funktioniert. Was aber, wenn beim Aufstieg etwas schief geht und die ganzen Trümmer kommen wieder runter?

Wenn direkt nach Osten gestartet wird, hat die erreichte Bahn eine Inklination, die der geographischen Breite von Brownsville entspricht, also gut 26 Grad. Die Subspur der Aufstiegsbahn würde dann zwischen Florida und Kuba hindurch führen und die ganzen Inseln umgehen, die die Karibik nach Norden und Osten abschließen. Für Starts ins geostationäre Transferorbit ist das OK. Es wird dann zwar ein Manöver fällig, um die Inklination auf Null zu reduzieren. Dieses ist aber etwas kleiner als bei Starts aus Cape Canaveral.

Für die meisten interplanetaren Starts ist diese Inklination auch noch akzeptabel. Sie ist allemal besser als das, was man von dem in dieser Hinsicht sehr problematischen Standort Kourou aus erreicht.

Aber es wurde ja explizit gesagt, dass Brownsville auch für bemannte Starts genutzt werden soll. Also soll von dort aus doch zur ISS gestartet werden, trotz des Risikos bei einem Fehlstart? Oder erwartet man hier schon zukünftige, vielleicht kommerzielle Raumstationen ohne russische Beteiligung, die eine niedrigere Bahnneigung verwenden und deswegen von Baikonur und dem im Bau befindlichen neuen russischen Kosmodrom Vostochny aus nicht mehr angeflogen werden können?

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

11 Kommentare

  1. Überhaupt die Bewilligung für einen Raketen-Startplatz zu bekommen scheint schwierig zu sein (wenn man die Länge die das entsprechende Subkapitel in der Wikipedia einnimmt als Massstab nimmt). Der Bundesstaat Texas ist aber raumfahrt-affin was das Bewilligungsprozedere wohl erleichtert hat.
    Für Starts in den geosynchronen Orbit scheint die Lokation aber OK zu sein und für solche Starts soll sie vorerst wohl vor allem eingesetzt zu werden:

    Although SpaceX initial plans for the Boca Chica launch site are to loft robotic spacecraft to geosynchronous orbits, Elon Musk indicated in September 2014 that “the first person to go to another planet could launch from [the Boca Chica launch site]

  2. Brownsville weil Brownsville es will. Man liest in der Wikipedia dazu:

    The Brownsville Economic Development Council (BEDC) has purchased five lots in Boca Chica Village totaling 2.3 acres (0.93 ha) near the SpaceX launch site. This land has been renamed as STARGATE subdivision, and will be used for “the BEDC-SpaceX-University of Texas at Brownsville’s STARGATE project [which will] include a 12,000 square feet (1,100 m2) tracking center.”

  3. Guten Tag Herr Khan,
    da jetzt zum ersten mal Dokumente zur Zuteilung von Radiofrequenzen für einen orbitalen Start von Boca Chica aufgetaucht sind. Wäre eine erneute Bewertung des Startplatzes sicherlich interessant, besonders wie sich die um ca 7° beim Start abzubauende Inklination ( um die Südspitze Floridas zu umgehen) auf die Nutzlast auswirkst.

    • Hallo Herr Reifenberg,

      Es ist schön, dass noch jemand so alte Artikel von mir liest. 🙂 Können Sie das mit der Inklination weiter ausführen? Ich habe die Situation damals nur oberflächlich analysiert, aber nach meiner damaligen Berechnung reichte ein Start genau nach Osten (Azimut 90 Grad), um die Südspitze Floridas zu umgehen. Damit wurde eine Inklination von rund 26 Grad erreicht. Was meinen Sie mit “die um ca 7° beim Start abzubauende Inklination”?

  4. Guten Morgen Herr Khan,
    Ich habe den Artikel schon vor einigen Jahren gelesen und mich jetzt daran erinnert. Grundlage des ganzen ist folgenden Veröffentlichung der FCC
    FCC Dokument
    Jetzt Spekuliert das Internet mehr oder weniger Seriös über den genauen Bahnverlauf:
    Video von Scott Manley
    und Senkrechtstarter
    um nur mal 2 Beispiele zu nennen.
    Bei einem Azimut von 90 Grad würde man mitten über Miami fliegen, Key West ist ca 24,5°, Boca Chica wie sie sagten 26°, der im FCC Dokument angedeutete Kurs verläuft allerdings deutlich südlicher und überfliegt erst bei den Turks- und Caicosinseln nach ca 2500 km Land.

    • Bei einem Azimut von 90 Grad würde man mitten über Miami fliegen […]

      Das kommt mir auf Anhieb etwas unwahrscheinlich vor. Ich habe das jetzt nicht gerade simuliert, aber der South Texas Spaceport ist bei einer geografischen Breite von knapp unter 26 Grad und Miami liegt fast genau auf derselben Breite (etwa 0.1 Grad südlich), aber 1700 km östlich. Bei einem Startazimut von 90 Grad müsste die Trajektorie, wenn sie bei der geografischen Länge von Miami angekommen ist, schon eine wirklich deutlich geringere geografische Breite überfliegen.

      90 Grad Azimut bedeutet Inklination 26 Grad. Das ist auch die niedrigste Inklination, die man von Brownsville aus ohne Triebwerksmanöver senkrecht zur Bahnebene erreichen kann. Wenn man einen Azimut von mehr oder weniger als 90 Grad wählt, also eine nördliche bzw. südliche Komponente in der Startrichtung einfügt, wird in beiden Fällen die Inklination höher als 26 Grad. Einen Azimut von weniger als 90 Grad halte ich für problematisch, weil dann ziemlich bald die Keys und dann das Festland von Florida überflogen werden. Als muss es etwas mehr als 90 Grad sein, aber nicht sehr viel mehr, denn sonst kommt die Subspur der Aufstiegstrajektorie Kuba sehr nahe.

      Wie gesagt, die Inklination wäre dann etwas mehr als 26 Grad. Ich muss es mal genauer simulieren. Aber nicht unbedingt mit Kerbal Space Program.

      Ihre Aussage von der um 7 Grad abzubauenden Inklination verstehe ich immer noch nicht.

  5. Wie gesagt, die Inklination wäre dann etwas mehr als 26 Grad. Ich muss es mal genauer simulieren. Aber nicht unbedingt mit Kerbal Space Program.

    Um ehrlich zu sein das wahr meine Hoffnung…

    Ihre Aussage von der um 7 Grad abzubauenden Inklination verstehe ich immer noch nicht.

    Dies war ein Missverständnis meinerseits gemeint war ein Start Azimut von 97° und dessen Auswirkung auf die Inklination bzw. Nutzlast.
    Unabhängig davon schon einmal vielen Dank für ihre Mühe.

    • OK, 97 Grad Azimut, das ist schon etwas anderes. Grundsätzlich ist der Unterschied in der zu erreichenden Nutzlast natürlich maximal, wenn man mit Azimut 90 Grad starten kann, aber es macht wirklich nicht sehr viel aus, wenn der Azimut beispielsweise 97 Grad wäre.

      Das kann man in etwa 3 Zeilen nachrechnen, wobei man nur die Grundrechenarten braucht und zudem mal etwas von Sinus und Cosinus gehört haben muss.

      Also, es geht ganz allein darum, wieviel zusätzlichen Schwung man durch die Erdrotation bekommt.

      Am Äquator ist das maximale “Delta-v”, was die Erdrotation liefert, gleich dem Erdumfang geteilt durch die siderische Rotationsperiode:

      dvmaxeq=40000 km / 86164.2 s = 464.23 m/s

      Bei 26 Grad Breite ist dieser Schwung bereits reduziert, und zwar mit einem Faktor, der dem Cosinus der Breite entspricht:

      dvmax = 462.23 m/s * cos(26 Grad) = 417.25 m/s

      Wenn der Startazimut aber nicht genau 90 Grad beträgt, nimmt man nicht mehr dieses delta-v mit. Ist der Azimut immer nahe 90 Grad, was hier immer der Fall sein wird, kann man in guter Nähe abschätzen, dass das, was man dann noch nutzt, etwa das bei dieser breite maximale Delta-v * Sinus des Startazimuts ist

      also bei Azimut 97 Grad beispielsweise

      dv = 417.25 * sin(97 Grad) = 414.13 Grad

      Also eine Abnahme von weniger als 1%.

    • OK, hier mal ein paar Ergebnisse, quick and dirty gerechnet. Garantiert Kerbal-frei, dafür aber mit dem Modell einer europäischen Vega-Rakete gerechnet, weil ich das gerade zur Hand hatte. Ich weiß, dass die da ganz andere Raketen starten, und es wäre schön, ein Modell für diese Raketen zu erstellen, aber das ist für die Subspur und due überflogenen Regionen von untergeordneter Bedeutung und ich habe auch keine Zeit dafür.

      #1: Startazimut 90 Grad von Brownsville, resultierdende Inklination 26 Grad, Subspur hier. Meine Annahme war also richtig, die Spur geht südlich an Florida vorbei, aber die Keys (hier nicht gezeigt) und die Bahamas werden überflogen.

      #2: Startazimut 96.8 Grad von Brownsville, resultierdende Inklination 27 Grad, Subspur hier. Hier liegt die Subspur deutlich weiter südlich, aber leider schon so weit südlich, dass Kuba überflogen werden würde, später auch Puerto Rico. Deswegen müsste der tatsächlich anvisierte Azimut zwischen 26 und 27 Grad liegen, die resultierende Inklination wäre damit geringer als 27 Grad, vielleicht so 26.7 Grad.

      Ich habe mir die vorher bei Ihnen verlinkten Seiten nicht alle im Detail angeschaut. Woher stammt die Behauptung, dass bei 26 Grad Inklination die Bahn direkt über Miami führen würde?

  6. Vielen Dank! Mit einer so umfassenden Antwort hätte ich nicht gerechnet.

    Woher stammt die Behauptung, dass bei 26 Grad Inklination die Bahn direkt über Miami führen würde?

    Die Aussage ist von mir und die Folge meines offensichtlich völlig unzureichenden Versuches die Spur in Google Maps zu “rekonstruieren”.
    Ich hoffe ihre Geduld nicht über Gebühr zu strapazieren aber zwei Fragen hätte ich noch in diesem Zusammenhang :
    1. Handelt es sich bei der 2. (grünen) Spur um den Groundtrack nach einer Erdumrundung unter Berücksichtigung der Erddrehung?
    2. Im ursprünglichen Artikel schreiben sie

    Für die meisten interplanetaren Starts ist diese Inklination auch noch akzeptabel. Sie ist allemal besser als das, was man von dem in dieser Hinsicht sehr problematischen Standort Kourou aus erreicht.

    Da SpaceX als Ziel ja den Mars hat, gehe ich richtig in der Annahme das der theoretisch ideale Startort (natürlich werden hierbei viele Faktoren nicht berücksichtigt) für einen Start zum Mars durch die Neigung der Erdachse und den Winkel zwischen der Erd und der Marsbahn bestimmt wird?
    Bei 23,5° und 1,85° was sich je nach Planetenkonstellation ja überlagern dürfte erscheint der South Texas Spaceport also 3-4° zu “hoch” wehrend Kourou ca 20° zu nahe am Äquator liegt.
    Unter dem Strich also kein schlechter Startplatz wenn man die “speziellen Ziele” des SpaceX Programm berücksichtigt und die “traditionellen Orbits” Im Trägerraketenmarkt außen vor lässt

    • Irgendwann hat es mich dann selbst interessiert und ich habe es, wenn auch mit reduziertem Aufwand, mal einigermaßen realistisch simuliert, wenn auch mit einer anderen Rakete als der Falcon.

      In dem Video von Senkrechtstarter wurde die Bahn mit einem Gummiband simuliert. Kein ganz schlechter Ansatz für den Anfang. Nur sollte man es wirklich mal komplett durchrechnen, wenn man zu belastbaren Zahlenwerten kommen will.

      Ich bitte darum, das grün gezeichnete Bahnsegment, das in den Karten weiter links unten zu sehen ist, nicht zu beachten. Das tut da nichts zur Sache. Wie gesagt, das war alles nur quick&dirty. Wesentlich ist im Rahmen dieser Diskussion nur das großenteils rot gezeichnete Segment.

      Für interplanetare Starts sollte eine Rakete idealerweise ein kreisförmiges, niedriges Parkorbit einlegen können, das mindestens 30 Grad, gern auch etwas mehr, gegenüber dem Erdäquator geneigt ist. Dazu muss die Oberstufe der Rakete mehrfach zündbar sein. Um das sicher machen zu können, sollten alle Unterstufen problemlos im Ozean herunterkommen, weitab von bewohnten Gebieten. Ein in dieser Hinsicht idealer Standort ist Cape Canaveral. Man kann von dort aus direkt nach Osten starten, dann ist die Bahnneigung 28.5 Grad und die Stufen können alle im Atlantik entsorgt werden, die vorletzte irgendwo vor der Küste Südafrikas (die oberste Stufe geht ja mit in die Erdflucht). Wenn man nach Südosten startet, hat man sogar noch mehr Platz, weil dann die Subspur unten um Südafrika herum führt.

      Kourou ist dagegen sehr problematisch. Man kann gerade mal nach Osten einigermaßen problemlos starten. Nach Südosten geht gar nicht, da würde sofort Land überflogen. Nach Nordosten ist es auch schwierig, weil Westafrika sehr weit in den Atlantik ragt und damit den Platz für die Entsorgung der vorletzten Stufe erheblich einschränkt. Der Standort wurde vor langer Zeit gewählt, als man noch der Meinung war, das Geschäft der Raketenstarts beginnt und endet mit dem geostationären Orbit. Jetzt ist die ganze Infrastruktur da installiert und man wird damit leben müssen.

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