Lösen Düfte, Geschmäcker und Weihnachtsschmuck Migräne aus? Heute: Lebkuchen

Entgegen lang gehegter Vorurteile gibt es keine pauschale Migräne-Diät. 

Unter den Leckereien zu Weihnachten ist der Lebkuchen. Ein typisches Weihnachtsgebäck. Mit unüberschaubaren Zutaten. Immerhin, knapp 50% des Lebkuchens sind Kohlenhydrate. Regelmäßig und kohlenhydratreich zu Essen, gilt als einer der Ernährungstipps für Migräneerkrankte. Hinzu kommen die vielen Lebkuchengewürze. Sie kennen wir schon aus dem vorangegangen Beitrag, denn sie sind auch im Glühwein: Zimt, Sternanis, Ingwer, Fenchel, Kardamom, Koriander, Anis, Gewürznelken, Muskatnuss und weiteres mehr.

Zimt – Gefahr oder Medikament im Lebkuchen

Cassia-Zimt oder Ceylon-Zimt? Letzterer enthält weniger von dem Pflanzenstoff Cumarin. Ist das gut? Cumarin gilt als gefährlich. Gilt das auch für Migräneerkrankte? Es geisterte die Behauptung eines erhöhtes Blutungsrisiko durch cumarinhaltige Zimtsterne durch die Medien. Auch der Lebkuchen geriet in Verdacht, die Süddeutsche Zeitung titelte: Zimt – Unterschätzte Gefahr im Lebkuchen?

Chemische Verbindungen, die dem Cumarin ähnlich sind, konkurrieren mit Vitamin K. So greifen sie in den Stoffwechsel ein und hemmen die Blutgerinnung. »Phenprocoumon« und »Warfarin« sind solche Verbindungen. In Pilotstudien wurden diese blutverdünnenden Substanzen als vorbeugende Behandlung gegen Migräne getestet [1]. Ihre Wirksamkeit, so die Vorstellung, erklärt sich, weil das Blut besser fließt. Es gibt (nach meiner Kenntnis) keine soliden Ergebnisse und also auch keine Empfehlung in den Leitlinien der Fachgesellschaften oder eine Zulassung für solche Medikamente. Denkbar sind aber immer »gute« wie »schlechte« Eigenschaften und zwar durchaus abhängig, ob man gesund oder krank ist.

Dass dem Ingwer auch »gute« Eigenschaften zugeschrieben werden, kam auch schon zur Sprache. Damit sind die »guten« Zutaten aber auch schon fast erschöpft. Wobei, es gibt beispielsweise Lebkuchen mit Minzglasur, was eine russische Variante sein soll. Kann Minze das Migräne-Elend lindern, fragt gerade das »Wall Street Journal«. Die Anwendungsmöglichkeiten sind ja vielseitig und statt sich ein überteuertes Minzöl einzureiben, mag man sich vielleicht mal einen russischen Lebkuchen auf die Stirn legen?

Jenseits solcher ironischen Reflexionen stellt sich die Frage, ob Auslöser überhaupt ständig zu vermeiden sind? Könnte damit das Gehirn nicht desensibilisiert werden, wie es einige Wissenschaftler vorschlagen [2]? Sollte man den richtigen Umgang mit Auslösern vielleicht besser lernen? Der Lebkuchen zeigt zumindest, dass man gar nicht nachkommt, sich mit den Inhaltsstoffen im Detail auseinanderzusetzen. Vielleicht ein paar grundsätzliche Bemerkungen zu dem Thema Diät.

Keine pauschale Diät

Äußere Einflüsse provozieren eine Migräneattacke. Sie sind aber nicht die Ursachen von Schmerz. Solche Einflüsse nennt man auch Auslöse- oder Triggerfaktoren und sie treten immer als zusätzliche Einflussfaktoren auf. Die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) schreibt zum Thema »Migräne und Ernährung«, dass Auslösefaktoren zwar nach Möglichkeit gemieden werden sollten.

[E]s auf jeden Fall wichtig, zusammen mit dem Arzt nach diesen persönlichen Triggerfaktoren zu suchen, damit sie nach Möglichkeit gemieden werden können. Dabei hilft ein Kopfschmerztagebuch.

Doch es geht nicht darum, alle Zutaten in Nahrungsmittel generell in »gute« und »schlechte« einzuteilen, oder gar generell Nahrungsmittel pauschal zu meiden.

Es ist nicht sinnvoll, wenn Migränekranke generell Nahrungsmittel meiden, von denen bekannt ist, dass sie Migräneanfälle provozieren können. Denn Nahrungsmittel spielen nicht bei allen Patienten eine Rolle.

Auch die Leitlinien der Deutschen Neurologischen Gesellschaft schreiben in ihrem Kapitel: »Kopfschmerzen und andere Schmerzen«, dass kontrollierte Untersuchungen über diätetische Maßnahmen noch ausstehen und nur sehr vereinzelt erste Hinweise existieren. Die meisten Diäten sind ohne Wirksamkeitsnachweis:

Zu einigen Methoden liegen offene Studien vor, der Wirksamkeitsnachweis in kontrollierten Studien steht (noch) aus. Eine Arbeit untersuchte in einer Cross-over-Studie den Einfluss diätetischer Maßnahmen auf die Migräne nach vorheriger Bestimmung individueller Nahrungsmittelallergene und konnte signifikante Effekte einer Eliminationsdiät zeigen [2].

Summa summarum: eine Einschränkung in der Ernährung ist auch eine Einschränkung in der Lebensqualität. Und sei es nur ein Biss in einen Lebkuchen an Weihnachten.

 

Literatur

[1] Rahimtoola, H., Egberts, A. C. G., Buurma, H., Tijssen, C. C., & Leufkens, H. G. (2001). Reduction in the intensity of abortive migraine drug use during coumarin therapy. Headache: The Journal of Head and Face Pain, 41(8), 768-773.

[2] Martin, P. R., Mackenzie, S., Bandarian-Balooch, S., Brunelli, A., Broadley, S., Reece, J., & Goadsby, P. J. (2014). Enhancing cognitive-behavioural therapy for recurrent headache: design of a randomised controlled trial. BMC neurology, 14(1), 233. (Link, frei einsehrbar)

[3] Alpay, K., Ertaş, M., Orhan, E. K., Üstay, D. K., Lieners, C., & Baykan, B. (2010). Diet restriction in migraine, based on IgG against foods: A clinical double-blind, randomised, cross-over trial. Cephalalgia, 30(7), 829-837.

 

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Bildquelle

“Berner Honiglebkuchen” by Sandstein – Own work. Licensed under CC BY 3.0 via Commons – https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Berner_Honiglebkuchen.jpg#/media/File:Berner_Honiglebkuchen.jpg

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Markus Dahlem forscht seit über 20 Jahren über Migräne, hat Gastpositionen an der HU Berlin und am Massachusetts General Hospital. Außerdem ist er Geschäftsführer und Mitgründer des Berliner eHealth-Startup Newsenselab, das die Migräne- und Kopfschmerz-App M-sense entwickelt.

4 Kommentare

  1. Summa summarum: eine Einschränkung in der Ernährung ist auch eine Einschränkung in der Lebensqualität.

    Diese Ansicht halte ich für nicht stringent: man sollte sich viel mehr Fragen welcher Umstand die Lebensqualität mehr einschränkt: die Migräne oder der Verzicht auf bestimmte Lebensmittel.

    Ich persönlich halte die Ernährung für die Gesundheit immer noch sehr wichtig.

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