Vor 150 Jahren: William Huggins und die Nebelspektren – von der Astronomie zur Astrophysik

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Der 29. August 1864 markiert einen Wendepunkt der Astronomie – weit weniger bekannt, aber durchaus vergleichbar mit der ersten Teleskopbeobachtung Galileo Galileis im Jahr 1609. An diesem Tag nämlich beobachtete der englische Amateurastronom William Huggins das erste Spektrum eines kosmischen „Nebels“ – und konnte damit die Frage klären, woraus die geheimnisvollen Lichtfleckchen, die die Astronomen seit über 200 Jahren in ihren Teleskopen betrachteten, eigentlich bestehen. Der Schritt von der Astronomie zur Astrophysik war vollzogen.

Der Katzenaugennebel, aufgenommen mit Amateurmitteln. Foto Ralf Kreuels, Astrofototeam Niederrhein
Der Katzenaugennebel, aufgenommen mit Amateurmitteln. Foto Ralf Kreuels, Astrofototeam Niederrhein

Astronomen stritten schon eine ganze Weile über die Natur der Nebel. Die einen meinten, dass es sich um Wolken aus Gas handelt, andere waren der Überzeugung, dass sie in Wirklichkeit Ansammlungen von Sternen sind, die nur aufgrund ihrer sehr großen Entfernungen zur Erde im Teleskop wie diffuse Lichtkleckse erscheinen. Mit immer größeren Fernrohren hatte man zwar tatsächlich immer wieder einzelne Nebel in Einzelsterne auflösen können, bei vielen anderen aber gelang das nicht. Bestanden diese also aus reinem Gas? Und wenn ja, warum leuchten sie dann?

Mit Fernrohren alleine war die Frage offenbar nicht zu lösen. Die Astronomen brauchten ein Instrument, das mehr über ein astronomisches Objekt aussagen konnte, als nur seine Helligkeit oder Form. Nicht erst seit Isaac Newton war bekannt, dass das weiße Licht der Sonne aus einem Regenbogenspektrum von Farben besteht, die man zum Beispiel mit einem Glasprisma sichtbar machen kann. Jeder Farbe entspricht dabei ein Frequenz- oder Wellenlängenbereich: Das langwelligste sichtbare Licht ist rot, das kurzwelligste violett.

Anfang der 1860er Jahre erkannten der Physiker Gustav Kirchhoff und der Chemiker Robert Bunsen, dass das Regenspektrum nicht nur hübsch aussieht, sondern auch sehr nützlich ist. Sie untersuchten das Licht von verschiedenen leuchtenden Gegenständen, und fanden heraus, dass es drei verschiedene Arten von Spektren gibt:

Ein glühender Feststoff, eine Flüssigkeit oder ein Gas unter hohem Druck emittiert ein kontinuierliches Spektrum – also ein klassisches „Regenbogenspektrum“, in dem alle Farben gleichmäßig von rot bis violett vorkommen.

Kontinuierliches Spektrum (Quelle: Wikipedia)
Kontinuierliches Spektrum (Quelle: Wikipedia)

Ein heißes Gas unter geringem Druck emittiert ein Linienspektrum – diskrete, scharf begrenzte Linien, die charakteristische Farben (und damit Wellenlängen) haben. Dieses Spektrum heißt Emissionsspektrum.

Emissionsspektrum von Wasserstoff (Quelle: Wikipedia)
Emissionsspektrum von Wasserstoff (Quelle: Wikipedia)

Ein Körper, der ein kontinuierliches Spektrum aussendet und der durch ein kühles, dünnes Gas betrachtet wird, zeigt ein Absorptionsspektrum – ein Regenbogenspektrum mit diskreten, dunklen Linien. Diese Linien liegen genau an den Stellen, an denen das entsprechende Gas helle Emissionslinien zeigt, wenn es selbst leuchtet.

Absorptionsspektrum (Sonnenspektrum) (Quelle: Wikipedia)
Absorptionsspektrum (Sonnenspektrum) (Quelle: Wikipedia)

Das Gerät, das Kirchhoff und Bunsen für ihre Entdeckung nutzen, heißt Spektroskop. Es besteht im Wesentlichen aus einem Glasprisma sowie einem schmalen Spalt, durch den das Licht fällt und dessen Abbild man letztlich betrachtet.

Lassen wir die physikalischen Gründe für diese drei Spektren für den Moment beiseite und tun in Gedanken das, was auch William Huggins tat, als er von der Entdeckung der beiden deutschen Forscher hörte: Bauen wir uns ein Spektroskop, schrauben wir es an unser Teleskop und schauen uns die Spektren der Sonne, der Sterne und der Nebel an:

Die Sonne und alle Sterne zeigen kontinuierliche Spektren – es handelt sich um glühend heiße Gasbälle, deren Gas unter hohem Druck steht. Schaut man genauer hin, sieht man, dass es eigentlich Absorptionsspektren sind: Die Sterne sind von kühleren, dünneren Gasschichten umgeben, ihren Sternatmosphären.

Überraschung im Sternbild Drache

Am 29. August 1864 richtete Huggins erstmals auf einen hellen, bislang von keinem Teleskop in Sterne aufgelösten Nebel, den „Katzenaugennebel“ im Sternbild Drache, einen sogenannten „planetarischen Nebel“ mit der Katalognummer NGC 6543. Was er sah, unterschied sich so ganz von einem Sternspektrum:

William Huggins (Foto aus dem Jahr 1910) (Quelle: Wikipedia)
William Huggins (Foto aus dem Jahr 1910) (Quelle: Wikipedia)

On the evening of the 29th of August, 1864, I directed the telescope for the first time to a planetary nebula in Draco. The reader may now be able to picture to himself to some extent the feeling of excited suspense, mingled with a degree of awe, with which, after a few moments of hesitation, I put my eye to the spectroscope. Was I not about to look into a secret place of creation? I looked into the spectroscope. No spectrum such as I expected! A single bright line only! At first, I suspected some displacement of the prism, and that I was looking at a reflection of the illuminated slit from one of its faces. This thought was scarcely more than momentary; then the true interpretation flashed upon me. The light of the nebula was monochromatic, and so, unlike any other light I had as yet subjected to prismatic examination, could not be extended out to form a complete spectrum.

[W. Huggins, “The New Astronomy: A Personal Retrospect,” Nineteenth Century, 41 (1897), pp. 916-17.]

Das Spektrum des Nebels zeigte nur eine einzelne Linie! Damit war entschieden, was Teleskope alleine nicht hätten entscheiden können: Zumindest dieser eine Nebel bestand aus dünnem, verteilten Gas, und bestimmt nicht aus einzelnen Sternen. Später entdeckte Huggins noch zwei weitere Linien im Spektrum von NGC 6543: ein klassisches Emissionsspektrum!

Huggins untersuchte noch viele weitere Nebel. Einige zeigten Emissionsspektren wie NGC 6543, andere dagegen kontinuierliche Spektren. Es gab also sowohl Nebel aus purem Gas, aber auch andere, die offenbar aus Sternen bestehen. (Es sollte noch bis ins frühe 20. Jahrhundert dauern, bis den Astronomen klar war, dass diese „Sternennebel“ in Wirklichkeit ganze Galaxien wie die Milchstraße sind, sehr viel weiter entfernt als alles, was wir mit bloßem Auge am Himmel sehen können.)

Der Katzenaugennebel ist in Mitteleuropa zirkumpolar und ist daher das ganze Jahr über zu sehen. Man findet ihn nahe des Sternbilds Kleiner Bär. Er ist klein und nicht sehr auffällig - es braucht schon ein Teleskop, um ihn ausfindig zu machen! (Bild erstellt mit Stellarium)
Der Katzenaugennebel ist in Mitteleuropa zirkumpolar und ist daher das ganze Jahr über zu sehen. Man findet ihn nahe des Sternbilds Kleiner Bär. Er ist klein und nicht sehr auffällig – es braucht schon ein Teleskop, um ihn ausfindig zu machen! (Bild erstellt mit Stellarium)
Ausschnittsvergrößerung (s. Bild oben).
Ausschnittsvergrößerung (s. Bild oben).

Portionierte Energie

Warum aber gibt es nun diese unterschiedlichen Spektren? Das liegt im Wesentlichen daran, dass Atome (aus denen Sterne genauso wie Gaswolken bestehen) Energie nur in bestimmten Portionen aufnehmen und wieder abgeben können. Jeder „Energieportion“ ist eine Wellenlänge zugeordnet, der wiederum die Lichtfarbe entspricht, die wir im Spektrum sehen.

Nova_Del_Spectrum-1Heiße, verdünnte Gase geben ihre Energie nur in Portionen ab und strahlen daher nur im Licht der zugehörigen Wellenlängen, haben also ein Emissionsspektrum. Jedes Gas hat dabei seine ganz bestimmten Wellenlängen, daher kann man am Muster der Spektrallinien erkennen, ob es sich etwa um Wasserstoff, Helium, Sauerstoff oder etwas anderes handelt.

In einem Stern sind die Atome sehr viel dichter gepackt und dazu noch ionisiert (also elektrisch geladen). Sie geben ihre Energie daher in allen irgendwie möglichen Portionen ab. Daher sieht man in ihren Spektren alle Wellenlängen und damit alle möglichen Farben – das Spektrum ist ein kontinuierliches Regenbogenspektrum.

Das kühle, dünne Gas, das die Sterne als Atmosphären umgibt, absorbiert ebenfalls nur bestimmte Portionen der von dem heißen, dichten Gas abgestrahlten Energie. Die zugehörigen Wellenlängen „fehlen“ dem Beobachter, der den Stern von außen betrachtet. Sie treten daher als dunkle Linien vor dem kontinuierlichen Hintergrund in Erscheinung – wir erhalten ein Absorptionsspektrum.

Im links gezeigten (selbst aufgenommenen) Spektrum der Nova Del 2013 sieht man neben dem kontinuierlichen Spektrum des Sterns auch mehrere Emissionslinien des Wasserstoffs, emittiert von heißen, aber dünnen Gaswolken.

Was Huggins gemacht hat, war wahrhaftig revolutionär: Er hat die Sterne und Nebel vom Himmel geholt und ins Labor des Physikers verfrachtet. Dank der Spektralanalyse war es nun möglich, die physikalischen Eigenschaften der ach so fernen Himmelsobjekte im Detail zu untersuchen: die Art der vorhandenen Gase, ihre Temperaturen, ihre Drücke, ihre Ionisationszustände, ihre Verteilung, ihre Bewegung. Aus den Linienmustern der Sternspektren lässt sich sogar herauslesen, ob diese Sterne von Planeten umkreist werden. Der Schritt von der Astronomie zur Astrophysik war vollbracht. Und man brauchte noch nicht einmal besonders große Teleskope dafür!

Warum leuchten die Nebel?

Nur ein paar Jahre später sollte die Fotografie dafür sorgen, dass man Sterne und Spektren nicht nur am Teleskop betrachten, sondern auch aufzeichnen und detailliert untersuchen konnte. Aber das ist eine andere Geschichte, die ich hier nicht weiter verfolgen möchte.

Zum Schluss aber noch zu der Frage, warum die Nebel leuchten, wenn sie doch nur aus dünnem Gas bestehen. Die Antwort darauf ist ziemlich spannend, und ich sage es Ihnen lieber gleich: ganz ohne Sterne geht es nicht. Der Katzenaugennebel (und alle anderen planetarischen Nebel auch) leuchtet, weil in seinem Zentrum so was wie die Leiche eines einst der Sonne ähnlichen Sterns steht. Der hat irgendwann seine äußeren Gashüllen abgesprengt, die nun als Nebel sichtbar sind. Er glüht noch wie ein Stück Kohle, das man aus dem Feuer nimmt, und regt dabei das ihn umgebende Gas für eine Weile ebenfalls zum Leuchten an. Irgendwann verblasst der Sternrest, und dann wird auch der Gasnebel nicht mehr zu sehen sein.

Der Katzenaugennebel mit dem Hubbelteleskop, Quelle: Nasa, Esa, HEIC, The Hubble Heritage Team (STScI/AURA)
Der Katzenaugennebel mit dem Hubbelteleskop, Quelle: Nasa, Esa, HEIC, The Hubble Heritage Team (STScI/AURA)

Andere Nebel leuchten, weil sie mit hoher Geschwindigkeit mit Gas aus dem interstellaren Raum zusammenprallen. Sie wurden einst von Supernovaexplosionen ins All katapultiert. Irgendwann wird sich ihr Gas so stark verdünnt haben, dass auch diese Nebel verblassen.

Wieder andere Nebel leuchten, weil sich in ihrem Innern gerade neue Sterne bilden. Das Licht dieser Sterne regt die Gasatome zum Leuchten an, manchmal reflektiert es das Sternenlicht auch nur (das erkennt man, Sie ahnen es schon, am Spektrum: es sieht dann im Wesentlichen aus wie das kontinuierliche Spektrum der Sterne).

Ohne Sterne, seien es eben erst entstandene, kürzlich verstorbene oder vor längerer Zeit explodierte, wären die Gasnebel unsichtbar – und das Weltall auch.

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Mit dem Astronomievirus infiziert wurde ich Mitte der achtziger Jahre, als ich als 8-Jähriger die Illustrationen der Planeten auf den ersten Seiten eines Weltatlas stundenlang betrachtete. Spätestens 1986, als ich den Kometen Halley im Teleskop der Sternwarte Aachen sah (nicht mehr als ein diffuses Fleckchen, aber immerhin) war es um mich geschehen. Es folgte der klassische Weg eines Amateurastronomen: immer größere Teleskope, Experimente in der Astrofotografie (zuerst analog, dann digital) und später Reisen in alle Welt zu Sonnenfinsternissen, Meteorschauern oder Kometen. Visuelle Beobachtung, Fotografie, Videoastronomie oder Teleskopselbstbau – das sind Themen die mich beschäftigten und weiter beschäftigen. Aber auch die Vermittlung von astronomischen Inhalten macht mir großen Spaß. Nach meinem Abitur nahm ich ein Physikstudium auf, das ich mit einer Diplomarbeit über ein Weltraumexperiment zur Messung der kosmischen Strahlung abschloss. Trotz aller Theorie und Technik ist es nach wie vor das Erlebnis einer perfekten Nacht unter dem Sternenhimmel, das für mich die Faszination an der Astronomie ausmacht. Die Abgeschiedenheit in der Natur, die Geräusche und Gerüche, die Kälte, die durch Nichts vergleichbare Schönheit des Kosmos, dessen Teil wir sind – eigentlich braucht man für das alles kein Teleskop und keine Kamera. Eines meiner ersten Bücher war „Die Sterne“ von Heinz Haber. Das erste Kapitel hieß „Lichter am Himmel“ – daher angelehnt ist der Name meines Blogs. Hier möchte ich erzählen, was mich astronomisch umtreibt, eigene Projekte und Reisen vorstellen, über Themen schreiben, die ich wichtig finde. Die „Himmelslichter“ sind aber nicht immer extraterrestrischen Ursprungs, auch in unserer Erdatmosphäre entstehen interessante Phänomene. Mein Blog beschäftigt sich auch mit ihnen – eben mit „allem, was am Himmel passiert“. jan [punkt] hattenbach [ät] gmx [Punkt] de Alle eigenen Texte und Bilder, die in diesem Blog veröffentlicht werden, unterliegen der CreativeCommons-Lizenz CC BY-NC-SA 4.0.

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