Was war und (hoffentlich) so bleiben wird

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Intelligenz, Sonntagskinder und Schulversager
Hochbegabung

Das Konzept der Hochbegabung war und ist keineswegs präzise gefasst: Allgemein mag Hochbegabung zwar als Fähigkeit zu außerordentlich hohen Leistungen verstanden werden, doch ist der Gebrauch des Begriffes Hochbegabung sehr uneinheitlich. Verschiedene Bedeutungen erschweren den eindeutigen Umgang: Neben der Unterscheidung von angeborener und entfalteter Begabung (statisch vs. dynamisch) sowie Aufteilung in intellektuelle und nicht-intellektuelle Begabung (z.B. Theorie der multiplen Intelligenzen) taucht der Begriff der Hochbegabung auch im Atemzuge mit Kreativität und Leistung auf.

Als allgemein anerkannte Definition von Hochbegabung wird eine weit über dem Durchschnitt liegende Ausprägung kognitiver Merkmale – letztlich der Intelligenz – verwendet. Diese quantitative Hochbegabungsdefinition legt einen Bereich fest, der zwei Standardabweichungen über dem Mittelwert liegt (ab IQ 130). Als Genie wird eine Person mit einer Höchstbegabung (z.B. IQ 160) bezeichnet, die sich auf eine gezeigte Leistungsexzellenz bezieht. Der Begriff Talent verweist auf einen spezifischen nicht-intellektuellen Bereich, in dem eine Spitzenbegabung vorliegt (z.B. Ballsport).

Wagen wir einen kleinen Blick in die Geschichte: Das Interesse für den Bereich der Hochbegabung entwickelte sich im Zusammenhang mit der Entstehung erster Intelligenztests im 19.Jahrhundert. Als erste bedeutungsvolle Studie Anfang des 20.Jahrhunderts ist die Terman-Studie in den USA zu nennen, die anhand einer umfassenden Stichprobe Hochbegabter (IQ>135) durchweg positive Ergebnisse berichtet. Trotz ihrer aus heutiger Sicht methodischen Unzulänglichkeiten besitzt sie eine große Bedeutung. Nahezu zeitgleich untersuchte Hollingworth Hoch- und Höchstbegabte mit ähnlichen Ergebnissen wie Terman, konnte jedoch zeigen, dass Höchstbegabte (IQ>180) häufiger Schwierigkeiten mit sich selbst und der Umwelt haben.

An der Hopkins-Universität in Baltimore wurde in den 70er-Jahren im Rahmen eines Forschungs- und Förderprojektes an mathematisch Hochbegabten gezeigt, dass diese ihre Altersgenossen auch in anderen intellektuellen Bereichen übertreffen. In Großbritannien untersuchte Freeman in den 70er-Jahren hochbegabte Kinder unter Berücksichtigung ihres sozialen Umfeldes und legte offen, dass psychosoziale Probleme hauptsächlich bei den in Hochbegabtengesellschaften organisierten Kinder auftreten.

Anfang der 80er-Jahre wurde die Hochbegabungsforschung in Deutschland wieder belebt, als Förderprojekte und Untersuchungen in Hamburg umgesetzt wurden. Bei Teilnehmern an Bundeswettbewerben (Jugend forscht, BW Mathematik) kommt dem aktiven Gestaltungswillen neben Intelligenz, Begabung und Lernvermögen eine besondere Bedeutung zu. Auf die zwei Längsschnittstudien der 80er-Jahre (und folgend) im deutschen Raum weise ich hier nur hin: die Münchner und Marburger Hochbegabtenstudie.

Was lehren uns all diese Studien? Was macht Hochbegabte aus? In der Öffentlichkeit werden sie gerne als Problemfälle dargestellt. Dies entspricht nicht der Gruppe der Hochbegabten, sondern entspringt spektakulären Einzelfällen, die mediengerecht aufbereitet werden. Das Gegenteil ist der Fall, denn durchweg positive Merkmale werden für Hochbegabte berichtet: Sie sind emotional stabiler, ruhiger, enthusiastischer als normal begabte Schüler; weiter besitzen sie ein positives Selbstkonzept, mehr Selbstvertrauen und zeigen auch hinsichtlich generalisierter Kontrollüberzeugungen und Ängstlichkeit eine günstigere Ausprägung. Aus dem dargestellten positiven Rahmen fällt die Gruppe der hoch begabten Underachiever heraus, deren Selbsteinschätzung und Beurteilung durch Eltern und Lehrer ein negatives Bild und Probleme andeuten.

Möge dies für die Mehrheit der Hochbegabten in 2016 auch so bleiben – und möge es für die Underachiever besser werden!

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Veröffentlicht von

Götz Müller ist Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut und Leiter des Instituts für Kognitive Verhaltenstherapie (IKVT). Er arbeitet beratend und diagnostisch mit Familien hoch begabter Kinder und Jugendlicher. In der psychotherapeutischen Arbeit beschäftigt er sich schwerpunktmäßig mit dem Underachievement bei Hochbegabten, hier insbesondere bei Jugendlichen.

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