Religion und Wissenschaft als Lebensformen – Anthropologische Einsichten in Vernunft und Unvernunft (Salazar und Bestard, Berghahn)

BLOG: Natur des Glaubens

Evolutionsgeschichte der Religion(en)
Natur des Glaubens

Jede(r) von uns hat unbewusst oder bewusst eine Meinung dazu, doch die philosophische wie auch empirisch-wissenschaftliche Forschung und Debatte zum Thema ist noch immer unterentwickelt: Gibt es nur eine höchste Form des Wissens (zum Beispiel empirische Erkenntnisse oder religiöse Offenbarungen) wie es erkenntnistheoretische Monisten behaupten? Oder stellen je empirische Wissenschaften, Kunst, Recht, Philosophie und Religion jeweils eigene Wissensformen dar, die sich gegenseitig beeinflussen, aber nicht ersetzen können, wie erkenntnistheoretische Pluralistinnen meinen?

Nun, ich bin ganz klar auf Seiten der erkenntnistheoretischen Pluralisten zu finden – wobei ich aber auch einräume, dass noch sehr viele Fragen zu beantworten sind. Umso mehr freut es mich, dass die spanischen Anthropologen Carles Salazar (Universität Lleida) und Joan Bestard (Universität Barcelona) nun einen Sammelband bei Berghahn herausgebracht haben, der das Thema interdisziplinär, international und interkulturell erschließt.

SalazarReligionScienceFormsofLife2015

In “Religion and Science as Forms of Life. Anthropological Insights into Reason and Unreason” eröffnet Robert McCauley die Debatte, indem er die kognitive “Natürlichkeit” von populärer Religiosität mit den zunehmend anspruchsvollen Herausforderungen professioneller Wissenschaft kontrastiert. Entsprechend drohe nicht Religion “auszusterben”, vielmehr sollte mehr Aufmerksamkeit auf die Voraussetzungen und “Fragilität” wissenschaftlichen Fortschritts gelenkt werden.

Das zweite Kapitel stammt von mir und verweist darauf, dass Technologie und Wissenschaft einerseits sowie Religion andererseits (und als drittes Beispiel Kunst) völlig unterschiedliche Funktionen im Leben von Menschen erfüllen – und zwar, empirisch beobachtbar, jeweils erfolgreich und wechselseitig nicht-ersetzbar.

* Blume, M. (2015): Scientific versus Religious ‘Knowledge’ in Evolutionary Perspective.

Jesper Sorensen diskutiert im dritten Kapitel “Magic and Ritual in an Age of Science”, dass gerade der Aufstieg neuer, dem Alltagsverstand unzugänglicher Technologien auch neue Formen des magischen Denkens und Glaubens begünstigt.

Timothy Jenkins beschreibt, wie die Wissenschaften selbst “moralische Gemeinschaften” hervorbringen, deren Angehörige sich bestimmten Werten und Normen verschreiben und Wahrheiten verkünden, die dann von den weiteren Öffentlichkeiten (z.B. über Romane, Filme und Kunstwerke) anverwandelt werden.

Simon Coleman hat erkundet, inwiefern britische Kreationisten Wissen organisieren und beanspruchen – und gefunden, dass nicht nur sie ihr Weltbild durch bewusstes Ignorieren widerstreitender Wissensbefunde stabilisieren.

Marit Melhuus stellt am vergleichenden Beispiel der norwegischen und britischen Debatten in Wissenschaft, Parlament, Kirchen und Öffentlichkeit dar, wie sich die Wahrnehmungen des “Embryo” geprägt und verändert haben. Statt eines unveränderlichen Fakts haben wir es hier auch mit einem Symbol zu tun, das – selbst bei vollem Einverständnis über das biologische So-Sein – aus unterschiedlichen Perspektiven völlig unterschiedlich wahrgenommen und bewertet wird.

Roger Sansi zeigt in seinem Kapitel über “Religion and Science in Brazil” auf, wie die frühen, positivistischen Fortschrittshoffnungen der jungen Nation, der christlich-katholische und zunehmend auch evangelisch-freikirchliche Glauben und die starke Präsenz afrikanischer Religions- und Ritualtraditionen in Brasilien eigene Formen der Selbst- und Weltwahrnehmung hervorgebracht haben, die nicht einfach dem europäisch-amerikanischen Kanon entsprechen.

Ebenso kann Maria Coma am Beispiel spanischsprachiger, charismatisch-katholischer Bewegungen aufzeigen, dass dort Medizin und Wissenschaften gerade nicht als Gegensatz zur Religion gedeutet werden, sondern vielmehr als Hilfsmittel Gottes, der z.B. Kranke zum “richtigen” (d.h. erfolgreichen) Arzt zu leiten vermag.

Joao de Pina-Cabral weist den Begriff des “Aberglaubens” zurück, da er Anderen (z.B. Angehörigen anderer Kulturen oder einheimischen Unterschichten) ein “primitives” Denken vorwerfe – während gleichzeitig die Kognitionspsychologie zeige, dass wir alle als Menschen zu magischem Denken neigten. Die Formen des jeweiligen “Aberglaubens” seien also kulturell unterschiedlich geformt, es gebe aber keine Basis dafür, dies nur Anderen zuzuschreiben bzw. vorzuwerfen.

Zustimmend dazu beschreibt Tom Inglis die Mischungen aus Religion, Magie und praktischer Vernunft in der Alltagskultur Irlands, zu der Wunder- und Elfenglauben ebenso gehören wie das Nebeneinander von Glaubensheilern und moderner Medizin. Befragte schilderten ihm, dass die so unterschiedlichen Überzeugungen “ihr Recht haben”, je nach Situation und Zeit.

Heonik Kwon erkundet schließlich am Vergleich vietnamesischer und US-amerikanischer Trauerkultur(en), wie sich medizinisch-psychologische Wahrnehmungen (Trauma, Belastungsstörungen) und vor-sozialistischer Ahnen- bzw. Geisterglauben durchdrungen haben. Gerade “weil” die sozialistische Regierung Vietnams den Krieg nur als Siegesgeschichte erinnern lassen wollte, verbreiteten sich schließlich widerständige Formen des volksreligiösen Erinnerns, nach denen beispielsweise die Geister der Kriegsopfer die Traumata “ausagierten” und durch Besinnung, Gebete und Opfer zu besänftigen waren bzw. sind.

In der Summe ist so ein außerordentlich vielseitiger und anregender Band entstanden der, so hoffe ich, einiges zur Belebung der erkenntnistheoretischen Debatten und Forschungen beitragen wird.

Zum Thema-Genießen & Reflektieren: Ein Video der Evolutionsbiologen von der Universität Tübingen, in der 1. wissenschaftliche Erkenntnisse aus dem Labor zu 2. dem Erfolg nichtrationaler Erfahrungs- und Verhaltensweisen (“Liebe”) präsentiert werden, indem 3. eine modern-sterile Laborumgebung durch einen “Auftritt” von Charles Darwin (aus dem Jenseits!?) sowie Sport, Musik und Dichtung “aufgepeppt” werden. Ist das “nur” Edutainment oder doch eigentlich schon Kunst?

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

31 Kommentare

  1. Gibt es nur eine höchste Form des Wissens (zum Beispiel empirische Erkenntnisse oder religiöse Offenbarungen) wie es erkenntnistheoretische Monisten behaupten?

    Es gibt unendlich viele Formen um das, was Wissen genannt werden könnte, “hervorzuzaubern”.
    Wissenschaft oder vielleicht besser Scientia nennt sich heutzutage verkürzt die skeptizistische evidenzbasierte Naturwissenschaft, die nicht mehr verifiziert, sondern Provisorien (“Theorien” etc.) mit unbekanntem Verfallsdatum als Erkenntnis pflegt, auch Anwendungen erlaubt und exoterisch ist, d.h. jeder kann mitmachen.

    Das mit den Anwendungen und dem Exoterischen (vs. Esoterik) ist neben dem Skeptizistischen für die Naturwissenschaft [1] wichtich.

    Nun, ich bin ganz klar auf Seiten der erkenntnistheoretischen Pluralisten zu finden (…)

    Wobei möglicherweise doch Präferenzen gepflegt werden, wie oben gemeint.

    Korrekt bleibt natürlich die Einsicht, dass die “Wissenschaften” nicht alles abdecken (können), dass die Erkenntnissubjekte bewegt, insofern muss auch geglaubt werden, no prob.
    Übrigens muss auch die Annahme skeptizistischen evidenzbasierten Naturwissenschaft durch eine Art Glaubensentscheid erfolgen (der aber durch die o.g. Anwendungen leicht fallen könnte).

    MFG
    Dr. W

    [1]
    “Formalwissenschaften” wie bspw. die Informatik, Teile der Philosophie und der größte Teil der Mathematik gehen Richtung Tautologie, hier ist anders zu denken.

      • Oh ja – aber sind nicht z.B. Rechte und Gesetze (Recht) bzw. sinn-, grmeinschafts- und familienstiftende Traditionen (Religion) nicht auch “Anwendungen”, ohne die keine komplexe Gesellschaft auskommt?

        Genau das scheint mir die spannende Grundfrage zu sein, die empirisch stark beantwortet ist: Ganz metaphysisch oben Ohne ging und geht nicht…

        • Der Schaman hat “Anwendungen” und die Naturwissenschaft hat Anwendungen, vielleicht könnte dbzgl. der Konsens gefunden werden, wobei es natürlich schlecht wäre, wenn dem Naturwissenschaftlichen folgend am Schluss keiner mehr da wäre.

          Also kein erkennendes Subjekt mehr oder nur noch erkennende Subjekte, die nach Einstein insofern dem Wahnsinn zuzuordnen wären, als dass sie immer wieder dasselbe versuchen und ein anderes Ergebnis erwarten, nicht mehr erkennend wären.

          Die Naturwissenschaft ist insofern Stochastik oder die Lehre vom Erwarteten, Anwendungen, die greifen, kennend.
          Natürlich ist sie sich um das Subjekt bemühend umfänglich kommod.
          Deshalb gibt es ja auch Veranstaltungen, die außerhalb der Wissenschaft stehen bzw. von ihr nur beschrieben werden können.
          Angegriffen werden kann die wie oben beschriebene Naturwissenschaftlichkeit so aber nicht sinnhaft und insofern wäre diese Formulierung mit den erkenntnistheoretischen Pluralismen (WebLog-Artikeltext, im Text stand auch: ‘Pluralistinnen’, kA, warum genau) vielleicht zu hinterfragen, ablehnend.

          MFG
          Dr. W

          • Hmm, ich sehe es – bislang – gerade anders herum: Der erkenntnistheoretische Pluralismus vermag die Erkenntnisbereiche der empirischen Wissenschaften voll anzuerkennen – wie aber auch Erkenntnisbereiche außerhalb dessen (z.B. Recht, Philosophie, Religion).

            Hätten Sie einen besseren Vorschlag?

          • Vorschlag:
            Die moderne skeptizistische exoterische Naturwissenschaft als alleinig Anwendungen erlaubend anzuerkennen, durch eine Art Glaubensentscheid [1], sie aber nicht als vollständig zu betrachten (und anderes “wegzubomben” versuchen).

            [1]
            Es gibt da wohl das sogenannte Erkenntnisproblem, das die Frage stellt wie Erkenntnis überhaupt gewonnen werden kann, wenn der Weg dafür nicht erkannt werden kann, gerne vielleicht selbst ein wenig recherchieren, den Webbaer, der ja die obige Lösung (“eine Art Glaubensentscheid”) bereits hat, hat’s nicht weiter interessiert, es könnte sich dort aber Interessantes finden lassen.

          • PS:
            War vielleicht unklar formuliert, denn Rechtssysteme und moralische Systeme und politische Systeme allgemein sind offensichtlich Anwendungen, allerdings nicht exoterische, d.h. sie könnten ohne weiteres abgelehnt werden ohne dass i.p. Erkenntnis auf Seiten des Ablehnenden nachweislich Fehler gemacht werden.
            Auch i.p. Moral, Religion und Recht muss wohl geglaubt werden.

  2. Sie sprechen von ‘knowledge’ in Anführungszeichen. Mich würde mal interessieren worin diese ‘Wissen’ der sozialen Religionen besteht. Falls es in den diversen heiligen Schriften verborgen ist, sollte es sich doch herausfiltern lassen. In der konkreten Benennung dieses ‘Wissens’ liegt doch die Herausforderung es gegen empirische Inspektion zu stellen. Solange Sie dieses ‘Wissen’ nur behaupten ist es irrelevant.

    • Nur etymologisch ergänzt:
      -> knowledge, know, gnoscere, Gnosis etc.
      -> Wissen, vgl. auch Wizzard, ‘weiß’, die Farbe meinend, ‘white’

      Der eine weiß, der andere erkennt sozusagen.

      MFG
      Dr. W

    • @Jochen Becker

      Auch in unserer Biologie ist “Wissen” verankert – beispielsweise “wissen” Sie, wie man atmet, ohne dass Sie es zuerst von anderen lernen mussten. Ebenso erwerben wir über Kultur(en) wissen, z.B. wie man sich benimmt (“Dass man nicht mit vollem Mund redet, das weiß man doch!”).

      Religionen haben auch schon lange vor “Heiligen Schriften” Wissen vermittelt, beispielsweise über Erzählungen, Symbole und Rituale. Und eine faszinierende Auswirkung von “Heiligen Schriften” ist die ständige Interpretationsarbeit an diesen, die (solange es lebendige Religionsgemeinschaften sind) nie aufhört und beispielsweise das Judentum hat Jahrtausende besonders kinderreich überdauern lassen, vgl.
      http://www.sciebooks.de/cms/books/die-haredim

      Und ich habe nicht gefunden, dass sich in Bibel, Talmud, Mischna etc. vor allem falsifizierbare Hypothesen gefunden hätten – sondern Geschichten und Gebote, die in immer neuen Auslegungen über Jahre & Jahrzehnte hinweg erlernt werden. Es mag manchen von uns nicht gefallen – aber dass hier Formen von “Wissen” vorliegen, die empirisch beobachtbar auch mit reproduktivem & also evolutionärem Erfolg einhergehen, lässt sich m.E. kaum bestreiten.

  3. Zwei Wissenssysteme
    Ich würde erst mal davon ausgehen, dass es letztlich nur eine Wirklichkeit geben kann, in der wir leben. Die Annahme, dass ich gleichzeitig in unterschiedlichen, möglicherweise sogar nicht kompatiblen Universen leben soll, halte ich dann doch für sehr abenteuerlich. Das ist natürlich zunächst einmal ein starkes Argument für erkenntnistheoretische Monisten. Denn wenn ich den richtigen Zugang zu dieser Wirklichkeit fände, wäre ich fein raus.

    Verbindet man das Konzept einer Wirklichkeit mit einem naïven Realismus, dann bleibt eigentlich nur ein erkenntnistheoretischer Monismus übrig. Ein naïven Realismus kann die Annahme sein, dass ich eine bestimmte heilige Schrift nur wörtlich interpretieren muss. Das wäre dann die religiös fundamentalistische Variante. In der scientistischen Variante nimmt man an, dass die menschlichen Sinne und im Besonderen unsere Messapparate die Wirklichkeit weitgehend objektiv abbilden. Sollte diese Annahme richtig sein, dann wird die Argumentation für einen erkenntnistheoretischen Pluralistmus schwierig.

    Befasst man sich zum Beispiel mit den Untersuchungen über das Lernen von Kindern von Piaget oder mit der Physiologie der Wahrnehmung, dann wird die Annahme, dass unsere Sinne uns ein weitgehend realistisches Bild der Wirklichkeit zeichnen, mehr als fragwürdig. Als Konsequenz dieses Problems wurde der radikale Konstruktivismus entwickelt. Weil unsere Nerven uns nur ein sehr indirektes Bild unserer Außenwelt übermitteln, und die Nervenreize aufwendige Datenverarbeitung benötigen, muss jeder einzelne sich seine Umwelt konstruieren. Die Konstruktionen, die sich bewähren oder zumindest nicht anderen bewährten Konstruktionen widersprechen, bleiben erhalten. In dieser Situation besteht die Gefahr, dass man mit einem Ausschließlichkeitsanspruch für die empirischen Erkenntnis wichtige andere Erkenntnisquellen per Definition ausschließt.

    Da der radikale Konstruktivismus u.A. auf den Ergebnissen der modernen Naturwissenschaften aufbaut, akzeptiere ich die Naturwissenschaften als eine der wesentlichen Wissenssysteme der Menschheit (ich verwende hier bewußt die ich-Form, weil andere durchaus anderer Meinung sein, bzw. andere Konstruktionen vertreten könnten). Da aber die empirischen Wissenschaften die Themen Wissen und Fakten gut abdecken, wo gibt es dort wesentliche Lücken?

    Ein ganz erheblicher Teil der Probleme, die die Welt heute plagen, sind nicht technischer Natur. Wir entwickeln das technologische Wissen nicht (nur) weil es Spass macht, sondern weil deren Anwendung bewährte Technologien hervorbringt. Anwendung von Technologie bedeutet aber Handeln, und Handeln erfordert zwangsläufig eine Ethik, wie Jaques Monod so treffend formulierte:

    Jede Handlung drückt eine Ethik aus, dient bestimmten Werten oder ist ihnen abträglich, stellt eine Wertentscheidung dar oder gibt es vor. Andererseits aber setzt jede Handlung notwendig ein Wissen voraus, und umgekehrt ist die Handlung eine der beiden unerläßlichen Quellen der Erkenntnis.

    D.h., Monod postuliert neben den Naturwissenschaften ein weiteres Wissenssystem: Ethik. Wenn aber Handeln zwangsläufig ethisches Verhalten voraussetzt, woher beziehe ich die Normen für meine Ethik? Selbst naturwissenschaftliche Grundlagenforschung setzen Aufrichtigkeit voraus, ohne diese funktioniert keine Forschung. Dass nicht alle Forscher sich einer solchen Ethik unterwerfen, sehen wir an behaupteten menschlichen Clones, die aber keine waren.

    Traditionell liefern Religionen Normen für das richtige Handeln. Trotz aller großen theologischen Unterschiede zwischen den verschiedenen Religionen, gibt es gerade über das richtige Handeln weitgehende Übereinstimmungen, wie in dem Buch Einheit in der Vielfalt ausführlich beschrieben. In diesem Sinne liegt das Wissen der Religionen nicht in der Beschreibung von Göttern, Engeln oder Dämonen, sondern im Wissen um das richtige Handeln. Das Gebot Liebe deinen Nächsten wie dich selbst ist für das Überleben der Menschheit sicher von größerer Bedeutung als der Nachweis des Higgs-Bosons. In den Religionen geht es also nicht so sehr um Faktenwissen, sondern um prozedurales Wissen über das Miteinander der Menschen. Aber auch das Wissenssystem für Ethik ist datürlich nicht beliebig. Es muss seine Brauchbarkeit zeigen. Diese Idee findet sich interessanterweise bereits im neuen Testament:

    An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Erntet man etwa von Dornen Trauben oder von Disteln Feigen? Jeder gute Baum bringt gute Früchte hervor, ein schlechter Baum aber schlechte. Ein guter Baum kann keine schlechten Früchte hervorbringen und ein schlechter Baum keine guten. Jeder Baum, der keine guten Früchte hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen. An ihren Früchten also werdet ihr sie erkennen. (Matth. 7:16–20).

    Aber widerspricht die Annahme, dass es mindestens zwei wesentliche, unterschiedliche Wissensysteme gibt, nämlich Religion und Wissenschaft, nicht der Vorstellung, dass es letztendlich doch nur eine Wirklichkeit geben kann? Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, wie einfach oder komplex diese grundlegende Wirklichkeit ist. Wäre sie einfach, dann sollte es auch nur ein brauchbares Wissenssystem geben. Ist sie dagegen hinreichend komplex, dann ist es nicht verwunderlich, dass man anscheinend nicht kompatible Kartensegmente von jeweils unterschiedlichen Bereichen der Wirklichkeit bekommt. Man sollte ähnliche Probleme erwarten wie die geographische Darstellung der Erde auf flachen Karten, obwohl die Oberfläche der Erde gekrümmt ist.

    Ernst von Glaserfeld, Radikaler Konstruktivismus, surkamp taschenbuch wissenschaft 1326, 1997

    Jacques Monod, Zufall und Notwendigkeit, dtv: München, 71985, Seiten 151–154

    O. P. Ghai, Einheit in der Vielfalt — Die eine Wahrheit in den Schriften aller Religionen, Horizonte: Rosenheim, 1987

    • @Eberhard von Kinzig

      Ja, der Konstruktivismus war und ist erkenntnistheoretisch bedeutend!

      M.E. sprechen gerade auch die Befunde der empirischen Wissenschaften eher für einen erkenntnistheoretischen Pluralismus, da sie z.B. je für Physik, Biologie, Psychologie, Soziologie usw. sehr unterschiedliche Regelhaftigkeiten vorfinden.

      Selbst wenn wir von “einer” Wirklichkeit ausgehen, so erweist sich diese m.E. als komplex geschichtet. Und entsprechend entstehen auch verschiedene Erfahrungs- und schließlich Wissensformen.

    • @ Eberhard von Kitzing :
      Klingt alles nachvollziehbar, danke für Ihre Nachricht.
      Allerdings funktionieren Religionen nicht nur als ethische Wissenssysteme und der Wirklichkeitsbegriff scheint eine deutsche Spezifität (Meister Eckhart) zu sein, die Wirklichkeit als das, was wirkt, müsste eine nicht stabile und auch unnötige Schicht sein, wenn die Welt gemeint ist.

      Obwohl, es gibt welche, die sie verteidigen:
      -> https://scilogs.spektrum.de/wirklichkeit/

      MFG
      Dr. W

    • Hierzu noch:

      Aber widerspricht die Annahme, dass es mindestens zwei wesentliche, unterschiedliche Wissensysteme gibt, nämlich Religion und Wissenschaft, nicht der Vorstellung, dass es letztendlich doch nur eine Wirklichkeit geben kann?

      Der Schreiber dieser Zeilen hat die Zeit genutzt hier noch ein wenig nachzudenken, erst einmal die Antwort: Nein.
      Grund: Die ‘Wirklichkeit’ wird konzeptuell abgelehnt.

      Zur ‘Wirklichkeit’ und zu ähnlich gelagerter mehrschichtiger Sicht auf die Welt [1] ist weiter oben erklärt worden.

      Die Vorzüge der modernen skeptizistischen exoterischen Naturwissenschaftlichkeit dürften klar sein, auch Anwendungen betreffend, deshalb nur zum Zweiten.

      Sittlichkeit, also u.a. auch das Bemühen im Sittlichen o.g. Naturwissenschaftlichkeit zu erhalten, ist ganz anders zu bearbeiten als die Erkenntnis und dbzgl. Veranstaltung selbst; die Sittlichkeit bemüht sich insofern darum Bestand zu halten, dass besondere Erkenntnis (s.o.) möglich bleibt, sie kann an Religionen gebunden sein, wie an anderweitige Unternehmen oder generell losgelöst sein, außer eben vom obigen Vorhaben. [2]

      Insgesamt müsste diese Zweiteilung, danke für den Hinweis, iO gehen.

      MFG
      Dr. W

      [1]
      Es gibt u.a. biozentrische (Pete Singer), theozentrische, duozentrische (“Römische Kirche” – die Vernunft oder den Common Sense explizit nicht ausschließend), rein physikalische und humanistische Sichten diesbezüglich, Mischformen sowieso.

      [2]
      Dbzgl. geeignete Sittlichkeit persistiert tendenziell wenig, Datenträger meinend, der totalitaristische und lange existierende Islam bspw. berichtete wenig, was bei derartiger Unterwerfungsveranstaltung im Sinne eines Theozentrismus auch nicht überrascht.

  4. Wirklichkeit oder Welt

    Besten Dank, dass Sie mich auf meine problematische Verwendung von Wirklichkeit aufmerksam gemacht haben. Wenn ich Sie richtig verstehe, sollte man Wirklichkeit durch Welt ersetzen. Das habe ich bei mir gemacht, allerdings lohnt es sich nicht, den Post mit dieser Änderung zu wiederholen. Mit dieser Änderung behält der Aufsatz seinen beabsichtigten Sinn.

    Wenn man allerdings Markus Gabriels Buch Warum es die Welt nicht gibt ernst nimmt, dann erübrigt sich eine Diskussion über den erkenntnistheoretischen Monismus, weil es dort schon die eine Welt nicht gibt.

    • Seit der Mensch Bewusstsein hat, befasst er sich mit Welt und Wirklichkeit. Bis heute ist es nicht gelungen, eine Lösung zu finden. Alles spricht dafür, dass eine Lösung oder endgültige Erkenntnis gar nicht möglich ist.

      Wir müssen uns damit abfinden, dass nicht alle Rätsel der Welt auflösbar sind. Wir sind verwöhnt von den revolutionären und sensationellen Erkenntnissen der letzten Jahrhunderte. Eine Extrapolation in die Zukunft wäre aber sehr naiv, obwohl sicher weitere Erkenntnisse möglich und wahrscheinlich sind. Da der menschliche Organismus mit seinen Sinnen aus derselben Materie besteht wie das übrige Universum, bewegen wir uns immer in einem geschlossenen System. Physik und Mathematik sind erkenntnistheoretische Quellen (als Empirismus und Rationalismus), alles andere sind Phantasien oder Fiktionen. Für das praktische Leben können auch Phantasien und Fiktionen oder Mythen Bedeutung haben, solange man nicht Wirklichkeit mit Erwartung verwechselt.

      • @Anton Reutlinger

        Danke für den erfreulich sachlichen Kommentar!

        Verstehe ich Sie aber richtig, dass Sie nicht nur z.B. Literatur und Religion, sondern auch schon z.B. Biologie und Psychologie in den Bereich von “Fiktion” verweisen würden? Und wie wäre es mit Recht, ohne das ja keine komplexen Gesellschaften bestehen können?

        • Um mit dem Einfacheren anzufangen, würde ich Biologie und auch Psychologie eindeutig der empirischen und der rationalen Erkenntnis zuordnen, beispielsweise in Form der Evolutionstheorie. Mit Recht und Religion, außerdem mit Ethik, wird es sicher schwieriger. Da ist die Frage, ob man diese Bereiche überhaupt einer die Menschheit übergreifenden Erkenntnis bzw. Wissen zuordnen will, oder ob man nicht besser eine andere Kategorie dafür begründet, nämlich die subjektive Konstitution von Werten in einer Gesellschaft. Nach meiner Überzeugung wäre das sinnvoller, auch wenn objektive Naturerkenntnis unbestritten die allgemeine Grundlage bildet, so wie auch für Kunst oder Technik.

          Dabei entsteht unweigerlich die Frage, wie die Werte begründet werden sollen. Hier spielt zweifellos die Erfahrung menschlichen Zusammenlebens und Handelns eine Rolle. Also steht nicht die Natur, sondern der aktuelle Mensch selber und die Gemeinschaft im MIttelpunkt, nicht in Form von gesetzmäßigem Wissen, sondern von Erwartung seines kontingenten, künftigen Verhaltens. Das vergängliche Leben selbst hat einen axiomatischen Wert, woraus sich wieder abgeleitete Werte ergeben, wie die für das Leben notwendigen Nahrungsgrundlagen und Umweltbedingungen. Darüber hinaus gibt es Werte, die das Leben erleichtern und verschönern. Jeder Mensch hat die Freiheit, seine Werte selbst zu bestimmen, sollte in der Gemeinschaft aber die Werte der Mitmenschen berücksichtigen und tolerieren.

          Dass ein Mensch, der in eine Gemeinschaft geboren wird, durch Erziehung zu Wissen über Recht, Ethik und Religion gelangt, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies nicht wirklich Erkenntnisquellen sind. Es sind kulturelle, zweckmäßige Artefakte, nicht wesentlich anders als Handwerkszeug oder Smartphone, von Gesellschaft zu Gesellschaft und von Zeit zu Zeit verschieden in der Ausprägung.

          • @Anton Reutlinger

            Dass ein Mensch, der in eine Gemeinschaft geboren wird, durch Erziehung zu Wissen über Recht, Ethik und Religion gelangt, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies nicht wirklich Erkenntnisquellen sind. Es sind kulturelle, zweckmäßige Artefakte, nicht wesentlich anders als Handwerkszeug oder Smartphone, von Gesellschaft zu Gesellschaft und von Zeit zu Zeit verschieden in der Ausprägung.

            Das Wissen, wie man gut funktionierende Werkzeuge oder Smartphones baut und wie man sie erfolgreich anwendet, würde ich schon als wirkliche Erkenntnisquelle ansehen. Ebenso halte ich ein Rechtssystem, eine Ethik oder Religion, die es schaffen, Menschen anzuleiten friedlich und erfolgreich zusammen zu arbeiten, für eine wirkliche Erkenntnisquelle. Selbst einfachste Naturwissenschaft wird unmöglich, wenn die Teilnehmer nicht aufrichtig sind. Wenn einzelne lügen, kann man das wohl herausbekommen. Wenn viele lügen, dann wird Naturwissenschaft unmöglich.

          • @Eberhard von Kitzing;

            Für das Individuum ist die Erziehung und die Schulbildung ohne Frage eine Erkenntnisquelle. Für die Gemeinschaft dagegen ist sie ein kulturelles Artefakt, wie Literatur, Kunst, Technik und Religion. Das schließt nicht aus, dass dazu eine kollektive Erkenntnis als Grundlage nötig ist, die aber eher unspezifisch ist. Die Trennlinie zwischen Erkenntnisquelle und konstituiertem Artefakt geht also irgendwo mitten durch und ist nicht eindeutig zu finden.

            Deshalb bin ich skeptisch gegenüber alternativen Erkenntnisquellen zu Empirismus und Rationalismus. Man stolpert allzu leicht in spekulative Metaphysik, science fiction und Esoterik. Das Individuum kann aus vielen Quellen Erkenntnis schöpfen, aber diese Erkenntnis ist dann schon als Buch oder dergleichen vorhanden und ist nicht mehr quellfrische Erkenntnis. Selbstverständlich stehen dem Individuum auch die konventionellen Erkenntnisquellen offen, insbesondere die Erfahrung und Erforschung der Natur sowie das Denken.

            Interessant und von größter Bedeutung sind heute die neuen Medien als Erkenntnisquellen, mit allen psychologischen und soziologischen Konsequenzen.

          • @Anton Reutlinger

            Der Grundgedanke sagt mir zu, allerdings sehe ich noch einen Widerspruch: Wenn wir Ethik, Recht, Religion etc. als “Artefakte” betrachten, die mehr oder weniger funktional sein können – dann müssten wir m.E. auch Wissenschaft so betrachten, die ja ebenfalls keine ewigen Wahrheiten enthüllt, sondern “nur” funktionale, falsifizierbare Hypothesen. Wie sollten wir Newtons Physik nicht auch als “Artefakt” betrachten, die auch heute noch für vieles funktional sein kann, auch wenn sie streng genommen empirisch falsifiziert bzw. überboten wurde?

            Verstärkend möchte ich auch noch den Hinweis von McCauley anführen, der betonte, dass zahlreiche Gesellschaften Jahrtausende ohne höhere Wissenschaft(en) zu bestehen vermochten, aber keine menschliche Gesellschaft ohne Technologien, Ethik und Religion(en).
            https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/warum-religion-nat-rlich-ist-und-wissenschaft-nicht/

            Führt also Ihre Annahme nicht notwendig zum Schluss, dass jede menschliche Entdeckung immer nur vorläufigen Artefaktcharakter hat?

          • @Michael Blume;

            Führt also Ihre Annahme nicht notwendig zum Schluss, dass jede menschliche Entdeckung immer nur vorläufigen Artefaktcharakter hat?

            Daran besteht gar kein Zweifel. Schon im 19.Jhdt. haben viele Naturforscher genau so gedacht. Das darf nun wiederum nicht so verstanden werden, dass jedes Wissen oder Wissenschaft generell in Zweifel zu ziehen ist, wie es Wissenschaftsgegner gerne tun. Es bedeutet vielmehr, dass immer die Möglichkeit des Irrtums besteht, dass jedes Wissen unvollständig ist, dass eine Erklärung alternative Erklärungen nicht ausschließt. Das ist wissenschaftlicher Alltag. Das gilt ganz bestimmt auch für die Religionen, was schon durch ihre Vielfalt nebeneinander und ihre historische Entwicklung bezeugt wird.

            Das Wissen fängt nicht erst bei professioneller Wissenschaft an, sondern schon in der Neugier des Kindes. Insofern kommt naturgemäß keine Gesellschaft ohne Wissenschaft aus. Für das neugeborene Individuum ist die gegenwärtige Welt die Erkenntnis- und Wissensquelle überhaupt. Aber diese Welt wurde von den Vorfahren geschaffen, jedenfalls der kulturelle Anteil mit Wohnung und Kleidung, mit Spielsachen, mit Sprache und Musik, mit all den technischen Geräten, mit Religion und Wissenschaft.

          • (…) nur vorläufigen Artefaktcharakter

            Das gilt ganz bestimmt auch für die Religionen, was schon durch ihre Vielfalt nebeneinander und ihre historische Entwicklung bezeugt wird.

            Die Mathematik und die Philosophie wie die Formalwissenschaften allgemein arbeiten mit Tautologien, die heutzutage [1] skeptizistischen Naturwissenschaften mit Provisorien unbekannten Verfallsdatums und im “zweiten Wissenssystem” (Herr v. Kitzing), der Ethik, wird gerne auch frei von Empirie und “schmerzfrei” vorgegangen, die jeweiligen führenden Meinungsträger erhaltend und sozusagen unabhängig von allem, was nicht passt, wird passend gemacht.
            Insofern scheinen hier den Analogien gewisse Grenzen gesetzt.

            MFG
            Dr. W

            [1]
            Im 19. Jahrhundert war man sich auch dort vglw. sicher alles erkannt zu haben und das Unerkannte beizeiten erkennen zu können, der altgriechische Skeptizismus spielte keine besondere Rolle bis dann bestimmte Effekte und Theorien (ET und QM bspw.) kamen, der grundsätzliche “große” Erkenntnisvorbehalt war seinerzeit nur wenigen noch bekannt.

      • Eine endgültige Lösung ist auch gar nicht notwendig, aber eine Anpassung oder Rekonstruktion für die Nöte der Zeit.

    • @ Eberhard von Kitzing :
      Wie Sie sich vielleicht denken können, ist der Schreiber dieser Zeilen, der Webbaer, auf Markus Gabriel nicht gut zu sprechen, sogar so schlecht, dass er auf ein Eingehen verzichtet, an dieser Stelle.

      Ansonsten, danke, ist die Unterscheidung zwischen der Welt, dem was ist oder waltet, Wirklichkeit, dem was irgendwie auf erkennende Subjekte wirkt, und zwar nur dies, dem Universum, das die physikalische Sicht meint, der Realität, die die Sachlichkeit meint, die nur auf bestimmten Ebenen des Seins funktioniert, und theozentrischer wie biozentrischer Sicht, beide Sichten schließen die Erkenntnissubjekte “ein wenig” aus, ähneln sich aber, möglichst genau zu treffen, nochmals danke.

      MFG
      Dr. W

  5. …was mich an der Frage bzw. Debatte (nicht nur dieser) erstaunt ist, dass der Wissen-Begriff gar nicht untersucht wird bzw. definiert wurde.
    Wie kann man aber ein Frage angehen, deren zentraler Begriff unklar ist?
    Was meint “Wissen”?
    Information über einen bestimmten Gegenstand erlangt zu haben?
    Dann wären wir beim Informationsbegriff und der ganzen damit zusammenhängenden Problematik.

    >Gibt es nur eine höchste Form des Wissens? du sollst nicht codieren, weil das nicht möglich ist.

    Irgendwo oben gabs einen kurzen etymologischen Schlenzer. Dazu der Komnentar: Knowledge sollte – wenn man die Etymologie berücksichtigt nicht mit “Wissen” übersetzt werden, sondern eher mit Kenntnis; weil darin ebenso wie in Gno[sis] ein Kn steckt.
    Das kommt (sehr wahrscheinlich) aus dem Sanskrit (wenn die Verbreitungsrichtung von Sanskrit zu griechisch geht, und nicht umgekehrt), wo Djana für die höchste Form des Wissens steht, und ein Djani eine Art Seher/Weiser ist, der das höchste Wissen erlangt hat.

    Djana/Gnosis hat deshalb im Grunde mit *Religion* nichts zu tun bzw. nur insoweit, als Religionen versuchen, dieses “Wissen” a) abzubilden (was wie gesagt nicht möglich ist, da nicht codierbar) und b) den Weg zur Selbsterlangug zu weisen. Letzteres tun aber eigentlich nur die mytischen Zweige der Religionen, weshalb der undifferenzierte Gebrauch des Begriffs “Religion” wenig hilfreich ist. Gebraucht man ihn im landläufig-konventionellem Sinne, ist das dort codierte Wissen, mehr oder weniger gleichrangig dem der anderen Kulterbereiche.
    Doch sind die Religionen eigentlich nur Rahmen für die Wegweiser, die mystischen Traditionen in ihnen: Im Christentum sind/waren es die Gnostiker (z.B. die Katharer/Ketzer), im Islam die Sufis, im Judentum die Kabbalisten (obwohl die Kabbala originär niicht jüdisch ist; auch Chabad hat wohl noch echtes “Wissen”), im Hinduismus und Buddhismus sind Mystik und Religion weniger stark getrennt; hier sind es vor allem Advaita und die tantrischen Lehren, die den Weg gespurt haben…

    Kenntnis im Sinne von Gnosis/Einsicht in die Natur der Realität ist übrigens (ja, MUSS es sogar sein) identisch mit Nichtwissen! Zu dem wäre beinahe auch Descart gelangt, wenn er nicht einen Schritt vorher auf eine Prämisse gesetzt hätte, die eigentlich keine ist: Ich denke/zweifele, also bin ich.

    • @Joe R.

      Schon die Annahme, über die Etymologie ließe sich Sicheres aussagen, setzt wiederum Glaubensannahmen voraus (wie jene, das Wörter etwas “Eigentliches” bedeuten). Ich gehe da “agnostisch” davon aus, dass Etymologien sprachliche Entwicklungsgeschichten nachvollziehbar machen – was interessant ist, mehr aber auch nicht. M.E. kann man sich in Etymologien auch wunderbar verlaufen, bis Begriffe irgendwann gar nichts Nachprüfbares mehr bedeuten. Dieser Eindruck kam mir auch beim Lesen Ihres durchaus interessanten Kommentars.

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