Mit Karen Barad den Messvorgang verstehen

BLOG: Quantenwelt

Gedanken eines Experimentalphysikers
Quantenwelt

Philosophie und Physik gehören zusammen. Nicht nur weil sie gemeinsame Wurzeln haben, sondern weil die Physik einen gewissen Anspruch an Objektivität hat, der nicht innerhalb der Physik geklärt werden kann. Schon öfter habe ich hier darüber geschrieben, wie ich Physik verstehe und welche philosophischen Standpunkte ich für nachvollziehbar, welche für eher weit hergeholt halte.

Durch die Bloggerin Khaos.kind bin ich vor einiger Zeit auf eine Philosophin aufmerksam geworden, deren Ideen ich sehr überzeugend finde. Karen Barad zieht aus den Erkenntnissen der Quantenmechanik, also aus dem Vorhandensein von Verschränkung und Unschärfe in Messprozessen, über die Quantenmechanik hinaus anwendbare Lehren. Ihr Programm ist es, eine Erkenntnistheorie zu schaffen, die den Messprozess als Teil wissenschaftlicher Arbeit ernst nimmt ohne in einen Anthropozentrismus abzugleiten, der menschlichem Bewusstsein eine besondere Bedeutung für den Messprozess zuschreibt.

Der Anthropozentrismus im Messprozess führt bei der Interpretation der Quantenmechanik oft zu Problemen. Wenn wir zum Beispiel davon ausgehen, dass das menschliche Bewusstsein und nicht der Messprozess bei der Schrödingerkatze zum Zusammenbruch der Wellenfunktion führt, dann sind wir nicht weit von esoterischem Unfug wie Quantenheilung und Gedankenverschränkung entfernt. (Ich muss nicht erläutern, warum es unnötig ist, Effekte zu erklären, die es nicht gibt…)

Versuchen wir uns aber daran, eine vom Menschen unabhängige Erklärung der Messung zu entwerfen, bekommen wir die Schwierigkeit, dass sich keine Grenzen ziehen lassen. Das eigentliche Problem, auf das Erwin Schrödinger mit seinem Gedankenexperiment aufmerksam machte, ist dass sich keine Grenze zwischen der klassischen Mechanik und der Quantenmechanik angeben lässt. Wenn wir die Überlagerung von Wellenfunktionen im Atom ernst nehmen, gibt es keinen Grund, die Überlagerung von tot und lebendig bei einer Katze abzulehnen.


Das Beugungsbild eines HeNe-Lasers am Einzelspalt entsteht nicht durch Photonen, sondern durch einen komplexen Experimentaufbau.

Karen Barad weist in ihrem Buch Meeting the Universe Halfway: Quantum Physics and the Entanglement of Matter and Meaning einen interessanten Weg aus diesem Dilemma: Probleme dieser Art entstehen erst dadurch, dass wir künstlich Dualismen schaffen. Diese Dualismen stellt Barad infrage. Es ist kein Wunder, dass es Probleme gibt, wenn wir versuchen, die Grenze zwischen Naturvorgang und Experiment, zwischen Natur und Technik, zwischen Apparatur und Beobachtung oder eben zwischen Quantenwelt und klassischer Welt zu finden. Diese Grenzen gibt es a priori gar nicht.

Ob ein Quantenzustand, der in einem Experiment wie ein Teilchen reagiert und in einem anderen wie eine Welle, in Wahrheit Teilchen oder Welle ist, wäre nur eine sinnvolle Frage, wenn der Quantenzustand unabhängig von seiner Messung existieren würde. Es gibt aber keine von Messungen unabhängige Physik. Der Messvorgang ist ein unverzichtbarer Teil des Geschehens und kann im allgemeinen nicht ignoriert werden. Ohne Messung gäbe es vielleicht auch einen Quantenzustand, das wäre aber nicht derselbe, wie der im Experiment.

Barad führt zur Beschreibung dieser Abhängigkeiten den Begriff der Intraaktion im Gegensatz zur Interaktion ein. Es gibt nicht ein Quantenobjekt und einen davon unabhängigen Experimentaufbau, die miteinander wechselwirken also interagieren. Es gibt nur einen Vorgang mit internen Intraaktionen. Dass wir im Doppelspaltexperiment ohne Weginformation die Elektronen als Wellen, mit Weginformation aber als Teilchen messen, liegt nicht daran, dass der Messaufbau die eigentlich unabhängigen Elektronen beeinflusst. Vielmehr haben wir es mit verschiedenen Phänomenen zu tun, die sich grundlegend in ihren Voraussetzungen und Randbedingungen unterscheiden. Dieser Blick auf physikalisches Experimentieren als Gesamtvorgang erscheint mir hilfreich zum Verständnis der Quantenmechanik.

Wichtig ist hierbei auch, dass Barad keineswegs den Nutzen von Abgrenzungen bezweifelt. Physik kann nur funktionieren, wenn sie komplexe Vorgänge in Einzelvorgänge zerlegt und diese so betrachtet, als seien sie voneinander unabhängig. Es hat also historisch durchaus Sinn gemacht, danach zu fragen ob Elektronen Wellen oder Teilchen sind. Aber wenn es Probleme mit dieser Trennung gibt, ist es angebracht, einen Schritt zurückzugehen und zu überlegen, ob wir die Trennung vielleicht an der falschen Stelle vorgenommen haben.

Interessant ist Karen Barads Erkenntnistheorie auch, weil sie verspricht über die Naturwissenschaft hinaus auf gesellschaftswissenschaftliche Fragestellungen anwendbar zu sein. Der Untertitel Quantum Mechanics and the Entanglement of Matter and Meaning deutet das an: So wie sich der Welle-Teilchen-Dualismus als Irrtum herausstellt, wenn wir den Messprozess als Teil des physikalischen Gesamtvorgangs verstehen, wird der Dualismus von Materie und Bedeutung, von Körper und Geist auflösbar, wenn wir bedenken, das die Grenzen zwischen diesen Teilen der Realität durch mit einem Messaufbau vergleichbare Umstände gesetzt sein können. Dass es also vom wissenschaftlichen Kontext abhängen kann, ob sich Materie und ihre Bedeutung sinnvoll trennen lassen.

Schon Judith Butler weist in ihrem Buch Gender Trouble darauf hin, dass es problematisch ist, zwischen körperlichem Geschlecht (Sex) und sozialem Geschlecht (Gender) zu unterscheiden, weil die beiden Kategorien miteinander verschränkt sind. Das eine existiert nicht unabhängig vom anderen. Körperliches Geschlecht existiert zu keiner Zeit ohne gesellschaftlich interpretiert zu werden, Gender nimmt immer auch Bezug auf körperliche Merkmale. Auch die Bloggerin Dr. Mutti weist darauf hin, dass die Trennung dieser Einflussgrößen auf gesellschaftliche Prozesse experimentell schwer zugänglich ist.

Karen Barads Zugang zu komplexen Fragestellungen in Natur- und Sozialwissenschaften ist es, künstliche Trennungen zum Beispiel zwischen Messobjekt und Beobachtung oder zwischen Natur und Gesellschaft sichtbar zu machen. Das hilft, Prozesse in ihrem Gesamtzusammenhang zu verstehen und die Intraaktionen verschiedener Aspekte ernst zu nehmen. Dieses Vorgehen scheint mir ein guter Tipp für jede Form wissenschaftlicher Arbeit zu sein.

 


Danke an Khaos.Kind und @totalreflexion für das Gegenlesen der Vorversion und die interessanten Diskussionen.

 

 

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Joachim Schulz ist Gruppenleiter für Probenumgebung an der European XFEL GmbH in Schenefeld bei Hamburg. Seine wissenschaftliche Laufbahn begann in der Quantenoptik, in der er die Wechselwirkung einzelner Atome mit Laserfeldern untersucht hat. Sie führte ihn unter anderem zur Atomphysik mit Synchrotronstrahlung und Clusterphysik mit Freie-Elektronen Lasern. Vier Jahre hat er am Centre for Free-Electron Laser Science (CFEL) in Hamburg Experimente zur kohärenten Röntgenbeugung an Biomolekülen geplant, aufgebaut und durchgeführt. In seiner Freizeit schreibt er zum Beispiel hier im Blog oder an seiner Homepage "Joachims Quantenwelt".

73 Kommentare

  1. übrigens ist das sozale Geschlecht eine Interpretation des biologischen, welches sich freilich unterschiedlich in sozialer Interaktion und Intraaktion zu erkennen geben kann (weil es eben nicht biologisch unweigerlich und unveränderbar evident sich entwickelt), es also durch Uwelteinflüsse multikausal manipuliert wird – man die Manipulation also auch künstlich herbei führen kann und also derart ursache zu konstruieren in der Lage sei, so die Mechanismen bekannt sind. Daraus sich ergibt, dass trotzdem soziales Geschlecht über biologisches Geschlecht sich definiert – es werden jeweils nur die Ultimate (im Dualismuskonstrukt) idealisiert, wonach Abweichungen bewertet werden.

    Bei aller Geschlechter-theoretisierung wurde meines E. vergessen, das Kind darin aufzunehmen. Dieses nämlich zeigt sich neuerdings wieder beachtet in der Vision des androgynen Wesens, das seinen Entwicklungsschritt zum ultimativen Geschlecht hin noch nicht begonnen hat, sondern erst einmal nur soziale Geschlechter Simmuliert, wie es gerade lustig ist.
    Dieses androgyne Wesen als Kind und in hinausgezögerter Adoleszens findet sich auch im Lebensabend wieder – nur eben dann mit nachdrücklich einstudierten/geübten sozialen Geschlechtsrollen, die dann aus Gewohnheit existent bleiben.
    Das “Erwachsensein” in der Vision nicht zwingender Entwicklung entspricht – etwa weil gewisse Umwelteinflüsse hier dagegen arbeiten und letztlich nur eine Phase der biologischen höchstmöglichen Entwicklung und Leistungsfähigkeit sei, die nicht einmal von jederman/frau erreicht werden muß und bei Überschreiten dieses Rubikons wieder degeneriert und das ultimative Geschlecht sich abbaut und es wieder zum tendenziel androgynen Wesen degeneriert.

  2. gab’s das nicht schon

    Erinnert mich iwie an die Vielen-Welten.
    Erst die Messung, Intra???-/Interaktion “hebt” eine der Möglichkeiten in die “eigene” Realität.

  3. @Herr Senf

    Nein, eben nicht. Die klassischen Interpretationen, inklusive der Viele-Welten-Interpretation, sehen das Quantenobjekt oder die Wellenfunktion als unabhängige Entität, die durch Messung untersucht und dabei vielleicht beeinflusst wird. Hier unterscheiden sich die Ansichten.

    Karen Barad hebt darauf ab, dass die Wellenfunktion erst durch den Messaufbau erzeugt wird und es in vielen Experimenten nicht sinnvoll möglich ist, einen Schnitt zwischen Quantenobjekt und Messaufbau zu machen. Der physikalische Prozess, der eine Messung vornimmt, ist als ganzes zu betrachten, was Teil des Experimentes ist und was eventuell vernachlässigt werden kann, kann eine individuelle Analyse ergeben. Wir können aber nicht sagen: “Wir haben hier eine Wellenfunktion und stecken sie dort in den Deketor und der macht dann irgendwas mit der Wellenfunktion.”

    Die Viele-Wellen-Theorie ist so ziemlich das Gegenteil von Barads Ansatz, weil sie die Globale Wellenfunktion als unabhäbgig existent voraussetzt.

  4. Unendlich viele Sinnfelder

    “Dadurch das wir etwas in einen Zusammenhang bringen schaffen wir eine neue Weltsicht und einen neuen Sinnzusammenhang” so lässt sich wohl der obige Artikel über Karen Barads Interpretation des Messvorgangs zusammenfassen.
    Dieser Gedanke wird auch prominent und noch etwas allgemeiner vom Philosophen Markus Gabriel vertreten, der im gedruckten Spiegel dieser Woche zum Interview angetreten ist.
    Zitat Markus Gabriel: “Wir sehen immer nur Ausschnitte von etwas, das unendlich ist. Ein Überblick über das Ganze ist unmöglich, weil das Ganze nicht einmal existiert. Wir bewegen uns in einer unendlichen Vielfalt von Feldern der Erkenntnis, von “Sinnfeldern”, wie ich es nenne, die alle voneinander unterschieden sind. .. Die Welt, in der wir leben , zeigt sich uns als ein unendlicher, stetiger Übergang von Sinnfeld zu Sinnfeld, eine endlose Verschmelzung und Verschachtelung, in der wir niemals ankommen, und ganz sicher nicht bei einem endgültigen Sinnfeld, das alles umfasst. Das Streben nach einer absoluten Idee, dem universellen Prinzip, sollten wir uns abgewöhnen.”
    In Markus Gabriels Sprechweise wird also beim Aufbau einer Messung von Quantenphänomenen ein Sinnfeld aufgebaut.
    Gabriels Gegenstand ist allerdings nicht die Welt des Messens sondern es ist der menschliche Geist und er meint dieser lasse sich gerade wegen der Sinnfrage nie rein naturwissenschaftlich erklären (Zitat)“.. entscheidende geistige Produkte wie Kunstwerke oder auch Staaten, Religionen, Institutuionen lassen sich nicht auf diese Weise untersuchen, am wenigsten mit den Methoden der Gehirnforschung”. Dies erwähne ich hier nur zum Zwecke der Abgrenzung. Doch die grundlegende Idee der unendlich vielen Sinnfelder passt auch zu den Vorstellungen Karen Barads was den Messvorgang betrifft.

  5. Gute Ideen

    Ich finde den philosophischen Einwand, dass unser menschliches Gefuehl in eindeutigen Kategorien schwarz/weiss, entweder/oder, richtig/falsch denken zu wollen, in’s Leere laeuft sehr gut. Deckt sich inzwischen auch mit meinen Erfahrungen, wenn es Probleme bei der Wissensvermittlung ggueber Laien (auch Politikern) gibt.

  6. @schnablo

    Die Experimente um die Wellen-Teilchen-Unterscheidung eignen sich sehr gut, um das Problem zu verdeutlichen. Hier zeigt sich, dass schon eine kleine Abwandlung des Experimentaufbaus (Erheben von Welcher-Weg-Informationen) zu völlig anderen Ergebnissen führen kann. Aber natürlich gibt es auch andere Fragen der Quantenmechanik, die man mit Barads Ansatz untersuchen kann.

  7. Laienfrage

    Eine Laienfrage, aber keine Scherzfrage:

    Gibt es eine unabhängige physikalische Aussenwelt, oder gibt es die Aussenwelt nur dann und so weit, wie man sie beobachtet?

    Rein gefühlsmässig glaube ich natürlich an eine unabhängige Aussenwelt.

  8. Der Beobachter muss kein Subjekt sein

    Ein Problem der Kopenhagen-Interpretation der Beziehung Quantenwelt – Makrowelt ist die Rolle des Experimentators. In dieser Interpretation wird oft suggeriert, der Experimentator entscheide welche von verschiedenen Möglichkeiten Realität werde. Damit würde einem (bewussten) Subjekt eine überragende Rolle in unserer Welt zukommen, was Karl Popper als “Einmischung des Beobachters in die Physik” bezeichnet.

    Dies scheint mir auch Karl Bednarik anzusprechen, wenn er schreibt:
    “Gibt es eine unabhängige physikalische Aussenwelt, oder gibt es die Aussenwelt nur dann und so weit, wie man sie beobachtet?”

    Die richtige Antwort kann nur heissen, dass es Situationen wie sie von einem menschlichen Beobachter im Rahmen eines Experiments aufgebaut werden auch sonst in der “Natur” häufig vorkommen. Und eine natürlich zustandegekommene “Beobachtugnssituation” muss das gleiche Resultat liefern wie eine Beobachtungssituation die vom Menschen aufgebaut wurde.

  9. @Karl Bednarik

    Das sind tatsächlich gleich zwei Fragen:
    1) Gibt es eine Welt, auch wenn wir sie nicht wahrnehmen?
    2) Kann man von einer Außenwelt sprechen?

    Karen Barads Ansatz ist eindeutig ein realistischer, sie nennt ihn auch Agentiellen Realismus. Sie geht also davon aus, dass die Welt nicht erst durch Beobachtung und Modellbildung geschaffen wird, sondern bereits existiert.

    Auf der anderen Seite stellt sie aber klar, dass die Granzziehung zwischen Außen- und Innenwelt problematisch sein kann. Wir bestehen ja aus Atomen, Molekülen, Zellen der Außenwelt. Barad geht nicht davon aus, dass es eine harte Grenze zwischen geistiger Welt und körperlicher Welt gibt, wie Cartesius sie eingeführt hat. Außerdem wendet sie sich gegen eine Weltsicht, die Menschen in den Mittelpunkt stellt. Es sollte keinen Unterschied machen, ob Schrödinger etwas beobachtet oder seine Katze.

  10. Dann verstehe ich diese Aufloesung aber immer noch nicht. Wenn man den Beobachter als Quantensystem modeliert und mit dem zu beobachtenden System wechselwirken laesst, dann befinden sich beide in einem gemeinsamen Zustand, der etwaige Unbestimmtheiten des Systems enthaelt. Wenn wir messen sehen wir aber eine Zeigerstellung und keine Ueberlagerung.
    Wie wird man den Wiederspruch los oder wo ist das Brett vor dem Kopf?

  11. @schnablo

    Naja, der Punkt ist, dass man hier versucht, eine Grenze zwischen Quantenmechanik und klassischer Physik zu ziehen. Wenn wir die zwischen Quantenobjekt und Messapparatur ziehen, kommen wir mit der Kopenhagener Deutung schon ein gutes Stück weiter. Wir müssen aber künstlich einen Kollaps der Wellenfunktion einführen.

    Wenn sie den Messapparat in die Quantenbeschreibung mit hineinnehmen, müssen wir eine gemeinsame Wellenfunktion annehmen und bekommen eine Überlagerung. Damit die aber ungestört bleibt, müssen wir annehmen, dass der Messaparat mit nichts anderem Wechselwirkt, dass die Grenze zwischen Messapparat und “Außenwelt” keine Störung verursacht. Und genau das ist ja der Punkt, der in einigen Quantenlaboren jetzt untersucht wird: Wie wirkt sich die Kopplung von ungeordneten Wechselwirkungen der Außenwelt auf den Verlust von Kohärenz aus?

    Es geht ja bei Barads Philosophie nicht darum, dass sie die Weltformel gefunden hätte, mit der sich alles auf eine Formel bringen lässt. Es geht darum, die Grenzziehungen, die wir in der Wissenschaft immer durchführen, kritisch zu hinterfragen: Ist mein Messaufbau wirklich isoliert? Muss ich einen Faktor mithineinnehmen, der sich im aktuellen Modell nicht berechnen lässt?

  12. Sein + Erkenntnis/Wissen nicht trennbar

    Wenn Realität nicht unabhängig vom Zugang zu dieser Realität existiert wie in Karen Barads Akteur-bestimmtem Realisimus gibt es keine objektive, absolute Realität, die unabhängig vom Standpunkt des Betrachters existieren würde. Die Realität wird nach Barad also erst in der Interaktion zwischen den Objekten dieser Realität erzeugt und die Objekte erhalten ebenfalls erst durch ihre Interaktion eine Existenz innerhalb der durch die Interaktion geschaffenen Realität.

    Völlig neu ist der Gedanke nicht, dass Interaktionen erst die Realität erzeugen. Neu ist aber der Gedanke, dass verschiedene Arrangements der Objektinteraktion verschiedene Realitäten erzeugen und nicht nur verschiedene Aspekte derselben Realität.

    Hier geht es auch um Lokalität versus Universalität. Wer Zeit und Raum als universelle Grössen nimmt wie Newton, der sieht die Objekte als Performer auf einer einzigen grossen, allen Zuschauern gleich erscheinenden Bühne. In Barads Konzeption der Realität, die durch die Art der Interaktionen geformt wird, gibt es dagegen keine für alle Beobachter gleiche Bühne, denn die Bühne entsteht, emergiert erst durch die Art der Interaktion.

    Mit ihrem agentiellen Realismus steht Barad auch für Emergenz im Gegensatz zum Reduktionismus sei er nun physikalisch oder sozial definiert.

  13. @Joachim

    »1) Gibt es eine Welt, auch wenn wir sie nicht wahrnehmen?«

    Über eine objektive Welt an sich können wir nichts wissen. Wenn wir einer solchen Welt eine Art der Existenz (was immer das auch heissen soll) zuschreiben, dann nur, weil uns das so bequem ist oder irgendwie vernünftig vorkommt. Das ist dann ein unbeweisbares wie auch unwiderlegbares Postulat.

    »2) Kann man von einer Außenwelt sprechen?«

    Die Frage nimmt implizit ein sprechendes Ich an, das mit den Begriffen Innen- und Aussenwelt Bedeutungen verknüpfen kann. Ludwig Wittgenstein hat eine passende Antwort (aus dem Tractatus): “Hier sieht man, dass der Solipsismus, streng durchgeführt, mit dem reinen Realismus zusammenfällt. Das Ich des Solipsismus schrumpft zum ausdehnungslosen Punkt zusammen, und es bleibt die ihm koordinierte Realität.”

    “Nix is fix.”
    – Rainhard Fendrich

  14. @Martin Holzherr

    Ihre Zusammenfassung könnte dahingehend missverstanden werden, dass die Welt erst in dem Augenblick Realität wird, in dem ein Akteur sie zu erfassen versucht. Das Gegenteil ist der Fall: Die Akteure sind Teil der Realität, sie sind in ihr entstanden.

    Was beim versuch, die Welt zu verstehen, kreiert wird, sind die Grenzen zwischen unterschiedlichen Entitäten. Die können hilfreich und auch gut begründbar sein. So kann ich die äußerste Schicht meiner Haut in den meisten Fällen als natürliche Grenze meiner Person definieren. Aber es könnte eben Situationen geben, in denen diese gezogenen Grenzen problematisch werden. Zum Beispiel wenn ich den Einfluss einer Krankheit auf meinen Körper beschreiben möchte. Da liegen die Grenzen plötzlich anderswo.

  15. @Joachim: Auch Natur hat Geschichte

    Wenn folgendes gilt (Zitat)“Die Akteure sind Teil der Realität, sie sind in ihr entstanden.” und zugleich zutrifft, dass durch die Art der Interaktion die Realität bestimmt oder erzeugt wird, dann muss jede Realität das Ergebnis einer Geschichte sein womit der bei vielen Physikern beliebte Topos der “Zeitillusion” selber eine Illusion oder gar ein grosser Trugschluss wäre.
    Karen Barad scheint jedenfalls an die Geschichtlichkeit von fast allem zu glauben.

    In ihrem Aufsatz Posthumanist Performativity: Toward an Understanding of How Matter Comes to Matter wählt sie als Eingangsmotto oder Zitat folgende Sätze:
    “Where did we ever get the strange idea that nature—as opposed to cul-
    ture—is ahistorical and timeless? We are far too impressed by our own
    cleverness and self-consciousness. . . . We need to stop telling ourselves
    the same old anthropocentric bedtime stories.”

    Im Aufsatz liest man dann den folgenden Satz, der explizit auf die Zeittrajektorie als offen und nicht vorbestimmt eingeht:
    “Matter plays an active, indeed agential, role in its
    iterative materialization, but this is not the only reason that the space of
    agency is much larger than that postulated in many other critical social
    theories. Intra-actions always entail particular exclusions, and exclusions
    foreclose any possibility of determinism, providing the condition of an open future. Therefore, intra-actions are constraining but not determining. That is, intra-activity is neither a matter of strict determinism nor unconstrained freedom. The future is radically open at every turn.”

  16. Aufstand gegen den Topos “Zeitillusion”

    Lee Smolin hält Zeit für real nicht für eine Illusion wie die meisten orthodoxen Phyisker und hat deshalb das Buch “Time Reborn” geschrieben. In einem Interview sagte der am Perimeter-Institut forschende Theoretiker gar:
    “Time is paramount,” he said, “and the experience we all have of reality being in the present moment is not an illusion, but the deepest clue we have to the fundamental nature of reality.”

    Most physicists would say the latter, but Lee Smolin challenges this orthodoxy in his new book, “Time Reborn”

  17. @Martin Holzherr

    Es gibt orthodoxe Physiker, die Zeit nicht für real halten? Aber sicher nicht sehr viele, oder? Da sollte man mal eine Umfrage außerhalb der Nischengebiete wie Stringtheorie und Quantengravitation machen.

  18. Zeitbegriff an GrenzePhysik/Philosophie

    Wieviel Physiker die Zeit für eine Illusion halten weiss ich nicht. Das Thema Zeit und Physik ist aber beliebt für feuilletonistische und wissenschaftsjournalistische Betrachtungen.
    So hatte “Bild der Wissenschaft” 1/2008 das Hauptthema “Zeit ist nur eine Illusion”.

    Oft wird Bezug auf Einstein genommen um zu begründen warum Zeit nur eine Illusion ist.

    Der FAZ-Feuilleton-Artikel Die Abschaffung der Zeit wird gleich mit einem Einstein-Zitat zum Thema eingeleitet:
    „Für uns gläubige Physiker“, schrieb Albert Einstein kurz vor seinem Tod, „hat die Scheidung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nur die Bedeutung einer wenn auch hartnäckigen Illusion.“
    Der Artikel Physiker entdecken die Zeitlosigkeit verwirrt den Leser mit nicht überzeugenden Gedankenexperimenten und endet dann beim Blockuniversum, wo Zeit nur einfach die vierte Dimension ist.

    Ist es in der Physik Orthodoxie die Zeit für eine Illusion zu halten?
    Mir scheint eher, dass die Physiker sich mit dem Zeitpfeil arrangiert haben ohne ihn zu verstehen. Oft wird der Zeitpfeil mit der Entropie in Zusammenhang gebracht aber immer nur in einer qualitativen Weise. Eine nützliche Formel, die einen Zusammenhang Entropie/Zeitpfeil herstellt, kenne ich nicht.
    Interessant scheint mir, dass der Raumbegriff analytisch besser zugänglich ist und mehr Details zeigt als der Zeitbegriff. So scheint in der Causal dynamical triangulation, aber auch in vielen Quantengravitationstheorien der Raum in sehr kleinen Gebieten fraktale Eigenschaften zu haben.
    Nun, das mag einfach daran liegen, dass es mehr als eine Raumdimension gibt aber nur eine Zeitdimension. Doch die Zeitdimension auf die gleiche Stufe zu stellen wie die Raumdimensionen könnte vielleicht grundsätzlich falsch sein.

  19. @Martin Holzherr / Smolin und sein Buch

    Für Smolin ist “an illusion” gleichbedeutend mit “emergent”, und dies wiederum ist ihm das Gegenteil von “real”. Diese Redeweise findet auch Sean Carroll sehr befremdlich:

    He [Smolin] summarizes his view by saying “time is real,” but by “time” he really means “the arrow of time” or “an intrinsic directedness of physical evolution,” and by “real” he really means “fundamental rather than emergent.” (Opposing “real” to “emergent” is an extremely unfortunate vocabulary choice, but so be it.)

    http://www.edge.org/…ersation/think-about-nature

    Smolins Vokabular soll wohl die Buchkauf-Reflexe der zuletzt auf “time is an illusion” dressierten Feuilletonleser stimulieren.

  20. Trennung nicht möglich?

    Auch wenn eine strikte Trennung nicht möglich ist, welcher Anteil beim einzelnen nur Natur und welcher Gesellschaft ist, kann man doch über entsprechende Forschung klare Tendenzen erkennen.

    Beispielsweise ändert sich das Spielverhalten mit dem Testosteronspiegel, cloacal exstrophy gibt auch einen gewissen Rückschluss, CAH-Mädchen zeigen ein bestimmtes Verhalten etc.

    Zudem zeigt die Udry-Studie, dass auch eine Erziehung in eine bestimmte Richtung stark durch die Biologie beeinflusst wird.

    In jedem Fall würde aber auch eine Verflechtung dazu führen, dass man beide Seiten prüfen muss. Was beispielsweise Butler in ihren Theorien nicht beachtet (sie geht meines Wissens nach zu keinem Zeitpunkt auf biologische Faktoren ein).

  21. @ Christian Trennung nicht möglich?
    03.07.2013, 19:12

    -> Solcherart Forschung ist unpopulär. Weil man dabei auch an sich selbst forscht. Und zudem daraus biologistische Argumente hervorgehen, die scheinbar lieber nicht öffentlich werden sollen.

    Vor allem was das Testostheron, Hirnphysiologie und -funktion angeht.

    Man verpackt alle Folgen lieber in psychischen Visionen und gibt darüber Pathologisierungsrichtung vor – umschifft wichtige persektiven mit Verhaltensweisen beschreibende “Geschichten”. Das dies bisher ausreichte, ist eigendlich unverständlich. Aber “Verhalten” ist eben hochpolitisch… und deswegen schon Aussagekäftig genug.

  22. @Christian und @cris

    Dass eine Trennung grundsätzlich unmöglich ist, sage ich doch gar nicht. Und dass “Biologie” auch Einfluss hat, ist doch genau die Bedeutung meines Halbsatzes: “weil die beiden Kategorien miteinander verschränkt sind.”

    Wobei hier tatsächlich die Frage erlaubt sein muss: Ist denn Verhaltensbiolgie keine Biologie? Ist die Formbarkeit des Gehirns durch Lernen nicht teil der Biologie? Die Unterscheidung, Angeborenes sei natürlich und Erworbenes nicht, halte ich für zweifelhaft.

  23. @ Joachim @Christian und @cris
    03.07.2013, 19:57

    -> Angeborenes wird sehr viel überinterpretiert – wie es derzeit auch mit den Genen und Veranlagung noch der Fall sei. Die Formbarkeit des Gehirns hat aber auch Grenzen. Frei nach der Strategie: aus einem kantigen Fels einen geschmeidigen Kiesel machen, könnte man mutmaßen, dass die Entwicklung des Gehirns eine Reihe Eigenschaften und Funktionen hervorbringt, die später irgendwie leicht vom Erwünschten abgespalten werden wird – zerstört werden kann. Einmal erworbene Leistungsfähigkeit geht schlichtweg nur dann wieder weg, wenn diese an funktional entsprechender Stelle organisch zerfällt. Entweder aus Altersgründen oder per therapeutische Methode. Da helfen seltenst wortreiche Sitzungen beim Psychiater/Psychologen – so zumindest scheint es.

    Das quantenphysikalissche Messproblem über in Kulturtechnicken, menschlichem Verhalten und biologie steckende Begebenheiten zu besprechen, macht wenig Sinn. Ich fand schon die zwei letzten Absätze im Artikel prinzipiel zwar in etwa passend, aber doch so weit abseits des Problems, dass es zerstreut. Das wird erst wieder interesant, wenn sich herrausstellt, dass unser Gehirn doch einen strukturel funktionaler Quantencomputer darstellt. Dann nämlich … kommt das Messproblem wieder ins Spiel – und vielleicht eine neue Grenzziehung oder/und strukturel komplexeste Verschränkung der Dimensionen.

    Grundsätzlich tendiere ich selbst zu einer Unmöglichkeit der Trennung – obwohl sicher Redundanz angenommen werden muß, sodass wiederum eindeutige Beweise nicht leicht erkennbar seien – weil sie etwa anderweitig determiniert sind, als ausschliesslich vom Messsystem.
    Der Quantenzufall jedenfalls ist Deutung aus Verlegenheit.

  24. @cris

    Ich fand es halt interessant, wie Karen Barad als gelernte theoretische Teilchenphysikerin die Lehren aus dem Verständnis der Quantenmechanik in den Sozialwissenschaften anwendet.

    Erfrischender Weise nicht, indem sie spekuliert, dass dort irgendwie Quantenprozesse wirken könnten, sondern indem sie eine Methodik zum Erkenntnisgewinn aus den Naturwissenschaften in die Sozialwissenschaften überträgt.

    Aus der Quantenmechanik können wir lernen, dass uns Vorannahmen über die Trennbarkeit von Prozessen in die Irre führen können. Dasselbe kann auch in anderen Wissenschaften passieren, selbst wenn die Wirkzusammenhänge dort ganz andere sind und nichts mit Quantenmechanik zu tun haben.

  25. Messvorgang verstanden.

    Hallo allerseits,
    Es ist mir ein Vergnûgen Euch mitzuteilen, dass ich mit der Verôffentlichung meines logischen Systems begonnen habe.

    Im Rahmen der Perspektivenlogik erscheint die quantenmechanische Wirklichkeit vollkommen logisch und geordnet und sie lässt sich dazu noch in die relativistische Wirklichkeit vollständig integrieren.

    Die Perspektivenlogik operiert mit An-Argumenten, also Vorsicht – einmal gelesen, nie wieder falsch denken 😉
    Wenn es das ist, was jeder von uns wünscht, dann freue ich mich auf Euch.

    Maciej

  26. Der liebe Ludwig

    Interessante Gedanken, aber ich glaube man kommt bei der ganzen Sache letztlich nicht um Wittgenstein herum bzw. um seine Ausführungen, was die Grenzen der Sprache und damit des Denkens betrifft. Es wäre doch arg vermessen, davon auszugehen, dass es in der Natur “an sich” exakt so etwas gäbe, das unserem abstrakten Konzept z.B. eines Elektrons entspricht. Die Natur ist so wie sie nunmal ist und wir können immer nur Teilbereiche des Wirklichen beschreiben, wodurch sich in manchen Fällen Dualismen und scheinbare Widersprüche ergeben, die aber eigentlich natürlich nicht bestehen. Davon abzugrenzen sind natürlich die Widersprüche, die sich durch falsche Anwendung unserer Methoden ergeben, aber das sind dann immer “nur” logische Widersprüche, die letztlich wieder auf menschlich gemachten Axiomen basieren. Alleine schon der Ansatz, alles prinzipiell erstmal mit einer 2-wertigen Logik beschreiben zu wollen mag für Menschen naheliegend und sinnvoll sein, kann aber immer nur ein unvollständiges Abbild der Wirklichkeit beschreiben. Wir kommen nunmal nicht um die Sprache herum und wir kommen daher auch nicht “hinter” ihre Abstraktionen.

    “Denn um dem Denken eine Grenze zu ziehen, müssten wir beide Seiten dieser Grenze denken können (wir müssten also denken können, was sich nicht denken lässt). Die Grenze wird also nur in der Sprache gezogen werden können und was jenseits der Grenze liegt, wird einfach Unsinn sein.”

  27. Ja, der Ludwig war echt lieb.
    Doch die Logik kann nicht nur im wittgensteinschen Sinne verstanden werden.
    Es geht um den logischen Kosmos.
    Wir können uns durchaus vorstellen, dass extraterrestrische Lebensformen existieren, welche vor 500 Millionen Jahren das Bewusstsein entwickelt haben – wären die Regel, welche dieser überaus lieber und überaus große Mensch aufgestellt hat auch für diese fernen Denker maßgeblich?
    Er selbst verwarf seine Ideen im Laufe seines eigenen kurzen Lebens…
    Es ist nichts kosmisch großes – es ist nur ein großkleiner Schritt vorwärts.

  28. Formalisierung der Wirklichkeit.

    Es ist mir eine Ehre, Euch mitzuteilen, dass ich soeben die Formalisierung der Wirklichkeit online gestellt habe.
    Eure Fragen sind somit obsolet geworden.
    Wie die Quantenphysik zu verstehen ist, ist klar und einfach dargestellt.
    Für mich ein echtes Abenteuer.

    Maciej Zasada

  29. Es ist mir eine Ehre, Euch mitzuteilen, dass ich soeben die Formalisierung der Wirklichkeit online gestellt habe.
    Eure Fragen sind somit obsolet geworden.
    Wie die Quantenphysik zu verstehen ist, ist klar, deutlich und einfach dargestellt worden.
    Für mich war das ein echtes Abenteuer.

    Maciej Zasada

  30. Kommt mir bekannt vor

    Sehr geehrter Herr Schulz,

    der Ansatz von Karen Barad, wie Sie ihn beschreiben, kommt mir – zumindest aufgrund Ihrer knappen Ausführungen – überaus bekannt vor. Können Sie etwas dazu sagen, inwiefern er sich unterscheidet von den erkenntnistheoretischen Ausarbeitungen Edmund Husserls und Niklas Luhmanns?

    Schlagwortartig lässt sich die von Luhmann ausgearbeitete Position, bei der er sich wesentlich auf die Phänomenologie von Husserl stützt, so beschreiben, dass Erkenntnis nur deshalb möglich ist, weil die Realität unerreichbar bleibt. Wir ziehen Schnittlinien in die Welt, die es erst ermöglichen, von etwas als etwas zu sprechen. Denn um von etwas sprechen zu können, muss es sich eben unterscheiden von allem anderen oder von etwas Bestimmtem. Die Realität bleibt hingegen unerreichbar, sie bleibt Horizont, weil es in ihr als “Umwelt der Erkenntnis” kein Korrelat für die binären Schematisierungen gibt, mit denen man versucht, nach ihr zu greifen; die eben erkennend eingeführt werden und die deswegen immer auch anders ausfallen können.

  31. Das Experiment

    Lieber Patrick Köppen,
    ich muss gestehen, dass ich mich mit Luhmanns Ansätzen noch nicht im Detail befasst habe. Ich werde das nachholen.
    Es überrascht mich allerdings nicht, dass sich unterschiedliche Ansätze der Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie ähnlich sind. Schließlich versuchen sie, dieselbe Wirklichkeit zu beschreiben.
    Karen Barad legt dabei großes Gewicht auf das Experiment und den Einfluss des von Aufbau und Durchführung eines Experimentes auf die möglichen Ergebnisse. In der Physik wird dieses Spezielle Problem oft vernachlässigt und tatsächlich gibt es in der klassischen Physik genügend Beispiele, wo man einen Einfluss des Aufbaus auf die Phänomene vernachlässigen kann.
    In der Quantenmechanik und in Sozialwissenschaften sind vereinfachende Annahmen, die den Experiment- oder Studienaufbau vernachlässigen dagegen mit großer Vorsicht zu treffen.

  32. Lieber Herr Schulz,

    ich bin selbst Jurist, beschäftige mich jedoch mit Fragen der sozialen Realität des Rechts und seiner Beziehung zu anderen sozialen Systemen.

    Dass der Einfluss der systemrelativen Erkenntnis – auf Ihrem Gebiet der des Experiments – mindestens nicht hinreichend ernst genommen wird, um einen Sachverhalt zu verstehen, ist gerade bei Juristen die Regel und – wie bei Ihnen – oftmals nicht nötig.

    Jedoch versuchen sich Juristen zunehmend an der “Regulierung” der Gesellschaft oder Ausschnitten davon und spätestens dann wird es riskant, viel Augenmerk auf rechtliche Kohärenz und wenig auf die Frage zu richten, was überhaupt das Werkzeug ist, mit dem man versucht “Sozialkontrolle” – und Kontrolle wovon eigentlich? – auszuüben.

    Im Unterschied zu den Naturwissenschaften ist im sozialen Bereich der Widerspruch gegen falsche Modelle jedoch diffuser. Die Natur reagiert nicht evolutionär auf zu einfache Modelle, sondern entspricht dem Modell oder nicht – zumindest im Ausgangspunkt. Modelle vom Sozialen sind dagegen selbst Teil dessen, was sie beschreiben sollen und setzen auf diese Weise etwas in die Welt, worauf andere soziale System reagieren und woran sie sich anpassen können. Wichtiger ist jedoch: Man sieht nur, was man sieht, womit alles auf zirkuläre Weise für richtig erklärt werden kann, wenn man sich nur hinreichend gegen Widersprüche immunisiert – und an dieser Stelle treffen vermutlich Ihre und meine Interessen zusammen, weil es dann gleichermaßen allein um die eigenen Konstruktionsprozesse der Realität geht, seien es soziale Sachverhalte oder die Natur.

    Auf Ihr Blog bin ich übrigens gestoßen, weil ich wissen wollte, inwiefern das Beobachterproblem beim Welle-Teilchen-Dualismus verwandt ist mit den mich interessierenden Fragen.

    Beste Grüße!

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  34. @joachim, ich finde, dass du dass eh schon schwierige thema der quantenmechanik mystifizierst.

    1. es existiert eine konsistente beschreibung der quantenmechanik. die dynamik wird durch die schroedingergleichung beschrieben. messwerte sind operatoren auf unendlich dimensionalen raeumen. der erwartungswert der wellenfunktion fuer den mess-operator ist die wahrscheinlichkeit fuer das auftreten eines bestimmten messergebnisses, oder so aehnlich.

    2. intuitiv ist das kaum zu fassen. aber wir bewegen uns ja mathematisch auch in unendlichdimensionalen raeumen.

    3. feymanns formalimus der pfadintegrale ist anschaulicher, aber letzlich aequivalent. die mathematik ist nicht leichter.

    4. die ergebnisse der meisten experimente lassen sich intuitiv so verstehen, dass sich der quantenzustand wie ein teilchen verhaelt (photoelektrischer effekt) oder wie eine welle (doppelspalt experiment). tatsaechlich ist er weder ein teilchen noch eine welle sondern das eingangs beschriebene schwer fassbare mathematische konstrukt.

    5. die beschreibung, dynamik ist voellig korrekt, denn es gibt keine, absolut keine abweichung zu den messergebnissen. man kann beim doppelspalt seine messaperatur vorwaerts und rueckwaerts, links und rechts bewegen und das ergebnis stimmt mit der theorie ueberein.

    6. sobald man gessen hat, ist die wahrscheinlichkeit, dass das teilchen ausserhalb der messaperatur ist gleich null. das war sie vor der messung gemaess der theorie nicht. mit der messungen hat man also gravierend in die wellenfunktion eingegriffen. wie diese interaktion genau zu interpretieren ist, ist strittig. der zusammenbruch der wellenfunktion ist meines erachtens die am meisten akzeptierte interpretation, schoen ist nicht.

    7. deswegen die wellenfunktion und den formalismus in gaenze in frage zu stellen ist aber unbegruendet, denn die messung stimmt exakt mit der theorie ueberein.

    8. die frage, ob die wellenfunktion ausserhalb der messung real ist oder nicht ist nicht relevant. feymann braucht sie nicht und kommt zum selben ergebnis. die wellenfunktion, ist ein mathematisches konstrukt, mit dessen hilfe wir die realitaet beschreiben.

    9. die trennung in quantenzustand und messung ist also eine wunderbar bestaetigte dichotomie. wenn es einer besser mavhen will, so soll er eine theorie aufstellen und eine vorhersage machen, die von der dichotomen quantenmechanik abweicht. dann messen wir und wissen anschliessend wer recht hat.

    10. es ist doch lediglich das bild des zusammenbruchs der wellenfunktion, dass intellektuel nicht ganz befriedigt, aber deswegen muss ich doch nicht alles in frage stellen. es gibt keine widersprueche.

    die frage, ob der mond noch am himmel scheint, wenn ich nicht hinschaue, sagt die quantenmechanik, dass es eine minimalste wahrscheinlichkeit dafuer gibt, dass er nicht mehr da ist. diese zahl ist aberwitzig klein und voellig belanglos, zeigt aber wie sehr die quantenmechanik unserer intuition widerspricht. wuerden wir anstatt mond, elektron sagen, dann nimmt diese wahrscheinlichkeit substantielle groessen an. es passiert. wahrscheinlich ist in diesem fall eine interpretation als welle angemessener.

    11. die quantenmechanik ist nur fuer elementare teilchen relevant, aber fuer alle teilchen richtig. malroskopische teilchen, also auch monde verhalten sich immer wie klassische teilchen. sie verschwinden nicht.

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  37. Die Argumentation von Karen Barad ist widersprüchlich. Denn der Kern ihrer Argumentation lautet: „Es gibt aber keine von Messungen unabhängige Physik.“ Was sind aber Messungen? Wenn etwa ein Messband neben ein Objekt gelegt wird, befinden sich dort zwei materielle Objekte, nichts weiter, d.h. der eigentliche Vorgang der Messung findet allein im Bewusstsein statt. Dasselbe gilt für Quantenzustände, so dass die Kern-Aussage von Barad lautet: „Es gibt aber keine vom Bewusstsein unabhängige Physik.“ Das ist jedoch der idealistische Standpunkt.
    Eingangs heißt es dagegen, dass es das Programm von Barad ist, „eine Erkenntnistheorie zu schaffen, die den Messprozess als Teil wissenschaftlicher Arbeit ernst nimmt ohne in einen Anthropozentrismus abzugleiten, der menschlichem Bewusstsein eine besondere Bedeutung für den Messprozess zuschreibt“. Das ist der realistische Standpunkt, der sinngemäß lautet: „Es gibt eine vom Bewusstsein unabhängige Physik.“

    Wie sieht dagegen die reine oder stringente idealistische Erklärung aus, der nach dem Bewusstsein eine besondere, ja alleinige Bedeutung für den Mess- und Erkenntnisprozess zukommt? Das wäre dann der Fall, wenn wir die Realität oder das Absolute in keiner Weise erkennen könnten, bzw. umgekehrt ausgedrückt, wenn (mit dem Tier entstandenes) Bewusstsein nur seine eigenen, in ihm selbst geschaffenen und nur dort existierenden Strukturen erkennt, genauso wie bei der Farbwahrnehmung. Dann ist und bleibt gemäß Kant das transzendentale Objekt (als „Ding an sich“), „welches der Grund dieser Erscheinung sein mag, die wir Materie nennen, ein bloßes Etwas, wovon wir nicht einmal verstehen würden, was es sei, wenn es uns auch jemand sagen könnte“ (Kant, B 333).
    Wäre das ein „Anthropozentrismus“? Nein, ganz im Gegenteil, anthropozentrisch ist es, wenn der Mensch unbeirrt und dogmatisch davon ausgeht, dass er das Reale, Absolute oder Göttliche erkennen können muss und er selbst Teil des Absoluten sein muss und nicht nur eine bloße, vergängliche Erscheinung.

    Die Versuche und Ergebnisse der Quantenphysik, so wie sie sind, sind in diesem neuplatonisch-idealistischen Verständnis nicht mangelhaft, unvollständig und paradox, wie es »uns« in der Perspektive des Realismus erscheint, sondern sie sind eine vollständige und perfekte Erkenntnis des (nicht erkennbaren) Realen, Absoluten und des Tuns unseres Bewusstseins. Die weltliche Grundstruktur des in Zeit und Raum getrennten Seins ist darin nicht Teil des Realen, Absoluten, sondern in dieser im Bewusstsein entstandenen Grundstruktur erscheint uns das Reale, Absolute genauso wie uns in den Farben ein bestimmter Teil der elektromagnetischen Strahlung erscheint, d.h. ohne dass wir auf diese optische Weise die elektromagnetische Strahlung „an sich“ erkennen könnten. In der weltlichen Struktur ist alles Sein vergänglich, erscheinungshaft und besitzt keinerlei Realität und »wir« als Teil dieser Struktur können ein Reales oder Absolutes nicht erkennen und uns nicht einmal vorstellen, „was es sei, wenn es uns auch jemand sagen könnte“.

    In diesem neuplatonisch-idealistischen Verständnis sind ebenfalls die „künstliche Trennungen zum Beispiel zwischen Messobjekt und Beobachtung“ aufgehoben, aber es ist hier nach Kant „das Geheimnis des Ursprungs unserer Sinnlichkeit“, über die Kant weiter sagt: „Ihre Beziehung auf ein Objekt, und was der transzendentale Grund dieser Einheit sei, liegt ohne Zweifel zu tief verborgen, als daß wir, die wir sogar uns selbst nur durch inneren Sinn, mithin als Erscheinung, kennen, ein so unschickliches Werkzeug unserer Nachforschung dazu brauchen könnten, etwas anderes, als immer wiederum Erscheinungen, aufzufinden, deren nichtsinnliche Ursache wir doch gern erforschen wollten (Kant 1787, B 334). »Wir« könnten ein Reales, Absolutes nur immer als ein »uns« in Zeit und Raum gegenüberstehendes Sein erkennen, doch in dieser erscheinungshaften Struktur ist es nicht das Reale, Absolute „an sich“. Das, was »wir« erkennen, gehört stets zu uns und unserer erscheinungshaften weltlichen Struktur, während wir das Reale, Absolute in keiner Weise erkennen können und daran als weltliches Sein auch nicht teilhaben.

    Die „künstliche Trennung“ zwischen uns und anderen Objekten der Welt betrifft auch „Natur und Gesellschaft“. Denn im Weltbild des Realismus, in dem der Mensch sein Sein als auch die Trennung zwischen seinem Sein und dem der Natur für real und absolut hält, versucht er heute durch die moderne Technik, dieses sein scheinbar so reales und absolutes Sein zu vervollkommnen und so praktisch ein Paradies auf Erden für dieses Sein zu schaffen. Doch es zeichnet sich ab, dass es im begrenzten Lebensraum der Erde hierbei zu genauso paradoxen Ergebnissen kommt wie in der Quantenphysik, und zwar aus demselben Grund wie in der Quantenphysik, nämlich durch das falsche Weltbild, das in die weltliche Struktur Realität hineinprojiziert, die es dort gar nicht gibt (weswegen dieses Tun eine Form der Metaphysik ist).
    Der Idealismus, in dem der weltlichen Struktur keine Realität zukommt, ist dagegen der wahre Realismus. Unsere weitere explosionsartige Entwicklung oder Evolution in dem begrenzten Lebensraum der Erde gleicht daher einem klassischen naturwissenschaftlichen Experiment zur Verifizierung einer Theorie oder eines Weltbildes, und zwar existenziell, d.h. hierbei können wir nicht einfach dogmatisch und hypothetisch an der falschen, den Versuchsergebnissen widersprechenden Theorie weiter festhalten.

    • Zitat:“der eigentliche Vorgang der Messung findet allein im Bewusstsein statt.”. Nein, Messen ist letztlich eine Interaktion eines physikalischen Objekts mit einem anderen physikalischen Objekte. Nur gerade das Ablesen des Messresultats benötigt Bewusstsein oder einen Computer.
      Beispiel: Der Abstand Mond-Erde wird über die Laufzeit eines Lichtstrahls gemessen, der zwischen Erde und einem von den Apollo-Astronauten auf dem Mond platzierten Spiegel hin- und herreflektiert wird.
      Das Wesentliche an diesem Messvorgang ist der klar definierte Lichtpuls und -weg. Der Messvorgang ist also das Messen mit einem geichten physikalischen Vorgang.

      Ohne Messen gibt es keine physikalischen Fakten und das Erheben von physikalischen Fakten (das Messen) benötigt immer eine Interaktion mit (geeichten) physikalischen Objekten, mit Objekten, die man bereits sehr gut kennt (damit man sie kennt müssen sie ebenfalls vermessen werden, ein infiniter Regress??).

      Wenn Messen ein zentraler Vorgang in der Schaffung von Wissen ist, bedeutet das zuerst einmal, dass Interaktionen von Bekanntem mit Unbekanntem (weniger Bekanntem) zentral ist. Nicht das Bewusstsein sondern die Interaktion steht meiner Ansicht nach im Zentrum von Karen Barads Überlegungen. Interaktionen im Bereich der Quantenwelt sind besonders delikat, denn ohne Interaktion kann nichts gemessen werden, aber jede Interaktion mit der Quantenwelt zerstört (oder stört mindestens) die Quantenwelt. Hier, im Bereich der Quantenexperimente, spricht Karen Barad zurecht von Intraaktion: Die Gesamtanlage des Experiments und nicht etwa nur ein Messpunkt bestimmen was passiert und was gemessen wird. Es ist so als ob die Schauspieler auf einer Bühne eine eigene Welt schaffen, die nur verstanden werden kann, wenn man alle Schauspieler und ihre Stellung zueinander kennt.

  38. Zitat: „Nein, Messen ist letztlich eine Interaktion eines physikalischen Objekts mit einem anderen physikalischen Objekte. Nur gerade das Ablesen des Messresultats benötigt Bewusstsein oder einen Computer.“

    Natürlich geben wir einem Messband eine besondere Struktur oder definieren einen Lichtimpuls zur Messung der Entfernung Erde-Mond. Doch letztlich meine ich, ist es dasselbe wie mit den Buchstaben dieses Textes, d.h. obwohl wir ihnen eine bestimmte Form geben oder sie in bestimmter Weise anordnen, liegt die Bedeutung, das Erkennen oder Messen allein im Bewusstsein. Dadurch, dass sie als Sprache verwendet werden, hat sich nicht das Geringste am materiellen Sein der Buchstaben geändert. Nicht die Buchstaben als solche enthalten dabei Informationen, sondern das geschieht im Bewusstsein, ebenso wie Geldscheine letztlich nur bedrucktes Papier sind. Der Wert eines Geldscheines, die Information der Buchstaben dieses Textes und dann auch die Messung einer Entfernung sind nicht real, sondern ideal.

    Das betrifft selbst das Sein eines Menschen (als Geist-Materie-Problem), d.h. man wird im Gehirn eines Menschen keinerlei Geist finden, sondern nur physikalisch-chemische Vorgänge in den Neuronen, im Grunde genauso wie in einem Computer, einem Tier, einer Pflanze oder eben einfach der materiellen Welt. Lässt sich auch die Quantenproblematik als Geist-Materie-Problem darstellen? Dem Gedankenexperiment „Schrödingers Katze und Wigners Freund“ nach ja. Doch hier lässt es sich sogar lösen, allerdings nur in der Weise des Idealismus und es ist nicht das, was »wir« unter „Lösung“ verstehen. d.h. man sollte es vor allem nicht in einen Zusammenhang mit „esoterischem Unfug wie Quantenheilung und Gedankenverschränkung“ bringen.

    • @Bern Ehlert: „Es gibt aber keine von Messungen unabhängige Physik.“ (Satz von Barad) bezieht sich auf die Wissenschaft Physik, nicht auf das physikalische Universum – und Wissenschaften sind immer Produkte bewussten Denkens und Tuns des Menschen. Sie scheinen speziell den Messprozess mit “Bewusstsein” in Verbindung zu bringen, doch der Messprozess ist materieller durchwirkt als die meisten anderen wissenschaftlichen Prozesse (z.B. ist Messen “materieller” als die Literaturrecherche). Sie gehen so weit, aus der Bewusstseinskomponente, die beim Messen – wie bei anderen wissenschaftlichen Prozessen – vorhanden ist, zu folgern: “„Es gibt aber keine vom Bewusstsein unabhängige Physik.“ und haben damit sogar recht, wenn sie mit Physik die Lehre, die Wissenschaft Physik meinen. Für das Objekt, auf das sich die Physik bezieht – das physikalische Universum – für das können sie aber nichts daraus folgern, dass Messen eine Bewusstseinskomponente enthält, denn für den Objektbereich des wissenschaftlichen Interesses gilt nicht das Gleiche wie für die Lehre über diesen Objektbereich. Beispiel: Die Struktur eines Steines zu erkennen ist ein bewusster Prozess, der Stein aber ist ein materielles Objekt.
      Der Satz von Barad, den sie zitieren: “„Es gibt eine vom Bewusstsein unabhängige Physik.“ kann niemals bedeuten, es gebe eine Physiklehre unabhängig vom Bewusstsein, sondern nur, es gebe ein physikalisches Universum unabhängig vom Bewusstsein.

      Barads Programm, das sie zitieren („eine Erkenntnistheorie zu schaffen, die den Messprozess als Teil wissenschaftlicher Arbeit ernst nimmt ohne in einen Anthropozentrismus abzugleiten, der menschlichem Bewusstsein eine besondere Bedeutung für den Messprozess zuschreibt“.) kann sinnvollerweise nur bedeuten, dass sie dem Messprozess keine weitere Bedeutung geben will als den für die Erkenntnisgewinnung. Für die Verhältnisse im physikalischen Universum selbst soll der Messprozess dagegen möglichst wenig Bedeutung haben und quantentheoretische Deutungen und Interpretationen, die die physikalische Wirklichkeit implizit mit Bewusstsein in Zusammenhang bringen will sie gerade überwinden.

      Ich finde Barads Bemühungen sehr wichtig um die Bewussseins-Fixierung der vergangenen Jahrhunderte zu überwinden. Mir scheint eine skeptische Haltung, die nur dem eigenen Denken, dem eigenen Bewusstseinprozess traut und alles andere in Frage stellt, nicht vereinbar mit dem Realismus (es gibt Dinge unabhängig von mir). Ohne Realismus aber gibt es auch keinen Universalismus und keine von allen Menschen und Dingen geteilte Welt.

      • Ergänzung: „Es gibt aber keine von Messungen unabhängige Physik.“ ist für die Quantenphysik doppelt wahr. Diese Satz gilt für die Physiklehre und für die untersuchte physikalische Welt, denn jede Messung im Quantenbereich stört die physikalische Quantenwelt. Doch das Ziel der Physiklehre muss es sein, trotz diesem Dilemma etwas über die physikalische Welt aussagen zu können, was immer gilt und nicht rein beobachterabhängig ist. Tatsächlich scheint das den Quantentphysikern gelungen zu sein. In der Mehrheit sind sie zur Meinung gekommen, dass die Quantenwelt selbst, so wie sie mit der Mathematik der Quantenphysik beschrieben wird, selbst nicht real ist, sondern nur Potenziale enthält, die sich mit gewisser Wahrscheinlicheit in Realität umsetzen.

  39. Das Erkenntnissubjekt, es gibt dies nur als Menschen, denn es muss verlautbaren können, um als Erkenntnissubjekt funktionieren zu können, ist nun mal anthropozentrisch, in seinem Erkennen.

    Es erfasst die Natur oder Welt meinend näherungsweise, ausschnittsartig und an seine Interessen (!) gebunden, es behilft sich, sofern aufgeklärt, mit dem anti-esoterischen, dann exoterischen, Sapere Aude und kann seinem Wesen nach nicht anders, als seine Ratio auf Gemessenes anzulegen und in der Folge zu theoretisieren, Sichten zu bilden, auf Erfasstes oder auf Daten (auf (scheinbar) Gegebenes), also die Natur oder Welt meinend.

    Eine wie auch immer gemeinte Außensicht, die nicht menschlicher Bauart ist, ist ihm unmöglich.
    Soweit auch die Tautologie.

    Zitat :

    Schon Judith Butler weist in ihrem Buch Gender Trouble darauf hin, dass es problematisch ist, zwischen körperlichem Geschlecht (Sex) und sozialem Geschlecht (Gender) zu unterscheiden, weil die beiden Kategorien miteinander verschränkt sind.

    Wie auch immer hier womöglich’verschränkt’ ist: Der Schreiber dieser Zeilen vermutet hier Relativismus bis Nihilismus und die dezidierte Abkehr von naturwissenschaftlicher, biologischer Erkenntnis.
    Womöglich können sich auch männliche Homosexuelle oder Männer generell ‘Plazentas und Plazenten’ (so der für die deutsche Sprache in der Pluralbildung nicht maßgebliche Duden) einpflanzen lassen, um der Fortpflanzung (vs. Zeugung) zu dienen, aber der gewöhnliche hier gemeinte Primat springt hier nicht derart bei, um zu meinen, dass so die Biologie zu überschreiben wäre, dass sich so Alternativ-Biologie ergäbe.
    Dr. Webbaer rät hier, die langfristige Perspektive meinend, zum Cloning, nichts spräche gegen tausendfache Pianisten der Güteklasse Elton John oder gegen tausendfache Politiker der Art Volker Beck, oder?


    Philosophisch, wie im dankenwerterweise bereit gestellten WebLog-Artikel womöglich intoniert, ist hier aber nichts zu machen.
    Das Männchen zeugt, das Weibchen empfängt.
    Es gibt diesbezüglich zwei Geschlechter.

    MFG + schönes Wochenende,
    Dr. Webbaer

    • @Dr.Webbaer: Ihr Kommentar widerspricht sich selbst. Einerseits bezweifeln sie die Möglichkeit einer objektiven Erkenntnis, andererseits kreiden sie gewissen feministischen Sichten ihre Subjektivität an.

      • @ Herr Holzherr :

        Dr. Webbaer glaubt an die szientifizische Methode (witzigerweise liegt in der bekannten Online-Enzyklopädie hier kein d-sprachiger Text vor, der Schreiber dieser Zeilen stellt gerne eine Anomalie fest), es liegt tatsächlich ein Glaubensentscheid vor, der abär relativ leicht fällt, weil nur die Scientific Method Anwendungen erlaubt, die aus allgemeiner Sicht gesellschaftlich nutzbringend sind.

        Esoterische Anwendungen, dann “Anwendungen”, sind dies nicht, sondern nur für Eingeweihte oder eben Esoteriker.

        Die sogenannten Gender Studies benötigen wie bspw. auch das sogenannte Intelligent Design, die sogenannte Kritische Theorie und was es da sonst noch so alles gibt, einen Zweiten Glaubensentscheid.
        Einen, den zumindest Dr. Webbaer ganz ausdrücklich nicht mitgeht.


        Vgl. auch mit der sogenannten feminist anthropology :
        -> https://en.wikipedia.org/wiki/Feminist_anthropology (wiederum kein d-sprachiger Text bereit stehend, in der bekannten Online-Enzyklopädie, Herr Dr. Stefan Anatolowitsch, der dankenswerterweise hier bei den scilogs.de nicht mehr publiziert, war für den Schreiber dieser Zeilen hier ein Vorreiter)

        MFG
        Dr. Webbaer (der sich hier also i.p. zweitem Glaubensentscheid noch einiges erwartet, also auch hier, bei Herrn Dr. Joachim Schulz)

        • @Dr. Webbaer: Besten Dank für die Aufklärung. Erkenntnisskepsis also, aber abgefedert duch einen Schuss Utilitarismus.

          • @ Herr Holzherr :

            ‘Erkenntnisskepsis’ liegt im Rahmen der szientifischen Methode und deren Annahme bei Dr. Webbaer gerade nicht vor, sondern die Ablehnung der Annahme eines Zweiten Glaubensentscheids.
            Versuchen Sie dies bitte zu verstehen, Herr Holzherr, dies zu verstehen ist im hier gemeinten Kontext zentral.

          • Erkenntnisskepsis auf der obersten Ebene habe ich gemeint. Deshalb braucht es ja den Glaubensentscheid für die wissenschaftliche Methode. Nun, diese grundsätzliche Erkenntnisskepsis ist in jedem Fall gerechtfertigt.

          • Vely schlau angemerkt, Herr Holzherr :

            Erkenntnisskepsis auf der obersten Ebene habe ich gemeint. Deshalb braucht es ja den Glaubensentscheid für die wissenschaftliche Methode. Nun, diese grundsätzliche Erkenntnisskepsis ist in jedem Fall gerechtfertigt.

            …in einer sozusagen magischen Welt, in der das Erkenntnissubjekt besondere Macht über die (weltlichen) Geschehnisse hätte, sähe es anders aus.
            Terry Pratchett und insbesondere Philip K. Dick verfügten über Denkmöglichkeiten (“Phantasie”) hier auch anders zu denken und setzten insofern den hier bereits mehrfach bemühten Glaubensentscheid indirekt derart voraus, dass dieser auch anders ausfallen könnte.

            “Blöderweise” sind es dann die Anwendungen, die ihn in dieser Welt sozusagen nicht anders ausfallen lassen können.

            Bisher.

            Wobei die Rolle des Beobachters schon sehr interessant ist, Zeilinger beispielsweise ist hier “recht trocken”; die Welt, diese Welt könnte schon womöglich besser verstanden werden, wenn Beobachter, also Erkenntnissubjekte, hier ein wenig mitmischen könnten, als Anfordernde an das Weltsystem sozusagen.
            Es gibt hierzu eine gewisse Beleglage.

            Wobei Dr. Webbaer hier so Feministen oder Vertretern der feminist anthropology keine Nahrung bieten möchte.

            Ansonsten bleibt möglich, was denkbar ist,
            MFG + schönes Wochenende,
            Dr. Webbaer (der sich nun ganz langsam auszuklinken gedenkt, es war wieder schön, danke)

        • * (“Huch”)
          Herr Dr. Anatol Stefanowitsch

          MFG
          Wb (der sich nur derart exkulpieren kann, dass ganz wie im Isländischen auch im Slawischen der Nachname regelmäßig dem Namen des Vaters folgt(e) – dass die Umkehr den Braten idR nicht fett macht)

  40. Bonuskommentar hierzu :

    Karen Barads Zugang zu komplexen Fragestellungen in Natur- und Sozialwissenschaften ist es, künstliche Trennungen zum Beispiel zwischen Messobjekt und Beobachtung oder zwischen Natur und Gesellschaft sichtbar zu machen. Das hilft, Prozesse in ihrem Gesamtzusammenhang zu verstehen und die Intraaktionen verschiedener Aspekte ernst zu nehmen. Dieses Vorgehen scheint mir ein guter Tipp für jede Form wissenschaftlicher Arbeit zu sein.

    Tatsächlich ist der Blick des erkennenden Subjekts auf die Natur (“Geborenes oder Entstehendes meinend”) oder auf die Welt (“das Waltende meinend”) per se künstlich oder artificial, die Etymologie ist hier klar.

    Die Wissenschaft, auch die Naturwissenschaft, meint in “n:m”-Beziehungen (das Fachwort) die Erhebung und Verwaltung von Datenlagen und ebenfalls in “n:m”-Beziehungen die sich anschließende Theoretisierung (“Sichtenbildung”).

    Es geht letztlich dem Erkenntnissubjekt nicht darum, was ist, sondern wie es in der Natur oder Welt auskommen kann.

    Insofern könnte auch wahlfrei oder willkürlich, auch bspw. das biologische Geschlecht des hier gemeinten Primaten meinend, anders theoretisiert werden.
    Blöd wäre halt, wenn der Bestand so nicht gesichert werden könnte, wenn Esoterik (vs. Sapere Aude, vs. Exoterik) so nicht gesichert werden könnte.

    MFG
    Dr. Webbaer (der so abär nur indirekt dem Utilitarismus zugesprochen hat)

  41. @Martin Holzherr
    Die Wissenschaft hat den sogenannten „naiven Realismus“ überwunden, dem nach die Welt, so wie wir sie erkennen, auch unabhängig von unserer Erkenntnis in genau dieser Form existiert. Farben etwa sind von oder in unserem Erkennen konstruiert und damit nicht real, sondern ideal im Sinne von „nur in unserer Vorstellung existierend“.

    Doch wo verläuft in der Welt die Grenze zwischen real und ideal? Das ist dem Wissenschaftstheoretiker Gerhard Vollmer nach „die erkenntnistheoretische Hauptfrage nach Grund und Grad der Übereinstimmung von Erkenntnis- und Realkategorien“. Doch seltsamerweise erweist sich diese Frage als nicht lösbar, obwohl etwas Reales, das wirklich, objektiv und unabhängig von unserer Erkenntnis vorhanden ist, eigentlich ohne Weiteres als solches von uns erkannt und von dem Konstruierten unseres Erkennens unterschieden werden können müsste. Das Reale muss doch ganz andere Wesenseigenschaften haben als das von uns im Erkennen Konstruierte. Warum können wir das selbst mit den feinsten und ausgeklügeltsten Methoden der modernen Wissenschaft nicht erkennen und unterscheiden? Die folgende Feststellung von Ihnen steht exemplarisch für dieses, wie Sie es ja auch nennen, Dilemma (genauso wie der Ausdruck „hypothetischer Realismus“): „In der Mehrheit sind sie [die Quantenphysiker] zur Meinung gekommen, dass die Quantenwelt selbst, so wie sie mit der Mathematik der Quantenphysik beschrieben wird, selbst nicht real ist, sondern nur Potenziale enthält, die sich mit gewisser Wahrscheinlichkeit in Realität umsetzen.“
    Die „erkenntnistheoretische Hauptfrage“ von Vollmer lässt sich damit jedenfalls nicht beantworten.

    Wegen dieser unbefriedigenden Antwort bevorzuge ich die geistige Flexibilität von Kant, der dieses Problem mit der Kopernikanischen Wende verglich und sagte: „Es ist hiermit ebenso als mit den ersten Gedanken des Copernicus bewandt, der, nachdem es mit der Erklärung der Himmelsbewegungen nicht gut fort wollte, wenn er annahm, das ganze Sternenheer drehe sich um den Zuschauer, versuchte, ob es nicht besser gelingen möchte, wenn er den Zuschauer sich drehen und dagegen die Sterne in Ruhe ließ. In der Metaphysik kann man nun, was die Anschauung der Gegenstände betrifft, es auf ähnliche Weise versuchen.“

    In diesem Vergleich würde sich von Kant aus die Quantenphysik heute an der Stelle der Anhänger des geozentrischen Weltbildes befinden, die da sagten: „Wir müssen noch mehr Epizykel einführen und berechnen (sprich: den Teilchenzoo noch mehr erweitern), um unsere Theorie irgendwann bestätigen zu können.“ Auf den Vorschlag, einmal eine andere Theorie auszuprobieren, nämlich die, dass sich die Erde um die Sonne dreht, hätten die Geozentriker wahrscheinlich gesagt: „Was, wir sollen unseren Sinneswahrnehmungen nicht mehr trauen. Dann sind wir nicht mehr weit entfernt von dem übersinnlichen Quatsch wie Geisterheilung usw. Wir müssen nicht erklären, warum es unnötig ist, Effekte zu erklären, die es wie die übersinnliche Geisterheilungen gar nicht gibt“ (analog zu: „dann sind wir nicht weit von esoterischem Unfug wie Quantenheilung und Gedankenverschränkung entfernt, wenn wir davon ausgehen, dass das Bewusstsein zum Zusammenbruch der Wellenfunktion führt)“.

    Daher frage ich heute mit Kant: Warum nicht einmal die Theorie probieren, dass auch das von uns erkannte materielle Sein nicht real und unabhängig von unserer Erkenntnis vorhanden ist, sondern es darin genau wie die Farben eine Konstruktion des Bewusstseins ist? Das würde nicht heißen, dass es eine Realität gar nicht gibt. Es würde aber heißen, dass diese Realität in der von uns erkannten Welt nicht als solche oder „an sich“ von uns erkannt werden kann. Der Idealismus ist hier der wahre Realismus.
    Von daher der Vorwurf an die Quantenphysiker: Sie ignorieren bei ihren Versuchen die Eigenschaften und Besonderheiten ihres wichtigsten „Instruments“, nämlich das ihres Bewusstseins. Denn alles das, was sie in dieser Welt erkennen und messen, erkennen sie letztlich nur durch die „Brille“ ihres Bewusstseins, oder, wie Schopenhauer es ausdrückte: „Denn erst nachdem man sich Jahrtausende lang im bloß objektiven Philosophieren versucht hatte, entdeckte man, dass unter dem Vielen, was die Welt so rätselhaft und bedenklich macht, das Nächste und Erste dieses ist, dass, so unermesslich und massiv sie auch sein mag, ihr Dasein dennoch an einem einzigen Fädchen hängt: und dieses ist das jedesmalige Bewusstsein, in welchem sie dasteht“.

    • @Bernd Ehlert: Ja, auf einen Realismus aufgefasst als Bestreben die wahrhafte, dingliche Wirklichkeit zu erkennen, sollte man nicht zu stark vertrauen und ein naiver Realismus ist schon durch die Alltagserfahrung widerlegt. Wichtig aber erscheint mir, dass man davon ausgeht, dass es eine externe Realität überhaupt gibt, denn diese externe Realität ist die von uns allen gemeinsam erfahrene Welt. Natürlich kann jedes Subjekt die Welt anders erleben, doch es bleibt für alle die gleiche Welt. Der Eine mag diese Welt als Jammertal beschreiben, ein anderer findet es die beste aller Welten und wieder ein anderer kennt von dieser Welt nur gerade ein Haus oder ein Dorf oder er lebt in einer vorschriftlichen Kultur. Doch es bleibt die gleiche Welt und diese Welt ist das allerletzte an Gemeinsamkeit, wenn auch sonst alles anders gesehen wird. Die Alternative zu einer externen Realität wäre die Meinung, es gebe überhaupt nichts Gemeinsames, nichts aussen liegendes, das gemeinsam “bewohnt” wird. Das Gemeinsame entstehe vielmehr durch Austausch, durch das Finden eines (willkürlichen?) Konsens.
      Wer von den Naturwissenschaften herkommt und die Entwicklung des Kosmos und die Evolution der Lebewesen kennt, der muss fast an eine externe, nicht vom Menschen abhängige Realität glauben und er wird davon überzeugt sein, dass Wissenschaft zu Wissen führt und nicht nur zum Konsens.

  42. Vielen Dank für Ihre Kommentare. Ich fühle mich geschmeichelt, dass mein Artikel nach gut vier Jahren nochmal zu einer angeregten Diskussion führt. Im Moment bin ich mit praktischen Fragen zu sehr eingespannt, um detailliert in diese Diskussion einzusteigen. Ich aber sie aber mit großem Interesse verfolgt.

  43. Zitat Martin Holzherr: „Wichtig aber erscheint mir, dass man davon ausgeht, dass es eine externe Realität überhaupt gibt, denn diese externe Realität ist die von uns allen gemeinsam erfahrene Welt.“

    Ich meine, dass die externe Realität gerade nicht die von uns allen gemeinsam erfahrene Welt ist. Das, von dem Sie sprechen, ist das, was uns als interne Realität erscheint. Erst wenn das als Erscheinung erkannt ist, taucht die Frage nach einer externen Realität auf. Doch was es damit auf sich hat, werden wir niemals sicher wissen. Wir werden nicht einmal wissen, ob es sie überhaupt gibt, ob sie überhaupt ein Sein hat. Kant sagt dazu kurz und knapp: „Was die Dinge an sich [also real] sein mögen, weiß ich nicht und brauche es nicht zu wissen, weil mir doch niemals ein Ding anders als in der Erscheinung vorkommen kann“ (Kant, KRV, B332-333).
    Man kann sich dieser externen Realität nur indirekt nähern, wie es etwa der Ausdruck der neuplatonischen „negativen Theologie“ vermittelt. Dieses Annähern ermöglicht auch die interdisziplinäre Perspektive, denn objektiv wahre Erkenntnisse besitzen die Eigenschaft, dass sie (wie in einem Indizienprozess) einander ergänzen bzw. sich vernetzen lassen, egal wie weit sie methodisch oder zeitlich voneinander entfernt sind. Von der Evolutionstheorie her könnte daher zunächst die von Ihnen genannte „von uns allen gemeinsam erfahrene Welt“ folgendermaßen bestimmt werden.

    Wie ist das Bewusstsein in der Evolution entstanden? Mit dem Tier, denn im Gegensatz zu einer Pflanze kann ein Tier sich selbst bewegen, was wegen des Energieaufwandes dabei jedoch zielgerichtet und orientiert erfolgen sollte. Daher haben Tiere die Fähigkeit entwickelt, ihre Umwelt über die Sinne zu abstrahieren und so sowohl sich selbst als Sein als auch anderes Sein in einer (Um)Welt zu erkennen.
    In diesem Erkennen ist von Anfang an ein gesetzmäßiger Bezug enthalten, denn die Seinsverhältnisse bedingen sich stets in Zeit und Raum bzw. sind darüber überhaupt erst definiert. Jedes Sein besitzt eine Konstanz oder Identität in Zeit und Raum, da es zu einem bestimmten Zeitpunkt nur immer mit einem bestimmten Raumpunkt übereinstimmt und im nächst folgenden Zeitpunkt entweder den Raumpunkt beibehält oder zu einem direkt benachbarten Raumpunkt wechseln kann. In der makroskopischen Welt kann es also nicht wie in der Quantenwelt (in der diese Gesetzmäßigkeit aufgehoben wird) passieren, dass ein Sein plötzlich (spukhaft) an einem weit entfernten Ort erscheint, ohne dass in der örtlichen Differenz der Weg verfolgt werden könnte, oder dass ein Sein gleichzeitig an mehreren unterschiedlichen Orten erscheint, bzw. es sich überhaupt wie bei Schrödingers Katze in einem (seinslosen) Schwebezustand befindet.
    Trägt man Raum und Zeit auf den beiden Achsen eines Diagrammes ab, so besitzt jedes Sein eine stetige, lineare Identität, d.h. jeder Raumpunkt entspricht einem Zeitpunkt, und in Raum und Zeit ergibt das eine ununterbrochene, von anderem Sein eindeutig unterscheidbare Linie – die aber dann irgendwann gesetzmäßig abreisst und vergeht. Das Sein selbst kann sich dabei stark verändern, wie der Mensch in seiner Entwicklung vom Embryo bis zum siechen Greis, wobei die Körperzellen mehrfach ausgetauscht werden, so wie bei einer Axt, bei der die einzigen Teile Stiel und Blatt mehrfach nacheinander gewechselt werden können, wir dann aber trotzdem immer noch von der einen bestimmten Axt sprechen (im Gegensatz dazu, wenn wir beide Teile gleichzeitig wechseln und es sich dann um eine neue Axt handelt).

    Diese Konstanz oder Identität im Sein erscheint »uns« als Realität (weil wir nur darin existieren), was noch dadurch verstärkt wird, dass wir mit anderem Sein in dieser Struktur interagieren bzw. kommunizieren können. In der einfachsten Form dieser Interaktion oder nonverbalen Kommunikation kann ein Tier ein anderes in seinem Sein erkennen und es gezielt und orientiert jagen bzw. umgekehrt flüchten.
    Diese Realität der wie Sie schreiben „gemeinsam erfahrenen Welt“ ist jedoch die interne Realität, die relativ und konstruiert ist und stets gesetzmäßig vergeht. Die Lösung der Religion ist es, diese Struktur mit Hilfe der Vorstellung eines absoluten Seins einfach über den Tod hinaus fort zu schreiben und so dem weltlichen Sein eine ewige, absolute und externe Realität zu verleihen. Doch das ist stets mit Widersprüchen behaftet und es ist schlichtweg nicht möglich, wenn die Seinsstruktur eben nur relativ und konstruiert ist. Im Grunde versucht die Quantenphysik dasselbe wie die Religion, nämlich die relative interne Realität der Welt und des Seins als externe und absolute Realität des Seins zu erweisen. Doch das funktioniert genauso wenig wie in der Religion.

    Was sagt die Philosophie über eine von der internen Realität unterschiedene externe Realität? Der Philosoph Jens Halfwassen stellt in seinem Buch „Plotin und der Neuplatonismus“ zur Kenntnis des Absoluten (als externe Realität) in der griechischen Philosophie (als Erweiterung von Kants unbekannten „Ding an sich“) fest: „Das Absolute muss als reine Einheit gedacht werden. Wird reine Einheit aber konsequent gedacht, dann weist sie jedwede Bestimmung strikt von sich ab, weil jede überhaupt denkbare Bestimmung sie in die Vielheit hineinziehen würde. Als das aus aller Vielheit und aller Bestimmtheit Herausgenommene ist das Eine selbst darum reine Transzendenz: jenseits von Allem schlechthin“ (Halfwassen 2004, S. 43). Und weiter heißt es an dieser Stelle dann im entscheidenden Bezug zum Sein, dass von diesem Einen „schon die Aussage falsch ist, dass Es Eines ist, von dem es gibt und von dem deshalb auch gesagt wird, dass Es ist“.

    Die moderne Naturwissenschaft ist nun auf technische Weise auf die Aufhebung des Seins als Grundstruktur der Welt gestoßen, also auf das, was die alte griechische Philosophie schon auf geistige Weise vollbracht hat. Diese Aufhebung des Seins ist deswegen so heikel und paradox, weil darin die Grundstruktur der Welt aufgehoben wird bzw. sich als relativ und konstruiert erweist und gleichzeitig das Absolute oder Reale nicht als Sein und Erscheinung erkannt werden kann, wodurch es in die Welt hineingezogen werden könnte. Trotzdem hat die griechische Philosophie einen Weg gefunden, wie mit dieser nicht direkt erkennbaren externen Realität eines Absoluten oder Realen in den weltlichen Strukturen umgegangen werden kann. Es ist die trinitarische Erkenntnis, bei der sowohl eine externe Realität als gleichzeitig die absolute Relativität und damit Idealität des weltlichen Seins bestmöglich und wesenhaft erkannt wird.
    Diese Erkenntnis hat das damals gerade entstandene Christentum sogar zu seinem neuen Gottesbild gemacht – allerdings mit der entscheidenden Änderung, dass im christlichen Verständnis das seinslose Absolute mit der seienden Person des jüdischen Gottes und seines Sohnes identifiziert wird. Der Sohn als Logos steht nicht mehr allegorisch für die Erkenntnis des Absoluten, sondern für eine konkrete göttliche, ewig seiende Person. Dadurch ist, mit den modernen Begriffen ausgedrückt, der Idealismus wieder zu einem Realismus geworden. Es gehört so gemäß Halfwassen „zu den merkwürdigsten Ironien der Geschichte, dass ausgerechnet der erklärte Christenfeind Porphyrios mit seinem trinitarischen Gottesbegriff, den er aus der Interpretation der Chaldäischen Orakel entwickelte, zum wichtigsten Anreger für die Ausbildung des kirchlichen Trinitätsdogmas im 4. Jahrhundert wurde“ (Halfwassen 2004, S. 152).

    Mit dem Verbot der griechischen Philosophie im Jahre 529 durch den christlichen Kaiser Justinian hat sich das, was wir heute Realismus nennen, endgültig durchgesetzt und bestimmt trotz einer kurzen neuzeitlichen Renaissance in der Philosophie als Idealismus bis heute unser Denken, selbst als Atheist und auch in der modernen Naturwissenschaft und der Quantenphysik. Die Relativierung des Seins und die Rolle des Bewusstseins dabei ist verloren gegangen, und so wird vergeblich versucht, die weltliche Struktur, die »uns« als (interne) Realität erscheint, genau wie in der Religion als die wahre, externe Realität zu beweisen.
    Ich meine, dass nur der neuplatonisch-idealistische Ansatz als Relativierung der weltlichen Grundstruktur des Seins hier eine Lösung bieten kann und dass diese Lösung sich in den Versuchen der Quantenphysik schon bestätigt hat. Um das zu erkennen, müssen wir „nur“ wie in der Kopernikanischen Wende unsere tief eingefahrene Denkart ändern.

  44. Ein Nachtrag zur idealistischen Deutung. Das „j e d e s m a l i g e Bewusstsein“ (in welchem die Welt dasteht) des Schopenhauerzitats ist gleichbedeutend mit „Wigners Freund“ im Gedankenexperiment „Schrödingers Katze und Wigners Freund“.

    Weiterhin lässt sich dahingehend auch Everetts „Viele-Welten-Interpretation“ idealistisch deuten, d.h. jedes Bewusstsein bringt zu jedem Augenblick eine Welt hervor (so wie jedes Bewusstsein auch den Farbeindruck hervorbringt), bzw. konstruiert oder strukturiert ein uns völlig unbekanntes Etwas zu Welt.
    Sofern diese Bewusstseinsarten sich gleichen, können sie sich darin gegenseitig erkennen, miteinander interagieren und kommunizieren, was den Eindruck von objektiver Realität erzeugt. Doch diese Realität ist stets abhängig vom Bewusstsein und existiert genau wie Farben nur im (jeweiligen) Bewusstsein, während die eigentliche Realität gesetzmäßig nicht im Bewusstsein erkannt werden kann.

    Wenn dieser idealistische Standpunkt widerlegt wird, indem in der Welt eine vom Bewusstsein unabhängige Realität als dadurch Substanz gefunden wird, so dass von da aus die Welt als real erklärt werden kann und dadurch sich auch das Sein des Menschen nach dem Tod klärt – gut. Aber dem idealistischen Verständnis nach ist das nicht möglich und wird nicht geschehen.

    @Joachim Schulz: Die Auseinandersetzung zwischen dem, was wir heute Idealismus und Realismus nennen, ist schon mindestens 2.500 Jahre alt. Obwohl wir heute im Paradigma des Realismus leben, bin ich mir sicher, dass die „angeregten Diskussionen“ um dieses Problem auch in Zukunft noch bestehen werden – auch weit über vier Jahre hinaus.

  45. @Bernd Ehlert // 16. Juli 2017 @ 17:06

    »Ich meine, dass die externe Realität gerade nicht die von uns allen gemeinsam erfahrene Welt ist. Das, von dem Sie sprechen, ist das, was uns als interne Realität erscheint. Erst wenn das als Erscheinung erkannt ist, taucht die Frage nach einer externen Realität auf.«

    Ich schätze, gemeint war von Martin Holzherr, dass die „externe Realität“ das ist, worauf sich unsere Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeit bezieht. Die ist für alle Organismen gleich.

    Ich halte diese „externe Realität“ für das Primäre. Es ist nachrangig, dass wir (Menschen) erkannt haben, dass z. B. Farben und Töne bloß in unserem Kopf existieren und sozusagen spezifische „Interpretationen“ bestimmter physikalischer Ereignisse aus der „externen Realität“ sind.

    Von Anbeginn seiner Existenz an ist der Organismus diesen Ereignissen ausgesetzt, ob er sich dessen bewusst ist oder nicht, spielt keine Rolle.

  46. Zitat Balanus: „Von Anbeginn seiner Existenz an ist der Organismus diesen Ereignissen ausgesetzt, ob er sich dessen bewusst ist oder nicht, spielt keine Rolle.“

    Im Idealismus, wie ich ihn verstehe und probiere, existiert der „Organismus“ als Sein in Zeit und Raum nur in einem Bewusstsein, genauso wie eine Farbe. In der externen Realität, die wir gar nicht kennen, gibt es dagegen gar keinen Organismus als Sein in Zeit und Raum, ebensowenig, wie es in den elektromagnetischen Wellen eine Farbe gibt. So ähnlich wie in einem sogenannten Vexierbild zwei Deutungen ein und derselben Zeichnung gesehen werden können. In der einen Deutung existiert die jeweils andere nicht und hat dort nie existiert. „Den Organismus“ gibt es daher gar nicht (als reales Sein), sondern er ist abhängig von der „Brille“ des Erkennens und des Bewusstseins.

  47. @Bernd Ehlert // 19. Juli 2017 @ 13:59

    » …ebensowenig, wie es in den elektromagnetischen Wellen eine Farbe gibt. «

    Verstehe. Aber was ist mit den elektromagnetischen Wellen, existieren wenigstens die „als Sein in Zeit und Raum“? Irgendetwas muss es ja geben, denn von nichts kommt ja nichts ins Bewusstsein (im Grunde sind z. B. nur Farben für uns real, nicht aber elektromagnetische Wellen, denn Erstere sehen wir fortwährend, während wir Letztere bislang nicht zu Gesicht bekommen haben).

    »Im Idealismus, wie ich ihn verstehe und probiere, existiert der „Organismus“ als Sein in Zeit und Raum nur in einem Bewusstsein,… «

    Und wie verhält es sich mit dem Unterschied zwischen einem Einhorn und einem Nashorn? Worin unterscheiden sich gemäß Ihrem Idealismus diesen beiden „Organismen“ (die beide im Bewusstsein existieren können)?

  48. Die Gegner des Antirealismus verwechseln immer wieder den Konstruktivismus mit dem Idealismus und dem Solipsismus. Während das Einhorn ein Phantasiegebilde oder eine reine, idealistische Vorstellung ist, entspringt das Nashorn immerhin der Wahrnehmung optischer Sinnesreize. Aber “Nashorn” ist bereits eine Deutung und sprachliche Bezeichnung bestimmter Sinnesreize, denen man eine gewisse Objektivität nicht absprechen kann, denn jeder gesunde Mensch kann Objekte wahrnehmen, die allgemein als Nashorn bezeichnet werden, von verschiedenen Menschen in verschiedenen Regionen und zu verschiedenen Zeiten. Darin steckt also eine Zirkularität, die auch in der Diskussion hier zu beobachten ist.

    Im Bewusstsein entsteht auf Grund von Phylogenese, Ontogenese und Ratiogenese (Erziehung und Bildung) eine Vorstellung der Welt und des Weltgeschehens. Die Phylogenese hat dafür gesorgt, dass es gewisse Korrelationen zwischen unserer sinnlichen Wahrnehmung und der Welt draußen gibt. Die Vielfalt der Sinne und der Beobachtungen gewährleistet den Umfang und die Zuverlässigkeit der Vorstellungen. Andernfalls wäre kein Organismus lebensfähig.

    Tatsache ist, dass der Mensch und jeder andere Organismus aus derselben Materie besteht wie die übrige Welt. Das heißt, die Materie des Organismus wechselwirkt physikalisch auf dieselbe Weise miteinander und mit der Außenwelt. Warum aber elektromagnetische Strahlung bestimmter Frequenzen als Farben wahrgenommen wird, dafür gibt es keine Erklärung und wird es möglicherweise nie geben!

  49. @ Herr Ehlert :

    Im Idealismus, wie ich ihn verstehe und probiere, existiert der „Organismus“ als Sein in Zeit und Raum nur in einem Bewusstsein, genauso wie eine Farbe. In der externen Realität, die wir gar nicht kennen, gibt es dagegen gar keinen Organismus als Sein in Zeit und Raum, ebensowenig, wie es in den elektromagnetischen Wellen eine Farbe gibt.

    Derart einzuschätzen ist mittlerweile üblich, Dr. W weiß nicht, warum hier andere anders können, es wird ja naturwissenschaftlich nicht mehr verifiziert.
    Zur Begrifflichkeit :
    Die Existenz meint das Heraus-Sein oder Heraus-Stehen und zwar unabhängig von Seiten des Beobachters.
    Auch die Wissenschaft wird oft, insbesondere d-sprachig angeleitet, missverstanden, vgl. hiermit :
    -> https://en.wikipedia.org/wiki/Scientific_method (Ja, hier gibt es keinen d-sprachigen Text in der bekannten Online-Enzyklopädie, ein Sachverhalt, der womöglich Rückschlüsse erlaubt, die Scientia heißt in d-sprachig ja Wissenschaft)

    MFG + schöne Woche noch,
    Dr. Webbaer

  50. Zitat Balanus: „Aber was ist mit den elektromagnetischen Wellen, existieren wenigstens die „als Sein in Zeit und Raum“?“
    Auch die elektromagnetischen Wellen kenne wir letztlich nur als Sein in Zeit und Raum, d.h. sie existieren darin als solches auch nur in unserem Bewusstsein.

    Zitat Balanus: „Und wie verhält es sich mit dem Unterschied zwischen einem Einhorn und einem Nashorn?“
    Wie es Anton Reutlinger schon erwähnt, ist hier zwischen der sinnlichen Ebene oder Erkenntnis und der sprachlichen Bezeichnung zu unterscheiden. Kant sagt dazu, „dass es zwei Stämme der menschlichen Erkenntnis gebe, die vielleicht aus einer gemeinschaftlichen, aber uns unbekannten Wurzel entspringen, nämlich Sinnlichkeit und Verstand, durch deren ersteren uns Gegenstände gegeben, durch den zweiten aber gedacht werden“. Ein Nashorn ist sozusagen ein Konstanzphänomen auf der sinnlichen Ebene. Wie alles Sinnliche abstrahieren wir das auf der sprachlichen Ebene und, der exklusive Vorteil des Menschen, wir können diese systematischen Abstraktionen unabhängig vom sinnlichen Objekt auch modifizieren, z.B. zu einem Einhorn, das es auf der sinnlichen Ebene gar nicht gibt. Dass verschiedene Menschen in verschiedenen Regionen, zu verschiedenen Zeiten und mit verschiedenen Sprachen Nashörner in gleicher Weise wahrnehmen und benennen, ist für mich allerdings keine Zirkularität.

    Zitat Dr. Webbaer: „Die Existenz meint das Heraus-Sein oder Heraus-Stehen und zwar unabhängig von Seiten des Beobachters.“
    Noch einmal zur grundsätzlichen Motivation der versuchten Anwendung eines idealistischen Ansatzes. Wie schon mit dem Copernicus-Zitat von Kant erwähnt, können die heutigen Probleme der Quantenphysik durchaus mit den Problemen der Wissenschaftler verglichen werden, die mit dem geozentrischen Weltbild sich einst daran machten, die Himmelskörper zu beobachten und zu vermessen. Je genauer sie das vermochten, umso größer wurden die Probleme mit dem alten Weltbild.

    Ich glaube, man kann sich heute gar nicht mehr vorstellen, was es für die Menschen damals bedeutete, als Lösung dazu die Sinneswahrnehmung (der sich am Himmel bewegenden Sonne) in Frage zu stellen und (mit dem „zweiten Stamm unseres Denkens“) genau das zur Sinneswahrnehmung Gegensätzliche anzunehmen, nämlich dass die Erde sich um die Sonne dreht. Wie müssen die ersten Vertreter dieser Lösung dafür damals ausgelacht oder für verrückt erklärt worden sein, während heute jedes Schulkind diese Lösung als selbstverständlich sofort übernimmt und anerkennt.
    Oder doch, vielleicht kann man es sich heute sehr wohl sogar ganz konkret vorstellen, was das für die Menschen damals bedeutete, nämlich dasselbe, was es für uns heute bedeutet, wenn wir als Lösung aus der Sackgasse der Quantenphysik jetzt das grundlegende Dogma unserer Sinneswahrnehmung oder den Urinstinkt unseres Seins in Frage stellen oder damit brechen. Und das heißt eben, dass die Existenz als „das Heraus-Sein oder Heraus-Stehen“ aus der Umwelt abhängig von unserem Erkennen oder Bewusstsein als Beobachter gesehen wird. Nichts anderes hat Kant mit seinem Kopernikus-Vergleich gesagt.

    Und wie weit kommt man damit? Ich sage einmal, dass damit einerseits das gesamte Problem der Religion gelöst ist, denn warum soll ich das Sein des Menschen nach seinem Tod noch irgendwo verorten wollen, wenn dieses Sein schon auf der physischen Ebene gar nicht real oder “an sich” existiert?
    Und ich meine eben auch, dass mit diesem Verständnis die Versuche und Ergebnisse der Quantenphysik nicht unvollständig und mangelhaft sind, wie es mit dem Weltbild des Realismus erscheint, sondern dass sie vielmehr eine perfekte und vollständige Bestätigung des idealistischen Ansatzes sind.

    • @ Herr Ehlert :

      Und das heißt eben, dass die Existenz als „das Heraus-Sein oder Heraus-Stehen“ aus der Umwelt abhängig von unserem Erkennen oder Bewusstsein als Beobachter gesehen wird.

      Kollekt, äh, korrekt.
      Naturwissenschaft ist Veranstaltung, sie unterscheidet sich insofern von der Logik, die zwar auch von Personen zu vertreten ist, aber keine Veranstaltung, im sozialen Sinne, sein muss.
      Logik kann bis darf nicht geglaubt werden.

      Und wie weit kommt man damit? Ich sage einmal, dass damit einerseits das gesamte Problem der Religion gelöst ist, denn warum soll ich das Sein des Menschen nach seinem Tod noch irgendwo verorten wollen, wenn dieses Sein schon auf der physischen Ebene gar nicht real oder „an sich“ existiert?

      Hier setzt es, mit Verlaub und Ihr Einverständnis voraussetzend, einen Minuspunkt.
      Das Weltliche ist unterscheidbar, zwischen dem, das naturwissenschaftlich angegangen werden kann, und dem, wobei dies nicht geht.
      Sie haben sich womöglich, wie der Schreiber dieser Zeilen ebenfalls, auch bei dem hiesigen vorrätigen, dankenswerterweise vorrätigen, Herrn Dr. Blume (kommentarisch) herumgetrieben.

      Der grundsätzliche Gag der Erkenntnis besteht darin zu erkennen, dass auch die Esoterik erlaubt ist.
      Sie werden womöglich, wie der Schreiber dieser Zeilen, zumindest gelegentlich “Privattheorie” pflegen, bspw. die Ehefrau betreffend, den sozialen Wert einer Armbanduhr betreffend oder eine an sich irrationale Zuneigung, wie bspw. den FC Bayern betreffend.


      Es gilt halt schlicht in Schichten zu denken, die szientifische Methode ist eine davon, die der Erkenntnis dient, der Schreiber dieser Zeilen glaubt an diese, sozusagen : zwingend.
      Niemand auf diesem Planeten ist mehr der Scientific Method gläubig als Dr. Webbaer!

      Spaß beiseite, Menschen (vs. Bären) wirken, sofern sie über die Sprachlichkeit verfügen auch später nachvollziehbar, Schrift oder ähnliche Persistenz darf gerne bereit stehen.
      Also hier, bei ‘[…] denn warum soll ich das Sein des Menschen nach seinem Tod noch irgendwo verorten wollen […]’, kann der Schreiber dieser Zeilen zumindest im Moment nicht beistehen.

      Die Religion kann ja nicht an sich widerlegt werden, es ist nicht möglich sinnhaft daran zu glauben, dass ein Gott nicht existiert.

      MFG
      Dr. Webbaer (der im gemeinten Sinne (für einige) als Humanist “böse” ist, aber in puncto Erkenntnistheorie keine Fehler macht)

    • @Bernd Ehlert;
      Wir sitzen im Universum wie in einem hermetisch abgeschlossenen Raum. Die Außenseiten und die Umgebung als Fixpunkte sind nicht zugänglich. Die Wahrnehmung spielt sich immer im Innern des Raumes ab. Die Eigenschaften dieses Raumes bestimmen die Möglichkeiten der Wahrnehmung. Ob der Raum als hell oder dunkel empfunden würde, ließe sich nur relativ als Differenz gegeneinander bestimmen. Damit ist eine Zirkularität der Wahrnehmung und der Erkenntnis über diesen Raum vorgegeben.

      Die elektromagnetische Strahlung ist sowohl Vorbedingung als auch Produkt unserer Wahrnehmung und Erkenntnis! Wir können nur aus der Kontinuität und der Redundanz von Beobachtungen auf die Existenz und die Eigenschaften der elektromagnetischen Strahlung schlussfolgern. Das ist die wissenschaftliche Methode. Was elektromag. Strahlung als Ding-an-sich ist, das entzieht sich unserer Erkenntnis.

      Die Naturwissenschaft bildet ein immer enger werdendes, zusammenhängendes Netzwerk von Vorstellungen über die Welt. Aber das Netzwerk hat keine Verankerung in festen Pfeilern oder Fundamenten einer fiktiven Außenwelt. Nur wenn wir annehmen, dass es keine Außenwelt gibt, bzw. dass unser wahrnehmbares Universum alles ist, was es überhaupt gibt, könnte man von Realitäten sprechen.

  51. Zitat Dr. Webbaer: „Das Weltliche ist unterscheidbar, zwischen dem, das naturwissenschaftlich angegangen werden kann, und dem, wobei dies nicht geht.“

    Dem stimme ich ja grundsätzlich zu. Aber jetzt müsste nur noch genau definiert werden, was naturwissenschaftlich/erkenntnistheoretisch angegangen werden kann und was nicht. Der idealistische Ansatz: Die eigentliche (in Zeit und Raum unveränderliche) Realität kann nicht angegangen werden, vor allem nicht durch geglaubte, empirisch angeblich einmalig geschehene Wunder, anhand derer dieser Realität ein Person-Sein mit bestimmten Eigenschaften übergestülpt wird. Hier sollte man, wie in der Esoterik, immer fragen: Wozu dient das denn?

    Zitat Anton Reutlinger: „Die Naturwissenschaft bildet ein immer enger werdendes, zusammenhängendes Netzwerk von Vorstellungen über die Welt. Aber das Netzwerk hat keine Verankerung in festen Pfeilern oder Fundamenten einer fiktiven Außenwelt.“

    Hierzu fallen mir Konrad Lorenz bzw. die Evolutionäre Erkenntnistheorie ein. Darin wird allerdings angenommen, dass unser „immer enger werdendes, zusammenhängendes Netzwerk von Vorstellungen über die Welt“ sehr wohl eine „Verankerung in festen Pfeilern oder Fundamenten einer fiktiven [hypothetisch realen] Außenwelt“ hat.
    Lorenz zählt dazu in seinem Buch der „Rückseite des Spiegels“ (Kapitel „Hypothetischer Realismus und transzendentaler Idealismus“) ausführlich die so von ihm genannten „Konstanzphänomene“ als physiologische Leistungen unseres Erkennens auf, wie etwa die Farbwahrnehmung, die Gegenstandserkennung aus verschiedenen Perspektiven (bei denen die Netzhautbilder in Form und Größe völlig verschieden sind) oder die aufeinander abgestimmte optische, akustische und taktile Wahrnehmung des „dreidimensionalen »euklidischen« Raumes“. Die eigentliche physiologische Leistung des Gehirns besteht darin, dass es einem Gegenstand wie etwa einem weißen Blatt Papier trotz verschiedenster Beleuchtungen, wobei die von diesem Papier reflektierten Wellenlängen sehr verschieden sein können, eine konstante Farbe errechnet, die wir diesem Objekt dann zuordnen bzw. unter der wir dieses Objekt konstant sehen, obwohl diese Konstanz tatsächlich gar nicht gegeben ist. Das sind – diese Bezeichnung benutzt Lorenz allerdings nicht – konstruktivistische Leistungen.

    Lorenz bzw. die Evolutionäre Erkenntnistheorie verstehen das (als Widerlegung von Kant) so, dass diese konstruktivistischen Leistungen stammesgeschichtlich als Anpassung an reale Gegebenheiten (die dann die „Rückseite des Spiegels“ unseres Bewusstseins sein sollen) entstanden sind. So sagt Lorenz über die genannten physiologischen oder konstruktivistischen Leistungen unserer Sinnes„apparate“: „Ich verstehe nicht, wie man daran zweifeln kann, daß hinter den Phänomenen, die von so vielen und unabhängig voneinander arbeitenden Apparaten wie von verläßlichen unabhängigen Zeugen in übereinstimmender Weise gemeldet werden, tatsächlich dieselben außersubjektiven Realitäten stecken!“, und noch deutlicher, dass „die reflektierende Er­kenntnis des eigenen Seins, die Descartes in die Worte »Cogito, ergo sum« (»Ich denke, also bin ich«) gefaßt hat, immer noch die am wenigsten bezweifelbare von allen [ist],“ und an unserer Überzeugung, „daß alles, was unser Erkenntnisapparat uns meldet, wirklichen Gegebenheiten der außersubjektiven Welt entspricht, halten wir unerschütterlich fest.“

    Carl Friedrich von Weizsäcker konterte das trocken: „Wenn das Bewußtsein ein Spie­gel ist, so kennen wir die Rückseite des Spiegels nur gespiegelt“.
    Damit liegt in der Evolutionären Erkenntnistheorie eine Zirkularität vor, denn um den Realismus zu begründen, setzt man ihn in der Evolutionären Erkenntnistheorie zuvor in absoluter Weise voraus. Außerdem ist das ein Fall für Ockhams Rasiermesser, denn wenn die Realitäten einer außersubjektiven Welt real vorliegen, warum soll das Bewusstsein bzw. unser Erkennen so komplexe Konstruktionsprozesse vornehmen, um diese Realität nach Lorenz Aussage „wiederzuerkennen“? Es reichte doch dann, sie einfach nur abzubilden. Und warum sollten die Dinge sich dann wie in der Quantenphysik in einem merkwürdigen Schwebezustand zwischen Sein und Nichtsein befinden, und erst durch das Kollabieren der Wellenfunktionsgleichung ins reale Sein treten? Wenn die Dinge real und unabhängig von unserem Erkennen da sind, dann sind sie stetig und substantiell da, so wie sie real eben sind.

    Dem idealistischen Ansatz nach sind dagegen auch die Dinge der materiellen Welt als „das Heraus-Sein oder Heraus-Stehen“ ein „Konstanzphänomen“, d.h. wir sehen in den Dingen ein in Zeit und Raum konstantes Sein, obwohl das objektiv gar nicht gegeben ist und sich letztlich in der Vergänglichkeit stets und gesetzmäßig empirisch offenbart. Dass alle unsere Sinnesleistungen miteinander verknüpft und aufeinander abgestimmt sind, ist nicht ein Beleg dafür, dass es eine dementsprechende außersubjektive Realität geben muss, wie Lorenz und die Vertreter der Evolutionären Erkenntnistheorie das meinen, sondern die Welt existiert idealistisch nur in diesen Verknüpfungen und Konstruktionen unseres Erkennens und Gehirns.

    Man sollte hierbei jedoch von der Evolution her den Einfluss beachten, der uns „unerschütterlich“ an die Realität unserer Welt und unseres Seins glauben lässt. Es ist davon auszugehen, dass der Vorgang der Entstehung des Bewusstseins als Erkennen einer Welt (bei dem die Pflanze zum Tier geworden ist) sofort mit einem Urinstinkt verbunden war, nämlich dem, das in diesem Bewusstsein erkannte Sein (und die umgebende Welt) als real und wirklich anzusehen, es um jeden Preis aufrecht zu erhalten und weiter auszubauen. Das gesamte auch in unseren menschlichen Genen nach wie vor verankerte Instinktsystem gründet auf diesem Urinstinkt, von dem aus sich etwa auch der religiöse Glaube an die Überwindung des Todes durch ein ewiges Sein erklären lässt.

    Zum heutigen Zeitpunkt der Evolution und angesichts der Probleme der Realitätsbestimmung in der Quantenphysik ist es allerdings an der Zeit, diesen Urinstinkt als tief verankertes Dogma über das Wesen des Seins und der Welt auf den Prüfstand und in Frage zu stellen, und sei es nur als Schulung und Übung der Flexibilität und des Wachsens des menschlichen Geistes. Existiert also die von uns erkannte Welt tatsächlich unabhängig von unserem Erkennen und Bewusstsein real und damit auch substantiell, oder existiert sie, so wie wir sie erkennen, wie die Farben nur in unserem Bewusstsein und ist damit Sein (auch das der Welt selbst) nur ein konstruktivistisches Konstantphänomen in Raum und Zeit?

    • @ Herr Dr. Ehlert :

      Existiert also die von uns erkannte Welt tatsächlich unabhängig von unserem Erkennen und Bewusstsein real und damit auch substantiell, oder existiert sie, so wie wir sie erkennen, wie die Farben nur in unserem Bewusstsein und ist damit Sein (auch das der Welt selbst) nur ein konstruktivistisches Konstantphänomen in Raum und Zeit?

      Die Welt ist beschreibbar, ihre “Existenz” ergibt sich genau dann, wenn erkennende Subjekte sie als das, was sie ist oder zu sein hat, nämlich als das Waltende oder Herrschende oder “Systembetreiber” meinend, beschrieben werden kann.
      Was nicht unzwitzig ist.
      Und nicht bezweifelbar, logisch.

      Die Frage, ob etwas existiert, aus “sich heraus ist oder aus sich heraussteht”, ist unbearbeitbar, wenn keine sozusagen kleinen Erkenntnissubjekte wiederum sozusagen herumschnüffeln, mit der Sprachlichkeit (“Logik”) begabt.

      Am Konstruktivismus führt kein Weg vorbei, wichtig ist hier eigentlich nur sein Wesen zu erkennen wie zu pflegen.


      Ansonsten dürfen natürlich “alternative” Weltmodelle beachtet bleiben, wie bspw. von Philip K. Dick vertreten, ein großartiger Bursche, womöglich i.p. Drogen “ein wenig” fehlgeleitet.
      (Wobei sich allerdings auch die sogenannten Beatles in Phasen unterscheiden lassen, gerade auch ihr Output betreffend, Dr. Webbaer rät vom Drogen-Konsum streng ab.)

      MFG
      Dr. Webbaer

      • *
        beschreiben können (vs. ‘beschrieben werden kann’)

        (Opi W war schon lange nicht mehr in d-sprachigen Staaten.)

    • @Bernd Ehlert;
      Das von K.Lorenz genannte “Konstanzphänomen” als Begründung objektiver und realistischer Erkenntnis ist zweifellos ein gewichtiges Argument. Allerdings könnte man ihm genauso gewichtige Argumente entgegen halten, wie z.B. die Farbenblindheit oder andere sinnes- bzw. neurophysiologische Störungen, als Begründung für Skepsis und wissenschaftliche Methodik. Gerade die “Störungen” bilden die Grundlage für die Evolution.

      Beide Argumentationsstränge, Anschauung und Begriff als Vernunft, formen gemeinsam ein zusammenhängendes, redundantes Netzwerk von Vorstellungen über die Welt, dessen wichtigste Bedingung die Widerspruchsfreiheit der (wissenschaftlichen) Aussagen ist. Den wachsenden Zusammenhang, die Redundanz wie auch die Widerspruchsfreiheit würde ich in einem pragmatischen Sinn als festes Fundament oder Pfeiler unserer Erkenntnisfähigkeiten und Erkenntnismöglichkeiten akzeptieren, trotz aller berechtigten Skepsis. Was fehlt, das ist und bleibt die Vollständigkeit. Andere Sicherheiten für Erkenntnis darüber hinaus haben wir nicht, siehe dazu die “empirische Adäquatheit” von B.v.Fraassen, oder auch den “Spiegel der Natur” von Richard Rorty.

      Dazu noch zwei offensichtlich konstruktivistische Zitate bekannter Leute:

      Wir mögen an der Natur beobachten, messen, rechnen, wägen usw., wie wir wollen. Es ist doch nur unser Maß und Gewicht, wie der Mensch das Maß aller Dinge ist.

      Johann Wolfgang v. Goethe (1749-1832)

      Sobald wir anerkennen, dass Wissenschaft über eine Welt nicht passiv informiert, sondern sie aktiv formt – dass eine Welt in der Tat Artefakt ist -, werden uns wichtige, aber oft übersehene Verwandtschaften zwischen Kunst, Wissenschaft, Wahrnehmung und der Gestaltung unserer Alltagswelten schmerzlich bewusst.

      Nelson Goodman (1906-1998)

      • Beide Argumentationsstränge, Anschauung und Begriff als Vernunft, formen gemeinsam ein zusammenhängendes, redundantes Netzwerk von Vorstellungen über die Welt, dessen wichtigste Bedingung die Widerspruchsfreiheit der (wissenschaftlichen) Aussagen ist.

        Eigentlich nicht, womöglich ist die (Natur-)Wissenschaft als (letztlich einzig zulässige) Bemühung des Erkenntnissubjekts mit der Welt klar zu kommen, gemeint.

        Die Logik (vergleiche mit ‘Widerspruchsfreiheit ‘) spielt hier nicht hinein.
        Der eigentliche Gag besteht darin zu erkennen, dass alles, was bisher weltlich erfasst worden ist und theoretisiert werden konnte, falsch sein könnte.

        Bas van Fraassen dachte und denkt in diese Richtung, sehr nett dass er diesbezüglich zitiert werden konnte,
        MFG + schönes Wochenende,
        Dr. Webbaer

        • @Dr. Webbaer;
          Kein Widerspruch, nur eine Erläuterung. Sollte ein zusammenhängendes, widerspruchsfreies und redundantes Netzwerk von Aussagen über die Welt vollkommen falsch sein, dann müssten schon die Grundannahmen oder Axiome falsch sein. Das halte ich für sehr unwahrscheinlich, aber natürlich nicht unmöglich, gemäß den Skeptikern. Hier spielt wieder K.Lorenz mit der Evolution herein, denn wenn schon die Beobachtungen bzw. die Interaktionen mit der Welt so falsch wären, dann wäre Leben wahrscheinlich nicht möglich.

          Einzelne (wissenschaftliche) Aussagen können falsch oder ungenau, aber trotzdem noch kompatibel mit dem Netzwerk der Aussagen sein, weil das Netzwerk insgesamt unvollständig oder lückenhaft ist. Der Antagonismus und die Überlagerung der physikalischen Erscheinungen (anziehende und abstoßende Kräfte) bringt eine unüberschaubare Vielfalt an Wechselwirkungen und Phänomenen hervor. Die dynamischen Wechselwirkungen liefern den Stoff für die Komplexität und für die Erkenntnis der Welt und für das eigene Sein.

  52. @Dr. Webbaer: Wegen „Dr. Ehlert“. Bitte in meinem Fall keine „Rangabzeichen“ oder „Uniformen“, denn das erinnert mich immer zu sehr an den Hauptmann von Köpenick.
    Zitat Dr. Webbaer: „Die Welt ist beschreibbar, …“ – oder ist sie etwa das in Farben und ihrem Sein (von einem erkennenden Subjekt) Beschriebene?
    „Dr. Webbaer rät vom Drogen-Konsum streng ab“. Aber vielleicht ist es manchmal ganz hilfreich dazu, die Menschen dazu zu bringen, ihre eingefahrenen Denkschienen zu verlassen. Wesentlich besser ist es natürlich, das ohne Drogen zu tun.

    Zitat Anton Reutlinger: „Was fehlt, das ist und bleibt die Vollständigkeit.“
    Genau. Die weltliche Struktur und der Realismus versprechen „Vollständigkeit“ bzw. eine umfassende, in sich geschlossene Erklärung als Weltformel. So wie der religiöse Glaube, d.h. ein Gott als reale Substanz hat die Welt geschaffen und das Sein der Welt bzw. des Menschen kehrt wieder zu dieser realen Substanz zurück. Diese Idee erfüllt zwar die emotionalen Bedürfnisse des Menschen, hält aber leider objektiven Wahrheitskriterien nicht stand bzw. ist widersprüchlich.

    Die Wissenschaft versucht ohne übernatürliche Elemente ebenfalls eine „Vollständigkeit“ und damit eine Bestätigung der Strukturen der Welt als real zu erreichen. Doch trotz überragender innerweltlicher Erfolge scheitert sie an einer umfassenden, in sich geschlossenen Erklärung der weltlichen Strukturen, ja sie scheitert schon an der Frage, was denn das materielle Sein eigentlich ist. Wo ist die reale Substanz, von der aus alles erklärt werden könnte, und zwar nicht hypothetisch, sondern substantiell?

    Kant hat den Fortschritt und auch das Scheitern der Naturwissenschaft als „Beobachtung und Zergliederung der Erscheinungen“ praktisch schon vorausgesehen, wenn er sagt:
    „Ins Innere der Natur dringt Beobachtung und Zergliederung der Erscheinungen und man kann nicht wissen, wie weit dieses mit der Zeit gehen werde. Jene transzendentalen Fragen aber, die über die Natur hinausgehen, würden wir bei allem dem doch niemals beantworten können, wenn uns auch die ganze Natur aufgedeckt wäre, da es uns nicht einmal gegeben ist, unser eigenes Gemüt mit einer anderen Anschauung, als der unseres inneren Sinnes, zu beobachten. Denn in demselben liegt das Geheimnis des Ursprungs unserer Sinnlichkeit. Ihre Beziehung auf ein Objekt, und was der transzendentale Grund dieser Einheit sei, liegt ohne Zweifel zu tief verborgen, als daß wir, die wir sogar uns selbst nur durch inneren Sinn, mithin als Erscheinung, kennen, ein so unschickliches Werkzeug unserer Nachforschung dazu brauchen könnten, etwas anderes, als immer wiederum Erscheinungen, aufzufinden, deren nichtsinnliche Ursache wir doch gern erforschen wollten“ (Kant, KRV, B334).

    So ist uns etwa in der Neurobiologie schon „die ganze Natur aufgedeckt“, d.h. wir wissen in allen physikalisch-chemischen Einzelheiten, was im Kopf eines Menschen vor sich geht, können es mit bildgebenden Verfahren in Echtzeit beobachten – und verstehen trotzdem nicht, was Erkennen, Geist und Bewusstsein eigentlich sind.
    Von einer Substanz redet die Wissenschaft schon gar nicht mehr. Was »wir« als erkennendes Sein auch tun, nie finden wir eine Substanz, alles erweist sich letztlich als bloße konstruierte Erscheinung, als „gespiegelt“ oder Schatten, so wie in der platonischen Höhle. Natürlich sind diese Erscheinungen oder Schatten für »uns« real, wie etwa eine Atombombenexplosion oder ein Schwarzes Loch im Universum, aber diese Realität ist wie unser Sein nicht das, was wir eigentlich unter Realität verstehen, nämlich etwas Substantielles, Absolutes und nicht etwas Relatives, was vom Erkennen abhängt und darin „gespiegelt“ ist. Das ganz Dilemma lässt sich in zwei Worte zusammenfassen: „Hypothetischer Realismus“.

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