Ist der “spektakuläre Steinzeitfund” bei Berlin zu retten?

BLOG: Uhura Uraniae

Ko(s)mische Streifzüge durch Zeit und Raum
Uhura Uraniae

in der Uckermark, nordöstlich von Berlin bzw. östlich von Prenzlau an der Autobahn A11 wurde ein “spektakuläres Gräberfeld” gefunden. Archäologen sagen, so etwas sei einzigartig und nie zuvor gesehen worden. Da die EU-Norm den Bau eines Wasserbeckens neben der Autobahn fordert, soll der grandiose Fund nun in der Kiesgrube entsorgt und zu Baumaterial verarbeitet werden. Das Regenwasser wird sein übriges tun, die verbleibenden Spuren zu verwischen. Das Schlimme aber ist, das er fast noch nicht untersucht werden konnte.

Karte erstellt mit MMA10, smh 2015
Karte erstellt mit MMA10, smh 2015

Im Februar diesen Jahres ging der Fund durch unsere lokalen Medien: rbb berichtet von der Situation:

“Riesige Steinkreise, unversehrte Urnen, aufwändige Feldsteinsetzungen und ein tonnenschwerer Kasten samt Skelett: Landesarchäologen haben bei Schmölln ein Gräberfeld von in Brandenburg nie gekannten Ausmaßen entdeckt. Für die Archäologen ist es eine Sensation, denn der Fund ist von Grabräubern komplett verschont geblieben.”

Neben den riesigen Speichenrädern von 8 m Durchmesser, ist eine schnurgerade Steinsetzung besonders ungewöhnlich. Die Archäologen haben sie liebevoll “Pflasterstraße” genannt, weil die Steine dafür sorgfältig aufeinander gesetzt und aneinander angepasst wurden. Es handelt sich aber nicht um eine begehbare oder befahrbare Straße, sondern lediglich um eine schnurgerade Steinsetzung. Es wird der Analyse der Archäologen überlassen bleiben, dies zu interpretieren.

Der Landesarchäologe Rainer Bartels berichtet darüber auch in den lokalen Medien wie Uckermark-TV: Wannimmer es Tiefbauarbeiten irgendwo gibt, wird zuerst von einem Archäologen geprüft, ob es vielleicht etwas Interessantes im Boden gibt. In diesem Fall führte also der Bauauftrag eines Regenrückhaltebeckens also die Archäologie zu einem Volltreffer – und der angestellte Archäologe will nun darüber eine Doktorarbeit schreiben.

Nach der Entdeckungen von Schiffssetzungen und Speichenräder-Setzungen von Steinen sowie Steinkreisen aus der späteren Hälfte des -1. Jahrtausends, die allein schon an Größe alle bisher bekannten ähnlichen Setzungen in Südschweden u.a. übertreffen, wurden später auch Skelette gefunden. Die Skelette sind aber noch mindestens anderthalb Jahrtausende älter: sie werden auf -4000 bis -2500 datiert. Hier ist also der Nachweis, dass dieser Platz neben der A11 seit der Jungsteinzeit von Menschen besiedelt wurde.

Dennoch werden die EU-geforderten Baumaßnahmen den Fund zerstören, wie der rbb dokumentiert:

“Ein Großteil der Steine ist bereits abtransportiert und wird entsorgt. Die Urnen landen im Landesamt für Archäologie oder im Landesmuseum in Brandenburg an der Havel.”

Verschiedene Archäologen und auch Kulturwissenschaftler sind inzwischen darum bemüht, die Neubebauung aufzuschieben und die bereits entsorgten Steine dem Steinbruch wieder abzukaufen. Allerdings ist bisher noch nichts geschehen und wenn nicht bis Ende des Jahres eine Lösung gefunden ist, werden die steinzeitlich bearbeiteten Bausteine von “Pflasterstraße” und Speichenrädern wohl recycled und als frisch gemahlener Baustoff der modernen Bau-Industrie verkauft.

Frage: Muss das sein?

Kann man nicht wenigstens vorher gründlich untersuchen, was man hier findet? Jeder versteht wohl, dass man nicht alles “ewig aufheben” kann und Überbauung und Material-Recycling hat es zu jeder Zeit gegeben. Das ist nunmal der Lauf der Welt – aber in diesem konkreten Fall handelt es sich

  • erstens wirklich um einen sensationellen Fund mit viel Erklärungspotential, der vielleicht besser gar nicht beräumt, sondern erhalten werden sollte.
  • Wenn man das zweitens aber unbedingt tun muss (weil man dringend unbedingt diejenige Steine braucht, die früher Grabmale machten), sollte wenigstens diese Anlage gründlichst untersucht, vermessen und 3D-rekonstruiert werden, damit spätere Archäologen-Generationen auch noch etwas davon haben und nicht nur der Landesarchäologie eine singuläre Dissertation schreibt, deren Ergebnisse niemand mehr wird überprüfen können, weil ja das ganze Datenmaterial vernichtet worden sein wird.

Solide Wissenschaft braucht mehr Daten: Man braucht also dringend mehr Zeit, um vernünftiges wissenschaftliches Material zu erheben, d.h. Daten zu sammeln!

Im Grunde müsste ein Fund wie dieser in die Landesdenkmalliste eingetragen werden. Das würde aber bedeuten, dass man das Regenwasserrückhaltebecken an der A11 andernorts bauen muss und folglich umplanen müsste. Warum das nicht getan wird, ist den Experten unbekannt.

Da wird nun – irgendwo im nirgendwo, d.h. in der Uckermark – eine wirklich sensationelle Entdeckung gemacht, die unser Verständnis der vorrömischen Kultur Mitteleuropas in dem wenig bekannten Land nördlich des Limes durch ihre Vielfalt und Größe wahrscheinlich weiterbringen würde – und dann wird dieser gigantische Fund nach einer Notgrabung einfach weggeräumt?

Ich weiß nicht, ob das für eine hohe kulturelle Entwicklung unserer eigenen Kultur spricht.

PS: die Autobahn A11 funktioniert seit Jahrzehnten (gebaut 1936) auch ohne Regenwasserrückhaltebecken [solche Worte kann nur das Deutsche hervorbringen, oder?]. Es wäre daher absolut möglich, das Becken erst ein Jahr später zu bauen, wenn das die Zeit ist, die man für die Umplanung an einen anderen Ort braucht.


Der Beitrag ist heute mal weniger astronomisch – zumindest auf den ersten Blick. Sicher ist, dass ich keine Expertin dafür bin und darum auch überall Fragezeichnen setze, um die Fragen zur Diskussion zu stellen: Ich komme auf dieses Thema vor allem deshalb, weil es bei der Tagung der Gesellschaft für Archäoastronomie (GfA) letzte Woche an drei von vier Tagen besprochen wurde: Der Vorstand der GfA wollte als fachlicher Gutachter bei politischen Verhandlungen dabei sein und wurde explizit ausgeladen. Er berichtet, dass Pläne und Karten erst herausgegeben hätte, als man von der “Société Européenne pour l’astronomie dans la culture” SEAC mit internationaler Presse drohte – vorher nicht. Und er wollte sich erkundigen und ggf. wissen, ob es etwas zu tun gibt. Mitreden darf trotzdem kein Fachmensch, sagte man – und das, obwohl in diesem demokratischen Land Informationspflicht herrscht.

Was es vielleicht doch mit Astronomie zu tun hat:

  • Astronomie (bzw. Kosmologie) ist die Wissenschaft vom ganzen Universum und darum sollten wir uns mit allem beschäftigen, was uns betrifft.
  • Sicher haben die Leute auch schon im -5. und -1. Jahrtausend den Himmel beobachtet – dazu brauchten sie keine Römer, gegen deren Eroberung man sich hier im Norden ja auch mit Erfolg gewehrt hatte. Insofern weiß man nicht, ob die Steinsetzungen vielleicht astronomische Bezüge hatten, bevor man das untersucht hat – und man kann es nicht untersuchen, falls es zerstört wird.

DARUM!

Zudem bin ich selbst beim besten Willen keine Archäologin (nur Historikerin) und habe alle oben genannten Äußerungen nur aus der Presse abgeschrieben. Die SciLogs bieten aber die Möglichkeit, dass die interessierten Leute durch Nutzung der Kommentarfunktion miteinander reden.

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"physics was my first love and it will be my last physics of the future and physics of the past" Dr. Dr. Susanne M Hoffmann ist seit 1998 als Astronomin tätig (Universitäten, Planetarien, öffentliche Sternwarten, u.a.). Ihr fachlicher Hintergrund besteht in Physik und Wissenschaftsgeschichte (zwei Diplome), Informatik und Fachdidaktik (neue Medien/ Medienwissenschaft) als Weiterqualifikationen. Sie ist aufgewachsen im wiedervereinigten Berlin, zuhause auf dem Planeten Erde. Jobbedingt hat sie 2001-2006 in Potsdam gelebt, 2005-2008 saisonal in Mauretanien (winters) und Portugal (sommers), 2008-2009 und 2013-'15 in Berlin, 2010 in Hamburg, 2010-2012 in Hildesheim, 2015/6 in Wald/Österreich, 2017 in Semarang (Indonesien), seit 2017 in Jena, mit Gastaufenthalten im Rahmen von Forschungskollaborationen in Kairo+Luxor (Ägypten), Jerusalem+Tel Aviv (Israel), ... . Ihr fachliches Spezialgebiet sind Himmelskarten und Himmelsgloben; konkret deren Mathematik, Kartographie, Messverfahren = Astrometrie, ihre historische Entwicklung, Sternbilder als Kulturkalender und Koordinatensystem, Anomalien der Sternkarte - also fehlende und zusätzliche Sterne, Sternnamen... und die Schaustellung von alle dem in Projektionsplanetarien. Sie versteht dieses Blog als "Kommentar an die Welt", als Kolumne, als Informationsdienst, da sie der Gesellschaft, die ihr das viele studieren und forschen ermöglichte, etwas zurückgeben möchte (in der Hoffnung, dass ihr die Gesellschaft auch weiterhin die Forschung finanziert).

8 Kommentare

  1. Der Vorgang ist skandalös. Man könnte eine Internet-Petition mit Unterschriftensammlung veranstalten, damit kann man in wenigen Tagen tausende Unterstützer finden und bei den Verantwortlichen Druck machen. Das hat beim Thema der Panoramafreiheit auch geholfen.

  2. Mal eine Frage: Ist es mittlerweile üblich in den Geschichtswissenschaften, bei Jahreszahlen von “-4000” o.ä. zu sprechen?

  3. @Silke Bicker und Paul Stefan: So war auch mein Eindruck – aber ich bin wie gesagt nicht kompetent genug im Thema, kann nur Fragen stellen.

    @Jolo: ich bin Astronomin und daher spreche ich auch in der Geschichtsforschung Jahreszahlen mit +/- an.

  4. Wo bleiben nur die “Demonstranten für das Abendland” und die “Rettung unserer Traditionen und Kultur”, wenn man sie mal wirklich bräuchte?

    Solche unwiederbringlichen Fundlagen müssten mindestens wissenschaftlich ordentlich erforscht werden, bevor sie “abgeräumt” werden! Schließe mich dem Vorschlag von @Paul Stefan ausdrücklich an!

  5. Man könnte dem Straßenbauamt ein paar “Spezialisten”aus Syrien empfehlen, die kennen sich mit dem Sprengen von Baudenkmälern gut aus und den Sprengstoff würden sie sicher auch gleich mitnehmenl.
    Sie sollten aber dann aufpassen, daß sie sich nicht verquasseln, sonst kommt die Rübe auch gleich weg.
    (Tschuldigung aber ein solcher Frevel animiert zu derartigen Überlegungen. Man stelle sich vor, die Engländer werfen Stonehenge wegen einer Umgehung auf den Bauschuttplatz.

    Könnte man nicht den Bauplatz besetzen um Zeit zu gewinnen und einen vorläugigen Baustopp zu erwirken?
    Gruß, Felix, schockiert.

  6. Wir sind in Griechenland und anderswo schon über Steine gestolpert, haben Eintritt für Grabungsstätten bezahlt, wo weniger zu sehen war. Kann man hier nicht mal Tourismus planen und vermarkten, um die dünn besiedelten Landschaften mit Arbeitsplätzen und Zukunft zu versorgen? Schon der Ort der Ausgrabung der Himmelsscheibe wird nicht vermarktet und nun das in der Uckermark. “Die Fundstücke, die in Schmöllen verbleiben werden in einer ehemaligen Verkaufsstelle ausgestellt”??? Geht’s noch? Ich bin sprachlos, was sind das für Archäologen und was für politische Entscheidungen?

  7. Several European countries have signed the Treaty of Malta, archaeology became a commercial activity, and after excavation the site is rapidly completey wiped out. The archaeologists deny recognition of the sacred, though it was the sacred which formed the imputus for building the stone circles, dolmens and temples. In the Netherlands many prehistoric sacred sites have been completely destroyed by archaeologists, and their finds are digitally stored, hermetically sealed and only accessible by those archo’s who own the code. Meanwhile it has become obvious the limited viewpoint of the archaeologists results in important evidence of measure, astronomy and cosmology becoming lost. None of the archaeological techniques are recognised by law. Archaeologists are allowed to destroy sites at will. It is most distressing they do not care much for our prehistoric inheritance, it is not theirs only, it belongs to the Nation, to all people, and they have no voice in the matter.

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